Beiträge von Iulia Graecina

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    | Sulamith



    „Wenn du nach einem unbeschwerten Leben strebst, dann schon,“ gab die Hebräerin trocken zurück. Im Laufe eines Sklavenlebens lernte man aber auch, wie man die Herrschaften beeinflussen konnte, ohne dass sie es merkten. Die Zauberworte dafür hießen 'Vertrauen schaffen' und 'sich unentbehrlich machen'. Nur dann trat man aus dem Schattendasein der dienstbaren Geister heraus. Sulamith hätte ihr sicherlich noch einige Ratschläge geben können, doch mit dem Erscheinen der Iulia musste dies vorerst warten. Vielleicht ergab sich ja einmal eine andere Gelegenheit dafür.


    ~~~***~~~



    Graecina nahm einen Schluck der gekühlten Rhodomeli. Im Gegensatz zur kleinen Ancilla genoss sie die Süße auf ihrer Zunge. „Trink nicht zu hastig, Ancilla! Du bekommst sonst noch Magenschmerzen!“, ermahnte die Iulia das Kind. Ein wenig enttäuscht setzte das Mädchen den Becher wieder zurück auf das Tablett. Doch dann hatte die Kleine eine Idee. Sie nahm ihre Puppe und setzte sie ebenfalls auf die Decke. „Meine Puppe hat noch Durst! Darf ich ihr auch noch ein Schlückchen geben?“ Graecina nickte grinsend. „Ja, natürlich darfst du das, Liebes!“ Während nun Ancilla wieder den Becher nahm, selbst noch einmal daran nippte und ihre Puppe mit dem Getränk versorgte, fiel Graecinas Blick wieder auf die germanische Sklavin. Wie friedlich ihr Kind doch schlief! Doch eines wollte ihr partout keine Ruhe lassen: Was war denn nur mit diesem Angus los? War er tatsächlich fort, so wie Iduna behauptet hatte? Hatte man ihn verkauft und wenn ja, weshalb?
    „Breda, geh und suche Angus! Wenn du ihn gefunden hast, bring ihn her zu mir!“ sagte sie der Sklavin, die noch immer das Tablett mit dem Erfrischungsgetränk hielt. Die Sklavin stellte das Tablett neben der Decke ab und verschwand.


    Graecina wandte sich wieder an die Germanin, denn noch eine andere Frage beschäftigte sie sehr. Da sie Iduna als Expertin in Sachen Kinderkriegen und Mutterschaft ansah, scheute sie sich auch nicht, sie zu fragen. „Sag mal, wie geht das eigentlich? Ich meine, wie bekommt man denn ein Kind?“ Tante Calvena hatte dieses Thema immer tunlichst vermieden und auch ihre Mutter hatte sich bis zu ihrem Tod in Schweigen gehüllt.

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    | Sulamith


    Sulamith glaubte zu verstehen, was die Germanin meinte. Besonders jene Sklaven, die nicht als solche geboren worden waren, taten sich oft schwer mit ihrer Wortwahl. Ihre Eltern hatten sie gelehrt, stets ein wachsames Auge zu haben, was sie zu wem sagte oder doch besser schwieg. Die einzige Ausnahme bildete da Graecina. Ihr konnte sie alles sagen, wenn sie unter sich waren.


    „Du solltest immer auf der Hut sein, wenn du mit Fremden sprichst, die du nicht kennst. Auch wenn sie nett und freundlich scheinen, kannst du trotz allem in ein Schlangennest stechen, wenn du allzu offen sprichst. Ich selbst spreche für gewöhnlich nur mit meiner Domina sehr offen, weil wir uns schon kennen, seitdem wir Kinder waren. Doch das tue ich auch nur, wenn wir allein sind.“ Diesen Rat gab sie ihr gerne mit. Kurz darauf demonstrierte ihr, was sie meinte, als Graecina erschien.


    ~~~***~~~



    Für einen Moment lag Graecinas Blick nachdenklich auf der germanischen Sklavin, als diese sich dann doch als Angus´ Gefährtin vorstellte. Sie sagte, er sei verschwunden und habe sie zurückgelassen. Vor einigen Tagen war er doch noch da gewesen! Er hatte sie zur Werkschau begleitet und davon dass einer der Sklaven geflohen war, wusste sie nichts. Allerdings wollte sie nun auch nicht so taktlos sein und sie danach fragen. Überhaupt lernte sie die Germanin gerade als ein einen sehr eingeschüchterten und zurückhaltenden Menschen kennen. Nicht einmal auf ihre Frage nach dem Erfrischungsgetränk hatte sie ihr geantwortet. Graecina beschlich die Befürchtung, die junge Sklavin womöglich von ihrer Arbeit abzuhalten.
    Ancilla war die einzige, die keinerlei Skrupel hatte und unbeirrt stehen blieb, um sich das Kind der Sklavin anzuschauen. „Mag deine Tochter auch mit Puppen spielen?“, fragte sie Iduna.


    „Oh, ein Brief!“, rief Graecina aufgeregt. Sie hatte hatte indessen Sulamiths Brief entdeckt, der immer noch geöffnet auf der Decke lag. Sofort kam ihr der Decimus wieder in den Sinn. War das der ersehnte Brief, auf den sie schon seit Tagen wartete? Irgendein Lebenszeichen… oder eine Absage? Doch in Gegenwart der fremden Sklavin wollte sie darüber nicht mit Sula sprechen. Schließlich nahm sie neben Sulamith Platz und bedeutete der Sklavin, die sie mitgebracht hatte, ihr einen Becher mit dem Erfrischungsgetränk zu reichen. Auch Ancilla kam nun herbei, um sich einen gefüllten Becher abzuholen und begann sogleich davon zu trinken.

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    | Sulamith


    Ein jeder trage des anderen Last. So hatte es der Nazarener gelehrt. Daher stand es für die Hebräerin außer Frage, ihrer Mitsklavin keine Hilfe anzubieten, wenn diese sie brauchte. Womöglich stellte dies für die Germanin ein Novum dar. Doch vielleicht würde auch sie dadurch bereit werden, sich auf die frohe Botschaft einzulassen und den Gottessohn in ihr Herz zu lassen. Dann konnte sie darin Trost finden, wann immer sie es benötigte.


    Das zweite Angebot der Hebräerin löste schon wesentlich mehr Skepsis bei Iduna aus, da sie wohl Sulamiths Worten wenig Vertrauen schenken wollte, alles Gesagte bliebe bei ihr. Sulamith fühlte sich deswegen keinesfalls gekränkt, denn sie wusste selbst, wie schwierig es sein konnte, sich jemand Fremdem zu öffnen. Dazu gehörte eine ordentliche Portion Vertrauen und dies musste man sich erst durch seine Taten verdienen.


    Noch bevor Iduna ihren letzten Satz beenden konnte, wurden die beiden Frauen aus ihrer Zweisamkeit herausgerissen. Ohne Vorwarnung war die junge Iulia vor ihnen aufgetaucht und hatte zumindest Sulamith einen riesen Schrecken eingejagt. Die Hebräerin riss überrascht ihre Augen nach oben und wollte bereits aufspritzen, als sie Graecina erkannte. Ein leiser Seufzer der Erleichterung war zu hören. Dann ermahnte sie sie zur Stille, indem sie den rechten Zeigefinger an ihre Lippen hielt und ein moderates „Pssssst!“ von sich gab. „Nicht so laut! Du wächst noch das Kind auf!“ Dabei verwies sie auf den schlafenden Säugling in Idunas Armen. Die Germanin selbst senkte demütig ihren Blick.


