Beiträge von Titus Sempronius Carus

    "Antreten Tirones. Heute lernt Ihr vier neue Waffen und deren Gebrauch kennen. Wie üblich zugehört und aufgepasst.

    Heute erfuhr Sempronius viel über Waffen, solche, die er nach seiner bestandenen Tauglichkeitsuntersuchung ausgehändigt bekam, und solche, die in anderen Einheiten benutzt wurden. Es konnte nie schaden, möglichst viel zu wissen und in der Handhabung erste Erfahrungen zu sammeln. Obwohl er es zum jetzigen Zeitpunkt ausschloss, je zu den Legionen zu wechseln, dort würde er das Pilum brauchen. Ging er eines Tages zu den Auxiliareinheiten, müsste er das Prinzip der Schleuder kennen und den Bogen beherrschen. Er ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, die Waffen alle einmal auszuprobieren. Beim Pilum kam es auf den Abschusswinkel an, der die Flugbahn bestimmte. Schnell merkte Sempronius, dass die Handhabung weitaus schwieriger war als gedacht, daher beschränkte er sich in seinen Versuchen auf eine halbwegs brauchbare Flugbahn, aber sparte es sich, ein Ziel anzuvisieren. Hätte er gewusst, dass selbst ausgebildete Legionäre dies so handhabten, wäre er zufriedener mit sich gewesen.

    Mit der Hasta hatte er bereits in seiner geringen Freizeit geübt, daher schnitt er im Vergleich zu den anderen Tirones recht gut ab.

    Das Bogenschießen bedurfte ebenfalls der Übung, wie er feststellte, zumal es hier nicht auf die Flugbahn, sondern auf einen Treffer ankam. Nach der Kürze der Probe kam er zu dem Schluss, die Handhabung zeitnah erlernen zu können, würde er nur ausreichend üben. Bei der Schleuder sah das anders aus. Sempronius stellte keinerlei Lerneffekt fest, je länger er übte. Die Geschosse flogen weitgehend unkalkulierbar durch die Gegend, sodass er penibel bemüht war, alles was ging oder stand aus seinen Flugbereich zu schicken. Einen brauchbaren Schleuderer würde er wohl niemals abgeben, aber während seines zukünftigen Dienstes musste er das auch nicht.


    Nach dem Ausprobieren ging es an die Partnerübungen.

    Jeder sucht sich einen Kameraden. Aufgepasst, Kamerad Sittius und ich werden Euch die einzelnen Übungen von Angriff und Abwehr demonstrieren. Ihr stellt sie nach

    Wäre diese Demonstration vom Ausbilder und diesem Sittius nicht gewesen, hätte Sempronius vieles durcheinandergehauen, denn an Informationen gab es zu viele. Die Menge überforderte ihn, denn so gut wie alles, was er hörte, war Neuland und musste erst verinnerlicht werden. Als er hörte, am Ende würde mit gesamter Ausrüstung ein Pferd bestiegen werden, überkamen ihn doch erhebliche Zweifel. Aber er wollte nicht vorgreifen, sondern widmete sich den Waffenübungen mit einem Kameraden.

    "Postumius, wollen wir wieder?" Sein Trainingspartner vom Vortag nickte. Beide kamen am Morgen in Ausrüstung zum Exerzierplatz, mussten also nichts mehr anlegen, sondern griffen gleich zur Hasta. "Pilum, Bogen und Schleuder können wir nicht zusammen üben. Das geht nur einzeln, also bleibt für den Partnerkampf die Hasta. Du kannst anfangen, mich zu treffen, und ich decke mich mit dem Scutum. Denk dran, Bauch und Beine brauche ich noch." Er grinste. Natürlich brauchte er auch noch die Arme und besonders den Kopf, aber die sah er bei der Übung weniger in Gefahr. Als schwierig bezeichnete er die Übung nicht, eher kostete sie Überwindung, auf einen lebenden Körper zu zielen, weil sich ein Treffer trotz Übungswaffen merkwürdig anfühlte. Nach einigen Versuchen wechselten sie in die Position des jeweils anderen.


    Irgendwann verstanden die beiden, dass eventuell auch Schwertkampf und Dolch aneinander geübt werden sollten, waren sich darin aber beide nicht sicher. Es blieb nicht so viel Zeit für jede Übung, weil so viel auf dem Programm stand, und schon ging es weiter zum Pferd. Zu seiner Erleichterung stellte Sempronius fest, dass es sich um kein lebendes Tier handelte. Stümpernde Anfänger an einem fühlenden Wesen, das wäre in einer Katastrophe geendet.


