Beiträge von Sisenna Iunius Scato

    Scato war inzwischen auch eingetroffen. Eine Stunde standen sie sich die Beine in den Bauch, ehe ein Kamerad vorbeikam.


    "Wollt ihr zu Octavius Maro?", erkundigte er sich. Als Scato nickte, zeigte der Kamerad mit dem Finger auf das kleine, verstaubte Schild, welches besagte: Officium - Cornicularius M. Octavius Maro. "Der ist kein Cornicularius mehr, sondern Centurio. Das ist sein altes Officium", erklärte er.


    Scato schlug sich stöhnend die Hand gegen die Stirn. "Mann, das gibt es doch nicht." Er packte Lurco am Arm und zog ihn zum richtigen Officium.


    Officium - Centurio Marcus Octavius Maro >>

    Scato blinzelte verunsichert. Er versuchte, zu begreifen, ob er sich gerade irgendetwas zusammenreimte. Sehr langsam sickerte durch sein Bewusstsein, dass Tiberios die Worte womöglich genau so meinen müsse, wie sie bei ihm angekommen waren. Eines klugen Mannes wie Tiberios würdig, während Scato sich gerade vorkam wie der letzte Trampel. Sein Hals war wie zugeschnürt.


    Scato konnte sehr viel reden, die meiste Zeit über sagte er dabei nichts. Seine endlosen Wortschwalle dienten dazu, die Stimmung durch Albernheiten zu heben oder die Leute auf Distanz zu sich zu halten. Man nahm an ihm war, was man hörte und das war oft Unfug, sah, wie er grinste. Dies war sein Schild, denn nur wenige kamen auf den Gedanken, dass sich dahinter ein ganz anderer Mensch verbergen mochte, der keineswegs immer guter Dinge war, der durch das Tal der Schmerzen gewandert war und dass ihm keinesfalls immer zum Lachen zumute war, wenn er lachte. Was hätte es genützt, wenn jemand dies wüsste? Doch Tiberios war einfach unter dieser Maskerade hindurchgeschlüpft und saß nun ganz dicht bei ihm, nicht nur phsysisch, sondern direkt an Scatos blanker Seele. Mit Worten, leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, berührte er ihn im Innersten und Scato lief ein Hitzeschauer die Flanken hinab, der Wohlgefallen und Angst zugleich verhieß.


    Tiberios hatte es geschafft, Scato mundtot zu machen. Um ihm zu antworten - und das wollte er unbedingt - musste er etwas tun.


    Scatos Hand fuhr in Tiberios´ Genick. Er griff ihn genau dort, wo der Hals endete. Sanft bog er seinen Kopf in seine Richtung, so dass ihre Gesichter einander zugewand waren. Das war anmaßend und es stand ihm nicht zu, in dieser Weise über das Eigentum eines anderen zu verfügen. Dennoch tat er es. Er würde ihm nicht weh tun, er wollte ihm etwas zeigen. Einige Augenblicke sah Scato ihm genau in die Augen, als würde er in ihnen suchen, was Tiberios gesagt hatte, eine Bestätigung dessen, dass er ihn richtig verstanden hatte. Dann bog er ihm den Kopf ein wenig nach unten und zur Seite, die Hand änderte ihren Griff und drückte Tiberios mit sanfter Gewalt gegen seine Brust, so dass der Grieche seinen beschleunigten Herzschlag hören konnte. Einige Herzschläge lang hielt er ihn so und ließ ihn lauschen. Scato strich ihm mit dem Daumen über die Wange, ehe er den Griff wieder löste, so dass Tiberios sich aufrichten konnte.


    Stumm wie ein Fisch und mit zusammengepressten Lippen sah Scato ihn an. Dann fing er sich wieder.


    "Nein, ich weiß nicht, was ein erastes ist ... ich dachte bisher immer, das sei ein Name." Gedanklich würgte er Terpander für diese weitere Lüge. "Und soll das heißen, du hast dich freiwillig als Sklave gemeldet? Du hast dich aus freien Stücken für dieses Leben entschieden?"

    Seine Gedanken auf diese Erklärung hin, das Gefühl des Triumphes inbegriffen, behielt Scato für sich. Stattdessen tat er, als wäre das für ihn nur eine Information am Rande. Er führte Lurco die Hauptstraße entlang durch die nächtliche Subura in Richtung des Forum Romanum. Auf einem Pflasterstein mitten auf dem Weg war schließlich ein Penis eingemeißelt, der mit seinem Kopf um die Ecke zeigte. An dieser Stelle bogen sie, der unmissverständlich angezeigten Richtung folgend, in eine besonders schäbige Seitengasse ein. Allein wäre es ihm hier doch ein wenig unheimlich gewesen. Personen lungerten an den Wänden herum und raunten etwas, manche traten auch in paar Schritte hervor, doch Scato wollte hier niemanden von der Straße klauben, sondern es sich mit Lurco und irgendeiner Person von dessen Wahl in einem Zimmer gemütlich machen. Also ging er betont desinteressiert dreinblickend und bisweilen "Nein, danke" sagend an ihnen vorbei.


