Beiträge von Plinia Chrysogona

    Ein Wettstreit der Rhetoren war angekündigt und selbstverständlich würde sich die Medica dieses intellektuelle Spektakel nicht entgehen lassen. Sie war schon gespannt wer sich auf die Rostra begeben würde um seine Stimme eloquent über das Forum klingen zu lassen. Illustre Juroren würden den Sieger küren. Der Kaiser und die Kaiserin, dazu Decimus Serapio und Flavius Gracchus.
    Chrysogona sah sich im Publikum um. Wie nicht anders zu erwarten sah sie einige bekannte Gesichter. Helvetius Severus war da, die Plinia lächelte ihn grüßend an. Auch der junge Decimus Scipio war zugegen und ein paar der Gäste, die im Hause der Decimer die Saturnalien gefeiert hatten.
    Die Griechin wartete neugierig darauf, dass die Wettbewerber vorgestellt würden.

    Chrysogona litt mit Antigone. Auch wenn sie das Drama bereits kannte, nahm sie Anteil am Schicksal der standhaften Griechin.
    "Unbeweinet, ungeliebt, unvermählet, tret ich Leidvolle geführt an den schon fertgen Weg. Nimmer auch bleibet zu schaun mir der Fackel des Himmels heiliges Aug. Ich Arme! Mein verlassenes Sterben aber beseufzt der Freunde niemand!"


    Die Medica schluckte. Wie wahr. Wer würde um sie weinen wenn sie nun vor Hades treten müsste? Schnell verscheuchte sie den Gedanken. Noch lebte der Vater und sie war ja nicht gänzlich ohne Freunde. Doch ein wenig erinnerte sie das von Antigone befürchtete einsames Ende an ihr eigenes Leben. Nun wurde sie bald 30 Sommer und war noch immer ohne Familie, ohne Mann und Kinder und mit jedem weiteren Sommer rückte die Wahrscheinlichkeit in weitere Ferne. Chrysogona saß aufrecht, ihre Nägel krallten sich in den Sitz, ihr Blick klebte an dem Geschehen auf der Bühne. Sie hatte die Welt um sich herum vergessen und war ganz eins mit Antigone geworden. In ihrer Vorstellung verbanden sich ihre beiden Schicksale und so ging sie förmlich mit der Schwester des Polyneikes in den verordneten Tod.

    Die Kaiserin war eine hervorragende Patientin. Sie erduldete die Therapien mit Gleichmut. Die Leibmedica erhielt keine Antwort auf ihre Frage nach den Präferenzen und entschied dann selbstständig eine Ode des Horaz heraus, die nicht nur eine schöne Metrik hatte sondern auch einen sehr passenden Inhalt.
    "Hier, ich denke das wird dir gefallen. Die Metrik ist hübsch und rythmisiert den Atem. Die Schwingungen versetzten den Körper in eine günstige Harmonie."


    Soweit die gängige Lehrmeinung. Chrysogona reichte der Kaiserin den Text.


    "Hoc erat in votis: modus agri non ita magnus,
    hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons
    et paulum silvae super his foret. auctius atque
    di melius fecere. bene est. nil amplius oro,
    Maia nate, nisi ut propria haec mihi munera faxis.


    Si neque maiorem feci ratione mala rem
    nec sum facturus vitio culpave minorem,
    si veneror stultus nihil horum 'o si angulus ille
    proximus accedat, qui nunc denormat agellum!'


    Mein höchster Wunsch war einst ein kleines Feld,
    ein Garten, eine Quelle nah am Hause,
    und etwas Wald dazu: die Götter haben mehr
    und Besser's mir gegeben: mir ist wohl,
    ich bitte weiter nichts, o Maiens Sohn,
    als dass du mir erhaltest, was du gabst.


    Wofern ich nicht mein Gut durch böse Künste
    vergrößert habe, nicht durch Torheit und Verschwendung
    verringern werde, wenn in meine Seele
    kein Wunsch, wie dieser, kommt: "o möchte doch,
    mein Feld zu runden, noch der Winkel dort
    hinzu sich fügen!"


    Sie wartete bis Serena sehr schön betont gelesen hatte, dann lauschte sie den weiteren Strophen. So saßen die beiden Frauen in der Nachmittagssonne im Cubiculum der Kaiserin und erfreuten sich der Werke des Horaz. Aus Chrysogonas Sicht gab es nichts Erbaulicheres. Als die Kaiserin geendet hatte, lächelte sie.
    "Wie schön. Das muss doch helfen, nicht wahr? Wollen wir den morgigen Therapieplan besprechen?"