    Sempronius schaffte es nicht, in voller Ausrüstung auf das hölzerne Pferd zu gelangen. Er trug die Lorica segmentata, den Schienenpanzer der Milites, der sich nicht gut zum Reiten eignete, geschweige denn zum Aufspringen auf ein Pferd. Die Prätorianer und andere Einheiten zu Pferd trugen daher auch die Lorica hamata, das Kettenhemd. Bestimmt war das nur ein Test des Ausbilders.

    Abgesehen von seinen körperlichen Blessuren schritt Sempronius im Grunde jeden Tag erwartungsvoll zum Antreten und ließ sich überraschen, wie das Tagesprogramm aussah. Dass jeder seiner Lieblingsdisziplin und ebenso eine weitgehend verhasste besaß, fand er nicht überraschend, wobei er bei sich eigentlich keine feststellte, die er gar nicht mochte. Er sah sich als pflichtbewussten Mann ohne größere Ansprüche, aber wenn er sich etwas wünschen könnte, dann wäre es Abwechslung und zuweilen Überraschendes.

    Heute überraschte ihn der Ausbilder mit einer ungewohnt langen Rede. Immer, wenn Sempronius dachte, sie wäre am Ende, kam ein neuer Absatz. Bei manchem fühlte er sich nicht angesprochen, anderes durchdachte er. Spätestens bei der Ankündigung von Phase zwei, riss er die müden Augen auf und konzentrierte sich einmal mehr.

    Nach dem, was er hörte, würde der Gladius aller Voraussicht nach zu seiner Lieblingswaffe werden und in Gedanken führte er alle beschriebenen Bewegungen aus. Der Pugio begeisterte ihn weniger, aber er hörte auch hier interessiert zu. Da ihm nachgesagt wurde, eher für das Grobe geeignet zu sein, verstärkte sich seine spontane Vorliebe für den Gladius.

    Das Scutum ordnete Sempronius auch den groben Ausrüstungsgegenständen zu, daher wuchs es ihm gleich bei der ersten Beschreibung ans Herz. Vor allem der Gedanke, Füße mit dem Schild zu quetschen, gefiel ihm, wobei er gleichzeitig erschrak,. denn er wollte weder brutal noch sadistisch sein. Er sah sich in Gedanken bereits einem tobenden Mob gegenüber, dem er Körperkraft und Schild entgegensetzte. Sein Herz fing heftig zu klopfen an und er brannte darauf, in Tuchfühlung mit den Waffen zu gehen und sie sich Untertan zu machen. Ohne dass er darauf aufmerksam gemacht wurde, kam die Erkenntnis, dass er zur Umsetzung seiner Träume brauchbare Armmuskeln benötigte, was ihm Motivation für ein diesbezügliches Training gab, was wie gewünscht sogleich folgte.

    Sempronius wählte als Partner Postumius, weil er ihn für gleichwertig hielt. Zumindest waren sie im gleichen Alter. Sempronius verstand die Übung so, dass sie einander mit den Holzschwertern attackieren sollten. Weil sie keinerlei Deckung hatten, wären Postumius und er schon nach wenigen Minuten den mehrfachen Tod gestorben, wenn es sich um einen Ernstfall handeln würde, aber sie stachen und droschen weiter auf sich ein. Immer, wenn Sempronius auffiel, dass er von oben drosch, korrigierte er sich selbst und übte, von unten oder waagerecht zuzustoßen. Sowohl er als auch Postumius landeten etliche Treffer, die blaue Flecken verursachten. Irgendwann entschlossen sie sich, dass nur der Angreifer ein Schwert hielt und der Angegriffene ein Schild. So machte die Übung mehr Sinn.

    Mit dem Pugio stellte sich Sempronius ungeschickt an. Seine Hände erschienen ihm für den Griff zu groß und zu schwitzig, aber vor allem störte er sich an der kurzen Klinge. Er konnte nicht, wie beim Schwert, auf Abstand zum Gegner bleiben.

    Bei der Schildrunde nahmen Sempronius und Postumius an, beide müssten ein Scutum halten. Sie verabredeten, sich nicht gegenseitig auf die Füße zu schlagen, weil sie diese für die weitere Ausbildung einsatzbereit brauchten. Irgendwann waren die Runden absolviert und lahme Arme ließen die Schilder auf den Boden sinken. Los ließ aber keiner die Waffe.

