Beiträge von Hephitios

    Hephitios folgte von der Nebengasse bei der Casa Octavia aus immerzu der roten Spur vor sich am Boden, immer noch zu den Göttern betend, dass es nicht Floras Blut wäre, dem er da im Mondenlicht folgte. Die Spur bog nach Südosten ab, hinein in die finsteren und engen Winkel der Subura. Hephitios gefror das Blut. Er hatte Angst vor der Gegend und vor den Gefahren, die dort des Nachts lauerten. Wie nur hatte Rabastos sie hierher geschleppt? Und was noch wichtiger war, wohin genau?!
    Erneut schüttelte sich der Junge Tränen der Angst aus dem Gesicht. Er musste jetzt konzentriert bleiben! Immerhin befand er sich mit Dominus Octavius Maro und diesem Iulius auf Rettungsmission! Da durfte Hephitios keine Schwäche zeigen!


    Die Linie wies ihm da schon eine ganze Weile den Weg, tiefer und tiefer hinein ins Gedärm der Ewigen Stadt, mit Maro und Caesoninus hinter sich im Schlepptau. Plötzlich trat Hephitios auf etwas pelziges. Ein Quicken und kurz darauf ein mächtiger Schmerz in seinem rechten, nackten Fuß. Als er mit seiner Fackel nach unten leuchtete, sah er gerade noch eine braune Ratte in den Schatten einer Nebengasse verschwinden. Die Bisswunde blutete stark, doch Hephitios achtete nicht weiter auf sie. Er musste weiter! Wenn dies wirklich Floras Blut da am Boden wäre, müsste die Ärmste längst völlig blutleer sein, dachte er sich verzweifelt. Das musste rote Farbe sein! Kein Mensch könnte das überleben!
    Hephitios fühlte sich wie an einem fremden Ort, wenn er sich so die Häuser links und rechts des Weges besah. Als ob er gar nicht mehr in Rom wäre. Die Leute die hier lebten, gehörten zu den Ärmsten der Armen in diesen bröckligen, ruinenhaften Gebäuden. Niemand hier interessierte sich vermutlich für die stadtrömische Politik, die am fernen Forum Romanum stattfand, es sei denn sie bekamen eine erneute freie Brotspende in ihr Viertel geschickt. Das war wohl der einzige Bezug, den die Bewohner dieser Gegend zu Rom hatten. Aus der Dunkelheit einer Gasse brechend trat Hephitios nun heraus auf einen kleinen, schmutzigen Platz. Der Mond beschien diesen heruntergekommenen Ort, an dem sich mehrere verwinkelte Wege der Subura kreuzten. Weit weg von der nächstgelegenen Hauptstraße. Die Linie führte den Sklaven bis zur Mitte des Platzes als... was war DAS?!
    Die rote Linie trennte sich hier plötzlich in drei einzelne auf, die jede in eine andere Gasse führte! Panik wallte erneut in Hephitios hoch. Das konnte nicht sein. Das konnte doch einfach nicht sein! Am Punkt, wo sich die Linie aufsplittete lag erneut eine Wachstafel.


    Zwei Wege sind falsch und einer nur richtig. Gehst du den falschen war alle Müh nichtig.


    Wann hatte dieser kranke Bastard nur die Zeit gehabt all dies zu arrangieren?! Hephitios wandte sich um und rief: "Dominus! Dominus sieh nur!"
    Was wohl jetzt nur zu tun war?

    Hephitios beobachtete, wie Maro in das Gebüsch eindrang und hielt den Atem an. Doch nichts. Mit Verwunderung sah er jedoch, wie Maro plötzlich einen Teil der Mauer beiseitestieß, nein aufklappte. Eine Geheimtür! Hephitios war bestürtzt über diese Erkenntnis. Eine Geheimtür, durch die man jederzeit ungesehen auf das octavische Gelände gelangen konnte! Welch immense Sicherheitslücke! Was die Folgen davon sein konnten, wenn die falschen Leute Kenntnis davon hatten...nun ja sie waren ja gerade mittendrin in so einem Ereignis...


    So lief der Junge schnell ins Haus, als sein Dominus nach Fackeln verlangt hatte. Er kam mit einer genügenden Anzahl aus den Lagerräumen wieder heraus und überreichte jedem Anwesenden ein paar. Dann zündete er seine an. "Dominus, ich werde nach vorne laufen und den Weg ausleuchten. Mein Leben ist weniger wert als deins" sagte er zu Maro und eilte durch die Hintertür. Mit der Fackel in Richtung Boden leuchtend folgte er der roten Linie durch die Seitengasse entlang des octavischen Anwesens, hinein in die Schwärze der Nacht.

