Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Liberalia


    Ähnlich wie Bacchus war auch Liber ein Gott der Fruchtbarkeit und des Weines. Seine Priesterinnen, ältere Frauen, trugen Efeukränze im Haar und buken Opferkuchen mit viel Honig und Öl. Im Frühling feierte man während seines Festes, dass aus Jungen Männer geworden waren.


    Für Sabaco war es in diesem Jahr ebenfalls so weit - er hatte das 14. Lebensjahr vollendet. An dem Tag, an dem er in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurde, veranstaltete die Gens Matinia eine große Feier. In einer feierlichen Zeremonie legte er seine Kindertoga ab. Zwei Sklaven wickelten ihm die neue, blütenweiße Toga virilis um den Körper. Jede Falte saß. Das erste Mal durfte Sabaco sich nun in seiner Männertoga zeigen. Frisch eingekleidet führte ihn sein erster Weg zum Larenschrein der Casa Matinia. Sabaco legte seine Bulla, die ihn während der Kindheit als Glücksbringer um den Hals begleitet hatte, zusammen mit einer seiner schwarzen Haarlocken auf den Hausaltar für die Laren nieder. Später war beides verschwunden, doch er nahm an, dass es nicht die Laren gewesen waren, sondern seine Mutter, die beides für sich verwahren wollte.


    Auf der folgenden Prozession wurden derbe Lieder gesunden, in den Baumkronen hingen Masken. Die Luft roch nach den Honigkuchen. Die Prozession beinhaltete einen großen Phallus, den man durch die Landschaft trug, um den Segen der Fruchtbarkeit für das Land und die Menschen zu bringen. Es sollte zudem die Feldfrüchte vor dem Bösen schützen. Am Ende der Prozession legte eine tugendhafte und angesehene Matrone einen Kranz auf den Phallus. Alle Verwandten waren eingeladen. Es gab Musik und Tänzerinnen, possenreißende Akrobaten und köstliches Essen im Übermaß. Die Casa Matinia war voller Leben und alle Öllampen und Feuer brannten. Man spielte heile Familie, zeigte, dass Sabaco ihr ganzer Stolz wäre. Nachdem er jeden begrüßt und jedem die gleichen Höflichkeitsfragen beantwortet hatte, vergaß man ihn und wandte sich den Darbietungen und den üblichen Gesprächsthemen zu.


    Sabaco lag mit Ocella, der seine kleine Kindertoga trug, auf einer Kline und beide langweilten sich. Ocella fragte, ob sie eine Runde Ball spielen gehen wollten, aber Sabaco musste liegen bleiben. Immerhin war es seine Feier. Eine Weile blieb Ocella noch bei ihm, bis Sabaco ihn wegschickte. Es genügte, wenn einer von ihnen sich langweilte. Ocella schnappte sich eines der Gästekinder und sie verschwanden in den Weiten des Hauses. Sabaco blieb mit gähnender Langeweile zurück.


    Ab diesem Moment mochte er die Feier nicht mehr.


    Die Gäste versuchten scheinbar, sich gegenseitig damit zu übertrumpfen, wer das perfektere Leben führte. Er fragte sich, weshalb man sich traf, um über die spektakulärsten Einkäufe und Reisen zu sprechen oder darüber, wer geheiratet oder eine neue Stelle innehatte. Dann ging es weiter damit, wer auf welche Weise erkrankt oder gestorben war. Sabaco wurde zwischendurch immer mal wieder nach der Schule gefragt und oder welchen Beruf er einmal ergreifen wollte. Beides schien ihm bedeutungslos. An seinem Platz könnte bei diesen Themen genau so gut jemand anderes liegen, die Unterhaltung hätte keinen anderen Verlauf genommen. Die Gespräche wirkten auf ihn so künstlich wie die geschminkten, maskengleichen Gesichter. Ihm war, als würde sich niemand für ihn als Mensch interessieren, nur für seine Leistung. Ganz so, als wäre er eine Marionette, die möglichst genau den angedachten Schritten folgen sollte. Ocella hatte es richtig gemacht, spielen zu gehen.


    Sabaco wünschte sich Armándos ins Triclinium, der einen seiner Rachepläne vor den Gästen ausbreitete oder über seine alte Herrin herzog und von ihren lüsternen Fantasien erzählte. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Oh ja, Armándos wäre ein unterhaltsamer Gast. Oder Ferghus, würde er noch leben ... Demarete und Timocleia. Sie hätten gemeinsam viel Spaß an diesem Tag gehabt. Und seinem schwarzen Molosser hätten sicher die Reste vom Braten gut geschmeckt. Sabaco griff zum Wein.


    Als er später angetrunken mit einer Amphore in der Hand durch den nächtlichen Garten schlenderte, weil er Ocella suchte, blieb er auf dem Kiesweg stehen und blickte zum Haus zurück. Obwohl er dort wohnte, fühlte es sich an, als würde er auf eine Theaterkulisse blicken. Als wären diese Leute Darsteller in einem öden Possenspiel, an dem er nur als Statist teilnahm. Oder vielleicht war es auch umgedreht ... war er hinabgestiegen aus einem Bühnenstück, das von der Straße handelte und von Abenteuer sang. Einem Drama, in dem er der Hauptdarsteller war und nicht nur Randfigur, weil er selbst das Drehbuch schrieb.


    Das da draußen, das war hart, aber es war seins.

