Beiträge von Tariq

    Tariq bemerkte wohl, dass Irings Laune nicht die beste war, brachte das aber mit dem widerborstigen Pferd in Verbindung und nicht mit seiner Person. Er fragte sich, warum sich Iring nicht einfach ein anderes nahm, wenn er mit diesem hier nicht zurechtkam, aber die Frage stellte er natürlich nicht laut. Das war die Art von Frage, die nach einer Maulschelle rief. Nicht, dass Hadamars Bruder der Typ zu sein schien, der diese freigiebig verteilte, aber trotzdem. Man sollte sein Glück nicht herausfordern und sich auch nicht gleich kurz nach der Ankunft bei der Gastgeberfamilie unbeliebt machen.


    Als Iring das Hilfsangebot schließlich annahm, hielt Tariq das Pferd fest und sprach immer wieder beruhigend auf es ein. Mit der Zeit ließ der Protest des Tieres auch nach. „Ja, schon. Danke“, antwortete er auf die Frage. „Es war ein ziemlicher Gewaltmarsch, aber ich hatte ja die letzten zwei Tage sehr viel Ruhe und konnte mich erholen.“ Zu viel Ruhe für seinen Geschmack. So viel Ruhe, dass sie langsam in Unruhe umschlug. Von Hadamar hatte er seit jenem ersten Abend auch nichts mehr gehört. „Ich bin sehr dankbar für den freundlichen Empfang und die Gastfreundschaft, aber ich denke, dass ich bald zur Castra der Ala aufbrechen werde.“ Er wollte besagte Gastfreundschaft auch nicht überstrapazieren. Wenn es wenigstens etwas gäbe, was er hier tun könnte – aber es wurde ihm im Gegenteil ja noch Arbeit abgenommen. Er fragte sich, was reiche Leute eigentlich den ganzen Tag machten.

    Tariq hätte vor Schreck beinahe die Ausrüstung fallen lassen, als er beim Betreten der Stube zusammengestaucht wurde. Er verkniff sich den Kommentar, dass er das leider nicht sagen könne, da er keine Ahnung hatte, wer die Hottentotten waren, geschweige denn, wo diese anzutreffen seien. Stattdessen blickte er den zornigen Soldaten ein wenig ratlos an, da er keine Ahnung hatte, wie er mit dem ganze Zeug beladen anklopfen sollte. "Verzeihung", murmelte er und verließ den Raum wieder, die Tür abermals mit dem Ellenbogen zuziehend. Draußen lud er das ganze Zeug ab und stapelte es neben der Tür. Die Papiere fischte er vom Stapel, denn die würde er bestimmt wieder für irgendetwas brauchen. Dann klopfte er erneut an.


    Sim-Off:

    Sorry für das lange Warten, wir können die Szene auch gerne straffen. Ich versuche, hier jetzt schnell zu antworten und mich ggf. kurz zu fassen :D

    Tariq hörte gespannt zu, als Octavena von dem abgebrannten Haus berichtete. Wie immer, wenn jemand erzählte, spann sein Kopf die Geschichte weiter und reicherte sie mit Details an, sodass er die Ereignisse jener fernen Nacht vor seinem geistigen Auge zu sehen meinte. Und wie meist standen dabei weniger der Schrecken und der Verlust im Vordergrund, sondern eher der Nervenkitzel und der Aktionismus. „Ja, zum Glück ist nichts passiert“, pflichtete er Octavena dennoch bei, als diese sagte, dass niemand zu Schaden gekommen war. Das Feuer war kein gnädiger Feind und die Verletzungen, die es zufügte, meist schrecklich. „In meiner Heimat wird erzählt, dass in den Elementen, wie dem Feuer, Geister wohnen, die besänftigt werden müssen.“ Vielleicht hatte die Familie das nicht getan. Andererseits wussten die Germanen und auch die Römer vielleicht nichts von den Djinni seiner Heimat. Tariq beschloss, vorsichtshalber ein paar Opfergaben in den Kamin zu werfen, damit zumindest diesem schönen Haus nichts passierte. Vielleicht hatten die Djinni hier keine Macht, aber sicher war sicher! „Das neue Haus ist sehr schön geworden. Es ist das schönste Haus, in dem ich jemals war.“ Wenn man bedachte, dass die Liste der von Tariq besuchten schönen Häuser nicht eben lang war, mochte es wie ein leeres Kompliment wirken, aber er meinte es tatsächlich von Herzen – und sagte es auch so.


    „Das ist gut zu wissen“, kommentierte Tariq Octavenas Bemerkung, dass das Haus aufgrund seiner Nähe zu Mogontiacum sicher sei. „In Caesarea wird hin und wieder bei den Reichen eingebrochen.“ Er sagte nicht, dass er auch schon mal bei so einem Ereignis dabei gewesen war. Dieses hatte seine Nerven arg strapaziert, er konnte von Glück sprechen, dass er damals entkommen war. Einer der Jungen, die dabei gewesen waren, war gefasst worden – Tariq hatte ihn nie wiedergesehen. „Habt ihr Hunde?“


    Tariq grinste, als es um Farold und seine Verstecke ging. Er erzählte Octavena nicht, dass der Junge offenherzig davon berichtet hatte, dass er diese auch nutzte, wenn er sich vor seiner Mutter verstecken wollte. „Ja, das kann ich mir vorstellen. Deshalb habe ich auch gleich abgelehnt ... irgendwann ist es ja auch langweilig für ihn, wenn ich ihn nie finde.“ Mal ganz abgesehen davon, dass Tariq sich schnell von neuen Dingen ablenken lassen, und darüber seine Suche womöglich vernachlässigen oder ganz vergessen würde.