    Hephitios fing sich wieder. "Sofort, dominus."
    Er musste jetzt ruhig und konzentriert sein! Floras Leben (bei den Göttern, bitte lebe noch!) hing womöglich davon ab! "Die Tafel lag wie gesagt im Garten neben dem Brunnen und darunter der Beginn einer roten Linie. Ich zeige euch die Stelle."


    Mit diesen Worten führte er die beiden in den Garten zurück und wies ihnen die besagte Stelle.

    Hephitios rang nach Atem nach der Lauferei und zwang sich ruhiger zu werden, ehe er berichtete: "Auf dem octavischen Landgut in Ostia, wo ich jetzt einige Monate lebte, gab es einen Sklaven namens Rabastos, der die Octavier gehasst hat. Ich habe an meinem letzten Tag dort gehört, wie er im Suff davon gemurmelt hatte die domina Octavia Flora umzubringen. Ich dachte er würde selbst nicht wissen, was er da seiner Weinamphore zulallte, bis er urplötzlich verschwand mitsamt einem Pferd und einem Messer!" Was tat Hephitios hier nur! Sie sollten längst handeln, anstatt hier herumzustehen und alles zu diskutieren! Verzweiflung machte sich in ihm breit, doch tapfer setzte er weiter seinen Herrn ins Bild. "Ich bin sofort nach Rom aufgebrochen, um die Domina zu beschützen, doch ich wurde aufgehalten und Rabastos hat sie in seine Fänge bekommen. Das hier konnte ich nur noch im Hortus finden." sagte er mit einer Träne und hielt Maro die Wachstafel hin. "Sie lag am Beginn einer Linie, von der ich hoffe, dass es nicht Blut ist. Sie führt vom Brunnen nach hinten zu einer der Gartenmauern." Vor Schmerz schloss der Sklavenjunge kurz die Augen. "Hoffentlich liegt sie dort nicht im Gebüsch..." murmelte er zu sich selbst.

    Sim-Off:

    Nunja, "er um sie herum schlich wie eine Katze" trifft es zwar immer noch nicht ganz (er hält sie weiterhin von hinten fest und beugt sich nur mit dem Gesicht um sie herum, sodass sie sich ansehen können, seinen Unterkörper hat er dabei aber keinen Millimeter bewegt) aber gut, nehm ich so. Weiter im Text! :D)



    Rabastos, entlaufener Landwirtschaftssklave


    Seine weit offenen Augen suchten Floras Gesicht ab, dann breitete sich ein weites, wahnsinniges Grinsen darauf aus. "Ja, domina, JA! So machen wir es ha ha, ja so machen wir es! Komm! Lass uns alle ein Spiel spielen!" Und mit diesen Worten knallte er die stumpfe Seite des Messers gegen Floras Schläfe, sodass sie zweifelsohne bewusstlos zusammensacken musste.


    Danach warf er sie sich über die Schulter (so gut das in seiner körperlichen Verfassung ging) und schleppte sie in Richtung Hintertür. Er würde in der Tat mit Flora und Hephitios ein Spiel spielen, bevor er seinem Zorn mit dem Messer Genüge getan hatte, doch zuvor sollte Hephitios Flora suchen...und dabei verzweifeln. Er wusste, dass Hephitios auf dem Weg war, weshalb er nicht mehr viel Zeit haben musste. Er musste zuerst einen sicheren Ort für seine Gefangene finden und anschließend noch Hephitios' Martyrium vorbereiten. Als er wenige Momente später mit etwas Mühe Flora durch die Hintertür bekommen hatte, blickte er auf den wie unberührt darliegenden Garten der Casa Octavia. Ein irres Lächeln huschte wieder über seine Gesichtszüge (wann Rabastos seinen Verstand an diesem Tag wohl entgültig abgegeben hatte?) und murmelte nur "Lasst die Spiele beginnen."



    * * * * *



    Nach einer gefühlten Ewigkeit kam der Sklavenjunge Hephitios ENDLICH bei der Casa Octavia an. Innerlich schimpfte er immer noch auf den Praetorianer, der ihm am Stadttor sein Pferd abgenommen hatte. So hatte er wohl oder übel Rom in seiner ganzen gewaltigen Größe von ganz von Süden bis ganz nach Norden durchlaufen müssen, da die Straße aus Ostia an der südlichen Stadtmauer in die Porta Ostiensis mündete, während die Casa Octavia nahe der Porta Viminalis an der nördlichen Stadtmauer lag. Als Hephitios endlich die Casa erreichte, quälten ihn bereits furchtbare Vorahnungen. Die Haussklaven waren verwundert, dass sie den Jungen so urplötzlich in ihrer Mitte vorfanden (und dann auch noch so völlig aufgeregt), wo er doch eigentlich in Ostia sein musste. "Flora! Die Domina! Schnell! Sie ist in Gefahr! Rabastos!" rief er nur, während er in ihrem Cubiculum nachsah, ob Flora nicht doch dort wäre. Natürlich war sie das nicht. Mit dem letzten Namen, den er gerufen hatte, konnte keiner der Sklaven etwas anfangen. Niemand von ihnen war schon hier gewesen, als Rabastos damals nach Ostia strafversetzt worden war.


