Beiträge von Terpander

    Terpander schloss hinter ihnen die Tür und sperrte den Alltag und seine düsteren Gedanken aus. Er wirkte nicht mehr so feindselig, wie man es von ihm kannte. Dass der knabenhaft schöne Sporus zugänglich war, entschädigte für vieles. Terpander entledigte sich seiner Kleidung. Das fortschreitende Alter sah man ihm halsabwärts nur im guten Sinne an. Er war maskulin gebaut und bot ein Musterbild hellenischer Körperkultur, das nur von seinen groben Füße mit den beweglichen Zehen gestört wurde. Terpander ging so oft wie möglich barfuß, so dass seine Füße anders aussahen als die eines Mannes, der Schuhwerk gewohnt war. Sein Körperhaar war entfernt, wie es nach seinem Verständnis ein Zeichen von Kultur und Zivilisation war. Er holte ein einfaches Olivenöl aus der Truhe und drückte es Sporus mit einer bedeutsamen Geste in die Hand, wobei er ihm tief in die Augen sah. Dann legte er sich bäuchlings auf sein Lager.

    Mit so viel Interesse hatte Terpander nicht gerechnet. Er verschwand noch einmal in der Küche und kam dann mit zwei kleinen Schüsseln wieder, die etwa das Füllvolumen von Trinkbechern besaßen. Dazu gab es je einen neuen Löffel. Er stellte Iunius Tacitus und Iunius Stilo ihre Portionen hin. Die Blutsuppe war dunkelrot, fast schwarz, und durch die Zugabe von Essig zähflüssig geronnen.


    "Blut und gekochtes Schweinefleisch. Sie ist mit nichts als Essig und Salz gewürzt." Schweinefleisch war nicht üblich, gehörte aber fest in dieses Rezept. "Als Nachspeise wird meist Schafs- oder Ziegenkäse, getrocknete Feigen und Oliven dargereicht. Manchmal gibt es auch Geflügel und Wild. Falls jemand noch Hunger hat, kann ich die Nachspeise dann auch noch bringen. Dazu trinkt man ähnlich wie in Rom verdünnten Wein, allerdings nur in moderaten Mengen." Zumindest in den alten Tagen. Heute sah es oft anders aus, als Lykurg sich das gedacht hatte.

    Als Iunius Stilo die Straße betreten hatte, schloss Terpander hinter ihm behutsam die Tür. Den Iunii fiel die Verabschiedung ihres Verwandten sichtlich schwer, doch sie würden einander wiedersehen, früher oder später. Dies war kein Abschied für immer. Terpander zog sich zurück, um Frühstück vorzubereiten.

    Wie Terpander es erwartet hatte, nahm Scato das Essen an und bedankte sich auch noch. Das stimmte den Hellenen ein wenig versöhnlicher. Er überlegte, ob er Scato darauf ansprechen sollte, was er davon hielt, fortgeschickt zu werden wie ein Stück Gepäck, das man beim Cursus Publicus abgab, doch eigentlich war es ihm zu dumm, über seine Gefühle zu sprechen. Am Ende versuchte Scato noch, einen Nutzen daraus zu schlagen. Nein, es war besser, ihn wortlos zu strafen, um einen Lernprozess in Ganz zu setzen, dass man so nicht mit Terpander umging, wenn einem ein harmonisches Zusammenleben wichtig war.


    Da hier und da schon leergegessen war, räumte Terpander einiges von dem leeren Geschirr weg, um Platz auf dem Tisch zu schaffen. Falls jemand etwas dagegen hatte, würde derjenige sich schon melden. "Ich habe auch Blutsuppe im Angebot. Keine Variante für verwöhnte Gaumen, sondern nach Originalrezept. Möchte jemand?"

    Inzwischen weilten seine Augen auf Terpander und Unauris gleichermaßen. Beider erhielten ein freundliches Nicken zum Abschied

    Terpander erwiderte das Nicken und ließ sich dazu herab, die Mundwinkel ein klein wenig nach oben zu ziehen. Man sah es nur, wenn man eine gute Beobachtungsgabe besaß oder konnte indirekt durch das Muskelspiel darauf schließen, wenn man Terpander kannte. Der junge Iunius Stilo hatte ihn anständig und respektvoll behandelt, so wurde ihm diese seltene Ehre zuteil.