    Der Kaiser schien entsetzt, dass die Medica die Schatzhäuser des Tempels ins Spiel brachte. Chrysogona zuckte die Achseln. "Verkaufen ist sicherlich nur eine Option. Wenn man die Votivgaben anderweitig unterbringt wäre den Kranken auch gedient."


    Sie nickte als er feststellte, dass diese Maßnahme erst im Collegium Pontificum erörtert werden müsse. Das hatte sie durchaus erwartet. Auf Kos war es ähnlich gewesen als man Teile des Kultbezirkes des Asklepieions umwanden wollte in Behandlungsräume für die Kranken. Die Medici hatten sich bei den Priestern durchgesetzt! Auf seine Frage nach ihrer Bereitschaft, dem Collegium ihr Anliegen vorzustellen, stützte sie die Hände in die Seiten.
    "Selbstverständlich, mein Kaiser! Es geht hier um eine Angelegenheit von höchster Tragweite. Ich glaube kaum, dass das Collegium die Notwendigkeit negieren wird. Nur zu gerne werde ich meine Argumente den Ponifices vorbringen, wenn du mein Erscheinen dort möglich machst."

    Am kommenden Morgen betrat die Leibmedica des Kaisers die Privatgemächer der Veturia. Sie ließ sich die Ausscheidungen zeigen und nickte zufrieden. Chrysogona sorgte dafür, dass die Kaiserin Bettruhe hielt und einen Trank aus Artemisia, Salvia und Melilotus erhielt. Die Medica selbst sorgte für einen Umschlag aus einem in warmem Öl mit Rosenblüten getränkten Wolltuch. Dieser wurde auf Epigastrium, Hüften und Lenden gelegt. Ab und an erneuerte sie den Umschlag und wusch den Bauch der Veturia mit einem Schwamm ab, der in heißes Wasser getaucht wurde.


    Mit der Küche hatte Chrysogona eine leichte Nahrung abgesprochen. Eine warme Suppe aus Weizengraupen mit Öl und Salz abgescheckt. Die Kaiserin sollte Brot in der Suppe einweichen und Honigwasser dazu trinken.


    Am Nachmittag sollte die Kaiserin ein Gedicht deklamieren und danach ein wenig schlafen. Chrysogona setzte sich auf einen Stuhl neben dem kaiserlichen Bett.
    "Nun, welches Gedicht möchtest du deklamieren oder möchtest du ein wenig Prosa vorlesen?"
    Sie hatte vorsichtshalber ein paar Schriftrollen mit Werken von Horaz und Catull mitgebracht.

    Zitat

    Original von Marcus Helvetius Severus:
    Nun, an den Tagen des Saturn sind die Sinne oft eher an der einfachen, denn der gelehrigen Freude interessiert, nicht wahr? fragte er, wobei ihm auffiel, dass sie wieder einmal den Kopf leicht schief gelegt hatte, so wie sie es offenbar häufig tat. Allerdings ging er darauf nicht ein, sondern beantwortete stattdessen lieber ihre Frage. Ja, das Stück ist mir bekannt. Wobei ich ja der Meinung bin, dass man es nur im Zusammenhang der gesamten Labdakidensage sehen muss. So lohnt sich zum Beispiel auch die Lektüre oder der Besuch des Oedipus des Sophokles oder der Sieben gegen Theben des Aischylos. Zusammen bieten sie sozusagen ein Gesamtbild, das zum Beispiel für das Verständnis der Antigone von Nutzen sein kann.


    Chrysogona lächelte wieder fein und enthielt sich eines weiteren Kommentars zu den Saturnalien. Heute war der Tag der Muse Melpomene. Sie wollte diesen Kulturgenuss würdigen. Und, siehe da, sie hatte sich nicht in dem jungen Helvetier getäuscht. Er kannte sich aus. Die Griechin nickte beifällig. Natürlich war die Antigone nur die logische Fortsetzung der Ödipussage und stand auch mit den "Sieben gegen Theben" in Zusammenhang.
    "Sehr richtig, Severus!", pflichtete sie ihm bei. "Oh, sieh da! Es geht los!"


    Die Schauspieler betraten die Bühne und Ismene und Antigone spielten die erste Szene. Chrysogona sah gebannt zu. Sie verehrte Antigone für ihre Entschlossenheit, dafür dass sie sich ohne Rücksicht auf die in Aussicht gestellte Frage für die Einhaltung der Begräbnisriten entschied. Ja, so musste es sein!
    Als beide Schauspielerinnen abtraten sah sie den Helvetier von der Seite an. Hatte er Verständnis für die charakterstarke Heldin oder war er Opportunist wie Ismene.