    Als Hephitios Flora auch in der Bibliothek nicht finden konnte, lief er in den Garten und rief ihren Namen. Nichts. Mittlerweile war die Nacht über Rom hereingebrochen. Schon wollte er sich wieder umdrehen und zurück ins Haus laufen, als er plötzlich auf irgendetwas hartes trat. Schnell bückte er sich und hob eine Wachstafel hoch. "Komm und suche mich" stand darauf. Hephitios zog es vor Schreck die Eingeweide zusammen, doch nicht wegen der Tafel. Jetzt erst hatte er bemerkt, worauf sie ursprünglich gelegen hatte; dem Beginn einer scharlachroten Linie, die sich quer durch den octavischen Hortus in Richtung hintere Gartenmauer zog, soweit er es in der Finsternis erkennen konnte. Einen Moment zitterte Hephitios. Panik tobte in ihm. Flora konnte nicht tot sein! Was war das alles hier nur?!


    Es lag nicht mehr allein in seiner Hand Flora zu retten, soviel verstand Hephitios. Dies hier war größer als er. Er musste sich an seine Herren, die Octavier wenden. Schnell machte Hephitios auf dem Absatz kehrt und lief zurück ins Haus. "Dominus Maro" begann er mit Tränen in den Augen laut zu rufen "Dominus Maro! Schnell! Flora wurde entführt! Dominus Maro! FLORA WURDE ENTFÜHRT!"


    Rabastos, entlaufener Landwirtschaftssklave


    Triumph wallte in ihm auf. Er hatte es geschafft Flora an die Gurgel zu gehen! Ein glatter Strich mit dem Messer und es wäre vorbei. Dann wäre alles wofür dieses hassenswerte Objekt stand vorbei. Doch in Ostia hatte er so oft daran gedacht, hatte sich ausgemalt wie es sein würde, wenn er es endlich tat... wollte er diesen köstlichen Moment wirklich so schnell hinunterschlucken und verdauen?


    Seine Gedanken kreisten in seinem Kopf. Wie von selbst begann er abwesend vor sich hin zu sprechen: "Domina, du weißt gar nicht wie sehr ich diesen Moment herbeisehnte in Ostia. Doch soll es wirklich so schnell gehen? Was meinst du? Ein Ratsch und rotes Nass soll an mir kleben? Hmmm..." brummte er in sich versunken. Die Messerklinge schliff ein winziges bisschen Haut von Floras Hals auf, während Rabastos nachdachte. Die Stelle begann sich zu röten, doch ansonsten war sie noch nicht verletzt. Kein Blut.


    Rabastos wollte nicht, dass es jetzt schon zu Ende ging, dafür hatte er viel zu oft an diesen Moment gedacht. Um sich klarere Gedanken zu verschaffen sprach er weiter mit Flora, auch wenn sie ihm nicht antworten konnte: "Ach Herrin, was habe ich nur falsch gemacht. War ich nicht immer ein guter Sklave? Hmm? Immer stets zu Diensten gewesen, immer angestrengt, immer der beste und jetzt... verstoßen. Bloß wegen einer einzigen Verstümmelung eines Familienmitglieds." Die Gedanken daran verdüsterten Rabastos' Stimmung und der Druck des Messers wurde fester. "Und dann erst deine schändliche Bettspielerei mit diesem, diesem HEPHITIOS!" Rabastos spuckte den Namen des Sklavenjungen geradezu aus. "Unnatürlich, wider aller Götter, gegen die Sitten Roms. Widerlich, abscheulich...unge-" Rabastos' wahnhaftes Gefasel begann vom Fokus abzugleiten, gleichzeitig kam ihm eine neue Idee. Geboren aus den Tiefen seines gebrochenen Verstandes. "Hephitios, Hephitios...hmmm Hephitios..." murmelte er. Die Messerspitze kitzelte einen ersten kleinen Blutstropfen aus Floras Hals. "Ja, hmm ja Hephitios. Nicht jetzt. Nicht hier. Leiden. Er soll leiden. Und auch du domina, beide ihr sollt ein klein wenig von meinem Schmerz zu kosten bekommen. Hmm warum nicht? Hm, Domina? Wieso? Tun wir es so? Tun wirs?" fragte er sie immer wieder und drehte sich um sie herum, sodass sie in sein wildes, haariges Gesicht blicken konnte und was noch wichtiger war; in die beiden Schlünde seiner großen leeren Augen.


