Beiträge von Tariq

    Dieses Mal hatte Tariq es besser raus, sich lesend vorwärts zu bewegen und kam unfallfrei vom Officium Dilectuum an. Neugierig sah er sich um und ließ seinen Blick über die Regale schweifen, in denen allerlei Helme, Rüstungen und andere Dinge, die er nicht sofort zuordnen konnte, ordnungsgemäß eingeräumt waren. Auch Schwerter und Speere konnte er sehen. Er wäre gerne hingegangen und hätte insbesondere die Waffen mal genauer inspiziert und in die Hand genommen, aber bei seinem Glück kam gerade dann jemand rein und er würde Ärger bekommen.


    Plötzlich hörte er eine Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes, die „Hallo“ rief. Er folgte ihrem Klang und entdeckte einen Soldaten, der eine Verletzung im Gesicht hatte. Er hatte bestimmt in einer Schlacht gekämpft! „Salve“, grüßte er. „Im Officium Dilectuum hat man mir gesagt, ich soll mich hier melden, um meine Ausrüstung zu bekommen. Bist du derjenige, bei dem ich mich melden soll?“

    Sim-Off:

    Nicht schlimm, kein Thema :)!



    Tariq fiel ein Stein vom Herzen, als er die Tabula sofort wieder zurückbekam – und ihn der Soldat auch noch mal aufforderte, die Formel auswendig zu lernen. Das hieß, ein bisschen Zeit, den Text zu studieren, hatte er noch. „Jawohl, wird erledigt“, erwiderte er statt des „Bis später.“, das ihm eigentlich auf den Lippen gelegen hatte. Er fragte sich, warum er immer wieder bei diesem Soldaten vorbeikommen und ihm die Tabulae zu lesen geben musste, aber vermutlich war das die viel gerühmte – oder verfluchte, je nachdem – römische Bürokratie, von der er nun auch schon einiges gehört hatte.


    Damit griff er die Tabula und den Beutel mit seinen Habseligkeiten, die er nun schon eine Weile hin und her trug und begab sich – weiterhin lesend – zum Armamentarium.


    Tariq grinste kurz, als Hadamar sagte, er würde viele tolle Geschichten kennen. „Fünfzehn Jahre“, erwiderte er dann beeindruckt an Octavena gewandt. „Das ist viel.“ Grob umfasste das fast seine gesamte Lebensspanne. Er fragte sich zum ersten Mal, wie lange er wohl hierbleiben würde. Wirklich die fünfundzwanzig Jahre, die Hadamar ihm als Dienstjahre bei der Ala angekündigt hatte? Irgendwie fiel es ihm schwer, sich so lange Zeitspannen vorzustellen. Zumal, wie er selbst jetzt am besten wusste, der Lebensweg selten so gradlinig verlief wie man es sich ausmalen mochte.


    Nebenbei begann plötzlich die Frage in ihm zu dämmern, ob er sich mit seinen Worten negativ zu Octavenas Alter geäußert hatte. Er wusste von den älteren Männern, dass allein die Andeutung, eine Frau könne alt sein, sehr schlecht war. Das hatte Tariq natürlich nicht sagen wollen! Er hatte nur sagen wollen, dass sie damit schon lange hier war und sich dann bestimmt gut auskannte und überhaupt. Aber vielleicht verstand sie es ja falsch. Und auch, wenn sie nicht so aussah, als würde sie zur Ohrfeigenfraktion gehören – schon gar nicht hier und in diesem Rahmen – wollte er lieber vorbauen: „Ich meine, das sieht man dir gar nicht an.“ Das war kein leeres Kompliment, das sah man ihr tatsächlich nicht an. „Vermisst du deine Heimat manchmal? Oder fühlst du dich mittlerweile heimisch hier?“


    Octavena fasste zusammen, wie sie letztendlich hier gelandet war, und als sie ihren verstorbenen Mann erwähnte, fiel Tariq ein, dass das wohl das Familienoberhaupt gewesen sein musste, von dem Hadamar ihm erzählt hatte. „Das mit deinem Mann tut mir leid“, meinte er ehrlich, war sich aber gleichzeitig bewusst, dass sie das kaum trösten würde. Aber nichts dazu zu sagen, wäre noch unhöflicher gewesen.

    Tariq wappnete sich und trat ein. „Salve. Ich bin fertig mit der Untersuchung.“ Nur widerwillig trennte er sich von der Tabula, denn sicher, ob er sich jetzt alles gemerkt hatte, war er sich nicht. Und den nicht sonderlich freundlichen Soldaten hier zu fragen, ob der ihm das Ganze noch mal vorlas, fand er noch weniger verlockend als den ganzen Weg zum Valetudniarium zurückzulaufen.


    ALA I Aquilia Singularium


    MUSTERUNGSAKTE

    nomen: Tarik

    pater: ignotus

    mater: ignotus

    natio: Cappadocia

    aetas: XVI


    artes: Reiten, rudimentäre Sprachkenntnisse in Germanisch, lesen


    habitus: i.O.


    morbi cognitio (medicus): o.B.


    exceptio: keine


    eventus: Dienstfähig



    IURANT AUTEM MILITES OMNIA SE STRENUE FACTUROS QUAE PRAECEPERIT IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS, NUMQUAM DESERTUROS MILITIAM NEC MORTEM RECUSATUROS PRO ROMANA REPUBLICA.