    Tariq spürte, dass er langsam satt wurde. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, weiter zu essen – immerhin stand noch genug auf dem Tisch! Als Octavena erwähnte, dass er seine Wäsche Ilda geben konnte, hielt er mit dem Kauen inne. Der Gedanke, dass jemand anderes seine Wäsche waschen sollte, war ihm … nun ja, völlig fremd. Selbst bei Soufian hatte er das immer erledigen müssen. Also, die komplette Wäsche – seine und die von Soufian. Das jemand so etwas umgekehrt für IHN erledigen sollte, war absolutes Neuland. Er starrte Octavena also völlig überrascht an, als diese ihm erklärte, dass er einfach fragen müsse, wenn er etwas brauche und sie eine schlechte Gastgeberin sei, wenn sie sich nicht um ihn kümmere. Er bemerkte wohl, dass sie ihn damit nicht zurechtweisen, sondern ihm eher das Gefühl geben wollte, dass es in Ordnung war, wenn er fragte. Dennoch wusste Tariq im ersten Moment nicht, was er antworten sollte. Er versuchte sich vorzustellen, wie er Ilda seine Wäsche überreichte und sie aufforderte, diese zu waschen. Es war ein merkwürdiger Gedanke. Unwillkürlich blickte er sich in der Küche um, aber Ilda war nicht mehr da. Nur die Köchin saß auf einem Stuhl in der Ecke, direkt neben dem Ofen, und schien zu schlafen. Nun, sie war auch schon uralt!


    Tariq kaute und schluckte. „Also … na ja … wenn das in Ordnung ist, dann mache das.“ Er lächelte verlegen. „Und ihr seid bestimmt keine schlechten Gastgeber. Ich bin es einfach gewohnt, sowas selbst zu machen.“ Zum ersten Mal wurde ihm klar, dass es auch für Hadamars Familie komisch sein musste, dass er hier war. Dass hier zwei unterschiedliche Welten aufeinandertrafen – und derjenige, der die Brücke zwischen beiden hätte schlagen können, nämlich Hadamar, nicht da war.

    Auf dem Weg vom Armamentarium beantwortete Tisander ein paar Fragen. Das hatte der Duplicarius wohl damit gemeint, als er gesagt hatte, sie würden sich noch begegnen. Tariq war gespannt auf die Ausbildung, auch wenn er sie gleichzeitig ein bisschen … na ja, fürchtete war das falsche Wort, aber er sah ihr zumindest mit gemischten Gefühlen entgegen. Tisander erzählte nun auch, woher er kam. Zunächst konnte Tariq mit den Ortsnamen nicht viel anfangen, da er nicht zu den Menschen gehörte, die in ihrem Leben viele Karten studiert hatten. Aber er erinnerte sich dunkel, dass die Namen auf ihrer Reise hierher gefallen waren und meinte, dass die Gegend irgendwo nördlich von Roma war. „Davon musst du mir irgendwann mal erzählen, über die Gegend weiß ich nicht viel. Ich bin das erste Mal weg aus Cappadocia und kenne noch nicht viel von der Welt. Wie bist du hier in Germania gelandet? Und in welcher Turma bist du eigentlich? Und allgemeine Fragen zur Ala … zu viele, um sie jetzt zu stellen.“ Er grinste kurz. „Was ist wo und wer ist wer, eigentlich weiß ich ja noch gar nix.“ Vielleicht hätten sie später die Gelegenheit, sich in Ruhe zu unterhalten, obwohl … wer wusste schon, ob man die hier jemals hatte.


    Schließlich standen sie vor der Tür und Tariq fragte sich, ob er die Sachen jetzt hier einfach fallen lassen sollte, um zu klopfen. Na ja, vermutlich eher nicht. Stattdessen machte er die Tür mit dem Ellenbogen auf.

    Tariq nahm die zweite Tabula von Titus entgegen und kritzelte seinen Namen auf die angezeigte Stelle. Dann blickte er hinüber zu der Ausrüstung, die er nun wohl mitzunehmen hatte. Das war … ein ziemlicher Stapel. Tariq stopfte die kleineren Sachen in den Topf, den er sich anschließend über den Arm hängte und versuchte, die anderen möglichst sicher zu stapeln. Zum Glück half Tisander beim Tragen, ansonsten hätte der Rückweg zum Rekrutierungsbüro wohl ziemlich lange gedauert. Aber auch so war es ein Balance-Akt, insbesondere die Speere waren mit vollen Händen nur unter den Arm geklemmt zu transportieren.

    Tariq war erleichtert, dass Octavena ihm die Tatsache, dass er so lange geschlafen hatte, nicht krumm zu nehmen schien. „Ja, das sind wir“, erwiderte er zum Thema Aufbruch. „Kurz, nachdem Hadamar mich gefragt hat, ob ich mitkommen will, sind wir eigentlich auch schon los.“ Obwohl er damals in der konkreten Situation überfordert gewesen war, war er froh, dass alles so schnell hatte gehen müssen und er überhaupt keine Zeit gehabt hatte, nachzudenken. Auch, wenn es scheinbar wenig gab, das Tariq mit seiner Heimat verband, war der Ort doch vertraut – und in gewisser Weise ein Teil von ihm. Das wurde ihm erst jetzt richtig bewusst, seitdem er nicht mehr dort war. Hätte er Zeit gehabt, nachzudenken, wären ihm vielleicht Zweifel gekommen, ob er wirklich so einfach an einem anderen Ort leben konnte. So aber hatte die Vorfreude auf das Abenteuer und die Reise ins Unbekannte überwogen.


