Beiträge von Lucius Quintilius Clemens

    So, die letzten Wochen hat mich mein Leben doch sehr in Atem gehalten. Eigentlich wollte ich meine Abwesenheit schon früher verlautbaren; da ich sowieso nicht die stärkste Präsenz hier hatte, war das wohl im Ausmaß der Schwere eher weiter unten. Da meiner Leseerfahrung nach die offene Kommunikation von sowas geschätzt wird, möchte ich das zumindest nachhole - und mich für die Verzögerung entschuldigen!


    Ich bin erst langsam wieder dabei, eine neue Routine nach einer sehr turbulenten Zeit zu etablieren und halte es daher vorerst für besser, mich vorerst auch "offiziell" hier etwas mehr rauszunehmen. Hiermit zusammenhängend habe ich darüber hinaus habe ich für noch zwei andere Schreibprojekte, von denen ich ein anderes auch schon viel zu lang halbherzig bearbeitet habe und das ich langsam auch endlich mal in einen präsentablen Zustand bekommen möchte... X( Sobald ich in der Hinsicht wieder etwas mehr Luft habe, werde ich mich ziemlich sicher auch hier wieder mehr einbringen!


    Vorerst möchte ich zuvorderst darauf schauen, dass ich erstmal wieder auf mein Zeug klarkomme...^^ Über den Dezember war das bisher nämlich nur von bedingtem Erfolg gekrönt.


    Man liest sich hoffentlich bald wieder!

    Clemens schaute über die Anlage hinweg, die ihm anvertraut wurde. Der Ädil und der Rest seiner Entourage schienen noch vor Ort zu sein... Es war ein flüchtiger Blick, der allenfalls die Seele beruhigen konnte, aber zu mehr nicht taugte. Alles andere wäre den Umständen nach zu auffällig gewesen. Dem Quintilier war das, getrieben von den Zwängen sozialer Konventionen und dem warmen Gefühl in seinem Herzen, jedoch gut genug.


    "Aus Roma kam ich nie raus; die Stadt selbst hat mir dafür umso mehr gezeigt. Vom Inneren der prächtigsten villae bis zum Hinterhof von tabernae, in den sich manch ein Mensch leise und einsam nach dem Tod sehnt, habe ich alles erleben dürfen. Wie es dazu kam lässt sich hier" - Clemens schwenkte mit der Hand über den Boden des Tempels hinweg - "nicht allzu gut erklären. Sagen wir es so: Pass auf, wem du Geld schuldest."


    Verheißungsvoll ließ der Quintilier am Ende seines Satzes die Stimme fallen. Für einen kurzen Moment lebte die alte Rampensau wieder auf, die sich seit seinem Amtsantritt nur noch mit Bacchus Segen heraustraut. Das Grinsen des Quintiliers wirkte breiter, die Augen voller und glänzender.

    Das Publikum brauchte eine kurze Verdauungspause, die er gewährte. Nach ein paar Sekunden - genug, um nicht das Thema zu verlieren und ungezielten Folgefragen auszuweichen - fuhr er mit einem einleitenden Schwenk fort:


    "Meine Abenteuer mit Geld und Lust haben mich eines erkennen lassen: Wir fangen alle gleich an, verlieren aber die anfängliche Einfachheit mit unserer Rolle in der Gesellschaft gegenseitig aus den Augen. Der Eine begnügt sich mit Brot, der Andere braucht ein Gelage. Dem Einen liegen die Künste, der Andere muss sich im Sport oder im Krieg beweisen."


    Clemens hielt kurz inne. Soll er wirklich fortfahren? Leider war alle Vorsicht längst von Bord.


    "...Und doch ging es im Goldenen Zeitalter anders. Auch soll es noch Menschen geben, die das einfache Leben genießen und sich in kleinen Gruppen in Gärten versammeln, nur einander haben und von den Früchten des Landes leben. Epicurus sieht es zumindest ähnlich und lebte es auch vor, auch wenn er mir manchmal wie ein Langweiler vorkommt. Wenn es vor langer Zeit und bei dem Epicurus anders gewesen ist, sind die Umstände, die uns kompliziert machen - nicht die Natur des Menschen."


    Auch wenn Clemens mit den Briefen Epikurs nur oberflächlich vertraut war, war ihm die Brisanz* des Namens durchaus bewusst. Lebhaft erinnert er sich noch an die Runzeln in seiner Stirn, die quasi von selbst auf selbst auf seinem Gesicht sein einnahmen, dass die Menschen die Götter angleichen². Was auch immer der Mensch verbockt hat, war sein Problem.

    Und doch war der Raum für Missverständnisse groß. Beide Augen des Quintiliers ruhten in angespannter Erwartung in denen von Ravilla.


    Sim-Off:

    Auch wenn es im Volksmund gern so propagiert wird, war Epikur kein Verfechter des Atheismus. Für ihn war die Existenz von Göttern sogar so offensichtlich, dass man sie nicht ernsthaft hinterfragen konnte (Siehe Vers 123 in Epikurs Brief an Menoikeus, Griechisch-Deutsche Reclam-Ausgabe). Seine Götter waren formlose Wesen, die die Fähigkeit für Schmerz dank fehlendem Körper nicht haben und vollkommen in sich versenkt mit keinem Gedanken an die Welt leben. In seiner Philosophie haben sie - wie eigentlich alle philosophischen Schulen der damaligen Zeit - eine Art Vorbildfunktion gehabt. Trotzdem ein brisantes Gottesbild.


    ²Brief an Menoikeus, Vers 124 in der Griechisch/Deutschen Reclam-Ausgabe.

    Leblos und kalt starrten Clemens die Augen des geopferten Tieres an. Würde er es nicht besser wissen,
    könnte man dem Geist dieses Tieres in diesem Moment fast die Kraft zusprechen, die Zeit anzuhalten. Als würde sich das Tier eine letzte Rebellion gegen sein Schicksal erlauben, scheint jeder Tropfen seines
    Lebens mit aller Kraft gegen seine natürliche Neigung* anzukämpfen.

    Doch die Welt zog weiter. Clemens Herz machte einen Satz, als sich der Kopf des Widders ach so sanft zu
    bewegen begann. Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte das bemerkt – doch abseits des Quintiliers dürften alle ihr Augenmerk auf etwas Anderem gehabt haben.


    Einer von Clemens „Mitstreitern“ wühlte mit fast schon medizinischer Präzision im Innersten des
    Tieres herum. Einige seiner beherzteren Griffe brachten den Kadaver in Unruhe. Des Helfers Augen erinnerten den Quintilier an die des Tieres, das er eben sterben sah: Emotionslos durch Routine. Oder war es eine Form von Hingabe, sich von seinen Emotionen für einen höheren Dienst, wenn auch nur vorübergehend, trennen zu können?

