Beiträge von Galeo Seius Ravilla

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    Anaxis


    Der Sklave von exotischer Schönheit war sicher manch einem im Gedächtnis geblieben. Anaxis bewegte sich nicht wie ein Sklave noch senkte er das Haupt vor einem Mann, der nicht sein Herr war, doch war sein Gebaren von ausgesuchter Höflichkeit. "Salve, verehrter Herr. Mein Herr, Tribun Galeo Seius Ravilla, erbittet eine Audienz bei seinem Legatus Augusti Pro Praetore, dem hochverehrten Aulus Aemilius Nepos", teilte er dem Wächter an der Porta mit. "Es geht um die Via Seia, zu deren Vollendung er einen Bericht erstatten zu dürfen bittet. Ich wurde fürderhin angehalten, zu erinnern, dass auch der ruhmreiche Caesar Appius Aquilius Bala während der Planungsphase ein Interesse an dem Projekt geäußert hatte."


    Ein wenig dreist war dieser Vorstoß, doch handelte Anaxis hierbei im Auftrag seines Herrn und nicht in eigenem Antrieb. Ein sanfter Zug um seine Mundwinkel milderte den Vorstoß um Versöhnung bittend ab. Aus schwarzen Augen, elegant umrandet, betrachtete er den Wächter in Erwartung einer Antwort.

    Besänftigt vom privaten Opfer des Tribuns entschieden die Unsterblichen, dem Bau der Straße eine letzte Frist einzuräumen: Der Regen wich strahlendem Sonnenschein. Und so kam der Tag, an dem der letzte Stein ins Erdreich gesenkt wurde. So wie er auch dem ersten Spatenstich beigewohnt hatte und dem ersten Stein, so war Ravilla persönlich anwesend, als es daran war, den letzten Stein der Via Seia zu verlegen. Ravilla dankte jedem Offizier persönlich, er dankte der Legio, der Ala und am Schluss allen Soldaten und zivilen Arbeitern im Kollektiv.


    Am Schluss aber sprach er: "Nun wollen wir heimkehren und die Vollendung der Via Seia feiern mit einer Kleinigkeit. Für den Rest des Tages und für morgen soll keiner von euch arbeiten müssen. Die Pause habt ihr euch alle miteinander redlich verdient. Esst nicht zu viel von eurem Proviant, denn in der Castra wurde etwas Kleines für euch vorbereitet."


    Die Soldaten jubelten, der Ruf "Roma Victrix!" erklang dreifach im Chor.


    Eine gewisse Rührseligkeit ergriff Besitz von seinem Geist, als das Pferd er gen Westen lenkte und seine Soldaten sich einreihten. Nicht allein der Bau neigte sich dem Ende, sondern auch Ravillas Zeit als Tribun. Dank der guten Arbeit der Ala I Aquilia Singularis hatte die Legio XXII sich unbehelligt ganz dem Bau der Straße zu widmen vermocht. Kein Überfall hatte die Mühen disturbiert. Diese Straße war nicht mit Blut geweiht, sondern allein mit dem Schweiß tüchtiger Soldaten und Arbeiter. Als der Tag sich langsam neigte, ritt Ravilla mit seinen Getreuen auf seinem edlen kappadokischen Ross über das steinerne Band, welches das verbündete Dorf des germanischen Hinterlandes fortan und für alle Ewigkeit mit Mogontiacum verband. Gleich einem Fluss würden die Wege der Menschen sich auf ihr treffen. Das Dorf würde wachsen und unter römischem Einfluss gedeihen. Händler, Reisende und Feinde würden die Via Seia gleichermaßen benutzen, was nach dem Desaster im Wassergewirr der Flusspatrouillen eine bessere Berechenbarkeit induzierte.