    Auf dem Weg zur Küche erzählte Octavena ein bisschen was zum Haus. „Es gab ein Haus in der Stadt, das abgebrannt ist?“ Das klang nach einer spannenden Geschichte, wobei es in der konkreten Situation für alle Beteiligten vermutlich eher katastrophal gewesen war. Ein Teil von Tariq fragte sich, wie bei dem ganzen Wasser, das hier vom Himmel fiel, überhaupt irgendetwas abbrennen konnte, aber den Kommentar verkniff er sich. Immerhin schien ja heute die Sonne, und im Sommer war es laut Hadamar auch wärmer. Er grinste kurz, als sie die Kinder erwähnte. „Na ja, solange nur die Kinder die Ruhe stören, ist es ja gut. Habt ihr keine Angst vor Überfällen? Oder passiert das hier nicht, wegen dem vielen Militär in der Stadt?“ Laut Hadamar war die Stadt um die Kastelle herum errichtet worden – und es waren die Legio, die Ala und die Classis hier. Eigentlich müsste man verrückt sein, wenn man einen Überfall plante. Andererseits könnte man mit einem kleinen Trupp, der vorsichtig vorging, in einem abgelegenen Anwesen schon einsteigen.


    In der Küche traf Tariq wieder auf Ilda, die ihnen gestern geöffnet hatte. Diese bekam gerade von einer alten Frau – vermutlich die Köchin – eine Standpauke verpasst. Tariq hatte ein wenig Mitleid, mischte sich aber nicht ein. Erstens machte das seiner persönlichen Erfahrung nach nur alles schlimmer für die betroffene Person und zweitens schien Octavena an der Szene nichts Bemerkenswertes zu finden, denn sie mischte sich ihrerseits nicht ein. Was sie wohl tun würde, wenn es tatsächliche Schikane wäre … so zumindest schätzte er sie ein. Er setzte sich und langte beim Essen ordentlich zu. „Ein bisschen was hier unten hat er mir gezeigt“, meinte er kauend, ohne sich bewusst zu sein, dass mit vollem Mund sprechen nicht die feine Art war. Aber eine gute Kinderstube hatte er nun mal nicht genossen und hier in der Küche fühlte er sich irgendwie wohler als in den repräsentativen Räumlichkeiten. Da konnte er sogar für einen Moment vergessen, dass Octavena eigentlich eine feine Dame war. „Den Raum mit dem Stammbaum zum Beispiel.“ Er schluckte herunter. „Er hat gesagt, oben sind die Schlafräume.“ Die gingen ihn wohl kaum etwas an – auch, wenn er vermutete, dass Farold sie ihm sogar zeigen würde, wenn er fragte. „Ja, Farold hat schon gesagt, dass er draußen verstecken spielen will mit mir“, meinte Tariq mit leichtem Grinsen. „Da habe ich gesagt, dass er mir erst alles zeigen muss, weil ich ja sonst nicht weiß, wo ich anfangen muss zu suchen. Das Gelände draußen scheint ziemlich groß zu sein. Ich habe aus meinem Fenster einen Fluss gesehen. Gehört der auch dazu? Ich hatte schon überlegt, dort meine Sachen zu waschen.“ Natürlich konnte er dies auch drinnen tun, aber wenn der Fluss schon da war ... Auf die Idee, es jemanden für ihn erledigen zu lassen, kam er gar nicht.

    Wie verziehen? Was verziehen? Tariq kam allerdings nicht dazu, darüber groß nachzudenken, denn der Duplicarius - so zumindest hatte Tisander ihn bezeichnet - stellte ihm eine Reihe von Fragen, die Tariq jeweils mit einem Kopfschütteln beantwortete. Nein, er hatte den Eid noch nicht abgelegt, nein, er war noch keiner Turma zugeteilt, und nein, er war schon ganz und gar nicht irgendjemandes Sklave! Näher kennenlernen würden sie sich wohl, obwohl Tariq im Moment noch nicht ahnte, wen er da vor sich gehabt hatte. "Vale!" murmelte er, als der Soldat den Raum genauso zügig verließ, wie er ihn betreten hatte.


    Nachdem der Mann hinausgestürmt war, warf er Tisander einen fragenden Blick zu. "Wer war das denn?" Und dann: "Muss ich jetzt zurück zum Rekrutierungsbüro?" Dabei wanderte sein Blick zwischen Tisander und Titus hin und her. Er vermutete, dass er neben der Tabula, die er ohnehin die ganze Zeit hin und her trug auch die zweite mitnehmen musste, die Tisander eben in der Hand gehalten hatte.

    Tariq verfolgte das Gespräch zwischen Farold und seiner Mutter, ohne genau zu verstehen, warum Farolds Schwester, die er bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, ihren Mantel nicht angezogen hatte. Es klang so, als sei dies eine wiederkehrende Diskussion. Tariq verstand zwar nicht, wieso hier irgendjemand mehr frieren wollen würde als nötig, aber vielleicht war Farolds Schwester ja hart im Nehmen. Er fragte aber lieber nicht nach, sondern winkte Farold hinterher, der nun mit dem Mantel von dannen zog. Dann folgte er Octavena in Richtung Küche, dankbar für die Aussicht, in Kürze etwas zu essen zu bekommen.


