Beiträge von Iullus Seius Iunianus Fango

    Ohne es zu wollen, löste der eingeklemmte Calenus mit seinem Geschrei eine erneute Eskalation aus. Fango hatte schon geglaubt, nun sei alles vorbei, da brach erneut das Chaos los. Der kleine Schildwall ihrer winzigen Truppe schrumpfte von rechts, doch Fango sah kaum, was um ihn herum geschah, weil er die Augen nach vorn gerichtet hatte, um sich gegen die erneut vordringenden Angreifer zu wehren. Doch der Druck ließ plötzlich nach, als die verbliebenen Barbaren sich auf eine andere Stelle konzentrierten.


    Fango konnte wagen, sich umzusehen. Rechts von ihm stand im Schildwall nur noch ein Mann. Und wie er sich umblickte, sah er gerade den jungen Subpraefectus fallen ... Fangos Augen weiteten sich vor Entsetzen. Der anschließende Tod des Barbaren erfüllte ihn mit grimmiger Genugtuung. Von den Barbaren war kurz darauf nur noch ein lächerliches Häuflein übrig. Fango wurde von kalter Wut gepackt. Er wünschte sich, dass diese bösartigen Leute umzingelt und in Stücke geschlagen wurden! Sie hatten ihnen nichts getan und diese Leute hatten sie ohne Provokation überfallen, angegriffen und ihre Kameraden getötet! Und was war mit Calenus?!


    Beim Wagen brüllten die Prätorianer ihren Sieg in den Himmel, der Ruf setzte sich fort durch die Männer. "ROMA VICTRIX!" Den Grund für den Ruf konnte Fango am anderen Ende der Straße sehen, scheinbar kam noch mehr Verstärkung. Den Göttern sei dank! Da der Schildwall nun nicht mehr benötigt wurde und niemand ihnen mehr Befehle erteilte, löste der Wall sich auf.


    "Tissi!", brüllte Fango, als er seinen Kumpel entdeckte, der wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht war. "Der Decurio liegt da drüben, er braucht Hilfe!"


    Er zeigte in die entsprechende Richtung. Durch das Unterholz sah man den polierten Panzer funkeln und das weiße Fell seines Pferdes leuchten, das sich nicht mehr rührte. Fango folgte den anderen im Laufschrift durch das Schlachtfeld, wich Toten und Sterbenden aus, herumliegenden Gliedmaßen, Schilden und Wafffen. Die verbliebenen Soldaten ihrer Truppe eilten so schnell sie konnten Varro zur Hilfe, der versuchte, zu dem unter seinem Pferd klemmenden Decurio vorzudringen. Sie drängten gemeinsam mit Varro zu ihrem Offizier vor. Fango spürte keine Angst. Alles, was er wollte, war Calenus zu retten.

    Es ging alles so schnell! Da waren Barbaren, und da war plötzlich auch Decurio Germanicus Varro mit Ocella! Fangos Freude wurde getrübt durch das heillose Durcheinander, das die Angriffe und das plötzliche Auftauchen der Verstärkung verursachten. Bis der Befehl von Decurio Equitius Calenus kam, dem er gerade unterstellt war, rotierte Fango auf seinem Schecken sinnlos an Ort und Stelle.


    Alles war voller Bewaffneter, alles schlachtete sich gegenseitig! Fango war noch nie einem Feind begegnet und nun waren hier auf einmal so viele?!


    Als der Befehl kam, einen Schildwall vor dem Karren mit dem Caesar und den Zivilisten zu bilden, fühlte sich Fango erlöst. Er fühlte sich gerettet allein dadurch, dass Calenus ihm sagte, was zu tun sei. Er vertraute dem Decurio und war sicher, er würde sie hier heil herausholen. Decurio Varro und Vexillarius Matinius Ocella waren auch da. Es konnte nichts schiefgehen und die Feinde wurden schon weniger. Fango schwang das Bein nach hinten über die Kruppe seines Pferdes und flitzte zum Karren. Kurz kam er ins Schlittern, weil die Straße nass war. Bei den Unsterblichen, das waren Blut und Fleisch! Hier war das Innere nach außen gekommen! Die Prätorianer, die Ala und die Legionsreiterei waren in Aktion getreten und das Feindesblut spritzte nur so, Fango sah einen abgetrennten Arm durch die Luft fliegen, dann einen Kopf! Die Menschen waren alle miteinander verrückt geworden!