    Der Marsch nach Tivoli und zurück lag hinter Sempronius, ebenso das gestrige Antreten vor der Baracke und ein todesähnlicher Schlaf. Als er am Morgen Stimmen hörte, kämpfte der Wille zum Aufwachen gegen das Bedürfnis weiterzuschlafen. Gäbe es Spiegel in der Castra, er würde in keinen sehen wollen, weil sich seine Augen beinahe zu jeder Tageszeit wie Schlitze anfühlten. Es kostete ihn Mühe, sie offenzuhalten. Im Zustand des Schlafens oder Träumens musste er nicht gegen das Zuklappen ankämpfen, was ihn mit Zufriedenheit und Leichtigkeit erfüllte.

    Leider wurden die morgendlichen Geräusche lauter, denn aus der Übermüdung heraus wuchs die Ungeschicklichkeit einiger Barackeninsassen, sodass es zuweilen schepperte.

    "Jungs, ihr trampelt wie Tiere!" Er saß inzwischen auf seiner Bettstatt und rieb die Augen. Sie schmerzten und fielen immer wieder zu. Nach einem Seufzer rutschte er zum Rand und stemmte sich langsam hoch. "Zum Hades, ich habe Muskelkater." Er hätte gern laut geflucht, aber selbst dazu fehlte ihm die Kraft. Das einzige, was auf Hochtouren arbeitete, war sein Magen, denn der knurrte und schien ständig Verdauungsbedarf anzumelden.

    Nach einer Ladung kalten Wassers in Nacken und Gesicht, sowie einem reichhaltigen Frühstück, marschierte er mit den anderen zum Exerzierplatz. Zwar wusste er nicht, ob dieser Treffpunkt für den heutigen Morgen stimmte, denn es erging keine Anweisung am gestrigen Tag, aber gänzlich falsch konnte es nicht sein. Sie stellten sich in einer Linie auf und warteten.

    Den bekannten Aufgaben wurden neue hinzugefügt, wobei sich die meisten von selbst erklärten, aber Sempronius zuweilen auch vor einem Rätsel stand. Gut möglich, dass er erschöpfungsbedingt nicht präzise wie sonst überlegen konnte, daher musste er sich erklären lassen, wie Rumpfbeugen und Liegestütze in Form von Runden absolviert werden konnten.

    Die Huckepackaufgabe lief mittlerweile gut und Plancius gab Acht, beim Festhalten nicht den Hals seines Trägers abzuschnüren. Der Sprint fiel gemäßigt aus, da der Trainingszustand der Tirones am ersten Tag auf dem Exerzierplatz noch zu wünschen übrig ließ.

    Anschließend wurden sie in die Unterkünfte geschickt, um die Ausrüstung anzulegen. Sempronius flitzte noch einmal bei den Latrinen vorbei, nahm anschließend reichlich Wasser auf und trat wie gefordert an. Er fand es eintönig, immer wieder nach Tivoli marschieren zu müssen und nahm sich vor, sollte er jemals selbst Ausbilder sein, darauf zu achten, die Ausbildung abwechslungsreicher zu gestalten.

    In der Zeit, als Sempronius getragen wurde, regulierte sich seine Atmung und das Druckgefühl auf dem Kehlkopf ließ nach. Bei der nächsten Runde, wo er Plancius schleppen musste, würde der sich einen anderen Griff ausdenken müssen, weil Probleme beim Atmen die Leistung verschlechterten, aber erst einmal legte jeder für sich zwei Runden zurück. Die Übung erinnerte ihn an seine Arbeit in der Küche einer Taberna zur Stoßzeit, als er mehrere Kochstellen mit dem unter dem Herd gelagerten Brennholz versorgen musste. Zwar musste er nicht so oft und regelmäßig nachlegen, aber der Gang ins Knie, das Aufrichten und erneut Absenken ähnelte der Aufgabenstellung. Um sich die Runde mental schmackhaft zu machen, erinnerte er sich an die Essensgerüche von damals zurück. In Runde zwei ging er die Speisen durch, die auf dem Herd gegart wurden. Auf diese Weise abgelenkt, spürte er zwar eine angemessene Ermattung der Beine, aber die Zeit verflog schneller als gedacht.

    Wie vorgegeben, gönnten sie sich eine kurze Pause, die Plancius und Sempronius gleich für die Besprechung der nächsten Aufgabe nutzten.

