Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    <<< Taberna Silva Nigra


    Sabaco stieg von seinem wie eine Kastanie glänzenden Schwarzbraunen, bevor er die Wache ansprach. Nicht nur der Hengst, auch er selbst sah gepflegter aus als am ersten Tag seiner Ankunft. Die braune Tunika, die sein Bruder ihm geschenkt hatte, die Beinlinge und warmen Füßlinge, all das war in tadellosem Zustand. Sabacos Bart war entfernt und die buschige Monobraue in zwei ordentliche Bögen verwandelt. Er war ein attraktiver Mann heute mit seinem schwarzen Haar und den blauen Augen. Nur die Zähne, die sich beim Sprechen offenbarten, ruinierten das Bild des vorbildlichen Soldaten.


    "Salve! Eques Matinius Sabaco, Legio IX Hispana. Kann ich mit Vexillarius Matinius Ocella sprechen? Ist mein Bruder."

    Er begann sogar zu hoffen, dass die Schwarzkutten wieder aufkreuzten, nur damit er ein vertrautes Gesicht sah, und sei es noch so verhasst. Einige Male hatte Sabaco sich auf den Weg ins Stadtzentrum gemacht, um sich Mogontiacum anzusehen und einen Markt zu suchen, war aber nach wenigen Metern wieder umgekehrt, zurückgetrieben von der festen Überzeugung, dass sein Bruder genau jetzt in der Taberna aufkreuzen musste. So war es doch immer, die Götter hatten einen grausamen Sinn für Humor. Und wenn das geschähe, würde Ocella nach Sabaco fragen, nur um zu erfahren, dass sein treuloser Bruder nicht auf ihn gewartet hatte, obgleich felsenfest versprochen. Bitter enttäuscht würde er wieder abziehen. Der Gedanke war unerträglich, Sabaco konnte hier nicht weg.


    Bis zu dem Tag, da ihm der Wirt mitzuteilen wagte, dass das Schankmädchen keine Hure sei und er sich sein Treiben lange genug mitangesehen hätte. Sie würde schon Angst haben, die Gäste zu bewirten, wenn Sabaco im Raum saß und das tat er von früh bis spät. Falls Sabaco sie noch einmal belästigte, dann würde er ihn des Hauses verweisen. Dabei hatte er dem unbeliebten Gast mit dem Finger gedroht, den er sich garantiert immer in den Hintern schob.


    Sei es seiner Sturheit geschuldet, seinem vom Alkohol abgestumpften Verstand oder der Tatsache, dass er diese Taberna nicht mehr sehen konnte - Sabaco gönnte sich eine letzte, heftige Begegnung mit dem herrlich fetten Arsch der Frau. Ihren Protest erstickte er mit routinierter Gewalt. Die Münzen, die er immer für sie auf den Boden warf, ignorierte sie heute. Grinsend wälzte er sich auf den Rücken und kratzte seinen klebrigen Schritt. Dann raffte er sich auf, um noch einmal den Zuber in Anspruch zu nehmen. Keinen Augenblick zu früh sank er in das Wasser und wusch sich in Windeseile die Haare. Die Tür öffnete sich und der Wirt stand dahinter, flankiert von einigen großgewachsenen Germanen.


    Wenig später fand Sabaco sich mit seinem Hab und Gut auf der Straße wieder. Wie gut, dass er zuvor gefrühstückt hatte. Er bereitete sein Pferd vor und belud es, ehe er in aller Ruhe in Richtung Castellum ritt.


    Castellum der Ala II Numidia >>>

    Die Zeit vertrieb Sabaco sich mit Trinken und Sex. So begann er die Tage, so beendete er sie.


    Er hätte spazieren gehen, Kontakt zu den Soldaten vor Ort aufnehmen oder sich die Stadt ansehen können, doch er fühlte sich in der Taberna wie festgeklebt, in der er ein paar gute Stunden mit Ocella verbracht hatte, ehe sein Bruder ihn überstürzt verließ. Ocella konnte nicht weit fort sein und war doch unerreichbar. Sabaco würde bald in Cappadocia weilen, am anderen Ende des Imperiums, tausend Meilen weit fort. Dort würde er so wenig zu Hause sein wie in Germania, Sabaco war an jedem Ort ein Fremder. Doch ein Gefühl von zu Hause hatte er in diesem Schankraum mit seinem Bruder verspürt.


