Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Sim-Off:

    Im Folgenden lege ich die Auslegung der Gesetze in der Form dar, wie sie sich nach (meinem) aktuellem Wissensstand im 2. Jh. n. Chr. dargestellt hat. Diese Auslegung ist nicht mit den modernen Auslegungsregeln zu verwechseln!


    Liber de Interpretatione Legum

    Auli Iunii Taciti



    Praefatio


    Die Gesetze sind zweifelsfrei die bedeutendste Grundlage unserer Rechtsordnung. Wobei ich hiermit nicht ausschließlich die als solche bezeichneten beschlossenen Texte meine, sondern auch die Edikte der Imperatores Caesares Augusti und Praetores und den Mos Maiorum. Mit Ausnahme des Mos Maiorum handelt es sich hierbei stets um schriftlich niedergelegte Regelungen. Um genau diese soll es in diesem Handbuch gehen, da deren Interpretation oft die eigentliche Schwierigkeit der juristischen Arbeit darstellt. Der Mos Maiorum hingegen setzt die Rahmenbedingungen, um bei der Auslegung der Gesetze zu helfen und Lücken zu schließen.


    In der Hoffnung, etwas Nützliches verfasst zu haben, wünsche ich meinen Lesern eine erfolgreiche Lektüre.



    Interpretatio ad verbum


    Ganz grundsätzlich hat die Auslegung der Gesetze nach deren Wortlaut zu erfolgen. Das lässt sich daraus herleiten, dass stets große Mühe auf eine klare und deutliche Formulierung der Gesetze gelegt wird, um so präzise wie irgend möglich das Gewollte auszudrücken. Spielräume sollen möglichst vermieden werden. Man kann also davon ausgehen, dass ein Gesetz stets das ausdrückt, was der Gesetzgeber gemeint hat.


    Unglücklicherweise wandelt sich aber die Sprache mit der Zeit. Ein extremes Beispiel stellt das Carmen Saliare dar, dessen Text kein gewöhnlicher Römer mehr versteht, obwohl es doch in lateinischer Sprache verfasst wurde. Doch auch bei weniger altem Latein liegen bereits Änderungen der Sprache vor. So ist die Lex XII Tabularum nur deshalb noch weitestgehend verständlich, weil die Bedeutung der ursprünglichen Worte durch ständige Übung übertragen wurde.

    Aus dieser Wandlung der Sprache kann es vorkommen, dass der Wortlaut nach Jahrhunderten anders verstanden wird, als es ursprünglich beabsichtigt wurde. Fraglich ist, wie in diesem Fall vorzugehen ist.


    Man könnte nun davon ausgehen, dass die ursprüngliche Bedeutung beizubehalten ist. Dafür spricht, dass es ja auch genau dem entspricht, was der Gesetzgeber ursprünglich formuliert hat. Eine Anpassung der Auslegung an die sich ändernde Sprache würde ja einen vom Gesetzgeber bei der Formulierung des Gesetzes ungewollten Wandel bedeutet.


    Dagegen spricht, dass Gesetze das soziale Zusammenleben regeln sollen. Geht man davon aus, dass der Wandel der Sprache mit einem Wandel der Lebensrealität zusammenhängt, dann wäre eine solche Anpassung der Bedeutung des Gesetzeswortlauts im Sinne der sich ändernden Gesellschaft. Doch muss dabei auch beachtet werden, dass hierbei keine widersinnigen Ergebnisse entstehen.


    Wie lässt sich also diese Problematik lösen? Eine Möglichkeit wäre es, die ursprüngliche Bedeutung zu konservieren und die genaue Bedeutung der Worte zum Zeitpunkt der Formulierung des Gesetzes zu ermitteln. Zweifelsfrei wäre das die optimale Lösung. Doch was ist, wenn sich dieses nicht bewerkstelligen lässt? Wie legt man dann das Gesetz aus? Hier sollte man neben der aktuellen Bedeutung der Worte auch den Mos Maiorum beachten. Diese Berücksichtigung sollte in aller Regel zu einem vertretbaren Ergebnis führen. Doch sollte auch beachtet werden, dass sich auch der Mos Maiorum mit der Zeit ändern kann.


    Deshalb plädiere ich dafür, auch die Meinung des Kollegen Publius Iuventius Celsus zu berücksichtigen und im Zweifelsfall eine Interpretation nach dem Zweck des Gesetzes vorzunehmen. Dieses wird im Kapitel „Interpretatio ad potestatem“ genauer erläutert.


    Ein weiteres Problem besteht dann, wenn sich herausstellt, dass es eine Lücke im Gesetz gibt. Hier ist zunächst zu prüfen, ob es woanders im gleichen Gesetz oder in anderen Gesetzen einen geregelten Sachverhalt gibt, der diese Lücke füllt. Existiert eine solche Regelung, so ist sie selbstverständlich anzuwenden und auszulegen.


    Wie geht man aber vor, wenn es keine entsprechende Regelung gibt? Zunächst sollte man sich dann die Frage stellen, ob es in diesem Fall nicht ein klares Verhalten gibt, das nach Mos Maiorum erwartet werden kann. Dann ist dieses Verhalten selbstverständlich die vorausgesetzte Norm und eine weitergehende Auslegung erübrigt sich.


    Wenn die Füllung der Lücke aber auch mit dem Mos Maiorum nicht gelingt, was nur höchst selten der Fall sein sollte, gibt es prinzipiell zwei verbleibende Möglichkeiten. Entweder ist es vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, den Sachverhalt ungeregelt zu belassen. Dann existiert keine Regelung und der Sachverhalt ist absichtlich so belassen, dass eine außergerichtliche Einigung gefunden werden soll. Hier soll logisch vorgegangen werden und ein Ausgleich aller beteiligten Interessen gefunden werden. Dabei sollte auch stets beachtet werden, dass dies zu keinem Ergebnis führt, das im Widerspruch zu bestehenden Gesetzen steht. Auch der Wille der Götter ist zu beachten und, sollte dieser beeinträchtigt werden können, ein Gutachten des Collegium Pontificum eingeholt werden.


    Die andere Möglichkeit ist, dass es zum Zeitpunkt des Beschlusses des Gesetzes entweder schlicht vergessen wurde, diese Lücke zu schließen, oder dass es durch den Wandel der Gesellschaft im Laufe der Zeit erst zu dieser Lücke kam. So würde es beispielsweise niemanden überraschen, wenn ein Gesetz aus der Zeit, als Rom lediglich über Latium herrschte, keine Regelung zum Umgang mit transalpinen Gebieten gab. Es war schlichtweg nicht notwendig, diesen Sachverhalt zu regeln. Solche Lücken sind ungeplant und bedürfen einer Regelung. Hier sollte zunächst nach einer Interpretation gesucht werden, die sich in bestehende Gesetze einfügt. Falls dieses nicht gelingt, kann ein Gutachten bei den amtierenden Praetores oder dem Imperator Caesar Augustus angefragt werden. Das verschiebt aber lediglich die Auslegung auf die genannten Personen, wenngleich sie in diesem Fall eine für die Zukunft bindende Wirkung entfalten können.


    Grundsätzlich kann eine unbeabsichtigte Lücke durch eine Analogie geschlossen werden. Hierzu sucht man in den Gesetzen, inklusive Mos Maiorum, nach einem hinreichend ähnlichen geregelten Sachverhalt. Die für diesen Sachverhalt gefundene Regel wird dann auf den ungeregelten Sachverhalt übertragen. Ideal ist hierbei ein Sachverhalt der gleichen hierarchischen Ebene. So könnte beispielsweise eine Regelung für einzelne Res mancipi, beispielsweise ein Grundstück, auf eine andere Res mancipi, wie einen Sklaven, übertragen werden. Es ist aber auch möglich, auf unterschiedlichen Hierarchiebenen zu operieren. Hier gibt es zum einen das Argumentum a maiore ad minus, mit dem man vom Größeren auf das Kleinere schließt. Im gesetzlichen Kontext ließe sich hier eine Regelung aus einem allgemeineren Gesetz auf eine Lücke in einem Spezialgesetz, das unter dem allgemeineren Gesetz steht, übertragen. Andererseits ist es auch möglich, ein Argumentum a minore ad maius vorzubringen, womit vom Kleineren auf das Größere geschlossen wird. Hier wäre beispielsweise eine Regelung aus einem Spezialgesetz auf eine Lücke im allgemeineren Gesetz übertragen werden.


    Wenn ein solcher Lückenschluss nicht gelingt, sollte die Lücke nach dem Zweck des Gesetzes geschlossen werden.



    Summa interpretationis ad verbum


    Nach den zuvor genannten Prinzipien ist also ein Gesetz zunächst nach der originalen Bedeutung des Wortlauts auszulegen. Gelingt das nicht, so ist nach der aktuellen Bedeutung der Worte unter starker Würdigung des Mos Maiorum auszulegen. Ist auch dieses nicht möglich, so kann statt dessen der Zweck des Gesetzes zur Auslegung herangezogen werden.


