Beiträge von Pollux

    Python


    Python war es gewohnt, "nicht sonderlich nett" behandelt zu werden. Im Vergleich zu anderen Erlebnissen war der Spruch des Optios so harmlos, dass er ihn kaum bemerkte. Den ehemaligen Gladiator trieb eine ganz andere Sorge um. "Ich kenne mich da unten nicht aus, ich kann euch nicht führen. Da müsst ihr Pollux fragen, der hat dort mal gewohnt. Aber ich würde euch auch abraten, zu zweit da reinzugehen! Oder überhaupt einen Fuß in diesen Schlund zu setzen!"


    Ein kalter, fauliger Hauch quoll langsam aus dem Loch und strich wie ein Totengeist um die Füße der drei Männer. Python, der sicher kein Feigling war, wenn es um weltliche Gegner ging, wich unwillkürlich einen Schritt zurück, doch die Kälte folgte ihm.

    Python


    Der ehemalige Gladiator kannte die Antwort und kannte sie doch nicht: "Die Schatulle mit dem Geld ist bei Evenor. Er wird, wenn alles sicher ist, zu Kyriakos zurückkehren. Wo Evenor sich in diesem Augenblick verbirgt ..." Er hob langsam die mächtigen Schultern und ließ sie wieder fallen. Das Labyrinth unterhalb Roms war gigantisch, eine eigene Stadt unter der Stadt, mit ihren eigenen Gesetzen.

    Python


    Von der Castra aus war es ein weiter Weg. Aufgrund von Pythons Schneckentempo benötigten sie eine halbe Ewigkeit. "Hier wären wir", sagte er und wies auf das Mausoleum, aus dem er den Leichnahm gezogen hatte, damit die beiden Urbaner sich umschauen konnten. Wahrscheinlich lag irgendwo auch noch der Knüppel des Wachmanns im Grase, doch Python konnte ihn natürlich nicht sehen.

    Python


    "Nein, ich habe noch niemanden erwürgt", murrte Python und seine narbige Stirn runzelte sich besorgt. Er wusste nicht einzordnen, wie ernst es dem Optio mit diesem Scherz war.


    Da der Blinde vorangehen sollte, kamen sie nur sehr langsam voran. Insbesondere für den Weg aus der Castra hinaus musste er die beiden Soldaten immer wieder um Hilfe bitten, in welche Richtung er sich nun wenden sollte. Doch seine Füße waren ja nicht lahm und so gingen sie, einen Schritt nach dem anderen, in Richtung der Via Appia ...

    Python nickte stumm. Die Ereignisse der letzten Stunden hatten in ihm den Glauben ausgelöscht, dass es jemand Offiziellem tatsächlich um Gerechtigkeit gehen könnte. Er nahm an, man würde den Unfallort kurzerhand zu einem Tatort erklären und ihn zu einem Mörder machen. Erst nach einer Weile fügte er hinzu: "Ja, ich fühle mich imstande, dich dorthin zu führen." Ohne auf eine weitere Aufforderung zu warten, erhob er sich, um es hinter sich zu bringen. Der Urbaner hatte ja gesagt, dass er jetzt sofort dorthin geführt werden wollte.

    Uns so erzählte Python seine Geschichte, kurz und schmucklos, wie sie war: "Ich heiße Python und bin Libertinus, ein ehemaliger Gladiator. Ich arbeite im Lupanar Ganymed. Kyriakos hatte mich von der Gladiatorenschule freigekauft, weil er einen Wachmann brauchte. Ich war nicht so teuer, ich bin nicht mehr der Jüngste und für mich war die Zeit in der Arena vorbei, weshalb ich zum Verkauf stand. Was sich heute zugetragen hat ..."


    Er zuckte betrübt mit den Schultern. "Kyriakos ist geschäftlich unterwegs gewesen, als uns jemand mit lautem Klopfen aus dem Schlaf gerissen hat.* Wir schlafen tagsüber, weil wir nachts arbeiten. Doch da wurde nicht nur geklopft, sondern auch gedroht, die Tür aufzubrechen. Pollux hat also geöffnet, ich war dabei, um aufzupassen. Vor der Tür standen irgendwelche Männer von der Münzprägeanstalt." Er dachte scharf nach, bis ihm die Namen wieder einfielen. "Das waren der Prüfer Gideon und Salvatius, der seinen Sicherheitstrupp befehligte. Sie kamen wohl im Auftrag eines Vigintivirs Secundus."