    "Ich fange wieder an mit tragen. Dieses Mal hockst du auf den Schultern, also halte dich am Kopf fest und nicht am Hals." Plancius kniff die Augen zu einem Schlitz zusammen. "Auf den Schultern? Das war doch noch mal Huckepack."

    "Ne, Huckepack ist Huckepack und geschultert heißt, auf den Schultern." Als ehemaliger Verwalter nahm Sempronius grundsätzlich alles genau. Der Rücken war etwas anderes als Schultern und demzufolge hockte der Trainingspartner jeweils anders.


    Das auf-die Schulter-klettern gestaltete sich nicht schwierig, denn in der Hocke konnte beinahe jeder auf die Schultern eines anderen klettern. Das Aufstehen stellte für den Träger die erste Herausforderung dar, denn die Beine mussten ein doppelt so schweres Gewicht stemmen als sie es sonst taten. Einmal auf den Beinen, lief es sich aber relativ leicht. Sempronius musste nicht nach vorn gebeugt laufen wie beim Huckepack, das dankte ihm der Rücken.

    Nach dem Wechsel versuchte er, sich selbst auszubalancieren, als er oben saß, und hielt sich nur mit einer Hand an der Stirn seines Trägers fest. Der Ausblick erfreute ihn. Die Perspektive war eine andere, auch wenn er kaum zwei Doppelschritte höher die Castra begutachten und die hier Stationierten beobachten konnte. Entsprechend fröhlich stieg er am Ende der Runde ab.

    "Können wir mal wieder machen", sagte er grinsend zu Plancius.

    Da sich Sempronius auf die Ausbildung freute, hörte er auch aufmerksam zu, als die Aufgabe bekanntgegeben wurde. Er beglückwünschte sich dazu, einer der Älteren zu sein und vielleicht auch aufgrund dessen zu den Stabilsten zu gehören. Ihn zu tragen, würde kein Kinderspiel sein, aber beinahe jeden aus der Gruppe würde er Händeln können, zumindest dachte er das, ohne es vorher auszuprobieren.


    Sempronius schaute links, sah Plancius und resümierte, einen tragbaren Tiro erwischt zu haben, auch wenn der nicht mehr zu den ganz Jungen zählte. Sempronius drehte ihm den Rücken zu und lud ihn ein aufzusitzen. Seine Hände hielt er parat, um den Körper zu stützen, damit Plancius nicht sofort wieder herunterrutschte. Der ruckelte sich zurecht und ohne lange zu warten, ging Sempronius los, um die geforderten beiden Runden abzuleisten. Der Großteil in Runde eins lief gut, auch wenn der Getragene wie ein Sack auf seinem Rücken hing, sodass Sempronius' Arme gefühlt immer länger wurden.

    "Halte dich mal ein bisschen mit fest." Der Angesprochene verstand, setzte seine Arme ein und erleichterte für den Moment das Tragen, aber irgendwann verließ ihn die Kraft aus den haltenden Armen, sodass er mit seinem Klammergriff immer mehr Richtung Hals und Kehlkopf seines Trägers rutschte. Auf dem letzten Teilstück der zweiten Runde röchelte Sempronius, um seine Lungen überhaupt mit Luft versorgen zu können. Nach dem Absetzen beugte er sich vor, um besser durchatmen zu können.

    Er gönnte sich einige Atemzüge, bevor er sich selbst Huckepack nehmen ließ, und achtete darauf, nicht die gleichen Fehler wie Plancius zu machen.

    Allein die Tatsache, dass Sempronius Lesen und Schreiben konnte, wies darauf hin, dass er mehr als nur die Erziehung der Familie genossen hatte. Einen Privatlehrer konnte sich die Familie nicht leisten, daher tat man sich mit mehreren Familien zusammen und bezahlte einen Gemeinschaftslehrer. Aus dieser Zeit kannte er die Konstellation, dass ein Lehrer immer seine Lieblinge hatte, zumeist solche, die schleimten, was Sempronius abstoßend fand. Er selbst legten keinen Wert darauf, Liebling zu werden, da er seinen bisherigen Lebensweg aus eigener Kraft zurückgelegt hatte.

    Seine Kameradschaft verteilte er ebenfalls nicht pauschal, denn dafür brauchte es mehr als die Eingruppierung, Tiro der Cohortes Urbanae zu sein. Wer sich in Sachen Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Gradlinigkeit bewährte, käme als Kandidat für Kameradschaft infrage.