    Bei Lücken in den Gesetzen ist zunächst zu ermitteln, ob die Lücke beabsichtigt ist. In diesem Fall ist ein logischer Interessenausgleich zu finden, der sich widerspruchsfrei in die bestehenden Gesetze und die Pax Deorum einfügt.


    Eine unbeabsichtigte Lücke ist nach Mos Maiorum zu schließen. Gelingt das nicht, ist eine Analogie in den bestehenden Gesetzen zu suchen und auf die Lücke zu übertragen.


    Wenn es auch an einer Analogie mangelt, sollte ein Lückenschluss nach dem Zweck des Gesetzes erfolgen.



    Interpretatio ad potestatem


    Der Kollege Publius Iuventius Celsus vertritt die Meinung, dass Gesetze nicht primär nach dem Wortlaut, sondern nach ihrem Sinn und Zweck (ihre potestas) auszulegen sind (Digesten 1.3.17: Scire leges non hoc est verba earum tenere, sed vim ac potestatem.)


    Der Vorteil dieser Interpretation wird an einem einfachen Beispiel offenbar. Im Codex Iuridicialis ist in § 103.1 geregelt, dass das Waffentragen innerhalb des Pomerium ausschließlich den römischen Stadteinheiten vorbehalten ist. Das heißt, dass Bürger, die nicht in einer Stadteinheit dienen, unter die Strafvorschrift dieses Paragraphen fallen. Nehmen wir nun an, dass die Stadt Rom von feindlichen Truppen erobert wurde. Die Götter mögen verhindern, dass dies jemals geschieht, jedoch sei darauf hingewiesen, dass es hierfür in der Vergangenheit Beispiele gibt. In diesem Fall gibt es keine römischen Stadteinheiten mehr innerhalb des Pomeriums. Nun erheben sich Bürger mit Waffen gegen die Feinde und vertreiben diese. Nach dem Wortlaut des Gesetzes haben sich die Bürger damit strafbar gemacht und ihre Straftat wäre entsprechend zu ahnden. Dieses Ergebnis wäre aber widersinnig, weil es doch im Interesse des Staates sein muss, dass römische Bürger ihre Heimat gegen Feinde verteidigen.


    Die Lösung liegt in einer Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes. In Friedenszeiten ist es nämlich durchaus wünschenswert, dass ausschließlich die römischen Stadteinheiten innerhalb des Pomeriums bewaffnet sind. Einerseits sollen so Kriminalität und Aufstände verhindert und ein friedliches Zusammenleben innerhalb des Pomeriums gewährleistet werden. Andererseits sichert es auch die Pax Deorum, weil die Götter selbst verfügt haben, dass grundsätzlich keine Waffen innerhalb des Pomeriums zu tragen sind. In Kriegszeiten, wenn Feinde innerhalb des Pomeriums sind, entfällt aber wenigstens der erste Zweck, weil das friedliche Zusammenleben mit Feinden unmöglich ist und Widerstand zur obersten Pflicht wird. Dann muss es aber auch möglich sein, sich zu bewaffnen und die Feinde zu vernichten oder zu vertreiben, um den Frieden wiederherzustellen. Dann sollte es aber auch keine Bestrafung für diejenigen geben, die bewaffnet gegen die Feinde gekämpft haben.


    Es erscheint also durchaus sinnvoll, Gesetze eher nach ihrem Sinn und Zweck als nach ihrem Wortlaut auszulegen. Wobei der Wortlaut natürlich den Sinn und Zweck des Gesetzes wiedergibt oder zumindest wiedergeben sollte.


    Nachteilig erscheint bei einer Auslegung nach dem Sinn und Zweck aber, dass dieser nicht immer bekannt ist. Bei neueren Gesetzen findet man diesen noch häufig, insbesondere dann, wenn noch Zeugen der Schaffung des Gesetzes leben, die man fragen kann. Je älter ein Gesetz ist, desto schwieriger wird es. Die Frage ist also, inwiefern eine Ermittlung von Sinn und Zweck überhaupt möglich ist. Hier können teilweise längere Recherchen in Archiven folgen. Sollte das nicht zum Erfolg führen, so bleibt nur eine allgemeine Überprüfung der Gesetze in ihrer Gesamtheit, inklusive dem Mos Maiorum. Und selbst das muss nicht zwingend zum Erfolg führen, beispielsweise bei singulären Regelungen für einen speziellen Sachverhalt. In diesem Kontext erscheint eine Auslegung nach dem Wortlaut der einzig gangbare Weg. Auch bietet eine Interpretation nach dem Wortlaut auch den Vorteil, dass hierbei subjektive Verzerrungen minimiert werden.


    Auch sei erwähnt, dass eine Auslegung nach Sinn und Zweck dazu führen kann, dass Gesetze ganz oder teilweise ihre Wirksamkeit verlieren, weil beispielsweise der Sinn und Zweck nicht mehr gegeben oder unnötig geworden ist. Es wäre aber vermessen, die Korrektur oder Abschaffung des Gesetzes dann in die Hände einzelner Juristen zu legen. Vielmehr sollte dieses allein durch den Senatus oder den Imperator Caesar Augustus erfolgen.


    Daher sollte die Auslegung nach dem Wortlaut bevorzugt werden und nur bei Unklarheiten die Auslegung nach Sinn und Zweck hinzugezogen werden. Bei widersinnigen Ergebnissen einer Auslegung nach dem Wortlaut sollte die Auslegung nach Sinn und Zweck bevorzugt werden.



    Summa interpretationis ad potestatem


    Die Auslegung nach Sinn und Zweck bietet den Vorteil, dass sie zu einer für das Imperium Romanum sinnvollen Anwendung der Gesetze führt und widersinnige Ergebnisse vermeidet.


    Andererseits ist die Ermittlung von Sinn und Zweck häufig mit Schwierigkeiten verbunden, die einer subjektiven Auslegung dienlich sind.


    Daher sollte die Auslegung nach dem Wortlaut bevorzugt werden, die bei Unklarheiten durch eine Auslegung nach Sinn und Zweck unterstützt werden kann. Lediglich bei widersinnigen Ergebnissen sollte die Auslegung nach Sinn und Zweck bevorzugt werden.



    Interpretatio ad totum


    Gesetzliche Regelungen sind stets in der Gesamtheit der Gesetze zu betrachten. Denn eine losgelöste Betrachtung einer einzelnen Regelung führt häufig zu einer falschen Auslegung, was der Kollege Publius Iuventius Celsus trefflich formuliert hat (Digesten 1.3.24: Incivile est nisi tota lege perspecta una aliqua particula eius proposita iudicare vel respondere.)


    Examplarisch sei wieder § 103.1 Codex Iuridicialis erwähnt. Betrachtet man ausschließlich den ersten Absatz, so wäre allen das Waffentragen innerhalb des Pomeriums verboten. Erst aus dem zweiten Absatz wird offenbar, dass den stadtrömischen Einheiten das Waffentragen abweichend hierzu erlaubt ist.


    Doch auch über ein einzelnes Gesetz hinaus ist der gesamte Rechtsrahmen zu betrachten. So wären beispielsweise die Regelungen der Lex Mercatus nicht umfassend und ausschließlich für das Handelsrecht. Vielmehr sind unter anderem auch die Lex XII Tabularum, Lex Atilia und die Lex Laetoria zu beachten, die weitere Einschränkungen mit sich bringen, ebenfalls zu beachten.


    Falls sich einzelne Gesetze ganz oder teilweise widersprechen, kann als einfache Regel gelten, dass neueres Recht stets älteres Recht verdrängt. Im Zweifelsfall gilt also die neuere Regelung.



    Summa interpretationis ad totum


    Grundsätzlich sind weder einzelne Regelungen losgelöst vom gesamten Gesetz zu betrachten, noch einzelne Gesetze losgelöst von der Gesamtheit der Gesetze.

    Fall sich Gesetze ganz oder in einzelnen Regelungen widersprechen, so gilt im Zweifelsfall die neuere Regelung.



    Summa summarum


    Eine Auslegung sollte grundsätzlich nach dem Wortlaut unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Gesetze erfolgen.


    Geplante Lücken sind widerspruchsfrei unter einem allgemeinen Interessenausgleich aller Beteiligten zu schließen, während ungeplante Lücken durch Analogie zu schließen sind.


    Eine Auslegung nach Sinn und Zweck sollte nur zur Aufhebung von Unklarheiten oder zur Vermeidung von widersinnigen Ergebnissen erfolgen.


    Eine Vernachlässigung der Gesamtheit der Gesetze ist unzulässig. Im Zweifelsfall gehen neuere Regelungen den älteren Regelungen vor.


    Ich war heute in der Eifel unterwegs und habe mir erhaltene Reste des Kanals bei Nettersheim angesehen. Das ist eine der Quellen des Eifel-Aquädukts. Es ist schon interessant, wenn man sieht, dass es noch heute einen zuverlässigen Wasserfluss von klarem, sauberem Wasser gibt und die Brunnenfassung trotz ihrer Versandung noch immer ihre Aufgabe erfüllt. Selbst ein versandeter Kanal funktioniert noch.