    „Danke, das ist nett von dir.“ Eigentlich konnte er immer essen, und das nicht nur, weil es Zeiten gegeben hatte, in denen er hatte hungern müssen. Bei Octavenas nächsten Worten musste er grinsen. „Sehr gut. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so lange geschlafen, ehrlich gesagt. Ihr hättet mich aber ruhig früher wecken können.“ Laut Farold schlief man ja hier nicht so lang, und eigentlich wollte er da nicht unangenehm auffallen. Er war sich sicher, dass es immer noch ein sanfteres Erwachen gewesen wäre, als auf der Reise hierher, wo ihn das eine oder andere Mal ein wohl platzierter Fuß aus dem Reich der Träume befördert hatte.


    „Oh Farold hat mich nicht geweckt. Ich bin davon aufgewacht, dass es so unglaublich ruhig war. Klingt vielleicht seltsam, aber in den letzten Tagen war um mich herum immer was los … und da, wo ich früher gewohnt habe, auch.“ Irgendwie hatte er den Eindruck, dass die Menschen hier allgemein ruhiger waren und weniger herumschrien. In Caesarea und Satala war allein die alltägliche Geräuschkulisse eine andere. Gut, er hatte damals auch nicht in so einem riesigen Haus mit noch riesigerem Gelände gewohnt. Vielleicht war es in den Palästen der Reichen auch ruhiger. Und in der Stadt Mogontiacum selbst wiederum lauter. „Er hat ganz brav vor der Tür gewartet, auch wenn das bestimmt nicht leicht war für ihn.“ Wieder grinste Tariq. „Und er hat mir einen Teil vom Haus gezeigt. Es ist ein wirklich schönes Haus, gestern hab ich das gar nicht so wahrgenommen.“

    Tariq lächelte, als Tisander ihn lobte. In diesem Moment kam wieder Titus um die Ecke und sprach in seinem seltsamen Dialekt, den Tariq nicht verstand. Tisander, Lutetia und Rekrutierungsbüro konnte er wohl heraushören … vielleicht sollte Tisander ihn zum Rekrutierungsbüro begleiten? Aber was hatte das mit Lutetia zu tun? War das nicht eine Stadt?


    Tisander reichte Titus die Tabula zum Unterschreiben, da kam noch jemand dazu. Offenbar wollte er sein Kettenhemd austauschen, was Tariq interessiert verfolgte, da er genau das Thema ja eben mit Tisander besprochen hatte. Wenn er es richtig verstanden hatte, hätte er selbst bezahlen müssen, wenn er es reparieren hätte lassen wollen.


    Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass der Neuankömmling ihn angesprochen hatte. „Tariq ist mein Name“, stellte er sich kurz vor und verkniff sich die Gegenfrage wie der andere denn hieß. „Ich bin neu hier.“ Gut, das würde der Soldat auch so begriffen haben, aber da er hier schon des Öfteren für einen Laufburschen oder Sklave gehalten worden war, griff er dem lieber mal vor.

    Tariq lächelte. „Vielleicht habe ich ja Glück und lande auch bei euch.“ Dann hätte er jemanden an seiner Seite, den er bereits als nett und hilfsbereit kennengelernt hatte, und der von Tisander so titulierte Klugschwätzer, der gerne Fragen beantwortete, wäre ebenfalls ein Gewinn. Aber beeinflussen konnte er das wohl kaum, er würde da landen, wo man ihn hinschickte, und nur die Götter wussten, ob er es gut antreffen würde.


    Schließlich las Tisander ihm den Eid vor. Und wie immer, wenn jemand vorlas oder erzählte, lauschte Tariq mit minimal zur Seite geneigtem Kopf. Eben, als er auf dem Weg zwischen den verschiedenen Räumen selbst versucht hatte zu lesen, hatte er überhaupt keinen Sinn in den Worten wahrgenommen, es war einfach eine Aneinanderreihung von Buchstaben und Silben gewesen, die er vielleicht hätte über die Lippen bringen können, ohne aber wirklich zu verstehen, was er eigentlich sagte. Nun verstand er erstmalig, was hinter den Worten stand, hörte die Melodie der Worte, die einen sinnvollen Satz bildeten – und wie immer in so einem Fall, fiel es ihm nicht schwer, sich diese zu merken: „Iurant autem milites omnia se strenue facturos quae praeceperit imperator Caesar Augustus, numquam deserturos militiam nec mortem recusaturos pro Romana republica“, wiederholte er fehlerfrei.

    Farold hatte ihn informiert, dass es mitnichten morgens war, sondern bereits auf den Mittag zuging und erklärte ihm ganz in Manier des freundlichen Gastgebers, dass man hier nicht so lange schlief. Tariq verkniff sich die Bemerkung, dass auch er zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt so lange geschlafen hatte, sondern ließ den Jungen vorlaufen und ihm das Haus zeigen. Er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Gestern Abend hatte seine Müdigkeit verhindert, dass er viele Details wahrnahm, nun aber, auch durch das Tageslicht besser sichtbar, offenbarte sich ihm die ganze Pracht dieses Domizils. Es war anders als die Pracht, die er aus seiner Heimat kannte und die er dort meist nur aus der Ferne gesehen hatte. Weniger Gold, weniger Glanz, weniger Schnörkel, aber trotzdem wunderschön. Insbesondere gefiel ihm das viele verarbeitete Holz, das er aus Kappadokien eben nicht kannte. Nicht verwunderlich, es schien Tariq so, als ob alle Bäume der Welt sich hier in Germanien versammelt hatten – da blieben für Kappadokien wohl keine mehr übrig! Ein ums andere Mal blieb er stehen, um mit dem Finger über das Holz zu streichen, das sich sehr weich und warm anfühlte, ein Kontrast zu Stein und Marmor, den es hier auch gab.


