Geschwächt kauerte die Keltin auf ihrem Strohlager, an das sich noch nicht einmal mehr die Ratten heran trauten. Ob dieser Gedanken huschte ein leichtes Lächeln über Eireanns ausgetrocknete Lippen. Und wenn sie sich nicht irrte dann glühte ihr Körper noch immer. Die Urbaner sollten einen Medicus in ihre Zelle schicken. Oder wollten sie das die Dunkelhaarige in dieser Zelle starb? Auszuschließen wäre es zumindest nicht. Nicht nachdem was vorgefallen war und was man der jungen Keltin vorwarf. Als Eireann ihre Lippen öffnete, um ihre Stimme erklingen zu lassen, entwich lediglich ein krächzendes Geräusch. Sodass die Dunkelhaarige abrupt ihre Lippen zusammen presste und erschöpft ihren Kopf hängen ließ. Nein. Hier würde sie ohnehin niemand hören und so lehnte Eireann ihren Kopf gegen die steinerne Mauer und versuchte an schönere Zeiten zu denken. Zeiten in der sie noch keine Sklavin war und zusammen mit ihrer Schwester und den anderen Kindern durch die Wälder tobte. Dabei umspielte ein gar sanftes Lächeln die Lippen der Dunkelhaarigen.
Ihre Heimat war Caerwent, das die Römer in 'Venta Silurum' umbenannten. Ihr Vater war etwas ähnliches wie der Stammesfürst ihrer Gemeinschaft. Als Eireann geboren wurde, war ihr Vater überglücklich. Denn seine Gemahlin hatte bereits zwei Fehlgeburten hinter sich. Und die heilkundigen Frauen rieten ihr dringend es nicht noch einmal zu versuchen. Doch Muirne blieb stur und schließlich erblickte Eireann das Licht der Welt. Offensichtlich hatte Muirne ihren Sturkopf tatsächlich an ihre Tochter weiter vererbt. Denn Eireanns weinen erklang sogleich lautstark, kaum hatte die ältere Hebamme vorsichtig an Eireann gezogen. In warme Tücher gewickelt bekam Muirne die Neugeborene in die Arme gelegt. Nachdem Eireann ihren dritten Geburtstag erleben durfte, wurde ihre Mutter erneut schwanger und wurde nach neun Monaten von einer kleinen Tochter entbunden. Die kleine Sìne war ein wahrer Augenstern und das genaue Gegenteil der ungestümen Eireann. So war es häufiger die Jüngere die Eireann tadelnd anblickte und lediglich mit ihrem Kopf schüttelte. Und Eireann verstand.
Die beiden Mädchen wuchsen heran und wurden zum Hüten des Viehs abbestellt. Schafe und Ziegen weideten in extra angelegten Pferchen, als Tributzahlung an die Römer. Denn dieser keltische Stamm war nicht f r e i. Wie es sich einige der Kelten wünschten. Und abends an den prasselnden Lagerfeuern machte der eine und andere seinem Unmut über die Knechtschaft der Römer Luft. Zu dieser Zeit hielten sich die Frauen bereits in den Rundhäusern auf und kümmerten sich um den Nachwuchs. Schließlich war Schlaf so wichtig. Eireann jedoch, sie musste damals wohl um die sechs Jahre gewesen sein, schlich sich an die Feuer heran, an denen die Männer des Stammes saßen und lauschte ihren leidenschaftlichen, wenngleich ebenso aufrührerischen Reden. Auch von der Icenerkönigin Boudicca war die Rede und Eireann spürte wie ein eisiger Schauer ihren Rücken hinab rieselte. Lautlos schlich sie zurück in das Haus ihrer Eltern und konnte lange nicht einschlafen. Denn die Worte der Männer hallten noch äußerst lange in ihren Gedanken wider.