    Die Legion aber würde diese Straße nicht aktiv schützen. Sie lag jenseits des Limes und es gab keine Pläne Roms, in diese Bereiche dauerhaft vorzustoßen. Doch die Ala würde sie benutzen für ihre Operation Sommergewitter. Allen Skeptikern zum Trotz war diese Straße sein ganzer Stolz. Der Tag würde kommen, da man erkennen würde, dass sie nicht das Werk eines ruhmsüchtigen Mannes war, der seinen Namen für die Ewigkeit in Stein gemeißelt wissen wollte, sondern eines, der sein Handwerk verstand und zum Wohle Roms gegen die Widrigkeiten durchzusetzen wusste, die ihm entgegenschlugen - auch jene aus den eigenen Reihen. Galeo Seius Ravilla war von Kindesbeinen an in der Kunst der unblutigen Kriegsführung geschult worden. Die Via Seia war sein Weg, dies zu beweisen und seinen Beitrag zu leisten für die Sicherheit des Imperiums.


    So lächelte er frohen Mutes, als er die Legion mit den letzten Strahlen des Tages über die neue Straße heim in die Castra führte, wo ein kleines Festmahl und so manch Annehmlichkeit das Finale besiegeln würden.

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    Über die Legio XXII Primigenia


    Die Legio XXII Primigenia war die 22. Legion der römischen Armee. Ihre Legionssymbole waren ein Capricorn (mythologische Gestalt, halb Steinbock, halb Fisch) und der Halbgott Herkules. Sie wurde wahrscheinlich im Jahr 39 von Caligula für seinen Feldzug ins unbesetzte Germanien aufgestellt. Ab dem Jahr 43 war die XXII Primigenia sicher in Mogontiacum (Mainz) stationiert. Ihre Aufgabe war die Überwachung der Rheingrenze sowie Teile des Limes. Besonders während der Erbauungszeit des Obergermanischen Limes wurden von der 22. Legion Ziegeleien betrieben, aber auch der Betrieb von Steinbrüchen ist überliefert. In einem Steinbruch finden sich noch zahlreiche Inschriften und Abbildungen von Feldzeichen [Link]. Die Legion wurde im Zuge von Baumaßnahmen bisweilen auch zum Holzfällen abgestellt.


    Eine Auswertung der Mainzer Inschriften zwischen 43 und 70 n. Chr. ergab, dass 62 % der Legionäre italischer, 33 % gallischer und 5 % norischer Herkunft waren. Auch der spätere Kaiser Hadrian war von 97 bis 98/99 einer ihrer Militärtribune. So verwundert es nicht, dass eine Abordnung der 22. Legion ihn beim Bau des Hadrianswalls unterstützte.


    Berichte über die Legion gibt es bis ins 4. Jahrhundert. Nach Meinung einiger Archäologen wurde die XXII Primigenia im Jahr 351 in der verlustreichen Schlacht bei Mursa aufgerieben und danach nicht wieder aufgestellt, da seit der Nennung in konstantinischer Zeit keine weiteren Zeugnisse oder Aktivitäten der Legion überliefert sind.


    • Weitere Informationen über die 22. Legion finden sich in unserem Wiki oder auf Wikipedia.
    • Bei der Orientierung innerhalb des Standlagers hilft der Lageplan (mit Hovereffekt).

    Die Befehle, welche in den folgenden Tagen gesprochen wurden, schienen wenig geeignet, Euphorie zu schüren: Sie beinhalteten verlängerte Dienstzeiten. Zudem wurde eine weitere Centuria zur Unterstützung der Arbeiten abkommandiert.


    Schuld daran trug in jenem Fall nicht der ambitionierte Tribun, der die Befehle ausgab, als vielmehr jene Götter, welche sich für einen frühen und intensiven Herbsteinbruch inmitten des Augustus entschieden hatten. Kein Flehen vermochte sie zu besänftigen und daran zu Hindern, die himmlischen Wassermassen auf Germania magna herabzuschütten. An jedem Nachmittag In den Tälern schäumten Braun die zürnenden Fluten sonst harmloser Waldbächlein. Die Bewaldung und der nach römischer Manier gewählte Straßenverlauf schützten die Arbeiter und Ravillas Straße vor einem Hangrutsch.