    In der großen Halle blieb er stehen und betrachtete ein seltsames Bild, auf dem Wörter durch teils verschnörkelte Linien miteinander verbunden waren. „Was ist das?“ fragte er Farold, während er versuchte, die Wörter zu lesen. Leise wiederholte er die einzelnen Silben, bis er begriff, dass es Namen waren. Namen der duccischen Familie. „Das ist der Familienstammbaum“, erklärte Farold, als sei dies das Offensichtlichste der Welt. „Gibt's da, wo du herkommst, sowas nicht?“ So war es eigentlich die ganze Führung hindurch gegangen – auf jede Frage, die Tariq stellte, kam eine neugierige Gegenfrage, wie es denn in Tariqs Heimat war und ob es dort so etwas auch gab. Tariq hob die Schultern. „Vielleicht haben die reichen Familien so etwas. Gesehen habe ich noch keinen.“ Ein Gefühl von Traurigkeit ergriff ihn, ähnlich wie er es an Hadamars Samhain verspürt hatte. Er wusste ja noch nicht mal, wie seine eigenen Eltern hießen, ob er möglicherweise Geschwister, Vettern, Nichten oder Neffen hatte. So ein Stammbaum, auf dem die ganze Familie zu sehen war, davon konnte er nur träumen.


    Farold schien zu spüren, dass sich die Stimmung verändert hatte, ohne genau zu wissen, was los war. „Jetzt haben wir doch genug angeguckt, oder? Vielleicht können wir verstecken spielen. Draußen. Es scheint die Sonne.“ Tariq fand den Gedanken, raus in die wenn auch verschleierte Sonne zu gehen, ziemlich reizvoll. Andererseits bekam er langsam Hunger. Er hatte heute noch nichts gegessen …

    „Ich kenn ein paar ziemlich gute Verstecke! Da versteck ich mich auch oft vor meiner Mutter.“

    „Aber ich kenne mich hier ja noch gar nicht aus. Wenn du mir nicht alles zeigst, weiß ich ja gar nicht, wo ich anfangen müsste zu suchen. Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag. Ich gehe erst mal in die Küche und esse ein bisschen was, ich hab nämlich Hunger. Und dann gehen wir zusammen raus.“


    Farold wirkte nur mäßig begeistert, offenbar hatte er die Erfahrung gesammelt, dass Erwachsene, wenn sie denn mal anfingen zu essen, so schnell damit nicht aufhörten. Dennoch trottete er ergeben in Richtung Küche. Auf dem Weg trafen sie auf Farolds Mutter. „Salve Octavena“, grüßte Tariq. „Dein Sohn war so nett, mir ein bisschen das Haus zu zeigen. Jetzt wollten wir etwas zu essen organisieren.“ „Ich nicht, ich bin satt!“ erklärte Farold und warf seiner Mutter einen hoffnungsvollen Blick zu, dass sie sich darum kümmern möge.

    Es war einer der merkwürdigeren Tagesanfänge in Tariqs Leben, denn als er aufwachte, wusste er zunächst nicht, wo er war. Das Zimmer war fremd, das Bett war fremd, und sein Rücken tat weh, obwohl er so weich lag wie selten in seinem Leben. Sein Körper erinnerte sich immer noch an die Strapazen der Reise – der Reise? –, aber gleichzeitig fühlte er sich auch ausgeruhter. Er schlug die Augen auf, blickte eine hölzerne Decke an und fragte sich, was ihn geweckt hatte. Es dauerte einige Augenblicke, bis er wusste, was es war. Die Stille. Er hörte … nichts. Niemand redete, niemand brüllte herum, kein Pferdestampfen, kein Schnauben, kein Geklapper von Geschirr, kein Knarzen von Leder, … kurz: keine Geräusche eines erwachenden Lagers, die ihn die letzten Tage stets begleitet hatten.


    Vorsichtig setzte er sich auf und sah sich um. Das Bett nahm den Großteil des Raumes ein, ansonsten gab es noch eine fremdartig verzierte Truhe, auf der unzeremoniell seine Kleidung und sein Reisebeutel lagen, einen Tisch mit einem Krug und einer Schüssel. Die Tatsache, dass er all dies in bester Klarheit erkennen konnte, zeigte ihm, dass der Tag schon weit fortgeschritten sein musste. Die letzten Tage war er immer in der Dunkelheit aufgestanden. Das Licht … war anders. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass die Sonne schien. Die Sonne, die er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte! Eilig stand er auf und ging zum Fenster. Der Himmel war bedeckt, doch hinter der weißen Wolkendecke schimmerte goldenes Licht, gedimmt zwar, verdeckt von einem Schleier, aber trotzdem ganz eindeutig da. Er hatte tatsächlich angefangen zu zweifeln, ob in Germanien jemals die Sonne schien, auch wenn Hadamar anderes behauptet hatte. Nun sah er sie mit eigenen Augen und war einfach nur unglaublich erleichtert.


    Jetzt, wo er direkt am Fenster stand, begann er auch Geräusche wahrzunehmen. Stimmen, die irgendwo miteinander redeten – gerade soweit weg, dass er nicht genau verstehen konnte, was sie sagten, aber doch nahe genug, dass er sie zumindest hören konnte. Er nahm an, dass sich die Sprecher auf der anderen Seite des Hauses aufhielten. Er konnte zu seiner Verwunderung aus dem Fenster einen Fluss sehen, der sich einen Weg durch eine grün-braune Landschaft bahnte.