    Cubiculum

    Terpander


    In der rustikalen Domus Iunia von Mogontiacum wäre Platz für eine Großfamilie samt Sklavenschar. Die Iunier sind in diesen Tagen jedoch wenige und die meisten Sklaven leben in Rom, um den Stammsitz der Gens in Ordnung zu halten. So kommt es, dass die wenigen Sklaven, die in Mogontiacum leben, in den Genuss eines eigenen kleinen Zimmers im oberen Stockwerk kommen, das gegenwärtig auch als Lager verwendet wird, während die Hausherren im Erdgeschoss wohnen. Terpanders Zimmer ist klein und meistens unbeheizt. Terpander schläft auf dem Boden in einem Lager aus Schilfmatten. Da er im kalten Norden von dieser Angewohnheit gesundheitliche Probleme bekam, hat er unter den Schilfmatten neuerdings noch ein Ochsenfell ausgebreitet. In einer Truhe befinden sich seine wenigen Besitztümer. Da er in der Küche isst und keine Schreibarbeiten erledigt, gibt es hier weder einen Tisch noch Stühle.

    Nannte der Kleine ihn doch tatsächlich Herr. So viel Eifer, trotz allem, was er in seinem jungen Leben schon hatte erdulden müssen. War es Freude ob der Aufmerksamkeit, Angst vor Strafe oder ein anerzogener Reflex? Man würde sehen, die meisten Menschen offenbarten ihr wahres Wesen schnell, ob sie wollten oder nicht. Doch bei dem Wort Ehre sah Terpander weg, denn die besaß er nicht. Er war der ehrloseste Mensch den er kannte. Doch er war zufrieden über die Gelegenheit, die sich ihm bot, und schob die Finger zwischen denen von Sporus entlang, um dessen Hand zu umschließen. Sie waren kein Paar, doch Terpander träumte manchmal gern. "Dann komm."

    Unauris war in Terpanders Augen ein Nichtsnutz und er verachtete die ganze Person. Fehlende Stärke sollte mit Liebreiz oder Intelligenz ausgeglichen werden, doch Unauris war weder stark noch lieblich und noch weniger zu Geistesleistungen fähig, sondern existierte einfach vor sich hin. Wenn Terpander ihn auch nur sah, wurden seine dunkelsten Gedanken geweckt. Dennoch nickte er, als Iunius Stilo ihm erklärte, dass Unauris nichts für sein Versagen konnte, und zog kurz die Mundwinkel auseinander. Mit viel Fantasie konnte das als Lächeln durchgehen. Er sagte jedoch nichts, da die Herren gerade sprachen. Stattdessen versuchte er, nicht nachzudenken, denn das Thema Militär war für ihn äußerst schwere Kost.

    Eine Weile betrachtete Terpander Sporus schweigend. Er starrte ihn einfach nur an, ohne dass etwas in seinem Gesicht zu lesen war. Und dann auf einmal wirkte Terpander gütig. Niemand hätte sagen können, ob diese Veränderung ein reales Gefühl wiederspiegelte. "Du darfst mich massieren", sagte er sanft. "Weißt du, wie man das macht?" Anhand der Frage sollte klar sein, dass Terpander nicht irgendwie geknetet werden wollte, sondern eine professionelle Massage erwartete.

    "Für mich bitte irgendwas Gehaltvolles, Terpander, aber keine Puls - die esse ich jeden Tag - und auch kein Fleisch - darauf habe ich keinen Appetit. Ich habe ziemlichen Hunger. Und bitte nur Posca."

    Als Terpander sich umgedreht hatte, rollte er mit den Augen. Als ob er vergessen hätte, dass Scato kein Fleisch mehr aß. Wenn es nach ihm ginge, würden diese verwöhnten Mätzchen ein Ende haben. Der Wolf fraß das Lamm und der Fuchs die Maus. Jeder fraß jeden. Warum sollte der Mensch auf den Genuss von Fleisch verzichten? Er ging in die Küche und kam wenig später mit dicker Früchtepuls zurück, verfeinert mit Honig, gerösteten Mandeln und wertvollem Zimt.


    "Lass es dir schmecken", sagte Terpander und "vergaß" das "Herr". Scato sollte wissen, dass Terpander es ihm krumm nahm, wenn er ihn als einen senilen Tattergreis behandelte, besonders, wenn er ohnehin schon beleidigt war. "Braucht noch jemand was?"

    Sporus wäre fast gegen Terpander geprallt, der mit ausdruckslosem Gesicht hinter der Tür stand. Eigentlich hatte er gerade eintreten wollen, doch Sporus nahm ihm den Arbeitsschritt ab, ihn wecken zu müssen. "Da bist du ja", murrte Terpander. "Kannst du arbeiten oder wurde dir Bettruhe verordnet?"