    Armándos


    Ausgerechnet dem unfähigen Armándos gelang es am besten, sich all die Jahre durchzumogeln, ohne sichtbaren Schaden zu nehmen. Ohne Rücksicht, aber auch ohne Grausamkeit wand er sich durch sein perspektivloses Leben. Wenn jemandem etwas passierte, dann den anderen. Schlägereien wich er genau so aus wie Konfrontationen mit den Vigiles. Armándos, der als Sklave stets für seine Herrin hatte da sein müssen, machte nun andere für sich dienstbar, ohne dabei irgendwelche Raffinesse an den Tag zu legen. Er war nicht klug, war kein geschickter Marionettenspieler. Er nahm nur, was man ihm anbot, griff dann aber mit beiden Händen zu. Es schien, als würden die Leute sich willig unter seine Füße schieben, damit er über sie hinweg trampeln konnte, aus dem einzigen Grund, weil er gut aussah. Und er trampelte ohne jedes Schuldgefühl über sie hinweg. Nie hatte er ihnen etwas anderes versprochen.


    Wer Armándos das erste Mal traf, mochte ihn meist so lange, bis er ihn näher kennenlernte und feststellte, dass hinter der Fassade, für die Armándos sich nicht einmal Mühe gab, schlichtweg gar nichts war. Er hatte kein Herz aus Gold, keinen scharfen Verstand, nicht mal eine interessante Vergangenheit, nur die langweilige Geschichte eines entlaufenen Sklaven, der keine Lust auf seine Arbeit verspürte. Da war nichts als die gähnende Leere in der Seele eines Hoffnungslosen, der zufällig eine ansprechende Erscheinung besaß, ein Mensch ohne Aussicht auf eine andere Zukunft als die Straße oder das Kreuz.


    Und gerade das, was andere immer wieder von Armándos forttrieb - sein aufrichtig kommunizierter Egoismus, der ohne jede Falschheit auskam - machte Armándos für Sabaco vertrauenswürdig. Auch wenn der Sklave während der Trunkenheit Dinge verzerrt betrachtete oder danach vergaß, so log er nicht absichtlich. Man wusste, woran man bei Armándos war. Das machte ihn auf seine Weise zuverlässig. Sabaco hatte ihn eigentlich sogar recht gern. Den haltlosen Ideen des Sklaven zuzuhören, wenn sein Pegel stieg, empfanden die meisten irgendwann als enervierend, da er immer wieder die selben idiotischen Pläne vortrug, wie er mit den Leuten von der Straße die Soldaten des Castellums überfallen wollte, um an ihre Waffen zu gelangen und damit dies und das zu bewirken oder irgendwen zu rächen. Sabaco grinste in sich hinein. Eher würde die Welt entzweibrechen, als dass Armándos eigenhändig zur Waffe griff.


    Für Sabaco waren das die Geräusche, zu denen er am besten schlief.

    Gute Zeiten


    Es gab herrliche Sommer, in denen die Freunde sich auf öffentlichen Spiele herumtrieben und die zahllosen Feste des römischen Lebens besuchten. An heißen Tagen schwammen sie im türkisblauen Meer, in kalten Nächten schliefen sie um Lagerfeuer, die sie am Strand aus geklauten Holzscheiten errichteten. Wurde der Strand zu unsicher, wechselten sie in die Nekropole, die allerdings beim Straßenvolk so beliebt war, dass es sich nur in einer großen Gruppe lohnte, dort aufzutauchen und auf einen Platz zu beharren. Gelang das nicht, zogen sie auf das Forum, saßen auf den Treppen und bettelten, stahlen oder spielten mit einem Lumpenball. Sie lauschten Straßenmusikanten, die mit ihrem Krach darauf hofften, einen Förderer zu finden und lachten sich über das Getröte kaputt. Sie tanzten betrunken und trafen eine Menge interessanter Menschen, mit denen sie viel Spaß hatten.


    Natürlich zündelten sie immer noch, auch nachdem die Vigiles tiefe Löcher in ihre kleine Gemeinschaft geschlagen hatten. Das Feuer war ihr wertvollster Verbündeter, um an die Dinge zu gelangen, für die man sonst Geld benötigte oder Waffen. Die Vigiles blieben der dunkelste Teil ihres Lebens, manch einer wurde von ihnen mitgenommen und auch Sabaco und Ocella einige Male nach Hause gebracht, wo es ein Donnerwetter gab. Für jene, die kein Bürgerrecht besaßen, endete es fataler. Einige der Freunde traf man später verändert wieder, andere verschwanden für immer. Freunde kamen und gingen, so war der Lauf der Zeit. Sabaco lernte, dass man Menschen, die einem ans Herz gewachsen waren, jederzeit ohne Vorwarnung für immer verlieren konnte. Umso fester klammerte er sich an seinen kleinen Bruder und bewachte ihn mit Argusaugen.


    Bei Nacht beobachteten sie manchmal übende Feuerakrobaten, die leuchtende Schleifen und Kreise in die Dunkelheit malten. Sabaco durfte mit ihren brennenden Fackeln herumprobieren, doch ans Feuerspucken wagte er sich nicht. Sie hatten ihm erklärt, dass er sich die Lunge verbrennen würde, wenn er es falsch machte. Als er nicht aufpasste, hatte auf einmal Ocella den Mund voller Öl und hielt sich die Fackel vor das Gesicht. Plötzlich war da ein Feuerball, der seinen kleinen Bruder verschlang und Sabaco erstarrte. Licht und Hitze fraßen Ocella, man sah nur noch die dünnen Kinderbeine in ihren Sandalen. Als der Feuerball sich verflüchtigte, grinste Ocella. Seine Stirn war schwarz vom Ruß, die Haare versengt, doch er war wohlauf. Erwartungsvoll schaute er seinen großen Bruder an, damit der ihn lobte. Sabaco wollte Ocella am liebsten übers Knie legen, ihm die Dummheit ausprügeln, damit er so etwas nie wieder tat und vielleicht wäre es das Richtige gewesen, doch er konnte nicht. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte, er hätte es gut gemacht. Sabaco wäre stolz auf ihn. Und Ocella strahlte.