    ~~~***~~~



    Graecinas schelmisches Lächeln wich sofort einem überraschtem Ausdruck, denn erst jetzt nahm sie das schlafende Kind wahr. „Oh äh, tut mir leid!“, murmelte sie und warf einen Blick auf die Sklavin, die neben Sula auf der Decke saß. Sie kannte das Mädchen von Sehen, aber ansonsten wusste sie wenig über sie.
    „Das sind Iduna und ihre Tochter Aislin.“, erklärte ihr die Hebräerin und wies auf die junge Frau neben ihr. „Ihre Kleine hat sich davongestohlen und ist bei mir gelandet,“ fügte sie noch hinzu.
    „Aha, Iduna und Aislin also,“ erwiderte Graecinia nachdenklich. „Iduna… ist das nicht Angus´…“, dachte die junge Iulia laut, doch sie wurde von Sulamiths Blicken davon abgehalten, ihren Satz zu vollenden. „Oh äh ja also… Ich hab uns eine Erfrischung mitgebracht. Möchtest du auch einen Becher?“ fragte sie die Germanin und suchte nach einem freien Plätzchen auf der Decke. Ancilla indes trat neugierig an Iduna heran, um sich das schlafende Kind aus der Nähe betrachten zu können.

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    | Sulamith


    Iduna stimmte ihr zu, doch konnte man auch ein Fünkchen Zuversicht ihren Worten entnehmen. Aislin war schließlich nicht das erste Sklavenkind, dass in einem Haus wie diesem zur Welt gekommen war. Genauso wenig wie Iduna die erste Sklavin war, die ihr Kind alleine großziehen musste. Sie konnte sich bereits glücklich schätzen, dass sie die Erlaubnis dafür hatte. Aber das wusste Iduna sicher auch selbst.


    „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann lass es mich einfach wissen“, bot sie der Germanin an, denn im Augenblick war sie sich nicht sicher, was sie sagen sollte, ohne aufdringlich zu wirken. „Auch wenn du mal jemanden zum reden brauchst… Ich werde nichts weitertragen!“, fügte sie nach einer Weile noch hinzu. Dann sah sie auf das kleine Töchterchen der Germanin, die nach ihrem kleinen Ausflug völlig erschöpft war und nun friedlich in den Armen ihrer Mutter schlief.


    ~~~***~~~



    Unterdessen machte sich nun auch endlich Graecina auf den Weg in den Garten. Begleitet wurde sie von der kleinen Ancilla, die in der einen Hand ihre hölzerne Puppe mit sich führte und in der anderen ein Säcken mit [EMAIL=https://de.wikipedia.org/wiki/Astragaloi]Astragalen[/EMAIL] hielt. Das Mädchen hatte sich inzwischen wieder gut erholt und war wieder zu Kräften gekommen. Außerdem entwickelte sie sich prächtig, seitdem sie endlich Kind sein durfte.
    Mit einigen Schritten Abstand folgte den beiden auch noch eine junge Sklavin, die ein Tablett mit drei Bechern und einem Krug[EMAIL=https://www.kochwiki.org/wiki/Rhodomeli] Rhodomeli[/EMAIL], einem erfrischenden Getränk aus Honig und Wasser, trug.


    Graecina sah sich suchend um und hielt Ausschau nach Sulamith . Doch schon bald vernahm sie die Stimme ihrer Freundin. Sie hatte wohl ein nettes Plätzchen in der Nähe des großen Oleanderbusches gefunden und war dort allem Anschein nach auch nicht allein! Kurze Zeit später erreichte auch die junge Iulia samt ihrer Gefolgschaft das schattige Plätzchen. Sulamith saß dort mit einer Sklavin auf der Decke. „Ha! Hab ich euch erwischt!“, rief sie schelmisch mit einem zwinkernden Auge als sie vor den beiden Frauen auftauchte.

    Der Name ihres Cousins war ihm bekannt. Nicht zuletzt deshalb, weil Caesoninus freundschaftliche Beziehungen zu einem Cousin des Decimers unterhielt. Aber auch sonst kam man wohl derzeit kaum an dem Namen Iulius Caesoninus vorbei wenn man das politische und gesellschaftliche Geschehen Roms ein wenig verfolgte, denn ihr Cousin hatte für sein jugendliches Alter bereits eine beachtliche Karriere hingelegt. Zumindest wusste der Decimus nun auch, wohin er sich als nächstes wenden musste, wenn er offiziell um ihre Hand anhalten wollte – falls er das wollte.


    Dem zarten Pflänzchen eines Hoffnungsschimmers jedoch wurde jeglicher Nährboden entzogen, als Decimus doch relativ überstürzt einen kontrollierten Rückzug einleitete. Er habe das Treffen mit ihr genossen, so sagte er zwar und er ergriff auch recht feurig nach ihrer Hand, um diese zu küssen – eben ganz genau so, wie man es von einem Hispanier vermuten mochte. Dann noch schnell ein weiteres Kompliment hinterhergeschoben und fertig. Dies geschah doch alles sehr voreilig und glich mehr einer Flucht. So konnte ihm Graecina lediglich nur lächelnd aber sprachlos hinterherblicken, als er sich erhob und sich zügig von ihr entfernte.


    „Äh, was war das denn?“, fragte sie und sprach dabei mehr mit sich als mit ihren beiden Begleitern. Dann erhob auch sie sich und blickte zu Sulamith, ihrer Vertrauten. „Ich hab´s vermasselt, Sula! Nicht wahr? Ich hab es total vermasselt.“ Die Hebräerin trat einen Schritt auf sie zu und berührte sie sanft an ihrem Arm und versuchte sie zu trösten. „Aber nein, das hast du überhaupt nicht! Du warst sehr natürlich und hast ihm nichts vorgespielt. Vielleicht warst du ab und an etwas zu redselig. Aber im Grunde hast du ihm damit nur deine Ehrlichkeit demonstriert.“ Sie lächelte ihr aufmunternd zu. „Und mal ehrlich, wenn er das nicht zu schätzen weiß, dann hat er dich auch nicht verdient!“, fügte sie kurz darauf noch an.


    Graecina war für die Worte ihrer Sklavin sehr dankbar. Auch wenn sie befürchtete, keinen besseren Mann finden zu können, als den Decimus, falls jener sich gegen sie entschied. Aber vielleicht brauchten ältere Männer einfach nur etwas länger, um sich zu entscheiden, weil in ihnen einfach das Feuer der Jugend inzwischen erloschen war. Also war es sicher am besten, sich keine weiteren Gedanken darüber zu machen, sondern einfach abzuwarten.
    „Ja, so wird es wohl sein! Kommt, lasst uns gehen!“, meinte sie und machte sich mit ihren beiden Begleitern auf den Heimweg.


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    | Sulamith


    Es war nur verständlich, dass sich die Mutter der Kleinen Vorwürfe machte, denn hier im Garten lauerten Gefahren, die für einen kleinen Säugling, der Aislin ja nun einmal war, sehr brenzlig werden konnten. Jedoch, wenn man sich Idunas Situation bewusst machte, musste man ihr zugestehen, dass sie es nicht einfach hatte. Zum einen sollte sie ihren Pflichten nachkommen, andererseits musste sie sich aber auch um ihr Kind kümmern. Das war bestimmt keine leichte Aufgabe!
    Wieder entschuldigte sich die Sklavin. Sulamith aber wägte nochmals ab. „Nein, nein! Ganz bestimmt nicht!“ Die Hebräerin machte einen Schritt auf Iduna zu und übergab der Mutter vorsichtig das Kind. Wie zu erwarten war, beruhigte sich die kleine Ausreißerin sofort, als sie wieder die Nähe ihrer Mutter wahrnahm.