    Chrysogona war mehr als überrascht als sie eine Einladung von Marcus Helvetius Severus erhielt, mit ihm die Antigone-Aufführung im Marcellustheater anzusehen. Die Griechin wäre ohnehin zu dieser Aufführung gegangen, denn sie liebte Sophokles Antigone. War die Heldin doch eine starke und kluge Frau mit Prinzipien, ganz wie Chrysogona selbst. Aber so konnte sie sehen, ob sie sich so sehr in dem jungen Helvetier getäuscht hatte, wie es bei der Saturnalienfeier den Anschein gehabt hatte. Sie war gespannt auf das Zusammentreffen.
    Gehüllt in ein hellgründes langes Gewand, schlicht aber von hoher Qualität, und mit einem weißen Manteltuch angetan, das entweder als Sonnenschutz oder als Wind- und Kälteschutz genutzt werden konnte, nahm Chrysogona den Platz neben dem Helvetier ein.


    Zitat

    Ich möchte mich noch für mein Verhalten bei den Saturnalienfeierlichkeiten des decimischen Praefecten entschuldigen, Plinia. An dem Abend hat der Alkohol in jedem Fall mehr aus mir gesprochen, als mein Verstand, was allerdings sicherlich keine Begründung dafür sein kann. sagte Severus, als sie schließlich zwei gute freie Plätze gefunden hatten, die sie beide nebeneinander einnahmen.


    Sein erster Satz enthielt eine Entschuldigung für sein Fehlverhalten bei den Saturnalien im Hause der Decimer. Sie legte den Kopf leicht schief, lächelte ein feines Lächeln und sah ihm direkt in die Augen.
    "Ich nehme deine Entschuldigung an. Die Verehrung der Gaben des Dionysos kann einem schon einmal die Sinne vernebeln und einem Athene als Aphrodite erscheinen lassen. Dennoch hielt ich eine Verabschiedung zu diesem Zeitpunkt für angemessen. Umso mehr freut es mich, dass du die Anspielung trotz deines von Sinnesfreuden verzückten Zustandes richtig gedeutet und mich zu diesem Kulturgenuss eingeladen hast. Danke dafür. Ich nehme an du kennst die Antigone?"


    Sie sah den jungen Mann interessiert an.

    Chrysogona musste tief durchatmen als sie die Antwort des Kaisers hörte. War er so naiv oder nur zu faul um sich um die Zustände auf der Tiberinsel zu kümmern? Als wenn die Götter einen kleinen Finger krumm machen würden wenn es um eine Epidemie ging.
    Dann aber schien er doch noch gesprächsbereit. Er fragte sie nach einer Behandlungseinrichtung. Die Medica straffte den Rücken. Sie hatte sich Gedanken gemacht.
    "Die Tiberinsel ist nicht sehr groß und die Tempelanlagen nehmen einen großen Teil der Insel links der Brücke ein. Die einzigen verfügbaren Gebäude wären die Schatzhäuser. Ich schlage vor zumindest eines der beiden Gebäude zu räumen, die Votivgaben nach einer gewissen Zeit anderswo zu lagern oder zu Geld zu machen, um die Behandlung der Kranken zu bezahlen. Dann könnte eines der Gebäude für die Untersuchung der Ratsuchenden dienen. Stellt der diensthabende Medicus eine für die Allgemeinheit gefährliche oder für den Hilfesuchenden schwerwiegende Krankheit fest, könnte man die Person außerhalb der Stadtmauern in einer Heileinrichtung ähnlich dem Asklepieion von Kos behandeln. Dafür müssten allerdings noch Räumlichkeiten gesucht oder gebaut werden. Ist das Anliegen ein normaler Fall für den Heilgott Asklepius kann der Ratsuchende ja gerne vor Ort bleiben bis ihm Gehör geschenkt wurde und er sein Opfer darbringen konnte. Ich würde einen Teil meiner freien Zeit dieser Aufgabe widmen, freiwillig die Ratsuchenden untersuchen und diejenigen ausfindig machen, die den römischen Bürgern zur Gefahr werden könnten."


    Die Medica sah den Kaiser erwartungsvoll an. Was hielt er von dem Vorschlag?

    Die Belehrung des Caesars nahm die Medica gehorsam hin. Es war sein gutes Recht sie auf seine exponierte Stellung hinzuweisen. Da die Griechin noch nie zuvor einer Schlacht begewohnt hatte, wusste sie nicht inwieweit die Befehlshaber auch in das Kampfgeschehen eingriffen. Dass er nicht erwartete körperlich großartig gefordert zu werden quittierte sie mit einem Nicken. Auch gut. Dann musste sie sich wohl doch eher Gedanken über seine Genusssucht und nicht über seine physische Leistungsfähigkeit machen.
    Die Vorstellung des Caesars als Fass hingegen entlockte ihr erneut ein Schmunzeln. Die Strenge verflog aus dem Blick und sie traute sich einen weiteren Scherz zu. "Dann werde ich nur ein Auge darauf werfen, dass aus dem Caesar kein Weinfass wird, damit du auch im Sattel eine gute Figur abgibst."