    Da Sempronius zu den ordentlichen Menschen gehört und selbst auf einem Übungsmarsch an die Pflege seiner Ausrüstung dachte, zog er sich den Schuh in Bezug auf bessere Ordnung und Pflege nicht an. Er neigte prinzipiell zum Pingeligen oder Pedantischen und legte Sauberkeit gewiss nicht großzügig aus. Insofern waren die Barackenthemen schnell abgehakt und die Konzentration galt dem weiteren Verlauf der Ausbildung, die heute auf dem Exerzierplatz stattfinden würde. Sempronius freute sich und schritt tatendurstig aus.

    Bis zum Abend setzte Sempronius einen Fuß vor den anderen und irgendwann traf er mit den anderen in der heimischen Castra ein. Gäbe es häufiger solche Übungsmärsche, würde er abstumpfen, weil sie ihm nichts gaben. Daran änderte auch die Tatsache nichts, wenn sich Kleinigkeiten wie Zeitvorgaben oder verschiedene Ausrüstungen änderten. Er stand mit den anderen vor der Baracke und wartete gespannt darauf, was der neue Tag bereithalten würde.

    Die Anweisungen erfolgten und Sempronius tat, wie ihm geheißen. Es gab nichts Neues zu beachten, also verfiel er beizeiten in einen Trott, der ihn Schritt um Schritt laufen ließ, ohne dass er bewusst einen Fuß vor den anderen setzte. Er musste auf nichts anderes achten, als den Anschluss zu halten. Seine Gedanken galten anderen Dingen. Er dachte an die Kampfausbildung, an Strategieunterweisungen, das Exerzieren und sogar an die Pflege seiner Ausrüstung. Seine Stiefel waren frisch gewachst, um das Leder geschmeidig zu halten, aber der Panzer konnte noch etwas Politur gebrauchen. Den würde er sich morgen vornehmen, denn heute am Abend plante er nichts mehr ein.

    Am Morgen wachte er ohne Vorfreude auf, weil er das Marschziel bereits kannte. Sowohl der Weg als auch der Ort boten nichts Neues. Nach seiner Erfahrung erschien ein Weg, der mehr als einmal beschritten wurde, zudem kürzer als beim ersten Mal, daher schreckte ihn diese Aufgabe wenigstens nicht. Er wusste nur nicht einzuschätzen, ob es dieses Mal auch eine stundenlange Verschnaufpause gab, oder ob sie sofort wieder zurückmarschierten. Hin wie her, das hatten viele Soldaten vor ihm geschafft und er hielt sich nicht für ein Zärtelchen.


    Mental und körperlich gestärkt schritt er mit den anderen zur Baracke, bildete eine Linie und wartete auf den Ausbilder.

    Sie bekamen einen Tag zum Ausruhen, bevor der nächste Gewaltmarsch anstand. Runden laufen zählte zwar auch zur körperlichen Ertüchtigung, aber Sempronius empfand sie im Vergleich zum Strecken abreißen wie die Ruhe vor dem Sturm. Den Gruß zu üben, erforderte nicht einmal nennenswerten Muskeleinsatz. Sie grüßte im Wechsel mit dem Laufen, sodass sich der Atem immer wieder beruhigen konnte. Der Tag diente vermutlich zum Kräftesammeln, so auch der rechtzeitige Feierabend. Sempronius plagte kein Muskelkater, daher sparte er sich den Weg zur Therme. Er legte sich auf sein Bett, döste eine Weile und drehte sich noch vor Einbruch der Dämmerung zum Schlafen auf die Seite.

    Ihr Ziel am heutigen Tag lautete Exerzierplatz, dem Sempronius mit einer erheblichen Neugier entgegenschritt, weil es eine neue Erfahrung darstellte. Auch die Wiederholung des Grußes, oder besser die praktische Ausführung nach der theoretischen Unterweisung, fand er gut. Er beobachtete, wie sich Sittius anstellte und lauschte den Kommentaren des Ausbilders. Sempronius konnte nicht einschätzen, wann er übertrieben steif wirkte und wann der passende Grad an Aufrichtung erreicht sein würde. Einen Spiegel gab es nicht, aber gleichzeitig glaubte er, es kam im Grunde mehr auf die innere Einstellung an, die nach außen transportiert wurde, als auf ein optisch makelloses Erscheinungsbild.

    Ihr Übungspartner sollte also ein Kamerad sein, was die Ernsthaftigkeit auf eine Probe stellte. Bestimmt würde niemand herumalbern, aber es fehlte naturgemäß der Respekt, den Vorgesetzte alleine durch ihre Position einflößten. Einen Kamerad konnte Sempronius nur bedingt ernst nehmen. Er nahm sich vor, beim Gruß auf die Stirn seines Übungspartners zu sehen und den direkten Blickkontakt zu vermeiden.