    Sulamiths Vermutungen wurden bestätigt. Dies war Iduna. Jene Frau, die mit Angus zusammen gewesen war. Weshalb sich dies geändert hatte, war ihr zwar nicht bekannt, doch sie konnte beobachten, wie schwer es der Germanin fiel, den Namen ihres Gefährten auch nur auszusprechen. Überhaupt machte sie einen sehr zurückhaltenden und eingeschüchterten Eindruck. Irgendetwas machte ihr schwer zu schaffen, glaubte die Hebräerin zu spüren. Aber natürlich würde sie die junge Frau niemals bedrängen, um den Grund dafür zu erfahren.
    Zu ihrem Erstaunen willigte Iduna ein und nahm neben ihr auf der Decke Platz. Sulamith lächelte ihr zu und sah wieder auf das Kind. „Es ist sicher schwer mit einem kleinen Kind. Das alles hier… ,“ begann die Hebräerin, um das Schweigen zwischen ihnen zu durchbrechen.

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    | Sulamith


    Für einen Augenblick schien sie die Kleine beruhigen können. Der Frieden aber währte nicht lange und das Kind begann sich erneut lautstark in Sulamiths Armen zu winden und zu strampeln. Ein wenig hilflos sah sie sich um, ob nicht doch irgendwo die Mutter des Kindes steckte. Dann endlich hörte sie ein Rufen. Aislin – in den Ohren der Hebräerin klang der Name fremdartig. Doch das musste nicht bedeuten, dass er ihr nicht gefiel. Die kleine Aislin musste ein Sklavenkind sein und seine Eltern waren wahrscheinlich Germanen oder Kelten. So gut kannte sie sich da nicht aus, um gewisse Unterschiede erkennen zu können.
    Es dauerte nicht lange, bis dann auch die Mutter des Kindes erschien, die über Sulamiths Anwesenheit überrascht schien.


    Offenbar hatte die Kleine auch die Stimme ihrer Mutter gehört, denn nun war sie kaum mehr zu halten. Als Aislin dann noch mit ihren Händchen eine Strähne von Sulamiths hochgesteckten Haaren erwischte und daran zog, befand die Hebräerin, das es nun Zeit war, sich von dem kleinen Schatz zu trennen.
    „Salve! Ach nein, überhaupt nicht. Aber ich glaube, die Kleine möchte nun doch lieber zu seiner Mutter zurück!“ Damit übergab sie Iduna ihr Kind und lächelte ihr zu.
    „Du bist Iduna, nicht wahr?“ Mit der Germanin hatte sie bislang so gut wie gar nichts verbunden. Lediglich ihren Gefährten Angus kannte sie. Er hatte Graecina bereits mehrmals als Custos gedient. Sie wusste, dass sie erst seit einigen Monaten im Haus war und die Cubicularia von Dominus Caesoninus war. Unter den Sklaven erzählte man sich so manches über sie und ihren Gefährten Angus und natürlich weil sie erst kürzlich in Ungnade gefallen war. Aber Sulamith gab nicht viel auf das dumme Geschwätz der anderen Sklaven, das zuweilen recht boshafte Formen annehmen konnte. Sie zog es vor, sich lieber selbst ihre Meinung zu bilden und die Menschen danach zu beurteilen.
    „Mein Name ist übrigens Sulamith. Ich bin Domina Graecinas Leibsklavin.“, erklärte sie lächelnd.
    „Magst du dich nicht einen Moment zu mir setzen, solange Graecina noch nicht da ist?“ Die Hebräerin setzte sich wieder und bot der Germanin einen Platz neben ihr an. Tiberios´ Brief nahm sie und legte ihn zur Seite. Sie würde doch hoffentlich Iduna nicht von ihren Pflichten abhalten?


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    | Sulamith


    Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie den Brief öffnete und die sorgfältig geschriebenen griechischen Lettern zum Vorschein kamen. Sie begann, Zeile um Zeile zu lesen. Unweigerlich begann sich ihr Körper wieder zu verkrampfen und sie musste mit ihren Tränen kämpfen. Ob jemals wieder die Dunkelheit weichen würde? Die Hebräerin bezweifelte das. Es würde immer ein Stückchen zurückbleiben, ganz gleich, wie auch ihr weiterer Lebensweg aussehen mochte.


    Sie las weiter. Tiberios schrieb von der Werkschau, bei der sie sich wieder begegnet waren. 'Du sahst ruhig und genesen aus.' Ja, das hatte sie. Äußerlich war nichts mehr zu sehen. Am Tag spielte sie einfach ihre Rolle. Das gelang ihr von Tag zu Tag besser. Die Dämonen, die sie nachts erst heimsuchten, hatte sie tagsüber perfekt im Griff. Doch wenn der Tag zu Ende ging und sie endlich loslassen konnte, spürte sie, wie schwer und anstrengend es war, sich zu verstellen.


    Als sie den letzten Absatz lesen wollte, sah sie kurz auf, denn sie hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu ein. Sulamith ließ den Brief aus ihrer Hand gleiten, der auf der Decke liegen blieb. Sie erhob sich, da sie nun auch die nahenden Schritte vernahm. Das musste Graecina sein. Doch statt der Römerin kam da ein kleines Bündel angekrabbelt. Ein Säugling, der schätzungsweise ein halbes Jahr oder nur unwesentlich älter war.
    Der Anblick dieses kleinen Wesens erweichte das Herz der Hebräerin. „Nanu, wer bist denn du? Und wo ist deine Ima?“ Sie machte ein paar Schritte auf das Kind zu und hob es vom Boden auf.
    Die Kleine schaute ganz verwundert, doch als die Fremde Person sie hochnehmen wollte, begann sie zu protestieren und schrie herzerweichend.
    „Ist schon gut, Kleines!“ Vorsichtig begann sie das Kind in ihren Armen zu wiegen, um sie zu beruhigen. Aber das war leichter gesagt, als getan!

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    | Sulamith

    Seit einigen Tagen schon hatte der Brief ungeöffnet unter Sulamiths Kissen gelegen. Hätte man sie nach dem Grund dafür gefragt, hätte sie wohl den Mangel an Zeit vorgeschoben. In Wirklichkeit war es aber mehr ihre Furcht und das Unbehagen, sich mit dem Inhalt des Briefes auseinanderzusetzen. Tiberios war schließlich Zeuge dessen geworden, was ihr widerfahren war.


    Alle Male an ihrem Körper waren inzwischen verheilt. Auch eine Schwangerschaft war ausgeblieben. Nur die schlimmen Alpträume, die sie nachts heimsuchten, wollten einfach nicht verschwinden. Dank der unermüdlichen Fürsorge ihrer Herrin und dem Versuch, alles Geschehene zu vergessen, hatte sie es geschafft, wieder ein klein wenig Freude am Leben zu finden. Zumindest schien es so nach außen hin. Dann, als sie Graecina vor ein paar Tagen zu der Werkschau und dem Treffen mit dem Decimus begleitet hatte, war sie dem furischen Sklaven wieder begegnet. Zwar hatten sie nur Blicke aber keine Worte getauscht, doch sie konnte sich noch gut daran erinnern, was sein plötzliches Erscheinen in ihr ausgelöst hatte. Ein Zucken hatte ihren Körper durchfahren. Sie hatte nicht lange seinem Anblick standhalten können. Zu groß waren immer noch der Schmerz und die Scham über das Geschehene.
    Schließlich hatte sie den Brief wieder hervorgeholt und ihn unter ihrer Tunika verwahrt. Falls sie die Gelegenheit bot, wollte sie sich nun doch endlich mit dem Inhalt beschäftigen.


