Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Ein kurzer Hinweis schon einmal an dieser Stelle: Ich werde am 22.03. an der Schulter operiert. Laut den Unterlagen, die mir der Chirurg mitgegeben hat, bin ich danach für ca. 6 Wochen nicht einmal für Bürotätigkeiten zu gebrauchen. Ich hoffe zwar, dass ich schneller wieder schreiben kann, aber zur Sicherheit sollten alle, die mit mir im Forum unterwegs sind, von 6 Wochen Abwesenheit ab dem 22.03. ausgehen.


    Ich werde mich natürlich am 21.03. noch offiziell abwesend melden, das hier ist also eine Vorab-Info.

    "Ich danke dir, Patrone. Obwohl ich ehrlicherweise sagen muss, dass die Salutatio für mich mehr ist als eine Pflicht, weil ich unsere Gespräche bei der Salutatio sehr schätze."


    Meine Wort waren ernst gemeint. Ich bereute nicht für einen Tag, Lucius Annaeus Florus Minor als Patron gewählt zu haben.


    "Nun, ich denke, dass deine anderen Klienten dich auch noch sehen möchten. Wir sehen uns dann morgen in der Basilica Ulpia, falls es nichts gibt, was ich vorher noch für dich tun kann."

    Hatte ich das nicht bereits gesagt?


    "Selbstverständlich. Ich fürchte übrigens, dass wir uns morgen in der Basilica Ulpia sehen. Das wird aber nicht lange dauern. Mein Gegner meint, dass er ein Grundstück zurückfordern könne, weil es nicht manzipiert sei. Nach fast drei Jahren ist das aber irrelevant. Das wollte er mir aber nicht glauben. Und einen Advocatus hat er sich nicht genommen, so dass ihm leider auch niemand außer mir gesagt hat, dass das Grundstück nun ersessen ist. Da mein Mandant das Grundstück die ganze Zeit über bewirtschaftet hat, fallen auch die Einreden weg."


    Ich zuckte mit den Schultern.


    "Der Fall ist so klar, dass es leider im Wesentlichen Zeitverschwendung für alle Beteiligten ist."

    Nun gut, für mich gab es wenigstens Geld. Der zwanzigste Teil des Grundstückswertes war sogar eine ziemlich gute Bezahlung.

    "Nun, du kennst mich. Tagsüber kümmere ich mich um meine Mandanten oder stehe vor dem Praetor, abends und nachts studiere ich Gesetze und schreibe an Kommentaren und anderen Büchern. Das, was ich tagsüber mache, sichert mein Einkommen. Der Rest ist flexibel. Und weil ich zeitlich flexibler bin als du, stelle ich dir frei, an welchem Abend du das Gesetz mit mir besprechen möchtest. Oder an welchen Abenden, da ich von mehreren Iterationen ausgehe."


    Dass ich faktisch sehr wenig Privatleben hatte war inzwischen wahrscheinlich bekannt. Den Einladungen meiner Studienfreunde zur Cena war ich bislang noch nicht nachgekommen. Die tägliche Salutatio machte wohl den größeren Teil meines Privatlebens aus. Auch wenn ich hin und wieder einen Abend nutzte, einer Taverne mit gebildeten Besuchern einen Besuch abzustatten. Oder, wenn ich einmal tagsüber Zeit fand, in der Bibliotheca Annaea mit jungen Römern über die Feinheiten der Jurisprudenz zu diskutieren. Doch war das alles nichts, was in irgend einer Form zu einem festen Termin stattfand, sondern ergab sich spontan.

    Ich lächelte.


    "Dann wird es dir sicher gefallen, denn ich habe den aktuellen Streit, ob Gesetze einzig nach dem Wortlaut oder weitestgehend nach dem Zweck ausgelegt werden sollten, aufgegriffen. Und ich glaube auch, für mich in Anspruch nehmen zu können, diesen Streit zu einer guten Synthese geführt zu haben. Letztlich ist es diese Synthese, die es mir auch ermöglichte, den Eheprozess zu gewinnen."

    "Ja, absolut. Ich hatte wieder einmal einen kreativen Moment und dachte mir, dass ich den römischen Bürgern ein kleines Buch stifte, in dem ich die Methodik der Gesetzesauslegung erkläre."


    Ich reichte meinem Patron die für ihn angefertigte Kopie, die allerdings eine persönliche Widmung enthielt ("Für meinen geschätzten Patron Lucius Annaeus Florus Minor. Es möge so verwendet werden, wie es am meisten Nutzen bringt.")


    "Damit auch du weißt, was ich geschrieben habe. Wenngleich ich bezweifle, dass du darin etwas Neues finden wirst."

    Zur heutigen Salutatio hatte ich ein neues Werk mitgebracht. Eine Kopie hatte ich bereits in der Bibliotheca Annaea de Iurisprudentia hinterlegen lassen. Wie üblich, wurde ich recht schnell vorgelassen.


    "Guten Morgen, Patrone. Ich hoffe, dass es dir gut geht."


    Die Schriftrolle mit der Kopie meines neuesten Buches hielt ich dabei unauffällig in der linken Hand.

    Sim-Off:

    Im Folgenden lege ich die Auslegung der Gesetze in der Form dar, wie sie sich nach (meinem) aktuellem Wissensstand im 2. Jh. n. Chr. dargestellt hat. Diese Auslegung ist nicht mit den modernen Auslegungsregeln zu verwechseln!