    Rabastos, entlaufener Landwirtschaftssklave


    Hass, unendlicher Hass beherrschte Rabastos' Inneres, als er direkt vor sich Octavia Flora erblickte. Gerade, als er sich in Bewegung setzen wollte sah sein Opfer auf, als ob es ihn gehört hätte. Für wenige Momente erstarrte Rabastos. Nein, nicht jetzt noch, sie durfte ihn nicht jetzt entdecken, wo er so nah an seinem Ziel war!


    Doch es war alles halb so schlimm. Seine begonnene Bewegung hatte bloß einen kleinen Vogel aufgeschreckt, der prompt aus dem Gebüsch hüpfte und davonflatterte. Flora beruhigte sich wieder und auch dem Sklaven war leichter ums Herz. Das Überraschungsmoment blieb gewahrt. Nun durfte er jedoch keine Sekunde mehr verschwenden!
    Mit einem raschen Satz aus dem Gebüsch und zwei großen Sprüngen war er hinter Flora. Plötzlich schmiegte sich die eiskalte Klinge eines Messers um ihren Hals, während Rabastos ihr mit der anderen Hand den Mund zuhielt. Ein falscher Ton und ihre Kehle wär aufgeschlitzt. "Guten Abend, domina" flüsterte er ihr vor Mordlust erregt ins Ohr.


    Rabastos, entlaufener Landwirtschaftssklave


    Dieses verdammte Zwilicht! Rabastos verfluchte seine alten Augen. Gerade, als er einen Fluch ausstoßen wollte, bemerkte er plötzlich eine Bewegung. Was war da nur?
    Eine Gestalt wandelte da plötzlich im Garten, doch wer aus dem Pack? Vorsichtig steckte Rabastos seinen Kopf durch die Hintertür, doch er war immer noch zu weit weg, um bei diesem Licht noch groß etwas erkennen zu können. So kroch er auf allen Vieren durch die Hintertür und befand sich jetzt ganz im Hortus drinnen. Vorsichtig legt er einen mittelgroßen Stein in die Türöffnung und lehnte dann an ihn die Tür nur an, sodass sie zwar geschlossen aussah, er aber trotzdem schnell durch sie hindurch konnte, falls es nötig werden sollte.


    Als das geschafft war, kroch Rabastos in einen der blühenden Büsche nahe der Gartenmauer und spähte vorsichtig aus den Zweigen hervor. Ja, jetzt war er nahe genug, um die Person zu erkennen, es war tatsächlich diese verhasste Octavierin, die es mit diesem hochmütigen Hephitios trieb! Das Ungeheuer in seiner Brust heulte triumphierend auf. Gierig starrte er sie aus der Schwärze des Busches heraus an. Nicht mehr lange und er hätte endlich...Genugtuung.

    Hephitios' Augen weiteten sich überrascht. "Octavia Flora?! Woher..." doch er schüttelte den Kopf und fasste sich wieder. "Danke. Hüa!" sprach er stattdessen nur und schnalzte wieder mit den Zügeln, damit das Pferd erneut lostrabte. Woher beim Hades hatte diese anonyme Wache gewusst, dass er speziell zu Octavia Flora gehörte, wo Hephitios ihren Namen mit keinem Wort erwähnt hatte?!


    Sachen gabs, doch war jetzt nicht die Zeit dafür über die Allwissenheit der römischen Stadtwachen zu sinnieren. Ein Killer bewegte sich unaufhaltsam auf die Casa Octavia zu, Hephitios MUSSTE rechtzeitig vor ihm ankommen! So galoppierte er mit der Eile der Verzweifelten ins Straßengewirr Roms mit nur einem einzigen Gedanken im Herzen; Flora.

    Während Hephitios an der Porta Ostiensis aufgehalten wurde, kam Unheil über das Haus Octavia.



    Rabastos, entlaufener Landwirtschaftssklave


    Es war ein wunderschöner Abend, die Vögel sangen ihre Lieder über den Dächern der Ewigen Stadt und eine blutrote Sonne malte die letzten Schattenmuster auf die mit Licht beschienenen Teile Roms. Nichtsdestotrotz zog bereits auch das Zwilicht herauf und verdrängte das Licht immer mehr. Schatten erschienen und dort wo sie auftauchten, pflegte sich auch das städtische Gesindel herumzutreiben.


