Beiträge von Pollux

    "Dass ihr uns nichts Böses wollt, freut mich." In Wahrheit glaubte er diesen Leuten kein einziges Wort. Er verfolgte jeden Handgriff voll tiefem Misstrauen. Er wünschte sich, Evenor hätte genug Grips, in den Gassen der Subura zu verschwinden, doch was die Götter ihm an Schönheit geschenkt hatten, hatten sie von seinem Grips abgezogen. Plötzlich lächelte Pollux wieder. "Ihr guten Männer, wahrscheinlich wisst ihr gar nicht, wie es in einem Lupanar läuft und seid euren Ehefrauen lieb und treu! Sonst würdet ihr nicht annehmen, dass wir über die Identität von allen Kunden Bescheid wissen müssen. Schau, ich erkläre es dir, lieber Gideon." Er winkte ihn in den Vorraum.


    Pollux zeigte nun auf die obszönen Wandmalereien im Eingangsbereich. Die gesamte Bandbreite "griechischer" Praktiken wurde anschaulich illustriert. Hier wurde nichts der Fantasie überlassen. Pollux zeigte von einem zum anderen Bild. "Dort seht ihr unser Angebot. Daraus wählt der Kunde und dann wird er einem von uns zugeteilt. Oder er wählt direkt einen von uns, aber nicht jeder von uns macht alles, da muss er dann Abstriche machen. Wenn der Kunde sich entschieden hat, zahlt er bei Kyriakos und dann kümmern wir uns um den Kunden. Nach vollbrachtem Werk verlässt der Kunde uns wieder. Und jetzt beantworte mir: Zu welchem Zeitpunkt davon sollten wir die Identität des Kunden erfahren?"


    Er sah den Mann jetzt sehr ernst an. "Und außerdem! Wenn wir irgendwelche Namen offenbaren würden, dann wäre unsere Vertrauenswürdigkeit hinüber. Du drohst uns also in beiden Fällen, entweder mit Folter, wenn wir nichts sagen, oder damit, uns zu ruinieren, wenn wir etwas sagen! Das ist nicht gerecht! Wenn du uns wirklich nichts Böses wollen solltest, dann hörst du auf, ALLE Kundendaten zu fordern, was sowohl uns als auch unseren Kunden sehr schaden kann, sondern fragst nach einem bestimmten Kunden, den du verdächtigst. VIELLEICHT kann ich dir dann einen Anhaltspunkt geben."

    Pollux sah sich die Dinge an. Er fand, dass Maske und Haarreif teuer aussahen. Er blickte wieder auf. Klar, dass der Römer das wieder mal nicht wuste. Bei Pollux als Person hellenischen Bluts sah das anders aus. "So was trägt man auf einem Bacchanal."

    "Und ist jetzt alles in Ordnung?", fragte Pollux, der von einem Fuß auf den anderen trat. Draußen gähnte Evenor zum Steinerweichen. Sie alle wollten schlafen, doch fürchtete Pollux, dass ihnen das nicht so schnell vergönnt war. Zumindest ihm nicht. Schuld war Kyriakos, weil der nicht da war! Eigentlich müsste er sich mit diesen Leuten rumschlagen.

    "Nichts", quiekte Pollux und lächelte übertrieben breit. Dann zeigte er auf den verschlossenen Schrank, auf den sein Gefährte bereits hingewiesen hatte. "Wie Python schon sagte: Da drin ist Kyris Zettelkram! Und Kundenlisten gibt es keine. Wozu denn? Wir liefern, sie bezahlen. Waren sie zufrieden, kommen sie wieder. Fertig!"


    Jetzt wanderte sein Finger auf eine Wand, hinter der sich ein Raum mit einer Toilette befand. Mit einem verkrampften Grinsen sagte er: "Und dort geht es in unseren Keller." Womit die Cloaca Maxima gemeint war. "Stallungen und so was gibt es hier nicht. Wir sind in der Subura und das ist eine Insula! Kyriakos gehört das Erdgeschoss und der dazugehörige Innenhof. Er hat das gekauft. Oder gemietet? Keine Ahnung! Jedenfalls wohnen wir hier. In die oberen Etagen kommt man nur von der Straße aus. Das waren vor dem Brand irgendwelche abgewrackten Wohnungen, jetzt sind es verkohlte Ruinen, da war ja das meiste aus Holz. Mit denen haben wir nichts zu schaffen. Das hier unten ist unser Reich."