    Zugute kam den Milites trotz allen Widrigkeiten, dass der trockene Sommer zu einem hervorragenden Bautempo beigetragen hatte, so dass der tägliche Regen das Vorhaben nicht gefährdete. So hieß es nun für die letzten Meter, zu schuften im Akkord, das Ziel dicht vor Augen und tägliche Sonderrationen an Fleisch zum Lohn. Zudem erwog Ravilla, den lokalen Göttern zu opfern, um sie zu besänftigen und zu bewegen, ihren regnerischen Schabernack andernorts auszuleben.

    Ravilla nickte zufrieden und schenkte dem Miles, der ihm noch von früher privat verbunden war, ein Lächeln. "Die Götter, so will mir scheinen, haben ein Einsehen. Nachdem die Planung Woche um Woche verschlang, bekommen wir die verlorene Zeit nun während des Baus wieder gutgeschrieben. Möge es weiterhin so gut voranschreiten." Er nickte Cinna zum Abschied zu und trieb sein Pferd mit sanftem Schenkeldruck an. Er gedachte, dem zuständigen Offizier mitzuteilen, wie zufrieden er damit war, wie reibungslos der Bau vonstattenging. Die Materialtransporte, gut gesichert von den Soldaten der Ala, kamen samt und sonders pünktlich an. Zürnende Einheimische, so sie existierten, wurden effektiv auf Abstand gehalten. Würden alle dienstlichen Angelegenheiten so reibungslos verlaufen, wäre das Imperium ein Elyisium bar aller Makel.

    Der Decurio fällte sein Urteil über das Kind sehr schnell, wohl aus bitterer Erfahrung. Die Option, dass es sich in der Tat um eine kleine Person handeln könnte, welche nichts als Hilfe für seine Familie im Sinne hatte, kam nicht vor in seinem vom Krieg verdunkelten Geist. War Sabaco zu sehr verbittert oder Ravilla zu arglos? Eine interessante Frage, welche die Zeit beantworten musste. "Halte mich über das Kind auf dem Laufenden", fügte Ravilla dem Abschiedsgruß hinzu, ehe er weiter die neue Straße entlang ritt, bis zu jener Stelle, da die Steinquader endeten und der Unterbau bloß lag. Hügel von Aushub und Material türmten sich, Eimer, Körbe und Karren wurden im Angesicht der Hitze unter großer Kraftanstrengung von hier nach dort verbracht.


    Ravilla wartete den Gruß ab, dann bat er den ersten Soldaten, den er sah, um einen Bericht. Nachdem die Sicherheitsfragen vorerst beantwortet waren, gedachte er zu erfahren, wie die Baufortschritte sich gestalteten. "Miles, Rapport."

    Publius Matinius Sabaco war dafür bekannt, mit einer für einen Soldaten umfangreichen und blumigen Wortwahl aufzuwarten. Ravilla, der ihn persönlich kannte, wusste um diese Eigenheit, die vielleicht dazu dienen mochte, die Welt zu erklären, die sich für den Sprecher oft allzu unverständlich verhielt. So ließ Ravilla stets Nachsicht walten und wartete höflich, bis der Decurio seinen Rapport beendet hatte, der eher für eine Besprechung geeignet wäre. Nichtsdestoweniger: Die Informationen besaßen Hand und Fuß und sie zu erarbeiten war sicher nicht immer einfach. Für einen Decurio war Sabaco mit einem Übermaß an Pflichten betraut, sicher ein Zeichen des Vertrauens, doch wohl mitunter auch eine Bürde für den Mann, der den Dienst zwischen Soldaten der Arbeit in der Schreibstube den Vorzug gab.


    "Ich danke dir für deinen wie immer ausführlichen und gründlichen Rapport, Decurio. Zudem lade ich dich ein zu einer Besprechung, um die gemeinsame Strategie zu reflektieren und eventuelle Anpassungen zu evaluieren. Zwecks Terminfindung schicke ich dir einen Boten." Als Tribun der Legio war er einem Decurio der Ala freilich nicht weisungsbefugt, doch bislang waren sie gut miteinander zurechtgekommen und die Straße wuchs und gedieh, dass es eine Freude war. "Einstweilen darfst du wegtreten, Decurio. Dir und deinen Männern einen ruhigen Dienst."