    Eine ihrer Augenbrauen zuckte amüsiert nach oben. "Ich schlage vor, ich überprüfe deinen Gesundheitszustand alle sechs Monate, es sei denn du findest ein anderes Interval besser oder fühlst dich nicht wohl. Bedenke bitte, gerade weil du der Thronfolger bist, wirst du nicht nur Freunde und Gönner haben. Ich würde nur ungern deinen unnatürlichen Tot attestieren."


    Ihr Blick traf seinen und wenn er ein wenig Einfühlungsvermögen hatte, würde er wissen, dass sie das sehr ernst meinte. Es wäre nicht nur für ihre berufliche Karriere eine Katastrophe.
    Sie verbeute sich leicht. "Dann danke ich dir für deine Geduld bei der Untersuchung und der Befragung. Vale bene, Caesar."

    Da es sich bei Chrysogonas Anliegen nicht um die Gesundheit des Kaisers handelte, hatte sie sich einen Termin für eine Audienz in seinem Officium geben lassen. Sie erschien zur verabredeten Hora und betrat nach Aufforderung das private Officium. Inzwischen kannten sich der Kaiser und seine Privatmedica schon eine Weile, so dass Chrysogona sofort zum Kern der Angelegenheit vorstieß.


    "Salve, mein Kaiser. Ich komme heute mit einer Angelegenheit zu dir, die sich nicht in meinem Zuständigkeitsbereich befindet, die mir aber Kopfzerbrechen bereitet. Seit meiner Ankunft in Rom suche ich regelmäßig den Tempel des Aesculapius auf der Tiberinsel auf. Und schon bei ersten Besuch war ich entsetzt. Überall auf der Tiberinsel insbesondere aber in den Wandelhallen und auf dem Vorplatz des Tempels, sowie den Stufen des Heiligtums lagern Kranke und Sieche. Ich habe nachgefragt und feststellen müssen, dass es keinerlei Behandlungseinrichtungen für die Menschen auf der Tiberinsel gibt. Die einzigen Gebäude über die der Tempel verfügt sind Schatzhäuser für die vielen Votivgaben, die dem Gott von den Hilfesuchenden gespendet werden. Mein Kaiser, diese Ansammlung von kranken Menschen ist nicht nur unwürdig für die Stadt und das Heiligtum sondern auch ein gefährlicher Nährboden für Seuchen und Epidemien. Mitten in der Stadt, wenn du so willst."
    Die beiden senkrechten Falten zwischen ihren Augen traten deutlich hervor. Sie wartete auf die Antwort des Kaisers.

    Wie von der Kaiserin gewünscht erschien Chrysogona noch am selben Abend mit einem von ihr persönlich zusammengestellten und bei der Zubereitung überwachten Purgativum. Es handelte sich um einen Sud aus der Rinde des Sambuccus niger in Kombination einiger anderer stark abführender Heilpflanzen. Das bitter schmeckende Gebräu hatte die Medica mit Honig süßen lassen um es einigermaßen genießbar zu machen.


    Auf ihr Klopfen öffnete die Leibsklavin der Veturia die Tür. Chrysogona fand die Kaiserin bereits im Nachtgewand.
    "Wie ich sehe bist du bereit. Einen Nachttopf solltest du griffbereit haben. Dazu heute Nacht nur Wasser trinken, wenn du Durst bekommst. Ab morgen bekommst du den passenden Heilkräutertrank. Trink dies hier aus, bitte. Dann leg dich schlafen. Gegen Morgen wird Bauchgrimmen einsetzen und du wirst die purgierende Wirkung spüren. Der Tag morgen dient der Entleerung. Du bekommst keine feste Nahrung, nur Kräutertränke und gegen Abend eine Suppe. Wir sehen uns wenn die Sonne aufgeht. Dann bin ich wieder bei dir. Gute Nacht!"


    Die Medica drückte der Kaiserin den großen Becher in die Hände. Es konnte beginnen.