    Zum Thema Blei möchte auch noch kurz etwas anmerken: Frisches Blei überzieht sich bereits an der Luft mit einer dünnen, aber chemisch inerten Oxidschicht. Die Chemie des Wassers, insbesondere des kalkhaltigen Wassers, führt dazu, dass sich noch schwerer lösliches Bleicarbonat bildet. Auf dem Bleicarbonat wächst in der Regel Calciumcarbonat und, je nach Wasserbeschaffenheit, auch Magnesiumcarbonat auf. Doch selbst ohne die Versinterung ist das Blei bereits passiviert. Insgesamt ist Blei also gar keine schlechte Wahl für Wasserrohre.


    Allerdings gibt es eine andere mögliche Quelle für eine Bleivergiftung in der Antike: Bleiacetat, auch bekannt als Bleizucker. Dieses war als Süßstoff bereits in der Antike bekannt. Das Interessante an Bleiacetat ist, dass es in der optimalen Form für die physiologische Verwertung vorliegt. Aber das hat nichts mit den Wasserleitungen zu tun. ;)

    Der Aedituus vermeldete "Litatio!" und sah mich erwartungsvoll an. Ich blickte kurz nach oben und bedankte mich in Gedanken, als mich ein leichter Luftzug kurz umspielte. Die Richtung, aus welcher der Luftzug kam, passte nicht zur heute vorherrschenden Windrichtung. Wie seltsam. Ob das ein Zeichen Minervas war? Ich nahm es einfach als solches an.


    "Aedituus, wie besprochen bitte ich darum, dass der Tempel das Fleisch verkauft und daraus seine Unkosten deckt. Und ich danke für deine Unterstützung."


    Der Aedituus nickte kurz und wir wechselten noch ein paar Worte. Ich kaufte auch einen Korb voll Opferfleisch und nahm in mit nach Hause, schon weil ich es als unhöflich gegenüber der Göttin empfand, darauf zu verzichten.

    Pacta sunt servanda, das galt erst Recht für Verträge mit den Göttern. Minerva hatte meine Bitte erfüllt, also lag es nun an mir, meine Verpflichtung zu erfüllen. Ich hatte ihr ein Kalb versprochen. Natürlich kaufte ich es nicht selbst, sondern hatte es dem Aedituus des Minerva-Tempels überlassen, dieses zu organisieren. Inzwischen war es da und alles war für das Opfer bereit. So ein großes Opfer hatte ich bisher nie gebracht, deshalb war ich ein wenig nervös. Das Kalb war bereits vor dem Tempel festgemacht und kaute ruhig auf seinem Futter. Der festliche Schmuck von weißen und roten Bändern am Kopf und einer schönen Wolldecke über den Rücken ließ es fast zu schön erscheinen, um es zu opfern.


    Ich schritt die Stufen zum Tempel empor und wusch mir am Eingang meine Hände im dafür vorgesehenen Waschbecken. Dann zog ich einen Zipfel der Toga über meinen Kopf und betrat das Gebäude. Das von mir gewünschte Speiseopfer war bereits angerichtet. Was man mit etwas Geld doch alles im Tempel organisieren konnte. Ich trat vor das Kultbild und betrachtete die Göttin für einen Moment, während ich Weihrauch entzündete.


    "Weise Minerva, ich danke dir, dass du mich die richtigen Argumente hast finden lassen, so wie ich es von dir erbeten hatte. Ich will dir auch erneut, wie so oft, für meinen scharfen Verstand danken. Ich hatte dir ein Opfer versprochen, und ich werde mein Versprechen nun erfüllen. Doch zuvor seien dir diese Süßigkeiten geschenkt. Ich hoffe, dass sie dir gefallen. Das Rezept stammt aus Athen, der anderen deiner Städte. Bitte, nimm meine Gaben an, so wie du auch meine täglichen kleinen Gaben im Lararium annimmst."


    Ich drehte mich nach rechts und nickte dem Aedituus kurz zu. Dieser schritt daraufhin voran zum Altar vor dem Tempel, auf dem das festgemachte weiße Kalb weiterhin ruhig lag. Die weiteren Gäste, die sich spontan hier eingefunden hatten, sowie ich selbst, wurden mit Wasser besprengt. Ich hatte niemanden zu dem Opfer eingeladen, weil ich hier eine persönliche Obligation erfüllte. Der Tempel sollte hinterher das Fleisch verkaufen.


    Nach den Worten "Favete linguis!" an die versammelten Gäste entfernte ich zunächst den Kopfschmuck und danach die Decke vom Kalb. Nach dem Entfernen der Decke sah es mich kurz empört an. Natürlich war es jetzt schlagartig kühler für das Tier. Die Tatsache, dass der Aedituus nun das Kalb mit Mola Salsa bestrich, machte es nicht unbedingt besser, obwohl die Empörung nun einer Art Verwirrung des Tieres wich. Immerhin blieb es weiterhin ruhig. Ein Opferhelfer reichte mir den Culter, mit dem ich vom Kopf bis zum Schwanz über das Kalb strich. Dann gab ich das Messer zurück und hob meine Hände.


    "Minerva, Klügste der Klugen, Weiseste der Weisen, siehe dieses Opfer, welches ich die in Erfüllung meines Versprechens übergebe. Du hast deinen Teil unseres Vertrages erfüllt, nun bitte ich dich, dieses Kalb als Erfüllung meines Teils des Versprechens zu akzeptieren. Sei dir gewiss, dass ich auch weiterhin dir treu opfern werde und mich für die Gabe meines Verstandes, mit der du mich so großzügig gesegnet hast, weiterhin erkenntlich zeigen werde."


    Minerva wusste, dass ich eher nicht der Mensch vieler Worte war. Bisher hatten wir uns auch ohne viele Worte gut verstanden. Hoffentlich würde es auch so bleiben. Das Kalb muhte kurz, wobei ich mir nicht sicher war, ob das nun Zustimmung oder Ablehnung bedeutete. Ich drehte mich nach rechts und sah den Aedituus an. Dieser nickte mir kurz zu, woraufhin ich den Victimarius ansah. Dieser fragte "Agone?", woraufhin ich mit "Age!" antwortete. Daraufhin schlug er mit dem Malleus beherzt auf den Kopf des Kalbs, welches das mit einem erstaunten Blick quittierte. Nur einen kurzen Moment später stieß der Cultrarius das Messer in den Hals des Tieres, woraufhin das Blut zu sprudeln begann. Der Aedituus ließ Blut in einer Schale sammeln und beobachtete die Zuckungen des Kalbes genau.


    Als das Tier ausgeblutet war und leblos auf dem Altar lag, wurde es auf den Rücken gedreht und die Eingeweide entnommen. Der Aedituus betrachtete die Eingeweide. Hoffentlich würde die Göttin mein Opfer annehmen. Einmal abgesehen von der finanziellen Seite war es auch eine Frage, ob meine bislang gute Beziehung zu Minerva Bestand haben würde.

    Die Parentalia hatte ich zuletzt als Kind gefeiert, bevor ich nach Alexandria geschickt wurde. Damals hatte ich das Fest als recht fröhlich in Erinnerung, wobei mir der Sinn und Zweck nicht ganz klar war. Dafür hatte mir damals der Gedanke gefallen, an diesen Tagen den Ahnen nahe zu sein. Natürlich verschwendete ich als Kind keinen Gedanken daran, dass auch mein eigener Vater einmal zu den verstorbenen Ahnen gehören würde. Wie doch die Zeit verging!


    Nun war ich also am Grab meines Vaters, welches ich tatsächlich zum ersten Mal seit meiner Rückkehr nach Rom besuchte. Vater würde es verstehen, denn auch er hatte die Arbeit stets an erste Stelle gestellt. Wie ähnlich wir uns doch manchmal waren! Und zugleich oft sehr verschieden. Ich schmückte das Grab festlich und beschloss, meinem Vater ein wenig zu berichten, wie es mir erging.


    "Salve, Vater. Ich hoffe, dass es dir in den elysischen Feldern gut geht. Und ich hoffe, dass du den Weg hierhin gefunden hast. Mutter hat dir ein schönes Grabmal errichten lassen. Dafür habe ich deinen Lieblingswein mitgebracht."


    Ich präsentierte dem Grabmal kurz den Krug, den ich mit mir führte.


    "Das ist natürlich nicht ganz vergleichbar, aber wir wissen beide die Kleinigkeiten zu schätzen. Das hast du mir immer beigebracht."


    Der Gedanke daran, wie mein Vater mir als Kind mit großer Geduld seine Lebensphilosophie vermittelt hatte, zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.


    "Ach ja, dass ich wieder in Rom bin, brauche ich dir wohl nicht mehr zu sagen. Dafür habe ich einen recht guten Einstieg als Jurist gemacht. Ich habe zwei Kommentare verfasst, von denen einer sogar in die Bibliotheca Ulpia aufgenommen wurde. Und ich habe die meisten meiner Prozesse gewonnen. Erst kürzlich habe ich von meinem Freund Quintus Betucius Firmus die Vertretung von dessen Bruder samt Ehefrau übernommen und das Verfahren damit gerettet."


    Ich lachte kurz.