Als Eireanns Mondblutung das erste mal einsetzte und sie begann sich zur Frau zu wandeln, trat eines Tages ihr Vater an sie heran und eröffnete seiner Tochter, dass er sie mit einem jungen Krieger aus dem Stamm verloben würde. Sein Name wäre Cathal und er wäre ein ausgezeichneter Speerwerfer. Cathal, der junge Mann mit den gräulich schimmernden Augen, sollte ihr Ehemann werden. Eireann verbiss sich die Frage ob er mit dieser Verlobung übrreinstimmte. Ihr Vater war das Oberhaupt und ihm hatte sie zu gehorchen. In diesem Zeitraum zeigte sich auch zum ersten mal ihre Hellsichtigkeit. Erschrocken, gar panisch wirkte die junge Silurerin. Bevor sie von ihrer Mutter an der Hand genommen wurde und Muirne ihrer Tochter über diese Gabe erzählte. Es wurde immer von Mutter zu Tochter übertragen. Und manchmal konnte es tatsächlich einige Generationen überspringen.
Eireann verstand nicht was es bedeutete mit dieser Gabe gesegnet worden zu sein und erstarrte wie ein Reh, wenn sich der Speer des Jägers herab senkte. Allmählich schien sie sich jedoch damit arrangiert zu haben. Während sie mit einigen der anderen Kindern in den Wäldern tobte und spielte. Der junge Krieger Cathal war offensichtlich zu ihrer aller Schutz mitgekommen.
Wann immer Eireann ihren Blick aus dem Augenwinkel in seine Richtung gleiten ließ, bemerkte auch sie seinen Blick auf sich und erzitterte innerlich. Kein Wunder. Seine grau schillernden Augen erinnerten sie an die Augen eines Wolfes. Und auch seine Bewegungen wirkten lauernd und elegant zugleich. Offensichtlich war er zum Krieger geboren.
Am Abend von Samhain, wenn sich Lust und prickelnde Erregung miteinander paarten, saßen die beiden Verlobten auf einer hölzernen Bank, hielten sich an den Händen und sahen sich tief in die Augen. Denn Eireann hatte sich geschworen das sie nur dem Mann ihre Jungfräulichkeit schenkte, den sie auch von ganzen Herzen liebte. Und dies konnte nur ihr Verlobter sein. Zärtlich streichelte sie ihm über die Wange. Während er sanft ihre Fingerspitzen liebkoste. Doch mehr würde Eireann nicht zulassen und der Krieger mit den grau schillernden Augen verstand dies.
Den Morgen danach verbrachten viele des Stammes äußerst lange in ihren Hütten und keiner ahnte die drohende Gefahr. Noch nicht einmal die hellsichtige Muirne, Eireanns Mutter.
Plündernde Banden zogen durch das Land und stahlen das Vieh das zur Tributzahlung an die Römer gedacht war. Eireann hielt sich damals in den Wäldern auf, um Waldbeeren für den Frühstücksbrei zu sammeln. Als sie zurück in ihr Dorf kam, sah sie brennende Rundhäuser und die Leichen unzähliger Männer und Frauen. Zwar versuchten sich ihre Eltern in Sicherheit zu bringen. Doch starben sie beide röchelnd. Durchbohrt von Speeren. Ihrer Schwester gelang es zu fliehen. Und seitdem gilt sie als verschollen. Ihr Verlobter stellte sich tapfer den Banditen entgegen. Doch auch Cathal war der Übermacht nicht gewachsen, auch wenn er tapfer kämpfte. So verlor er doch diesen Kampf und das silbergrau seiner Augen brach. Eireann und einige andere Mädchen wurden gefangen genommen, um auf einem der Sklavenmärkte zum Verkauf angeboten zu werden. Seit diesem Tag brodelte in Eireann ein unversöhnlicher Hass auf die Römer. Wenn ihr Volk schon Tribut zahlte, wieso hatten die Römer ihr Volk nicht gerettet?
Mit hastig pochendem Herzen öffnete Eireann ihre fiebrig glänzenden Augen und starrte in das Dämmerlicht des Carcers. Ihre Traumreise in die Vergangenheit hatte sich plötzlich so real angefühlt. Wie konnte das nur möglich sein?