    In den kleinen, engen Seitenstraßen hinter der Casa Octavia herrschte bereits dieses vielbesagte Zwilicht. Während sich die Reichen und Schönen unten am Forum Romanum noch ihre Nasenspitzen im letzten Licht des sterbenden Tages sonnen konnten, hatte Rabastos bereits genug dunkle Winkel, um nahtlos zwischen den Gebäuden verschwinden zu können. Er stand halb verborgen hinter einem ranzigen alten Fass, das vor Äonen einmal irgendjemand hier abgestellt und seither nie wieder abgeholt hatte und starrte unentwegt auf eine der äußeren unscheinbaren Gartenmauern des octavischen Stadtanwesens. Dichte Oleandersträucher rankten sich hier empor. Sein Blick schweifte zwischen den Büschen umher, gierig danach sie endlich wiederzufinden. Dort! Zwischen den Blättern im leichten Abendwind sah er endlich eine ihrer Ritzen. Er hatte die verborgene Hintertür, die es hier gab wiedergefunden.
    Eigentlich hätte er sie als ehemaliger und natürlich auch langjähriger Haussklave dieses Anwesens schneller sehen sollen, doch seine Augen waren nicht mehr die besten und es war wie schon erwähnt bereits sehr viele Jahre her, seit er das letzte Mal diesen Geheimgang benutzt hatte. Damals natürlich noch im Auftrag seiner Herren.


    Leise setzte sich Rabastos in Bewegung. Gleich wie ein Schatten huschte er auf die Oleandersträuche zu und drückte sanft gegen die scheinbare Steinwand. Mit einem leisen Klack schob sich die Hintertür wenige Zentimeter auf, nur ein schmaler Spalt. Dreckig grinsend spähte Rabastos hinein in den octavischen Hortus, während er aus den Falten seiner Gewänder eines der gestohlenen großen Küchenmesser aus Ostia hervorholte und sanft die Klinge zu streicheln begann. "Hrrrr" schnarrte er "Welch wunderschöner Abend, schade nur, dass er blutig für dich enden wird, domina." Das Licht schwand rasch und so stierte Rabastos nur noch angestrengter in den Garten hinein.

    Gedankenschnell riss Hephitios am Zügel sodass sein Rappe genau vor dem Urbaner zum Stehen kam. Eigentlich war diese Situation gerade die allerletzte die er jetzt gebraucht hatte, immerhin war jede Sekunde kostbar und würde vielleicht darüber entscheiden, ob er Flora retten konnte oder nicht!


    Also so schnell wie möglich hinter mich bringen, dachte er sich und antwortete deshalb nach der Frage der Stadtwache brav: "Salve, mein Name ist Hephitios von Rhodos. Ich bin Teil der Dienerschaft des Hauses Octavia und kehre im Zuge eines Auftrags zu meinen Herren nach Rom zurück.". sprach er. Jetzt wo das Pferd stand merkte auch der Junge, dass er Seitenstechen bekommen hatte. Ob Rabastos schon innerhalb der Ewigen Stadt war?

    Das Pferd hatte bereits Schaum vor dem Mund, als am Horizont endlich die Mauern Roms erschienen. Doch das war noch lange kein Grund für Hephitios langsamer zu werden, im Gegenteil, er flog geradezu auf Rom zu. Das Pferd wieherte empört, als er es zu noch mehr Tempo antreiben wollte. Schon den ganzen Weg von Ostia her war es dem armen Geschöpf so ergangen. Wieder wieherte es protestierend, während Hephitios endlich das Stadttor erreichte. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, dachte er sich. Halte durch, Flora, Rettung naht!

    Hephitios lebte nun schon seit mehreren Monaten am Landgut der Octavier nahe des Hafens Ostia, dem Tor Roms hinaus zur Welt. Es gefiel ihm hier und er hatte eine schöne Zeit bisher hier verbracht. Weites, üppiges Weideland und darauf viele grasende Schafe und was das besondere war, die Güter der Octavier beinhalteten auch Ziegen!
    Als Grieche war er Ziegen gegenüber besonders begeistert, kannte er sie ja schon von zuhause, wo er gerne mit ihnen gespielt hatte. Als er seine Herrin nach Ostia begleitet und in den nächsten Tagen nach und nach den octavischen Besitz kennengelernt hatte, war er sofort Feuer und Flamme für das Land. Jeden Morgen, wenn Flora ihn nicht benötigt hatte, war er hinaus zu den Schafen und Ziegen gegangen. Auch bei anfallenden landwirtschaftlichen Arbeiten wie dem Wollschären oder dem Hüten der kleinen Ziegenherden hatte Hephitios gerne den zuständigen Sklaven geholfen. Schlussendlich hatte er seinen ganzen Mut zusammengenommen und dann seine Herren gefragt, ob er nicht für eine Weile hier am Landgut bleiben dürfe, um länger dieses wundervolle Landwirtschaftsleben führen zu können, die Sklaven vor Ort wären für eine zusätzliche Hand gewiss zu haben gewesen. Hephitios wurde es erlaubt und so begannen wundervolle Tage voll mit Arbeit auf den Landgütern.