    Die Kaiserin durchlebte mehrer Stadien, das war ihr deutlich anzusehen. Zunächst war sie erschrocken, dann verunsichert und ängstlich, zuletzt entschlossen sich den Therapievorschlägen der Medica zu unterwerfen. Nun war es an Chrysogona ihr wieder Sicherheit und Planbarkeit zu geben.
    "Ich richte mich nach deinem Terminplan. Wenn du es einrichten kannst, würde ich in den kommenden Tagen mit dem Purgieren beginnen. Suche einen Tag aus. Du bekommst abends einen abführenden Trank, den kommenden Tag wirst du mit der inneren Reinigung beschäftigt sein und die angepasste Ernährung erhalten. Ich werde das mit den Köchen besprechen. An diesem Tag solltest du in einem mäßig warmen aber sonnigen Cubiculum ruhen. Ich persönlich werde dich betreuen, Umschläge machen und mir gerne deine Deklamationen anhören. Ich liebe Lyrik."


    Chrysogonas Lippen umspielte ein Lächeln. Sie versuchte der Kaiserin klar zu machen, dass sie nicht zu sehr unter der Behandlung leiden würde müssen.
    "In den darauffolgenden Tagen und Wochen werden wir die Maßnahmen so in deinen Tagesplan einpassen, wie es dir angenehm ist. Ob wir die Waschungen, Bäder, Sitzbäder und Kataplasmen vormittags oder nachmittags machen spielt keine Rolle", versicherte die Medica. "Am Tag des Aderlasses, solltest du jedoch danach keine Termine mehr vereinbaren, sondern erneut einen Ruhetag einlegen. Das sollte am 3. Tag nach dem Beginn der Therapie stattfinden. Ansonsten werden wir sehen, dass die Maßnahmen deine Aufgaben nicht zu sehr beeinträchtigen."


    Die Griechin lächelte aufmunternde und wartete auf eine Antwort der Kaiserin, wann sie mit der Therapie beginnen wollte.

    Seit der Erstuntersuchung und der darauf folgenden Behandlung des Kaisers in seinem Sommersitz war schon einige Zeit vergangen. Die Leibmedica des Kaisers hatte erst tags zuvor dem Tempel des Aesculapius auf der Tiberinsel einen weiteren Besuch abgestattet. Und wieder war ihr die prekäre Situation der Heilungssuchenden dort aufgefallen. Sie beschloss deshalb den Kaiser um ein Gespräch zu bitten und gab seinem Privatschreiber einen Brief.


    Ad
    Imperator Caesar Augustus
    Tiberius Aquilius Severus


    Salve mein Kaiser,


    als Leibmedica, vor allem aber als um das Wohl des römischen Volkes besorgte Mitbürgerin, bitte ich den ersten Bürger dieser Stadt um ein Gespräch bezüglich der Zustände rund um den Tempel des Aesculapius auf der Tiberinsel. Bitte teile mir mit, wann ich dich diesbezüglich sprechen kann.


    Ergebensten Dank und vale bene,
    Plinia Chrysogona


    Leibmedica

    Die Sorge vor einer dauerhaften Unfruchtbarkeit stand der jungen Kaiserin ins schöne Gesicht geschrieben. Chrysogona nahm die Hand der Frau.
    "Das optimale Säftegemisch muss wieder hergestellt werden, die Verhärtung durch aufweichende und abführende Mittel behandelt und die Gebärmutter durch Massagen gelockert werden. Sitzbäder alle drei Tage, Abreibungen und Waschungen, Kataplasmen, Klistiere und wenn nötig Aderlässe. Dazu Schröpfköpfe auf den Unterbauch bis die Verhärtung abklingt. Deine Ernährung sollte leicht und warm sein, meide scharfe Speisen und Getränke. Auch Mutterzäpfchen könnte man versuchen."


    Die Medica war in ihrem Element. Sie ratterte die diversen Möglichkeiten der Behandlung eines solchen Frauenleidens herunter. Als sie gewahr wurde, dass sie der Kaiserin damit wohl noch mehr Angst einjagte, begann sie die Aussagen zu ordnen.
    "Nun. Beginnen werden wir mit dem Abführen und der Ernährungsumstellung. Dazu ein Dekokt. Einen Aderlass werde ich am dritten Tag vornehmen. Ich ziehe das Mutterzäpfchen dem Klistier vor. Deshalb wirst du jeden zweiten Tag ein solches von mir bekommen. Und an den Tagen, an denen du kein Sitzbad bekommst, werden wir Waschungen, Abreibungen und das Kataplama versuchen. Nach etwa zehn bis vierzehn Tagen, wenn die erweichenden Maßnahmen die Geschwulst hoffentlich schon gebessert haben, werde ich dich schröpfen."