    Endlich stand der Schildwall, sie warfen die Speere, aber Fango traf niemanden - er hatte einer irren Unlogik folgend mit Absicht vorbeigezielt. Er wollte niemanden töten. Diese noble Ansicht rächte sich jäh, denn der Mann, auf den er hätte zielen müssen, weil er auf ihn zukam, kam noch immer auf ihn zu. Fango aber hatte nun keinen Wurfspeer mehr in der Hand, nicht mal eine Spatha, sondern seinen Gladius gezogen, der ihm winzig erschien in Anbetracht der Armlänge seines Gegenübers, das eine Axt schwang. Fango riss den schweren Schild hoch und duckte sich, ein Krachen ging ihm durch Mark und Gebein und ließ seinen Arm erzittern. Dieser Hieb hatte seinem Kopf gegolten und hätte seinen Schädel bei einem Treffer trotz Helm zertrümmert. Ein zweites Mal musste Fango den Schild hochreißen.


    Fango kam nicht dazu, anzugreifen, er duckte sich unter wiederholten Axthieben und fragte sich, wie lange das Holz seines Schildes halten würde oder wie lange sein tauber Arm noch durchhielt, ehe er ihm den Dienst versagte oder unter der Gewalt brach. Plötzlich kam ein Hieb von unten und er musste den Schild rasch senken. Gerade rechtzeitig - so rettete er sein Bein. Über den Schildrand hinweg sah er nun seinen Gegner, kaum älter als er selbst, doch ohne Fangos Unentschlossenheit. Dieser Barbar wusste, was er wollte - Fango töten. Am Rand des Geschehens registrierte er aus dem Augenwinkel Calenus, dessen Pferd auf einmal stieg - das Tier kippte nach hinten und Calenus verschwand im Gebüsch, wurde vielleicht unter dem schweren Tier zerquetscht, ihm der Rücken gebrochen oder das Genick. Mehrere Barbaren strömten in die Richtung.


    "DECURIO!", schrie Fango, der Calenus sehr mochte.


    Und nun endlich stach er zurück. Als sein Gegner gerade den Arm hob, um erneut die Axt in Richtung seines Helmes niederzuschmettern, rammte Fango ihm in die Achsel. Tief drang die Klinge zwischen den Rippen hindurch in den Körper. Lautlos ging der Barbar in die Knie. Doch wenn Fango erwartet hatte, dass ein Mensch so schnell starb, so irrte er. Der Mann lebte, auch wenn er kampfunfähig auf dem Boden lag und um jeden Atemzug kämpfte, während aus der Wunde blubbernd helles Blut schäumte. Obwohl der Barbar ohnehin zu Tode verwundet war und vor seinen Füßen lag, brachte Fango es nicht über sich, ihm ein Ende zu bereiten. Entsetzt betrachtete er das grausame Werk, dass die Waffe in seiner Hand angerichtet hatte. Und seine Kameraden, die routiniert vollbrachten, was er nur unter Mühen vermochte.


    Als der nächste Barbar auf ihn zu drängte, hob Fango wieder den Schild und den Gladius, verzweifelt, weil er nicht zu Calenus konnte, um ihm zu helfen. Auch dieser Barbar ging irgendwann zu Boden. Mit gerötetem Blick suchte Fango den Subpraefectus, oder würde jetzt Varro übernehmen? Der Caesar war ihm vollkommen Schnuppe. Er wusste nur, dass er Calenus helfen wollte und sogar die Angst vor dem eigenen Tod hatte er dabei vergessen.

    Fango, noch unbedarft, da er den Drill zwar kannte, aber nicht den Kampf, trällerte aus Leibeskräften bei dem Liedchen mit.


    Als vielleicht einziges Mitglied der Truppe verehrte er Decurio Equitius Calenus. Da Fango Korrektheit schätzte, war der perfektionistische Calenus für ihn ein Gott in Weiß und Gold, dem er rundum vertraute. Kein Schludrian, der es sich leicht machte, sondern ein Offizier, der nicht einen Millimeter von seinem Anspruch abwich und allen Widrigkeiten zum Trotz seine Arbeit mit höchster Gewissenhaftigkeit erledigte. Fango liebte dessen Hang zur Perfektion, dessen ungetrübte Motivation auch bei Sauwetter und das alles mit einem Trupp mürrischer Reiter und zwei überflüssigen Zivilisten im Schlepptau. Fango fand seine enthusiastische Haltung ansteckend und würde ihn am liebsten behalten.