    Als Sempronius dran war, räusperte er sich zunächst, dann wurde er ernst, straffte sich im Körper und heftete den Blick auf den Haaransatz seines Gegenübers. Seine Faust suchte in einer zackigen Ausführung die Mitte der Brust, bevor er den Arm parallel neben den Körper zurückführte.

    "Salve!" Dann stockte er, weil er erst überlegen musste, wie er den Kameraden überhaupt anreden sollte. "Tiro Postumius!"

    Sempronius gehörte zu jenen Personen, die viel beobachteten, aber wenig redeten. Während der Opferzeremonie war dies ohnehin angebracht, aber im Alltag verhielt er sich ebenso. Rückblickend auf die kurze Zeit innerhalb der Castra, in der zwischen der Tauglichkeitsuntersuchung mit anschließender Vereidigung und dieser Grundstücksweihe nur ein Einkaufsbummel und die Begehung der verschiedenen Einrichtungen in der Castra Praetoria lag, traf er bei nahezu jeder Gelegenheit den Optio Iunius. Sempronius schlussfolgerte daraus, dass dieser Optio entweder besonders wichtig und deswegen allgegenwärtig war, oder eine Affinität zwischen ihm und seinem Ausbilder bestand, die dafür sorgte, dass die beiden ständig die Nähe zueinander suchten. Er nahm sich vor, die Angelegenheit im Auge zu behalten.

    Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, sich im Hintergrund zu halten, äußerte er sich zu der Nachfrage des Optio aus dem Valetudinarium, ihren Ausbilder Cornicularius Purgitius betreffend. "Bisher hat er sich gut benommen, ja." Mehr als der Einführungstag lag allerdings nicht hinter den Tirones, daher konnten sie keine Aussage zur Ausbildung selbst treffen, denn die begann mit dem Übungsmarsch erst nach der Grundstücksweihe.

    Sempronius hätte gern mehr berichtet, aber dafür war es zu früh. Wer ihn fragte, konnte stets mit einer ehrlichen Antwort rechnen.

    Sempronius wankte mehr in die Castra als dass er lief, aber er kam an und das war die Hauptsache. Sein Gehirn hatte längst abgeschaltet und der Focus lag einzig auf dem Bett, als er aus seinem Laufautomatismus gerissen wurde und noch einmal antreten musste. Was es zu sagen gab, konnte er weder verarbeiten noch interessierte es ihn, wobei anhalten noch ging, aber noch einmal loszulaufen, lag außerhalb der Vorstellungskraft des jungen Mannes, und er würde es müssen, wollte er in seine Baracke gelangen und nicht auf dem Erdboden vor Baracke VII schlafen. Noch nie im Leben fühlte er sich derart kraftlos wie jetzt. Würde er seine Beine spüren, wären ihm die brennenden Fußsohlen aufgefallen, aber dort, wo Beine den Körper trugen, fühlte er bestenfalls Wackelpudding.

    Gern wäre er nach dem Befehl zum Wegtreten grußlos gegangen, weil der ohnehin wortkarge Sempronius keine Energie zum Sprechen mehr übrig hatte, aber ein Gruß war nicht nur hier elementar, sondern gehörte generell zu seinem Repartiere an Höflichkeiten, also hauchte er einen Gruß hin, der wohl mehr an den Lippen abzulesen als zu verstehen war.

    "Salve, Cornicularius Purgitius." Er merkte, dass etwas nicht stimmte und musste sich noch einmal zum grüßen aufraffen, um zu korrigieren. "Vale meinte ich." Er wankte zu seiner Baracke, ging durch die Tür, die er offen stehenließ, fiel vorn über auf sein Bett und blieb so liegen. Ein leichter Schwindel erfasste ihn, dann versank er in einen Schlaf, der einer Bewusstlosigkeit glich.


    Am nächsten Morgen holten ihn Geräusche aus dem bewusstlosigkeitsähnlichen in einen flachen Schlaf. Vom Aufwachten war er entfernt, aber er registrierte, dass sich etwas in seiner Umgebung tat, bis ihn jemand an der Schulter rüttelte.