    Chrysogona schwieg darüber, dass sie sich noch überlegen musste, ob sie blutig oder unblutig schröpfen wollte. Sie wollte die Patientin nicht unnötig beunruhigen. Mit einem Lächeln auf den Lippen kam die letzte Therapieempfehlung.
    "Der berühmte Medicus Soranus von Ephesus, der in Frauenkrankheiten ein ausgewiesener Experte ist, empfiehlt das Rezitieren von Elegien, Lyrik, epischen Versen und Jamben. Die Übung der Stimme lockert den Körper, sagt er, und veranlasst die Poren sich zu weiten."

    Plinia Chrysogona folgte der Kaiserin in die Privatgemächer. Dort stand eine Cline in der Nähe des Fensters. Die junge Frau wurde unsicher. Der erfahrenen Medica entging der Umstand nicht. Sie lächelte vertrauenserweckend.
    "Nimm bitte Platz. Ich mache eine klassische Untersuchung deines Köpers, um festzustellen ob es eine erkennbare Ursache für deine bisherige Kinderlosigkeit gibt."
    Chrysogona tastete den Puls. Er klopfte hart an die Gefäßwände. War es die Aufregung oder zeigte sich darin eine Stagnation des Blutflusses, ein Hinweis auf schwarze Galle oder Phlegma in den Gefäßen? Sie ließ sich die Zunge zeigen. Kleine rote Papeln auf der Zunge und gestaute Venen unter der Zunge zeigten Stauungen des Blutflusses an.
    Die Medica ließ die Kaiserin hinlegen. Sie schob ihr vorsichtig die Tunika hoch und begann mit sanften Händen den Bauch abzutasten. Tatsächlich fand sich im Bereich des Uterus eine derbe Verhärtung - ein Myom - die Ursache für die Unfruchtbarkeit der Veturia.


    Chrysogona bedeckte die Kaiserin wieder und setzte sich zu ihr auf die Cline. Ihr Blick war mild aber von Professionalität gekennzeichnet.
    "Es gibt einen physischen Grund für die Kinderlosigkeit, meine Kaiserin. Ihr habt eine Verdickung der Uterusmuskulatur. Wir bezeichnen das als Myom. Es entsteht durch ein ungünstiges Säftegemisch. Zu viel an schwarzer Galle und Phlegma in den Gefäßen führt zu einer Ansammlung dieser Säfte in deinem Uterus. Zunächst die gute Nachricht: es ist behandelbar!"
    Sie wartete darauf, dass sich die angespannten Gesichtszüge der jungen Frau etwas entspannten. "Die schlechte Nachricht ist: es kann lang dauern und es ist nicht gesagt, dass ihr schwanger werden könnt."


    Mit sorgenvoller Miene wartete Chrysogona die Reaktion der Kaiserin ab.

    Der verschmitzte Humor des Caesars gefiel der Medica. Als er sich entblößte konnte der Kennerblick feststellen, dass er durchaus gut trainiert war. Der Aquilier lieferte auch sogleich die Erklärungen für seinen guten physischen Zustand. Die körperliche Ertüchtigung war an seinem Körperbau abzulesen. Chrysogona war zufrieden. Der leichte Bauchansatz war kein Problem solange sich der Caesar fit hielt.


    Dass er dann bei der Rumpfbeuge den Boden nicht berührer konnte, war zu erwarten gewesen. Die meisten Männer waren nicht so dehnfähig, wenn sie nicht speziell dafür trainierten, weil sie im Ringkampf oder als Gladiator auf Wendigkeit und Geschmeidigkeit wert legen mussten. Die Medica winkte ab als Bala fragte ob das ein schlechtes Zeichen war.
    "Ich nehme nicht an, dass du eine Karriere in der Arena anstrebst. Dann wäre ein bessere Beweglickeit und Geschmeidigkeit überlebensnotwendig. Für den Alltag eines Caesar wird es nicht von herausragender Bedeutung sein."


    Sie trat an ihn heran und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, dass er sich setzten sollte. Vor ihm stehend zahlte sie die Pulsschläge am Handgelenk und ließ sich die Zunge zeigen. Keine Auffälligkeiten. Um die Lunge zu untersuchen stellte sie sich sehr nah vor den Caesar und beugte sich zunächst so über seine Schulter, dass sie mit den zu Trommelschlegeln geformten Fingern den Brustkorb abklopfen konnte. Sie lauschte dem Schall der zurückkam und versuchte ein Bild der Belüftung der verschiedenen Lungenanteile zu bekommen. Auch die Nieren unterzog sie einer Klopfuntersuchung. Der Caesar schnitt bei allen Tests hervorragend ab.
    Zuletzt bat sie ihn sich hinzulegen, damit sie das Herz abhören und die Bauchorgane abtasten konnte. Sie legte ihr Ohr auf die epilierte Brust des Aquiliers. Er verströmte den Geruch von edlen Duftölen. Chrysogona bemühte sich das auszublenden und lauschte den Herztönen. Kein Befund. Dann griff sie in seine Kniekehlen und stellte die Beine auf. Mit vorsichtig tastender Hand untersuchte sie zunächst oberflächlich, dann tiefgreifender Leber, Galle, Magen und die Gedärme. Keine besorgniserregenden Ergebnisse.