    Mit ein paar Kissen und einer Decke bestückt, trat sie am Nachmittag hinaus in den Garten, um Ausschau nach einem schattigen Plätzchen zu halten. Graecina liebte es, den Nachmittag unter freiem Himmel zu verbringen. Was lag da näher, als es sich im Garten gemütlich zu machen?
    Die Hebräerin wurde schließlich fündig und breitete die Decke neben einem herrlich blühenden Oleanderbusch aus und drapierte die mitgebrachten Kissen darauf. Dies war in der Tat ein hübsches ruhiges Plätzchen! Nur die Zikaden sangen ihr schier endloses Lied.
    Nun endlich, nachdem sie sich auf ihre Knie niedergelassen hatte, nahm sie sich die Zeit, um den Brief hervorzuholen. Sie öffnete ihn und las Tiberios‘ Zeilen.


    Ad Sulamith Serva
    Iulia Graecina
    Domus Iulia
    Mons Esquilinus


    Chaire Sulamith,


    viel Zeit ist vergangen, und ich, der immer geschickt mit Worten bin, blieb dir gegenüber ohne Worte.


    Sei gewiss, Sulamith, das sich an meinem Respekt und meiner Anteilnahme dir gegenüber nie etwas geändert hat, und mögen auch Phobos und Daimos* dein Gemüt eingeschlossen haben, wie es der Dichter Aischylos beschreibt, so hoffe ich, dass eines Tages die Dunkelheit weicht, wie die Nacht der Eos weichen muss.


    Als ich dich kürzlich wieder sah, du weißt schon wo, da tat ich, als würde ich dich nicht kennen, denn ich wiederum kannte nicht diejenigen, die bei dir waren.
    Doch du sahst ruhig und genesen aus.


    Wie ist es der Ancilla ergangen? Ist sie gesund geworden und erfreut sich nun der Güte deiner kyria?


    chairete
    Tiberios
    Maiordomus Casa Furia


    Während sie las, hörte sie nicht das Knarzen der kleinen Steinchen des Gartenpfades, die die sich nahenden Schritte ankündigten.

    Graecina konnte nicht glauben, was sie da gerade gesagt hatte! War das wirklich sie gewesen, die mit voller Lauterkeit gepaart mit kindlicher Naivität so offen gesprochen hatte? Offensichtlich ja! Was musste Decimus nur von ihr denken? Zwar entgegnete er darauf nichts, doch deutete so einiges darauf hin, dass er durch ihre Ehrlichkeit peinlich berührt war. Wer wollte denn eine Frau, die so offenherzig alles aussprach, was ihr gerade in den Sinn kam?!


    Schnell hatte sie dann umschwenken können und bedachte ihn mit einigen Komplimenten, die nicht einfach so daher gesagt waren, sondern in ihrem eigenen Empfinden wurzelten. Trotz allem keimte in ihr der Gedanke auf, dass sie damit alles vermasselt hatte. Auch wenn ihr Gegenüber nicht sofort die Flucht ergriff. Was so ein paar ehrliche Worte doch alles anrichten konnten! Mit ihren letzten Worten hatte sie ihm buchstäblich den Gladius auf die Brust gesetzt, auf die Gefahr hin zuzustechen, sollte er ihr Angebot ablehnen.


    Der arme Mann schien sich hilfesuchend nach seinem freigelassenen Begleiter umzusehen, ähnlich wie es die Iulia zuvor getan hatte. Unglücklicherweise hatte er seinen Icarion selbst losgeschickt… - um was zu tun? Sein Custos aber konnte jedoch kurzfristig dessen Platz einnehmen und ermutigte ihn mit seinen Blicken. Es war wohl seiner Lebenserfahrung geschuldet, die ihn dennoch besonnen handeln ließ und er sich daher zunächst eine Bedenkzeit erbat.


    Graecina, für die diese Situation absolutes Neuland bedeutete, da sie sich bisher nur wenig bis gar nicht mit der Frage beschäftigt hatte, wessen Gemahlin sie dereinst werden solle, wirkte für einen Moment etwas enttäuscht. Hatte sie ihn mit ihrer übereilten Ehrlichkeit komplett überrumpelt? Tante Calvena hätte ihr sicher den Rat gegeben, den Decimus zunächst noch ein wenig zappeln zu lassen, damit sie sich nicht unter Wert verkaufte. Tante Calvena aber weilte weit weit weg auf Kreta, und war für den Moment unerreichbar.
    „Äh ja, natürlich… ein wenig Bedenkzeit… ähm ja.,“ entgegnete sie ihm und versuchte dabei ihre Anspannung zu unterdrücken. In ihrer Vorstellung sah sie bereits den Brief, der sie in ein paar Tagen erreichen würde und indem er ihr erklärte, er sei indisponiert und er bedauere es zutiefst, ihr einen Korb geben zu müssen. Dann würden ihre schlimmsten Befürchtungen vielleicht doch noch wahr werden – ein Greis mit schlechtem Atem würde ihr Zukünftiger werden. Sie seufzte bei dieser Vorstellung leise. Besser sie sprach von nun an keinen ihrer Gedanken mehr aus. Auch wenn die Frage, ob sie es vermasselt hatte, sie doch sehr beschäftigte.


    Lediglich seine nächste Frage löste so etwas wie einen kleinen Hoffnungsschimmer in ihr aus, so dass das Leuchten in ihren Augen wieder leicht aufflammte. „Nun, da mein Vater leider schon verstorben ist, stehe ich unter keiner Patria potestas. Jedoch ist mein nächster männlicher Verwandter, Iulius Caesoninus, mein Tutor.“ Ihr Cousin würde mit Sicherheit einer Verbindung mit Decimus Serapio nicht im Wege stehen, wenn dies ihrem Willen entsprach.

    Graecinas Augen begannen zu glänzen als Decimus die weißen Berge erwähnte, an deren Ausläufern ihre Heimatstadt Lappa lag. Vor ihrem inneren Auge erschienen Bilder aus ihrer Kindheit, die sie behütet in dem liebenswerten Bergstädtchen mit den weißgetünchten Häusern verbracht hatte. Da waren die uralten Olivenhaine gewesen, die ihr beim Spiel mit ihren viel älteren Brüdern und Sulamith Schatten gespendet hatten. Oder die Blüten der Oleanderbäume in Tante Calvenas Garten , die Sula und sie sich gegenseitig in die Haare gesteckt hatten. Oder das erfrischende Nass der Quelle unweit der Stadt, deren Wasser im Sommer wie Tropfenfäden die Felsen hinab floss.
    Ja, es war eine schöne und unbekümmerte Zeit auf Kreta gewesen, an die sie sich gerne zurückerinnerte und die sie in manchen Momenten auch schmerzlich vermisste. Doch im Augenblick überwog eindeutig ihre Freude, dass sie scheinbar zur rechten Zeit am rechten Ort war. All ihre Bedenken, die sie am Morgen noch gehegt hatte, hatten sich längst in Luft aufgelöst.


    Wie sich herausstellte stammte auch ihr Begleiter ursprünglich nicht aus Rom, sondern aus einer der Provinzen. Hispania, quasi am anderen Ende des mare nostrum. Auch er war dem Ruf der urbs aeterna gefolgt. Doch wie sie seinen Ausführungen entnehmen konnte, hatte es ihn nie lange in Rom gehalten. Ein bewegtes Leben hatte er bisher geführt, welches ihn in die unterschiedlichsten Winkel des Imperiums geführt hatte. Staunend folgte Graecina seinen Worten, denn im Gegensatz zu ihm, der bereits die halbe Welt gesehen hatte, war die Reise nach Rom der einzige Höhepunkt in ihrem Leben gewesen. Von Ägypten oder gar dem Orient hatte sie nur träumen können. Manchmal hatte sie die Kaufleute aus fremden Ländern gesehen mit denen ihr Vater Geschäfte gemacht hatte, wenn sie in Gortyn weilte.