    "Da ist es." Er zeigte auf einen beleuchteten Hauseingang, vor dem einige Leute herumstanden, die so taten, als wären sie Griechen. Oder vielleicht waren es auch welche, Scato wusste es nicht. Man lotste sie hinein und ein schlanker Mann im Lendenschurz, der eine Haartracht aus künstlichen schwarzen Locken und einem Stirnreif trug, kam herbei, um sie zu begrüßen. Darüber war Scato froh. Er hatte es lieber, wenn es einen persönlichen Ansprechpartner gab, als dass er von allein Seiten belagert und bedrängt wurden, während gierige Finger an ihm herumnnestelten und wohl eher seinen Geldbeutel als seinen anderen Beutel suchten.


    "Na dann, gib mal deine Bestellung auf", sagte er nervös und ließ Lurco vorgehen.

    "Ich hab nichts verschluckt", erklärte Scato reflexartig an niemand Bestimmtes gewandt und schaute sich um. Der bedauernswerte Tarpa gehörte zu denen, die sich den Finger in den Hals schieben durften und sich krümmten. Er war jedoch nicht der Einzige.


    Scato hob Lurcos Panzer auf, damit dieser hineinfahren konnte. Nun war er an dem Punkt angelangt, wo er begann, sich über das anschließende Reinigen der Ausrüstung und ihrer Körper Gedanken zu machen. "Wir nutzen in der Castra einfach ein paar Eimer", überlegte er laut. "Die halten wir gegenseitig über uns zum Duschen. So werden wir keine Eimer und Lappen mit Tiberbrühe einsauen."

    Komplimente war er nun überhaupt nicht gewöhnt. Er wünschte sich einen schlagfertigen Spruch, um die Situation zu entschärfen, doch ihm fiel keiner ein. So saß er nun und musste das Kompliment unverdünnt ertragen. Etwas verkrampft wirkte sein Gesicht, dessen Ausdruck erst nach einer Weile entfernte Ähnlichkeit mit einem Lächeln erkennen ließ.


    "Ich dürfte einen Sklaven haben", sagte er schließlich. "Jedoch gehe ich nicht davon aus, dass du bei mir in der Castra leben dürftest. Außerdem wäre es Vergeudung. Du bist Scriba, mehr noch, Vilicus und das in deinem jungen Alter! Jemand mit deinem Wissen sollte nicht in der Castra einem faulen Soldaten die Wäsche waschen. Auch als Sklave kann man in Wohlstand leben und Ansehen erlangen und das wirst du, Tiberios. In dir schlummert mehr, als du heute ahnst und definitiv etwas anderes als ein gewöhnlicher Hauhaltssklave. Dein Herr hat einen Rohdiamanten für einen Spottpreis gekauft, den die Erfahrung schleift und verfeinert. Es ist kein Wunder, dass dein Herr dich nicht verkaufen will. Das würde ich auch nicht tun."


    Die Argumente galten nicht nur Tiberios, sondern auch dazu, Scato selbst davon zu überzeugen, dass der Grieche nichts in seiner Obhut verloren hatte. Scato musste sich wirklich zusammennehmen. Was schöne Frauen bei manchem Kameraden bewirkten, schaffte in seinem Falle der Grieche. Um dem entgegenzuwirken, sollte er nun aufstehen, irgendwas Lässiges zum Abschied sagen und einfach gehen.


    "Ich würde dich gern besitzen", gestand er stattdessen düster.

    "Der Preis war Betrug", lachte Scato und knuffte ihn zurück. Mit einem Schluck leerte er seinen Wein und stellte die Schale wieder auf den Thresen.


    "Ich hatte mich im Magnum Momentum danach erkundigt, woher sie diesen ... jetzt habe ich seinen falschen Namen vergessen ... von wo sie ihn herbeordert hatten und so führte die Spur zum Ganymed. Komm, trink aus, ich bringe uns hin, bevor uns die Füße festfrieren. In welcher Taberna warst du denn ohne mich?" Eine kleine Ecke in Scatos Hirn fühlte sich verraten, obwohl er ja selber auch ab und zu allein unterwegs war. Nun, Gefühle waren bekanntlich nicht immer logisch. Er wartete, bis Lurco so weit war und gab den Weg vor.