    "Gerettet ist natürlich Ansichtssache. Für die Gegenseite war es eher das Wegnehmen eines sicher geglaubten Sieges. Ich denke, dass wir darauf ruhig trinken können."


    Ich gab einen guten Schluck Wein in die dafür vorgesehene Öffnung des Grabmals, damit der Wein auch meinen Vater erreichen konnte. Dann nahm ich auch einen Schluck. Der Weingeschmack meines Vaters war nicht meiner, aber was tat man nicht alles für seine Eltern?


    "Es sieht so aus, als hätte ich dein Gespür für die Rechtsauslegung geerbt. Das wird dich sicher freuen, zumal es ja lange so aussah, als würde ein Philosoph aus mir. Allerdings bin ich das auch immer noch. Mein Zugang zu den Gesetzen ist eher philosophisch, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Im Übrigen... nun... wie sage ich dir das am besten? Das ist nicht der einzige Unterschied zwischen uns. Ich habe mir einen Patron gesucht."


    Entschuldigend hob ich die Hand, die nicht durch den Krug belegt war.


    "Ja, ich weiß, ein guter Advocatus ist maximal unabhängig. Doch sei dir gewiss, dass ich meinen Patron sorgsam ausgewählt habe. Er mischt sich nicht in meine Arbeit als Advocatus ein. Auch meine rechtswissenschaftlichen Arbeiten kann ich frei anfertigen. Dafür haben sich die Diskussionen mit meinem Patron als sehr nützlich erwiesen. So eine zweite Meinung, gerade wenn sie anders ist, verbessert diese Arbeiten durchaus. Du solltest den Namen meines Patrons übrigens kennen. Der Senator Lucius Annaeus Florus Minor. Er wurde für diese Amtszeit zum Praetor Urbanus gewählt. Seien wir realistisch, ein Praetor als Patron ist für einen Juristen sicher nicht ganz falsch. Wer weiß, vielleicht erreiche ich so den Ordo Equester, der dir verwehrt blieb. Auch wenn es dir nicht viel bedeutete, mir bedeutet es etwas. Man kann so viel mehr zum Positiven verändern, wenn man ein Ritter ist. Ich begnüge mich eben nicht mit der Vertretung von Mandanten, auch wenn es lukrativ ist. Ich bin weiterhin Philosoph, wie ich bereits erwähnte."


    Erneut teilte ich den wein mit meinem Vater.


    "Nun, ich denke, dass du dennoch stolz auf mich bist. Oder vielleicht gerade deshalb? Immerhin hattest du mir beigebracht, stets meinen eigenen Weg zu gehen. Tja, nun, ich habe leider immer noch jede Menge Arbeit. Aber das kennst du ja, haben wir es doch gemeinsam. Ich werde dir noch den restlichen Wein lassen. Und ich verspreche, dich zu besuchen, so wie ich eben Zeit finde. Vale bene, bis demnächst."


    Ich stellte den Weinkrug vor das Grabmal und ging. Dabei hatte ich das gute Gefühl, meinen Vater zumindest ein wenig glücklich gemacht zu haben. Obwohl ich natürlich hoffte, dass er im Elysium ohnehin glücklich war.

    Es war nun schon eine Weile her, seit ich das Lararium verlassen hatte und mich in die Bibliothek zurückgezogen hatte. Ich war gut mit Posca und einem kleinen Imbiss versorgt worden, während ich die augusteischen Ehegesetze studierte. Ich würde mein Wissen hier noch vertiefen müssen. Noch einmal würde es mir die Gegenseite vor Gericht nicht so einfach machen.


    Da kam Begoas zu mir.


    "Domine, du hast Besuch?"


    Ich zog eine Augenbraue hoch, erwartete ich doch gar keinen Besuch.


    "Aha. Wenn es weder mein Patron noch irgend eine höhergestellte Person ist, kannst du den Besuch bitte hierher bringen."


    "Ja, Domine."


    Er verschwand wieder und nach ein paar Momenten kam mein Freund Quintus Betucius Firmus herein, gefolgt von seinem Bruder Gnaeus Betucius Lepta und einer Frau. Lepta und die Frau sahen ausgesprochen glücklich aus.


    "Salvete."


    Ich sah Firmus an.


    "Du schuldest mir einen Gefallen."


    Dann sah ich Lepta an.


    "Du schuldest mir fünf Aurei."


    Danach sah ich zu der Frau.


    "Und du, nun du schuldest mir gar nicht, außer der Nennung deines Namens. Wobei ich vermute, dass dieser Albina Calvia ist."

    Die drei sahen mich mehr oder weniger verdutzt an.


    "Ähh, ja. Alles drei, ja," sagte Firmus.


    "Freut mich, dass wir uns einig sind. Was verschafft mir die Ehre des Besuchs?"


    "Naja, mein Bruder wollte seine Schulden begleichen und Calvia wollte den Mann kennenlernen, der sie von der Patria Potestas befreit hat."


    Die Frau lächelte strahlend.


    "Advocatus Iunius Tacitus, danke! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Wirklich... du musst direkt von Iuno geschickt worden sein!"


    "Minerva und Iustitia," erwiderte ich trocken.


    "Ich verstehe nicht?"


    Firmus lachte.


    "Das ist mein Freund Tacitus! Hahaha! Du bist noch immer wie am Museion. Trocken wie der Wüstensand."


    Ich schmunzelte. Dann legte Lepta einen Beutel auf den Tisch vor mir.


    "Ich," er blickte zu seiner Frau, "wir schulden dir großen Dank. Bitte, nimm dieses Honorar an."


    Nachdem ich den Beutel geöffnet hatte, fielen mir sofort zwei silberne Ringe mit Gemmen auf. Ich holte sie, sowie das Geld, wortlos hervor.


    "Sechs Aurei, ein Denar, fünf Sesterzen, und diese beiden Ringe. Vereinbart waren fünf Aurei."


    Fragend sah ich Lepta an.


    "Du hast mehr für uns getan, als wir erwarten konnten. Deshalb haben wir ein wenig zusammengelegt. Die Ringe gehören meinem Vater. Er möchte, dass du sie besitzt, weil du seinen Sohn glücklich gemacht hast. An Geld haben wir das gegeben, das wir gerade entbehren können. Unser Haus bedarf der Renovierung, sonst hätten wir mehr übrig."


    "Und doch waren nur fünf Aurei vereinbart," bemerkte ich emotionslos.


    "Bitte, nimm den Rest als Geschenk an. Du hast so viel für uns getan!"


    Ich sah Firmus an. Dessen Blick sagte mir, dass ich alle sehr enttäuschen würde, wenn ich das Geschenk ablehnen würde. Eigentlich widerstrebte es mir, es anzunehmen. Mein Vater pflegte immer zu sagen, dass die Ablehnung eines Geschenks oft schlimmer aufgefasst wurde als eine verbale Beleidigung.


    "Also gut, dann will ich dieses Geschenk annehmen. Aber unabhängig von der Vereinbarung des Honorars, als Geschenk von Freunden."


    Calvia und Lepta strahlten.


    "Du hast dich doch ein wenig verändert seit Alexandria," flüsterte mir Firmus grinsend zu.


    "Und du schuldest mir immer noch einen Gefallen."


    "Und der wäre?"


    Nun grinste ich.


    "Irgendwann, vielleicht auch nie, werde ich den Gefallen einfordern. Bis dahin vermag ich ihn nicht zu spezifizieren."


    Firmus nickte. Er hatte verstanden.


    "Wir danken dir für deine Zeit. Es sieht so aus, als hätten wir dich bei der Arbeit gestört. Deshalb verabschieden wir uns wieder."


    "Aber wir würden uns freuen, wenn du uns einmal besuchen kommst. Am besten, wenn das Haus renoviert ist."


    "Schickt mir eine Einladung und ich werde sehen, ob ich es einrichten kann."


    Die beiden verabschiedeten sich und gingen. Firmus klopfte mir kurz auf die Schulter.


    "Du bist der Beste, Tacitus. Wir sehen uns."


    "Auf jeden Fall. Vielleicht komme ich bei dir einmal auf einen Becher Wein vorbei. Oder du bei mir."


    Firmus lächelte und wir reichten uns zum Abschied die Hände.


    Als die Gäste gegangen waren, sah ich mir noch einmal das Honorar an. Vielleicht war es ja auch eine göttliche Fügung, um mir meine mit den Göttinnen eingegangenen Verpflichtungen zu erleichtern?

    Nachdem ich meinen ersten Fall zum Eherecht gewonnen hatte und noch auf einen Becher Mulsum von meinem Patron eingeladen wurde, hatte ich mich wieder auf den weg nach Hause gemacht. Die Göttinnen hatten wohl meine Bitten erhört. Also sollte ich ihnen kurz berichten.


    "Minerva, Iustitia, ich habe den Fall gewonnen. Aber das wisst ihr sicher schon. Ich danke euch."


    Ich sah mir die Statuette der Iustitia an.


    "Ja, ich weiß, das sich dir einen Schrein oder eine Statue schulde. Ich denke, dass ich die Statue bevorzuge. Wenn du mir also kein anderes Zeichen gibst, wird es eine Statue sein. Magst du Marmor?"