    "Ist alles zu deiner Zufriedenheit?", fragte Pollux. Sein Versuch, als Vertreter von Kyriakos ruhig und würdevoll zu wirken, scheiterte kläglich an seinem Getänzel und seinen zitternden Fingern. Warum konnten das nicht einfach Kunden sein, die es nicht bis zum Abend aushielten, warum musste der Vigintivir irgendwelche bösartigen Schläger in ihr gerade wieder renoviertes Lupanar schicken? Als hätte sie das Unglück in letzter Zeit nicht schon genug gebeutelt!

    Python hatte in seinem Leben nervenaufreibendere Dinge erlebt als das hier. Während Pollux sichtlich nervös war, behielt er die Ruhe. "Niemand hier ist ein Sklave, Gideon. Entsprechend ist Kyriakos auch nicht unser Herr, sondern wir sind seine Angestellten."


    Er winkte dem Münzprüfer, mit ihm zu kommen und führte ihn in das Zimmer von Kyriakos. Der Raum war klein und ordentlich, im wörtlichen Sinne spartanisch eingerichtet, was bedeutete, dass es nicht einmal ein Bett gab, nur eine dünne Schilfmatte. Python wies auf den Arbeitstisch, auf dem - was er nicht sah - jedoch keinerlei Papier herumlag, sondern nur Schreibutensilien, dann auf einen verschlossenen Schrank.


    "Ihr müsst euch selber kümmern, ich kann nicht lesen. Den Schrank zu öffnen, ist für euch sicher auch ohne Schlüssel kein Problem. Ich glaube aber nicht, dass Kyriakos Listen mit den Namen der Kunden führt. Er trägt nur am Ende des Tages die Einnahmen in eine Tabelle ein. Wir wissen ja meistens selber nicht, wie die Kunden heißen. Die kommen ja nicht, um sich zu unterhalten." Er hustete in seine Faust. So viel redete er normaler Weise nie am Stück. Heiser fuhr er fort: "Wo er das Geld aufbewahrt, weiß niemand. Da werdet ihr wahrscheinlich nichts finden." Schief grinsend fügte er hinzu: "Pollux hat auch schon alles durchsucht." Was erklärte, warum das Geld dermaßen gut versteckt war. Wahrscheinlich befand es sich nicht einmal hier im Haus.


    "Und ihr müsst LANGSAM und DEUTLICH reden, wenn ihr mit Python sprecht! Der ist taub wie ein Ziegelstein!" Pollux war hinterher gekommen und behielt alles im Auge, während er seine schweißnassen Hände knetete. "Sucht ihr denn jemanden bestimmten? Kyri war das garantiert nicht, dann müsste hier ja irgendwo eine Münzpresse oder so was sein!" Wenn Kyriakos nicht wiederkommen würde, wäre das für sie alle eine Katastrophe, weil er ihr gesamtes Leben organisiert und geordnet hatte. Keiner von ihnen konnte außer ihm schreiben und rechnen.

    Python musterte sein Gegenüber, ohne wirklich etwas zu sehen. Er hatte die Worte trotz seiner Schwerhörigkeit verstanden, da er angeblafft worden war. "Python ist mein Name und ich arbeite hier." Da er mit seinen über dreißig Jahren geradezu steinalt und von Brandnarben entstellt war, konnte man sich herleiten, dass sich selten ein Kunde für ihn interessierte - oder überhaupt wer - und der grobschlächtige Kerl vor allem als Wachmann diente. Einen Moment starrten sich die beiden Brecher schweigend gegenseitig an, dann trat Python widerwillig beiseite und stapfte ins Schlafzimmer, wo man hörte, wie er Evenor weckte und ihm sagte, er solle rauskommen. Gemeinsam mit dem verstört dreinblickenden Jüngling, der neben dem entstellten Ex-Gladiator wie ein Wesen aus einem Traum wirkte, kehrte er zurück.


    Pollux, der zuvor zur Seite geschubst worden war, hatte sich inzwischen wieder gefangen. "Kyri und ein Geldfälscher?!", rief er mit aufgerissenen Augen. "Das kann nicht sein, er achtet extrem auf Korrektheit, damit ihr uns in Ruhe lasst! Er will keinen Ärger mit dem Gesetz. Was soll ich euch denn über irgendwelche Kunden sagen? Was wollt ihr denn wissen und über wen? PYTHON! Hattest du das gehört?", sagte er nun viel lauter, damit der andere das auch hörte. "Sie haben Kyri eingesperrt! Weil er Geld gegessen hat!"