    Vom Valetudniarium kommend war Tariq nacheinander in zwei Soldaten hineingerannt, weil er so auf die Tabula konzentriert gewesen war. Der eine hatte ihn angeranzt, ob er keine Augen im Kopf habe und ihm Prügel angedroht, der andere hatte ihm recht gut gelaunt mitgeteilt, dass man Tabulae in der Regel nicht während des Gehens las. Und ob ihn der Inhalt überhaupt etwas anginge, hatte er auch noch wissen wollen. Es hatte ein bisschen gedauert, bis Tariq ihn überzeugt hatte, dass das der Fall war. Vor der Tür des Officiums verschwendete er auch noch ein paar wertvolle Augenblicke mit Lesen „.. re.cuu.saa.turos ... pro ... roomana ...“ und klopfte dann an.

    Tariq war erleichtert. Scheinbar war es doch richtig gewesen, was er da gelesen hatte, ansonsten hätte der Miles wohl protestiert. Er folgte brav den restlichen Anweisung, drehte sich hierhin und dorthin, wenn ihm das gesagt wurde, und streifte zum Schluss schließlich seine Kleidung wieder über. Er nahm die nun mit weiteren Worten beschriebene Tabula in Empfang und nickte, als sein Gegenüber sagte, dass die Ausbildung hart würde. Das hatten Hadamar und Cimber auch gesagt, aber Tariq blickte dem Ganzen noch mit dem Optimismus der Jugend entgegen, der suggerierte, dass alles nur halb so wild sein würde.


    „Ich danke dir“, erwiderte er für die guten Wünsche und die Untersuchung und überhaupt. Irgendwie fand er den Mann recht sympathisch, ob das an der Aufgabe lag, der er nachging, oder weil er freundlich gewesen war, wusste Tariq nicht so genau. „Das werde ich machen.“ Sprach's, und verließ er das Untersuchungszimmer. Draußen studierte er dann die Tabula – und den Text, den er sich merken sollte. Ähm. Der Text war doch ziemlich lang. Und es waren lange Wörter drin. Den Bruchteil eines Augenblicks überlegte er sich, ob er noch einmal hineingehen und den Soldaten bitten sollte, ihm den Text vorzulesen. Wenn ihm jemand vorlas, konnte er sich das viel besser merken. Aber dann würde er vielleicht wieder rausschreiben, dass er lesen konnte und vielleicht war das ja blöd.


    Also machte Tariq sich lesend auf den Weg zurück ins Officium Dilectuum. „Iuu.rant ... autem ... milite ...“

    Tariq musste schmunzeln, als er Farolds offensichtliche Begeisterung sah. Das erinnerte ihn ein wenig an sein eigenes kindliches Ich, das auch keine Geschichte hatte links liegen lassen können. „Versprochen“, erwiderte er und legte die Hand aufs Herz. Eigentlich freute er sich sogar darüber, dass die Geschichten seiner Heimat, mit denen er aufgewachsen war und die ihn durch manche dunkle Stunde getragen hatten, an einem so weit entfernten Ort einen Zuhörer fanden. Die Beschreibung von Hispania war hingegen etwas dürftig, was Tariqs Meinung daran lag, dass Farold den Ausführungen seiner Mutter nicht sonderlich aufmerksam gelauscht hatte. Oder sie hatte, aus welchen Gründen auch immer, nicht viel erzählt. Dennoch fand er die vage Beschreibung „Ist heiß da …“ in Anbetracht des hiesigen Wetters sogar recht verlockend.


    Im Inneren bot Dagny an, etwas zu essen und zu trinken zu organisieren, worüber Tariq dankbar war. Essen und Trinken hielten einen wach. Ihrer Aufforderung, es sich bequem zu machen, kam er hingegen nicht nach, weil er Angst hatte, dass er, wenn er sich hinsetzte, sofort einschlafen würde. Beim Austausch zwischen Farold und seiner Mutter lächelte er ein weiteres Mal und schüttelte dann an Octavena gewandt den Kopf. „Das ist nicht schlimm. Farold ist ein netter Junge. Ich finde es gut, dass er fragt … und bei mir zu Hause erzählt man gern Geschichten.“ Manch einem Bewohner Kappadokiens sagte man sogar nach, dass es gar keiner Frage bedurfte, um ihn zum Reden zu animieren – man musste sich nur daneben setzen und zuhören. Aber abgesehen davon fand Tariq am unverfälschten Interesse eines Kindes nichts Schlimmes. Ihm hatte es in dieser konkreten Situation sogar geholfen, die ersten Momente des Fremdfühlens leichter zu überwinden.