    Ein kurzer, aber heftiger Wolkenbruch bescherte dem Lied ein jähes Ende.


    Danach waren sie so nass, als wären sie in einen Fluss gefallen. Der Himmel zog auf und die Sonne schien höhnisch auf die durchgeweichte Truppe. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Fango die Strahlen, die ihn blendeten. Seine Augentränten. Nach einem Monat grauem Wetter waren sie das Licht der Sonne nicht mehr gewohnt. Blöderweise reflektierte vor ihm Calenus´ Panzer das Licht dermaßen, dass Fango nicht in seine Richtung blicken konnte und das weiße Pferd schien ihn schneeblind zu machen. Calenus aber zog ein Tuch hervor und polierte beim Reiten alles, was in Reichweite seiner Hände gelangte, ohne die Truppe dabei aus dem Blick zu lassen. Den Regenguss schien er als willkommene Dusche wahrzunehmen. Den Mann konnte man als Lichtsignal verwenden, wenn er über eine Hügelkuppe ritt, wie die Spiegel, welche die Kundschafter verwendeten, um Signal zu geben, nur viel größer. Das erste Mal fragte Fango sich, ob es wirklich so gut war, in unmittelbarer Nähe des Limes so zu funkeln und lauthals fröhliche Lieder zu singen.


    Andererseits ... Equitius Calenus würde schon wissen, was er tat! Sonst wäre er kein Decurio.


    "Singen wir weiter?", fragte Fango mit frischem Mut.


    Wäre nur Tisander hier. Vermutlich würde er wieder irgendwas zu motzen haben, aber gemeinsam mit Tissi nach dem überstandenen Abenteuer im heimischen Castellum einzureiten und vor den Kameraden zu protzen - das hätte Fango gefallen.

    Fango schämte sich, weil er kurz egoistisch gedacht hatte. Verlegen rieb er sich den Hinterkopf, als Apollinaris sich bei ihm bedankte für das winzige Stückchen Salbe, das er beinahe unterschlagen hatte. "Ach ... schon gut. Ich brauche es nicht." Und schenkte ihm auch noch den Rest.


    Um seine Salbe ebenso sehr erleichtert wie um sein Gewissen, überlegte er, ob er die Equites ausnahmsweise in die Taberna begleiten sollte. Eigentlich mochte er diese Orte nicht, wo sich lauter rohe Gestalten sammelten. Unter ihrem Gegröle fühlte er sich unwohl. Aber wenn er sich einen heißen Glühwein trank, um sich aufzuwärmen, und dann wieder ging, würde das nicht schaden. Ihm war kalt, die Wärme würde ihm guttun. So spazierte er, noch immer dreckig und nass, im Regen über das Forum auf der Suche nach einer Taberna. Doch er fand sie nicht, so irrte er auf dem Forum hin und her, bis er fast über ein nachgezogenes Hinkebein stolperte.


    "Huch!" Mit einem Sprung rettete er sich vor dem Sturz und den Besitzer des Beins, genauso nass wie er selber, vor einem schmerzhaften Aufschrei. Aber wo der Mensch schon mal in seiner Reichweite war ... "Sag mal, weißt du, wo hier die nächste Taberna ist? Eine, die Glühwein ausschenkt."

    "Mieps", sagte Fango. Das war die einzige Schmerzäußerung, die er sich gestattete. Er war klein und jung, aber er musste sich ja nicht kükenhafter geben, als er war. Er schaute kurz nach den Zivilisten, die es noch übler erwischt hatte als ihn. Viel von den Salbenreserven waren ihm nicht geblieben, obwohl er reichlich eingepackt hatte, doch man verbrauchte auch ziemliche Mengen, wenn man so lange ritt. Er überlegte kurz, ob er seinen Rest mit ihnen teilen sollte. Die Hörnchen kamen raus. Warum sollte ich? Sie hätten selbst Vorsorge treffen müssen. Niemand schien die beiden zu mögen. Er seufzte. Fango war kein hartherziger Mensch und die zwei hilflosen Wesen taten ihm leid. Er teilte seinen Salbenrest mit dem Spatel in drei Stückchen und verteilte zwei davon an Apollinaris und Nero.