    Er machte eine Pause, versuchte, sich an den Wortlaut zu erinnern. Es waren keine schönen Ereignisse gewesen. "Wir sollten alles über unsere Kunden und etwaige Falschmünzen aussagen, ansonsten würden wir uns als Rudersklaven in Ketten wiederfinden. Kyriakos würde im Verdacht der Falschmünzerei stehen. Andernfalls wollten sie die Namen aus uns herausquetschen. Pollux hat erklärt, dass Kyriakos keine Listen mit Kundendaten führt, dass es außerdem sowohl uns als auch den Kunden schaden würde, wenn wir irgendwelche Namen nennen würden. Sie haben alles durchsucht und keine Münzpresse und keinen Schmelzofen gefunden ... weil ja auch nichts davon da ist! Sie brachen den Schrank auf, wo sie unter anderem eine Schatulle mit Geld fanden. Als sie dann androhten, Kyriakos zu foltern, hat Pollux ihnen sehr viele Namen genannt."


    Und jetzt begann der knifflige Teil.


    "Pollux schickte Evenor samt dem Kästchen nach draußen unter dem Vorwand, etwas zu Essen zu kaufen. Natürlich sollte er es in Wahrheit in Sicherheit bringen. Ich sollte ihn begleiten. Allerdings schickte Gideon uns einen der Wachleute mit. Angeblich sollte er uns zu einem Händler bringen, der uns einen guten Preis machte, aber wahrscheinlich sollte er ein Auge auf uns haben. Wir gingen in Richtung Via Appia**, wo wir ein Geheimversteck haben. Dorthin verschwand Evenor mit dem Kästchen. Daraufhin drohte der Wachmann mit dem Knüppel. Ich hielt den Knüppel fest, bevor er damit Schaden anrichten konnte, aber er ließ ihn los und rannte Evenor hinterher. Dann hörte ich einen Knall. Ich bin Gladiator, ich kenne das Geräusch von brechenden Knochen. Ich ging schauen und da fand ich den Wachmann tot. In einen Schacht hineingestürzt. Ich habe versucht, ihm zu helfen, aber da war nichts zu machen, darum habe ich ihn zu euch getragen."


    Wohin auch immer der Soldat ihn führen mochte, Python würde folgen. Er fragte sich, ob die Cohortes Urbanae ihn zum Opferlamm erklären würden, wo er doch so praktisch mit einem Toten vorbeispaziert kam, doch was hätten sie davon? Aus eigener Erfahrung wusste er, dass die Ordnungshüter sich kaum um die alltägliche Verbrechensbekämpfung kümmerten, die vielmehr Privatsache war. Vielleicht war der Tote ja unwichtig genug, es dabei bewenden zu lassen?

    Der Aufschlag und die Nachfolgende Stille verhießen nichts Gutes. Entsetzt lauschte Python auf die Ruhe. Er kannte den Aufbau des Mausoleums und der anschließenden Katakomben und mutmaßte sehr richtig, was sich zugetragen haben musste. Was, wenn ihnen nun jemand den Tod des Mannes in die Sandalen schieben würde? Evenor floh durch das Labyrinth und der fast blinde Ex-Gladiator stand hilflos herum, den Knüppel noch in der Hand. Entsetzt warf er ihn weg. Mit den Füßen tastend, die Augen verrenkt und zu Schlitzen zusammgengekniffen, die Stirn extrem gerunzelt, versuchte er, seinen Weg zu identifizieren. Im Schneckentempo arbeitete er sich so in das Mausoleum vor, wo er nach einigem Suchen den Gehilfen des Münzmeisters fand. Python mühte sich nach Kräften, das Leben in den schlaffen Körper zurückzuholen, doch es überstieg seine Macht. Die Gewissheit des Todes griff wie eine kalte Klaue nach seinem Herz. So war das nicht geplant gewesen, Evenor hatte fliehen sollen, es war doch nicht gewollt, dass jemand starb! Wie groß sollten die Probleme für sie noch werden? Kurz war er versucht, den Toten in den Katakomben verschwinden zu lassen, doch er fand in sich nicht die nötige Skrupellosigkeit. Stattdessen barg er ihn und trug ihn sehr langsam zurück in Richtung Stadt, das Herz voller Sorge.

