Tiberios hatte Terpander nichts Näheres sagen können, weil er nichts Näheres wußte. Er hatte nur den Eindruck von Gefahr, die näher kam und dachte, dem uninformierten und urbanem Tratsch abholden Terpander warnen zu müssen.
Aber die Antworten auf die Frage nach dem gemeinsamen Nenner zwischen all den Toten hatten weder Terpander noch dominus Scato.
Der junge Grieche saß an seinem Schreibtisch und zerbrach sich den Kopf.
Das er der vilicus des Handelshauses Furii gewesen war, bevor ihn domina Furia Stella zurück in die Casa beorderte, und dass er ab und zu nach Portus raus fuhr, um nach den Büchern zu sehen, das wussten nicht viele Leute. Wer immer ihn dort gesucht hatte, das musste jemand sein, den er genau in diesem Zeitraum gekannt hatte.
Tiberios machte sich daran, die Namen der Betreffenden in eine Wachstafel zu ritzen, es wurde eine kurze Liste:
- Alle domini der gens Furia
- Terpander
- Sisenna Iunius Scato
- Eireann
- Die drei Sklaven aus dem Handelshaus
- Viniciana Thula
- Nero Helvetius Archias
Die Furier schieden aus. Wenn sie Tiberios loswerden wollten, konnten sie ihn entweder verkaufen oder töten. Der junge Sklave hoffte aber sehr, dass er ihnen so nützlich war und sie ihn gerne mochten, so dass sie weder für das eine noch das andere eine Veranlassung sehen würden. Er strich sie durch.
Terpander: Scatos Sklave würde ihn ohne Zweifel selbst erledigen, wenn er das wollte. Aber warum sollte er so etwas wollen? Auch wenn er Tiberios ab und zu zu Tode erschreckt hatte, hatte er immer darauf geachtet, dass ihm nichts zustieß.
Das Gleiche galt für dessen Herren, dominus Scato. Als Tiberios den Römer das letzte Mal gesehen hatte, hatte er den Eindruck gewonnen, der Urbaner schätze ihn durchaus lebendig; Tiberios errötete etwas, als er daran dachte - und strich den Namen durch.
Eireann. Sie war schrecklicher Verbrechen beschuldigt gewesen und wieder frei gekommen. Nun gehörte sie Hairan alias Anis von Alexandria, der ein dunkles Wesen hatte, und sie schien zufrieden mit ihrem neuen dominus zu sein und ihm ergeben.
Vielleicht war Eireann ja genauso wie Hairan geworden und erfreute sich am Unglück anderer.
Tiberios‘ Hand zitterte, es schmerzte ihn, aber er musste ihren Namen stehen lassen.
- Die drei Sklaven aus dem Handelshaus. Sie hatten Gorgonus geschickt, ihn, Tiberios, zu warnen. Es hätte wenig von Logik, dass sie ihm Böses wollten.
- Viniciana Thula, eine freigelassene Dame, die Geschäftsbeziehungen mit Gnaeus Furius Philus hatte. Waum sollte sie etwas gegen dessen Sklaven haben? Durchstreichen.
- Nero Helvetius Archias: Der Mann war undurchsichtig. Mal Feind, mal Freund für Tiberios gewesen. Terpander hatte ihn als Wolf bezeichnet. Aber er war nur ein Tavernenwirt, dem Tiberios auch noch einen Gefallen schuldete. Trotzdem: Undurchsichtig.
Tiberios ließ ihn auf der Liste.
- Alle domini der gens Furia
- Terpander
- Sisenna Iunius Scato
- Eireann
- Die drei Sklaven aus dem Handelshaus
- Viniciana Thula
- Nero Helvetius Archias
Zwei Namen waren nicht durchgestrichen worden. Zwei Namen, die- das fiel Tiberios nun auf – eine Gemeinsamkeit hatten: Sie verbanden ihn, den unbedeutenden Sklaven mit dem ermordeten bedeutenden Römer Gaius Iulius Caesoninus.
Eireann war unter dem Namen Livia Caesoninus‘ Sklavin gewesen. Sie hatte sich mit Tiberios gemeinsam von Archias zur Arbeit heranziehen lassen, weil Tiberios die Zeche nicht bezahlen konnte, und Gaius Iulius Caesoninus hatte daraufhin Archias gedemütigt und gemaßregelt.*
Aber Tiberios hatte Archias nichts getan. Seine Idee mit dem Drohbrief, die hatte er nicht verwirklicht.
Wieder eine Sackgasse von Überlegungen.
Er hatte ihm nichts getan, aber wenn Archias geglaubt hatte, er würde es tun….?
Tiberios schaute die Liste an. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Er dachte an die Konsequenzen, die das haben konnte; neue Verhöre vielleicht, und jemand würde auf die Spur des Geschäftes kommen, dass er Archias vorgeschlagen hatte.
Ein einziges Mal in seinem Leben war er in Begriff gewesen, etwas Böses zu tun, um eine Frau zu retten, die es im nachhinein überhaupt nicht wert gewesen war. Was für ein fatuus, ein Narr war er gewesen! Aber er hatte am Ende der Versuchung nicht nachgegeben.**
Und doch – nur der Schatten eines Verdachtes würde zerstören, was sich Tiberios aufgebaut hatte. Das durfte nicht geschehen.
Domina Furia Stella, die so klug war, war weit fort. Dominus Appius Furius Cerretanus war der nächste Verwandte, aber er war ein Urbaner, und die unbarmherzige Gerechtigkeit der Hüter Romas würde mit einem Sklaven nicht nachsichtig sein.
Mit Eireann hatte man auch keine Nachsicht gekannt. In Tiberios Augen war sie einfach nur auf das siebenundzwanzigste Feld von Senet gekommen. ***
Kein Menschen interessierte sich tatsächlich für ihre Schuld oder Unschuld. Ihr Schicksal war für Tiberios eine Warnung.
Nein, es gab niemanden, dem Tiberios' Gedanken nützen, aber einige, denen sie schaden konnten - besonders ihm selbst.
Tiberios nahm die Wachstafel, ging in die culina zu den Penaten des Herdes.
Fast zornig warf er die Wachstafel ins Herdeuer und schaute zu, wie die Schrift schmolz:
Eireann
Nero Helvetius Archias
Tiberios würde schweigen über die beiden Namen auf seiner Liste. Hoffentlich würde Terpander, den einzigen, den er gewarnt hatte, seinem Herren oder dominus Lurco gegenüber auch schweigen.
Würde man Tiberios fragen, würde er künftig von einem error, nur einem Irrtum, sprechen. Aber Eireann würde er fragen, ob sie wüsste, wer seinen Tod wünschte.
Es vergingen einige Tage, bis er die Zeit fand, in die Subura zu gehen, um Eireann zu suchen. Wieder einmal war seine Neugier größer als Vorsicht und Angst.
>>> Das siebenundzwanzigste Feld
Sim-Off:*Konfrontation mit dem Wirt
**Abwege
***Senet, altaegyptisches Würfel-Brettspiel. Das 27. Feld = Wasser des Chaos, eine Spielfigur, die darauf zu stehen kommt, ist verloren.