    Fango beherrschte die Abläufe. Er war noch vor der Zeit fertig, da er sich besonders beeilte, und half den zwei Zivilisten, rechtzeitig reisebereit auf ihrem Pferd zu sitzen. Dann schwang er sich selbst auf seinen kleinen Schecken. Die Aussicht, bald wieder im Castellum zu sein, gefiel ihm. Der wochenlange Ritt hatte ihn müde gemacht und ihm wunde Oberschenkel beschert. Auch wenn der Dienst in der Ala kein Zuckerschlecken war, freute er sich auf die übliche Routine der Ausbildung, die ihm auf einmal erholsam erschien im Vergleich zu dem langen Ritt. Trockene Füße erschienen ihm wie ein großer Luxus, ein Privileg, das er zu lange als selbstverständlich wahrgenommen hatte. Besonders in Anbetracht des Dauerregens freute er sich auf das Leben im Castellum, wo er Gelegenheit haben würde, seine inzwischen nach Moder und Tang stinkenden Kleider abzulegen, ein heißes Bad zu genießen und danach trockene Kleider auf der Haut zu spüren und ein warmes Bett.

    Etwas müde war Fango nach dem wochenlangen Ritt mittlerweile schon. Aber er freute sich, bald wieder zurück im Castellum zu sein.


    Er hoffte, dass es dann auch Tisander wieder besser ging, der kaum noch sprach und sehr viel schlief. Hinzu kam die Sorge um die beiden Zivilisten, denen man deutlich zeigte, dass sie unerwünscht waren. Fango konnte das nachvollziehen - Zivilisten in einer militärischen Einheit brachten viel Ärger und keinerlei Nutzen. Sie hielten alle auf, störten die Abläufe und nervten mit Fragen, die kein Soldat je stellen würde. Trotzdem waren die zwei nun einmal hier und somit fand Fango, dass sie für sie verantwortlich waren, ob freudig oder nicht.


    Dem zitternden Nero schleppte er im Feuer erhitzte Steine heran und platzierte sie ihm an den Füßen und vor dem Bauch. Dabei merkte er, dass der Junge, der wohl nicht älter war als Fango, sich eiskalt anfühlte und seine Decke war nass und schimmelig. Eigentlich gehörte Nero in eine heiße Wanne und vor allem gehörte er in eine andere Umgebung als diese. Fango brachte noch mehr heiße Steine, die er überall um ihn herum stopfte.


    Auch Apollinaris wurde mit heißen Steinen bedacht, wenngleich der nicht ganz so kälteempfindlich zu sein schien. "Wenn euch nicht warm wird, rutscht zusammen und legt die beiden Decken übereinander", empfahl Fango, ehe er mit seinem schweren Korb verschwand und von Zelt zu Zelt wanderte.


    "Braucht jemand große heiße Steine für die Füße?", fragte er in die Runde. "Oder kleine für die Hände? Ich hab welche übrig."

    Fango registrierte die eisige Stimmung, ohne sie zu begreifen. Hilflos blickte er seinen Ausbilder Andriscus an, auf der Suche nach einer Erklärung, der indes ebenso finster drein sah wie der Rest. War es wirklich falsch gewesen, den kleinen Bruder vom Subpraefectus nicht allein in der Wildnis zurückzulassen? Obwohl offensichtlich war, dass das schiefgegangen wäre? Nachts gab es Frost und in den Bergen Räuber. Fango war sicher, dass der kleine Aemilier und sein Freund diese Nacht nicht überlebt hätten.


    "Jawohl, Caesar", sagte er nicht ganz so zackig wie sonst. Nach einem Salutieren zum Abschied kehrte er zu den Zivilisten zurück. "Ihr habt eine Stunde Zeit für eine Rast. Geht auf die Latrine, also ins Gebüsch, esst und trinkt. Ich organisiere euch frische Pferde." Sein eigenes musste er auch wechseln, sonst ritt er den kleinen Schecken zugrunde.


    Ohne selbst eine Rast einzulegen, kümmerte sich Fango darum, dass die beiden Gäste und die erschöpften Tiere versorgt wurden und das Gepäck auf andere Packtiere kam. Auch die Kiste buckelte er eigenhändig unter schmerzhaftem Ächzen zur nächsten Poststation, die zum Glück in unmittelbarer Nähe war, und gab auf eigene Kosten die Sendung auf, ehe es wegen der paar Sesterzen noch mehr Ärger gab.