    Und so tat er nichts anderes, als an genau dieser Stelle zu warten, bis die Zeit die Dinge wandeln würde.

    Sabaco kam nur dazu zu nicken, dann blieb ihm lediglich, auf den Rücken seines davongehenden Bruders zu sehen. Der unerwartete Abschied brachte ihn aus dem Konzept und ihm fehlten alle Worte.


    Lange hüllte Sabaco sich hernach in Schweigen. Der Stuhl gegenüber stand halb zurückgeschoben, so als würde Ocella gleich wiederkommen, um sich zu ihm an den Tisch zu setzen. Das Frühstück, was für zwei gedacht war, musste Sabaco allein verzehren. Langsam aß er es auf, ließ nicht einen Bissen übrig und trank den Wasserkrug leer. Die Finger wischte er anschließend gedankenverloren an der Tunika ab und drückte das überreichte Päckchen an seine Brust, ehe er aufstand, um nach oben zu gehen.


    Das Zimmer war gelüftet worden, der Nachttopf geleert und das Bad zur Hälfte eingelassen. Sabaco legte das Bündel vorsichtig auf dem Bett ab und ging sein Tier versorgen. Süßlicher Pferdegeruch umfing ihn im Stall. Er reinigte das braune Fell mit verschiedenen Bürsten, bis es glänzte, kratzte die Hufe aus und kämmte die schwarze Mähne und den Schweif. Für Futter und Wasser hatte schon irgendwer gesorgt. Es war ein schönes und zuverlässiges Tier, dem das Alter weiß ins Gesicht geschrieben stand. Diese Reise war sein letzter Einsatz.


    Nach getaner Arbeit stapfte Sabaco wieder nach oben. Jede Treppenstufe knarrte und untermalte die empfundene Stille. Das Mädchen füllte gerade den letzten Eimer in den Zuber. Sabaco schloss hinter sich die Tür und wartete. Sein Blick war scheinbar entspannt, doch dass er den Weg nach draußen versperrte, war Botschaft genug. Als das Mädchen den Eimer abstellte, ergriff er sie wortlos und drückte sie bäuchlings ins Bett, das Gesicht von ihm abgewandt. Er erstickte jedes Geräusch mit der flachen Hand, weil er nichts von ihr hören wollte. Nachdem er fertig war, schickte er sie hinaus, mit ein paar Münzen abgespeist, und fühlte sich genau so beschissen wie zuvor. Sabaco warf seine dreckigen Kleider in die Ecke und ließ sich ins heiße Wasser sinken.


    Als er in seiner neuen Kleidung die Treppe herunterkam, frisch rasiert und mit geöltem und glatt gekämmtem Haar, erkannte man ihn kaum wieder. Er hatte sogar seine zusammengewachsenen Brauen gezupft, sodass er wieder mit zweien statt einer aufwarten konnte und weniger finster wirkte, weil sie nun schmaler waren. Man sah seine blauen Augen, befreit von den buschigen Schatten. Wenn Sabaco nicht den Mund aufmachte und man die tiefe Platzwunde an seiner Stirn ignorierte, hätte man ihn vielleicht als gutaussehend bezeichnen können. Als er zahlen wollte, hatte Ocella, die gute Seele, längst alle Rechnungen beglichen.


    Hilflos, was er tun sollte, bis irgendwann eine Nachricht eintreffen würde, stand Sabaco im Raum. Er setzte sich wieder an den inzwischen abgeräumten Tisch, bestellte einen Met und starrte schweigend auf den leeren Stuhl.

    Sabaco hörte auf zu kauen und schaute das Paket an. Er wischte sich die Finger gründlich an einer weitestgehend sauberen Ecke seiner Kleidung ab, ehe er es anhob und zu sich nahm. Er zog es nicht über den Tisch. Eine Weile sagte er nichts und schaute nur auf die neuen Tuniken und Beinlinge. Nicht einmal der Scherz seines Bruders aufgrund der dunklen Farbe erhielt eine Erwiderung.


    "Danke", sagte Sabaco schließlich.


    Die übrigen Gäste wurden kurz mit einem feindseligen Blick taxiert, ehe Sabaco wieder auf das sorgfältig gepackte Päckchen schaute.


    "Ich muss baden, bevor ich die anziehe", murmelte er. Sein Pferd könnte auch noch mal gebürstet werden, ehe er losmachte ...