    "Ja, das hatte ich mitbekommen", murrte Python. Es war für ihn von Vorteil, dass die Mitarbeiter des Vigintivir so laut herumschnauzten. Pollux trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Den wenigsten Kunden war daran gelegen, dass ihre Vorliebe für griechische Praktiken in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Je nachdem, wer man war, konnte das entweder völlig egal sein, weil man derart sicher im Sattel saß, dass niemand einem was anhaben konnte, oder zu Schwierigkeiten führen.

    In einem Raum des hinteren Bereichs war der gesamte Fußboden mit selbst angefertigten Strohmatratzen bedeckt. Zahlreiche Kissen und Decken lagen unordentlich herum und irgendwo in dem Durcheinander hatten sich auch die Lupos des Lupanars Ganymed zum Schlaf eingewühlt. Durch ein kleines Fenster drangen Frischluft und ein Streifen Sonnenlicht. Im Inneren des Lupanars um diese Zeit Stille, während draußen die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen. Nachts mussten sie ja arbeiten.


    Das Hämmern an der Tür traf sie gänzlich unvorbereitet.


    Pollux schrak aus dem Schlaf. Auch Evenor war aufgewacht, drehte sich aber wieder zur Wand und zog die Decke über den Kopf. Da er der Jüngste war, sah er sich nicht in der Verantwortung. Nicon hatte einen Kunden in dessen Wohnung begleitet und war anscheinend noch nicht wieder heimgekehrt. Die anderen waren sowieso oft tagelang unterwegs und kamen nur ins Lupanar arbeiten, wenn sie Geld benötigten. Das Hämmern hörte nicht auf, so dass Pollux aufstand und ins Zimmer von Kyriakos tappte - doch da war niemand.


    Das Hämmern wurde nachdrücklicher und jetzt drohten die Männer auch noch, die Tür einzuschlagen. Die Situation machte Pollux Angst, so dass er in den Schlafraum zurück ging und dem ehemaligen Gladiator Python an der muskulösen Schulter rüttelte.


    Widerwillig öffnete Python die Augen. "Was ist?" Da er nicht mehr gut hörte, schlief er meist wie ein Stein. Vom Lärm an der Tür hatte er nichts mitbekommen.


    "Da sind irgendwelche Männer! Sie wollen die Tür aufbrechen, wenn wir nicht aufmachen!"


    "Die hatte ich doch gerade erst repariert", maulte Python.


    "Wer weiß, was die von uns wollen? Kannst du mal gucken gehen? Kyri ist immer noch nicht da!"


    Python rieb sich die Augen. "Ich dachte, du trägst die Verantwortung, wenn er unterwegs ist?"


    "Schon! Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll!" Er hatte nie gelernt, allein zurechtzukommen oder Entscheidungen zu treffen, das war immer im Verbund mit Castor geschehen. Seit dem Tod seines Zwillingsbruders war Pollux unsicher und ängstlich, oft überfordert von Kleinigkeiten.


    Verärgert kam Python auf die Beine und zog sich seinen Lendenschurz über, den er auch als Gladiator schon getragen hatte, erst Stoff und darüber noch eine Schicht Leder und Eisen. Pollux hingegen trug noch vom Vorabend das pseudogriechische Röckchen, dass er sich jetzt ordentlich zurecht zog. Barfuß gingen die beiden Lupos zur Tür. "Aber du redest", murrte Python. "Ich komme nur mit, damit du das nicht allein machen musst."


    Pollux fasste ihm bittend an den Oberarm. "Kannst du das nicht übernehmen?" Der ehemalige Gladiator starrte ihn aus seinem von Brandnarben entstellten Gesicht verärgert an. Sein durch die Hitze beschädigtes Gehör war für wichtige Gespräche genau so wenig von Vorteil wie sein kaum noch vorhandenes Augenlicht. Pollux verzog den Mund und ließ seinen Arm los. "Schon gut, ich mach's! Aber hör auf, mich so anzuschauen, das mag ich nicht leiden!"