    Die Innereien landeten allesamt auf hell glänzenden Goldtellern, die die Gruppe wohl schon
    bereitgestellt haben musste, als Clemens noch mit dem Blut zugange war. Das grelle Leuchten stach dem Quintilier in die Augen. Für ihn konnten die beladenen Prunkschüsseln nicht schnell genug
    verschwinden.

    Der devote Helfer trug die Innereien zu pontifex Gracchus, der sie einer eingehenden Prüfung unterzog.
    Clemens hatte keine Ahnung, ob an den Organen irgendetwas nicht stimmte. Vermutlich fällt einem das „Komische“ schon auf? Nichtsdestotrotz konnte er sich einen Anflug des Ekels über diesen
    martialischen Teil des Ritus nicht verkneifen. Es mag daran liegen, dass er Blut nie wirklich ertragen konnte; es mag daran liegen, dass irgendwo der Widder noch in ihm nachwirkte... Doch irgendwie reichten
    die flammende Rede, die geheimnisvolle wie berauschende Atmosphäre, der hohe Anlass nicht aus, um die Gedanken an die letzten Momente verfliegen zu lassen.

    Damit er zumindest nicht starr in der Gegend rumstehen würde, untersuchte er die Menge ein wenig genauer.
    Ein paar wichtig aussehende Leute waren in den vorderen Reihen, doch keiner stach wirklich heraus.


    Die prall gefüllte Schüssel mit Blut stellte der Quintilier ab; irgendwie war sie schwerer geworden.


    Lange währte dieser Moment jedoch nicht. Clemens spürte einen sachten, jedoch bestimmten Ruck an
    seiner rechten Hand. Seine Finger wanderten an einer metallenen Oberfläche entlang.


    Eine Goldschüssel mit der alvertrauten Schrot- und Salzlakenmischung.


    „Litatio!“


    Die Worte fegten mit einer Autorität, mit einer Überzeugung über den Platz hinweg, die den Quintilier
    fast schon als verkappter Ordnungsruf erwischte. Dem Rest folgte er nur noch mit halber Aufmerksamkeit, doch klang es ebenfalls beeindruckend.

    Innerlich für die Anleitung dankbar, suchte er nach einem Organ, dem er sich annehmen konnte. Der leicht
    erschlagende Geruch vom Herz, das einer der Helfer mit leicht entnervtem Gesichtsausdruck in Clemens Nähe hielt, tat sein Übriges.
    Benebelnder Weihrauch und Innereien formten sich zu einer erdrückenden Kombination, die Clemens auf der Suche nach Erlösung in die Knie gehen ließ.


    Doch es musste weitergehen – die Götter und der Ritus verlangten danach.


    Er holte tief Luft, hielt den Atem an und strich mit groben Streichen (netterweise lag ein Pinsel noch in
    der dem Quintilier dargereichten Schüssel) das Herz mit der mola salsa ein. Nach einem kurzen Nicken verschwand auch dieser Diener – diesmal mit Blut und Herz. Von allen dringenden Verpflichtungen
    befreit, erlaubte sich Clemens, kurz aus der Rolle zu fallen und einmal erneut tief durchzuatmen. Die Luft wirkte schwer und undurchdringlich – trotz oder wegen des intensiven Aromas, das sie trug.

    Trotz allem drang das Pflichtgefühl des Quintiliers durch, das ihm einen Moment an Klarheit verschaffte.
    Wie vom Blitz getroffen ließ er seinen Blick hektisch durch die Gegend wandern, bis ihm eine Reihe von Kesseln auffiel, die etwas verloren in der Gegend standen. Die verträumt-mystische Musik der
    Flöten, die dem Geruch in der Luft Gesellschaft leistete, gab ihm die Kraft, sich mit dem Rest der Kessel anzunehmen und sie zum pontifex zu schaffen.

    Ein letztes Mal meldete sich der Gestank aller Innereien zu Wort, bevor er unter dem erhitzten Kessel,
    in den sie alle wanderten, schwächer und schwächer wurde. An seine Stelle trat etwas, das Clemens für eine Sekunde das Wasser im Mund zusammenlief. Wieso kommen ihm solche Gedanken gerade bei der
    Zeremonie, und das auch noch dann, wo er doch noch das Blut eines dieser Tiere auf seinen Sohlen spürte? Warum musste das alles überhaupt passieren und so kompliziert sein?

    Ekel vor sich, vor der Tradition, vor denen, die es so weit kommen ließen, stieg langsam aber sicher im
    Herzen des Quintiliers auf. Als hätte das Fleisch den Wandel in seinen Gemüt gespürt, wandelte sich der absurde Wohlgeruch als letzter Racheakt der Verlorenen in einen ekelhaft beißenden Gestank,
    den nur verbranntes Fleisch erzeugen konnte. Wie hält ein Mensch sowas aus?

    Clemens war kurz davor, alles in einem befreienden Schrei herausbrechen zu lassen...


    Bis ein lauwarmer Wind sein Gesicht sanft liebkoste.


    Es muss ein Segen Fortunas oder des Mars gewesen sein, der den erdrückenden Geruch samt aller Komplexe,
    die er hervorrief, vom Geschehen davontrug. Es war, als wäre seine Seele neu geboren worden.


    Den Großmut der Götter spürten ihre bescheidener Diener jedoch erst wirklich, als der Opferleiter sie mit
    warmen Worten des weiteren Dienstes entband. Fleisch und Brot schnitten sich hiernach quasi von allein.


    Und während das Brot in den Korb, das Fleisch in die Kessel fiel, sprang die Seele des Quintiliers ein
    kleines Stückchen höher. Obwohl es ein Kampf für ihn war, fühlte er nach seinem heutigen Dienst eine Verbundenheit und Dankbarkeit den Kräften gegenüber, die ihre Hand für seine Treue über ihn hielten.



    Sim-Off:

    *Damals gab es noch keine Theorie der Schwerkraft. „Herrschend“ war die Ansicht von Aristoteles, dass die Elemente, aus denen alle Stoffe bestehen, bestimmte Neigungen haben, nach denen sie sich bewegen. Wasser
    fließt, Erde fällt, Luft und Feuer steigen auf. In diesem Fall ziehen also die Erdanteile das Blut herab.

    Die Prozession kam zu einem plötzlichen Halt. Die Gruppe fand sich am Eingang des entweihten Tempels vor.