    „Dein Sohn sagte, dass du aus Hispania stammst. Wie lange bist du schon hier, wenn ich fragen darf?“

    Tariq hielt die Hand vor das rechte Auge. Er konnte alles einwandfrei erkennen und begann zu lesen: „I“ - als ihm plötzlich auffiel, dass das alles Zahlen waren. Er war erleichtert. Die Zahlen hatte Soufian ihm eingetrichtert, ansonsten wäre er keine große Hilfe gewesen. „Oh Entschuldigung … eins, zwei, vier, vierzehn, fünfzig, ähm … tausendeinhundert-fünf.“ Mit Zahlen dieser Größe hatte er eher selten hantiert. „... sieben, ähm … neun-eins? Weiß nicht, was soll das sein?“ Einundneunzig schrieb man XCI, aber vielleicht war das eine andere Schreibweise? So gut kannte er sich da auch nicht aus. „Da drunter dann zweihundert-eins, hundert-zwölf, tausendeinhundert-zehn, zweiundzwanzig.“ Mmh … jetzt kam doch wieder Text. „Ala eins Aqui.lia Sin.guu.lari.um.“ Na toll, ein weiteres langes Wort türmte sich in der nächsten Zeile bereits bedrohlich auf. „Quod erat demon.straan.dum.“


    Tariq wiederholte den Prozess mit dem rechten Auge, was flüssiger ging, da er den Text ja nun schon kannte.


    Sim-Off:

    Das hat jetzt nichts mit dem Post oben zu tun, aber ich schreib trotzdem mal OOC was zu Tariqs Größe, bevor das langfristig in eine falsche Richtung läuft: Tariq ist laut Profil „mittel“, was für mich Durchschnitt ist. Er mag kleiner sein als die meisten Germanen, und da er erst 16 ist, vielleicht im Moment noch kleiner als der eine oder andere Römer (allerdings nicht zwangsläufig kleiner als jeder hier). Auf jeden Fall ist er aber größer als Fango, der in seinem Profil als „klein“ bezeichnet wird und dessen Spieler diese besondere Tatsache in seinen Beiträgen immer sehr schön beschreibt. :D

    „Das wäre was, das stimmt.“ Im Moment konnte Tariq sich noch nicht so recht vorstellen, woanders zu sein als in Kappadokien – beziehungsweise vorstellen konnte er sich das schon, aber gleichzeitig hielt er diese Vorstellung für unrealistisch. Andererseits, wer wusste, was die Zukunft für einen bereit hielt? Es war ja nicht so, dass sein Leben nicht schon einmal eine unerwartete Wendung genommen hatte.


    Bei Viridomarus' nächsten Worten schaute er nachdenklich. An sich selbst glauben. Das klang so einfach aus dem Mund des Händlers, aber für Tariq war es das nicht. Er war nicht so aufgewachsen, dass jemand ihm Selbstvertrauen eingeflößt hatte – und abgesehen von Hadamar hatte ihn auch niemand jemals gefragt, was ER überhaupt machen wollte. Andererseits … meinte Viridomarus es vielleicht andersherum. Nämlich nicht, dass er sich genau überlegen sollte, was er tun wollte, sondern das, was er irgendwann mal tat, eben gerne tat. Tariq verstand schon, was der Händler an seinem Beruf schätzte und spürte ja auch an der Behandlung, die ihm selbst zuteil wurde, was er meinte. Aber es fiel ihm schwer, das auf sich selbst und sein eigenes Leben zu übertragen. Somit war der Ratschlag gleichzeitig einfach und kompliziert. Vielleicht würde Tariq es besser verstehen, wenn er ein wenig Lebenserfahrung gesammelt hatte. Deshalb beließ er es beim einer leichten Verneigung, untermalt von den Worten: „Freut mich, dass du auch eine gute Zeit hattest. Ich werde mir deine weisen Worte zu Herzen nehmen.“


    Bei der Frage nach den djinni schüttelte sich Tariq kurz. „Nein, ich hab noch keinen gesehen.“ Er wusste selbst nicht recht, ob er darüber enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Einerseits wäre das eine tolle Geschichte, die er dann zum Besten geben könnte, andererseits waren die djinni sehr unberechenbar. Und eben nicht menschlich. „Es gibt verschiedene Erzählungen darüber, wie sie aussehen. Manch einer sagt, dass sie Tieren gleichen, andere sagen, sie seien unsichtbar. Dritte behaupten, dass sie aus Feuer oder Fels oder gar Luft bestehen. Ich habe mal einen alten Mann gefragt, der viele Geschichten kannte – und er sagte, dass sie vermutlich ihre Gestalt wandeln können und deshalb niemand so genau weiß, wie sie aussehen. Aber es ist immer gut, ihnen etwas zu geben und sie auf deine Seite zu bringen.“


    Dankbar nahm er die hübschen Holzschachteln an sich, in die Viridomarus den Schmuck gepackt hatte. „Auf bald, Viridomarus – hier oder anderswo“, verabschiedete er sich mit einer weiteren leichten Verbeugung und verließ schließlich den Laden.