    Ebenso erwähnte er auch eine Episode seines Lebens, die sicher nicht zu den besten und erfolgreichsten gehörte. Im Bürgerkrieg hatte er auf der falschen Seite gestanden, wie sie bereits von ihrer Sitznachbarin im Theater gehört hatte. Sie hatte ihn als schlimmsten Schergen der Tyrannei des Ungeheuers Salinator tituliert. Doch die junge Iulia war davon überzeugt, dass sich Menschen ändern konnten, wenn man ihnen die Chance dazu gab. Diese Chance hatte ihm Kaiser Aquilius gewährt und er hatte sie genutzt, wie Graecina erfreut schlussfolgte. Allerdings unterließ sie es, sich die Frage zu stellen, womit er sich nun als Präfekt beschäftigte.
    „Auf unseren Imperator Aquilius!“ erwiderte sie und hob ebenfalls ihren Becher, jedoch vermied sie das Trankopfer.
    Fast schon entschuldigend beendete der Decimus seine Biographie mit der Tatsache, dass sein bewegtes Leben bisher keine eheliche Verbindung zugelassen hatte. Doch dies wollte er nun ändern. Er kam dabei auch direkt auf den Punkt und redete nicht lange um den heißen Brei herum, denn er hatte genaue Vorstellungen, wie seine zukünftige Frau sein sollte.
    Wie Graecina seinen Worten entnehmen konnte, war es in seiner Familie Usus, den Frauen gewisse Freiheiten einzuräumen. Das hörte sich alles sehr verlockend an. Aus seinem Mund klang es nicht nur wie ein gewöhnlicher Handel zwischen zwei Familien, bei dem die Frau das begehrte Handelsgut war. Nein, er wollte alles tun, um seine Frau glücklich zu machen. Graecinas Herz begann schneller zu schlagen. Alle Wünsche und Hoffnungen bezüglich ihres Zukünftigen schienen sich in Decimus Serapio zu vereinen.


    „Nun, meine beiden Brüder waren auch beide Soldaten. Leider starben sie viel zu früh…“ begann sie und zögerte einen Moment bis sie weitersprach. „Doch meine Mutter und meine Tante haben mich gelehrt, welche Pflichten ich als Matrona zu erfüllen habe und an welche Tugenden ich mich halten soll... ähm also was ich eigentlich sagen wollte…“ fuhr sie mit einem ernstem Ausdruck fort. Doch wieder zögerte sie kurz, denn sie spürte ihre Anspannung. Dann sah dabei kurz zu Sula, als erwarte sie ihre Bestätigung. Die Sklavin jedoch antwortete nur mit einem zarten Lächeln.
    „Also meine Vorstellungen sind äh… Um ehrlich zu sein, hatte ich Angst vor diesem Treffen heute. Denn ich hatte damit gerechnet, auf einen Greis mit schlechtem Atem zu treffen. Nun ja, du bist zwar etwas älter als ich… viel älter… aber ähm... glücklicherweise hat sich der schlechte Atem nicht bewahrheitet.“ Sie spürte die Röte in ihrem Gesicht aufsteigen. „Nein, ganz im Gegenteil, du liebst die Kunst, du hast Augen für das Schöne und du bist sehr hochherzig… Also ich denke, mehr kann sich ein Mädchen wie ich nicht wünschen, als deine Frau zu werden... wenn du mich willst.“

    Ja ein Bukephalos wäre ein treffliches Kunstwerk, dachte Graecina. Der Stolz des kraftvollen Tieres, welches unweigerlich dazu verdammt war, seine Freiheit zu lassen, berührte die junge Iulia. Beiläufig fiel ihr Blick kurz auf ihren Custos, der immer noch mit dem Blumenstrauß des Decimus bewaffnet war und dies mit einer fast stoischen Gelassenheit ertrug. Wenn sie sich recht erinnerte stammte er aus Gallien oder Britannien. Spontan fiel ihr dabei ‚der sterbende Gallier‘ ein. Vor längerer Zeit hatte sie einmal eine Kopie der Skulptur des nackten und zu Boden gesunkenen keltischen Kriegers bestaunen dürfen, die an den Sieg der Pergamener über die Galater erinnern sollte. Ebenfalls ein kraftvolles Bildnis.


    Die Werkschau hatte noch mit einigen weiteren Höhepunkten aufwarten können. Manche der Kunstwerke sprachen den künstlerischen Geschmack Graecinas an, mache berührten sogar ihr Innerstes und einige dagegen verabscheute sie einfach nur (darunter fiel eindeutig auch die Darstellung von Kainis‘ Metamorphose). Doch resümierend hatte ihr der Besuch der Werkschau viel Freude bereitet, nicht zuletzt da der Decimus sie begleitet hatte und er sich als wahrer Kunstfreund entpuppt hatte. Dies war beileibe nicht alltäglich in dieser Stadt. Ein Grund mehr darauf zu hoffen, dass eine eheliche Verbindung zwischen ihm und ihr zustande kam. Ein Mann, der über so viel Empfindsamkeit verfügte wie er würde zu guter Letzt auch ihren Glauben tolerieren können. Natürlich würde Graecina auch weiterhin Stillschweigen darüber bewahren, bis sie sich ganz sicher sein konnte. Denn im Grunde kannte sie ihren Begleiter ja kaum. Ebenso wenig wie er sie. Doch das sollte sich ändern! Wie bestellt fanden die beiden eine Steinbank vor, die ideal für sie geschaffen zu sein schien, um sich dort niederzulassen und um ein wenig plaudern zu können.


    „Gerne doch,“ willigte Graecina ein, nahm Platz und strich die Falten ihrer Tunika glatt. Der Libertinus Icarion besorgte den beiden zwei Becher mit verdünnten Wein, auf das sie miteinander anstoßen konnten. Sulamith postierte sich derweil im Hintergrund, jedoch in greifbarer Nähe. Der Custos tat es ihr gleich.
    Graecina nippte zunächst artig an ihrem Becher und nahm dann einen kleinen Schluck. Auch ihr schien das Getränk zu munden.


    „Oh, es gab einige, die mir gefallen haben. Doch besonders hübsch fand ich die Darstellung des Pygmalion und der Galatea,“ begann sie wieder plappernd zu antworten, ohne darüber auch nur einen Gedanken drüber zu verschwenden, wie ihr Gegenüber ihr Urteil aufnehmen würde. Die Skulptur, die den Bildhauer Pygmalion darstellte, der seine zum Leben erweckte Statue einer Frau umarmend küsste, hatte fast unscheinbar in einer Ecke gestanden, doch sie hatte die Iulia auf eine ganz skurrile Weise angesprochen. Die Möglichkeit, genau den Ehepartner zu finden, der exakt den eigenen Vorstellungen entsprach, war doch sehr verlockend. Wohl denen, die dem oder der „Richtigen“ begegneten. Doch was war mit jenen, die mit diesem Glück nicht gesegnet waren?


    „Und welche Statue konnte dich am meisten begeistern?“, fragte sie gleich darauf. Vielleicht konnte sie so dem Decimus eine Begründung für ihre Wahl schuldig bleiben. Doch ihr Begleiter wollte in der Tat noch mehr von ihr wissen. War dies ein gutes Zeichen? Mit Sicherheit war es das!