    "Sie wird immer schmerzen." Terpander ließ von Sporus ab. "Iunius Scato kann die Entzündung behandeln, aber helfen kann er dir nicht. Dieser Schmerz wird nie vergehen. Du kannst lernen, ihn zu akzeptieren, oder daran zugrundegehen." Die dritte Möglichkeit sprach er nicht aus. "Ruh dich nun aus, ich bringe dir etwas zu Essen." Im Gehen hielt er noch einmal inne. "Sag mir noch, woher du ursprünglich kommst."

    Während Unauris die körperlich anstrengenden Arbeiten verrichten musste - er entlud die Pferde und versorgte sie - kümmerte Terpander sich um das leibliche Wohl der beiden Iunier. Mit Getränken waren sie bereits versorgt. Wenig später servierte Terpander ihnen die gewünschte Früchtepuls sowie Brot und eine herzhafte Käseauswahl aus der Region.


    "Ich wünsche guten Appetit", sagte er. "Ich habe einen Laufburschen entsandt, der meinen Herrn über eure Ankunft informieren wird. Er ist momentan im Castellum Mattiacorum stationiert."


    Als Terpander die Weisheit über die Melone von Stilos Vater hörte, und Stilo selbst herzlich darüber lachte, schmunzelte Terpander kaum merklich. Er war nicht so humorlos, wie er immer wirkte, fand aber selten etwas zu Lachen. Zu tief steckte er im eigenen Gram.

    Den Dank nahm Terpander wohlwollend auf. Der Jüngling kannte seinen Platz, was es allen leichter machte. "Dass ich Maiordomus bin heißt, dass ich hier die Verantwortung über alle Sklaven habe. Egal, wem du gehörst - so lange du dich hier aufhältst, wirst du dich meinem Wort fügen." Dass das Wort eines der Herren noch über dem Terpanders stand, verstand sich von selbst. Er hielt Sporus nicht für so dumm, dass er das zu erwähnen brauchte. "Es heißt auch, dass du dich bei Fragen an mich wenden kannst und nicht die Herren zu belästigen brauchst. Es sei denn, es betrifft eine Aufgabe, die ein Herr dir persönlich anvertraut hat."


    Sporus hatte entschieden, sich während der Anwesenheit von Terpander zu waschen, was diesen nicht störte, im Gegenteil. Der zunächst verheißungsvolle Anblick sorgte jedoch bei Terpander unerwartet für einen Schrecken, wie der abgebrühte Hellene ihn nicht oft empfand. "Verstehe", murmelte er. "Darum der Medicus."


    Es war eine der wenigen Situationen in Terpanders Leben, da er unsicher war, wie er reagieren sollte. Ihm fehlte das Vorstellungsvermögen, welche Reaktion er selbst sich wünschen würde, da er ein solches Dasein für sich nicht akzeptieren würde. Er hob die Hand und streichelte Sporus mit der Rückseite seiner Finger die Wange. Es war nur eine kleine Berührung, aber eine ehrliche Geste des Mitgefühls.

    "Das ist dein Zimmer", erklärte Terpander. "Dort steht eine Waschschüssel. Bevor du untersucht wirst, solltest du dich reinigen. Das ist eine Frage des Respekts gegenüber dem Medicus. Ich hole dir derweil was zu Essen. Brauchst du sonst noch was?" Bei Jünglingen war Terpander meist etwas weniger hartherzig, es sei denn, sie meinten, ihm auf der Nase herumtanzen zu wollen. Solche Flausen trieb er ihnen aus. "Ich heiße übrigens Terpander und bin der Maiordomus hier. Du weißt, was das heißt?"

    Cubiculum

    Sporus


    In der Domus Iunia wohnten in diesen Tagen nur wenige Leute und eine kleine Gruppe Sklaven. So kam es, dass viele Räume ungenutzt waren. Manche dienten als Stauraum für Gerümpel und Baumaterialien. In einem dieser vollgeramschten Räume schuf Terpander nun einen Freiraum. So fanden eine gepolsterte Liege samt Wolldecke, eine Truhe für Habseligkeiten sowie ein Tisch mit zwei Hockern auch noch ihren Platz darin. Hier konnte Sporus vorerst bleiben. Falls er länger blieb, würden sie noch etwas mehr Platz schaffen müssen.

    Die Verbeugung stimmte Terpander etwas milder, doch er blieb misstrauisch, denn seines Wissens befanden sich die Sklaven des benannten Mannes in dessen Familienstammsitz in Caesarea. "Seit wann besitzt dein Herr dich?" Dennoch öffnete er die Porta. "Komm rein. Du hast Glück - Sisenna Iunius Scato hat angekündigt, heute Abend zu Hause vorbeizuschauen."