    Tariq lächelte, als er die Begeisterung des Kleinen bemerkte. „Schön. Ja, anders ist es da. Du kannst … weiter schauen. Es gibt keine Bäume. Oder wenige Bäume.“ Darüber hatte er sich ziemlich gewundert auf dem Weg hierher. Wie viele Bäume es in Germanien gab. Es waren so unfassbar viele, sodass man eigentlich nie irgendetwas sah. Er fragte sich, wie man hier das Herannahen eines Feindes bemerken sollte. Er hatte Hadamar und Cimber eigentlich fragen wollen, aber abends war er dann immer sehr schnell eingeschlafen und hatte es vergessen. „Und es kommt Feuer aus dem Boden. Das kannst du in der Nacht gut sehen. Sehr schön.“ Ein Licht in der Dunkelheit. Das war sehr bedeutsam in seinem Land, in dem man der Dunkelheit zuschrieb, dass in ihr das Fremde hauste, das Böse. Aber das sagte er dem kleinen Farold nicht, er wollte ihm ja keine Angst einjagen. „Vielleicht kann ich dir mal eine Geschichte aus meinem Land erzählen. Aber auf Latein. Ist einfacher.“


    „Hispania? Das kenne ich nicht. Wo ist das?“ Dann musste er wieder grinsen, als Farold so nonchalant seine Meinung zu den Germanisch-Kenntnissen seiner Mutter zum Besten gab. „Ich sag nix“, versprach er und kniff dem Kleinen ein Auge. „Aber du lernst immer zuerst verstehen, dann sprechen.“ Als Tariq bemerkte, dass die Gruppe sich ins Innere des Hauses zu verlagern begann, erhob er sich wieder und wuschelte Farold durch die Haare. „Sieben, fast erwachsen!“ meinte er und versuchte, entsprechend beeindruckt zu klingen, weil Farold offensichtlich sehr stolz auf das in seinen Augen fortgeschrittene Alter war. Er schob den Kleinen unauffällig Richtung Porta und war froh, dass sie den Eingangsbereich hinter sich ließen. Denn mal wieder begann Wasser vom Himmel zu fallen. Das war auch so eine Sache, die er hier merkwürdig fand. Dieser viele, starke und ständig kalte Regen. Die Sonne schien auch kaum. Gut, es war Winter, aber trotzdem … kalte Winter war er aus seiner Heimat gewohnt, aber die waren nicht so nass. Wie sollte hier jemals etwas trocken werden?


    Dementsprechend erleichtert war Tariq, als sie ein Zimmer betraten, in dem ein großes Kaminfeuer flackerte. Sofort platzierte er sich in der Nähe. Als Hadamar ihn offiziell auch den anderen Damen und dem Bruder vorstellte, nickte er kurz zur Begrüßung. Dass er ihn vor allen anderen ganz offiziell als Familie bezeichnete, überraschte ihn genauso sehr wie es ihn stolz machte. Es war so gewesen, gerade in der näheren Vergangenheit, aber es war doch noch mal etwas anderes, es ausgesprochen zu hören. Er wunderte sich, warum Hadamar sagte, dass er - Tariq - viel für ihn in Satala getan hatte. Eher hatte es sich andersherum verhalten. Aber er wollte nicht öffentlich wiedersprechen, dazu kannte er die anderen zu wenig. Ohnehin wusste er nicht, ob jetzt von ihm erwartet wurde, dass er etwas sagte. Farold hatte er bereits ins Herz geschlossen, Dagmar hatte ihn auch freundlich begrüßt und er glaubte nicht, dass Hadamars Geschwister und Farolds Mutter ihm gegenüber negativ eingestellt sein würden, aber ... na ja. Irgendetwas musste er wohl sagen, aber ihm, der sonst selten um Worte verlegen war, fiel einfach nichts ein.


    Also beschränkte er sich auf ein: „Ich ... freue mich, hier zu sein. Und euch kennenzulernen.“ Weil er so nervös war, bemerkte er gar nicht, dass er ins Lateinische wechselte.

    „Das klingt interessant“, antwortete Tariq. 'Vielleicht mache ich das', wollte er noch hinzufügen, tat es aber letztendlich nicht. Erstmal musste er überhaupt angenommen werden - und dann schauen, was verlangt wurde. Drei Jahre klangen für sein bisher kurzes Leben ebenfalls recht lang, aber vorstellen konnte er sich das durchaus. An eine Academie wollte er nicht, das klang tatsächlich wie etwas, das einer wie er einfach nicht machte. Deshalb schüttelte er bei dem Part auch leicht den Kopf, während er bei den übrigen Erläuterungen interessiert gelauscht hatte.


    Er stellte sich auf die Linie, auf die der Miles deutete. „Lesen und schreiben?“ Wieso sollte er hier lesen und schreiben können? Dann musste er wieder an Viridomarus‘ Bericht über die römische Bürokratie denken und sah sich schon einen panikerfüllten Moment lang an der Seite des Soldaten sitzen, bei dem er zuerst gewesen war, und Sachen auf Tabulae ritzen. „Ja schon. Ein bisschen“, ergänzte er schließlich. Lesen naturgemäß besser als schreiben. Er hätte allgemein besser sein können, wenn er sich bei Soufian mehr Mühe gegeben hätte, aber irgendwie erschloss sich ihm das ewige Aufschreiben nicht. Tariq hatte ein Talent für Sprachen und Sprache. Er hatte viele Stunden an den Feuern der Geschichtenerzähler seiner Heimat verbracht und konnte sich sehr gut gesprochene Worte merken. Deshalb hatte das geschriebene Wort … eine eher untergeordnete Bedeutung bei ihm.