    Der Tribun erwiderte den Gruß mit einem Übermaß an Eleganz, doch seine den militärischen Gepflogenheiten Rechnung tragende Rüstungen verhinderte, dass man ihm seine Affinität für Mode ansah. Konträr zu seinen sonstigen Gewohnheiten trat Ravilla als Tribun auch nicht geschminkt oder parfümiert auf. "Decurio, Rapport."

    Planung und Aufsicht waren die Pflichten, welche dem Tribun in den Tagen des Straßenbaus oblagen, Logistik und Kommunikation rundeten seinen Aufgabenbereich ab. Diese organisatorischen Obliegenheiten kamen seinem Naturell mehr entgegen als die Rolle als militärischer Befehlshaber, doch gehörten beide Bereiche zu seinem Aufgabenspektrum, die Administration ebenso wie das Kommando. Galeo Seius Ravilla besuchte folglich die Baustelle täglich und sprach mit den Offizieren, auch wenn es ihm unmöglich war, seine gesamte Zeit der Straße allein zu widmen, denn auch im Castellum harrten zahlreiche Pflichten seiner Präsenz.


    Als er an diesem Morgen sein Pferd über die neue Straße lenkte, die täglich um etliche Meter erweitert wurde, beobachtete er voll Wohlgefallen, wie die Soldaten emsig damit beschäftigt waren, die römische Straße durch das feindliche Gebiet zu ziehen Zu beiden Seiten entlang der Trassenführung waren auf je 60 Meter Tiefe aller Wald und Buschwerk vollständig gerodet worden, um künftige Überfälle aus dem Hinterhalt zu vermeiden. Zwischen den Stümpfen trocknete die braune Erde in der Sonne des beginnenden Sommers. In der Mitte aber verliefen die ersten Meilen der Via Seia, ein graues Band, das sich auf halber Höhe um die Hügel schwang.


    Der Tribun freute sich über den Fortschritt der Arbeiten, aber er wusste auch um die Gefahr, die in den Wäldern lauerte. So winkte er den Decurio der Ala I Aquilia Singularium, welcher für die Sicherheit zuständig war, für einen Rapport heran.

    "Baue die Strasse", hatte der Caesar gesagt, "ich werde das beobachten...sollte alles so eintreffen wie du es voraussagst werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, daß du deinen Platz finden wirst ... allerdings auch wenn du versagst."


    Wie könnte Ravilla jene Worte vergessen, die wie das Schwert des Damokles über seinem Haupte hingen? Im Zelt der Offiziere studierte er die Pläne, um sie mit dem aktuellen Fortschritt abzugleichen. Dabei fiel ihm erneut jene Skizze in die Hand, welche er dem Legaten vorgelegt hatte, um ihn für seine Pläne zu gewinnen.


    Die Vorhersagen eines Wetterkundigen waren eingetroffen und die monatelangen Regengüsse waren endlich verebbt. Während die Römer arbeiteten, kümmerten die Germanen sich um das Auffüllen ihrer Vorräte, welche im Winter rar geworden waren. Noch ließen sie nicht von sich hören, noch lagen keine Hindernisse auf dem Weg zur fertigen Via Seia, welche in diesem Augenblick Meile um Meile durch das germanische Grün getrieben wurde, zunächst in Erde, bald jedoch in Stein, gebaut für die Ewigkeit, wie alles, welches unter den Händen Roms entstand.

    Via Seia


    Nach langen bürokratischen Hürden gelang es Galeo Seius Ravilla endlich, den Bau jener Straße durchzusetzen, die von Mogontiacum aus ins Barbaricum führen sollte. Die Straße, welche er in der ihm eigenen Bescheidenheit "Via Seia" nannte, war von beträchtlicher militärstrategischer Bedeutung, wenngleich ihr Bau eine Herausforderung darstellte, da sie durch nicht befriedetes Gebiet verlaufen sollte. Es war nicht üblich, außerhalb der sicheren Grenzen des Imperiums die Kräfte der Legion zum Straßenbau einzusetzen. Und doch stand die Legio XXII Primigenia nun bereit ...