    Auf die Anmerkung, dass seine Zähne ihn noch umbringen würden, lächelte Sabaco nur. Er brachte es nicht übers Herz, seinem Bruder zu sagen, wie gleichgültig ihm das war. Was ihn im Kampf furchtlos erscheinen ließ, war nur der Umstand, dass ihm der Ausgang egal war. Sabaco liebte weder sein Leben noch sich selbst.


    "Ich werde einen Medicus aufsuchen", versprach er. Nicht für sich, sondern für Ocella.


    Er schnippte die Bedienung heran. Anstelle einer Karaffe heißen Met bestellte er ein heißes Bad. Als die Frau gegangen war, um dem Mädchen Bescheid zu geben, das sich um die Zimmer und die Gäste kümmerte, sah er Ocella an.


    "Das ist ein Abschiedsgeschenk", stellte er fest.

    Sabaco wurde davon geweckt, dass sein Bett wackelte. Das Weib, das ihm gestern das Baden angenehm gemacht hatte, war es vermutlich nicht, stellte er fest, während langsam sein Gehirn munter wurde. Es ließ sich damit mehr Zeit als sein Körper. Sabaco saß schon und starrte, während er mit offenen Augen noch Firlefanz träumte, ehe er seinen Bruder erkannte. Ocella war hier, der kleine Ocella, den er in Mogo besuchte. Sabaco grinste sehr breit.


    "Morgen", sagte er nur.


    Zum Rest ersparte er sich eine Antwort. Er sah keinen Grund, irgendetwas gegen seinen Geruch zu unternehmen; er störte ihn ja nicht. Die Ölfunzel brannte noch und trug zusammen mit Sabaco selbst dazu bei, die Kammer in einen so stickigen Mief zu verwandeln, dass die Luft zäh wie Sirup wirkte und beim Atmen im Hals stach. Nachdem Ocella raus war, hinterließ Sabaco dem Zimmermädchen noch ein großes Andenken im Nachttopf, ehe er sich daran machte, seine Sachen anzuschauen. Die Bratensoße hatte den Stoff seiner guten (für Sabacos Verhältnisse) Tunika verklebt. Und die Reisetunika war durchgeschwitzt und stank wie ein Komposthaufen. Für seinen Bruder würde er sich ein bisschen schick machen, also nahm er die mit der Bratensoße, aus der er nur die Fleischstücke pulte. Dann folgten die restlichen Klamotten.


    Sichtlich verkatert stapfte Sabaco schließlich die Treppe hinab und ließ sich bei Ocella an den Tisch plumpsen.


    "Was für eine Einheit? Wann?", griff er den Faden wieder auf. Das war ja praktisch. "Ich glaube, ich muss noch die Versetzungsschreiben mitnehmen, aber die sind in der Castra der Hispania ... wenn sie dort sind. Scheiße, ich glaube, ich habe zu viel getrunken in letzter Zeit. Die Originale hatten jedenfalls einen Formfehler", versuchte er, sich verständlich zu machen. "Die brauchen ja nicht extra einen Reiter losschicken, wenn ich eh nach Roma mache."


    Könnten sie schon, aber das war Vergeudung, es sei denn, es musste genau jetzt ohnehin ein Haufen Briefe nach Roma verfrachtet werden. Sabaco griff nach dem Schinken, der sehr gut aussah, schnitt sich eine dicke Scheibe ab und dazu eine Ecke Brot. Nur etwas zu Trinken vermisste er, so wartete er auf die Bedienung.


    "Was trinkst du?", wollte er von Ocella wissen.

    Sabaco stutzte. Bei dem offiziellen Schreiben vor der Nase wurde er schlagartig ein wenig nüchterner. Wenn er diese Schriftrolle verloren hätte, dann hätte er ein Problem gehabt.


    "Danke, Bruder ... da fällt mir ein, dass ... Scheiße. Stilo und ein paar andere haben den gleichen Befehl erhalten. Wir haben ja in der Neunten schon darüber geredet, dass wir nach Cappa versetzt werden. Also Stilo ist eine Art Varro, falls ich dir von dem noch nicht erzählt habe. Aber die sind gerade alle in Mantua wegen irgendwelchem Familienscheiß. Es gab irgendeinen Formfehler im Befehl und ich sollte die korrigierten Exemplare mitnehmen. Das habe ich voll vergessen. Werden die Schreiben ihnen hinterhergeschickt? Sonst muss ich noch mal in die Castra und sie mitnehmen."