    Clemens wusste nicht, was er erwarten sollte. Der Tempel hatte dieselbe Pracht, die er auch vor dem Ritus
    in die Welt trug. Bei der flammenden Rede des pontifex schossenBilder eines neuer Zugang in den tartarus oder zumindest die Reste eines abartigen Rituals in seinen Kopf. Die trügerische Normalität, der sich die Prozession mit ihrer bloßen Anwesenheit entgegenstemmte, gab der Szene etwas Unbegreifliches, etwas inhärent Widersprüchliches. Die grelle Sonne tat ihr Übriges.


    Ein Begleiter hob unauffällig die rechte Hand – das Zeichen, sich den Tieren anzunehmen. Clemens
    schaute den so edel hergrichteten Tieren in die Augen. Eber, Widder, Stier – allesamt gekleidet in ein andersweltlich anmutendes Weiß, das den ein oder anderen Lichtstrahl in die Augen der Zuschauer
    reflektierte.


    Allesamt so ruhig. Auch das hat Clemens immer gewundert. Nur beim Widder meinte er, eine sanfte Trauer im
    Blick zu erkennen. Allerdings wirkten die Tiere für Clemens immer schon etwas schwermütig.

    Dieser Eindruck bewog ihn schließlich, sich des Widders anzunehmen. Die vergoldeten Hörner waren ein
    angenehmes Mehr, das zusammen mit dem Weiß von Kalk und Eisenspänen
    dem Tier eine anderweltlich anmutende Erhabenheit verlief.


    ...Und der Stier, dessen Hörner ihrer Schärfe nach nichts an ihrer Blutlust verloren haben, war dem wenig
    kampferprobten Clemens dann doch zu viel. Der Widder hingegen ging ihm kaum bis zu seiner Hüfte, was hoffentlich im Ernstfall irgendwas heißen würde.


    Ein paar Helfer, die wohl hinter dem Quintilier marschiert waren, hatten sich zu den restlichen Tieren
    gesellt. Einer von ihnen drückte Clemens eine leere Schale in die Hand und nahm mit einer natürlichen Eleganz die Wasserschale mit, bis er sie nahe des Stieres ablegte. Erst jetzt fiel Clemens das Beil
    auf, das ihn im Sonnenlicht verheißungsvoll entgegenblitzte. Ein Schauder wanderte über seinen Rücken; ein Manöver, das ihm einen ungläubigen Blick „seines“ Widders einbrachte. Der Quintilier
    wandte sich ab. Der Schatten dessen, was kommen musste, ließ die Schale in seiner Hand wie einen Amboss wirken.


    Das Gefühl kalten Wassers auf der eigenen Haut brachte einen wenig angenehmen Einstieg ins Verfahren.


    „Favete linguis!“


    Die Worte des Herolds zerschnitten die Stille und ließen am Ende nichts als Stille zurück.

    Dankenswerterweise leitete pontifex Gracchus mit einer weiteren flammenden Rede die Prozession ein und
    gab Clemens rastlosem Blick zumindest einen temporären Unterschlupf.

    Wer auch immer die so verhassten Repräsentanten der „Christianer“ im konkreten Fall waren:

    Die Tiere würden für sie zahlen.


    Als wäre der Bann des Herolds gebrochen, beherrschte erneut der mystische Klang der Flöten die
    Atmosphäre. Ein weiterer Helfer nahm sich der verwaisten Wasserschale an; doch nicht, bevor sich dieser seine Hände in die Schale tauchte und mit dem mallium latum trocknete. Andächtig ließ
    er jeden einmal seine Hände säubern, um sie kurz darauf mit seinem Tuch zu trocknen.


    Ein anderer nickte mit dem Kopf, als die Schale an ihm vorüberzog. Seine Verantwortung ruhte in anderswo
    - eine Schale, die die mola salsa enthielt. Mit einem geheimnisvollen Lächeln, das Freude, Ergriffenheit und einen Anflug von Mitleid zugleich in sich trug, bestrich er jedes der Tiere mit dem Gemisch.
    Vermutlich lag es daran, dass die Behandlung mit der Kalkmischung sie schon gestählt hatte... doch alle Tiere blieben ruhig. Sogar der Stier bewahrte – entgegen dem Temperament, das diese Kreaturen in
    Clemens Augen stets mit sich trugen – seine gelassene Haltung. Es waren Momente wie dieser, die den Quintilier an die Schönheit seiner Aufgabe und dessen, was sie in Menschen auslösen konnte, wirklich
    bewusst war.


    Es gab ihm die Kraft, alles danach durchzustehen.


    Die Opferhelfer mit Beil holten jeweils Dolche hervor, mit denen sie Eber, Widder und Stier über den Kopf
    bis zum Hinterleib fuhren. Die Spitze berührte die Haut nur wenig, jedoch konnte die Musik nicht die bohrenden Schmerzensschreie des scheuen Ebers verdecken. Der Widder trug sein Schicksal mit Fassung,
    auch wenn sein Kopf beim ersten Kontakt der Klinge leicht hochfuhr. Clemens beugte sich zum Tier herunter, hielt es an den Hörnern und schaute ihm tief in die Augen. Er wusste nicht, wieso, aber der Widder beruhigte sich.

    Auf den Stier achtete der Quintilier nicht. Dass er von ihm jedoch ebenfalls nichts vernahm, hätte ihm
    sein Vorurteil über das unbeherrschbare Wesen dieser Tiere widerlegen können.


    Erneut trug Gracchus sein eindringliches Gebet vor. Nur diesmal würde seinen Worten auch Taten
    folgen.


    Drei wuchtige Männer traten am Ende seiner Worte auf den Plan, allesamt mit einer Axt bewaffnet. Clemens
    schnürte es die Kehle zu. Zum Glück müsste er es diesmal nicht durchziehen.


    Der kräftigste unter ihnen stellte sich direkt vor den Stier, als wolle er noch ein bisschen Spaß mit
    seinem Opfer haben. Mit einer Stimme, die einem das Mark gefriert, warf der stillschweigend ernannte Stillvertreter seiner Kollegen ein „Agone?“ ins stumme Publikum. Die Tiefe seiner Stimme konnte einem das Mark gefrieren.


    In derselben Inbrunst, die schon die Rede des pontifex beherrschte, erwiderte er: „Agite!“



    Die Äxte hoben sich in fast schon synchronem Rhythmus – eine kalte Effizienz, die in jedem anderen
    Kontext für verstörte Blicke gesorgt hätte. Doch hier war sie genau das, was die Götter wünschten.

    Mit den Äxten wandte sich Clemens hilfesuchend dem Himmel zu.


    Die so grelle Sonne wirkte fast schon zynisch im Angesicht der tierischen Schreie und der unheimliche
    Stille, die ihnen folgten.


    Ein warme Flüssigkeit auf seinen Sohlen ließ den Quintilier geschockt aus der Haut fahren.

    Doch nur die leblosen Augen des Widders, der ihm für eine Sekunde sein Herz geöffnet hatte, grüßten ihn.