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    «In der Tat ist mir im Vergleich zu Italia eine fleischreiche Ernährung aufgefallen, was meiner Vermutung nach dem langen Winter und dem, wie man sagt, oft verregneten und kalten Sommer geschuldet sein mag. Um Roma herum ist es warm und trocken, die Winter milde. Hier aber herrscht das gesamte Jahr über Nässe, was die Vegetationsperiode verkürzt, so dass die Ernten geringer ausfallen, und die Lagerung von Getreide und Obst schwieriger macht. Schimmel ist kein seltenes Phänomen. Da ich mich momentan viel mit Logistik befasse, habe ich Zugriff auf recht interessante Statistika. Schabaka», sprach Ravilla an den feisten Nubier gewandt, «bitte kredenze meinem Gast den Murgentiner. Dazu reiche kappadokisches Gebäck.»


    Sogleich entschwand der Nubier, welcher das Gewünschte sicher wie gewohnt um passende Delikatessen erweitert servieren würde, ohne dass Ravilla diese benennen musste. Er schenkte Iunia Matidia ein Lächeln. «Die Murgentina ist eine edle pompejanische Traube von den Vulkanhängen des Vesuv und wird deinem zarten Gaumen schmeicheln. Diesen Wein habe ich erst in Italia kennen und lieben gelernt, so dass ich mir einen kleinen Vorrat ins Reisegepäck geben ließ. Ich war nicht sicher, ob es in Germania in Anbetracht der fehlenden Sonne vergleichbar melodische Aromen geben würde. Aber begleite mich doch bitte ins Wintertablinum, wo vor meiner Ankunft stets geheizt wird, so dass wir einen warmen Raum vorfinden werden, um unsere Unterhaltung fortzusetzen.»


    Währen die Schar der verbliebenen Sklaven sich anschickte, ihren Verrichtungen nachzugehen, führte Ravilla die junge Frau durch das Peristylhaus. Freilich war dies ein kleineres Objekt, nicht vergleichbar mit den gewaltigen Peristylhäusern privater Anwesen, doch unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich im Herzen eines Militärlager befand, ließ es kaum einen Wunsch offen. Im Tablinum fand sich ein schwarzer Marmortisch mit verzierten Bronzebeinen. Dahinter stand der mit Raubkatzenfell gepolsterte Scherenstuhl des Tribuns, flankiert von zwei Marmorstatuen, welche, dem Ort Rechenschaft zollend, Iuppiter und Mars darstellten. Ein zweiter Scherenstuhl von gleicher Machart wurde soeben herbeigetragen.


    «Nimm bitte Platz. Wann darf ich mit dem Eintreffen deiner Mutter rechnen? Wird sie ihre eigenen Sklaven mitbringen oder bedarf sie der Unterstützung durch das hier arbeitende Personal?»

    Ravilla verbrachte seine erste Nacht in einem Zelt. Heulend rüttelte der Wind an den Planen, ließ die Ösen und Haken der Sturmleinen klirren. Trotz der Feuerschale fror der Tribun erbärmlich, bis man ihm heiße Steine, eingewickelt in Tücher, unter die Decke schob. Die Nässe und der Wind waren es, welche die Kälte klamm durch alle Kleider kriechen ließ. Als der Weckruf durch das Lager hallte, hatte der Tribun kaum ein Auge zugetan. Schweigend widmete er sich der dampfenden Waschschüssel, die man ihm vorbereitet hatte. Auch Kleidung und Panzer fanden angewärmt ihren Weg auf seine kalte Haut. Mit keinem Ton hatte Ravilla verlauten lassen, wie sehr das Wetter an ihm zehrte, nicht geklagt und nicht gejammert, doch schienen die Tribuni lativlavii für ihre Befindlichkeiten bekannt zu sein, so dass man in aufmerksamer Sorge für sein Wohlergehen plante.