    Den Zaungast vor der Tür bemerkte Tariq nicht.

    Tariq lauschte mit leuchtenden Augen den Erzählungen des Viridomarus, als er die Ewige Stadt beschrieb. Tariq würde sie gern einmal sehen, mit all ihren Facetten. Vor allem ihre Größe faszinierte ihn. Rom sollte viel größer sein als Caesarea … und auch, wenn Tariq letztere sehr gut kannte und sie ihn allein deshalb nicht mehr mit unerforschten Straßenzügen überraschen konnte, fand er doch, dass Caesarea bereits eine große Stadt war. „Das alles klingt wunderbar und faszinierend. Außer der Bürokratie.“ Tariq grinste kurz. Er hatte die Römer hier auch schon mit Tafeln hantieren sehen – und die Frage, was sie wohl darauf herumkritzelten, hatte kurz seine Gedanken gestreift. Genauso wie die, warum sie überhaupt Dinge aufschrieben und sie sich nicht einfach merkten. „Ich hoffe wirklich, dass ich dort eines Tages mal hinkomme – und dann werde ich dich auf jeden Fall in deinem Laden besuchen und hoffen, dass du dann dort bist und nicht irgendwo anders in der Welt.“ Wer wusste schon, ob und wann es ihn nach Rom verschlagen würde und wo Viridomarus dann sein würde. Er hatte so geklungen, als sei er noch lange nicht fertig mit seinen Reisen in verschiedenste Länder. Aber wie er selbst gesagt hatte: Vielleicht traf man sich andernorts … oder, was wahrscheinlicher war, hier. Tariq ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ihn das Schicksal, die Götter oder in dem konkreten Fall vielleicht doch schlicht und ergreifend Hadamar demnächst weit weg bringen würde von Kappadokien.


    Tariq lächelte, als Viridomarus sagte, dass guter Geschmack ein Schatz war, den man sich für kein Geld der Welt kaufen konnte. Auch das war schön gesagt, und löste ein warmes Gefühl stiller Freude in ihm aus – vielleicht, weil seine Vergangenheit nicht mit Komplimenten und netten Worten garniert gewesen war. Er hatte auch nicht das Gefühl, dass es nur eine Schmeichelei war, um etwas zu bekommen, wie das viele Händler auf dem Basar taten. Die hätten ihn vermutlich längst rausgeschmissen, spätestens, als er sagte, er könne das, was er ausgewählt hatte, nicht zahlen. Nein, Viridomarus schien wirklich einfach gern das zu tun, was er tat. Vermutlich war das nicht der einzige Faktor seines Erfolges, aber mit Sicherheit einer davon. „Danke für den guten Ratschlag, das werde ich mir merken. Ich hoffe, dass ich eines Tages auch etwas tun werde, an dem ich so viel Freude habe, wie du an den Gesprächen mit deinen Kunden.“ Noch wusste er nicht, was das sein würde, aber Hadamar hatte ihm zumindest eine Option aufgezeigt.


    „Oh ja, die Feuer musst du dir anschauen! Einige kannst du von der Stadtmauer aus sehen … das ist sicherer als rauszugehen nachts. Wegen der Gesetzlosen, die sich da draußen rumtreiben.“ Er traute Viridomarus eine Menge zu, aber dass er sich gegen Bewaffnete zur Wehr setzen konnte, gehörte nicht dazu. Andererseits hatte er dafür ja auch den Mann, der in der Ecke stand und den Tariq während des Gesprächs völlig vergessen hatte. „Einige der Römer hier behaupten, dass die Feuer zur Schmiede des Vulcanus gehören. Aber das stimmt nicht“, bemerkte Tariq im Brustton der Überzeugung. So groß konnte doch selbst die Schmiede eines Gottes nicht sein! „Wie jeder weiß, werden sie von den djinni entfacht, die jenseits der Siedlungen in unterirdischen Höhlen und Felsspalten hausen. Am besten bringt man ihnen hübsche Steine oder was zu essen mit, dann freuen sie sich“, ergänzte er noch hilfreich. Viridomarus war noch nicht so lange hier, da wusste er das vielleicht noch nicht. „Und die Basare hier werden dir bestimmt auch gefallen. Die sind vielleicht nicht so groß wie die Märkte in Rom, aber die Handelskarawanen aus und in den Osten kommen hier hin und wieder durch.“


    Als der Händler schließlich den Preis für die Bronzespangen nannte, nickte Tariq. Für ihn war es immer noch viel Geld, aber Hadamars Geldbeutel würde das hergeben. Und die Spangen waren auszunehmend schöne Arbeit. Normalerweise hätte er trotzdem gehandelt, denn der erste genannte Preis war nie derjenige, den man letztendlich zahlte. Aber in dem Fall ließ er es bleiben und zählte einfach die Münzen aus. Das war im Grunde der Dank für das Gespräch und die vielen Lebensweisheiten, die ihm Viridomarus mit auf den Weg gegeben hatte. „Dann nehme ich die mit. Danke für das Gespräch und die vielen Einblicke in die Welt, die du mir gegeben hast. Mögen die Geister deinen Unternehmungen stets hold bleiben.“