    Er schaffte es noch nicht mal pinkeln zu gehen, da war die Stunde schon vorbei. Fango schwang sich zeitgleich mit allen anderen auf das frische Pferd.

    <<< RE: ~ Hortus ~ | Der nervige kleine Bruder


    Einige Tage später gelang es Fango, seine Einheit einzuholen. Der Grund für die Verspätung war offensichtlich: Auf seinem Packpferd saßen hintereinander zwei sehr erschöpft aussehende junge Männer, die er unterwegs aufgesammelt hatte. Zudem schliff unter lautem Gepolter eine Kiste hinterdrein. Sein eigenes Gepäck hatte er zu sich nach vorn auf seinen Schecken verfrachtet. Beide Pferde waren hoffnungslos überladen, doch das Packpferd war am schlimmsten dran mit den zwei Landstreichern auf dem Rücken und ihrer übervollen Gepäcktruhe am Geschirr, die nun lärmend zum Stillstand kam.


    Fango hopste vom Pferd, suchte seine Vorgesetzten und machte Meldung. Mit der Faust schlug er sich auf die schmale Brust.


    "Iullus Seius Iunianus Fango, Ausbildungsturma der Ala II Numidia! Ich melde mich zurück von der erfolgreichen Adrogation mit einem neuen Namen! Außerdem habe ich unterwegs eine Verwandtschaft vom Subpraefectus Alae samt Freund aufgelesen. Die Verwandtschaft war zu Fuß ohne Sklaven nur mit einer Truhe nach Sonnenuntergang allein auf der Fernstraße unterwegs. Drum hielt ich es für besser, sie zu ihrem Schutz einzusammeln und mitzubringen."


    Er wies auf Aemilius Nero und Tuccius Apollinaris.

    Fango ließ sich mit zufriedenem Gesichtsausdruck knuddeln. Das Problem pubertärer Abweisung, in der die eigenen Eltern ihre Kinder nicht mal mehr mit der Kneifzange berühren durften, ohne angewiderte Gesichter und Protest zu provozieren, umging Stilo geschickt, indem er Fango bereits an der Schwelle zum Erwachsensein adoptierte. So lange Stilo nicht begann, in Taschentücher zu spucken, um Fangos Mund sauber zu putzen, war für ihn die väterliche Fürsorge sehr willkommen.


    "Ich werde auf mich aufpassen, tu du das bitte auch. Der nächste Stammhalter muss allerdings noch ein paar Jahre warten, ich werde noch viele Jahre bei der Ala dienen. Außerdem will man nicht irgendwen heiraten, stimmt`s? Aber was frage ich, du hast dich gleich komplett vor der Ehe gedrückt. Auch praktisch. Echt schade, dass wir schon wieder aufbrechen müssen ... Papa."


    Er sah ihn erwartungsvoll an, um zu sehen, was dieses Wort bewirkte. Da Lurco sich nun vordrängelte, konnte Fango seine Sachen einsammeln, setze den Helm auf und nahm die Pferde am Zügel, die inzwischen ins Stabulum gebracht worden und von Terpander mit Wasser, Äpfeln, Karotten und Getreide versorgt worden waren.


    Fango verabschiedete sich von allen, auch von Lurco, Scato und den Sklaven Terpander und Unauris. Dann verließ er die Casa Leonis mit einem sehr wehmütigen Gefühl.


    RE: Balas Reise nach Mogontiacum >>>

    Fango hatte genau genommen keine Ahnung, welche rechtlichen Vorteile er von einer freien Genszugehörigkeit haben sollte. Er wusste nur, dass er sich furchtbar alleingelassen fühlte und seine verstorbenen Eltern schmerzlich vermisste, jemanden, der ihm Rat gab und schwierige Entscheidungen abnahm, die ihn womöglich zugrunde richten konnten, wenn er falsch entschied. Jemanden, der da war, wenn er sich verloren fühlte in dieser riesigen und furchtbar komplizierten Welt. Genauso wenig kannte er den Unterschied zwischen Adoption und Adogration. Fango wünschte sich einfach einen Vater mit allem, was dazu gehörte, jemanden, bei dem er sich so jung und bisweilen hilflos fühlen durfte, wie er noch war.