    "Steh auf, Carus! Wir müssen gleich antreten." Die Aussage 'gleich' sollte ihn hochfahren lassen, was gelang. Sein Kopf ruckte hoch, aber die Lider öffneten sich nicht, weil Bleigewichte an ihnen hingen. Jemand packte ihn, zog am Kopf und kurz darauf fühlte Sempronius, wie eisiges Wasser über den Hinterkopf Richtung Gesicht rann, um klatschend in einer Schüssel zu landen.

    Der Schreck stellte seine Ohren auf Empfang und wenig später öffneten sich die Augen. Ein breites Grinsen erkannte er als erstes, danach registrierte er, wie sich die restlichen Kameraden beeilten.

    "Ist was passiert?" "Ein neuer Ausbildungstag ist passiert. Los man!"

    Anziehen brauchte sich Sempronius nicht, er trug noch die gestrige Kleidung. Das Frühstück ließ er ausfallen, das Waschen ebenfalls. Immerhin arbeitete sein Gehirn wieder und so schritt er in Gesellschaft der anderen Tirones zu Baracke VII, trat an und grüßte.

    "Salve, Cornicularius Purgitius." Er fühlte sich noch immer schlaff, aber deutlich besser als gestern nach der Ankunft.

    Die letzten Schritte fielen leichter, weil jeder einzelne Sempronius dem Ziel näherbrachte. Auch achtete er nicht auf die Strapaze, weil seine Sinne mit allerlei Eindrücken beschäftigt waren. Er achtete auf die Häuser, sah sich nach einer Stadtmauer um, erkannte Einwohner, aber ein Befehl unterbrach die Begutachtung der Stadt. Wie befohlen, trat er in Linie an. Er stand ganz freiwillig still, weil ihm nicht mehr nach Bewegung zumute war, und hörte zu. Der Anfang der Erläuterungen traf seinen Geschmack, weil ihr erstes Ziel eine Taberna darstellte. Trinken, was gäbe er aktuell für eine Posca, aber was danach kam, schmälerte erheblich die Freude, denn ihnen wurde kundgetan, dass der Rückmarsch nicht, wie erwartet, morgen, sondern in Kürze stattfinden sollte. Sempronius' Kinnlade klappte ein wenig nach unten, bevor er sich besann und den Mund wieder schloss. Als Trostpflaster diente die Aussage, dass es keine Zeitvorgabe gab.

    Das mit den zwölf Stunden verstand er nicht auf Anhieb, aber er sagte sich, wenn er den Kameraden und dem Ausbilder hinterher lief, konnte nichts schief gehen. Als erstes lief er seinem Ausbilder zur nächsten Taberna hinterher. Er ließ sich auf eine Bank fallen, stützte die Unterarme auf den Tisch und wartete sehnsüchtig auf das Getränk.


    Zu seiner Erleichterung brachen sie nicht sofort auf, sondern rasteten mehrere Stunden, aber auch die längste Pause ging einmal zu Ende, sodass sich Sempronius aufraffen musste, um wieder Richtung Westen zu gehen. Die Feldflasche hatte er in der Taberna mit Wasser aufgefüllt. Auf dem Hinmarsch sprach er wenig. Den Rückmarsch legte er nahezu schweigend zurück. Die Füße schmerzten, die Riemen scheuerten, irgendwann war seine Flasche leer und er wünschte sich in sein Bett.

    Obwohl sie nicht in brütender Sommerhitze liefen, erzeugte das unermüdliche Laufen Durst. Sempronius nahm immer nur einen Schluck, spülte den Mund aus und schluckte anschließend das wertvolle Nass hinunter, anstatt es auszuspucken. Er wollten sparen, denn obwohl sie mal näher, mal etwas entfernt von einem Nebenfluss des Tibers liefen, wusste er nicht einzuschätzen, ob sich das Wasser zum Trinken eignete, denn Tivoli, das von Sempronius Tibur genannt wurde, könnte vielleicht die Abwässer in die Arienne leiten, so wie das in Rom mit dem Tiber geschah. Bestimmt würden sie ihren Durst nach der Ankunft stillen können.

    Problematisch war, dass sie auf ein ansteigendes Gelände zugingen, denn Tibur lag an den Hängen der Monti Tiburtini. Positiv hingegen war die angenehme klimatische Auswirkung dieser Berghänge, je näher sie ihrem Ziel kamen. Dadurch und des vielen Wassers wegen in der Gegend, mobilisierte Sempronius gegen Ende noch einmal alle Kräfte.

    "Wenn wir ankommen, gibt es kühles Wasser und du kannst dich hinsetzen", versprach Sempronius seinem Wegbegleiter, mit dem er seit einer guten Stunde nahezu im Gleichschritt ging, der aber auf den letzten Meilen schwächelte.