    „Oh, ich stamme aus Kreta. Die Familie meiner Mutter stammte von dort. Nachdem mein Vater noch vor meiner Geburt Rom den Rücken gekehrt hatte, ließ er sich mit meiner Mutter und meinen Brüdern dort nieder und übernahm dort das Landgut in Lappa und auch die Geschäfte des Handelshauses in Gortys. Ich wurde in Lappa geboren und verbrachte die ersten vierzehn Jahre meines Lebens auch dort. Nach dem Tod meiner Mutter sandte mich meine Tante nach Rom zu meinen Verwandten. Seit fast drei Jahren bin ich nun hier und genieße das Leben in der Großstadt und entdecke immer noch Neues, zum Beispiel diese wunderbare Werkschau, “ antwortete sie lächelnd, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. „Wenn ich mich recht entsinne gehörst du den Prätorianern an, nicht wahr.“ Um genauer zu sein war er sogar Gardetribun. Die kleine Sklavengöre, die ihm damals als Begleitung im Theater gedient hatte, hatte dies schließlich lautstark herausposaunt und damit einige der Anwesenden regelrecht in Schockstarre versetzt.

    Es war Graecinas Arglosigkeit geschuldet, dass sie so frei sprach und dabei keinerlei Hintergedanken damit verband. Diese Leichtigkeit hatte sie sich aus ihren Kindertagen zu Hause auf Kreta bewahrt. Sie kam immer dann zum Vorschein, wenn sie sich wohlfühlte oder die Gewissheit hatte, am rechten Platz zu sein. Und ganz eindeutig war hier beides der Fall.
    Dennoch war ihr dieser kleine Lapsus aufgefallen. Nun war nur zu hoffen, dass der Decimus nun nicht mit fliegenden Fahnen die Flucht ergriff. Nein, das tat er nicht! Er übersah großzügig ihren Übermut und fuhr mit ihrer Konversation fort über das Werk des großen Meisters, seine Kaufabsichten und über die Kunst im Allgemeinen.


    „Oh, ein Bukephalos! Sehr interessant! Ein vor Kraft strotzendes Pferd, welches sich vor seinem Herrn aus Freiheitsliebe ein letztes Mal aufbäumt, bevor er seinen Willen bannt. Eine grandiose Vorstellung!“ Mit diesem Bild vor Augen stellte sich Graecina die Zähmung des Bukephalos durch seinem Herrn, dem großen Alexander vor.


    Herausgerissen aus diesen Gedanken wurde sie von der Statue des Vogelmenschen. Sie kam nicht umhin, ihren Blick zu Sulamith zu lenken in deren Gesicht sie eine gewisse Abscheu erkennen konnte. Was musste in dem Moment in der Hebräerin vorgehen? So gerne hätte sie ihr beigestanden, denn sie wusste um ihre Verletzlichkeit. Wie gerufen kam dann Decimus‘ Vorschlag, sich nun der Kentauromachie zuzuwenden. „Sehr gerne! Ich bin schon sehr gespannt darauf,“ entgegnete sie begeistert.
    Jenes Werk hatte nun auch die Mehrzahl der Besucher angelockt, was es der kunstinteressierten Iulia zunächst etwas schwierig machte, das Werk ungestört zu bewundern. Doch Graecina war genügsam. Es lag ihr fern, sich vorzudrängen oder sich von ihrem Custos Platz schaffen zu lassen. Dies übernahm dann der Decimus höchstpersönlich, denn dieses Mal hatte er nicht sein verrücktes Sklavenmädchen dabei, die den Besuchern mit der Rache des Tribunus Cohortis Praetoriae hätte drohen können, wie damals im Theater.
    Ein verschämtes Lächeln zeichnete sich auf Graecinas Antlitz ab, als sie schließlich das Herzstück der Ausstellung in all seiner Pracht und Herrlichkeit sehen konnte. In der Tat war die Schlacht der Lapithen und Kenauren sehr kraftvoll. Gleichzeitig waren die Details der Darstellung sehr filigran herausgearbeitet. „Oh ja, geradezu ein Meisterwerk!“, bestätigte sie ihm. Ohne jeden Zweifel war die junge Iulia sehr beeindruckt und auch dankbar, dass sie hier sein durfte. Da ihr jedoch der literarische Hintergrund bekannt war und dadurch auch der der Anlass für diese unermessliche Schlacht zwischen dem Menschen und Tiermensch, wandte sie sich wieder unauffällig der Hebräerin zu. Doch dieses Mal schien sie die Darstellung nicht in gleichem Maße mitzunehmen, wie zuvor die des Kaineus. Sulamith hatte sich ihrerseits dem furischen Sklaven zugewandt. Zwar hielt sein Anblick die Erinnerung wach an jenen schrecklichen Abend. Doch war er es auch, der sie in gewisser Weise beschützt hatte, so gut es ihm eben möglich gewesen war.


    Während sich Iulias Blicke noch in den Einzelheiten des Reliefs verloren, schwenkte ihr Begleiter zu einem anderen kulturellen Lichtpunkt des heutigen Tages über. Es war der Sklave Tiberios, der die Besucher der Ausstellung mit seinem außerordentlichen Reichtum an literarischen Texten beglückte, die er fehlerfrei rezitieren konnte. Besonders aufmerksam fand sie es, als der Decimus diese Kunst mit einem kleinen Trinkgeld belohnte. Graecina pflichtete ihrem Begleiter bei und spendete dem jungen Sklaven ebenfalls einen Sesterz, sowie ein wohlwollendes Lächeln.
    Decimus indes schien ganz begeistert von den Fähigkeiten des Jünglings zu sein und schien echtes Interesse an ihm zu haben. Er schlug ihm eine gemeinsame Rezitation von Senecas Medea vor. Ausgerechnet Medea! Aber natürlich Medea! Letztendlich hatte sie sie zum ersten Mal zusammengeführt. „Der gute Tiberios verfügt gewiss über eine Menge Qualitäten. Eine gemeinsame Rezitation wäre zweifellos ein wunderbarer Genuss. Dennoch hoffe ich dieses Mal auf eine etwas unblutigere Variante.“, fügte Graecina scherzhaft hinzu.

    Seit dem Vorfall mit Sula vor gut einer Woche hatte Graecina nur selten das Haus verlassen. Sie wollte ihrer Freundin genug Zeit geben, um sich körperlich wie auch seelisch zu erholen. Zusammen mit ihrer Sklavin machte sie häufig Spaziergänge im Hortus. Dort zogen sie sich meist in eine Stille Ecke zurück und ließen die Seele baumeln. All das half ihrer Sklavin, wieder zu sich selbst zu finden und das Schreckliche, was sie erlebt hatte, zu vergessen. Die Iulierin war überzeugt davon, dass dies alles ihrer Sklavin guttat. Sie schien nicht mehr so blass zu sein und sie vielleicht irgendwann wieder das lebenslustige junge Mädchen sein würde, wie sie es vorher gewesen war.


    Von dem Trubel im Haus und den aufwendigen Vorbereitungen hatte die Iulia nichts mitbekommen, da sie sich mit Sula den ganzen Vormittag in ihren Räumen aufgehalten hatte. Zusammen mit Ancilla, jenem kleinen Mädchen, das Sulamith auf so heldenhafte Weise vor dem sicheren Tod gerettet hatte, begab sie sich nun hinunter in den Garten. Wie immer hakte sie sich dabei an Sulamiths Arm ein. Gemächlichen Schrittes, während das kleine Mädchen aufgeregt und freudestrahlend voran lief, betraten die beiden Frauen den Hortus. Graecina bemerkte sofort, dass etwas anders war als sonst immer. Die geschäftigen Sklaven, die innerhalb eines halben Tages fast den ganzen Garten umgestaltet hatten. Doch wozu taten sie das, was war denn hier los? Plante ihr Vetter etwa eine Art Aufführung? Und wenn ja, zu welchem Anlass? Gab es etwas zu feiern?
    Neugierig trat sie mit Sula im Schlepptau näher. Schließlich erkannte sie Iulia Phoebe, die scheinbar auch nicht so recht wusste, was sie von all dem hier halten sollte. „Salve, meine Liebe. Was ist denn hier los? Gibt es etwas zu feiern oder wird hier etwa ein Stück aufgeführt?“ Letzteres hätte sie natürlich äußerst erfreut, doch sie kannte ja die Aversion ihres Vetters gegenüber literarischen Höhepunkten. In diesem Punkt war er einfach ein Banause!