    Der Miles Medicus drückte mit der Hand auf seinen Kopf und bedeutete ihm dann, sich auf die Waage zu stellen. Tariq kam der Aufforderung gut gelaunt nach. Er ahnte nichts von den Gedanken seines Gegenübers und begann sich sogar zum ersten Mal seit seiner Ankunft in der Castra ein wenig zu entspannen. Dies lag einmal an dem freundlichen Verhalten des Soldaten, aber auch daran, dass Tariq interessiert daran war, was dieser tat und seine ihm ureigene Neugier unter der Unsicherheit, die er bisher die ganze Zeit empfunden hatten, hervorzuschauen begann. Sein Gewicht würde der Größe angemessen sein, unterernährt war er schon seit einigen Jahren nicht mehr, Soufian und Hadamar hatten ihn gut aufgepäppelt in den letzten Jahren.


    Die Liegestützen und Kniebeugen absolvierte er ohne große Probleme. Bis auf wenige Episoden des süßen Nichtstuns hatte Tariq wenig Müßiggang in seinem Leben gehabt, hatte viele Momente rennend, schleppend und kletternd verbracht, sodass er recht fit war. Der Medicus machte ihm die Bewegungen vor, worüber Tariq nicht undankbar war. Zwar hatte er die Legionäre bei der Legio XV in Satala bei solchen Übungen beobachtet, aber er war zu beschäftigt gewesen, feixend daneben zu stehen und froh zu sein, dass er da nicht mitmachen musste, als auf die Details zu achten. Er war immer ziemlich schnell von einem Optio verscheucht worden, damals, und hatte die düstere Vorahnung, dass es demnächst er selbst sein würde, der sich abrackern musste, während andere grinsend danebenstanden und zuschauten. Na ja, das nannte man wohl ausgleichende Gerechtigkeit!


    Die Liegestützen waren anstrengender als die Kniebeugen, und bei ersteren begann sich Schweiß auf seiner Stirn zu bilden, weil er konkret solche Bewegungen nicht gewohnt war, aber Tariq kam ganz gut durch. „Wie wird man eigentlich Miles Medicus, wenn ich fragen darf?“ gewann seine Neugierde dann doch die Oberhand, nachdem er die Übungen beendet hatte.

    Tariq legte seinen Beutel an der Wand ab und streifte die Tunika über den Kopf. „Nein, keine Brüche und keine Schmerzen“, verkündete er. Zumindest diesbezüglich hatte er Glück gehabt. Nichts war irgendwie schief zusammengewachsen oder schränkte ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein. Wahrscheinlich war nie etwas gebrochen gewesen … ganz sicher war er sich nicht, schließlich war es nicht so, als wäre er als Kind zu einem Medicus geschleppt worden. Aber da er keine Einschränkungen hatte und auch keine Schmerzen im Bewegungsablauf ging er einfach mal davon aus. Er hatte ein paar Narben am Körper, die das Leben auf der Straße mit sich brachte – ganz ohne ging niemand daraus hervor – aber das war hier hoffentlich kein Hinderungsgrund. Es würden mit großer Wahrscheinlichkeit weitere dazukommen. Die vorhandenen Narben waren alle bereits verblasst, also älteren Datums. In den letzten Jahren unter Hadamars Obhut hatte er sich aus Schwierigkeiten herausgehalten.


    Er stellte sich wie angewiesen vor dem Maßband auf. Er würde noch etwas wachsen, dann aber voraussichtlich etwa so groß sein wie der durchschnittliche Kappadokier. Im Vergleich zu vielen der hiesigen Germanen würde er wohl klein bleiben. Tariq war neugierig, was der Miles Medicus – denn einem solchen glaubte er gegenüber zu stehen – nun alles machen würde. Die Arbeit eines Medicus erschien ihm immer ein wenig wie Magie. Vielleicht würde er irgendwann, wenn er sich gut anstellte, mal hier aushelfen dürfen?

    Ein älterer Mann mit hagerem Gesicht öffnete die Tür - und wie jeder hier musterte er ihn zunächst überrascht. "Salve", grüßte Tariq. "Ich soll mich hier zur medizinischen Untersuchung melden." Damit der Mann ihn nicht direkt wegschickte oder fragte, ob er eine Botschaft habe oder so etwas, hielt er ihm direkt die Tabula hin, die der andere Soldat ihm gegeben hatte.


    ALA I Aquilia Singularium


    MUSTERUNGSAKTE

    nomen: Tarik

    pater: ignotus

    mater: ignotus

    natio: Cappadocia

    aetas: XVI


    artes: Reiten, rudimentäre Sprachkenntnisse in Germanisch


    habitus:


    morbi cognitio (medicus):


    exceptio:


    eventus:



    IURANT AUTEM MILITES OMNIA SE STRENUE FACTUROS QUAE PRAECEPERIT IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS, NUMQUAM DESERTUROS MILITIAM NEC MORTEM RECUSATUROS PRO ROMANA REPUBLICA.