    "Den vorbildlichen Zustand der Reinigungsutensilien verdankst du übrigens Tarpa und mir."

    "Wenn ich nicht wöllte, dass du dabei bist, würde ich dich nicht einladen, sondern allein gehen, oder?", gab Scato zurück. Aufgrund seiner Nervosität sprach er etwas schnell. "Ich habe uns schon ein Lupanar rausgesucht. Ganymed. Es ist jenes, von welchem sie an besagtem Tage deinen Germanen herbeigeholt haben, dort haben sie auch Griechen, vermutlich war dein Germane in Wahrheit einer. Die Preise sind nicht halb so astronomisch wie die im Magnum Momentum, den gleichen Mann hättest du vor Ort für einen Bruchteil des Preises bekommen. Die haben uns schön über den Tisch gezogen."

    Der heiße Wein war wohltuend. Er nahm Scato die Angst, ohne ihn wirklich trunken zu machen. Nein, diesmal gab es keine feige Flucht in die Tiefen des Rauschs. Mehr als eine kleine Hilfe zum Auflockern würde der Alkohol heute nicht sein.


    "Erinnerst du dich an unser Gespräch in den Gärten von Maecenas, Lurco?" Scato beobachtete aufmerksam das Gesicht seines Kameraden hinter der Tasse. Die Themen, die sie dort besprochen hatten, waren sehr persönlicher Natur gewesen. "Ich möchte es gern noch einmal versuchen. Diesmal richtig. Und ich wollte dich fragen, ob du dabei sein wirst?" Scatos Hals fühlte sich trocken an, während seine Finger immer feuchter wurden. "Es ist eine Einladung."

    Scato reichte Lurco den ersten Becher und nahm dann den zweiten für sich entgegen. Die Garküchen an den Hauseingängen der Subura waren preiswert und manchmal sogar gut. Er schloss die kalten Finger um den Becher mit heißem Gewürzwein. Obgleich es dem Kalender nach Frühling war, fuhr der Winter noch einmal ungebremst hinab auf die Urbs Aeterna. Flocken setzten sich auf ihren wollenen Überwürfen ab. Es war dunkel, von den Öllampen auf der Theke abgesehen.


    Scato hatte Lurco trotz des Wetters dazu überredet, mit ihm nach Dienstschluss in die Subura zu gehen. Seinem Freund fiel in der Castra Praetoria die Decke auf den Kopf und seine Laune wechselte zwischen mürrisch und verzweifelt. Andere freuten sich über die Ruhe in der Stadt, aber Lurco hätte lieber ein paar Verbrecher vermöbelt. Scato bereitete das große Sorgen und er hatte fieberhaft überlegt, wie er ihn aufmuntern konnte, bis ihm die Idee für den heutigen Ausflug gekommen war. So gedachte Scato, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Auch ihm lag etwas auf dem Herzen und das wollte er mit Lurco nur außerhalb der Mauern besprechen. Allerdings hatte er das noch nicht zur Sprache gebracht.


    Die Gehsteige waren um diese Uhrzeit voller Menschen. Auf den Straßen donnerten die schwer beladenen Fuhrwerke entlang, die erst nach Sonnenuntergang in die Stadt fahren durften. Die Wege waren schmutzig unter ihren Sandalen, doch der meiste Unrat war gefroren. Scato rückte dicht an Lurco heran. "Bereit für eine Schandtat?", raunte er mit einem aufmunternden Grinsen, wobei sich Dampf vor seinem Mund bildete.

    "Ausnutzen? Ich besteche dich mit Essen, damit du ein wenig Zeit mit mir verbringst und du sprichst von Ausnutzen? Oder willst du mir damit in deiner Sprache sagen, dass ich dich nerve?" Scato blinzelte ihm amüsiert zu. Was für ein putziges Persönchen.


    "Du hast Recht, den Herrn und seine Verwandten solltest du nur dann kontaktieren, wenn du wirklich um deine Gesundheit fürchtest. Jemand, der seine Leute anschwärzt, macht sich in der Regel nicht beliebt. Aber es gibt Fälle, wo das seine Berechtigung hat. Eine Runde Wein und ein Besuch im Lupanar würde womöglich das harte Herz des Gorgonus erweichen. Wenn er sonst nie jemandem was tat, hört er sich für mich einfach wie ein unsensibles Grobholz an, vielleicht ist er sogar ein anständiger Kerl, zumindest scheint er kein wirklicher Fiesling zu sein. Vielleicht trifft sogar das Gegenteil zu und er ist ein verkapptes Sensibelchen - womöglich hat er Angst, dass er nun, da du da bist, unter die Räder kommt und all seine geleistete Arbeit nichts mehr gilt? Manche reagieren auf Angst mit Zorn. Als Wächter kann man natürlich kein Lämmchen einstellen, so wenig wie einen Kämpfer als Scriba, das muss man bedenken. Böse muss der Gorgonus deswegen nicht sein, bloß weil er rummuffelt. Von daher finde ich deine Idee, es mit der Einladung zu probieren, ziemlich gut! So kannst du herausfinden, woran du bei ihm wirklich bist."