    "Da vor, siehst du das Ziel?" Sempronius wies Richtung Horizont.

    Die Ankündigung, fünf Stunden zu laufen, rang Sempronius mehr Respekt ab, als die Strecke innerhalb dieser Zeit zu schaffen, denn er überschlug im Kopf, dass es sich bei der zu absolvierenden Geschwindigkeit, um eine zwar zügige, aber im Großen und Ganzen machbare Schrittgeschwindigkeit handeln musste. Es galt für ihn daher nicht, sich die Kräfte einzuteilen, sondern schlicht durchzuhalten, weil er am Tag bisher zwar viel lief, aber nie in einem Stück. Ohne Ausrüstung sollte dies trotzdem machbar sein. Anders als Tettius würde er an Luft und Spucke sparen, denn wer viel redete, verbrauchte zusätzlich Kraft. Außerdem trocknete Reden den Mund aus. Die Cingula militares trugen sie alle, aber ob auch alle ihre Feldflasche mitgenommen hatten, wusste Sempronius nicht. Seine baumelte am Gürtel.

    Da er Rom noch nie verlassen hatte, sah er sich zuweilen skeptisch um. Die Gegend kam ihm einsam vor, als Rom hinter ihnen lag und es dauerte eine Weile, bevor sich seine Sinne schäften. Wahrscheinlich würde er am Ende stumpf einen Schritt vor den anderen setzen, aber noch fühlte er sich fit und wach, um die Landschaft zu bewundern. Er hörte und roch sehr viel mehr als in Rom.

    Dass Tivoli ihn mehr beeindruckte als Rom, erwartete er nicht, ganz gleich, was dort für Bauten standen, aber die Wasserspiele würde er sich gerne ansehen.

    Sempronius schlief gut, stand aber bewusst noch vor dem Morgengrauen auf. Er wollte sich Zeit nehmen, wenn er die Ausrüstung anlegte. Vieles erschloss sich von selbst, aber bei manchen Schnüren musste er erst probieren, wie sie am angenehmsten festzuziehen waren oder überhaupt hielten. Nach einem reichhaltigen Frühstück machte er sich auf den Weg zu der bekannten Baracke, traf bereits den Ausbilder an und überlegte krampfhaft, was er sagen sollte. Eine Meldung kam nicht in Frage, eher ein morgendlicher Gruß.

    "Salve Cornicularius Purgitius." Er wartete ab, was die anderen sagten. Die Faust auf der Brust musste erst zur Gewohnheit werden. Er fänd es hilfreich, den Gruß zusätzlich zu den schriftlichen Informationen einmal vorgeführt zu bekommen.


    Kurz darauf ging es los. Noch lief es sich leicht, aber die genannte Strecke flößte ihm Respekt ein.

    Sempronius fühlte sich auf der einen Seite besonders, als er in Ausrüstung durch Rom schritt, auf der anderen Seite fehlte ihm alles Basiswissen, was ihn letztendlich verunsicherte. Er redete daher kam, sah sich mehr um und einiges von den Erfahrenen ab, wo er der Meinung war, dass das Verhalten bewusst gezeigt und nicht zufällig war. Seine Unsicherheit ließ er sich nicht anmerken, denn die Fassade zu bewahren, hatte er gelernt. Da ihm Einkaufen noch nie Spaß gemacht hatte, sah er sich nicht mehr um, nachdem er Salz erworben hatte. Dafür achtete er auf die Händler, Kaufinteressierte und Spaziergänger. Er sah sie mit neuen Augen. Irgendwann ging es zur Castra zurück und in den Feierabend.

    Der Rundgang endete bei der Unterkunft des Ausbilders, die sich Sempronius merkte. Noch ähnelten sich alle Baracken, aber bald würde er den Überblick über das gesamte Castragelände haben, so lief das immer, das wusste er von seinem Cousin. Die nächste Anweisung beorderte alle Tirones in die eigene Unterkunft, um die Unterlagen wegzubringen. Sempronius schätzte, sie würden ansonsten stören, weil sie nicht beide Hände frei hatten. Natürlich konnte er sich nicht den gesamten Inhalt von einmal durchlesen einprägen und hoffte, nicht in eine Situation zu kommen, wo dieses Wissen fehlte.

    In der geforderten Zeit kehrte er zur Baracke seines Ausbilders zurück und wartete gespannt, was als Nächstes passieren würde.