    Sie erreichten den Eingangsbereich und er öffnete die Tür. Mit seinen zu Berge stehenden roten Haaren und der verschmierten schwarzen Schminke um seine Augen bot er einen bemerkenswerten Anblick. Sein Hals war übersät mit lila Knutschflecken und geschwollenen Zahnabdrücken, seine Flanken voller Kratzer. "Chaireeee die Herren", flötete er, während ihm das Herz bis zum Hals schlug. Die Kerle sahen nicht aus, als seien sie Kunden. Wobei Kunden auch selten damit drohten, die Tür einzuschlagen.

    "Bauarbeiten?! Einfach Steine aufeinanderschichten?" Pollux winkte ab. "Das ist ja so was von leicht! Darin habe ich in letzter Zeit enorm viel Übung gehabt. Das kann ich den ganzen Tag machen, die ganze Woche, oder ein Jahr. Gibt es auch was zu Essen und zu Trinken?"


    Er schaute sich um, doch sein Augenmerk galt im Gegensatz zu dem, was er sagte, überhaupt nicht der Suche nach Nahrung und Wasser, sondern den Menschen. Er musste wissen, wer sich hier rumtrieb, ob alte Feinde anwesend waren oder Freunde oder anderweitig interessante Gestalten. Er entdeckte einen wichtig dreinblickenden Togaträger. Der musste der Bauherr sein, denn Kyriakos hatte ihn auch entdeckt und fragte ihn etwas. So wartete Pollux erstmal ab.

    Kyriakos ließ sich auch nach der langen Trennung nicht um den Finger wickeln, zumindest nicht von einem der Zwillinge, und das Versteck des Goldschatzes verriet er auch nicht. Aber er hatte Arbeit! Das stimmte Pollux, der trotz seines Geturtels sehr böse Gedanken hegte, weil Kyriakos nicht tat, was er wollte, wieder milde. Und so begleitete er Kyriakos, um sich vor Ort anzusehen, was er ihm anzubieten hatte.

    "Kyri?!" War der Drückeberger zurückgekehrt, der sie im Stich gelassen hatte, allein mit einer ausgebrannten Ruine und sehr viel Elend! Eine Erklärung wollte Pollux nicht hören, weil Kyriakos sowieso log, er wollte Geld, damit er einen Medicus für seinen Bruder bezahlen konnte!


    So stieg der rothaarige Zwilling aus der Gruft. Gegen das Sonnenlicht kniff er die Augen zusammen, ein angewidertes "Igitt" von sich gebend, das reichlich lax dafür klang, dass er eben noch getrauert hatte. Noch immer war sein Gesicht verheult, doch er konnte damit aufhören, einfach so, und das tat er jetzt, um Kyriakos mit nur einem geöffneten Auge streng anzusehen. "Wir hätten dich hier dringend gebrauchen können! Castor ist krank, weil niemand sich um uns kümmerte und die Menschen herzlose Geizkragen sind. Sagtest du nicht, dass Velia dir einen Sack voll Gold vererbt hat?! Wir haben die Ruinen durchsucht, da ist kein Gold! Du hast uns belogen!" Auch Velias Grab war nicht vor den geldgierigen Fingern der Zwillinge sicher gewesen.


    Plötzlich umarmte Pollux den Heimgekehrten und kuschelte sich an ihn, wobei er ihm ein Küsschen unters Ohr gab. "Wir haben dich vermisst, weißt du das? Aber wie soll es nur weitergehen, wie nur?" Er schloss die Äuglein und stellte sich niedlich, doch das Alter raubte ihm langsam aber sicher trotz des ständigen Hungerns alles Knabenhafte. Das schwere Leben in der letzten Zeit hatte seine Haut rau werden lassen und seine nackten Füße in zwei abscheuliche Dinger verwandelt. Schlimmer war jedoch der Gesichtsausdruck des jungen Mannes, der hohle, seelenlose Blick eines Mörders, in dem schon seit zehn Jahren keinerlei Unschuld mehr lag.

    Pollux stemmte die Hände in die Hüften, beugte sich nach hinten und blickte hinauf bis zum Dach. Wer konnte schon von sich behaupten, mit den eigenen Händen ein Haus gebaut zu haben, auch wenn es ein kleines war?!