    Scato zögerte. Er würde Tiberios gern noch etwas sagen, doch er schaute auf seine leere Schüssel, in der noch ein paar Kräuter klebten.


    "Ich finde es spannend, dass du als Sklave nun lernen musst, Verantwortung zu tragen und Anweisungen zu geben. Bei mir ist es umgekehrt. Als Tiro sind mir nun plötzlich alle Hände gebunden. Mein Leben gehört mir nicht mehr, es gehört dem Kaiser. Viel mehr Freiheiten als du habe ich im Moment nicht. Mein Tagesablauf ist minutiös durchgeplant, ich kann gezüchtigt werden für Fehlverhalten. Ich lerne Demut ohne Widerspruch und Respekt. Niemand nimmt mir meine alltäglichen Arbeiten mehr ab, wie rasieren oder Wäsche machen und wenn doch, dann nur aus Freundlichkeit. Ich kann nichts mehr befehlen, nur um etwas bitten und im Zweifelsfall muss ich damit leben, dass mich ein Nein erwartet und alles selbst tun. Der einzige Unterschied zwischen uns beiden ist im Moment, dass ich meine Situation selbst gewählt habe und du in deine hineingeboren wurdest."

    Scato legte den Löffel in die halb leere Schüssel und dachte nach.


    "Die Sache ist vertrackt. Der Mist ist, dass ich als Urbaner rein gar nichts für dich tun kann. Die Schlichtung von Streits zwischen Sklaven ist Sache des Herrn oder dessen Stellvertreter. Nur dumm, wenn der Stellvertreter selbst mit dem Streit zu kämpfen hat. Vermutlich ist Gorgonus nur ein wenig stinkig, er muffelt pro forma herum und beruhigt sich irgendwann wieder. So läuft das meistens. Es gibt allerdings einen von zehn Fällen, wo es nicht bei Drohungen bleibt. Ist Gorgonus denn schon einmal auffällig geworden in der Hinsicht? Wenn er wirklich einen Unfall planen würde, hätte er dich vermutlich nicht gewarnt - es sei denn, er ist eine völlig von seinen Affekten gesteuerte Hohlbirne. Dann kommt man mit Vernunft nicht mehr weiter, dann brauchst du wirklich Hilfe und der Kerl braucht eine auf den Deckel oder muss weg. Wobei ich mich widerum frage, warum dein Herr so jemand unzuverlässigen kaufen und dann auch noch behalten sollte. Andererseits sind Menschen nicht immer logisch."


    Immerhin hatten auch notorische Nervensägen wie Eireann und Grian einen Besitzer. Völlig abwägig war es also nicht, dass der Herr genau wusste, wen er da gekauft hatte und ihn trotzdem behielt. Einmal mehr sehnte Scato sich nach seinem guten alten Terpander. Der hätte mit Gorgonus reden können, so von Sklave zu Sklave. Er wäre wehrhaft genug, um sich nicht einschüchtern zu lassen und gleichzeitig alt und gelassen genug, um Provokationen an sich abperlen zu lassen. Leider war Terpander nicht hier und würde es auch nicht sein. Und vielleicht war das einer der Gründe, warum Scato so unstandesgemäß an dem kleinen Griechen hing. Natürlich wusste er, dass Tiberios ihn nicht zu interessieren hatte, weil er ihm nicht gehörte. Doch es gelang Scato nicht, ihn einfach als irgendeinen Sklaven zu betrachten. Das war er nicht für ihn. Früher oder später würde das zu Gerede führen, dessen war Scato sich bewusst. Aber bei ihm war Scato nicht in der Lage, die Distanz zu wahren, die angemessen gewesen wäre. Stattdessen verspürte er den Wunsch, sie endgültig beiseite zu fegen. Er wollte keine Distanz, er wollte Tiberios besitzen. Und der Gedanke, das nicht zu können, machte ihn wütend.


    Er stupste ihn an, um das finstere Schweigen zu brechen, in das er verfallen war. Er wollte doch nicht mehr grübeln. "Schau nicht so traurig, hm? Und vergiss nicht, zu essen." Scato schaufelte ebenfalls noch etwas Fleischeintopf, da Essen im Allgemeinen beruhigte. So war es auch diesmal. Als die Schüssel leer war, ging es ihm wieder besser.