    Fango war auch in der Ala wohl einer der folgsamsten und bravsten Tirones seines Jahrgangs. Er empfand es nicht als Schikane, wenn ihm jemand den Weg wies - er fühlte sich dadurch sicher und setzte jede Anweisung mit größtmöglicher Sorgfalt um.


    So waren ihm die rechtlichen Vorteile seiner freien Genszugehörigkeit vollkommen schnurz. Er wollte sie nicht haben.


    "Ich bin gewillt!"

    Natürlich war Fango nicht verloren gegangen. Stilo stach unter den feinen Herren in ihren weißen Gewändern heraus wie ein Pfau in einem Hühnerstall. Würde er Stilo aus den Augen verloren haben, so würde jeder ihm den Weg zu ihm gewiesen haben können, an dem Stilo vorbeigekommen wäre. Der Mann war der einzige in Toga Picta, schien sich aber daran nicht zu stören. Aus Solidarität hatte Fango ebenfalls eine Toga von Onkel Ravilla angelegt - eine in frühlingshaftem Flieder mit passendem Duft. Sonst wäre Fango schreiend davongelaufen, hätte ihn jemand in eine dermaßen bunte Aufmachung zwängen wollen, doch da sie zu zweit unmöglich aussahen und der Anlass ein so guter war, freute er sich über die Gute-Laune-Kleidung.


    "Mein Onkel möchte mich adoptieren", vertraute Fango dem Scriba an, während er an dem fliederfarbenen Stoff an seiner Schulter zupfte, und grinste breit.

    Noch bevor Stilo sich setzen konnte, war Fango bei ihm. Die Beantwortung von Lurcos Frage musste warten. Er griff seinen Onkel bei den Unterarmen und strahlte ihn überglücklich an. Hier stand der Mann, der sein Vater sein wollte. Im Gegensatz zu Scato fühlte Fango sich kein bisschen bereit, ohne Vater zu leben. Er war noch sehr jung und fühlte sich auch so. Stilo wirkte mit den Bartstoppeln viel älter, als er war, was ihn in Fangos Augen noch mehr nach "Papa" aussehen ließ. Fango drückte ihn, ob Stilo verschwitzt war oder nicht. Es war ihm egal.


    "Schön, dass du da bist." Er hielt den Noch-Onkel länger fest, als wenn er ihn zu anderen Gelegenheiten gedrückt hatte.

    Fango umarmte Lurco zurück. "Ein Schuppen wäre etwas eng für eine gesamte Familie! Von der Ala soll ich erzählen?"


    Nachdem er losgelassen wurde, pflanzte er sich also wieder hin.


    "Davon könnte ich den ganzen Tag reden, es kommt drauf an, was dich interessiert. Ich lebe dort in einer Stube mit meinem besten Kumpel Tisander, einem Griechen Namens Zisimos, der wie ein Germane aussieht, und einem Germanen namens Alwin, der wie ein Römer aussieht und Seidenpantöffelchen trägt. Wir haben drei Ausbilder. Einen Duplicarius Andriscus - keine Ahnung, was für ein Volk der ist - einen Vexillarius Matinius Ocella und einen Decurio Germanicus Varro. Ocella mag ich am meisten, weil er mich mal vor allen gelobt hat. Ich kann ziemlich gut Bogenschießen."


    Dass dies das Einzige war, was er gut konnte, neben Schreiben und Auswendiglernen, verschwieg er.


    "Vormittags verbringen wir mit der Ausbildung, Nachmittags müssen wir irgendwelche Arbeiten im Lager machen, wie Latrinendienst, Müll wegbringen, Wasser holen ... zu Feierabend hat Tisander mit mir noch mal gesondert Reiten geübt. Ansonsten verbringen wir die Abende entweder in der Therme beim Ballspielen oder in der Stube. Wir dürfen noch nicht das Castellum verlassen, das dürfen wir erst als Equites. Eine Zeitlang musste ich ziemlich viel lernen für den Theorieunterricht, sodass nicht viel Freizeit blieb. Insgesamt bin ich gern bei der Ala, es sind anständige Leute dort und ich kann es nicht erwarten, meinen ersten Einsatz zu reiten! Hast du mein Pferd gesehen?"


    Terpander musste den kleinen struppigen Schecken und das dazugehörige Packpferd eigentlich mit in den Garten geführt haben. Und tatsächlich spazierten in der Nähe des Eingangs die beiden Pferde herum und zupften am Rasen.