    Sollte Titus tatsächlich in den Schacht hinabsteigen, würde er eine Offenbarung erleben: Seine Hände würden zu einer Seite ins Nichts tasten, schwarz und leer wie der Raum zwischen den Sternen. In der Ferne konnte er ein leises Kratzen und Schleifen hören, das sich von ihm entfernte. Er war auf einen Geheimgang der römischen Unterwelt gestoßen.

    Pollux gelang es, zu sagen: "Ach, wie schön!", obwohl überhaupt nichts schön war, und zu lächeln, bis die Männer wieder draußen waren. Kaum hatten sie die Haustür verlassen, schlug sie hinter ihnen zu und man hörte, wie Pollux sie energisch verschloss, einen Balken einlegte und mit lautem Schaben etwas Schweres davor schob.


    Als der kaputte Schrank den Eingang blockierte, fingen Pollux' Finger an zu zittern. Steifbeinig stakste er zu einer Waschschüssel, um sein Gesicht kalt abzuspülen. Weil seine Hände so sehr wackelten, verspritzte er viel. Trotz aller Bosheit, die ihm innewohnte, machte er sich entsetzliche Sorgen um Kyriakos und der Gedanke, dass er das wenige, was er hier hatte, mit ihm verlieren sollte, bereitete ihm große Angst. Indem er Evenor, Python und das Kästchen in Sicherheit geschickt hatte, während er selbst im Zentrum der Gefahr zurückblieb, hatte er die vielleicht einzige edle Tat in seinem Ganzen Leben vollbracht.


    Er holte sich etwas verdünnten Wein und setzte sich damit auf eine Bank im Eingangsbereich. Er blickte hoch zu den Gemälden und fragte sich, warum scheinbar alle Menschen ein gutes Leben führten, Freunde und eine Familie hatten, nur ihm war nicht mehr als das hier vergönnt. Und doch war es mehr als noch vor ein paar Jahren, als er ein Straßenjunge gewesen war. Er musste das beschützen, was er sich bisher erkämpft hatte, wie wenig es auch sein mochte.

    "Ach, wie schade! Aber wenn ich euch beziehungsweise eurem edlen Vigntivir einen heißen Tipp geben darf - schaut doch mal im Lupanar Magnum Momentum vorbei, dienstlich versteht sich, der Inhaber hat eine dicke Kruste des übelsten Drecks an seinem Stecken und ich wette er schwimmt im Falschgeld!"


    Um Kyriakos machte Pollux sich nun aber doch ein wenig Sorgen. "Wann kommt Kyri wieder nach Hause?"

    Doch als Titus in das Mausoleum trat, das wie ein steinernes Haus schützend die Toten in sich barg, war da kein Evenor mehr. Es schien im Dämmerlich zunächst, als hätte er sich in Luft aufgelöst, doch beim Umrunden der Ruhestätte fand sich hinter dem Sarkophag eine offene Bodenfliese, die in vollständige Finsternis hinabführte.


    Draußen stand noch immer Python, der etwas hilflos den Knüppel in der Hand hielt und nicht wusste, was er nun tun sollte, als mit seinem schlechten Gehör in die für ihn zur Unkenntlichkeit verschwommene Welt hinaus zu lauschen. Seine Aufgabe war erledigt, Evenor war samt dem Kästchen in Sicherheit. Doch er selbst konnte seinem jüngeren Kumpanen nicht folgen.

    "Also ihr foltert sie wirklich alle?", halte Pollux nach, wobei er nicht im Mindesten um die Sicherheit der Namensträger besorgt wirkte, sondern vielmehr gehässig.