    Chrysogona lächelte zufrieden. "Sehr gut. Du bist in hervorragender körperlicher Verfassung. Ich habe nur noch eine Frage. Welche Art der Karriere strebst du an? Möchtest du weiterhin eine militärische Laufbahn einschlagen oder eher in die Verwaltung? Ich frage, weil die körperliche Verfassung beim Exercitus vor allem wenn es um den Einsatz im Kampf geht, durchaus eine große körperliche Leistungsfähigkeit voraussetzt. Wenn du dahin tendierst, solltest du das jetzige Training nicht vernachlässigen."


    Ihr Blick bekam wieder etwas von der Strenge, die der Caesar schon beim Thema Genusssucht zu spüren bekommen hatte.

    Chrysogona hörte zu. Sie stolperte schon über die ersten Leitsätze der epikuräischen Lehre und über die Aussage, dass lange Krankheit mehr Lust im Fleisch erzeuge als Schmerz. Auch bei den weiteren 36 Lehrsätzen schüttelte die Medica nicht selten innerlich den Kopf. Nach außen hin ließ sie sich nicht anmerken, dass sie die Lehren des Epikur für mehr als fragwürdig hielt. Epikurs Aussagen zu den Zusammenhängen von Lust und Schmerz konnte sie nicht oder nur bedingt zustimmen. Ihre Erkenntnisse aus dem Museion von Alexandia und dem Asklepieion von Kos hatten sie anderes gelehrt und es wurde mehr und mehr deutlich, dass sie im Garten des Amafidius fehl am Platze war. Die Höflichkeit gebot ihr, sich nicht näher darüber zu äußern.
    Was über die Wahrnehmung gesagt wurde fand zumindest größtenteils ihre Zustimmung. Begriffe wie Prolepsis, Aisthesis, Pathe und Antimartyresis hatte sie schon gehört und konnte sie nun im Kontext mit Epikurs Lehrsätzen besser einordnen. Chrysogona versuchte sich in den Vorlesungen ein Bild dieser Philosophie zu machen, hatte aber schnell realisiert, dass sie mit Sicherheit keine Epikuräerin werden würde.


    Dann folgte das Opferfest zu Ehren von Epikurs Geburtstag. Ein wenig skeptisch welcher Art die Feier wohl sein würde, hatte sich Chrysogona zu den anderen Studenten in den Hortus Amafidii begeben. Die Erinnerungen an die ausschweifenden Feierlichkeiten zu den Saturnalien noch im Hinterkopf fühlte die Medica sich unsicher.
    Die Begrüßungsworte und der Anfang des Gebets gefielen Chysogona jedoch sehr gut. Auch sie trank einen Schluck des Weines, der reihum gereicht wurde. Die Aussagen zur Freundschaft hatten sich ihr eingeprägt und so sah sie sich die Anwesenden der Reihe nach an, während sie tranken und rekapitulierte den 27. Lehrsatz: "Vor allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste."
    Ihr Blick blieb an Serapio und Borkan aber auch an dem jungen Helveiter hängen. Hatte sie in diesem Kreis Freunde gefunden?

    Mit einem Nicken bestätigte Chrysogona die Aussage der Kaiserin, dass sie offenbar das Lager mit dem Kaiser teilte. Die Ursache war also woanders zu suchen.
    "Ich könnte die Untersuchung gleich vornehmen, bräuchte dafür aber eine Kline. Wir könnten es in deinen Räumlichkeiten machen oder aber du kommst zu mir in mein Officium, dort habe ich auch eine Untersuchungsliege. Ganz wie du möchtest."

    Zitat

    Original von Marcus Helvtius Severus: Sofern du am heutigen Abend lieber ein solches haben möchtest, muss ich dich leider enttäuschen, denn mehr als mit dem Rätsel Mann kann ich dir im Moment leider nicht dienen. Viel mehr als ein bisschen Zerstreuung sollte der heutige Abend nicht werden und dann kam die Plinia und versuchte hier ein tiefenphilosophisches Problem aufs Tabelau zu bringen. Aber sag, Plinia, welches tieferliegende Rätsel mich betreffend würde dich denn interessieren? Und sei bitte nachsichtig mit einem einfachen Stadtschreiber, der grade nicht erst seinen ersten Schluck Wein getrunken hat.