    Hephitios verstand sich eigentlich mit allen sehr gut, bis auf Rabastos, einem griesgrämigen alten Sklaven. Rabastos war früher einer der octavischen Leibsklaven gewesen, doch als er eines Tages einen schweren Fehler begangen hatte, war er zum Hirtensklaven degradiert und nach Ostia abgeschoben worden. Das hatte Rabastos seinen Herren übel genommen und deshalb hegte er einen Zorn auf die Familie, der er diente. Weglaufen war für ihn keine Option, wohin sollte er auch. Er war alt und ein gebrochener Mann. Ihm blieb nichts als sein Zorn, da lebte es sich wesentlich bequemer, wenn man blieb wo man war und alle einen in Ruhe ließen. Als dann vor Monaten Octavia Flora mit ihrem Sklaven Hephitios und andere Octavier wie Lucius Octavius Sagitta, oder Faustus Octavius Macer das Landgut für kurze Zeit bevölkert hatten, fühlte sich Rabastos von ihnen allen gestört, wann immer er ihnen im Vorbeigehen begegnete. Noch größer wurde sein Zorn auf alles und jeden, als er sah, wie vertraut diese Octavia Flora immer mit ihrem Leibwächter, diesem Hephitios umging. So hatte keine Beziehung zwischen Herrin und Sklavin zu funktionieren!


    Doch noch schlimmer wurde es für sein Ehrempfinden, als dieser muskulöse Schönling FREIWILLIG hier bei ihnen bleiben wollte, während die octavischen Herren langsam wieder einer nach dem anderen abgereist waren. Was bildete er sich ein? Schon am ersten Tag, als die Sklaven wieder unter sich waren am Landgut, hatte er Hephitios angerempelt und gefragt: "Na, machts Spaß deinen Lümmel in deine Herrin zu stecken?" Schlagartig war Wut in Hephitios aufgebrandet und er hatte Rabastos einen Kinnhaken verpasst. Der Alte ging zu Boden und Hephitios hätte sich noch einmal auf ihn gestürzt und ihn windelweich geschlagen, wenn ihn die anderen Sklaven nicht zurückgehalten hätten. "Beleidige die Domina nie wieder, oder ich sorge dafür, dass du es bereust!" brüllte er, während er mit Bärenkräften gegen die anderen ankämpfte, die ihn von Rabastos fernhielten.


    Seither herrschte Hass zwischen den beiden. Bei jeder Gelegenheit begann Rabastos davon zu murmeln, was wohl alles zwischen Hephitios und seiner Herrin wäre, dass sie ihn an so einer langen Leine hielt, ja er sogar mehr oder weniger alles machen konnte, was ein freier Mann auch durfte. Neid und Frust über seine eigene Lage ließ Rabastos sich völlig auf dieses Thema fixieren und auch kam es immer öfters vor, dass er sich mit Wein betrank und dann vollends wirr daherfaselte und lallte. Hephitios wurde das immer weniger geheuer. Das Gefühl wurde in ihm immer stärker, dass sein Platz an der Seite von Octavia Flora sein sollte, um sie vor Subjekten wie Rabastos zu beschützen. War er nicht aus genau diesem Grund zu ihr gekommen?!
    Um sie zu beschützen? Und jetzt saß er hier meilenweit von ihr weg um ZIEGEN zu hüten, nicht Flora!
    Doch den Ausschlag gab Hephitios' letzter Abend am Landgut. Wieder einmal saß er vor der Hintertür und blickte über die weiten Grasebenen der Octavier. Rabastos wankte in sein Blickfeld, wie üblich mit einer Weinamphore in der Hand. Offenbar war er betrunken, denn der Junge hörte, wie Rabastos mit sich selbst sprach. "Denkt wohl, er sei was besseres.." murmelte er. "Der Stecher seiner Herrin..." als er das hörte wallte Zorn wieder heiß und siedend in ihm auf und er wusste; Rabastos sprach wieder einmal über ihn und Flora. "Pha! Könnte auch machen was er kann....richtiges Alter...schwach" Rabastos entfernte sich in seinem Wanken langsam wieder aus dem Hörbereich von Hephitios. Er hatte zu keiner Zeit bemerkt, dass auch andere Menschen in seiner Nähe waren. Wieviel er bereits getrunken hatte, merkte man der unglaublichen Fahne an, die sogar noch bis zum Haus zog. Tadelnd schüttelte der Junge den Kopf und wollte sich von dem Alten schon wieder abwenden, als er da plötzlich den letzten Ausspruch von Rabastos noch hörte "Der hübschen würde eine Klinge am Hals sicher gut tun...*HICKS*...hmmm...*HICKS*... zu Ende diese Fickerei..." Alamiert sprang Hephitios auf. Was hatte er da gerade gehört?!
    Er wollte schon auf den Alten losstürmen, um ihn niederzuschlagen, als zwei andere Sklaven es bemerkten und ihn fragten, was er vorhabe. "Dieses Stück Abschaum zum Hades schicken! Er hat davon gesprochen die Domina zu töten!" Doch ganz wider seiner Erwarten blieben die beiden anderen ruhig und klopften ihm nur auf die Schulter. Rabastos sei es nicht wert. Hephitios solle ihn sich nur mal ansehen, der käme in seinem Zustand nicht einmal bis zur Grundstücksgrenze und die Herrin sei immerhin in Rom. Rabastos wüsste selbst nicht, was er im Suff von sich gab und Hephitios solle sich besser um die Ziegen, als um angesoffene Sklaven kümmern. Falsch, dachte sich Hephitios, besser wäre es, wenn er sich wieder um Flora kümmern würde.