    Alles in allem war es keine schlechte Zeit.


    Noch hatte Sabaco das Band zum Elternhaus nicht ganz gelöst, obwohl seine Schulzeit nun vorbei war. Sein Abschluss war hervorragend, die Noten bestens. Was das nützen sollte, fragte er sich, froh über die freie Zeit, die er nutzte, Armándos und die anderen zu besuchen, damit sie gemeinsam herumhängen konnten. Dauerhaft blieb er bislang nicht bei ihnen. Immer wieder kehrte er mit Ocella nach Hause zurück, um zu essen, um bei besonders schlechtem Wetter dort zu übernachten oder um sich zu baden, zu rasieren und die Kleidung zu wechseln. Doch er ahnte, dass der Tag kommen würde, da er sich entscheiden musste. Er konnte nicht dauerhaft zwei so unterschiedliche Leben führen. Eines davon verlor er mit jedem Tag ein Stückchen mehr. Er dachte anders, fühlte anders ... die Straße hatte ihn verändert. Sie war dreckig, sie war grausam, doch sie sang und rief ihn jeden Tag lauter.


    Irgendwann würde er die Wahl nicht mehr haben.

    Sabaco verstand. Nicht den Grund, warum man den Leuten nicht zeigen durfte, wie sehr man sich freute, sie zu sehen. Aber er begriff die Notwendigkeit, sich den Gepflogenheiten im Dienst zu fügen.


    "Ja, die Zeit ... sieht bei mir auch nicht besser aus." Es war nicht mal ein Lupanarbesuch vor Ort drin, was allerdings Sabacos eigene Schuld war. Allein hatte er keine Lust auf einen Ausflug und trieb sich während der Freizeit im Castellum rum, wo er den Leuten mit seiner Aufdringlichkeit auf den Keks ging oder sie verstörte.


    "Gute Qualität hat ihren Preis. Der Gubernator Vorenus Nero war begeistert und vielleicht wäre er es immer noch, trotz Preis und Wartezeit. Aber ich weiß nicht, ob er das anordnen darf oder an wen er sich wenden muss?! Die erste Fuhre krallen sich vermutlich die Offiziere. Falls die kein Interesse haben, weil es ihnen zu teuer ist oder sie auf kalte Eier stehen, schlage ich die Tunikas mal für meine Centuria vor. Wir bekommen beizeiten einen neuen Centurio, der könnte sich damit beliebt machen."

    Was glotzte der Terentius ihn so an?! Vermutlich hatte der Typ einen winzigen Schwanz und hasste alles, was männlicher aussah als seine Mutter. Sabaco strotzte vor Männlichkeit. Durch einen Mangel an Lupanarbesuchen in den letzten Wochen quoll sie ihm schier aus den Haarwurzeln und der Alkoholentzug machte ihn noch reizbarer als üblich. Er schaute ungerührt zurück.


    Der Blickaustausch wurde unterbrochen, als der Centurio zu sprechen begann. Seine Tage bei der Classis waren gezählt ... die Wortwahl mochte Sabaco nicht. Sie klangen nach Alter und Tod. Er nahm den Becher und fragte sich, ob die Hand des Mannes vor Stress zitterte, weil er seine vertraute Umgebung verlassen musste, oder ob es ein krankhaftes Leiden war.


    Er nickte zum Dank, deutete ein Anheben des Bechers an und trank ebenfalls einen Schluck. Dann wartete er, ob der Mann fortfahren wollte.

    <<< RE: Cubicullum Suboptio Matinius Sabaco


    Wie hieß der Centurio vollständig?! Es geisterte nur "Cimber" in seinem Kopf herum, was Sabaco sich gemerkt hatte, weil der Kumpel von Stilo auch so hieß. Cimber, der jetzt mit Stilo im fernen Cappadocia herumritt und sich die Sonne in den angeblich fast elysischen Gefilden auf den Pelz braten ließ. Scheiße, er musste Stilo schreiben. Aber wie hieß nun der Centurio? Verdammtes Namensgedächtnis. Vermutlich weggesoffen.


    Sabaco klopfte und trat ein, da er erwartet wurde. Hinter sich schloss er die Tür wieder. Er drosch mit der Faust auf seine Brust, so dass ein dumpfer Laut erklang.


    "Salve, Centurio! Suboptio navalorum Matinius Sabaco. Du wolltest mich sprechen."


    Stante pede sogar.

    "Salve dir auch", murrte Sabaco etwas angefressen, da kein Salve gefallen war und er auch keine Ahnung hatte, wer der Kerl war, der hier reinplatzte - er hatte sich nicht vorgestellt. Er meinte, ihn unter den Marini gesehen zu haben.


    Mehr Gedanken aber machte er sich um den Anlass der Anweisung. Wer wusste, was los war, dass er stante pede erscheinen sollte. Sabaco vermutete keinen Anschiss. Die meisten Vorgesetzten hatten die Angewohnheit, geradezu unheimlich ruhig und höflich zu werden, wenn sie einen ins Visier nahmen. Wenn der Centurio stante pede was von ihm wollte, gab es vielleicht einen Notfall.