    Als letzte Geste des Respektes hielt er den Blick, während er mechanisch die Schale unter den Kopf des
    toten Tieres hielt.

    Derzeit ist es Hermann Hesses Glasperlenspiel, das seit einer gefühlten Ewigkeit in meinem Regal stand. Im Grunde geht es um einen ganz der Wissenssuche verschriebenen Orden, der sich hierbei in einem Spiel, das alle Wissenschaften und Künste miteinander verbindet, verloren hat. Man verfolgt das Leben des letzten Spielleiters aus den Augen seiner Bewunderer nach seinem Tod. Der Spielleiter genoss die vita contemplativa zwar, wurde aber zunehmend kritischer gegenüber der Abschottung des Ordens vom Rest der Welt. Die Perspektiven auf Wissenssuche sind auch in unserer Zeit mMn noch aktuell, wobei mich va die "Ära des Feuilleton" zum Schmunzeln brachte...^^


    Ansonsten noch "Fundamental Chess Openings" von Paul van der Steeren. Ist mehr eine Art Metabuch, das einem die Gedankengänge hinter den Zügen gängiger Schacheröffnungen erklären will und Parallelen wie Unterschiede herausarbeitet. Die "Lore" um das Glasperlenspiel scheint mir auch ein wenig inspiriert von dem Drumherum der Schachwelt, weshalb sich gelegentlich interessante Parallelen auftun.^^


    Nach dem Glasperlenspiel geht es wieder zurück in die Antike.^^

    Mit einer Präzision, die nur jahrelange Routine erschaffen konnte, tauchte der Begleiter des Quintiliers seinen Pinsel ins Wasser. Clemens folgte gebannt der führenden Hand, während er in stiller Andacht die Schale hielt, nach deren Wasser der Pinsel so zu lechzen hatte. Die Würde, mit der der Pinselführer sich und sein Werkzeug trug, gab seinen Bewegungen einen natürlichem, fast schon hypnotischen Fluss. Wie schnell die flammenden Worte des pontifex doch begraben wurden unter Auftreten, Flötenmusik und Weihrauch!

    Doch Clemens störte sich daran nicht. Der Gedanke eines allmächtigen Gottes bei so einer komplexen Welt schien zu absurd, um mehr als ein paar Sekunden seiner Zeit wert zu sein.

    Wie könnte man, selbst, wenn er es versuchen würde? Die friedlichen, verträumten Klänge der Flöte, die Clemens wieder und wieder zurück zu einem besonderen Tag bei "seinem" Tempel" beförderten... Der Weihrauch, dessen blumig anmutender Wohlgeruch die Nase umgarnte... Das war kein Klima für Diskussion - es waren diese Momente, die zum Fühlen einluden.

    Hier kamen Menschen und Götter zusammen. Mehr Beweis als das brauchte es nicht.

    Clemens ergab sich diesen Emotionen ohne jeden Widerstand. Ein ruhiger Geist steht über den Dingen - ein Gemüt wie seines braucht hierbei etwas Hilfe. Ihn wunderte zwar die Auswahl, die zu seiner Helferrolle führte. Doch wusste er, dass er sich keinerlei Patzer erlauben konnte; daher war es auch ein Funken Vorsicht, der die Augen von Clemens weg von der Menge und allein auf dem pontifex hielt. Noch gab er sich seiner Träumerei hin, doch beim ersten Bruch der Routine seines Begleiters würde er wie ein Jäger losspringen, dem seine Beute vor die Augen tritt.


    Sim-Off:

    "Offizieller" Opferhelfer, der nach einem passenden Einstieg für sich gesucht hatte!^^

    Die Gedanken Ravillas resonierten mit einer Intuition, die Clemens auch bei seiner Rede damals in Worte zu fassen versuchte. Es leuchtet ein, dass der Welt eine tiefere Ordnung zugrunde liegt. Dichter wie Denker loben gleichermaßen eine wohlgeordnete Welt, bei der jedes Teil das andere in liebevoller Detailarbeit ergänzt.


    Doch warum sehnt sich nahezu jede Seele dann nach mehr? Der Gedanke scheint als einziges Teil keinen Platz im Ganzen zu haben; aber doch ist er da. Wenn alles einen Sinn hat, dann doch auch das.


    Die Sonne schoss aus dem Wolken hervor und hüllte den Tempel in einen warmen, matten Glanz. Zusammen mit den warmen Worten seine Freundes hielt damit auch eine leicht berauschende Schwerelosigkeit Einzug, die den aedituus - ganz seiner Göttin getreu - mitzog.

    "Ist es wirklich so schlimm bestellt um die Gleichheit? Verglichen mit den Alten und den Göttern ist mein Leben kurz. Doch sah ich so viele Menschen, die sich nach Neuem und Größeren sehnen. Gewisse Bedürfnisse sind auch jedem gemein: Alle sehnen sich beispielsweise nach Obdach, Essen, Trinken. Ein wenig Unterhaltung wäre sicher auch für niemanden falsch. Wenn wir alle etwas nach demselben streben, dann reicht das schon aus, um uns irgendwo alle zu vereinen.

    Braucht es dann wirklich eine Hierarchie, um das zu befriedigen?"


    Wie die Stimmung einen doch die Umstände vergessen ließ! Keinen Gedanken schenkte Clemens an die Stellung des aedilis, den er einen Moment zuvor noch zum Gespräch einlud. Ihm war dessen Person und Präsenz durchaus bewusst; doch hatten Einladung und Stimmung jede Vorsicht vor dem Amt, das hinter Flavius Gracchus wie ein schlafender Löwe lauerte, verschwinden lassen.

    Mit Ravillas warmen Worten wandte sich Clemens mit dem Kopf der Statue zu, die den gesamten Tempel mit ihrer Präsenz einnimmt. Sicher, die Worte leuchteten ein und tief in seinem Herzen wusste der Quintilier auch um ihre Wahrheit.


    Allerdings ziehen Zeitgeist und Monotonie an keiner Überzeugung spurenlos vorbei.


    "Mein Herz stimmt dir zu, Ravilla; doch manchmal folgt die Seele nicht mit." begann Clemens, noch immer die Augen der Abbildung seiner Göttin suchend.

    "Irdische Güter und Ruhm sind Zeichen des Glücks, nicht wahr? Nicht jeder Gott drückt seine Gunst gleich aus - dazu sind ihre Gemüter zu verschieden. Sicher sind solche Ehren nicht die einzige Möglichkeit, einen treuen Diener zu entlohnen. Doch wundere ich mich manchmal, wie solche Unterschiede zustande kommen."