    Am nächsten Tag saßen die Sklaven, die gerade Frei hatten beisammen und nahmen ein einfaches Mittagessen zu sich. Hephitios verspeiste gerade ein köstliches Stück frischen Fladenbrots, als ein anderer Sklave aufgeregt zu ihnen lief. "Rabastos ist verschwunden!" rief er. Hephitios, der dem Neuankömling am nächsten saß zuckte nur mit den Schultern. "Besser für uns, vielleicht hat er uns allen einen Gefallen getan und sich irgendwo in einem Graben im Suff sein eigenes Genick gebrochen." Doch wild schüttelte der andere den Kopf. "Nein, heute morgen war er völlig nüchtern und sah wütender aus, denn je. Außerdem fehlen alle Messer in der Küche und eines der Pferde fehlt!" Wie vom Hafer gestochen sprang Hephitios auf und rief laut "Flora! Er will die Domina ermorden!" Die anderen Sklaven sahen ihn verwirrt an. Was hatte der Kerl auf einmal? "Findest du nicht, dass du übertreibst?" fragte einer. "Nein, keinesfalls! Ich bin ihr Custos Corporis, mein Platz ist an ihrer Seite. Ich kehre auf der Stelle nach Rom zurück und ich werde Rabastos finden und zur Strecke bringen!" Und ohne noch einmal in die verdatterten Mienen seiner Kollegen zu blicken lief Hephitios zum Stall um ein Pferd zu holen und sich auf den Weg nach Rom zu machen.

    "Gerne!" rief Hephitios freudig aus. Also würde er endlich Lesen und Schreiben erlernen! Bestimmt würde das viele neue spannende Themengebiete für ihn eröffnen, da war er sich vollkommen sicher.


    Eifrig rollte Hephitios die ABC-Schriftrolle aus. Vor ihm prangten völlig fremde Zeichen auf dem Papyrus. Hephitios hatte in seinem Leben schon Schriftzeichen gesehen, doch als Rhodier verständlicherweise in erster Linie griechische Buchstaben. Die ein- zwei Mal, wo ihm auch lateinische Zeichen unter die Nase gekommen waren, waren für ihn völlig unwichtig gewesen und so hatte er sie vergessen.


    Was nur all diese Striche und Linien bedeuten mochten? Für einen kurzen Moment verließ ihn durchaus der Mut, doch dann fing er sich wieder und begann tapfer auf einem leeren Stück Papyrus den ersten Buchstaben ("A") vor ihm auf der Muster-Schriftrolle abzumalen. Nach einem kurzen Moment hatte er den ersten Buchstaben geschafft. Na also, war doch gar nicht so schwer!


    Schon etwas mutiger auf diesem ihm völlig neuem Gebiet machte sich Hephitios daran den zweiten Buchstaben ("B") aufzuschreiben, während er still den Erläuterungen Floras lauschte.

    Hephitios hatte die ganze Zeit in der Küche gestanden und darauf gewartet, dass man ihm die von ihm verlangten Trauben für Flora brachte. Als es soweit war, kam er wieder in Floras Cubiculum, doch dort war sie nicht. Nach kurzem Suchen fand er sie nahe der Porta. Er trat zu ihr mit einer prallen Rebe voller grüner, köstlicher Weintraubenfrüchte.


    "Die Weintrauben die du wolltest Flor... DOMINA!" verbesserte er sich schnell, als er Octavius Maro und Iulius Caesoninus gewahr wurde. Als beide sich entfernt hatte flüsterte er: "Wer waren die beiden?"


    Hephitios war jetzt schon geraume Zeit Sklave im Haushalt Octavia, doch war ihm in der Tat z.B. Octavius Maro noch nie begegnet.

    Gebannt starrte er sie an und sagte: "Nein, mir geht es gut! Ich heiße Hephitios und-und du?" Was war nur los mit ihm? So war es Hephitios noch nie ergangen! Ganz weiche Knie hatte er, nur weil diese Rote da in ihn hineingerannt war. Was man da erst alles gefühlt hatte von ihr!
    Doch so hatte er wie gesagt noch zuvor bei einer Frau gefüh´lt, auch nicht zuhause auf Rhodos. Was das nur sein mochte?