    «Einen wunderschönen guten Morgen», flötete er in bitterer Selbstironie seinem Kollegen, dem ritterlichen Tribun Saltius Philippus zu, als er sich mit steifen Gliedern zu ihm gesellte. Der Morgennebel kroch weiß über den Campus, wo die Soldaten vor ihren jeweiligen Offizieren zum Appell antraten. Nun, es war nicht an Ravilla, den Appell abzuhalten, so dass er sich am Rande hielt. Lernend nur verfolgte er die Ereignisse, ein recht stiller, wenn auch auffällig anzuschauender Koordinator im Hintergrund, denn die Ausbildung der Tirones würde nie in seinen Aufgabenbereich fallen.

    Ravilla entging nicht die Verstimmtheit des Aulus Aemilius Nepos, sie war nachvollziehbar, durfte indes nicht ihr professionelles Verhältnis gefährden. Er neigte höflich das Haupt, nur einen Fingerbreit, kaum mehr als ein Nicken, doch galt sein Blick fest den Augen seines ranghöchsten Vorgesetzen. «Auch mit dem Segen des Caesars ist deine Meinung mir wichtig, Legat. Hab Dank für deine Zeit.»


    Er sortierte die Unterlagen auf einen Stapel, verwahrte sie in der Ledermappe und platzierte diese unter seinen Arm. «Vale, Legatus Augusti pro praetore. Mögen die Götter ihre schützende Hand über dich und deine Arbeit halten.» Als die Tür sich schloss, schwebte der Duft von frischgewaschener Kleidung und fernöstlichem Parfüm so intensiv im Raum, als Stünde der Tribun noch immer unsichtbar in diesen Hallen.

    Die Genehmigung war erteilt worden und die größte Hürde überwunden. Erleichterung schien ob der bezwungenen Zwischenetappe nicht angebracht, war der bloße Bau einer Militärstraße doch zu einem Auftrag des Caesars höchstpersönlich avanciert. Dies erhöhte den inneren Druck auf den jungen Tribun um ein Vielfaches, aber bot auf der anderen Hand eine Chance, die ihm andernfalls verwehrt geblieben wäre.


    «Es wird geschehen, wie du wünschst, mein Caesar», vermochte Ravilla noch hervorzubringen, ehe der Sohn aus kaiserlichem Hause ihm den breiten Rücken zukehrte. Eine Drohung hinterließ Appius Aquilius Bala ihm zum Abschiedsgruß, wohlformuliert in letaler Präzision. Ravilla hegte keinen Zweifel ob der Ernsthaftigkeit von des Caesars Worten. Eine Herausforderung, gewiss, doch für deplorable Selbstzweifel gab es im Leben des Seius keinen Raum. Erfolg war die einzige Option.


    Den Blick seiner dunklen Augen wandte er erneut dem Legaten zu, dessen Antlitz in jenem Moment wohl den Gefilden des Orcus entsprungen sein mochte. «So wird es folglich bei der Via terrena bleiben, Legat?»

    Von seinem Officium kommend geleitete der Tribun seinen Gast in das Peristylhaus, welches er für seine Zeit bei der Legio XXII bewohnte. Sogleich eilte eine gut gekleidete und üppig mit Schmuck behangene Sklavenschar herbei, den Herrn und dessen Begleitung zu empfangen. Allen Sklaven war eine aufrechte Haltung und überdurchschnittliche Attraktivität zu eigen - selbst der wohlbeleibte nubische Koch war auf seine Weise wohlproportioniert und betrachtete Iunia Matidia aus dunklen Augen, die denen einer Frau zur Ehre gereicht hätten. Zweifelsohne waren dies sehr teure und fähige Sklaven, und sie wurden anständig behandelt.


    "Laodike, bitte bereite das Wintertablinium vor. Kirian möge indessen das Gästezimmer auf eine vernünftige Temperatur anheizen, so dass auch die empfindsamste Frau nicht frieren würde. Wir erwarten Iunia Matidias Mutter, welche eine schwere Zeit durchlebt hat." Ravilla wandte sich lächelnd seinem Gast zu. "Was möchtest du essen und trinken, meine Liebe?"