    Langsam kam auch die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück, die Ankunft im Haus der Duccier, die Begrüßung durch Hadamars Familie und … den Abschied von Hadamar, den Tariq nur deshalb mehr oder weniger hatte geschehen lassen, weil er einfach zu müde gewesen war, um zu protestieren. Vielleicht war das gut so, denn jetzt, nach einer guten Portion Schlaf, wusste er selbst, dass ein Protest nur lächerlich gewesen wäre. Er war schließlich kein Kind mehr und Hadamar hatte ihm gesagt, dass es so kommen würde. Er musste sich sofort bei der Legio melden und er, Tariq, würde so lange bei Hadamars Familie unterkommen, bis er zur Ala ging. Anders ging es auch gar nicht und eigentlich konnte er ja froh sein, dass Hadamars Familie ihn so freundlich aufgenommen hatte. Und ihm dieses in seinen Augen riesige Zimmer gegeben hatte, in dem er schlafen konnte. Er hatte noch nie ein so riesiges Zimmer nur für sich gehabt. Dunkel erinnerte er sich auch, dass Octavena es ihm gezeigt und ihm auch einen Krug mit Wasser auf den Tisch hatte stellen lassen.


    Er riss seinen Blick von dem Fluss los – noch immer war er über die Menge an Wasser, die in diesem Land existierte, verblüfft. Er nutzte das Wasser im Krug und die Schüssel, um sich zumindest notdürftig zu reinigen. Um ein Badehaus würde er allerdings nicht herumkommen, vielleicht könnte er später einen von Hadamars Verwandten fragen, ob sie ihm eines zeigten. Er zog sich die sauberste seiner Kleidung an, die er finden konnte und fügte als weiteren Punkt auf seiner Liste hinzu, seine dreckige Kleidung in dem Fluss da drüben zu waschen. Auf die Idee, sie hier jemandem zu geben, der sie für ihn wusch, kam er schlicht und ergreifend nicht – so fremd war ihm der Gedanke, dass andere eine Arbeit für ihn erledigten.


    So weit vorzeigbar, entschloss er sich, das Haus und die Umgebung zu erkunden. Er öffnete die Tür … und stolperte fast über Farold, der offensichtlich schon länger da draußen herumgelungert hatte und nun zusammenzuckte, als Tariq plötzlich vor ihm stand. Tariq grinste. „... und da habe ich mich grade gefragt, wer mir vielleicht das Haus zeigen könnte. Guten Morgen Farold!“

    Tariq grinste. „Na, das wäre ja nicht das Schlechteste.“ Wer wünschte sich schließlich keine Muskeln? Noch ahnte er natürlich nicht, was das Exerzieren alles beinhaltete, und dass er vermutlich noch fluchen und stellenweise denken würde, dass die schmale Gestalt vielleicht doch völlig in Ordnung wäre. Tisander eilte davon, um irgendetwas zu holen. „Viel Geld hab ich nicht, dann wird es wohl der Lohn werden.“ Hadamar hatte ihm zwar ein paar Münzen zugesteckt, damit er nicht ganz ohne Geld herumlief, aber die waren eher als eiserne Reserve gedacht. Tariq war fast ein bisschen aufgeregt … das war jetzt das erste Mal, dass er eigenen Lohn erhielt! Er grinste kurz als Tisander sagte, dass er die Sachen eintauschen könne, wenn sie nicht mehr passten und fragte dann: „Was ist denn, wenn die Sachen im Kampf kaputt gehen? Oder beschädigt werden. Kann ich sie dann reparieren oder reparieren lassen?“ Gerade die Hamata konnte er schlecht selbst flicken, er war ja kein Schmied. „Tut mir leid, dass ich so viel frage, das ist alles neu für mich“, meinte er dann mit schiefem Grinsen.


    Als Tisander ihm anbot, den Eid vorzulesen, lächelte er, erfreut und überrascht. „Das ist wirklich nett von dir und würde mir sehr helfen.“ Tariq nutzte den Tresen, um seine Sachen zu stapeln, wobei er die Kleidungsstücke, die er anprobiert hatte, nicht mehr so minutiös faltete, wie sie vor der Anprobe gewesen waren. Sie wurden eher eilig zusammengelegt. Dann folgte er Tisander in die Ecke und reichte ihm die Tabula.

    Tariq hatte die letzten zwei Tage genutzt, um sich auszuruhen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen solchen Luxus genossen zu haben. Das Bett war bequemer als alle Orte, an denen er bisher seine Nachtruhe hatte verbringen können oder müssen. Und er … na ja, er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals einen Punkt in seinem Leben gegeben hatte, an dem er absolut nichts tun MUSSTE. Es gab keinen festen Tag, an dem er sich bei der Ala zu melden hatte, so wie es bei Hadamar und der Legio gewesen war, weshalb er theoretisch einfach hier dem süßen Nichtstun frönen könnte, bis er keine Lust mehr hatte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er schon jetzt, zwei Tage nach der Ankunft, keine Lust mehr. Die Müdigkeit der anstrengenden Reise war gewichen und er war das Nichtstun einfach nicht gewohnt. Es machte ihn unruhig. Hadamars Familie hatte ihn freundlich willkommen geheißen und war immer da und ansprechbar, wenn er etwas wissen wollte, aber sie alle hatten ihr Leben und ihren Alltag. Er wollte ihnen nicht immer auf die Nerven fallen. Deshalb hatte er beschlossen, ein wenig allein über das riesige Grundstück zu streifen und sich die Pferde anzusehen, von denen Hadamar ihm erzählt hatte. Vielleicht konnte der Vorarbeiter dort ihm ein bisschen was dazu erzählen!