    Es mag an der Luft und dem offenen Bau liegen, die auch den Geist in richtungslose Weiten zu entführen scheinen, doch gerade Fortuna war für ihre eher unkonventionellen "Liebesbeweise" bekannt. Beides trug jedoch auch dazu bei, dass Clemens eine überraschende Klarheit hatte, die seinen Blick in Richtung des aedilis zog. Wie wäre es wohl gewesen, wenn er auf redliche Weise an sein Amt gekommen wäre?


    Der Quintilier riss die Augen auf, als ihm sein Versäumnis auffiel.


    "Farbe und Putz, natürlich. Wie viel kosten diese Arbeiten ungefähr? An den pax deorum lässt sich zwar kein Preis setzen - an den Willen einer Person leider schon."


    Den Quintilier beschlich das Gefühl, dass ihm von irgendwoher heute ein großer Dienst erwiesen wurde. Wie viel der werte Herr aedilis curulis wohl wusste? Es überraschte ihn selbst ein wenig, doch ihm wirkte der Staatsbedienstete, der so unverhofft in sein Leben geschneit ist, glatt ein wenig sympathisch.


    "Nach der Geduld, Sorgfalt und Gutmütigkeit, die du heute gezeigt hast, kann ich dich nicht einfach gehen lassen! Wie wäre es, wenn du uns Gesellschaft leistet, Gracchus?"


    Auch wenn der Aedil nicht wusste, welchen Dienst er dem zierlichen Aedituus im wohl unscheinbarsten Tempel von Roma geleistet hat... Clemens war sich dessen bewusst.


    ...Abgesehen davon konnte es nie verkehrt sein, den Mensch hinter dem Amt für sich zu gewinnen. Fortunas Segen zeigt sich wirklich immer in unerwarteten Formen.

    Ravillas Worte taten ihren Beitrag; der Ädil, die Säulen nicht einmal mehr weiterer Erwähnung würdigend, nahm die Spannung aus der Luft.


    Clemens wandte sich von der Säule weg zu seinem Bekannten. Den Dank für seinen Einwurf konnte ein freudenstrahlendes Gesicht besser ausdrücken als jedes Wort.

    Auch den dargebotenen Gesprächsstrang nahm er gern an: "Habe ich bei unserem Redewettstreit erwähnt, dass ich aedituus bin? Bei größeren Tempeln ist das sicher anstrengender, aber dafür auch eher dem Ansehen helfend. Mit der Stelle hier kann man nicht wirklich hausieren. Der Tempel ist bescheidener, aber auch mein morgendliches Opfer und Reinemachen erhalten im Kleinen die pax deorum."


    ...Hoffentlich. Allerdings wusste Clemens durchaus den Wert vom Unscheinbaren zu schätzen; nur geziemte es sich für einen civis der Ewigen Stadt seiner Erfahrung nach meist nicht, dem Streben nach Ruhm öffentlich vollends zu entsagen.


    Auch wenn seine Rede im Geiste bereits auch Gracchus Minor galt, schwenkte der Quintilier mit vorsichtigem Elan aus seiner Hüfte in Richtung des Ädils.


    "Der werte Herr Aedilis wird dir sicher mehr zu bieten haben als meine täglichen Abenteuer, oder?"

    Die neuen Erkenntnisse des Aedils, die dem Wächter des Tempels verborgen geblieben waren, ließen Clemens Kopf zum Ursprung des Klanges schießen.

    Eine wuchtige Shilouette bewegte sich in seinem Augenwinkel in Richtung des Klangs. Getrieben von Instinkt und Sorge zog es auch Clemens dorthin - jedoch nicht ohne hin und wieder einen Blick in Richtung seines ehemaligen Wettstreiters zu werfen.

    Sei es der Sog des Loches oder der Unterhaltung, früher oder später würde er schon dazustoßen. Etwas in der Art sprach sich Clemens auch zu.


    Der aedituus begutachtete die Säule, die der Architekt ins Visier nahm, genau. Tatsächlich fanden sich einige kleinere Löcher in ihnen. Ob Zeichen der Zeit oder Nachlässigkeit beim Bau, konnte Clemens nicht sicher sagen. Leider konnte er nie so recht die Kunst und Präzision lieben lernen, die hinter einer so einfach anmutenden Konstruktion wie diesem bescheidenen Tempel steckt. Bei jedem Versuch zog ihn entweder die idyllische Landschaft oder die voranstürmende Fortuna mit sich.

    Unwissenheit ist in diesem Fall kein Segen, wie auch der Quinitilier schmerzhaft lernen durfte. Erste Schweißtropfen ronnen von seinem roten Gesicht.


    "Wie schlimm ist es?" Fragte er in die Runde, sein Blick noch immer auf der bemakelten Säule.

    Clemens Augen zogen sich für den Bruchteil einer Sekunde mit der scharfen Beobachtung seines Gegenüber zusammen, bevor der Krampf in seinem Gesicht sich in einem leblosen Lächeln auflöste. Wer trägt denn jetzt die Kosten?


    Clemens wüsste es selbst gerne.


    Zwei Optionen - beide mit ihren Risiken. Mit jeder Sekunde ohne Antwort schlugen Sorge und Angst lauter auf seine Seele ein.

    Instinktiv schaute Clemens zum Sockel. Serapios Name schien einen Sog zu haben, den der aedituus so nie vorher wahrgenommen hatte.

    Der hat schon genug Geld, wisperte eine Stimme im Kopf des Quintiliers.


    "Oh, natürlich zahlt Serapio die Wartungsarbeiten. Auch wenn er es nur selten zeigt: Dieser wunderbare Tempel spricht Bände über die Liebe zur größten aller Göttinnen. Diesem heiligen Auftrag nachzukommen, wird ihm eine große Ehre sein."


    Valentinas knallrotes Gesicht zog an Clemens innerem Auge vorbei. Doch die Scham wich bei dem Gedanken, dass er mit ihr und ihrem Ehegatten besser als mit einem etwas zu neugierigen Staatsbediensteten reden kann.

    Nichtsdestotrotz schien der Körper des Quintiliers schwerer, seine Kleidung dicker und unbequem. Sein Herz schrie nach Ablenkung oder zumindest ein paar Sekunden Ruhe. Ohne konkrete Richtung zog sein Blick durch die Anlage und blieb bei jedem Fremden stehen. Der gesamte Tempel schien wie besetzt.


    Bis ihm das Lächeln eines vertrauten Gesichts entgegenstrahlte.


    Das erste Mal seit diesem endlos erscheinenden Besuch kam dem Quintilier ehrliche Freude über die Lippen.


    "Ravilla? Was hat dich denn so weit raus getrieben?"