    Sabaco erhob sich und stapfte in der Tat sehr viel zügiger los, als er es ohne den Hinweis stante pede getan hätte.


    RE: Cubiculum Centurio Classis >>>

    Wenig später war Sabaco informiert und erschien an der Porta. Er präsentierte sein verheiltes Monstergebiss, als er seinen Bruder herzlich angrinste. Seit er bei der Classis war, sah Sabaco wieder dauerhaft gepflegt aus. Da Ocella auf dem Pferd thronte, entging der Bruder einer überschwänglichen Begrüßung und bekam nur den Arm getätschelt.


    "Na? Gut, dass es so schnell geklappt hat." Und dass der Bruder persönlich anrückte, anstatt schriftlich zu antworten. Aber das wusste Ocella. "Ich nehme an, dass du wegen der Klamotten hier bist und nicht wegen Borbetomagus."


    Neugierig warf er einen Blick auf die prallen Packtaschen.

    Auf einem der vielen Papyri auf seinem Arbeitstisch fand sich ein Gedicht. Es war in seiner maritimen Metaphorik deutlich von Sabacos Eindrücken bei der Classis geprägt.


    Die Waldquelle und die See

    von einem Seehund für dich


    Schwarz modernde Waldesquelle

    liegt unruhig, im Schlafe erbebt

    Sie träumt wie die brechende Welle

    sich aus ihren Tiefen erhebt.


    Da werf von den Steinen den ersten

    ich ihr in das trübe Gesicht

    Die Quelle gluckst leise, nicht berstend

    es ist keine Brandung in Sicht.


    So bleibet der Wildheit nur Traume

    Die Leidenschaft ebbet sehr bald

    Nicht brechend in Brandung noch Schaume

    Im Herzen längst älter als alt.


    So träg bist du, Quell, keine Seele

    in deinem Morast ich noch seh

    Du rufst mich, doch bald schon ich fehle

    Denn Seehunde locket die See.


    Sie lieben der Gischt Regenbogen

    Die Schätze am endlosen Grund

    Den Tanz in türkisgrünen Wogen

    Den allesverschlingenden Schlund.


    Dein Wesen so trist, ohne Wellen

    Die Sehnsucht umsonst nie verlosch

    Für tümpelnde Waldesquellen

    Eignet sich besser ein Frosch.



    Mit zusammengezogenen Brauen hatte er die Rolle am Ende zuschnappen lassen und sie beiseite geschubst.



    Sim-Off:

    Eigentliche Antwort ist über diesem Post zu finden. Der Thread kann übergangslos mit der Handlung fortgesetzt werden; das Gedicht spielt keine Rolle dafür.

    Sabaco warf die Tabula selber in den Posteingang, da er die Gelegenheit nutzte, mit dem Spaziergang lästige Freizeit totzuschlagen. Die Tabula war eine von denen, die man zuklappen konnte, so dass nur der Empfänger den Inhalt las.


    Zu Händen von


    Vexillarius

    Servius Matinius Ocella

    Ala II Numidia



    Morgen, Kleiner.


    Ich hoffe, dir geht es gut. Bei mir ist alles im Lot und seit ich bei der Classis bin, passt der Spruch sogar. Meine verbliebenen Zähne machen keine Zicken mehr, der Dicax versteht sein Handwerk.


    Sag mal, wo hattest du die Klamotten her, die du mir geschenkt hast? Wir haben hier in der Classis nur Lappen, da kannst du durchgucken, und ich schlug vor, das zu ändern. Deshalb habe ich einem Offizier eine von meinen Guten gezeigt. Er war von der Qualität dermaßen begeistert, dass er die Truppe jetzt mit solchen Tunikas ausstatten will.


    Dein Sabo


    "Jawohl, Gubernator!" Sabaco schlug sich mit der Faust auf die Brust, ehe er formvollendet nach draußen marschierte und die Tür hinter sich schloss.


    Als er wieder in ein natürliches Bewegungsmuster fiel, merkte er, wie angespannt er gewesen war. Der Besuch bei Nero hatte etwas davon, in den Bau eines fauchenden Luchses zu kriechen. Man wusste, er würde einen nicht töten, aber angenehm würde es auch nicht werden.


    Und die Tunika ... war weg. Das vertraute Gefühl eines nicht zu verhindernden Verlusts überkam Sabaco und mit ihm eine Gleichgültigkeit, die das eigentliche Gefühl so zuverlässig erstickte wie eine Feuerdecke die Flammen. Anstatt den Verlust seiner Lieblingstunika zu beklagen, die er vor wenigen Augenblicken noch wie eine unersetzliche Reliquie behandelt hatte, machte er sich daran, seiner Aufgabe nachzugehen.

    "Herein!"


    Sabaco, der seinen Arbeitstisch quer zum Fenster stehen hatte, damit er einerseits genügend Licht zum Arbeiten bekam, andererseits sowohl das Fenster (aus sentimentalen Gründen) als auch die Tür (aus praktischen Gründen) im Blick hatte, sah von seiner Tabula auf und wartete, wer da wohl irgendwas wollte.

    Feinde


    Catualda gab sich als germanischer Häuptlingssohn vom Stamm der Harier aus. Er hasste die Römer, was Armándos trotz seiner immer wieder mal aufflammenden Träume vom Rachefeldzug nicht tat - er hasste nur den Umstand, dass er als Sklave geboren war und nicht als Herr. Dieser Catualda faselte unentwegt von einem Germanensturm und geriet mit Armándos dermaßen aneinander, dass Sabaco sich Sorgen zu machen begann. Der Germane prahlte mit seinen blutigen Taten und es war nicht zu sagen, ob alles davon nur Spinnerei war, oder ob er tatsächlich schon Ohren abgeschnitten und Kehlen aufgeschlitzt hatte. Sabaco schlug ihn schließlich bei einer passenden Gelegenheit zusammen, um ihn zu lehren, Abstand zu wahren. Doch der Kerl wehrte sich derart, dass Sabaco am Ende trotz seines Sieges in kaum einem besseren Zustand war als er.