    Er ließ sich von Ocella bis zur Tür seines Schlafgemachs bringen. Einladend strahlte ihm das Bett entgegen, dessen Decke und Kissen herrlich fluffig aussah. Jemand hatte durchgelüftet und die Reste des Bades beseitigt.


    "Scheiße ... ich glaube ich muss wirklich noch mal umgekehren. Wir waren in Hispania stationiert bei einer zurückgelassenen Einheit ... dann Zwischenhalt in der Hauptcastra unserer Legio gemacht ... und nun das!"


    Ächzend zog er seine Klamotten aus, die voller Bratensoße waren, und legte sich ins Bett, wo er sich tief einwühlte. Die Nächte waren kalt in Germania, wenn man das Wetter von Hispania gewohnt war.


    "In Cappa ist es warm", murmelte er, um sich zu trösten.


    Dass die Winter in Cappadocia noch eisiger waren als in Germania, und über Wochen -20°C herrschen konnten, ohne dass es Holz zum Heizen gab, wusste er nicht. Er hatte noch nie kontinentales Klima erlebt und Stilo nur von den sonnigen, regenfreien Sommern schwärmen gehört. Laut Stilo war Cappadocia - seine Heimatprovinz - das Elysium auf Erden.

    Sabaco ließ sich auf den Stuhl pflanzen und verarzten. Der Met zwiebelte in seiner Wunde und das linke Auge war vom Blut verkrustet und an den Wimpern zusammengeklebt. Er konnte es nicht mehr öffnen und nur noch einäugig schauen. Doch Ocellas traurigen Blick bemerkte er trotzdem. Er ging ihm selbst in seinem vom Alkohol abgestumpften Zustand durch Mark und Bein, denn sonst blickte niemand Sabaco so an. Er war nicht gerade dazu geeignet, Zuneigung oder Mitleid zu erwecken. Beides wollte er auch nicht, weil Menschen bösartig waren. War man am Boden, pissten sie einem ins Gesicht. Er hatte seine Schlüsse gezogen, um nicht als der zu enden, der unten lag. Nie wieder. Er war gefährlich, er war hässlich und er stank. Er war derjenige, der bei Strafexpeditionen die kleinen Kinder tötete, der fickte, was ihm vor die Lanze geriet und der neue Rekruten mit mitgebrachten Körperteiltrophäen erschreckte. So blieben die Menschen auf Abstand und sie taten gut daran.


    Es gab zwei Menschen in seinem Leben, denen Sabaco vertraute: Ocella und Stilo. Dass einer davon nun traurig war, das gefiel ihm nicht. So grinste er aufmunternd und stellte sich mit Hilfe seines Bruders auf die Füße. Er schwankte und stolperte zwei Mal, bis er sein Gleichgewicht gefunden hatte, dann stand er.


    "Einverstanden. Ich lege mich ins Bett und schlafe. Morgen warte ich den ganzen Tag auf dich, bis zum nächsten Abend und dem folgenden Morgen." Er dachte angestrengt nach, rechnete. "Bis übermorgen also. Dann muss ich weiterreiten."


    Er hoffte, dass Ocella freibekommen würde. Denn bis sie sich das nächste Mal sahen, mochten wieder Jahre ins Land gehen.

    Als sein Gegner umfiel, stürtzte Sabaco mit diesem zu Boden. Ocella hatte am Ende auch seinen Prätorianer gefällt. Einen Moment lang bedauerte er, dass der Kampf vorbei war. Sabaco rappelte sich auf. Mit dem Handrücken wischte er über seinen Mund. Das linke Auge musste er geschlossen, halten, als er sich umschaute, weil das Blut aus der Braue hineinlief. Der Raum lag voller Verletzter. Wie viele Ocella umgehauen hatte, konnte er im Suff nicht zählen. In einer Ecke lag ein ganzes Menschenknäuel.


    "Saubere Arbeit", lallte Sabaco betrunken und halb betäubt von dem gewaltigen Hieb. "Dein großer Bruder ist stolz auf dich! Sehr stolz, Ocella." Er selbst hatte heute eine grausige Figur gemacht, woran sein Gegner Schuld trug.