    Die Frage nach den Unterhaltskosten ließ ein mehr oder weniger gut verstecktes Schaudern über Clemens kommen. In der Hoffnung, dass ihm seine Göttin auch hier nicht im Stich lassen würde, öffnete er bereits den Mund; irgendwas würde sich auf dem Weg schon finden.

    All die Energie, all die Spannung wichen aus dem Körper des Quintiliers, als sein Besucher seine Frage selbst zu Fall brachte.

    Clemens wollte gerade schon seiner marmornen Beschützerin einen dankenden Blick zuwerfen; doch schon einen Moment später wäre das allein im Lichte des Dienstes, der ihm heute erwiesen wurde, eine Beleidigung.


    Weder der werte aedilis noch seine zahlreichen Kollegen konnten irgendwelche Mängel feststellen. Mehr noch: Fortuna würde endlich wieder in ihrem vollen Glanz erstrahlen!


    ...Doch war es nicht etwas zu einfach? Zwar schien es nicht völlig ausgeschlossen, dass ihm die Schicksalsgöttin seinen Vorschlag - wohl aus eigenem Frust über den Mangel an Respekt, den man ihr hier zollte, - fürstlich entlohnen wollte; irgendwie ließen seine Gäste den sonst so ruhigen Tempel aber eigenartig eng und beklemmend erscheinen.

    Vielleicht war es nur Clemens Einbildung: Aber irgendwas lag in der Luft. Kein Staatsdiener ist so großzügig.


    "Ist der werte Herr aedilis schon fertig mit seiner Untersuchung? Schade, schade... Gesellschaft ist hier draußen so selten. Sollte er wirklich nichts mehr finden, könnte ich zumindest ein Trankopfer zum Abschied anbieten."



    Sim-Off:

    Kein Stress; ist mir tatsächlich auch erst kürzlich passiert...^^

    So sehr Clemens auch mit sich rang; die Welle der Erleichterung, die über ihn über die Abwesenheit des Kollegen herfiel, begrub jede Verteidigung unter sich. Der Anflug eines verstohlenen Lächelns im Gesicht des Quintiliers lässt den Kampf erahnen.


    "Ist dem so? Bedauerlich... Die Luft hier ist so viel angenehmer als im Herz der urbs aeterna. Auch der Seele tut sie Wunder."


    Mit einem theatralischen Schwenk lenkte der aedituus alle Blicke auf seine marmone Angebetene, die es wie ihren Wächter im Moment nur hier weg zu ziehen schien.


    "Hier ist das Herzstück meines bescheidenen zweiten Heimes: Eine ergreifende Statue der Fortuna fausta. Sehen Sie nur, wie sie nach all den Jahren noch immer voller Energie in die Welt zu ziehen versucht! Mit Füllhorn und Steuerruder bewaffnet trägt sie ihren Willen in die Welt!"


    Während die Zeit die Seele matter werden lässt, waren es bei ihr vor allem Wind und Wetter, die der Schicksalsgöttin ihre Macht demonstrierten. Durch den offenen Bau erhielten sie weiter Zutritt und waren - anders als der Rest der Stadt - treue Begleiter. Sicher, Fortunas Schwung scheint noch immer den Wind selbst durch den heiligen Bau zu treiben... Doch der genaue Beobachter, zu denen Clemens inzwischen seinem stillen Bedauern nach zählte, bemerkt auch den kleinsten Verfall.


    "Die Farbe zu erneuern würde ihr dennoch gut tun... Wen würden die Elemente nicht langsam zugrunde richten, wenn er ihnen Tag und Nacht ausgeliefert wäre?"


    Der Quintilier senkte seinen Kopf zum Sockel der Statue, was ihm jedes Mal ein sanftes Lächeln auf die Lippen brachte.


    "Manche Tempel bleiben wohl in der Familie..." Ob der Satz mehr für ihn oder seine Begleiter gedacht war, konnte der Quintilier selbst nicht einschätzen.


    Stattdessen wandte er sich wieder seinen Besuchern zu.


    "Wie sind die ersten Eindrücke meiner Gäste?"

    Vor dem so kleinen Tempel schien sich eine ganze Bande an Gehilfen versammelt zu haben.


    Dass Aufmerksamkeit für seine Umwelt nicht Clemens Steckenpferd ist, würde ihm der Ädil wohl unbesehen glauben.


    Mit gelegentlichem Nicken nahm der Aedituus das Anliegen von Gracchus entgegen. Ein kurzer Schock durchjagte den Quintilier, als das Wort "Aedilis" fiel. Welch Wunder für den Rücken Angst bewirken kann!

    Clemens atmete tief durch, ließ die Szene setzen und ging im Kopf noch einmal alles für sich durch.


    Natürlich haben sie ordnungsgemäß zugestellt...


    Wenn Clemens eines in seinem Leben gelernt hatte, dann das: Formelle Fehler sind ein Geschenk der Götter. Als einfacher Kritikpunkt, auf den die Konversation mit Offiziellen immer wieder kommen kann, geben sie einem vor allem eines: Zeit. Zeit, um irgendeine Geschichte für das eigene Versagen zu erfinden oder zumindest eine bessere Nebelkerze zu zünden.


    Doch diesen Luxus räumte ihm sein unerwarteter Besucher nicht ein.


    "Jetzt, wo du es erwähnst... Da war tatsächlich ein Brief vor ein paar Tagen. Ich hatte in letzter Zeit viele wichtige Anliegen, die mich den Überblick haben verlieren lassen."


    Dass Organisation nicht Clemens Steckenpferd ist, würde ihm der Ädil wohl unbesehen glauben.


    "Anders als meine Terminplanung ist der Tempel jedoch in tadellosem Zustand! Bei meinen Durchgängen, meiner Pflege und meinen Gebeten ist mir nichts aufgefallen."


    Sobald die Worte den Mund des aedituus verließen, wurde ihm der Wert seiner Bürgschaft bewusst. Schnell wie ein Pfeil und mit einem eingebübten Grinsen folgte daher:


    "...Ich führe dich und deine Kollegen gern persönlich durch das bescheidene Haus meiner Göttin, ehrenwerter Aedilis curulis Manius Flavius Gracchus!"

    Neros Stimme bebte vor Triumph.


    "Besser ist's!"


    Ein paar austauschbare Begleiter stimmten mit ein. Es tat wenig, um die leicht angespannte Stimmung im Saal zu lockern. Das Gewicht der Vorwürfe lag schwer auf dem Saal.

    Es dauerte nicht lange, bis die ersten Arme schwankten. Ein Wähler ächzte und senkte seinen Arm, nur um ihn mit Unterstützung seines anderen zumindest etwas schonender oben zu halten.


    Von dem zweiten "Zähler" war nirgends eine Spur.


