"Wir stehen mit den Kollaborateuren bereits im Handel, Caesar. Diesen auszubauen ist eines meiner Anliegen. Teile und herrsche." Dass Ravilla trotz seiner Jugend wusste, wovon er sprach, ergab sich aus seiner Biografie. Als Spross kappadokischer Adelsfamilien war ihm die Kunst der Befriedung und ihre Werkzeuge von Kindesbeinen an unterrichtet worden. Einzig das Feld war diesmal ein anderes, doch gedachte er, die Methoden, welche er für erfolgversprechend hielt, auch an der germanischen Grenze anzuwenden.
"Wir stoßen mit der Straße nicht allein in das Herz des germanischen Landes vor, sondern auch ins Herz des germanischen Volkes. Sie ist ohne Frage eine gewaltige Provokation!" Diesen Satz ließ er einen Moment wirken, denn jene Wirkung war keineswegs ein bedauerlicher Nebeneffekt. "Es ist ausdrücklich keine Eroberung geplant, sondern eine Verlagerung im Wechselspiel der Kräfte, die in Zukunft den Druck von der Grenze nehmen soll. Ganz klar soll die Regentschaft und Sicherung der Siedlung in germanischer Hand bleiben. Ein germanischer Fürst über germanische Truppen wird für die Sicherung der Straße sorgen. Das Imperium leitet langfristig keine Geldmittel oder Truppen nach Germania - dies wäre eine unerhörte Verschwendung von Finanzen und Menschenleben - sondern schafft die logistische Basis dafür, dass die Siedlung in Zukunft von sich aus die nötige wirtschaftliche Kraft aufbringen kann, um für ihren eigenen Schutz zu sorgen."
Ravilla ließ nun ab von den Unterlagen und blickte zwischen den beiden Männern hin und her, welche das Ansinnen nun billigen oder ablehnen würden. "Die Siedlung wird wirtschaftlich gedeihen, Caesar und Legatus. Sie wird Handwerker anziehen, Handel mit Rom treiben. Durch die Gewinne wird sie ihre eigene Truppen unterhalten können, regiert von einem Fürsten, welcher Rom wohlgesonnen ist. Diese Siedlung wird strahlendes Vorbild sein, dass eine Kooperation mit Rom auch in Germania magna zu Aufstieg und Blüte führt, ohne Verlust der Autarkie - eine deutlich effektivere Blüte, als kleinliche Stammesfehden oder gar ein offener Krieg gegen das Imperium es je vermögen würden."
Doch hatte Ravilla in weiterem Umfang geplant. Mochte er in seiner gepflegten Erscheinung und seiner Freude an Dramatik auch wie ein schauerlicher Fehlgriff des Kaisers wirken, der diesen jungen Mann mit solch einem Posten betraute, so zeigte sich nun, dass hinter dieser Fassade ein scharfer Geist ruhte, der nicht zögerte, ganze Teile eines Volkes wie Figuren auf einem Spielfeld zu verschieben:
"Wie hängt dies mit der Operation Sommergewitter zusammen, möget ihr fragen? Dies offenbart sich, wenn wir eine säkuläre Prognose der Zukunft wagen: Die Siedlung der Kollaborateure wird alsbald den Neid und Zorn jener Germanen wecken, welche heute mit Vehemenz gegen den Limes drängen. Die Agressoren werden alsdann die Richtung ihres Zorns ändern, um in glühendem Eifer gegen die Siedlung der Kollaborateure Sturm zu laufen. Dann, Caesar und Legatus, ist es an der Zeit, in die Offensive gehen - nicht als Invasoren, welche blutige Rache üben, sondern als Beschützer unserer germanischen Freunde auf einem Schlachtfeld, das wir selbst gewählt und in unserem Sinne vorbereitet haben."
Der lachende Dritte würde Rom bleiben. Das gesamte Bauvorhaben diente dem strategischen Ansinnen, die germanischen Stämme gegeneinander auszuspielen, vom Limes abzulenken und eine gigantische Rattenfalle zu erschaffen, in welcher die feindlichen Stämme in den folgenden Jahren ihre Krieger verschleißen würden - ganz ohne Kosten und Risiko für Rom, von dem Preis für eine einzige Straße abgesehen.