    Die Statuette regte sich natürlich nicht. Also entschied ich, dass Marmor sicher in Ordnung gehen würde.


    "Nun, dann soll es Marmor sein. Es ist sicher teurer als der Schrein, aber dafür hast du den Praetor auch die Patria Potestas aufheben lassen. Quid pro quo."


    Dann sah ich zur Minerva-Statuette. Ich hatte eben das Gefühl gehabt, dass sie mich kurz erwartungsvoll angesehen hatte.


    "Ja, ich weiß, ich schulde dir ein Kalb als Opfer. Du hast meinen Verstand nicht versagen lassen, ich schulde dir ein Kalb. Vertrag ist Vertrag. Nur werde ich heute keins mehr bekommen. Ich werde morgen alles mit dem Aedituus deines Tempels klären."


    Irgendwie sah sie jetzt zufriedener aus. Oder bildete ich mir das nur ein? Vielleicht hatte ich heute zu wenig getrunken? Darüber rätselnd, ob die Götter uns auch in ihren Statuetten im Lararium erscheinen konnten, begab ich mich in die Bibliothek.

    Das konnte ich wohl schlecht ablehnen. Also gingen wir noch gemeinsam etwas trinken, wobei ich mich für Mulsum entschied. Das war bei der kalten Witterung auf jeden Fall angenehmer als Wein. Wir unterhielten uns dann noch etwas über den Fall, bevor sich die Wege meines Patrons und meiner Wenigkeit trennten. In den nächsten Wochen würden wir noch genügend Zeit damit verbringen, uns über Ehegesetze zu unterhalten.

    "Ich mag gewonnen haben, aber es war ein unnötiger Sieg. Wären bereits die Gesetze der Realität angepasst, wäre der ganze Prozess unnötig gewesen."


    In der Zeit, die mich der Fall gekostet hatte, hätte ich mich auch sinnvoller beschäftigen können. Der einzige Vorteil lag vielleicht darin, dass ich nun auch als Advocatus für Eherecht eine gewisse Bekanntheit hatte. Bislang hatte ich nur Fälle aus dem Sachenrecht vertreten. Auch die Tatsache, dass ich einen verloren geglaubten Fall noch gewonnen hatte, würde meinen Wert als Advocatus sicher steigern.


    "Es ist ganz offenkundig, dass es hier nicht etwa eine Gesetzeslücke, sondern eine Diskrepanz zwischen Gesetzen gibt. Das muss behoben werden. Nur widerspruchsfreie Gesetze finden breite Zustimmung. Ohne diese ist jedoch eine Rechtstreue der Bürger nicht zu erwarten."


    Da war sie wieder, meine philosophische Herangehensweise an die Juristerei. Das Museion hatte eben doch bleibende Spuren hinterlassen.

    Lächelnd ging ich zur Bank meines Mandanten. Firmus nickte anerkennend.


    "Ich danke dir, mein Freund. In deinen Adern fließt wahrhaftig das Blut deines Vaters."


    Das konnte er natürlich so sehen. Ich für meinen Teil sah hier hingegen die Erfüllung meiner Bitten, die ich an Minerva und Iustitia gerichtet hatte. Ob dazu die fünf Aurei reichen würden? Eher nicht. Aber das war auch nicht wichtig.


    Gnaeus Betucius Lepta saß noch immer auf der Bank. Seinem Gesichtsausdruck nach konnte er sein Glück nicht fassen. So sprach ich ihn an.


    "Du schuldest mir fünf Aurei. Dein Bruder hat dich über mein Honorar informiert, nehme ich an?"


    Er nickte, stand auf und umarmte mich. "Liebend gerne. Ich... ich schulde dir mehr. Du hast meine Frau emanzipiert!"


    Streng genommen hatte ich damit nichts zu tun. Doch würde ich auch nicht nein zu einem höheren Honorar sagen.


    "Was auch immer es dir wert sein mag. Du kannst das Honorar zur Domus Iunia bringen, sobald du soweit bist. Doch nun solltest du erst einmal deine Frau nach Hause holen. Ich muss noch mit jemandem reden."


    Während Firmus und sein Bruder sich von den umstehenden Menschen gratulieren ließen, drängte ich mich durch die Menschen zu meinem Patron.


    "Patrone, ich bedaure, dass ich es heute morgen nicht zur Salutatio geschafft habe. Ebenso wenig wie Betucius Firmus, wenngleich ich denke, dass er dich vorab informierte. Ich wurde leider erst gestern von ihm angesprochen und um Hilfe gebeten, so dass ich mich vollends auf den Fall konzentrieren musste."

    Jetzt war er fällig. Ich hatte meinen Gegner da, wo ich ihn haben wollte.


    "Ich danke dem ehrenwerten Praetor Urbanus für die Möglichkeit der Erwiderung. Beginnen möchte ich allerdings mit dem letzten Argument der Gegenseite. Zu erwähnen, dass der Name meines Mandanten eher darunter leiden würde, wenn er in einer kinderlosen Ehe leben würde. Durch lange Abwesenheit in Alexandreia scheint mir etwas entgangen zu sein. Bislang dachte ich immer, dass man seine Heiraten nutzt, um Allianzen zu schmieden. Nach deinen Äußerungen, werter Kollege, scheint es nun aber auch akzeptiert zu sein, eine Heirat zum Schaden zu nutzen. So will dein Mandant also seine Tochter also neu verheiraten, um einem Gegner zu schaden? Für so perfide hielt ich ihn bislang nicht."


    Das Publikum auf meiner Seite lachte und selbst beim Publikum der Gegenseite tat sich der eine oder andere schwer, ein Schmunzeln zu unterdrücken.


    "Der Advocatus Aulus Iunius Tacitus möge bitte beachten, dass dies eine Gerichtsverhandlung ist und keine Komödie!"


    Die Worte des Praetors verhinderten, dass ich noch einmal nachlegte.


    "Selbstverständlich, Praetor. Ich bitte um Verzeihung. Mir ist unerfindlich, wie die Gegenseite der Meinung sein kann, dass die Ehegesetze unseres Divi Augusti keine Bedeutung in diesem Fall hätten. Es geht um eine Ehe. Ehe - Ehegesetze... und da sieht man keinen Zusammenhang? Ernsthaft?"


    Zu gerne hätte ich die juristischen Kenntnisse meines Kollegen öffentlich angezweifelt, doch wäre das ein schlechter Stil gewesen und hätte mich Sympathien kosten können. So wandte ich mich direkt an den Praetor.


    "Das muss ich nicht erklären, oder?"


    Der Praetor schüttelte kaum merklich den Kopf. Dann drehte ich mich zum Advocatus der Gegenseite.


    "Oder doch?"


    "Einspruch!"


    Ich drehte mich wieder zum Praetor.


    "Ich ziehe die Frage zurück. Da es somit unstreitig um die Anwendung der Lex Iulia et Papia geht, will ich fragen, worüber wir hier nun diskutieren? Darüber, dass die Manus-Ehe faktisch nicht mehr praktiziert wird? Darüber, dass Scheidungen im allgemeinen Rechtsgebrauch Sache der Ehepartner sind? Darüber, dass beides eben eine Folge der Ehegesetze des Divi Augusti sind? Denn wenn die Zustimmung des Pater Familias zur Eheschließung nicht nötig ist, so steht es erst recht nicht in dessen Macht, die Ehe zu scheiden. Seien wir ernsthaft, liebe Anwesenden, wessen Ehefrau wurde manzipiert? Oder wer würde seine Tochter gegen deren Willen aus einer Ehe herauslösen?"


    Dabei breitete ich die Arme aus und drehte mich langsam um meine Achse, um so alle Anwesenden einzuladen, sich zu melden. Hin und wieder fixierte ich jemanden direkt mit meinem Blick, vor allem bei der Klientel meines Gegners. Als ich meinen Patron erblickte, nickte ich ihm kurz zu. Niemand meldete sich aber auf meine Frage. So nahm ich wieder Haltung an.


    "Das dachte ich mir. Doch selbst unter der Annahme, dass alle diese Argumente irrelevant wären, was sie nicht sind, so könnten wir immerhin noch über die vermeintliche Kinderlosigkeit sprechen. Ist es üblich, dass die Ehefrau in weniger als einem Jahr nach Eheschließung ein Kind erwartet? Ist es der häufigste anzutreffende Fall? Ich denke nicht. Aber ich mag mich irren. Doch sag du mir, Sixtus Albinus Tullus, ob deine Ehefrau schon nach wenigen Monaten der Ehe ein Kind erwartete?"


    "Einspruch! Die Ehe meines Mandanten ist irrelevant! Außerdem sind die Befragungen bereits abgeschlossen!"


    "Zurückgezogen. Der Einspruch ist Antwort genug."


    Der Praetor lehnte sich in seiner Sella Curulis nach vorne.


    "Aule Iuni Tacite, strapaziere nicht meine Geduld!"


    Ich musste jetzt definitiv vorsichtig sein. Also beschloss ich, meine Argumente noch einmal zusammenzufassen.