    "Jetzt geht es voran", freute er sich, ohne dass er hätte erklären können, was dieses ominöse "es" denn wäre. "Nicht wahr, Castor?" Doch sein Zwillingsbruder antwortete nicht. Das tat er schon seit längerer Zeit nicht mehr, und so hatte Pollux einen sicheren Ort geschaffen, um das Brüderchen zu pflegen. Aufgeschreckt von dem Gedanken huschte er ins Innere, hinab zu der Schlafstatt.


    Er setzte sich dazu und strich Castor über die blasse, schweißnasse Schläfe. "Du hast zu viel getrunken", mahnte Pollux zärtlich. "Das hast du nun davon." Dann fing er an zu weinen, weil er wusste, dass kein normaler Rausch so lange dauerte. "Ich habe uns ein Haus gebaut", schniefte er. "Es ist nur für uns."

    Pollux´ Magen knurrte, als er die Speisen sah. Gebannt folgte er der kleinen Karawane aus vollbeladenen Sklaven mit den Augen. Vielleicht sollte er sich noch mal anstellen? Das Lager schien leergefressen gewesen zu sein.


    Da sah er, wie sein Bruder drauf und dran war, auf den Tisch vom Politiker zu springen. Schon stürzte Castor los! Der liebe, tapfere Bruder, aber sah er nicht, dass das letzte Lukanerwürstchen schon verzehrt war? Heldenhaft warf Pollux sich zwischen seinen Bruder und den Helvetius, so dass beide Zwillinge als Knäuel zu Boden stürzten. Sie kugelten über die Straße. Pollux kicherte, dann verzog sein Gesicht sich vor Schmerzen. Es war keine Verletzung, sondern der Hunger, der ihn so quälte!


    "Die Sklaven", wisperte er und hielt mit dürren Fingern den knochigen Oberarm seines Bruders. Er konnte ihn umfassen. "Das ganze Essen ... Castor ... Bruderherz ... drängel dich an die erste Stelle vor und FRAG! Frag LAUT für zwei Personen! Sie dürfen nicht so herzlos zu uns sein, nicht jetzt, bei diesen Unmengen von Speisen!"

    Dass der Helvetier zu seinem Wort stand bezweifelte mindestens ein Mitglied der umstehenden Menge. Von den versprochenen "Speisen für das Volk" hatte der heruntergekommene Zwilling jedenfalls noch nichts gesehen. Sein Magen knurrte noch immer, während die reichen Herren sich da vorn unterhielten und untereinander Geschäfte vereinbarten. Jener, der die Aufmerksamkeit dringend hätte gebrauchen können, stand immer noch hungrig und unbeachtet in der Gegend herum.


    Frustriert hörte Pollux zu, was die zwei aufgetakelten Schnösel zu mauscheln hatten und so erfuhr er, worum es ging. Aha, ein Wahlkampf war das hier. Leere Versprechungen zu machen hatte der angehende Politiker schon gut gelernt! Pollux hätte den Auftrag als Wahlhelfer sicher besser gebrauchen können als der verwöhnte Fettsack, dem er letztlich anvertraut worden war. Zumindest hätte er das versprochene Essen gern bekommen, so dürr und halbverhungert, wie er war, aber die beiden hatten nur Augen füreinander. Pollux wischte sich noch einmal über sein rotzverschmiertes Gesicht, diesmal mit dem anderen Handrücken.


    "Castor?!", kreischte er er plötzlich, weil sein Bruder immer noch außer Sicht war, und fuhr herum. "Hier kriegen wir nichts, sein fetter Liebhaber ist ihm wichtiger als das hungrige Volk. Machen wir uns vom Acker!" Er schaute seine nackte Fußsohle an, weil er in etwas Ekliges getreten war. Dann setzte er seinen Fuß wieder auf, wischte ihn am Bordstein ab und ging in die Richtung, in welcher er den anderen Zwilling das letzte Mal gesehen hatte, um ihn zu suchen. Sie würden sich erneut ihr Essen auf kriminellem Wege organisieren.

    Wo es kostenlos Futter gab, waren die Aasgeier nicht fern. Und wie ein gerupfter Geier sah der ehemalige Lustknabe auch aus, der zurück zum Diebeshandwerk gewechselt war, seit Kyriakos sie im Stich gelassen hatte. Als Dieb jedoch war er sehr viel weniger erfolgreich als im Bereich der käuflichen Begierde. Es war alles die Schuld des schwarzgelockten Griechen und des fetten Thrakesr, der nur den Strohkopf Satibarzanes mitgenommen hatte. Letzterer war natürlich ebenfalls Schuld. Fort waren sie alle, hatten sie herzlos zurückgelassen und das Lupanar, ihre Spielwiese, die Quelle ihrer Einkünfte, erst niedergebrannt und dann nach anfänglichen Aufräumarbeiten verwaist zurückgelassen. Die verbliebenen Jünglinge waren erneut sich selbst überlassen.