    Immer wieder fuhr er nachts hoch und schlief mit einem Messer in der Hand. Hinter jedem Geräusch schien Catualda zu stecken. Noch mehr Sorgen als um sich und Armándos machte er sich um Ocella. Catualda tauchte einige Male mitten in der Nacht auf, das Gesicht mit Ruß geschwärzt, damit man ihn nicht sah. So zogen sie freiwillig in relative Nähe zu den Vigiles. Es war ein Balanceakt, denn zwar hielten die Vigiles Catualda fern, doch sie waren auch für einige der Freunde lebensgefährlich. Sabaco verlernte, durchzuschlafen, schließlich blieb er die ganze Nacht wach, das Messer griffbereit, und schlief erst, wenn die ersten Freunde sich zu regen begannen.


    Das war kein Dauerzustand, auch wenn er ganz gut allein auf einer Treppe am Forum schlief, während die Freunde ihrem Tagewerk nachgingen. Ihm drohte vor den Vigiles keine Gefahr, erst Recht nicht am helllichten Tage. Doch ihm wurde bewusst, dass er seinen kleinen Bruder auf diese Weise nicht Schutz, sondern Ballast war, weil Ocella, so jung er noch war, ihn nie allein ließ und seinerseits mit ihrem gemeinsamen Messer über den Schlaf des großen Bruders wachte. So ging das nicht, eine Lösung musste her!


    Nicht Fäuste, sondern Grips waren gefragt.


    Sabaco schickte also in einem lange ausgeheckten Plan - in weiser Voraussicht ohne Beteiligung vom planungsunfähigen Armándos entworfen - den harmlos aussehenden Spinner Helga vor, den die Vigiles noch nicht kannten, weil er nie kriminell aufgefallen war. Der stellte Catualda als entlaufenen Sklaven dar. Helga schilderte dessen Untaten, die in Wahrheit auf das Konto von Armándos, Sabaco und ihren Leuten gingen, flehte die Vigiles an, nie ans Licht kommen zu lassen, von wem sie all das wüssten, und tat das so überzeugend, dass man der Sache beherzt nachging.


    Als es ernst wurde und die Vigiles ihn systematisch zu jagen begannen, sah Catualda sich endlich gezwungen, Tarraco zu verlassen. Man erzählte, er treibe seither in Carthago Nova sein Unwesen, doch Genaues wusste niemand.


    Er hinterließ Sabaco eine Zahnlücke als ewiges Andenken und einen sehr unruhigen Schlaf. Noch Jahre später schlich Catualda sich in seine Wahrnehmung, wenn er in die Nacht hinaus spähte, oder suchte seine Träume heim.

    Freunde


    Als Sabaco versuchte, seine ehemaligen Freunde zu zählen, gab er es bei hundertfünfzig auf. Von den meisten verblassten bald nach dem Kennenlernen die Namen und Gesichter, sie schwanden wie Nebel. Zunächst blieb zunächst ein Hauch in seinen Gedanken, bald nichts mehr. Ihr Kommen und Gehen war vollständig und nicht einmal eine Erinnerung blieb. Meist hatte er ihre Namen bereits beim nächsten Sonnenaufgang vergessen. Einige verließen irgendwann die Stadt, um anderswo ihr Glück zu versuchen, andere wechselten nur den Freundeskreis und bezogen andere Reviere, die meisten aber verschwanden spurlos aus seinem Leben. Was aus ihnen geworden war, wusste der Geier.


    Nur wenige Freunde begleiteten ihn längere Zeit und noch weniger Namen und Gesichter blieben auf Dauer in seinem Gedächtnis haften. Nicht einmal zwei handvoll hätte er heutzutage wiedererkannt und beim Namen nennen können.


    Es war eine durchmischte Truppe, aus fast jeder Kategorie war irgendjemand dabei, selbst abgestürzte Leute aus den oberen Schichten, munkelte man und an Sabaco und Ocella sah man, dass das stimmte. Sie lebten nach dem Gesetz der Straße und der Rest spielte ansonsten keine Rolle. Sie lebten in Freiheit und Gleichheit, ohne das Eine oder das Andere wirklich zu sein. Es war der Traum, den sie lebten, und sie kosteten von einem Elysium, das niemals Realität werden würde und doch bittersüß auf ihren Zungen schmeckte.

    Brüder


    Freunde kamen und gingen. Brüder waren unzertrennlich. Das war ein Naturgesetz, eines von jenen, die Sabaco ermittelt hatte, um die Welt und die Menschen berechenbar zu machen. Dass Brüder niemals auseinandergingen, stand wie ein Monolith als unumstößliche Wahrheit in seinem Bewusstsein. Zwei Brüder besaß er sogar, beide liebte er, doch besonders eng war das Band zu seinem kleinen Bruder Ocella.