    Zeitiger als erhofft, aber später als befürchtet verstand der Wachmann, dass hier etwas im Busche war. Nun hieß es handeln. Python packte den Knüppel und hielt ihn mit aller Kraft fest. Gleichzeitig rannte Evenor samt dem Kästchen ins Innere eines Mausoleums, wo er in der Dunkelheit zu verschwinden schien.

    Vom Lupanar Ganymed aus war es ein ziemliches Stück bis zur Nekropole, zu der Python den Weg vorgab. Evenor, der sich bei dem fast blinden Ex-Gladiator in den Arm eingehenkelt hatte und ihn führte, schaute sich um, ob der Wachmann des Vigintivir noch dabei war. In der anderen Hand trug er das Kästchen mit den Münzen.

    Pollux merkte auf. "Ihr werdet die Träger der Namen allesamt suchen, festnehmen und foltern? Also so richtig mit Folterkammer und allem Drum und Dran?" Konnte das wirklich sein...? Seine Mundwinkel zogen sich wie von selbst auseinander, er konnte nichts dagegen tun!


    Draußen beschritten derweil Evenor und Python einen ganz anderen Weg, als der Wachmann sie lotsen wollte. Es schien, als hätten sie ein bestimmtes Ziel im Sinne. Aufgrund von Pythons massiver Sehschwäche kamen sie nur langsam voran. Der ehemalige Gladiator hatte den Arm angewinkelt und Evenor hatte sich eingehenkelt, um ihn zu führen, doch es war Python, der die Richtung vorgab.

    Doch Python ließ sich nicht abwimmeln. Auch er begleitete Evenor. Pollux sah den beiden angespannt nach. Er hoffte, dass Pythons Verstand ausreichte für zwei, damit nicht alles noch schlimmer wurde. Könnte Python doch noch sehen! Als sie draußen waren, atmete Pollux tief durch. Sein leidendes Gesicht entspannte sich etwas.


    "Ich hoffe, deine rechte Hand ist gut trainiert! Die hat jetzt viel zu tun. Carystius, Stateira, Servius Pomponius Privernas, Cleochares, Hase, Dorylaus, Iullus Mallius Abascantus, Kímon, Tremellia Rebila, Hicetas ..." Pollux zählte minutenlang römische wie peregrine Namen auf, einige ließen dem Klang auf Sklaven oder ehemalige Sklaven schließen, manche Namen hatte Gideon noch nie zuvor gehört. Die meisten Namen waren männlich, aber auch ein paar weibliche Namen fanden sich darunter. Die Liste wuchs, bis er sagte: "Das wars. Mehr weiß ich nicht."

    "Also gut!" Pollux warf mit jammervollem Gesicht die Hände gen Himmel, als damit gedroht wurde, Kyriakos zu foltern. Das wollte er nun wirklich nicht. "Ihr habt gewonnen!" Er ließ die Arme resigniert wieder fallen und den Kopf hängen. "Ich sage euch alle Namen, die ich weiß! Nur zürnt mir nicht, wenn sie nicht vollständig sind. Mein Gedächtnis ist nicht so gut, das kommt vom ständigen Hunger. Ich hoffe, ihr sorgt danach auch für unsere Sicherheit, wenn die Besitzer dieser Namen vorbeikommen, um sich bei uns dafür zu bedanken, dass ich ihr Ansehen besudelt und ihre Karrieren und Ehen ruiniert habe! Es tut mir so leid, aber ich habe keine Wahl."


    Er wies auf die Tür von Kyriakos' Arbeitszimmer, wo der aufgebrochene Schrank stand. "Evenor, nimm das Kästchen mit dem Geld und kauf uns eine großzügige Mahlzeit. Wir brauchen das Geld sowieso nicht mehr, weil wir im nächsten Monat alle tot sein werden. Da will ich wenigstens ein einziges Mal im Leben so viel essen, wie ich kann! Python, du gehst ihn begleiten, damit er nichts Dummes damit macht."


    Nach dieser Anweisung ließ Pollux sich auf eine steinerne Bank fallen, wo er zu einem traurigen Häuflein zusammen sank. "Hast du was zu schreiben, Münzprüfer Gideon? Ich fange jetzt an."