    Eine Ecke in Sabacos Hirn wollte die letzten beiden Schwarzkutten auch noch vernichten, die ihre Kameraden auflasen, aber damit würde er Ocella noch mehr Arbeit aufhalsen und selbst wenig beitragen können. Letztlich waren das auch römische Soldaten, sollten sie ihre Verletzten aufsammeln. Irgendwie schaffte es sein Gegner noch, sich auf den Knien zu halten. Zäh wie ein Ochse. Der Kerl hatte hervorragend gekämpft, Sabaco war es nicht gewesen, der ihn erledigt hatte. So verzichtete er darauf, ihn ganz umzuhauen und auf den Kopf zu pissen, sondern ließ von ihm ab.


    Er grinste breit und dreckig. "Wir wollten noch nach Borbetomagus. Heute oder morgen?"


    Vielleicht war auch schon morgen. Das konnte man in Zechnächten immer schlecht sagen und war dann stets aufs Neue überrascht, wenn man die Sonne aufgehen sah.

    Genau so gut hätte Sabaco gegen einen Baum hauen können. Ihm fiel auf, dass es idiotisch gewesen war, einem Muskelprotz in den Bauch zu schlagen. Er merkte den Aufprall bis zum Ellbogen; ein paar filigrane Knöchelchen und Sehen nahmen im Zweifelsfall eher Schaden als Gewebe, das nachgab. Im Hintergrund randalierte Ocella derweil auf vorbildliche Art und Weise. Vier Schwarzkutten hatte er schon ausgeschaltet, was in Sabaco ein Gefühl der Rührung aufsteigen ließ, während seine eigene Kutte noch immer vor ihm stand. Solch einen Gegner hatte er lange nicht gehabt. Es krachte, Möbel flogen herum. Ocellas fünfter Gegner hatte die Statur eines Endgegners. Wahrscheinlich hatte der schon als Säugling Brei aus pürierten Stierhoden geschlürft.


    Der Gedanke war einer zu viel gewesen.


    Sabaco bekam eine gezimmert, ohne dass er den Schlag hatte kommen sehen. Er flog zur Seite und landete auf einer herumliegenden Schwarzkutte, die sich gerade hatte aufrappeln wollen und nun erneut geplättet wurde. Stöhnend wälzte Sabaco sich herunter und auf den Bauch. Er zog Arme und Beine unter den Rumpf. Wenigstens war er noch bei Bewusstsein, aber sein Kopf fühlte sich an, wie von einem Schmiedehammer getroffen. Blut tropfte zwischen seinen Händen auf den Boden und ein arg schielender Blick in Richtung seines Gegners offenbarte den Grund dafür - der Sauhund besaß einen Schlagring. Als Sabaco nach seinem Kopf tastete, spürte er einen klaffenden Spalt über der linken Hälfte seiner Monobraue, der bis auf den Knochen zu reichen schien.


    Sabaco grinste so breit, dass der Mann seine braunen Backenzähne sah und rappelte sich wieder auf. Er griff nach einem Stuhl, schleuderte ihn auf seinen Gegner und sprang sofort hinterher. Er würde diesen Kampf verlieren, er konnte sich nach dem Volltreffer kaum noch auf den Beinen halten, aber wenn er schon verlor, dann richtig! Er umklammerte seinen Gegner, damit er nicht noch einmal derart ausholen konnte, und riss den Rachen auf, um ihm kraftvoll ins Gesicht zu beißen. Wohin er traf - falls er traf - war ihm gleichgültig. Alles, was er wollte, war, dem Kerl ebenfalls eine Narbe zuzufügen, so wie Sabaco auf ewig gezeichnet sein würde, bis ihrer beider Fleisch dereinst verfaulte.

    Ocella benötigte länger, um sich dafür zu entscheiden, mitzumischen, fing aber dafür eher an und fällte seinen ersten Gegner mit einem Hieb. Auf das Vorgeplänkel mit gegenseitigem Dissen hatte er scheinbar keine Lust. Sabaco jetzt auch nicht mehr, angespornt vom Sieg seines kleinen Bruders. In dem Moment verpasste der vermeintliche Anführer des Trupps ihm einen Kopfstoß. Sabaco konnte gerade noch den Kopf so weit senken, dass ihm nicht die Augenbraue platzte, dann kam der Knall. Der Aufschlag war heftig und Sabaco schnaubte, aber der andere würde auch eine ordentliche Beule abbekommen haben. Noch halb im Taumel zielte Sabaco darauf, seinem Gegner von unten einen Haken in den Magen zu verpassen. Das konnte je nach Füllstand mit einem Kotzschwall in seine Richtung enden, tat aber herrlich weh, wenn er traf.