    Sie waren vom Wesen her so ähnlich, dass Sabaco ihn als kleines Ebenbild von sich begriff. Äußerlich gab es freilich Unterschiede. Nicht nur, dass Ocella braune Augen besaß und Sabaco blaue. Sabaco wirkte auch grobschlächtiger, war optisch früh ein Raubein. Ocella hingegen hatte ihr hartes Leben noch nicht das Gesicht zerfressen, er war ein hübscher Junge. Ein Grund mehr, gut auf ihn achtzugeben. All die Zuneigung, zu der Sabaco fähig war, fokussierte sich wie im Brennglas gebündeltes Licht auf das Brüderchen. Sie beide gegen den Rest der Welt und die Welt gegen sie.


    Sabaco lehrte Ocella alles, was er ihm beibringen konnte und begann damit, wie man Feuer legte und stahl. Er zeigte ihm die Körperstellen, bei denen Angriffe auch ohne viel Kraft effektiv waren, wie man Finger in die Augen rammte, die Faust gegen den Kehlkopf schlug, was ein Schlag mit den flachen Händen auf die Ohren bewirkte. Es gab genug Straßenjungs, so dass dem kleinen Bruder immer Übungsmaterial zur Verfügung stand. Wenn Ocella die Attacken mit seinen schmutzigen Kinderhändchen nachmachte, wenn seine Angriffe Wirkung zeigten, erblühte Sabaco vor Stolz. Ocella sollte sich durchsetzen können. Ihm durfte nie etwas geschehen. Und im Zweifelsfall war Sabaco sofort zur Stelle, um zusammen mit seinen Freunden jede Rechnung zu begleichen, so dass Ocella sich auch gegenüber Älteren ein vorlautes Mundwerk angewöhnte. Er entwickelte sich zu einem regelrechten kleinen Tyrann und Sabaco schäumte über vor Entzücken.


    Sabaco brachte Ocella natürlich auch das Trinken bei. Wein wärmte den Körper und öffnete viele Türen. Die Türen von Mut und Wut, beides sehr nützlich. Zudem sollte Ocella sich nicht unter den Tisch trinken lassen können. Auch Trinkfestigkeit konnte trainiert werden und das taten sie. Die Texte der wichtigsten Trinklieder durften nicht fehlen, damit konnte man für gute Stimmung sorgen und man machte sich beliebt. Zudem brachte Sabaco dem kleinen Bruder ein Arsenal schmuddeliger Witze bei, die in diesem Alter noch keiner von ihnen verstand, von denen er aber der Meinung war, dass Ocella sie kennen musste, genau wie einen Haufen dreckiger Wörter. Er fragte ihn danach ab wie eine Vokabelübung. Ocella sollte für alles gewappnet sein und sich nie wie ein kleiner dummer Junge fühlen müssen.


    In den kalten Nächten, wenn sie im Freien schliefen, war die Welt manchmal wie verwandelt. Dann erschien Sabaco sein kleiner Bruder aus irgendeinem Grund viel jünger und verletzlicher. Vielleicht war es das Mondlicht, das sein Kindergesicht wie das einer Puppe wirken ließ? Doch Sabaco passte ja auf. Es war alles gut, so lange sie zusammenhielten. Ocella erhielt alles, was an warmer Kleidung und Decken zu finden war. Dick eingewickelt durfte er in der Mitte liegen, erhielt ein Bündel als Kopfkissen, schlief gut behütet, gewärmt und geschützt.


    Wenn es Ocella mal nicht gut ging, zeigte er das nie. Doch Sabaco sah es an seinem angespannten Mund und der sorgenvoll verzogenen Stirn. Es war richtig, dass Ocella keine Schwäche zeigte, und dennoch verspürte Sabaco den Wunsch, dann besonders für ihn da zu sein. In diesen Nächten streichelte er ihm zum Einschlafen das nach Rauch riechende Haar, zog ihm den Daumen aus dem Mund und versuchte, ihm ein Schlaflied zu singen. Kein Kinderlied - er kannte keins - sondern eine Landstreicherballade, die ihm wegen ihrer Melodie gut zum Einschlafen geeignet schien*. Vom Rauch und der Kälte war seine Stimme heiser und es kratzte ihm beim Singen schmerzhaft im Hals, doch er gab sein Bestes.


    Mochte die Welt ihr Feind sein und die Menschen und die Götter auf sie herab spucken - für Ocella gab es immer noch Sabaco, der seinen Schirm über ihn hielt.


    Sim-Off:

    *Ich habe so was wie "Wilde Gesellen vom Sturmwind durchweht" im Kopf, von dem es neben marschmusikartiger Versionen auch ruhige, balladenartige Interpretationen gibt (hab allerdings keine passende bei YT gefunden).

    Die Frage erwischte Sabaco auf dem falschen Fuß. Er starrte den Gubernator eine Weile schweigend an.


    Die ist unverkäuflich! Die ist von meinem Bruder, die ist heilig, wollte er sagen und ihm die Tunika aus den Händen reißen und sie wie einen Schatz in Sicherheit bringen, denn das war sie für ihn. Wer noch nie im Leben wirklich gefroren hatte, konnte nicht verstehen, was ein Geschenk wie solch eine Tunika bedeutete. Man schenkte damit nicht nur ein Kleidungsstück, sondern ein Stück Schutz, Fürsorge und Wärme. Sie bedeutete so viel und Sabaco behandelte die Kleider, die Ocella ihm geschenkt hatte, wie Reliquien.


    Doch so wie der Gubernator dreinblickte ... Sabaco schluckte seine Worte herunter. Der Mann wusste sehr wohl, was er da in den Händen hielt. Dass ihm jemals einer warme Klamotten geschenkt hatte, war zweifelhaft.


    "Behalt sie", sagte er schließlich und hörte auf, den Mann anzustarren. "Ich kann mir eine Neue organisieren. Ich werde meinen Bruder fragen, wo er sie gekauft hat. Das muss hier in Mogontiacum gewesen sein. Und erteile dir dann Bericht, wenn es recht ist."