    Pollux´ Magen knurrte deutlich, als er sich einreihte, sehr mager war er geworden. Unter dem Dreck und den verfilzten Haaren war von seiner natürlichen Schönheit bestenfalls noch etwas zu erahnen. Er schniefte, mit dem Handrücken schmierte er Rotz und Dreck breit.


    "Wir haben solchen Hunger", klagte er und wengleich das Lügen seine übliche Art zu kommunizieren war, so log er diesmal nicht. "Und unsere Knie sind aufgeschürft!"


    Er sprach immer von sich und seinem Bruder, ob der nun anwesend war oder nicht. Sicherheitshalber guckte Pollux rasch hinter sich, wo Castor eigentlich stehen sollte.

    Dumm waren sie ja nicht, die Zwillinge und niemand von Verstand legte sich mit einer offensichtlichen Übermacht an, wenn er es nicht musste. Pollux griff nach der Hand seines Bruders. Vor einigen Jahren hatte das niedlich ausgesehen.


    "Komm, Castor. Die Menschen sind nicht bereit dafür, dass die Unsterblichen unter ihnen wandeln. Den Gott der Christen hat man ans Kreuz gehauen, als er versuchte, mehr Liebe unter die Menschen zu bringen. So wollen wir nicht enden, nur weil wir es mit allen gut meinen."



    Als der Leibwächter vom Dingsbums mit drei klopshaften Kumpanen näher kam, trat Pollux einen Schritt zur Seite, weil der Kerl ihm mit seinem Kreuz die Sicht versperrte.


    "Geht doch mal aus der Sicht! Wir wollen nur gucken, wo klein Nero ist!", protestierte er im Tonfall tiefer Kränkung. "Wir wollen ihn abholen. Er ist unser Freund, weißt du?"


    Ja, das wusste der Kerl. Er hatte ja geholfen, Pollux im Bad zu quälen und seine Herrlichkeit zu beleidigen. Pollux hoffte, sie würden sich eines Tages in einer dunklen Gasse über den Weg laufen, in der es nicht so viele Zuschauer gab und der Grobian seine Leibklöpse nicht dabei hatte, deren Gesichter er sich vorsichtshalber auch einprägte. Der einzige Daseinszweck dieses Mannes schien zu sein, Castor und Pollux auf die Nerven zu gehen.

    Pollux half seinem Bruder, das lebende Riesenbündel an Bord der Corbita zu schaffen. Fast bedauerte er, dass sie den Burschen verkauften - er hatte ihnen viele Scherereien gemacht, aber eine ausführliche Bestrafung seiner Missetaten wäre sicher lustig gewesen. Castor und Pollux nannten das "zerspielen", denn hinterher war oft nichts Lebensfähiges mehr übrig, je nachdem, in welcher Stimmung sie sich befanden. Für den Mann, den sie verkaufen würden, war es Glück, denn Tarkyaris teilte den Spieltrieb der Zwillinge nicht, sondern war ein langweiliger Händler mit einem Schnurrbart, der in Rom schon vor fünfhundert Jahren aus der Mode gewesen war.

    Noch jemand beobachtete, was hier geschah. Pollux gab sich keine Mühe, sich zu verstecken, sondern lehnte an der dem Haus gegenüberliegenden Mauer. Jetzt im Winter war er warm eingepackt, aber wer Bescheid wusste, erkannte den Lupo an seinem geschminkten Gesicht und der Art, wie er die Männer einen nach dem anderen musterte, auf der Suche nach einem erwiderten Blick, der sehnsuchtsvoll in seinen Augen versank. Wer näher kam, würde auch das süße Parfum riechen, dass sie Viridomarus geklaut hatten. Der alte Grieche, dem Pollux das letzte Mal ein Küsschen aufgezwungen hatte, erhielt ein Zwinkern, als würden sie sich näher kennen, ehe Pollux wieder die Reiter betrachtete. Der Anführer sah aus, als würde er Geld besitzen.