    "Ich bitte um Verzeihung, Praetor. Wie ich bereits erwähnte, ist die Lex Iulia et Papia unstreitig anzuwenden und nach dieser hat die Patria Potestas keinerlei Bedeutung für die Eheschließung oder Auflösung derselben. Bedeutung hat ausschließlich der Wille der Ehepartner. Dies wird auch ganz selbstverständlich von uns Quirites gelebt. Und es sei für die juristischen Laien auch noch erwähnt, dass eine Berufung auf älteres Recht unzulässig ist. Denn es ist nach ganz herrschender Meinung anerkannt, dass das neuere Gesetz das ältere Gesetz verdrängt. Einer Aufhebung des älteren Gesetzes bedarf es hierzu nicht. Welches Argument hat dann noch die Gegenseite? Keins! Kein einziges Argument bleibt! Und deshalb, Praetor, ist die Ehe des Gnaeus Betucius Lepta mit der Albina Calvia aufrecht zu erhalten. Außerdem ist die Patria Potestas als durch die Eheschließung aufgehoben zu betrachten. Denn nicht die Lex Iulia et Papia, sondern die Patria Potestas ist in diesem Fall bedeutungslos. Also bitte ich dich, urteile nach der Lex Iulia et Papia. Doch sollte es dir zu dünn begründet erscheinen, nach diesem Gesetz des Divi Augusti zu urteilen, so urteile wenigstens nach dem herrschenden Rechtsbrauch."


    Natürlich war der herrschende Rechtsbrauch deckungsgleich mit der Lex Iulia et Papia. Erwartungsvoll sah ich den Praetor an.

    Nun stand ich also mit meinem ersten Fall zum Eherecht in der Basilica Ulpia. Ich hatte mich mit allem vertraut gemacht, was ich herausfinden konnte. Der Advocatus der Gegenseite sah mich skeptisch an, als ich mit meinem Freund Quintus Betucius Firmus, seinem Bruder Gnaeus Betucius Lepta und dessen Frau Albina Calvia die Basilioca betrat. Auch der Praetor Urbanus sah mich skeptisch an und signalisierte Firmus und mir, dass wir zu seiner Sella Curulis herantreten sollten.


    "Was genau soll das?" fragte er.


    "Wenn ich das erläutern dürfte," ergriff ich das Wort, "mein Studienfreund Betucius Firmus bat mich, ihn in diesem Fall zu unterstützen. Da es sich um die Ehe von dessen Bruder handelt, ist er emotional betroffen und erhofft sich, so den Prozess professioneller zum Abschluss zu bringen."


    Firmus nickte.


    "Nun gut, ich erlaube es. Dir ist bewusst, dass es nur noch die Plädoyers gibt, Aule Iuni Tacite?"


    "Ja, Praetor."


    Der Magistrat signalisierte uns, wieder auf unsere Plätze zurückzukehren. Als wir dort angekommen waren, wurde die heutige Sitzung eröffnet.


    "Quirites, wir sind heute hier, um den Fall Gnaeus Betucius Lepta versus Sixtus Albinus Tullus zwecks Aufhebung der durch Sixtus Albinus Tullus für geschieden erklärten Ehe von dessen Tochter Albina Calvia mit Gnaeus Betucius Lepta zu verhandeln. Die Klageseite hat Aulus Iunius Tacitus als weiteren Advocatus hinzugezogen. Darf ich erfahren, welcher der Advocati das Verfahren für die Klageseite zu führen gedenkt?"


    "Das Verfahren führt Advocatus Aulus Iunius Tacitus," erklärte Firmus kurz und knapp.


    "Dann erteile ich hiermit Aulus Iunius Tacitus das Wort."


    Ich trat vor. Natürlich war ich nervös, denn ich hatte faktisch keine Vorbereitungszeit. Ich musste also improvisieren. Die Nervosität ließ ich mir aber nicht anmerken.


    "Ehrenwerter Praetor, Quirites, ich danke für die Gelegenheit, sprechen zu dürfen. Beginnen wir mit dem Unstreitigen. Primo. Gnaeus Betucius Lepta und Albina Calvia wurden anerkanntermaßen wirksam verheiratet, und zwar mit Zustimmung von Sixtus Albinus Tullus. Secundo. Sixtus Albinus Tullus hat seine Tochter Albina Calvia weder an Gnaeus Betucius Lepta manzipiert, noch hat er sie auf sonst eine Art aus seiner Patria Potestas entlassen. Tertio. Das Ehepaar ist seit weniger als einem Jahr verheiratet, weshalb eine Usucapio ausscheidet."


    Ich ließ eine kurze Pause, damit alle Anwesenden diese Fakten noch einmal verinnerlichen konnten.


    "Streitig ist aber die Frage, ob Sixtus Albinus Tullus diese funktionierende Ehe aus Gründen, die ausschließlich in seiner Person liegen, auflösen kann."


    "Einspruch!" rief der Advocatus der Gegenseite. "Er stellt meinen Mandant als selbstsüchtig dar!"


    "Ist dem so?"


    Ich zog eine Augenbraue hoch und ließ eine kurze Pause.


    "Das Ehepaar hat unstreitig und unabhängig voneinander bezeugt, dass die Ehe intakt sei und funktioniere. Ein Grund in den Personen der Eheleute fällt folglich aus. Sixtus Albinus Tullus wiederum hat unstreitig ausgesagt, dass er Albina Calvia nur deshalb zurückgeholt hatte, um sie in eine neue Ehe zu vermitteln, von der er sich größere politische Vorteile erhofft als von der bestehenden Verbindung. Folglich liegt der Grund für die Zurückholung seiner Tochter in den persönlichen politischen Ambitionen des Sixtus Albinus Tullus. Das ist dann aber unstreitig ein Grund, der in seiner Person liegt. Und da wir keine weiteren Gründe gehört haben, ist das auch ausschließlich der Fall. Oder irre ich mich?"


    "Ich lehne den Einspruch ab," entschied der Praetor Urbanus, "bitte, fahre fort, Aule Iuni Tacite."


    "Danke, Praetor. Nun mag Sixtus Albinus Tullus anführen, dass ihm mangels Mancipatio weiterhin die Verfügungsgewalt über seine Tochter zustehen würde. Wenngleich das im Prinzip richtig ist, so sei doch an dieser Stelle angemerkt, dass die Mancipatio unabhängig von dem Rechtsgeschäft der Ehe zu sehen ist. Dies legte ich in meinem in der hiesigen Sammlung vorliegenden Kommentar unstreitig an Hand des Beispiels des Kaufvertrags dar. Folglich hat Sixtus Albinus Tullus zwar die Patria Potestas inne, kann damit aber nicht die Ehe scheiden lassen. Das können nur die Ehepartner. Somit hätte die Ehe weiterhin bestand und eine erneute Verheiratung von Albina Calvia wäre als Adulterium nach Lex Iulia et Papia strafbar. Und damit wären wir auch schon beim Stichwort: Die Lex Iulia et Papia. Diese wurde hier allem Anschein nach noch gar nicht angemessen gewürdigt, weil sich die Parteien viel zu sehr auf die Mancipatio konzentriert haben. Der Kern liegt aber in genau diesem Gesetz."


    Wieder ließ ich eine Pause, damit das Gesagte verinnerlicht würde. Das anwesenden Anhänger beider Seiten fingen an, miteinander zu diskutieren. Damit war der erste Punkt schon einmal erreicht. Das Publikum sah den Fall nicht mehr so klar, wie es bis vor wenigen Momenten wohl noch der Fall war.


    "Warum liegt der Kern dieses Falles aber in der Lex Iulia et Papia? Zunächst einmal deshalb, weil die Lex Iulia et Papia einen Eheschluss auch gegen den Willen des Pater Familias zulässt. Das ist ganz unstreitig und bedarf keiner Erläuterung. Wenn aber ein Pater Familias eine Ehe nicht verhindern kann, wenn das Paar diesen Eheschluss will, warum sollte er dann die Ehe ohne gewichtigen Grund beenden können? Bei einer funktionierenden Ehe kann so ein Grund nicht vorliegen. Natürlich kann die Verteidigung vorbringen, dass das persönliche politische Vorankommen der Industria eines wahren Römers entspricht. Jedoch wird hiermit zugleich die Honestas und Veritas des Pater Familias beschädigt. Und auch die Clementia gegenüber der eigenen Tochter würde hierunter leiden. So kann man sicher festhalten, dass die persönlichen Gründe nicht gewichtig genug sind, um dem Mos Maiorum zu genügen.


    Doch damit nicht genug. Was ist denn der Zweck der Lex Iulia et Papia? Zweck ist es vor allem, dass Kinder mit römischem Bürgerrecht gezeugt werden. Diese sind essentiell für das Funktionieren des Imperium Romanum. Nun ist es aber so, dass aus einer funktionierenden Ehe häufiger Kinder entstehen, als aus einer unglücklichen Ehe. Außerdem, und das ist nicht weniger wichtig, soll die Ehe auch unter den besonderen Schutz des Gesetzes gestellt werden. Der Schutz ist, wie erwähnt, sogar so stark, dass davor die Rechte des Pater Familias davor zurückzutreten haben. Wieso sollte dann aber der Pater Familias auf einmal Rechte erhalten, die Ehe aufzulösen? Wäre es zum Wohle seiner Tochter, die er aus einer nicht funktionierenden Ehe zurückholte, wäre es vertretbar. Das ist hier aber nicht der Fall. Deshalb halte ich im hier verhandelten Fall ein Recht des Pater Familias, die Scheidung zu erzwingen, als der Lex Iulia et Papia widersprechend und deshalb nicht gegeben.