    Die Kohle war nur der Aufhänger, das wusste der andere so gut wie er. Sabaco war besoffen, hatte Lust, sich sinnlos mit irgendwem zu schlagen und dieser Fatzke kam ihm gerade Recht. Wäre er nüchtern, hätte er im Angesicht so vieler Gegner vielleicht anders reagiert. Doch Betrunkene kannten weder Schmerz noch Furcht, besonders nicht, wenn sie Sabaco hießen. Seine Zähne waren nicht von ungefähr in einem so zerklüfteten Zustand. Er wollte die arrogante Prätorianervisage in Brei verwandeln.


    "Klar, dass deine Arschlecker dir helfen müssen. Schlappschwanz."


    Während der Wirt erneut im Essen herumkroch, trat Sabaco noch näher an den anderen heran, so dicht, dass sie sich fast berührten. Er machte sich auf den ersten Einschlag gefasst, um einen Grund zu haben, entsprechend antworten zu können.

    Der Tisch kippte unter lautem Getöse um. Das Fleisch, die Bratensoße und die abgefressenen Knochen ergossen sich über die Hosen der zwei Brüder, zusammen mit den Resten des Honigweins. Sabaco, der gerade aus der Wanne gekommen war und sich frisch eingekleidet hatte, sah wieder aus wie ein Schwein. Der Met war verschüttet und das Essen lag im Dreck.


    Sabaco sprang auf.


    Er packte den einbeinigen Appius am Kragen und am Hosenboden, riss ihn in die Luft und warf ihn hinter den umgekippten Tisch. Morgen würde dem die Musrille brennen, aber er lag in Sicherheit vor dem, was nun womöglich kommen würde. Sabaco baute sich vor dem vermeintlichen Anführer des johlenden Trupps auf. Der Wirt war ihm scheißegal - sein Essen und sein Met waren es nicht.


    "Du bezahlst die ganze Scheiße", verlangte Sabaco.


    Aber eigentlich hoffte er, dass der Typ ihn stattdessen angriff. Allein die Tatsache, dass er und seine Begleiter Prätorianer waren, genügte, um Sabaco zu provozieren und nun hatte der auch noch sein Abendessen verschüttet. Das Ocella ihm ausgegeben hatte!


    Sabaco wollte sich kloppen.

    Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Bruder sich so viel Zeit für ihn nehmen würde. Nachdem Sabaco am ersten Tag seiner Volljährigkeit ohne einen Abschiedsbrief und ohne Gepäck abgehauen war (er war sicher, dass die Familie den Göttern gedankt hatte, wenigstens einen der Söhne los zu sein), hatten sie sich nicht mehr gesehen. Es wäre möglich gewesen, dass Ocella nun schmollte oder das Band zwischen ihnen zerrissen wäre. Und Briefe ... nah. Niemand schrieb gern Briefe. Außer diese Lackaffen von Stabsoffizieren. Die schrieben in Sabacos Vorstellung den ganzen Tag Briefe, wenn sie nicht gerade herumstolzierten und so taten, als hätten sie einen Nutzen. Ocella war anders, Ocella war ein Mann der Tat, Ocella war wie er. Das Band war noch da! Sabaco wurde von einer Welle brüderlicher Zuneigung überrollt und hörte auf, auf Ocellas blendend weiße Zähne zu starren.


    "Zwei Tage", freute er sich. "In Borbetomagus war ich noch nie. Lass uns das machen. Hast du einen guten Draht zum Decurio? Kann man den notfalls bestechen?"


    Vielleicht mit Wein, dann musste Sabaco noch welchen organisieren.

    Ein paar Schwarzkutten hatten die Taberna betreten. Als die sich Platz schafften, wartete Sabaco äußerlich ruhig, doch seine Muskeln waren angespannt, da er nicht abschätzen konnte, ob sie die Nächsten waren und dann würde es hier Saures geben. Er würde seine Haut und die von Ocella teuer verkaufen. Doch die Neuankömmlinge gaben sich mit dem geräumten Tisch zufrieden, so dass Sabaco die Hand wieder vom Krug nahm. "Wer sind die?", raunte er. "Sind das Prätos?" Er hatte noch nie welche gesehen. Da war man schon in einer Eliteeinheit und musste sich trotzdem in Germania vollregnen lassen. Sabaco grinste schadenfroh.