    Die Medica sah den gelassen an einer Säule lehnenden Helvetier ruhig an. Sie war enttäuscht und gedachte auch nicht es zu verbergen. Bei ihren bisherigen Begegnungen hatte sie sich ein Bild des jungen Mannes gemacht, der ihr verschlossen aber sehr intelligent, um nicht zu sagen für sein Alter ungewöhnlich reif vorgekommen war. Heute aber zeigte er ein anderes Gesicht, passend zu den Feierlichkeiten in der Casa Decima Mercator und zu seiner Jugend. Nun, auch einer Medica, die von sich dachte über eine gute Menschenkenntnis zu verfügen, konnte ein Fehler unterlaufen.
    "Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich mich nicht mit Oberflächlichkeiten zufrieden geben kann. Ich muss tiefer schürfen, um zur Wurzel dessen vorzustoßen was die Ursache einer Störung oder einer Krankheit ist. Wie ich sehe überfordere ich dich damit aber heute. Falls du zu einem späteren Zeitpunkt, wenn weder Wein noch die aufreizenden Bewegungen einer Frau dein Hirn vernebelt haben, den Antrieb verspürst Gespräche zu führen, die zum wesentlichen Kern dessen führen was uns als Mensch ausmacht, sei es Mann oder Frau, dann würde ich mich freuen den einfachen Stadtschreiber wiederzusehen. Vale bene, Helvetius Severus."


    Mit diesen Worten ließ sie den Stadtschreiber stehen und strebte dem Ausgang zu. Diese Art von Feierlichkeit war eindeutig nicht die Zerstreuung, die sie suchte. Sie würde lieber wieder zu ihren Büchern und Studien zurückkehren.

    Zitat

    Original von Marcus Helvetius Severus: Vielleicht sollte er einfach mal die Fühler austrecken. An den Tagen des Saturnus geht es doch vor allem um Spaß und Vergnügen, nicht wahr, Plinia? Daher bin ich heute sprunghafter als sonst, denn ich möchte mich in diesen freien Tagen sozusagen komplett dem Saturnus verschreiben. Er zwinkerte ihr zu, blickte sich im Atrium um und trank dann einen Schluck. Er hatte gar nicht gesehen, ob sie auch etwas zu trinken hatte, denn wenn nicht, musste da ja schnell Abhilfe geschafft werden.


    Also, was suche ich: Zerstreuung. Damit kann natürlich alles gemeint sein, ein beiläufiges Gespräch, der anregende Tanz eines hübschen Mädchens oder auch einfach nur einige Momente, in denen ich meinen Geist ausschalten kann. fuhr er fort und blickte in die Gesellschaft und zu den Tänzerinnen. Ob ich allerdings ein Rätsel bin, nun ja, das muss wahrscheinlich jemand anderes entscheiden, denn sind Rätsel nicht nur dann Rätsel, wenn einer die Lösung kennt und ein anderer diese herauszufinden sucht? Erneut folgte ein Schluck aus seinem Becher, bevor sein Blick zurück zu Chrysogona wanderte. Wenn das mal nicht tiefsinnig gewesen war.


    Er war also auf der Suche nach Spaß und Vergnügen? Zu Chrysogonas Erstaunen zwinkerte der junge Helvetier ihr zu. Sie musterte ihn genauer. Er war jünger als sie. Was dachte er von ihr? Dass sie sich wie eines der leichten Mädchen mit ihm in einer schummrigen Ecke des Hauses ein Stelldichein gönnen würde? Dann hatte er sie gänzlich falsch eingeschätzt. Sein Nachsatz und der Blick auf die Tänzerinnen bestätigten hingegen ihre Vermutung. Er suchte ein schnelles Abenteuer für die Saturnalien, denn die Gelegenheit war günstig. So leicht würde er nicht so schnell wieder ein Mädchen im Arm halten.
    Chrysogona wollte schon zu einer schnippischen Antwort ansetzen, als er noch einmal auf ihre Bemerkung mit dem Rätsel einging. Sie stutzte, vertiefte den Blick.
    "Ich nehme an, an einem Abend der Saturnalien ist das Rätsel Helvetius Severus leicht gelöst, denn wenn ich deine Bemerkungen und den Blick auf die Tänzerinnen richtig deute, muss ich heute Abend nur das Rätsel "Mann" lösen - und da gehört nicht viel dazu. Ich hätte mich darauf gefreut ein tiefer liegendes Rätsel zu lösen. Und das wäre mit Sicherheit nicht so schnell und einfach gelöst. Doch gerade diese Herausforderungen finde ich anregend - nicht die "schnelle Lösung"! Denn die Suche nach der Lösung ist ja oft viel reizvoller als die Lösung selbst - findest du nicht?"