    Da erscholl wieder der Ruf Floras und dieses Mal reagierte Hephitios. Noch völlig neben sich wandte er sich um. Da stand seine Herrin vor ihm. So beschämend das auch war, aber für einen Moment hatte er Flora vollkommen vergessen gehabt, weshalb er sich jetzt beeilte seiner Sklavenpflicht wieder nachzukommen. "J-Ja, Domina? Wie kann ich dir zu Diensten sein?" Innerlich schlug sich Hephitios kurz. Reiß dich zusammen, Mann! Du warst immerhin "im Dienst"! Also hör auf hier den Hampelmann zu spielen und tu wieder das, wozu du hierher gekommen bist!

    An diesem Tag war der junge Grieche voller Tatendrang. Er hatte sich nach seiner Frage an Flora schon halb zum gehen gewendet, um das besagte Pergament zu besorgen, als Flora ihn auch schon wieder bremste und mitteilte, dass sie es sich selbst besorgen wollte. So wollte sich Hephitios gerade wieder in eine bequemere Haltung begeben, als er plötzlich zu Boden gestoßen wurde. Hals über Kopf purzelte er in der Menschenmasse auf die Nase. Ganz verdattert fragte er sich, was gerade passiert war, doch als Hephitios sich wieder aufgerichtet und nach dem Grund seines Sturzes herumgespäht hatte, blieb ihm die Luft weg. Vor ihm stand der wohl schönste und süßeste wildgelockte Rotschopf, den er jemals in seinem Leben gesehen hatte. "Was zum.. oh!" Mit ganz großen Augen alles um sich rum vergessend glotzte er in diese großen, einzigartigen Augen, die ihn da so unschuldsvoll ansahen. Schnell beeilte sich Hephitios wieder Herr seiner selbst zu sein und stammelte in Richtung des Sklavenmädchens: "Ich, ähm...Verzeihung, dass ich, dass ich dir im Weg gestanden bin und so weiter." Nicht gerade die Art des Kavaliers, aber in seinem verwirrten Gehirn war aktuell grade keine bessere Antwort auf Lager gewesen.
    Diese Haare! Diese flammenden, fließenden Haare! Noch nie zuvor hatte er so etwas gesehen. In ganz Griechenland gab es so ein einzigartiges Geschöpf nicht, dort waren die Frauen meist immer braun oder schwarz. Doch rotes Haar bekam der Junge heute zum ersten Mal zu sehen. Wieder machte Hephitios einen tapferen Versuch zu sprechen: "Du, du hast dich doch nicht verletzt, oder?" Wie gebannt starrte er noch auf ihr Haar, auf ihre großen Augen und auf ihre Lippen, als da schon plötzlich der Ruf seiner Herrin ertönte. Doch Hephitios war es überhaupt nicht gewöhnt, dass Octavia Flora ihn mit "Sklave" ansprach (der Name des Sklaven war ja auch in der Öffentlichkeit völlig in Ordnung), weshalb er sich auch in keinster Weise angesprochen fühlte und weiterhin dieses bezaubernde Gesichtchen vor sich bewunderte.

    Nachdem er sich wieder gefangen hatte, wandte er sich an Flora. "Soll ich loslaufen und dir Pergament besorgen, Domina?" fragte er ganz der huldvolle Sklave in der Öffentlichkeit. Wer wusste immerhin, wer gerade so zuhörte, oder? Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ein wichtiger Freund der Familie Octavia mitbekommen würde, wie ein Sklave es wagte, seine Herrschaft vor allen Leuten so respektlos anzureden, dass darin nicht mindestens das Wort "Domina" vorkam!

    Hephitios setzte sich und breitete vor sich die mitgebrachten Schriftrollen aus. Es lagen auch schon Griffel und Wachstäfelchen bereit, wie er bemerkte. Gespannt was als nächstes passieren würde, erwartete er Floras kommenden Erklärungen.

    Hephitios war ganz aufgeregt. Vor nicht allzu langer Zeit war ihm mitgeteilt worden, dass ihn seine Herrin kurz nach Sonnenaufgang in ihrem Cubiculum erwarten würde. Mitzubringen habe er ein paar bestimmte Papyrusschriftrollen aus der Bibliothek. Warum jedoch das alles wusste er nicht. Wollte Flora einfach nur ein wenig lesen? Das konnte gut sein, aber weshalb war dann so ein exaktes Datum ausgesprochen worden, an dem er zu kommen habe?


    Gespannt ging Hephitios in die Bibliothek und zog eine kleine Fabelsammlung von Äsop aus dem Regal hervor. Auch eine ihm unbekannte Rolle, die mit "ABC" betitelt war. Was das wohl alles heißen mochte? Schnell machte er sich wieder auf den Rückweg und betrat das Gemach seiner Herrin.