    Man konnte die Pferdeställe schon von weitem riechen – und auch die Geräusche der Tiere hören. Tariq ging auf das große Gebäude zu – und entdeckte Iring, einen von Hadamars Brüdern, der sich offenbar mit seinem Pferd herumschlug. Ohne nachzudenken ging Tariq so auf das Pferd zu, dass es ihn sehen konnte und nicht erschreckte, und packte es am Geschirr. „Hey, ganz ruhig“, begann er beschwichtigend auf es einzureden und tätschelte ihm den Kopf und Hals. „Salve“, sagte er zu Iring, der ein bisschen Dreck im Gesicht hatte, was bei ihm irgendwie … unpassender aussah als bei anderen Leuten. „Soll ich helfen und das Pferd festhalten?“

    Immer noch leicht verwirrt verfolgte Tariq die Unterhaltung, nun zwischen Titus und Tisander – scheinbar ging es um einen anderen Soldaten namens Fango. Blümchenkind? Tariq musste fast ein wenig grinsen, weil die Beschreibung in diesem soldatischen Umfeld so deplatziert wirkte. Tisander hingegen wirkte nicht erfreut, vermutlich, weil dieser Titus soeben seinen Freund beleidigt hatte. Tariq hielt sich raus, weil er weder Fango kannte, noch wusste, welche Größe ihm wohl passen würde. Früher hatte das selten eine Rolle gespielt, er hatte da nicht groß die Wahl gehabt. Er hatte das getragen, was da war. Und wenn es zu groß war, musste er die Kleidung irgendwie anpassen, sodass sie ihn im Alltag nicht störte. Später bei Soufian hatte der ihm Kleidung beschafft. Er hätte gern gesagt, dass ihm bestimmt „mittel“ passte, aber Tatsache war: Er hatte noch nie die Ausrüstung getragen, die die Soldaten hier trugen, und wusste es deshalb nicht sicher. Deshalb war Anprobieren vermutlich ein guter Vorschlag.


    Tariq war erleichtert, dass Tisander ihm behilflich sein sollte, weil er selbst überhaupt nicht gewusst hätte, wo er anfangen sollte. Er war auch heimlich froh darüber, dass es Tisander war, der half, und nicht der andere Soldat, den er stellenweise nicht verstand, weil er Redewendungen benutzte, die Tariq noch nie gehört hatte. Er folgte Tisander zwischen die Regale und sah sich neugierig um. Die Hamata war eine Art Tunika aus eisernen Ringen, die Tariq auch bei der Legio in Cappadocia gesehen hatte. Begeistert streifte er sie sich über den Kopf – nur um dann festzustellen, wie schwer sie war. Sie war zudem auch etwas weit, aber: „Da kommt bestimmt noch was drunter, oder? Dann müsste es passen. Ich wachse auch noch ein Stück.“ Da war er zuversichtlich. Und in die Breite ging er bestimmt auch noch, wenn er die ganze Zeit mit diesem Eisenringhemd herumlief.


    Er ließ sich von Tisander die Kleidungsstücke reichen, bei denen Anprobieren Sinn machte – wie die Tunika, die Subucula und der Helm. Wie Titus gesagt hatte, stellte sich eine Mischung als optimal heraus, die Unterklamotten klein, die Sachen zum Drüberziehen schon mal mittel, der Helm klein, weil er sonst (noch) vom Kopf rutschen würde. „Soll ich die Sachen hier anziehen?“ fragte er Tisander.

    Plötzlich erklang eine Stimme und fragte, was sie wollten. Vermutlich derjenige, zu dem er ursprünglich geschickt worden war wegen der Ausrüstung. Dennoch fand Tariq es schade, dass er ausgerechnet jetzt auftauchte und ihr Gespräch unterbrach. Tisander wirkte sehr nett – er hätte ihm vielleicht helfen können, sich ein wenig zurechtzufinden.


    Der Soldat schien Tisander zu kennen und Tariq folgte interessiert dem Dialog zwischen den beiden. Er wusste nicht genau, warum Tisander sich hier melden sollte, aber die angedeutete Verspätung erschien ihm logisch, denn man sah ihm die Verletzung immer noch an.


    Als er selbst angesprochen wurde, sagte er: „Salve, ich bin Tariq und neu hier. Im Officium Dilectuum hat man mir gesagt, ich solle mich hier melden und meine Ausrüstung abholen.“ Plötzlich kam noch jemand dazu - jemand namens Titus, der in einem seltsamen Dialekt sprach. Der andere Soldat verschwand, also hielt Tariq Titus die Tabula hin. Er hatte verstanden, dass es üblich war, die vorzuzeigen.