    Teres Hilko, neuderdings als Appius Vorenus Irgendwasus bekannt, fand indes im Angesicht der Köstlichkeiten keine Zeit, die Frage seines Gegenübers zu beantworten. Es war ihm vergönnt, eine solche Wunde erforderte entsprechende Erholung samt gesteigerter Futtermasse. Nachdem die Brüder den spachtelnden Einbeinigen genug bestaunt hatten, wandten sie sich wieder einander zu.


    "Eigentlich soll ich so schnell wie möglich nach Mantua", griff Sabaco den Faden wieder auf. "Auf direktem Wege und so. Aber wer kontrolliert das?" Er zuckte mit den muskulösen Schultern. Auf die verdammte Trauerfeier konnte er verzichten, selbst wenn sie nur ein Vorwand war. Stilo würde ein paar Tage länger ohne seine Anwesenheit überleben. "Wenn du mich nicht gleich wieder rausschmeißen willst, hat der direkte Weg eben etwas länger gedauert."

    Müde war Ocella und fühlte sich alt. Was hatte dieser Varro mit ihm angestellt? Oder was nicht? War es überhaupt Varros Schuld? Nein, der musste ein guter Mann sein, wenn das Brüderchen ihm vertraute. Aber wer war es dann? In Sabacos Welt musste es stets jemanden geben, dem er die Schuld geben und diesen dafür hassen konnte, um in blutigen Fantasien zu schwelgen. Nichts war schlimmer als ein unsichbarer, unerkannter Feind.


    Sabaco schob dem Einbein namens Teres Hilko die riesige Platte mit dem Fleisch hinüber. Es war noch genügend darauf, so dass der Mann sich bedienen konnte, ohne ein schlechtes Gewissen gegenüber den Gastgebern haben zu müssen.


    "Hau rein. Teres Hilko also. Und was davon ist jetzt der Rufname?" Das war bei Barbarennamen immer so eine Sache. Die Kleidung des Mannes ließ für Sabaco keinen Schluss auf dessen Stamm zu. Auch Sabaco war gespannt darauf, was das Einbein zu erzählen hatte. Außerdem fragte er sich, ob ein Holzbein wohl praktischer war als eine Krücke.

    "Was passiert ist? Das Gleiche wie dir - ich bin unter die Adler gegangen. Als Einzelkämpfer macht man es dort nicht lange. Entweder, man passt sich an, oder man spürt die Konsequenzen."


    Und Sabaco gehörte zu denen, die in der ersten Reihe standen, wenn es darum ging, jemanden einzunorden. Dass Zusammenhalt sich unter bestimmten Umständen lohnte, das hatte er gelernt, ebenso, dass einige Kameraden fast wie Brüder waren, auch wenn keiner an das vergötterte Original heranreichte. Und darum reiste er nun auch von Hispania nach Italia, um seine Leute zu treffen, die sich in Mantua sammelten wegen irgendeiner Familienangelegenheit. So, wie Sabaco Stilo zu kennen glaubte, war das allerdings nur der Aufhänger. Wen interessierte der Tod von Stilos Schwester? Keiner hatte sie gekannt, mit Ausnahme von Cimber vielleicht oder dem Tuntenpriester. Nein, sie trafen sich aus einem anderen Grund, den der Sauhund noch nicht verraten hatte.


    Als Ocella abfällig Sabacos Sorge ob dessen Beziehungsstatus beiseitewischte, fiel Sabaco ein Gebirge vom Herzen. Das hätte auch noch gefehlt. So grinste er sein Brüderchen wohlwollend mit seinen Zahnruinen an, schlug ihm froh auf die Schulter und ließ die Hand dann weiter zum Krug wandern. Er hob seinen Becher in Ocellas Richtung und trank mit ihm. Den Trinkspruch würde er sich merken, der gefiel ihm. Er trank einen großen Schluck und rammte den Becher wieder auf die Tischplatte.


    "Der Adler scheint dir zum Geier geworden zu sein. Kleiner, Karten auf den Tisch. Was ist los?"


    Die Frage war aufrichtig, es lag keine Herausforderung in Sabacos Stimme. Irgendetwas war vorgefallen, Ocellas Stimmung war ja grauenhaft. So wollte Sabaco erfahren, wer Ocella quälte, um denjenigen nach allen Regeln der Kunst zerstören zu können. Unfälle passierten ... schreckliche Unfälle. Er verpasste einem Hocker unter dem Tisch einen Tritt. Das Sitzmöbel schlitterte in Richtung Einbein und blieb genau vor ihm stehen. Der Mann sollte sich zu ihnen setzen, wenn Sabaco ihm schon etwas zu Trinken bestellte.


