Der Kaiser assistierte dem Auguren bei der Effatio des Bauwerks, folgte dem Iulier auf seinem Weg und kehrte schließlich mit ihm auf die Stufen und zur Menge zurück. Damit fehlte nur noch die eigentliche Tempelweihe. Hier war Severus wieder direkt gefragt und da er die Toga sowieso noch über dem Kopf hatte, begann er sofort. Wieder waren Gebete zu sprechen, Wasser zu versprengen und die Cella zu betreten. Da das Ulpianum auf relativ engem Raum errichtet worden war, stand der Opferaktar nahe der Stufen zum Hauptportal und dort wurden nun Stiere geopfert. So war es für die vergöttlichten Kaiser üblich. Der Aquilier fragte sich, ob einst auch ein Tempel für seine Dynastie irgendwo in der Stadt geweiht werden würde, während er die heiligen Riten vollzog.
Wieder musste das Volk warten, doch bekam es immerhin die Schlachtung der Stiere hautnah mit, die planmäßig ablief. Dann war es aber endlich geschafft. Der Kaiser trat an die Kante der obersten Stufe, nahm die Toga vom Haupt (woraufhin ein Diener sie sofort richtete).
Schließlich erhob er die Stimme und begann: "Wenn ein neues Gebäude fertiggestellt wird, bildet es meistens einen Punkt, an dem das Auge eines Beobachters verweilt. Es fesselt den Blick, weil es neu ist in seiner Umgebung und auch wenn es sich architektonisch genau in die Umgebung einpasst, zieht es das allgemeine Interesse auf sich." Er blickte hinauf zum mächtigen Kapitell des neugeweihten Bauwerks, um sich wieder der Menge zuzuwenden.
"Beim dem Ulpianum ist dies genauso. Es hat seinen Platz an dieser Stelle gefunden und wird die Stadt nun von genau dieser Stelle schmücken. Nach langer Bauzeit kann es nun endlich seine Funktion aufnehmen. Schon der vergöttlichte Iulianus entwickelte die Idee, großen und achtenswerten Persönlichkeiten in einem speziell dafür vorgesehenen Gebäude zu gedenken. Ihr Abbilder, so die Idee des Iulianus, sollten dort die Bürger Roms an die großen Taten erinnern, die ein einzelner Mensch erreichen kann, wenn er seine ganze Kraft in den Dienst des Reiches stellt. Hierbei gehen die Halle selbst und jede einzelne Statue Hand in Hand mit römischen Werten. Besonderen Wert legte der vergöttliche Iulianus Wert auf die Geschichte des Reiches, die jedes einzelne Abbild repräsentierte. Zu ihren Lebzeiten taten sie Dinge, die das Reich bis heute prägen und uns auch heute noch den Weg weisen können, wie wir alle, aber auch jeder Einzelne unsere Kraft in den Dienst des Reichs stellen können.
Der Prolog des Dekrets zur Einrichtung des Ulpianums beruft sich daher auch auf die zentralen Aufgaben der Geschichte: Mit der Geschichte leben wir. Mit der Geschichte verbinden wir uns. Die Geschichte ist ein zentraler Knotenpunkt des Imperiums. Sie ist der Anker, der auf einer stürmischen See das Boot festhält." Er machte eine Pause, um die Worte des Divus Iulianus wirken zu lassen.
"Das Ulpianum soll und wird ganz im Sinne des vergöttlichen Iulianus das Andenken an die Geschichte des Reiches hochhalten. Die Personen die in ihm geehrt werden, erhalten nicht bloß eine Ehrung für ihre Taten, gleichzeitig bilden sie alle gemeinsamen einen historischen Fixpunkt, an dem unsere Augen verweilen und von dem aus wir Stabilität und Orientierung nehmen, um unsererseits die Geschichte des Reiches fortzuschreiben, damit es durch unsere Taten weiterhin im Wohlstand gedeiht.
"Insgesamt vier Personen werden in diesem Sinne am heutigen mit Statuen in das Ulpianum aufgenommen: Der Censorius Cicero Octavius Anton, der Consular Gaius Prudentius Commodus, sowie die Senatoren Tiberia Livia und Lucius Annaeus Florus." Er sah hinunter in die ersten Reihen, wo auch die ausgewählten Redner für die Enthüllung der Büsten bereitstanden. "Wie wir gleich hören werden, haben sie sich allesamt in besonderer Art und Weise für das römische Reich engagiert – und sie alle sind Fixpunkte, der römischen Geschichte und sie alle werden uns als gute Beispiele in Erinnerung bleiben."
Sein Blick ging weiter zu dem Altar, der im ursprünglichen Bauplan des Ulpianum nicht vorgesehen gewesen war. "Am heutigen Tage und mit der Zustimmung des Senats wird die Funktion des Ulpianums allerdings heute noch erweitert. Es wird nicht bloß eine Gedenkhalle sein für die ehrenwerten Männer und Frauen, die mit ihren Abbildern die Halle schmücken werden. Das Ulpianum wird zudem die Kaiser der ulpianischen Linie ehren, die drei vergöttlichten Kaiser Traianus, Iulianus und Valerianus. Sie führten das Reich vorbildlich und waren in ihren Amtszeiten die wichtigsten Anker des Reiches. Auch sie schrieben Kapitel der Geschichte des Reiches und werden nun von den Menschen umrahmt, die sie dabei unterstützten. Am heutigen Tag weihen wir den Tempel der vergöttlichen Ulpier und es wird zugleich ein Tempel für die Historia Romae, der Geschichte unseres Reiches."
Jubel erhob sich, als der Kaiser seine Rede beendete. Severus fragte sich, ob dieser Jubel nicht eigentlich Divus Iulianus gebührte, der dieses Projekt auf den Weg gebracht hatte. Er würde aber sicherlich stolz sein, dass es nun endlich abgeschlossen war.
Nachdem der Jubel sich gelegt hatte, blickte er zur Seite, wo vier Diener bereitstanden, die die Büsten der vier Erstaufnahmen in Händen hielten. Jede der bronzenen Figuren war mit einem weißen Tuch bedeckt, sodass sie hier, vor den Augen der Bürgerschaft Roms, enthüllt werden konnten. Erst nach der Zeremonie würde man sie in der Ehrenhalle an ihre Plätze stellen. Dies war dem Kaiser klüger erschienen, als nur eine ausgewählte Zahl von Personen an den Lobesreden teilnehmen zu lassen.
"Ich bitte nun diejenigen, welche auserwählt wurden, die Büsten der verdienten Männer und Frauen zu enthüllen, die heute ins Ulpianum aufgenommen wurden." Mit der Hand wies er nach unten, wo Purgitius Macer und die beiden Flavier bereitstanden. Iulius Centho hielt sich ja noch im Schatten des Vordaches auf und musste nur hervortreten. "Beginnen wir mit Cicero Octavius Anton, dem der Vorrang des Alters gebührt." Einer der Diener trat mit einer verhüllten Büste vor, während der Kaiser zurücktrat. Die Bühne war frei für Macer.