    Als Essen und Met gereicht wurden, bemerkte Tariq erst, wie hungrig und durstig er eigentlich war. Er wartete dennoch, bis Hadamar sich etwas genommen hatte, ehe er zugriff. Das Essen schmeckte fremdartig, aber trotzdem sehr lecker – wobei er zugegebenermaßen im Moment alles lecker gefunden hätte. Der Met schmeckte besser als die Variante, die Hadamar ihm in Cappadocia angeboten hatte, aber diesen Gedanken äußerte er lieber nicht laut. Wahrscheinlich war es dort schwieriger gewesen, die passenden Zutaten zu bekommen …


    Hadamar sagte, dass er sich gleich bei der Legio melden müsse und er, Tariq, ein Gästezimmer bekommen solle. Leichte Panik stieg in Tariq auf. Zwar hatte Hadamar ihm schon auf der Reise gesagt, dass dies der Plan war, aber jetzt begriff Tariq zum ersten Mal wirklich, dass Hadamar gleich gehen und ihn allein zurücklassen würde. Er hatte keine Angst vor Hadamars Familie, alle hatten ihn sehr freundlich empfangen, was er nicht unbedingt erwartet hätte. Gerade Farold und seine Mutter fand er sympathisch und er hatte keinen Zweifel, dass er hier gut aufgehoben sein würde. Aber genau wie damals in Kappadokien wurde ihm klar, wie sehr er sich an Hadamars Gegenwart gewöhnt hatte. Und wie sehr er gelernt hatte, sich auf ihn zu verlassen. Und wie verlassen er sich fühlte, wenn er wegging.


    Er stellte den Teller beiseite, dessen Inhalt er nun doch nicht ganz aufgegessen hatte. Der gröbste Hunger war gestillt und Appetit hatte er plötzlich keinen mehr. Er war fast froh, als Octavena nach ihren Plänen fragte, weil er sich dann nicht mit seiner aufkeimenden und irgendwie irrationalen Furcht beschäftigen musste. „Ich möchte mein Glück bei der Ala versuchen. Hadamar hat gesagt, dass ich dort auch Soldat werden kann“, antwortete er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme ein klein wenig stolz klang.

    „Kein Problem, ist ja eigentlich nett, wenn jemand fragt,“ erwiderte Tariq grinsend. „Ich komme aus Cappadocia, das ist ziemlich weit im Süden, noch weiter als Griechenland.“ Griechenland kannten die meisten Römer, obwohl ... war Tisander ein Römer? Die stellten sich ja immer mit ihren Doppel- oder Dreifachnamen vor. Außerdem hatte er das goldene Haar, das Tariq zum ersten Mal hier gesehen hatte. So ganz zuordnen konnte er seine Herkunft nicht. „Und woher kommst du? Aus Rom? Oder von hier? Wegen der Haarfarbe? Die gibt es in meiner Heimat nicht.“

    Als Tisander ihm anbot, ihm beim Lernen zu helfen, überlegte Tariq kurz, dann hielt er ihm die Tabula hin. „Das ist nett. Kannst du gut lesen?“ Für Tariq war das nicht selbstverständlich. „Es würde mir helfen, wenn du mir den Eid einmal langsam vorlesen würdest. Ich kann mir gut Sachen merken, die jemand sagt, aber lesen dauert ziemlich lange.“

    „Freut mich, Tisander, ich bin Tariq.“ Tariq fand sein Gegenüber irgendwie direkt sympathisch, er war der erste, der sich namentlich vorgestellt hatte. „Stimmt, das muss ich gleich danach machen, wenn ich die Ausrüstung abgeholt und noch mal bei dem Soldaten mit den Tabulae vorbeigegangen bin. Und na jaaaa, mit dem Auswendiglernen an sich hätte ich kein Problem, aber ich kann nicht so gut lesen. Es dauert ziemlich, bis ich mir den langen Text durchgelesen habe. Eigentlich ist es ganz praktisch, dass ich so oft hin und her laufen muss, dann probier ich das unterwegs immer wieder. Wie lange bist du schon dabei?“

    Tariq lächelte, als Octavena die fürchterlichen germanischen Winter erwähnte. Nun, da konnte er ihr nicht widersprechen. Er wusste immer noch nicht so ganz genau, wo Hispania genau lag, aber laut Farolds Beschreibung war es dort warm. Wenn sie sich hier einleben konnte, konnte er das vielleicht auch! Ihm selbst erschienen die Menschen im Moment noch sehr fremd, aber er war ja auch gerade erst angekommen. Sein anfänglicher Enthusiasmus über die Reise in fremde Gefilde, die ihn ergriffen hatte trotz der Strapazen unterwegs, begann nunmehr der Erkenntnis zu weichen, dass er hier … ja fremd war. Vieles war sehr anders als in der Heimat, von der er nie geglaubt hatte, dass er sie einmal vermissen würde.


    Farold gesellte sich wieder zu seiner Mutter, nachdem er sich zunächst hinter Hadamars Bruder versteckt hatte. Offensichtlich spürte er ihre Trauer, die sich auch kurz auf ihrem Gesicht manifestiert hatte. Wieder wusste er nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. In seiner Heimat reagierten die meisten Bewohner entweder mit Tränen oder brüsker Abweisung. Zumindest in Tariqs – zugegebenermaßen beschränktem – Erfahrungshorizont war melancholische Trauer des gemeinen Kappadokiers Sache nicht. „Es freut mich zu hören, dass du dich hier gut eingelebt hast. Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft. Die Winter sind wirklich gewöhnungsbedürftig.“ Tariq grinste leicht, auch in der Hoffnung, sie wieder ein bisschen aufzuheitern, und winkte Farold hinterher, der verschwand, um sich umzuziehen. Tariq verstand nicht genau wieso, denn seiner bescheidenen Meinung nach war mit der Kleidung des Jungen alles in bester Ordnung, aber er wusste es besser, als der Mutter da zu widersprechen.


    Kurz nach Farolds Verschwinden tauchte ein weiterer Mann auf, der Hadamar herzlich begrüßte. Vermutlich der andere Bruder. Die Wärme des Feuers begann ihm angenehm in die Glieder zu kriechen und er spürte, wie er immer müder wurde. Am liebsten hätte er sich einfach auf dem Steinboden zusammengerollt.