    "Wir hatten in Hispania einen, der hat es hingekriegt, gleich beide Beine zu verlieren. Aber sie wurden nicht sauber durchtrennt, sondern nur angestochen und haben angefangen zu faulen. So mussten sie die ihm absägen."

    "Gerühmt", brummelte Sabaco nachdenklich und kratzte seine breite Brust. Dann schüttelte er den Kopf. "Eines Tages werde ich irgendwo sterbend im Dreck liegen, mit aufgerissenen Eingeweiden und vollgeschissener Tunika. Wenn ich Glück habe, finden meine Kameraden meinen Kadaver und organisieren ein anständiges Begräbnis. Genau so ist es möglich, dass meine Reste irgendwo in der Fremde verwesen, ausgeplündert, ohne Grab und von der Welt vergessen. Vielleicht kehre ich auch irgendwann grau, krummbeinig und einäugig zurück nach Hause und stelle fest, dass mein Leben vorbei ist, ohne dass sich irgendetwas verändert hat und alles umsonst war. Jede dieser Möglichkeiten nehme ich in Kauf. Ich tu das nicht für den Ruhm, Ocella, und nicht für die Kohle - sondern für Rom."


    Ocella schien satt zu sein, während Sabaco in den Gesprächspausen noch immer aß. Er würde sich den Wanst bis über die Schmerzgrenze hinaus vollstopfen und so viel trinken, dass er es gerade noch bis ins Bett schaffte, damit er schlafen konnte wie ein Stein. Ein Einbeiniger mit freundlichem Gesicht kam in die Taberna gehumpelt. Der Statur nach zu urteilen war er wohl bis vor seiner Verletzung ebenfalls Soldat gewesen. Sabacos Monobraue sank betrübt auf seine Augen hinab.


    "Siehst du? Das kommt davon, wenn man zu freundlich ist", schlussfolgerte Sabaco mit der ihm eigenen Logik. Ocella durfte nicht so enden: lieb, verkrüppelt und ruiniert. Er musste seinen Biss wiederfinden! Irgendwas betrübte den kleinen Bruder oder stimmte ihn besorgt. Waren das nur die näher rückenden Germanen? Sabaco hatte einen schrecklichen Verdacht. "Du bist doch nicht etwa ... verliebt?", fragte er alarmiert.


    Den Einbeinigen behielt er während ihres Gesprächs im Auge. Er winkte die Bedienung mit dem üppigen Hintern herbei. Mit der von Braten glänzenden Hand tätschelte er genussvoll ihr fettes Gesäß, während er seine Bestellung aufgab. "Bring dem Einbein da eine Cervisia, geht auf meine Rechnung", brummelte er. "Und für meinen kleinen Bruder einen Absacker."


    Mit einem Klaps entließ er sie wieder und sie wackelte davon, um seinen Wünschen nachzukommen.

    Sabaco schenkte seinem Bruder einen Blick, den sonst kaum irgendjemand von ihm zu sehen bekam, denn er war voller Zuneigung. So war er, der feingeistige Ocella. Sabaco hoffte, dass sein Vorgesetzter, dieser Varro, sich Ocellas Sensibilität bewusst war und ihn entsprechend verantwortungsvoll einsetzte, um ihn nicht vor Ablauf seiner Dienstzeit seelisch kaputt zu spielen. Das Brüderchen war zu gutherzig für diese erbarmungslose Welt.


    "Man nimmt die Weiber und erschlägt sie danach", erklärte er geduldig. "Problem gelöst. Natürlich kann man sie alle erschlagen. Man muss es sogar, sonst werden es immer mehr."


    Sabaco für seinen Teil machte weder vor Frauen, noch vor Kindern oder Alten halt. Jeder nützte dem Feind irgendwie und musste getilgt werden. Wenn man Sabaco in ein Haus schickte, war danach Ruhe, ganz gleich, wer vorher darin gewohnt hatte.


    "Ein Wall braucht Zeit. Zeit zu verschaffen, dazu sind die Legionen und die Hilfstruppen da. Den Limes haben wir doch ganz gut hinbekommen. Stell ihn dir zwanzig Mal so lang vor und das Imperium ist sicher."


    Zumindest glaubte Sabaco, dass das ungefähr hinhauen müsste.