    Natürlich kann sich Sixtus Albinus Tullus darauf berufen, dass er immer noch aus der Patria Potestas das Recht habe, seine Tochter nach Hause zu holen. Doch sollte erwähnt werden, dass er hiermit seine Tochter ihrem Ehemann entziehen würde. Das wiederum wäre erneut ein Verstoß gegen die Lex Iulia et Papia und den Mos Maiorum, der meinen Mandanten zum Schadensersatz berechtigen würde. Ebenso würde eine erzwungene Scheidung meinen Mandanten zum Schadensersatz berechtigen, weil seine Interessen, auch im Sinne der Lex Iulia et Papia, ernsthaft verletzt würden.


    Deshalb ersuche ich den Praetor Urbanus, den Bestand der Ehe zu erklären und anzuordnen, dass Albina Calvia unverzüglich wieder bei ihrem Ehemann Gnaeus Betucius Lepta einzuziehen hat. Sollte der ehrenwerte Praetor doch der Patria Potestas den Vorzug vor der Lex Iulia et Papia geben, so ersuche ich ihn in diesem Fall, den Sixtus Albinus Tullus zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von eintausend Aurei an Gnaeus Betucius Lepta zu verurteilen. Durch diesen Schadensersatz soll der Vertrauensschaden, der durch den Wortbruch des Sixtus Albinus Tullus durch den Rückzug seines Eheeinverständnisses verursacht wurde, sowie die Risiken, die Gnaeus Betucius Lepta aus dem hieraus resultierenden widerrechtlichen Unverheiratetsein entstehen, kompensiert werden. Sollte der Schadensersatz dem Praetor zu hoch erscheinen, möge er diesen anpassen."


    Das Publikum auf unserer Seite applaudierte, während das Publikum der Gegenseite weiter diskutierte. Auch der Advocatus der Gegenseite diskutierte mit seinem Mandanten. Vermutlich fragten sie, ob sie das Risiko des Schadensersatzes eingehen wollten, selbst wenn dieser reduziert würde. Nun hatte die Gegenseite das Wort und anschließend würde der Praetor Urbanus entscheiden. Wenngleich es nicht mein bestes Plädoyer war, hatte die Gegenseite nur noch die Patria Potestas als Argument, die sie aber gegen meine Angriffe in diesem konkreten Einzelfall verteidigen musste.

    Die kleinen Statuen aus dem Laden in den Trajansmärkten waren angekommen und ich brachte sie persönlich zum Lararium. Ich betrachtete die dort aufgestellten Statuetten.


    "Isis, verzeih mir, aber wir standen uns nie nahe. Du wirst leider ein wenig Platz machen müssen."


    Mit diesen Worten stellte ich sie nach hinten, um Platz für Apollo zu machen. Die silberne Statuette zeigte ihn als sitzenden jungen Mann mit goldenem Haar, smaragdenen Augen und einer Kithara aus edlem Holz mit kupfernen Saiten. Ich lächelte zufrieden, als ich ihn in der vordersten Reihe unterbrachte und hatte kurz das Gefühl, als würde er zurück lächeln. Ich hob die Hände zum Gebet.


    "Apollo, Herr der Musen, sei willkommen in diesem Haus. Du bist der Schutzherr des Museion und auf habe ich dir in Alexandreia geopfert. Nun bitte ich dich, mir auch hier den gleichen Schutz wie im Museion zu gewähren. Ich will dich dafür auch stets bei meinen Opfern am Lararium bedenken."


    Ich drehte mich nach rechts und nahm die nächste Statuette. Es war eine Statuette der Iustitia. Sie war ebenfalls aus Silber, mit Kleidung aus Bronze, kupfernem Haar, ebenfalls smaragdenen Augen und einer kupfernen Waage in ihrer linken Hand. Ich platzierte sie rechts von Apollo, so dass sie in ihrer Blickrichtung zu seiner linken saß. Wieder hob ich die Hände zum Gebet.


    "Iustitia, die du uns Menschen liebst und als letzte unsere Welt verlassen hast. Stets bringst du uns Gerechtigkeit. Ich heiße auch dich willkommen in diesem Haus und unter den Göttern, Laren und Genii dieses Ortes. Doch habe ich auch eine Bitte an dich. Lasse im morgigen Prozess Gerechtigkeit walten. Hilf dem Praetor, ein gerechtes Urteil zu fällen. Im Gegenzug will ich dir einen Schrein oder eine Statue in der Bibliotheca Annaea de Iurisprudentia aufstellen lassen und regelmäßig Opfer erbringen."


    Wieder drehte ich mich nach rechts und hoffte, dass ich im morgigen Prozess um den Erhalt einer Ehe erfolgreich sein würde. Final nahm ich die ungewöhnlichste Statuette der Minerva, die ich jemals gesehen hatte. Sie war aus Silber mit Kleidung aus Kupfer und Augen aus blauem Saphir. Die Rüstung und der Helm waren aus Bronze, ebenso wie Schild und Lanze. Jedoch lagen Schild und Lanze an den Sockel gelehnt und den Helm hielt sie in ihren Händen, als hätte sie ihn gerade abgenommen. Das Haar aus geschwärztem Metall sah aus, als hätte sie es gerade geschüttelt, damit es nach dem Abnehmen des Helms in Form fiel. Sie sah aus, als wäre sie gerade nach Hause gekommen.


    Es fehlte ein wenig Platz, so dass ich die Statuette des Faunus mit einer kleinen Entschuldigung weiter nach hinten stellte und Apollo und Iustitia etwas auseinander. So fand sich ein Platz zwischen Apollo und Iustitia. Ich stellte sie gegenüber den beiden anderen Göttern leicht nach vorne.


    Wieder erhob ich die Hände zum Gebet.


    "Minerva, Patronin der Denker. Du hast mich mit einem scharfen Verstand gesegnet und mir den geistigen Zugang zu einer hervorragenden Bildung ermöglicht. Ich ehre dich täglich durch Anwendung deiner Gaben. Nun heiße ich dich in diesem Haus willkommen und will dir wieder täglich opfern, so wie einst in Alexandreia. Ich bitte dich, fühle dich hier wohl und segne dieses Haus und alle, die hier wohnen. Doch bitte ich dich noch um mehr. Morgen werde ich einem schwierigen Prozess einem Freund helfen. Lass meinen Verstand scharf sein und gute Argumente finden, um doch noch einen Sieg zu erhalten. Gewährst du mir den Sieg, will ich dir ein Kalb opfern."


    Ein letztes Mal drehte ich mich nach rechts und hoffte, dass meine Bitte erhört wurde. Auch hoffte ich, dass mir die nach hinten verdrängten Götter nicht zu sehr zürnen würden oder zumindest, dass deren Zorn mir nichts anhaben würde, da mich die neu hinzugekommenen Götter schützen würden. Hier war ich mir sicher, dass Apollo und Minerva auf meiner Seite waren.

    In den Trajansmärkten hatte ich mich auf die Suche nach einem Geschäft gemacht, in dem ich neue Statuetten für das Lararium der Domus Iunia zu finden hoffte. Immerhin fehlten dort meine persönlich favorisierten Gottheiten. Nach einiger Suche fand ich einen passenden Handwerksladen, der sogar recht außergewöhnliche Qualität anbot. Durch meine erfolgreich verhandelten Fälle konnte ich es mir leisten, diese Qualität zu kaufen. Natürlich hatte ich vereinbart, die Ware zur Domus Iunia am Abend liefern zu lassen. Schließlich wollte ich nicht mit wertvollem Kunstgut durch Rom laufen.


    Nach dem Verlassen des Ladens lief ich meinem Studienfreund Quintus Betucius Firmus über den Weg. Wir grüßten uns kurz, gingen dann aber weiter. Jedoch nur ein paar Schritte, bis ich einhielt. Firmus sah irgendwie besorgt aus. Also wendete ich, um ihn einzuholen. Das war aber gar nicht notwendig, denn auch er war stehengeblieben und sah in meine Richtung. Also ging ich auf ihn zu.


    "Firme, du siehst so aus, als würde dich etwas bedrücken," sprach ich sofort an, was mir aufgefallen war.


    "Irgendwie schon," antwortete er, "denn ich habe ein Problem. Vielleicht kannst du mir helfen?"


    "Nun denn, sprich."


    "Wo soll ich anfangen?" Firmus seufzte. "Also, mein ältester Bruder, Gnaeus, ist verheiratet. Aber seine Ehefrau ist nicht an ihn manzipiert oder emanzipiert worden. Und nun will ihr Vater sie an einen anderen verheiraten und sie aus der Ehe wieder entfernen."


    "Ja, du hast ein Problem," sagte ich nachdenklich.