    Graecina war guter Dinge. Man hätte sogar behaupten können, sie war ausgelassen. Alles was sie sich von ihrem zukünftigen Ehemann gewünscht hatte, fand sie in Decimus Serapio vereint. Allerdings blieb da ein klitzekleines Detail übrig, bei dem der Decimus nicht kompatibel war. Das war ihr Glaube. Niemals durfte er es erfahren! Zumindest nicht vor ihrer Hochzeit, sollte diese denn zustande kommen. Später vielleicht. Vielleicht würde er sie verstehen können. Im schlimmsten Fall würde er sie dafür verstoßen oder sie gar ausliefern.
    Graecina war sich der schweren Zeiten bewusst, in der sie als Christin lebte. Seit geraumer Zeit schon verschlechterte sich die Stimmung gegen die Christen in der Stadt. Ein Funke genügte und die christliche Gemeinde würde in Flammen aufgehen. Doch an all das wollte sie heute nicht denken. Wie jedes junge Mädchen aus guter Familie hoffte sie darauf, eine gute Partie zu machen.


    Zu allem Überfluss war der Decimus auch noch ein Kunstfreund. Was hätte sich die junge Iulia noch mehr wünschen können? Sie würden stets ein Gesprächsthema haben, welches sie in all den Jahren ihrer Ehe begleiten würde. Nicht jede römische Matrone konnte von sich behaupten, dass sich ihre Interessen mit denen ihres Ehegatten deckten.


    „Oh, es ist der tanzende Faunus. Wenn du mich einmal in der Domus Iulia besuchen kommst, kann ich dir die Statue ja einmal zeigen.“ Sie errötete plötzlich, als sie darüber nachdachte, was sie soeben zum Besten gegeben hatte. Wenn er sie mal besuchen kam… aha?! Wenn sie so weiter plapperte, dann würde das wohl niemals geschehen. Trotz allem versuchte sie sich nichts anmerken zu lassen.

    „An welches Werk hattest du denn gedacht?“ Vielleicht wurde es ja hier im Atelier ausgestellt. Sie war schon sehr gespannt darauf, was sie in den Räumen des Meisters zu sehen bekam.
    Zunächst aber lernte sie erst einmal den jungen hübschen Begleiter des Decimus kennen. Der vermeintliche Sklave war ein Libertus und in der Tat verfügte er über einen exquisiten Geschmack!
    Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen Decimianus Icarion!“ Sie nickte ihm freundlich zu und wandte sich dann zu ihrer Begleitung um. „Dies ist Sulamith. Sie ist zwar meine Leibsklavin, doch ich sehe in ihr eher eine sehr gute Freundin.“ Einen Moment zögerte sie, dann wandte sie sich zu 'ihrem' Custos. "Und dies hier ist Angus, einer unserer Custodes." Den Custos wollte sie nicht außer Acht, auch wenn er nur ausgeliehen war.


    Sie betraten den Hof. Erst jetzt fiel Graecina der junge Mann mit dem Lockenkopf auf. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Allerdings konnte sie zunächst nicht einordnen, woher sie ihn kannte. Doch dann fiel der Groschen und sie erinnerte sich wieder. „Ist das da nicht Tiberios?“ Passend zum Thema der Werkschau trug er junge Grieche gekonnt Passagen aus Ovids Metamorphosen vor. Ihr war nicht ganz wohl bei dem Gedanken ihn hier wieder zu treffen, denn er kannte ihr und Sulamiths Geheimnis.* Doch noch mehr beunruhigte mich das erste Kunstwerk, zu dem wir schlenderten. Kainis verwandelt sich in Kaineus. Unweigerlich musste ich an Sula und an das denken, was ihr erst vor wenigen Wochen zugestoßen war. Im Gegensatz zu Kainis hatte sie sich nicht in einen Mann verwandelt. Doch ich hoffte, sie bewies nun die Stärke eines Mannes, wenn sie das Kunstwerk sah.
    „Oh ja, wirklich wunderbar!“, bestätigte ich dem Decimus und riskierte einen kurzen Blick auf die Hebräerin.


    Sim-Off:

    * wird hier noch weiter ausgespielt!

    Ja genau, überreif war er! Aber dafür auch noch ganz anzüglich, fand Graecina, die den Alten beobachtete. Sie hoffte, die nötige Dignitas aufbringen zu können, um vor ihm nicht wie ein zitterndes, in die Enge getriebenes Rehkitz dazustehen, wenn er sich zu ihr kehrte. Denn in solchen Momenten drohte oftmals ihre Scheu durchzubrechen.


    Doch als Onkel Antipater sich ihr zuwandte und seine Blicke auf sie warf, sie ansprach und schließlich noch einen Scherz machte, der allerdings nicht wirklich witzig war, hatte sie sich fest im Griff. In ihrem Augenwinkel bemerkte sie noch Phoebes Grimasse, die sie hinter dem Rücken des Onkels schnitt. Selbst das konnte sie nicht aus der Fassung bringen, obgleich sie am liebsten losgeprustet hätte.


    „Ganz recht Onkel Antripater, mein Vater war Paullus Iulius Triarius,“ bestätigte sie seine Vermutung. Seltsam, ihr Vater hatte nie von seinem Bruder gesprochen. Glücklicherweise war sie auf Kreta aufgewachsen. Von Sizilien bis dorthin war es dann schon noch ein Stück.

    Ihren Retter musste der Himmel geschickt haben. Diese Augen und dieses Lächeln konnten nur göttlicher Natur sein. Das zumindest glaubte Graecina das, als sie freudestrahlend auf ihn zuging. Denn auf diese Weise war sie wenigstens für eine Weile abgelenkt, bis jener Decimus hier auftauchte, mit dem sie sich eigentlich treffen sollte.
    Scheinbar war die Freude auch ganz auf seiner Seite, denn er begrüßte sie sehr herzlich, sogar mit Namen. Wie dumm dass sie seinen nicht kannte! Sula, die gute Seele, erinnerte sie sofort aus reinem Pflichtbewusstsein an ihr Treffen. Sie seufzte leise, denn eigentlich wollte sie ihrem Gegenüber schon wieder Lebewohl sagen, als dieser, scheinbar aus dem Nichts, einen wunderschönen Blumenstrauß hervorzauberte. Graecina war völlig überrascht, denn sie hatte bisher noch nicht viele Männer getroffen, die dazu spontan fähig waren. Glücklicherweise verfügte sie über eine rasche Auffassungsgabe und sie zählte eins und eins zusammen.
    „Ohh, sind die aber wunderschön!“ Die herrlichen bunten Orchideen und die wohlduftenden Rosen waren eine wahre Pracht Die Iulia nahm die Blumen entgegen und konnte sich kaum daran sattsehen. „Oh, du schmeichelst mir aber hab vielen Dank… äh Decimus…“ Wie lautete doch noch gleich sein Cognomen? Ach richtig „Serapio“. Sie sprach seinen Namen voller Wonne aus, denn sie hatte soeben begriffen, dass sie den Hauptgewinn gezogen hatte. Der Decimus war kein alter Tattergreis, wie Onkel Antipater! Na schön, er mochte vielleicht gut zwanzig Jahre älter sein, als sie selbst. Aber dafür sah er noch richtig knackig aus und bestimmt hatte er auch noch keinen Mundgeruch. Denn seinem Lächeln zu urteilen, waren seine Zähne noch gut intakt.