    Männer des Feuers


    Die Vigiles waren so eine Sache. Tarraco verfügte über eine eigene Feuerwehr, doch ihre Aufgabe ging über das Vorbeugen und Bekämpfen von Bränden hinaus. In Rom wurden sie mitunter sogar als Kampftruppe eingesetzt. Ihre Befugnisse als Sklavenjäger machten die Vigiles gefährlich für einige der Freunde, wie für Ferghus, einen ehemaligen Gladiator, der seit einer fast tödlich verlaufenen Verletzung nicht mehr in die Arena wollte, oder Armándos, der wenig Gefallen daran gefunden hatte, den Lustknaben für seine runzlige Herrin zu mimen.


    Doch Sabaco konnte die Vigiles nicht hassen. Ihm gefielen ihre Uniformen und ihre Feueräxte, die sie effektiv als Waffen einzusetzen vermochten. Er stellte sich selbst in ihrer Kluft vor und hätte gern so eine Axt in der Hand. Mehr noch aber war es ihr Kampf mit den vielen Feuern von Tarraco, der ihn reizte. Sabaco wäre sehr gern Vigil geworden, doch sein Vater verbot ihm, einer Truppe beizutreten, die hauptsächlich aus Libertini bestand.


    Seiner Affinität zum Feuer tat das keinen Abbruch. Sabaco erfand die Strategie, Brände zu legen, wann immer die Freunde eine größere Sache planten. Wenn die Flammen bis in den Himmel schlugen, waren die Vigiles abgelenkt und es ließ sich gut plündern. Je größer der Brand, umso besser, denn umso mehr Kräfte waren gebündelt. Sabaco stellte sich als der effektivste Brandstifter ihrer Gruppe heraus, was vielleicht an der Freude lag, die ihm diese Aufgabe bereitete.


    In den heißen und trockenen Sommern seiner Jugend brannte Tarraco lichterloh.


    Zum Verhängnis wurde ihnen, dass Sabaco sich stets so nah wie möglich an den Bränden aufhielt, um ihnen beim Wachsen zuzusehen, die Hitze im Gesicht zu spüren und den würzigen Rauchgeruch in der Kleidung mitnehmen zu können. So führte er eines Tages versehentlich einen Vigil, dem aufgefallen war, dass Sabaco ziemlich oft unter den Gaffern stand, zum Versteck seiner Freunde.


    Und der kam mit Verstärkung zurück.


    Sie wurden zu einem blutigen Haufen zusammengeprügelt, ihre Hunde erschlagen. Glimpflich kamen nur jene davon, die sich auf ihr Bürgerrecht berufen konnten, da ein Vigil einen römischen Bürger nicht so behandeln konnte, wie er es manchmal gern würde. Bei Sabaco fand man obendrein die Materialien, mit denen er das Feuer gelegt hatte. Er wurde zu seinen Eltern geschleift, wo ihn ein Donnerwetter erwartete, gegen das sich die Vigiles wie sanfte Lämmchen ausgemacht hatten. Eine großzügige Summe, die sein Vater den richtigen Stellen spendete, verhinderte, dass das Ganze vor Gericht ging und Sabaco der Prozess wegen Brandstiftung gemacht wurde.


    Zwei Tage später tauchte Sabaco leichenblass an ihrem alten Versteck an der Via Augusta auf. Dort war niemand mehr, nur die Reste ihrer Habseligkeiten und Blutflecken. Allein bestattete er die Hunde. Besonders um seinen eigenen schwarzen Molosser mit dem Gemüt eines Welpen tat es ihm leid. Danach zog Sabaco allein durch die Stadt, die noch immer nach Rauch duftete, besichtigte die noch qualmenden Ruinen und befühlte die heißen Steine. Am Abend fand er das, was von seinen Freunden übrig war, vor der Stadtmauer in Hafennähe. Dort hatten sie ihr neues Lager auf einer bewaldeten Landzunge eingerichtet. Timocleia erlag wenig später ihren Verletzungen. Ferghus und Demarete waren als entlaufene Sklaven abgeführt und ohne Prozess verurteilt worden. Man hörte nie wieder von ihnen.


    Und so trank man tränenreich auf die Verlorenen, brüllte die Verzweiflung hinauf zu den Sternen, verfluchte die Vigiles, den Kaiser und die Götter. Aber Armándos kannte jemanden, der ihnen neue Hunde organisieren würde, größere und schärfere Hunde. Messer brauchten sie auch und würden damit einen Tross Soldaten überfallen, um ihnen die Rüstungen und Waffen abzunehmen. Sie würden die Geschichte von Tarraco in Blut schreiben!


    Am nächsten Tag wachte Sabaco in einer Pfütze von Erbrochenem auf. Sein Kopf wog eine Tonne und war kaum anzuheben. Schwer verkatert taumelte er die paar Schritte zum Meer, um sich zu reinigen. Armándos rappelte sich erst gegen Nachmittag auf Hände und Knie, er hatte sich nicht nur vollgekotzt, sondern auch vollgeschissen. Weder Sabaco noch Armándos wussten noch viel von dem, worüber sie gesprochen hatten.


    Der Wein hatte ihre großen Pläne hinfort gespült.

    Von Ratten und Hunden


    Der Satz war unvollständig gewesen, fiel Sabaco ein. Vollständig lautete er: Im Grunde sind wir alle Einzelgänger, die sich aus multiplen Beweggründen in Zweckgemeinschaften begeben. So hatte man ihm das gesagt. Oder waren die Worte einfach in seinem Hirn gewachsen wie weiteres Unkraut?