    "Es wird dir nicht an Speis noch Trank mangeln, und für deine Mutter wird man sorgen. Niemand soll sagen können, Tribun Galeo Seius Ravilla würde geizen. Wohlan, denn." Ravilla führte seinen bezaubernden Gast auf direktem Wege in seine für den durchschnittlichen römischem Geschmack kitschige, doch dafür äußerst repräsentative Unterkunft.

    Tribunus laticlavius

    Galeo Seius Ravilla

    Wie alle Tribuni genoss Ravilla den Luxus eines Peristylhauses, welches inmitten des Castellums der Legio XXII Primigenia prangte. Das Mobiliar war von mit Leopardenfell gepolsterten Scherenstuhl bis hin zum rotgeblümten Vorhang von extravaganter Erscheinung. Wandmalereien von Palmen und Kamelen, exotischen Vögeln und Blütenranken luden das Auge zum Verweilen ein. Die farbenfrohen Stoffe und fernöstliches Räucherwerk von Weihrauch, Zimt, Orangenschalen und Zedernholz ließen den Gast den Zauber des römischen Osten atmen.


    Das Peristyl, ein gepflegter Garten, gesäumt von einem Säulengang, bildete das grüne Herz des Anwesens. Linker Hand lagen das Arbeitszimmer und das Schlafzimmer des Herrn dieser Casa.


    Im rechten Flügel befanden sich die Küche, die Latrinen und die Kammern für die Sklaven des Tribuns:

    • Anaxis - arroganter persischer Leibsklave von erlesener Schönheit
    • Barrex - kappadokischer Ianitor. Er arbeitet an der Porta und als Leibwächter.
    • Kirian - hellenischer Handwerker, der die großen und kleinen Reparaturen an der Villa und ihrem Inventar übernimmt.
    • Schabaka - wohlbeleibter Nubier, zuständig für die Küche und Vorräte
    • Laodike - kappadokische Sklavin für Ordnung und Sauberkeit sowie für die Betreuung weiblicher Gäste

    An den Schmalseiten des Peristyls lagen sich zwei repräsentative Speisesäle gegenüber: das offene Sommertablinium, welches bei Bedarf mit Vorhängen abgeschirmt werden konnte, sowie das Wintertablinium, welches mit einer Tür verschlossen werden konnte. Hier empfing der Tribun private Gäste. In seinem Arbeitszimmer jedoch pflegte Ravilla für gewöhnlich niemanden zu empfangen, da dienstliche Zusammenkünfte in seinem Officium in der Principia stattfanden. Den Raum dahinter benutzte der Tribun als Archiv und Bibliothek. Auch ein Gästezimmer war in dem Wohnhaus vorhanden.

    "Wir stehen mit den Kollaborateuren bereits im Handel, Caesar. Diesen auszubauen ist eines meiner Anliegen. Teile und herrsche." Dass Ravilla trotz seiner Jugend wusste, wovon er sprach, ergab sich aus seiner Biografie. Als Spross kappadokischer Adelsfamilien war ihm die Kunst der Befriedung und ihre Werkzeuge von Kindesbeinen an unterrichtet worden. Einzig das Feld war diesmal ein anderes, doch gedachte er, die Methoden, welche er für erfolgversprechend hielt, auch an der germanischen Grenze anzuwenden.


    "Wir stoßen mit der Straße nicht allein in das Herz des germanischen Landes vor, sondern auch ins Herz des germanischen Volkes. Sie ist ohne Frage eine gewaltige Provokation!" Diesen Satz ließ er einen Moment wirken, denn jene Wirkung war keineswegs ein bedauerlicher Nebeneffekt. "Es ist ausdrücklich keine Eroberung geplant, sondern eine Verlagerung im Wechselspiel der Kräfte, die in Zukunft den Druck von der Grenze nehmen soll. Ganz klar soll die Regentschaft und Sicherung der Siedlung in germanischer Hand bleiben. Ein germanischer Fürst über germanische Truppen wird für die Sicherung der Straße sorgen. Das Imperium leitet langfristig keine Geldmittel oder Truppen nach Germania - dies wäre eine unerhörte Verschwendung von Finanzen und Menschenleben - sondern schafft die logistische Basis dafür, dass die Siedlung in Zukunft von sich aus die nötige wirtschaftliche Kraft aufbringen kann, um für ihren eigenen Schutz zu sorgen."