    Tariqs Augen leuchteten ein wenig, als er sich vorstellte, durch die Welt zu reisen und immer woanders seine Zelte aufzuschlagen – und so verschiedene Länder und Kulturen kennenzulernen. „Warst du schon einmal in Rom? Wie ist es da?“ Rom war das Zentrum der Welt – zwar nicht bei allen beliebt, aber niemand bezweifelte ihre Bedeutsamkeit. Da es ihm an Vorstellungskraft nicht mangelte, hatte Tariq sich die ewige Stadt schon des Öfteren vorgestellt, aber die Bilder, die vor seinem geistigen Auge entstanden, waren mit östlich-orientalischen Elementen garniert, die das echte Rom in der Fülle wohl kaum zu bieten hatte.


    Tariq war erleichtert, dass Viridomarus ihm aufgrund seines Rückziehers nicht böse war und sogar verständnisvoll reagierte. Der Händler beschrieb seinen Entscheidungsumschwung in blumigen Worten. „Das hast du sehr schön gesagt, das werde ich mir merken.“ Es war immer gut, eine passende Erklärung an der Hand zu haben. „Und erlesen ist der Schmuck tatsächlich. Das werde ich mir merken, ebenso die gute Art, wie du mit Kunden und ihren Wünschen umgehst.“ Was so viel hieß, dass er Viridomarus‘ Geschäft weiterempfehlen würde, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Interessiert betrachtete er nun den Bronzeschmuck, der zwar matter schimmerte als das Gold, aber andererseits doch irgendwie … mehr Wärme ausstrahlte. Tariq war sicher, dass er stundenlang Spangen betrachten und Viridomarus‘ gesamtes Sortiment durchstöbern könnte, und dabei immer wieder neue Schätze entdecken würde. Die Entscheidung erleichtern würde ihm eine solche Suche jedoch nicht, also war er froh, dass der Händler eine gewisse Vorentscheidung getroffen und ähnliche Modelle bereits ausgewählt hatte. Tariq nahm einige auf und drehte sie im Licht der Lampe hin und her.


    „Ich?“ Selten fragte ihn jemand solche Dinge, weshalb Tariq fast ein wenig überrascht war. „Ich bin hier in Caesarea aufgewachsen und wohne jetzt in Satala, als Mündel von dem Centurio, für den ich die Spangen kaufen soll,“ berichtete er freimütig. „Ich kenne bisher nur Cappadocia … genauer gesagt, eigentlich auch nur die Gegend hier. Seit wann bist du denn hier? Und wie gefällt dir Cappadocia?“ Tariq hatte keine wirkliche Außensicht auf sein Volk, weil er nie fortgewesen war. Er fragte sich kurz, ob er eines Tages seine Heimat auch so würde beschreiben können, wie Viridomarus es getan hatte.


    Schließlich hatte er alle Spangen ausführlich genug gemustert. Er legte schlichtere Spange mit einem Schlangenmuster, einen kleinen Kamm, den man ins Haar stecken konnte, mit einem schlichten Kreismuster sowie einen zweiten kleinen Kamm mit Blüten und Blättern beiseite. „Diese drei würde ich nehmen. Was würden die kosten?“

    Vom Officium Dilectuum kommend fand Tariq das Valetudniarium problemlos, das Gebäude war recht groß. Auf dem Weg dorthin versuchte er zu entziffern, was der Soldat auf die Tabula geschrieben hatte. Ihm fiel auf, dass sein Name anders geschrieben war, als Soufian ihn gelehrt hatte, aber er war im Schreiben nicht so firm, dass er zurückgehen und mit dem ohnehin eher kritischen Soldaten eine Diskussion beginnen wollte. Den langen Text unten ignorierte er erstmal. Er war beeindruckt, dass das Lazarett so groß war – und sogar einen Kräutergarten hatte. Vielleicht war das normal, aber Tariq hatte noch nicht wirklich viele Lazarette von innen gesehen.


    Da er den genauen Raum nicht wusste, in dem er sich melden sollte, fragte er sich durch – und erntete wieder den einen oder anderen schiefen Blick. Er versuchte, diese so gut es ging zu ignorieren. Er war es gewohnt, dass sein Lebensweg nicht mit Blütenblättern übersäht war und ihm eher selten etwas geschenkt wurde. Er klopfte an die Tür, die die anderen ihm angezeigt hatten.

    Bei den Eltern sagte der Soldat nichts, sondern kritzelte ungerührt auf der Tabula. Nur mit dem Alter schien er nicht ganz glücklich zu sein. Hätte Tariq sich als älter ausgeben sollen? Aber das hätte ihm der Soldat wohl kaum abgekauft – und ‚ziemlich knapp‘ war ja nicht gleichbedeutend mit ‚unmöglich‘. Er lächelte deshalb möglichst gewinnend und meinte: „Ich möchte es versuchen.“ Dann nahm er die Tabula entgegen, bedankte sich und verließ den Raum, um zum beschriebenen Valetudniarium zu gehen.