    "Hör zu, mein Bruder und seine Frau sind glücklich verheiratet. Es wäre Unrecht, diese Ehe aus politischen Gründen zu zerstören!"


    Nachdenklich nickte ich.


    "Habt ihr Klage beim Praetor Urbanus eingereicht?"


    "Ja, natürlich!"


    "Vertritt dein Bruder sich selbst?"


    Das wäre eher schlecht, weil eine emotionale Vertretung des eigenen Falls meistens nachteilig war.


    "Nein, ich vertrete ihn. Aber ich wüsste nicht, ob und wie ich den Fall gewinnen kann." Er holte Luft. "Du hast doch den Kommentar zur Manzipation geschrieben. Gibt es da eine Lücke?"


    Ich dachte einen langen Moment nach.


    "Das ist eine schwierige Frage. Wann ist die Verhandlung?"


    "Der Praetor hat einen zweiten Tag angesetzt. Morgen. Kannst du das Ehepaar vertreten?"


    Nicht einmal ein Tag zur Vorbereitung. Das würde schwierig werden. Andererseits wollte ich meinem Freund helfen und man wuchs ja auch mit seinen Herausforderungen.


    "Wer ist der Gegner?"


    "Sixtus Albinus Tullus."


    Ein aufstrebender Politiker. Wollte ich den zum Feind haben? Anders gefragt, konnte er mir gefährlich werden? Doch selbst wenn, kümmerte es mich? Würde ich gewinnen, wäre das gut für meine Reputation als Jurist. Würde ich verlieren, hätte ich auch keinen mir feindlich gesinnten Politiker. Beides war in Ordnung. Also gab es nur noch eine wichtige Frage.


    "Was bekomme ich im Fall eines Sieges?"


    Firmus sah mich fragend an. Natürlich musste ihm klar sein, dass ich meine Zeit vor Gericht nicht ohne Gegenleistung verbrachte. Und es musste ihm auch klar sein, dass ich wusste, dass seine Gens nicht arm war.


    "Ein Aureus?"


    Ich sah Firmus emotionslos an und schwieg.


    "Na gut, zwei Aurei. Passt das?"


    Ich schwieg weiter.


    "Bei den Göttern! Tacitus, sag was!"


    "Nun gut. Du arbeitest doch auch als Advocatus. Was würdest du verlangen, wenn du einen Fall rettest, der schon verloren schien?"


    Nun schwieg Firmus, also sprach ich.


    "Bei einem Fremden wären zehn Aurei sicher realistisch, meinst du nicht, Firme? Doch wir sind keine Fremden. Auch wenn ich deinen Bruder nicht kenne, sind wir beide doch Freunde. Da kann man den Preis halbieren. Ich bin mir sicher, dass dein Bruder das ähnlich sehen würde. Oder nicht?"


    Firmus dachte nach und nickte schließlich.


    "Ja. Dann sehen wir uns morgen früh zur ersten Stunde in der Basilica Ulpia?"


    "Zweite Stunde. Ich werde noch mit deinem Bruder und seiner Frau sprechen müssen."


    Firmus stimmte zu und wir verabschiedeten uns. Da hatte ich mir nun einen Abend voller Arbeit eingebrockt. Natürlich wusste ich auch nicht, ob ich den Fall gewinnen konnte. Aber fünf Aurei waren ein guter Grund, mir alle erdenkliche Mühe zu geben. Das und meine Freundschaft zu Firmus. So machte ich mich auf den Weg nach Hause. Es würde wohl ein langer Abend in der Bibliothek der Domus Iunia werden.

    Mehr konnte ich nicht erwarten.


    "Lass es mich wissen, wenn du mit mir hierüber diskutieren möchtest. Ich werde in den nächsten Tagen auch meine Skizzen zur Ehe, bzw. zu den verschiedenen Arten der Ehe, fertigstellen und dir dann ebenfalls überreichen. Da ich täglich zur Salutatio erscheine, lässt sich das auch recht unkompliziert handhaben."


    Von meiner Seite war für heute nichts mehr hinzuzufügen, doch falls mein Patron noch etwas ansprechen wollte, konnte er das nun machen. Oder mich für heute entlassen.

    "Salve, Patrone. Ganz fertig bin ich noch nicht, aber ich habe den ersten Teil fertig. Wobei fertig nicht ganz richtig ist. Ich habe etwas zur Patria Potestas und Manus skizziert. So kannst du dir schon einmal meine Gedanken ansehen, damit wir hierüber diskutieren können. Natürlich ist die Ausarbeitung noch nicht so, wie ich sie für einen Kommentar verwenden würde, aber hinreichend für eine Diskussion."


    Ich reichte meinem Patron die beiden Wachstafeln.


    Zweifelsfrei ist jeder römische Bürger mit Conubium ausgestattet. Wenn dem so ist, so ist auch die Geschäftsfähigkeit voll gegeben. Denn es würde wenig Sinn ergeben, zwar so weitreichende Rechte wie die ius conubii zu gewähren, jedoch die ius commercii, welche doch unzweifelhaft zum Unterhalt der Familie notwendig ist, gleichzeitig zu verneinen.


    Welche Rechte gewährt dann die Patria Potestas?


    Primo: Ein Recht der alleinigen Verwaltung des Familienvermögens.


    Secundo: Das Recht, Personen unter seiner Manus zu manzipieren.


    Was bedeutet das?


    Ad primum: Das Familienvermögen wird durch den Pater Familias verwaltet. Er allein führt das Hausbuch und er allein kann Anteile am Familienvermögen veräußern. Es handelt sich sozusagen um eine Sicherungsposition. Geschäfte sind somit allgemein auch für Personen unter der Patria Potestas möglich, jedoch auf solche Geschäfte beschränkt, die für das Familienvermögen vorteilhaft sind. Auf jeden Fall wird bei einem nachteiligen Geschäft, welchem der Pater Familias nicht zugestimmt hat, kein Verlust von Familienvermögen folgen können. Vielmehr wird die Person unter Patria Potestas, welche ohne Zustimmung gehandelt hat, alleine die Verantwortung übernehmen müssen. Ein Recht, Geschäfte zu untersagen, entsteht hieraus also nicht. Vielmehr wird lediglich die Intercessio des Pater Familias mit dem durch ihn exklusiv vertretenen Familienvermögen ausgeschlossen, wenn er einem Geschäft nicht zugestimmt hat.

    Ad secundam: Das Manzipationsrecht liegt allein beim Pater Familias. Jedoch bedeutet das nicht, dass er römische Bürger unter seiner Manus in die Sklaverei verkaufen kann. Dies ist unmöglich, weil römische Bürger auf diese Art ihr Bürgerrecht verlieren würden. Das ist, schon im Sinne der Rekrutierung in den Staatsdienst, besonders in den Legionen, abzulehnen. Vielmehr kann lediglich die Manus manzipiert werden, ohne dass hierbei die Bürgerrechte der manzipierten Person beeinträchtigt werden können.


    Die Emanzipation erfolgt unmittelbar aus der Manzipation. Denn die Manzipation an einen Anderen ist zugleich die Emanzipation vom Pater Familias. Hierbei kann auch die Freiheit von Manus das Ergebnis sein, beispielsweise wenn ein Sohn dreimal manzipiert wird. Dies wird heutzutage häufig als Hilfskonstrukt verwendet, um eine Emanzpiation des Sohnes zu ermöglichen. Hier sollte nachgebessert werden und ein Emanzipationsrecht durch bezeugten Ausspruch des Pater Familias gewährt werden.


    Als weitere Nachbesserung sollte festgelegt werden, dass eine Tochter, die eine Ehe eingeht, sofort und unwiderruflich emanzipiert wird und bei Beendigung der Ehe nicht wieder in die Patria Potestas ihres Vaters zurückkehrt. Das sorgt auch dafür, dass auch ohne Manzipation der Vater seiner Tochter nicht wieder gegen ihren Willen aus der Ehe herauslösen kann.


    Auch sollte das Erbrecht angepasst werden. Momentan erben jene Agnaten, die bis zum Tod des Pater Familias unter dessen Patria Potestas waren. Man sollte hier zwingend modernisieren und allein auf die natürliche Verwandtschaft abstellen. Die Adoption sollte eine natürliche Verwandtschaft herstellen. Das bedeutet selbstverständlich auch, dass die verheiratete Tochter von zwei Seiten erben kann, nämlich einerseits vom Ehemann und andererseits vom eigenen Vater. Das so ererbte Vermögen sollte unbedingt der Ehefrau zugeschlagen werden, ähnlich der Dos.


    Selbstverständlich sollte eine Unterstellung unter die Manus bzw. Patria Potestas möglich sein, wenn eine Person das wünscht. Voraussetzung hierfür muss die natürlich Verwandtschaft oder die Ehe sein.

    Ich übergab den Beutel dem iunischen Ianitor Araros.


    "Meine Erbschaft ist zurückgekehrt. Verwahre sie wieder wie üblich und trage es in mein persönlichen Haushaltsbuch ein."


    Nachzählen war nicht notwendig. Allerdings wusste ich, dass Araros nachzählen würde. Denn er stand auch dafür gerade.