    Ravilla ließ nun ab von den Unterlagen und blickte zwischen den beiden Männern hin und her, welche das Ansinnen nun billigen oder ablehnen würden. "Die Siedlung wird wirtschaftlich gedeihen, Caesar und Legatus. Sie wird Handwerker anziehen, Handel mit Rom treiben. Durch die Gewinne wird sie ihre eigene Truppen unterhalten können, regiert von einem Fürsten, welcher Rom wohlgesonnen ist. Diese Siedlung wird strahlendes Vorbild sein, dass eine Kooperation mit Rom auch in Germania magna zu Aufstieg und Blüte führt, ohne Verlust der Autarkie - eine deutlich effektivere Blüte, als kleinliche Stammesfehden oder gar ein offener Krieg gegen das Imperium es je vermögen würden."


    Doch hatte Ravilla in weiterem Umfang geplant. Mochte er in seiner gepflegten Erscheinung und seiner Freude an Dramatik auch wie ein schauerlicher Fehlgriff des Kaisers wirken, der diesen jungen Mann mit solch einem Posten betraute, so zeigte sich nun, dass hinter dieser Fassade ein scharfer Geist ruhte, der nicht zögerte, ganze Teile eines Volkes wie Figuren auf einem Spielfeld zu verschieben:


    "Wie hängt dies mit der Operation Sommergewitter zusammen, möget ihr fragen? Dies offenbart sich, wenn wir eine säkuläre Prognose der Zukunft wagen: Die Siedlung der Kollaborateure wird alsbald den Neid und Zorn jener Germanen wecken, welche heute mit Vehemenz gegen den Limes drängen. Die Agressoren werden alsdann die Richtung ihres Zorns ändern, um in glühendem Eifer gegen die Siedlung der Kollaborateure Sturm zu laufen. Dann, Caesar und Legatus, ist es an der Zeit, in die Offensive gehen - nicht als Invasoren, welche blutige Rache üben, sondern als Beschützer unserer germanischen Freunde auf einem Schlachtfeld, das wir selbst gewählt und in unserem Sinne vorbereitet haben."


    Der lachende Dritte würde Rom bleiben. Das gesamte Bauvorhaben diente dem strategischen Ansinnen, die germanischen Stämme gegeneinander auszuspielen, vom Limes abzulenken und eine gigantische Rattenfalle zu erschaffen, in welcher die feindlichen Stämme in den folgenden Jahren ihre Krieger verschleißen würden - ganz ohne Kosten und Risiko für Rom, von dem Preis für eine einzige Straße abgesehen.

    "Salve, Iunia Matidia. Ich bin höchst entzückt." Ravilla rieb sich nachdenkend das makellose Kinn, von welchem jedes einzelne Barthärchen durch geduldiges Zupfen entfernt worden war, so dass auch des Abends kein Bartschatten sein Gesicht verunzierte. Die beinahe schwarzen Augen des Tribuns ruhten auf dem Fräulein, welches ein wenig Missmut in dem zarten Gesichtlein erahnen ließ.


    "Die Domus Iunia scheidet folglich als Unterkunft aus? Nun, ich wäre geneigt, dir und deiner Mutter ein Zimmer in meiner Villa hier in der Castra zur Verfügung zu stellen, so dir bewusst ist, dass ich wenig private Zeit werde erübrigen können, mich um dich und deine Angelegenheiten zu kümmern, so sehr ich dies auch gern würde. Das Tribunat erfordert einen wesentlichen Teil meiner Aufmerksamkeit, wenn ich eines Tages den Weg in den Senat beschreiten möchte. Doch begleite mich gern, du bist sicher hungrig und durstig?"