    Der Kleine drehte sich um und blickte Tariq an. Er stellte sich vor, was er wohl nicht tun würde, wenn er Angst hätte. „Freut mich, Farold“, antwortete er. Der Junge rang mit sich und wollte etwas sagen – und als er schließlich mit der Sprache herausrückte, musste Tariq grinsen. „Ja stimmt“, erwiderte er gut gelaunt. „Ich komme aus Cappadocia, das ist weit weg. Da musst du viele Tage reiten, bis du da bist. Und mit dem Schiff fahren.“ Bei dem Gedanken daran wurde ihm wieder etwas flau im Magen. Er hoffte inständig, dass er in nächster Zeit keins mehr betreten musste. „Da spreche ich andere Sprachen. Germanisch hat Hadamar mir beigebracht.“ Er wies mit dem Daumen auf Hadamar, der eine junge Frau umarmte – vermutlich die Schwester, von der sie dereinst gesprochen hatten.


    „Wie alt bist du?“ fragte er den Kleinen. Er wollte ihn jetzt nicht zutexten, aber es fiel ihm tatsächlich leichter, mit dem kleinen Jungen zu sprechen, der offensichtlich einfach nur neugierig war – so wie die meisten Kinder. Tariq fand ihn im Vergleich zu den Kindern, die er aus seiner Heimat kannte, sogar recht zurückhaltend. Aber zugegebenermaßen kannte er hauptsächlich Straßenkinder, die keine gute bzw. überhaupt keine Erziehung genossen hatten. Kurz huschte sein Blick zu der Frau, die in der Nähe von Farold stand und von der er vermutete, dass sie die Mutter war. Hoffentlich störte es sie nicht, wenn er mit ihrem Sohn sprach … einige reiche Frauen in Caesarea hatten ihn verscheucht, wenn er es gewagt hatte, mit deren Kindern zu reden. Andererseits war er damals auch ein ausgemergeltes Straßenkind gewesen … und das war jetzt auch wieder ein paar Jahre her. Seine Zeit mit Hadamar und Soufian hatte ihn ziemlich aufgepäppelt.

    Tariq entspannte sich, als Ilda ihn so nett willkommen hieß, und lächelte ihr ebenfalls zu. Er drehte sich um, als sie auf eine Person wies, die offenbar hinter ihnen stand. Er ging ein paar Schritte auf die Frau zu, neigte leicht zur Begrüßung den Kopf, als Hadamar ihn vorstellte, und sagte: „Freut mich, Dagmar.“ Neugierig fragte er sich, ob das wohl die Tante war, für die er den Schmuck hatte kaufen sollen. Dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag, als weitere Verwandte von Hadamar auftauchten und ihn mehr oder weniger enthusiastisch begrüßten. Tariq war etwas überfordert. Einmal, weil plötzlich so viele Frauen da waren, reiche Frauen aus gutem Hause, mit denen er sonst nie etwas zu tun hatte, und bei denen er ehrlich gesagt auch nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Und zweitens, weil er Angst hatte, dass … na ja, nicht, dass Hadamar ihn nicht mehr brauchte, aber ... In Kappadokien hatte Hadamar immer gesagt, dass er wie Familie für ihn sei und ihn auch so behandelt. Aber jetzt war hier seine richtige Familie und Tariq wurde bewusst, dass er eigentlich ein Fremder war und nicht dazugehörte. Zum ersten Mal in seinem Leben und tatsächlich auch zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch aus Satala verspürte er Heimweh.


    Das überraschte ihn selbst ein wenig, denn er war der Meinung gewesen, dort gebe es nichts für ihn. Aber zum ersten Mal spürte er eine Verbindung zu dem Ort seiner Geburt, eine Verbindung jenseits von bestimmten Personen, die er nie wahrgenommen hatte, als er noch in Kappadokien gewesen war. Vielleicht war es doch so, wie einer der Geschichtenerzähler am Lagerfeuer mal gesagt hatte – jeder ist Teil seiner Heimat und trägt sie stets mit sich, egal wohin er geht. Damals hatte er das nicht verstanden, jetzt begann nach und nach eine Ahnung in ihm zu keimen, wie das gemeint gewesen war. Auch glaubte er jetzt besser zu verstehen, wieso der Händler Viridomarus damals so über Thrakien gesprochen hatte, wie er es getan hatte. Vielleicht begann man die Vorzüge erst dann zu verstehen und zu schätzen zu wissen, wenn man fort war.


    Tariqs Blick fiel auf den einzigen Anwesenden, der außer ihm auch leicht überfordert mit der Situation wirkte: der kleine Junge. Kinder waren Kinder, egal wo man war, und Tariq fühlte sich in dessen Gegenwart nicht zumindest nicht eingeschüchtert. Er lächelte ihm zu und hoffte, dass der Kleine keine Angst vor ihm hatte. Er hockte sich hin, damit er quasi auf Augenhöhe mit dem Jungen war und sagte auf Germanisch, da das hier alle zu sprechen schienen: „Heilsa, wie heißt du denn? Ich bin Tariq.“ Im Gegensatz zum Lateinischen und dem Koine, die er von klein auf gesprochen hatte, schwang in seinem Germanisch ein Akzent mit.