    Sabaco dachte darüber nach, während er die Bettecke zu einer Rolle formte, sie unten zwischen seine Knie klemmte, oben umarmte und den Kopf darauf ablegte. So schlief er immer. Von der Sache her benötigte er mindestens zwei Decken, sonst wurde sein Rücken kalt. Früher hatte zu beiden Seiten immer jemand gelegen, der ihn wärmte und auf dem er Arme, Beine und Kopf ablegen konnte. Bislang war es ihm nicht gelungen, sich schlafend an die neuen Umstände anzupassen. Und so lag er wach und grübelte noch länger.


    Es schien ihm ein Naturgesetz zu sein, dass Menschen sich in Gruppen zusammenrotteten. Zumindest in Sabacos Umfeld, wenn er an seine Zeit auf den Straßen von Tarraco zurückdachte.


    Auch Sabaco fand damals Anschluss an eine Gruppe Gleichaltriger, die, so wie er, aus verschiedenen Gründen nicht nach Hause konnten. Es war ein buntes Gemisch aus Römern, Peregrini, Libertini und entlaufenen Sklaven. Dass Sabaco römischer Bürger war, spielte dort keine Rolle. Weder machte ihn das besser noch schlechter, er war einer von vielen, der Umstand war bestenfalls Grundlage diverser Witze. Seine neuen Freunde brachten ihm das Trinken bei, worin er sie bald übertraf, und wie lustig es sein konnte, ein Arschloch zu sein. Besonders in der Gruppe machte es Spaß. Da die Menschheit zwiegespalten war, wollte Sabaco nicht auf der falschen Seite stehen. Er ahnte, wozu seine Eltern ihn machten, allein durch ihre Autorität. Doch das spielte keine Rolle, wenn er sie mied. Sabaco fühlte sich stark.


    Nachts kehrte Sabaco in diesem Alter trotz allem meistens noch nach Hause zurück. Auch ging er tagsüber weiterhin zur Schule. Im Gegensatz zu seinen Freunden konnte er gute und sogar sehr gute Noten vorweisen und das Lernen bereitete ihm Spaß. Trotz seines zweifelhaften Umgangs und dem vielen Wein brachen weder seine Leistung noch seine Disziplin beim Lernen ein, auch wenn er oft müde war. Seine Fähigkeiten wurden lediglich um einige Qualitäten erweitert, die über das Schulwissen hinausgingen und bis auf die Straße reichten.


    So lernte er zum Beispiel, dass man bei Ärger nicht wegzulaufen und sich zu verstecken brauchte, sondern dass man das Ruder des Schicksals herumreißen konnte. Man musste nur rabiat genug dabei sein. Je älter er wurde, umso wehrhafter, umso besser fühlt er sich.


    Aus Jungs wurden Jugendliche.


    Aus den Ratten wurden große Hunde, die sie absicherten und vor den Vigiles warnten.

    Der Gubernator musste sich nicht lange gedulden. Sabaco brachte ihm eine seiner Tunikas, die sich bereits als Stoffbündel schwer anfühlte. Argwöhnisch betrachtete er die fettigen Finger von Vorenus Nero, reichte ihm dann aber doch das kastanienbraune Kleidungsstück. Dick und weich war die Wolle, kein bisschen kratzig, die Ränder gut genäht. Auch an den Ellbogen, wo der Stoff schnell dünn wurde, waren noch keine Anzeichen von Abnutzung zu erkennen. Der Stoff war äußerst dicht gewebt, dick und schwer wie eine Decke. Manch einem vielleicht sogar zu dick, doch das kam auf den Zweck an. Sabaco hatte noch nie ein Kleidungsstück derart geliebt.

    Menschen


    Wie würde der Mensch sich wohl entwickeln, wenn er, wie viele anderen Raubtiere, in frühester Jugend auf sich selbst gestellt wäre? Verstoßen vom eigenen Vater? Vom eigenen Rudel? Sabaco kannte die Antwort.


    Zwar war er nicht verstoßen worden, dennoch hatte er aus verschiedenen Gründen oft nicht im Elternhaus bleiben können. Seine ungezählten Fluchten waren eine Notwendigkeit, er stellte diesen Entschluss nie infrage. Allein bei Wind und Wetter umherzustreifen, um nicht nach Hause zu müssen, war sein Alltag. Wo das Vorbild fehlte, besaß man nur den Maßstab des eigenen Erlebens. Was geschah, war richtig. Nicht immer schön, aber in Ordnung.


    Wonach hätte er sich auch sehnen sollen? Er kannte nichts anderes und erst recht nichts Besseres. Realität und Normalität waren eins.


    So arrangierte er sich ohne nachzudenken und ohne zu klagen mit seiner Situation. Er hing auf dem Forum von Tarraco herum und besuchte die Märkte, damit ihm nicht langweilig wurde, schaute all die Dinge an, die er nicht kaufen konnte und die ihm trotzdem gefielen. Auf dem Viehmarkt erfreute er sich an den zutraulichen Kälbern, die an seiner Hand und seinen Ellbogen saugten, und fing sich eine dicke braune Ratte zur Gesellschaft, die im Laufe der Zeit erstaunlich zahm wurde. Er lernte zu stehlen und zu lügen, eignete sich eine hervorragende Beobachtungsgabe an. Er lernte die Menschen zu lesen und sie in Opfer und Täter zu unterscheiden.


    Doch sie zu verstehen lernte Sabaco nicht.