    "Gibt es einen Verwandten deines Herrn, der mit Gorgonus mal reden kann? ", fuhr er fort, nachdem er den letzten Bissen runtergeschluckt hatte. "Da Gorgonus ein hart arbeitender Mann ist, denke ich, kann man durchaus an sein Pflichtgefühl appelieren. Aber dich so allein wieder in die Höhle des Löwen zu deiner Hinrichtung spazieren zu lassen ... da dreht sich mir, offen gestanden, der Magen um bei dem Gedanken."

    Tief empfundenes Mitleid fand seinen Weg an die Oberfläche und spiegelte sich in Scatos Gesicht. Tiberios, der fleißige und brave Lockenkopf mit dem zarten Gesichtchen - verhauen, gequält und gedemütigt von diesem riesigen grobschlächtigem und bösartigen Muskelprotz! Zumindest war es das, was Scato sich gerade ausmalte. Sogar das Stimmchen versagte dem kleinen Griechen. So garstig Scato bisweilen auch werden konnte, wenn jemand Recht und Gesetz nicht anerkannte, bei einer so liebenswerten Person wie Tiberios zerfloss er förmlich vor Bedauern. Vermutlich, weil der Grieche einfach nur niedlich war und nichts, aber auch gar nichts Unrechtmäßiges von ihm ausging.


    "Der erste Weg wäre natürlich, mit Gorgonus zu reden. Eine Einladung zum Essen, bei der du dich allen Sklaven in ungezwungener Atmosphäre vorstellst, am besten mit viel Alkohol, wäre für den ersten Tag gut gewesen, um sich zu beschnuppern. So bist du da einfach reingeplatzt und hast die in Abwesenheit des Herrn ausgekasperte Rangordnung über den Haufen geworfen. Obendrein wird ihm nun der Sack drücken, nachdem du sein Liebchen verjagt hast. Das macht die Meisten nicht freundlicher. Du bist jünger, du bist kleiner und du bist dort allein. So lange Gorgonus dich nur ignoriert", Scato schob das gedankliche Bild beiseite, auf welchem der Grobklotz den wehrlosen Tiberios gegen eine Wand donnerte, "aber deinen Anweisungen nachkommt, ist es in Ordnung und die Sache ist noch zu retten. Bleibe ruhig, körperlich sitzt er am längeren Hebel. Hat er dich bedroht? Oder schlimmeres?"


    Scato musterte Tiberios von Kopf bis Fuß auf der Suche nach Blutergüssen, Kratzern oder Würgemalen. Trotz seines Hinweises, dass ein Gespräch die beste Lösung wäre, wusste er nur zu gut, dass es Menschen gab, die nur die Sprache der Gewalt sprachen. Und diese verstanden einen nur, wenn man in der selben Sprache antwortete. Wenn Gorgonus so einer war, dann saß Tiberios bis zum Hals in der Scheiße.

    Während Lurco auf Knien verschnaufte, stand Scato mit den Knöcheln und vor lauter Ekel abgespreizten Fingern noch immer im Tiber. Seine Lippen waren blau und er klapperte vor Kälte, während Ramnus sich mit den Fingern die Nase schnaubte und lediglich etwas gerötet wirkte. Mehr Masse war in dem Fall von Vorteil. Ramnus nahm neben Lurco Platz, während Scato noch immer dastand wie angewurzelt. Er fragte sich, ob es flüssige Miasmen gab und war in dem Moment der hundertprozentigen Überzeugung, dass es so sein müsse. Lurco war sogar kurzzeitig mit dem Kopf untergetaucht - womit er Scato ziemlich erschreckt hatte - und hatte sie in die Augen, Ohren, in die Nase und vermutlich sogar in den Mund bekommen. Der musste dann mehr als gründlich in den Thermen baden, am besten sie alle! Steifbeinig drehte Scato sich um und pinkelte, um seine Harnröhre auszuspülen, ehe er sich auf die andere Seite von Lurco plumsen ließ.


    "Jaaa, alle sind hier. Und wir haben es überlebt", ergänzte er, während er sich zitternd umschaute. Die übrigen Kameraden wrangen auch ihre Tunikas aus, einige lachten erleichert, andere grummelten mürrisch. Aber jeder einzelne hatte es ans Ufer zurückgeschafft. "Seht es mal so", plauderte Scato mit klappernden Zähnen, "wenn in der Subura nun jemand einen Pisspott über uns auskippt, kann uns das ab heute so was von egal sein. Was ist das bissen Unrat schon gegen ein Ganzkörperbad im Tiber?" Mit vor Kälte verzerrtem Gesicht verkniff er sich ein Feixen, da Maro es nicht mochte, wenn in seiner Gegenwart ein Tiro lachte. Das hatte er gleich am ersten Ausbildungstag gesagt.