    "Der Preis ist abhängig vom Wert einer Ware. Wie bemisst man den Wert eines Begleiters durch alle Lebenslagen? Er ist nicht in Geld aufzuwiegen. Ich schenke euch Unauris. Packt das Geld lieber in seine Altersvorsorge oder investiert es in einen guten Medicus, wenn er krank wird.


    Im Gegenzug erinnert ihr euch vielleicht an mich, wenn ich meine Dienstzeit in der Ala abgeleistet habe und nicht weiß, wohin ich mich wenden soll. Ich möchte irgendwann eine Familie gründen. Und wenn ich mit Frau und Kindern nicht in einer zusammenbrechenden, einmal jährlich abfackelnden Insulawohnung leben und meine Kleinen nicht in der Subura spielen müssen, würdet ihr mir einen großen Gefallen erweisen."


    Falls sie tatsächlich sechs Häuser besaßen, wie sie behaupteten, würde das ihnen ein leichtes sein. Aber auch, wenn sie nur die Casa Leonis sowie die beiden Domi Iuniae hier und in Mantua hatten, von denen Fango sicher wusste, dass Scato sie besaß. Dann würde irgendwo ein Fleckchen für seine kleine Familie sein, hoffte er.

    "So, das genügt", sagte Fango plötzlich, weil ihm das Ganze zu sentimental wurde. "Steh auf, geh zu deinem neuen Herrn und lass dir irgendeine Arbeit aufbrummen, Unauris."


    Bewusst sprach er ihn mit seinem neuen Namen an. Das alte Leben lag hinter ihm, hinter ihnen beiden. Fango erhob sich, würdigte den Sklaven keines Blickes mehr und sah Lurco ins Gesicht.


    "Da mein Bruder sich scheinbar nicht hierher bequemen will und die Sache mit Unauris geklärt ist, verlasse ich euch jetzt wieder. Ich habe noch etwas zu erledigen in Roma, dann muss ich zurück zu meiner Einheit. Wir sehen uns zwanzig Jahren wieder, oder vielleicht auch überhaupt nicht."


    Fango war in deprimierter Stimmung, auch wenn eigentlich alles bestens war.


    Er hielt Lurco die Hand hin.

    "Ach, Cassi."


    Fango beugte sich nach vorn, um seinem Sklaven den Rücken zu tätscheln.


    "Ich bin froh, dass du wohlauf bist, auch wenn du jetzt Einohr heißt und das auch noch zurecht. Lurco hat ja gerade mit dir gesprochen. Ich werde dich an ihn verkaufen, weil mir als Tiro nicht erlaubt ist, meinen Sklaven mit zur Ala zu nehmen. Auch wenn ich mir das oft gewünscht habe. Wie viel Arbeit du und die anderen Sklaven mir abgenommen habt, habe ich dort erst richtig zu würdigen gelernt. Würde ich dich nicht verkaufen, wärst du völlig allein im verwaisten Haus in Mantua. Das möchte ich dir nicht antun, Cassi. Hier bei Lurco und Scato weiß ich, dass du in guten Händen bist. Das Umfeld ist dir nicht völlig fremd, du kennst Scato und du kennst Terpander. Ich hoffe, du verstehst, dass diese Entscheidung zu deinem Guten getroffen wurde."


    Traurig zu sein verbot er ihm nicht - Fango war selbst traurig, auch wenn er das nicht zeigte.

    "Ich bin satt, Danke." Fango klopfte auf seinen dünnen Leib, der von der Schüssel Birnenstückchen deutlich verdickt war. "Aber Wein wäre gut. Scato kann ruhig meine ganzen düsteren Geheimnisse ausplaudern. In ein paar Wochen bin ich eh wieder in Germania und dann ist es mir schnurz, was du von mir denkst." Er zwinkerte freundlich. "Ich bleib hier noch sitzen, trinke etwas Wein und warte, bis du wieder da bist."


    Er freute sich, Unauris wiederzusehen und hoffte, das fehlende Ohr würde ihm keine allzu großen Probleme machen und ihn allzu schlimm entstellen. Es kam wohl darauf an, wie viel vom umliegenden Gewebe Lurco ebenfalls mit abgetrennt hatte. Wenn auch noch die halbe Wange fehlte, wäre das unschön. Etwas nervös blickte er sich um, ob er seinen Sklaven entdeckte. Und wo war eigentlich Scato?