    Tiberius Gegner erhob sich langsam von seinem Platz, sein Gesicht von hervortretenden Adern und Rot gezeichnet.


    "Was hat diese Posse zu bedeuten?! Wo soll dieser "Quintilius Clemens" denn bitte sein?"


    Verachtung triefte aus der Betonung des Namens. Es war deutlich, dass mehr als Widerstand und Lügen von diesem Unbekannten nicht zu erwarten waren.


    Nero verfolgte Saturninus Blick zu einer zierlich anmutenden Gestalt und spürte das Gift in der Galle hochkommen.


    ________________________


    Kurz nach seinem großen Auftritt rief das Essen. Irgendwas an den Knochen seines Hühnchen packte die Aufmerksamkeit des Quintiliers, an dem er eben noch geknabbert hatte. Einer davon war ungewöhnlich groß...


    Sind das echt noch Hühner gewesen?


    Und noch während Saturninus publikumswirksam dem Träumer eine Aufgabe erteilte, verlor Clemens sich in Erinnerungen an sein letztes Tieropfer. Die Form des Knochens war irgendwie vertraut, auch wenn ihm Quintus damals die verstörendsten Teile erspart hatte. Ein wenig packt einen die morbide Neugierde eben doch, oder? Er ließ es sich damals auch nicht nehmen, die verbleibenden Reste zu begutachten. Natürlich wollte er das vor den Anderen nicht machen, weshalb...


    Ein Wackeln seines Körpers brachte Clemens ins Jetzt zurück. Sein Blick zog nach links und traf auf einen finster drein guckenden Mann. Kraftvoll stieß er seine rechte Hand in Richtung von Saturninus.


    "Was erlaubst du dir eigentlich?" Stieß der Mann aus, den der Quinitlier dank seiner charakteristisch wieder einmal hängenden Toga als Tiberius unterhaltsamen Gegner identifizierte.


    "Was erlaubst DU dir eigentlich?" Entgegnete der Quintilier mit einer Mischung aus Stolz und Verachtung, die einem nur jahrelange Konfrontation mit Autoritäten gab.


    Das schadenfrohe Grinsen im Gesicht Neros sprach mehr als alle Worte. Mit einer theatralischen Geste, die seine Toga fallen ließ, wandte er sich an seine Menge.


    "Wieder einmal typisch... Respektlose Jugend im Bett mit Emporkömmlingen! Erst reden sie die Opposition klein - jetzt sollen dem Wähler die Arme abfallen!"


    Buh-Rufe und empörtes Raunen waren alle Bestätigung, die der dreiste Alte für sich brauchte. Verloren schaute Clemens durch die Gegend, während ihm manch einer schon den ausgestreckten Arm vors Gesicht hielt.

    Nero konnte dem bloß ein sardonisches Lachen abgewinnen.


    "Jetzt zähl endlich die Stimmen, verdammt! Und Iuppiter steh dir bei, wenn du auch nur einen Fehler machst!"


    Unter dem wachsamen Auge von Tiberius Widersacher klapperte Clemens Reihe die einzelnen Tische, Menschengruppen und gelegentliche Einzelgänger ab. Den ein oder anderen schnippischen Kommentar ließ sich der ein oder andere Nero-Anhänger ebenfalls nicht nehmen.

    Am Ende seiner Reise angekommen zitterte der zweite Zähler, dem Gesicht nach den Tränen nahe.

    Mit einem leichten Zittern in der Stimme verkündete er:


    "S-sechsund... achzig Stimmen für Tiberius."


    Neros Körper bebte - diesmal aus Schock.

    Clemens saß an einer Säule nahe der Treppe, ein Bein ausgestreckt, das andere angezogen. Jeder außenstehende Beobachter wäre über so ein Hindernis in die heiligen Hallen der Schicksalsgöttin empört gewesen, doch - wie meist in den letzten Wochen - hat fast niemand den Weg zum Tempel gefunden.


    Ein wenig verloren schaute der Quintilier hoch zu der Göttin, der er sein Leben versprochen hatte. "Heute sind wir wohl wieder allein, was?"

    Keine Antwort.

    "Ach, sei doch nicht so." Irgendwo wusste Clemens, dass der sowieso schon magere Witz schon vor Tagen sein letztes Leben ausgehaucht hatte.

    War die Ruhe ein Zeichen dafür, dass er seine Arbeit gut machte oder hat sich seine Göttin schlicht jemand anderen gesucht?

    Tja, Roma wird wohl auch mit dem Besen verteidigt.

    Ein Lachen für einen Witz, den außer seiner "Partnerin" wohl niemand hören konnte, legte den Gedanken schnell zu Akten. Der Quintilier streckte seine Arme und wagte einen Blick auf die Welt.


    Zwei Figuren schienen den Weg zum Tempel gefunden zu haben.


    Clemens rieb sich kurz die Augen.


    Die Silhouetten manifestierten sich langsam an der Treppe. Einer von beiden wirkte etwas rundlicher und machte irgendwie einen wichtigen Eindruck. Den anderen konnte Clemens nicht so recht einordnen.

    Der Quintilier wandte sich zu seiner Angebeteten... im wahrsten Sinne des Wortes.


    "Siehst du? Man denkt noch an dich!"


    Ein betont lautes Gähnen erfüllte den bescheidenen Bau, bevor er die lange Reise auf seine Füße antrat. Doch so vorsichtig er sich auch erhob, sein Rücken rächte sich mit brennendem Schmerz für die Misshandlung, die er durch die Säule erlitten hatte. Mit einem leicht verzogenen Gesicht rief der Quintilier seinen Besuchern entgegen: "Salvete, mei amici! Welches Schicksal führt euch zur großen Fortuna?"

    Nero erhob sich räuspernd.


    "Ich erlaube es."


    Er setzte sich, bald verloren in Unterhaltungen über die glorreiche Zukunft der Veneta in einem etwas zu besorgten Ton. Die Toga fand sich schon bald in ihrer gewohnt bedrohlichen Tiefe, die bei wilderen Gesten mehr und mehr Teile des Oberkörpers freilegen würde.


    ---------


    "Auch die Sklavinnen bekommen hier wohl Einiges geboten..."


    Clemens Blick blieb weiter auf Nero. Der Kommentar des Quinitiliers hatte zwar nur den Äußernden als Publikum, doch zumindest er genoss ihn etwas zu sehr für einen eigenen Witz.


    Der Saal wurde wieder etwas unruhiger, als sich die Wahl anbahnte. Der Raum war gefüllt von Schwärmereien vergangener Siege und dem ein oder anderen Lob für private Triumphe und Dienste der factio der beiden Menschen, die dem lächerlich anmutenden Dramatiker tapfer Paroli baten. Genauso oft kam man aber auch auf die Banalitäten, derer das Leben in jedem Tag reichlich anbietet und dennoch weiterer Besprechung harren.