    Der erste Ausbildungstag ... viele Wochen waren seither vergangen. Das Bad im Tiber war ihre letzte Ausbildungseinheit gewesen. Und jetzt wurde Scato etwas bang ums Herz, denn nun erwartete sie die Auswertung, ob sich die ganze Plackerei gelohnt hatte, ob die Cohortes Urbanae sie gebrauchen konnte, ob sie bestanden hatten, ob sie als Miles taugten. Entweder würden sie das jetzt sofort erfahren oder später auf dem Exerzierplatz, doch nun gab es keine Möglichkeit mehr, irgendetwas zu korrigieren. Was geschehen war, war geschehen und was getan war, war getan.


    Mit bangem Blick schaute er in Richtung des Centurios. Er tippte Lurco an und erhob sich. Vermutlich würde es Maro nicht mögen, wenn sie gemütlich saßen, während er stand.

    Scato schaute nach einer Sitzgelegenheit und fand sie in Form einer Treppe. "Da können wir uns zum Essen hinsetzen", fand er und tat genau das. Seinen neuen Topf stellte er an sein Fußende, damit ihn niemand klaute. "Du meinst, das Miasma kann sich auch in Decken und Kleidung verfangen? Das ist gar nicht gut! Dann wäre es umso wichtiger, dass man es aus der Latrine herausbekommt. Sonst schleppt man das ja mit der Tunika mit in die Baracke. Kann man das aus Stoffen wieder herauslösen durch Waschen oder Ausräuchern?"


    Als Tiberios sich entschuldigte, stupste Scato ihn mit dem Ellbogen an. "Hey, wir unterhalten uns. Dazu gehört notgedrungen, dass du redest. Sonst wäre das eine recht einseitige Unterhaltung. Lass es dir schmecken!" Er angelte sich ein großes Fleischstück aus seinem Eintopf und kaute es genüsslich. Sehr gut, ganz zart, nicht fasrig. "Wenn du zum Vilicus gemacht wurdest, warum meinst du, dass du dem in dich gesetzten Vertrauen nicht gerecht wirst?", hakte Scato nach, als er heruntergekaut hatte. "Ehrlich, du siehst heute zerknautscht aus. Schmuck, aber zerknautscht."

    So, wie er Tiberios zu kennen glaubte, war dessen vorsichtige Andeutung seiner eigenen angeblichen Mängel in Wahrheit die Umschreibung einer totalen Katastrophe. Wenn Tiberios einem sagte, seine Lunge würde ein klein wenig kratzen, weil er von schwächlicher Konstitution sei, konnte man sicher sein, dass er von einem Vulkanausbruch sprach, der ihm mit seinen heißen Dämpfen die Lungen verbrannte. Wenn er sagte, sein unvollkommener Fuß würde ein wenig zwacken, faulte ihm das Bein weg. Und wenn er sagte, er würde dem in ihm gesetzten Vertrauen nicht gerecht ... ja, was war dann?


    "Mit den neuen Klamotten siehst du richtig schmuck aus. Zu was bist du denn aufgestiegen? Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, zum paedagogus? Oder zum magister ludi? Schreiben und kluge Dinge erzählen kannst du ja. Aber du hörst dich gar nicht glücklich darüber an. Was ist denn los?", fragte Scato besorgt.


    Er brachte Tiberios zu einer Caupona, einer Garküche, die er schon zuvor erspäht und sich vorgemerkt hatte. Sie war eingebettet in einen langen, zur Straße hin offenen Raum und endete mit einer L-Förmigen Verkaufstheke. Aus großen Amphoren, die direkt in die gemauerte Theke eingelassen waren, schenkten zwei Sklaven die dampfenden Gerichte aus. Anhand des Menschenandrangs und des Dufts schlussfolgerte Scato, dass es hier lecker schmecken müsste.


    "Such dir was aus und wehe, du nimmst mit Absicht irgendwas Preiswertes. Schau mal, sie haben hier sogar Fleischeintopf. Der sieht gut aus. Oder magst du Kuchen? Scheint gefüllt zu sein, sieht saftig aus."


    Fleisch war eines der Dinge, bei denen in der Castra ziemlich gegeizt wurde. Er für seinen Teil würde darum den Eintopf wählen. Um die Wartezeit in der Schlange ein wenig zu verkürzen, erzählte er weiter.