    Sie reichte den Blumenstrauß an Sula weiter, nicht nur damit sie sich auch noch daran erfreuen konnte, sondern dass sie wieder ihre Hände frei hatte. „Oh, der Familie geht es gut. Danke der Nachfrage. Mein Vetter Iulius Caesoninus wird in Kürze nach Germania reisen, um dort sein Tribunat abzuleisten.“ Und statt seiner war kürzlich Onkel Antipater auf den Plan getreten, der ihn in dieser Zeit vertreten sollte. Das bedeutete, ein ganzes Jahr würde er hier in Rom weilen, wenn ihn nicht vorher der Schlag traf.
    „Ich freue mich wirklich sehr, dass wir uns ausgerechnet hier treffen, denn ich liebe die Bildhauerei. Wenn ich mich nicht irre, befindet sich sogar eines von Dolios Werken in der Domus Iulia.“ Gewiss hatte ihr Vetter die Statue eines tanzenden Fauns aus der Werkstatt des Dolios nicht angeschafft, denn bisher hatte sie ihn eher als Kunstbanausen wahrgenommen.

    Herzklopfen war Graecinas Begleiter, als sie sich zur Werkschau im Atelier des Dolios begab. Sie trug heute ihre beste Tunika aus blauer Seide, in die feine Goldfäden gesponnen waren und ein wenig an Lapis Lazuli erinnerte. Das Haar war züchtig nach oben gesteckt und ihr Gesicht war dezent geschminkt. Der Goldschmuck ihrer Mutter rundete ihre Erscheinung ab.


    Selbstredend war sie nicht alleine gekommen, schließlich traf sie heute ihren potentiellen Ehemann. Damit ihre Sicherheit gewahrt wurde, hatte sie einen der iulischen Custodes mitgenommen, der ihr auf Schritt und Tritt folgte und ihr bei Gefahr beistehen sollte.
    Doch noch wichtiger war ihr Sulamiths Anwesenheit. Ihre Sklavin, die sich glücklicherweise wieder etwas erholt hatte, begleitete sie und hielt die ganze Zeit ihre Hand. Sie sollte als Anstandsdame fungieren. Ein gewisser Decimus hatte sie hierher eingeladen. Sie selbst hatte diese Einladung nicht zu Gesicht bekommen. Ebenso wenig, die Korrespondenz, die diesem Treffen vorausgegangen war. Aber so war es nun einmal Sitte. Umso mehr war sie nun gespannt darauf, wer dieser mögliche Hochzeitskandidat war und vor allen Dingen, wie er aussah. „Oh Sula, lass es keinen Tattergreis sein!“, hatte sie immer wieder der Hebräerin auf dem Weg zu dem Atelier zugeflüstert.


    Zumindest hatte er wohl Sinn für Kunst, gestand sie sich immer wieder ein. Hätte er sie sonst in das Atelier eingeladen? Dies hatte eine beruhigende Wirkung. Wenigstens hatte sie dann ein Gesprächsthema, über das sie sich unterhalten konnte. Doch falls der Heiratskandidat gar zu garstig war, konnte sie immer noch das stille Mauerblümchen geben, das kein Wort sprach.


    Zusammen mit ihren Begleitern betrat sie schließlich das Atelier des Künstlers. Wie sie feststellen konnte, war sie nicht die Einzige. Da war eine andere junge Dame, die nur ein oder zwar Jahre jünger war, als sie selbst. Außerdem erkannte sie, nachdem sie sich weiter umgeschaut hatte, ihren Retter wieder, der sie vor einiger Zeit im Theater zur Hilfe gekommen war. Er hatte sie aufgefangen, nachdem sie aufgrund der blutrünstigen Medea-Aufführung das Bewusstsein verloren hatte. In seinen Armen war sie wieder zu sich gekommen. Seine Augen waren es, in die sie als erstes geblickt hatte.
    „Ja, einer wie er müsste es sein!“, hauchte sie leise mit etwas Wehmut zu Sulamith. „Aber komm, lass uns ihm wenigstens guten Tag sagen, bevor der Decimus eintrifft.“ Zu schade, dass sie sich damals nicht nach dem Namen ihres Retters erkundigt hatte.


    Sie machte ein paar Schritte auf ihn und seinen Begleiter zu. „Salve! Wie schön, dass wir uns hier treffen!“

    Sula antwortete nicht. Stille umgab sie. Nichts als Stille, die bedrückend wirkte. Auch wenn Graecina die Tränen ihrer Freundin nicht wirklich sah, erahnte sie sie jedoch. Spätestens dann, als Sula ihr Gesicht in ihren Händen vergrub, konnte sie dessen sicher sein. Die Iulia setzte sich auf, rutschte etwas näher zu ihr und legte tröstend ihren Arm um sie. „Ach Sula, was kann ich nur für dich tun?“ Ob ihrer Hilflosigkeit war sie selbst den Tränen nahe. Doch die Iulia musste nun stark für sie beide sein. „Du sollst alle Hilfe bekommen, die du brauchst!“, entschied sie und sprang aus dem Bett. „Ich werde nach dem besten Medicus schicken lassen. Irgendjemand wird dir bestimmt helfen können!“
    Voller Aktionismus zog sie sich ihre Tunika über, trat aus ihrem Cubiculum hinaus und schnappte sich den erstbesten Sklaven, der ihr über den Weg lief. Das große Los fiel auf Breda, die sich gerade im obersten Stockwerk aufhielt. „Geh, und rufe einen Medicus! den besten ,den du finden kannst! Schnell, es eilt!“ Etwas erschrocken sah die keltische Sklavin die Iulia an und nickte dann zaghaft. „Ja Domina! Ich eile!“ Mit diesen Worten ließ sie alles stehen und liegen und machte sich auf den Weg.


    In weniger als einer Stunde war Breda mit einem Medicus zurückgekehrt, den sie zu Domina Graecinas Cubiculum brachte. Es handelte sich um einen älteren Mann, einen Griechen namens Hermogenes. Auf Graecinas Geheiß untersuchte er die Hebräerin gründlich. Außer einigen blauen Flecken und leichten Hautabschürfungen hatte er aber nichts feststellen können, was auf eine größere physische Verletzung hindeutete. Das, was die Hebräerin bedrückte, war eine Verletzung anderer Natur. Er empfahl Graecine, sich mit ihrer Sklavin zum Tempel des Aesculapus auf der Tiberinsel zu begeben, um Sula dort einem Tempelschlaf zu unterziehen. Nur so könne ihr noch geholfen werden.
    Greacina, die über diese Empfehlung nicht gerade glücklich war, sich allerdings auch nichts anmerken ließ, bedankte sich bei dem Medicus und zahlte ihm sein Honorar. Dann verschwand er wieder und ließ die beiden Frauen zurück.


    „Nein, nein, nein! Es muss eine andere Möglichkeit geben! Nicht zum Aeskulapustempel!“ Schließlich besann sie sich. Wollten die beiden Frauen nicht am Abend des nächsten Tages zu einer Versammlung der christlichen Gemeinde gehen? Doch, so war es! Dorthin musste sie mit Sula gehen, denn nur dort konnte sie Erlösung finden!