    Die Stimmung hatte etwas Einnehmendes, das zum Mitmachen einlud.

    Da Clemens jedoch eher mit dem Knochenbau einiger Hühnchen als mit Menschen in diesem Treffen vertraut wurde, besann er sich auf sein Kerngeschäft. Eingebungen gab es keine und aus den Knochen seines Abendessens hätte er nicht herauslesen können, selbst wenn das möglich gewesen wäre.

    Stattdessen wanderte die Hand des Quintiliers wieder zu seinem Geldbeutel. Ratgeber in unklaren Lebenslagen, Geldquelle, Zeitvertreib - die ihm so vertraut gewordene Münze der Fortuna war all das und mehr.

    Mit einer Präzision, die auf eine Menge Zeit schließen lässt, legte Clemens das Silberstück auf seine linke Faust und führte es von einem Finger zum Anderen; am Zeigefinger angekommen hob er sie mit dem Daumen vorsichtig an, um die Münze vom mittleren Teil des nach außen geknickten Daumens und seinem noch geballten Zeigefinger landen zu lassen.* Ein befriedigender, metallener Klang kündigt den Flug der Münze an, welcher mit einem Klatschen sein Ende fand.


    Clemens hebt seine rechte Hand, betrachtet das Ergebnis kurz und lässt sie mit einem Lächeln wieder im Beutel verschwinden.


    Sie lächelte zwar nicht, aber schon der Anblick einer Miniaturversion seiner Göttin reichte dem Quintilier als Grund zur Freude.** Clemens suchte Tiberius Blick, seinen Daumen gen Himmel streckend.


    Sim-Off:

    *Das geht. Wie viele Versuche der Autor dafür gebraucht hat, bleibt sein Geheimnis... ;)


    Sim-Off:

    **Der irl durchgeführte Münzwurf landete bei Kopf, also bei Tiberius. Schade - Neros Fall mit der ein oder anderen rückblickend nicht ganz so schlechten Aktion wäre sicher interessant gewesen...^^

    Ein kurzer Blick durch die taberna zeigte Reihen leerer Stühle mit dem ein oder anderen vergessenen Becher, der wie ein einsamer Wächter eine längst verlorene Stellung zu halten schien.

    Clemens nickte bedächtig zu Saturninus Worten. Zumindest die Erfahrung, die er beschrieb, kannte er gut. Man spürt die Gegenwart von Fortuna im Kleinen wie im Großen. Ravilla erklärte er etwas Ähnliches.

    Vielleicht erschlossen sich die Grenzen von Schicksal und Glück im Vergleich zur Macht anderer Göttern auch nur mit einem Scharfsinn, den einem ein Leben im Abstrakten verleiht.

    Irgendetwas in der Richtung wollte er seinem Gesprächspartner noch mit auf den Weg geben. Doch jeder Gedanke, den er zu greifen versuchte, schien ihm zu entgleiten. Worte blieben dem Quintilier - mit ihnen auch der Dank - im Hals stecken.


    Doch selbst dieser Zustand erlaubte noch eines: Lächeln und Winken.


    Als sich die letzten Reste von Saturninus im Dunkel der Nacht verloren, dämmerte Clemens langsam seine bevorstehende Reise zu seinem Haus. Doch schon nach wenigen Schritten schienen die Straßen nicht mehr so dunkel, die Weggefährten mehr verloren als bedrohlich. Bacchus scheint seine schützende Hand über die zu halten, die es ihm gleich tun. Oder ist es nicht vielmehr die Göttin, die Clemens schon durch Leben führte?


    Doch auch wenn er auf diese Frage noch immer keine Antwort fand... Zumindest der Weg nach Hause gelang.

    Wenn der Quintilier sonst schon Schwierigkeiten hatte, einen Raum zu lesen, machte es ihm seine schwankende Sicht und dicker Kopf schwer, den Abschied der Gesellschaft zu erfassen. Sein nach unten hängender Kopf ruhte mit der Stirn auf der rechten Handfläche. Irgendwie... schien er schwer, auch wenn er sich zugleich so leer und träge anfühlte.


    Die Anekdote zog in größten Teilen an Clemens vorbei, allerdings war mit dem Ende zumindest das Ergebnis klar. Das würde hoffentlich reichen.


    "In was unterscheiden sie sich dann von uns, die wir sie doch um Hilfe bitten? Wenn wir am Ende doch alle bei Fortuna landen..."


    Clemens hob seinen Kopf, blickte durch die Reihe und lachte kurz.


    "Ich glaube... Deine zweite Frage ist auch beantwortet."

    Die Diplomatie traf den selbsternannten König des Saales ein wenig unerwartet. Verärgerte Menschen lassen sich leicht spielen; gelassene sind gefährlich... vor allem bei für ihn unbeschriebene Blätter.


    Das Spiel können allerdings auch drei spielen.


    Der Unbekannte richtete seine toga und verneigte sich vor dem Saal.


    "Selbstverständlich trete ich ebenfalls an. Nicht Wein oder Gedanken sind das wertvollste Gut der Griechen..."


    Ein verachtungsvoller Blick traf seine beiden Gegenredner.


    "Es ist die Demokratie."


    Vereinzeltes Raunen tönte aus der Menge.


    "Ich habe diese factio schon in ihren Anfängen begleitet; Sterne aufsteigen und fallen sehen. Es gibt Muster - und ich habe sie gefunden. Ich möchte den Saal nicht langweilen mit meinen von Sorge, Bedauern und Hoffnung getriebenen Beobachtungen und Untersuchungen. Doch sei jedem hier eines versichert: Mit unseren Mitteln, eurem Vertrauen und meinem Genie ist der Himmel allein unsere Grenze!"


    Ein unerwartet lauter Jubel brach los. Der Alte forderte mit einem selbstverliebten Grinsen mit zu sich winkenden Händen mehr.


    Nachdem sich der Saal ein wenig beruhigt hatte, hob der Redner mit mehr oder weniger gut gespielter Überraschung seinen Zeigefinger in die Höhe.


    "Ach, ich hatte mich noch gar nicht vorgestellt. Nero Stenius Commodus - eure letzte Hoffnung."


    Sim-Off:

    Gleich zwei umstrittene Kaiser in einem Namen. Der Zufallsgenerator hat wirklich geliefert!



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    Leider war die Wahl des nächsten Tellers für Clemens wichtiger als die gesamte Rede, die er mehr oder weniger mitbekam. Allerdings fühlte selbst er das Knistern im Saal. In gespannter Erwartung nahm er seinen alten Platz ein und erwartete den nächsten Zug seiner herausgeforderten Freunde.