    "Was ich für Qualifikationen brauche, weiß ich nicht, darum wollte ich ja mit meinem Centurio, reden. Ich vermute eine theoretische Ausbildung und dann auch eine praktische im Valetudinarium. Der Optio da ist ziemlich nett und hat Humor, mit dem kann ich mir das gut vorstellen. Verbesserungsvorschläge habe ich viele! Zum einen eine Wasserspülung in den Latrinen. Die werden zwar regelmäßig ausgehoben, aber die liegen mitten in der Castra und stinken besonders im Sommer alles voll! Miasmen sagen dir sicher was. Das kann nicht gut sein. Außerdem benutzen manche dort die Xylospongia zum Abwischen der Sitzflächen, was sie schmutziger macht als vorher. Der Nächste setzt sich dann in die breitgeschmierte Scheiße. Da muss eine einheitliche Regelung her, als Tafel an die Wand, dass man so was nicht macht!"

    "JAWOHL", kreischte Scato zusammen mit den anderen. Nicht einmal die Tunika durften sie ausziehen, die konnte er hinterher wegwerfen und von seinem Sold ersetzen. Was erbrachte man nicht alles für Opfer! Er wandte sich Lurco zu, um ihm aus dem Panzer zu helfen. Dann ließ er sich selber aus seinem befreien. Alles, was keine Tunika war, landete auf einem Stapel, auch der Gürtel, so dass seine Tunika nun an ein knielanges Nachthemd erinnerte, das um seinen dünnen Körper herumschlackerte. Wobei, so dünn war er gar nicht mehr, jetzt, am Ende der Ausbildung. Er guckte kurz seine Arme an, freute sich, verglich sie mit denen von Lurco und hörte auf, sich zu freuen.


    Es war wohl am besten, sich für diese Übung besonders dicht bei Lurco zu halten. Scato tastete an seinem Hals nach dem unanständigen Anhänger, den sein Kumpel ihm geschenkt hatte. Während jedes einzelnen Tages hatte er ihn getragen, seit Lurco den Knoten in seinem Nacken geschlossen hatte. Er überlegte, ob er ihn nun abnehmen sollte, damit das Geschenk nicht in Berührung mit dem Ekelwasser kam, doch entschied sich dagegen. Das hier war ein Glücksbringer, es wäre töricht, ihn ausgerechnet jetzt abzulegen. Er blieb ganz dicht an Lurcos Seite. Der sah mit seinen ganzen Muskeln aus, als könne er hervorragend schwimmen. Für seine andere Seite krallte Scato sich Ramnus, der war schön kompakt und Fett schwamm bekanntlich gut.


    "Bereit?", wisperte Scato seinen beiden Kameraden nervös zu.


    Dann ging er langsam in das widerliche, eiskalte Wasser. Als er bis zur Hälfte der Oberschenkel im Tiber stand, blieb er kurz stehen. "Och NÖ!", rief er halb wütend, halb verzweifelt. "Der ist auch so schon so klein!" Tapfer ging er weiter. "Weißt du was, Lurco", plauderte er, um sich und seine Kameraden vom aufsteigenden Ekelwasser abzulenken, "die Griechen haben für solche Anlässe den Kynodesme erfunden. Das ist ein schmaler Riemen, mit dem man ein Schleifchen um seine Vorhaut macht, damit sie nicht zurückrutscht. Das gilt da als extrem peinlich! Hat mir Terpander erklärt. Aber für solche Anlässe wie heute wäre so ein Ding auch nicht schlecht. So als Sperre, weißt du?" Er hatte es bis zum Bauchnabel in den Tiber geschafft und wünschte sich exakt so ein Schleifchen. "Wir hätten einen Lederriemen von der Rüstung nehmen können", laberte er weiter, während er bis zur Brust ins Wasser watete.

    Scato freute sich, weil Tiberios sich dermaßen freute. Diese gute Stimmung war einfach ansteckend; ihm gefiel das positive Gemüt des jungen Griechen.


    "Schön, dich zu sehen, Tiberios", gab er zurück. "Es ist Mittag und du bist hungrig. Jeder ist das um diese Zeit. Ich schulde dir noch eine Einladung. Sobald du dich für einen Topf entschieden hast, suchen wir uns etwas leckeres zu Essen."


    Er hob den Goldtopf. "Ich nehme den hier." Nachdem der Topf bezahlt war und den Besitzer gewechselt hatte, beantwortete Scato Tiberios seine Frage. "Mir geht es gut, ich bin fast durch mit der Ausbildung. Nur, wie es danach weitergehen soll, weiß ich noch nicht. Ich wollte mich von meinem Centurio beraten lassen, aber er ist ein vielbeschäftigter Mann, so dass es sich noch nicht ergeben hat. Mir schwebt eine Zusatzqualifikation als Miles Medicus vor. Vielleicht sogar irgendwann Optio Valetudinarii, falls ich dazu tauge. Mich interessieren Gesundheitsthemen und es gibt viel Verbesserungsbedarf, wo ich mich gern nützlich machen würde. Lurco ist ebenfalls fast fertig mit der Ausbildung und hat vermutlich in jeder einzelnen Disziplin Bestnoten. Ihn interessieren die Reitereinheiten, aber ich glaube, die gehören zu den Prätorianern. Da weiß ich nicht, ob man da so einfach von den Urbanern aus einsteigen kann, das müssen wir noch herausfinden."


    Er wartete darauf, dass auch Tiberios seinen Topf kaufte. "Und du? Wie geht es dir? Du wirkst ein wenig blass, oder liegt das an der komischen Sonne heute?"

    << Baracke VII


    Scato war derjenige, der beim Astragaloi verloren hatte. So war es an ihm, den Topf für ihr Contubernium zu besorgen, damit nicht jeder nacheinander einzeln kochen musste, sondern alle gemeinsam ihre Mahlzeit zubereiten konnten. Das würde sehr viel Zeit und Abwasch sparen. Er entdeckte einen Topf, der ihm gefiel: Hübscher Topf Das Material war vermutlich irgendeine Legierung, gelb glänzend, fast golden. Das sah schön aus und zudem war der Topf ausreichend groß für je eine üppige Mahlzeit für acht ausgehungerte Urbaner. Der stabile Henkel sorgte zudem dafür, dass man den Topf auch aufhängen und gut herumtragen konnte.


    Doch noch jemand beäugte die Töpfe. Scato seinerseits beäugte nun ihn. Den kleinen Lockenschopf kannte er inzwischen gut genug, um ihn sofort zu erkennen, wenn er in sein Blickfeld geisterte, was er offenbar öfter zu tun gedachte. Erst die Thermae Agrippae und nun der Markt. Was für ein hübscher Zufall. Scato konnte sich einen kleinen Scherz nicht verkneifen. Er stellte sich ganz dicht hinter Tiberios, dann stupste er ihm mit beiden Knien in die Kniekehlen, so dass seine Beine zusammenklappten. Sofort griff Scato ihm unter den Arm, damit er nicht stürzte.


    "Hoppla", sagte er. "Wie gut, dass du mich hast."

    Scato feixte, den Witz fand er komisch. Tarpa weniger, seinem frostigen Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Scato konnte das nachempfinden, das Xylospongium war ein sehr sensibles Thema. Als sie beide jedoch erneut zum Latrinenputzen verdonnert wurden, verrutschte Scatos Grinsen. Sie sahen Cerretanus nach, als er die Latrine verließ und warteten, bis er außer Hörweite war.


    "Sag mal, darf der uns das befehlen?", erkundigte Tarpa sich.


    "Der ist Miles, wir sind Tirones. Sachlage klar."


    "Nur, weil man sich sorgt. Das ist doch Scheiße", empörte Tarpa sich, woraufhin Scato lachte.


    Sie beendeten ihre Sitzung und holten einmal mehr die Reinigungsutensilien.


    "Immerhin", plapperte Scato vor sich hin, während er mit einem Lappen auf der linken Seite losputzte, "hat er nichts von Scheiße schippen gesagt. Wenn jeder eine Seite macht, sind wir ganz fix fertig."


    Tarpa machte sich daran, die rechte Seite zu reinigen. "Da gibt es auch nichts zu schippen, ihr habt die Grube ja mehr als gründlich ausgehoben. Das Wasser für die Kackschwämme sollten wir dann auch noch wechseln, denk mal mit dran."


    "Man könnte einen balsamischen Badezusatz hineingeben", sinnierte Scato, "irgendwas, das duftet und pflegt."


    "Und die verdammten Lappen wälzen wir ihn Löschkalk."


    "Oder wir legen sie nachts raus, damit sie gefrieren."


    "Ja, da können die Lappenliebhaber meißeln statt wischen."


    Vor sich hinlästernd putzten sie die Latrinen, bis sie glänzten. Natürlich blieben die Lappen auf dem Stapel unberührt von üblen Streichen. Die Idee mit dem duftenden Badezusatz für die Amphore der Xylospongia setzten sie allerdings um, nachdem sie die Amphore und die Schwämme liebevoll ausgewaschen und ihre Stäbe poliert hatten. Weil sie es sich nicht verkneifen konnten, banden sie der Amphore hinterher noch eine schöne Schleife um den Hals und arrangierten die Stäbe der Xylospongia darin wie einen Blumenstrauß. Zufrieden mit ihrem Werk suchten sie die Thermen auf, um den Dreck der Arbeit von ihrer Haut zu waschen.