    Liber de Interpretatione Legum

    Auli Iunii Taciti



    Praefatio


    Die Gesetze sind zweifelsfrei die bedeutendste Grundlage unserer Rechtsordnung. Wobei ich hiermit nicht ausschließlich die als solche bezeichneten beschlossenen Texte meine, sondern auch die Edikte der Imperatores Caesares Augusti und Praetores und den Mos Maiorum. Mit Ausnahme des Mos Maiorum handelt es sich hierbei stets um schriftlich niedergelegte Regelungen. Um genau diese soll es in diesem Handbuch gehen, da deren Interpretation oft die eigentliche Schwierigkeit der juristischen Arbeit darstellt. Der Mos Maiorum hingegen setzt die Rahmenbedingungen, um bei der Auslegung der Gesetze zu helfen und Lücken zu schließen.


    In der Hoffnung, etwas Nützliches verfasst zu haben, wünsche ich meinen Lesern eine erfolgreiche Lektüre.



    Interpretatio ad verbum


    Ganz grundsätzlich hat die Auslegung der Gesetze nach deren Wortlaut zu erfolgen. Das lässt sich daraus herleiten, dass stets große Mühe auf eine klare und deutliche Formulierung der Gesetze gelegt wird, um so präzise wie irgend möglich das Gewollte auszudrücken. Spielräume sollen möglichst vermieden werden. Man kann also davon ausgehen, dass ein Gesetz stets das ausdrückt, was der Gesetzgeber gemeint hat.


    Unglücklicherweise wandelt sich aber die Sprache mit der Zeit. Ein extremes Beispiel stellt das Carmen Saliare dar, dessen Text kein gewöhnlicher Römer mehr versteht, obwohl es doch in lateinischer Sprache verfasst wurde. Doch auch bei weniger altem Latein liegen bereits Änderungen der Sprache vor. So ist die Lex XII Tabularum nur deshalb noch weitestgehend verständlich, weil die Bedeutung der ursprünglichen Worte durch ständige Übung übertragen wurde.

    Aus dieser Wandlung der Sprache kann es vorkommen, dass der Wortlaut nach Jahrhunderten anders verstanden wird, als es ursprünglich beabsichtigt wurde. Fraglich ist, wie in diesem Fall vorzugehen ist.


    Man könnte nun davon ausgehen, dass die ursprüngliche Bedeutung beizubehalten ist. Dafür spricht, dass es ja auch genau dem entspricht, was der Gesetzgeber ursprünglich formuliert hat. Eine Anpassung der Auslegung an die sich ändernde Sprache würde ja einen vom Gesetzgeber bei der Formulierung des Gesetzes ungewollten Wandel bedeutet.


    Dagegen spricht, dass Gesetze das soziale Zusammenleben regeln sollen. Geht man davon aus, dass der Wandel der Sprache mit einem Wandel der Lebensrealität zusammenhängt, dann wäre eine solche Anpassung der Bedeutung des Gesetzeswortlauts im Sinne der sich ändernden Gesellschaft. Doch muss dabei auch beachtet werden, dass hierbei keine widersinnigen Ergebnisse entstehen.


    Wie lässt sich also diese Problematik lösen? Eine Möglichkeit wäre es, die ursprüngliche Bedeutung zu konservieren und die genaue Bedeutung der Worte zum Zeitpunkt der Formulierung des Gesetzes zu ermitteln. Zweifelsfrei wäre das die optimale Lösung. Doch was ist, wenn sich dieses nicht bewerkstelligen lässt? Wie legt man dann das Gesetz aus? Hier sollte man neben der aktuellen Bedeutung der Worte auch den Mos Maiorum beachten. Diese Berücksichtigung sollte in aller Regel zu einem vertretbaren Ergebnis führen. Doch sollte auch beachtet werden, dass sich auch der Mos Maiorum mit der Zeit ändern kann.


    Deshalb plädiere ich dafür, auch die Meinung des Kollegen Publius Iuventius Celsus zu berücksichtigen und im Zweifelsfall eine Interpretation nach dem Zweck des Gesetzes vorzunehmen. Dieses wird im Kapitel „Interpretatio ad potestatem“ genauer erläutert.


    Ein weiteres Problem besteht dann, wenn sich herausstellt, dass es eine Lücke im Gesetz gibt. Hier ist zunächst zu prüfen, ob es woanders im gleichen Gesetz oder in anderen Gesetzen einen geregelten Sachverhalt gibt, der diese Lücke füllt. Existiert eine solche Regelung, so ist sie selbstverständlich anzuwenden und auszulegen.


    Wie geht man aber vor, wenn es keine entsprechende Regelung gibt? Zunächst sollte man sich dann die Frage stellen, ob es in diesem Fall nicht ein klares Verhalten gibt, das nach Mos Maiorum erwartet werden kann. Dann ist dieses Verhalten selbstverständlich die vorausgesetzte Norm und eine weitergehende Auslegung erübrigt sich.


    Wenn die Füllung der Lücke aber auch mit dem Mos Maiorum nicht gelingt, was nur höchst selten der Fall sein sollte, gibt es prinzipiell zwei verbleibende Möglichkeiten. Entweder ist es vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, den Sachverhalt ungeregelt zu belassen. Dann existiert keine Regelung und der Sachverhalt ist absichtlich so belassen, dass eine außergerichtliche Einigung gefunden werden soll. Hier soll logisch vorgegangen werden und ein Ausgleich aller beteiligten Interessen gefunden werden. Dabei sollte auch stets beachtet werden, dass dies zu keinem Ergebnis führt, das im Widerspruch zu bestehenden Gesetzen steht. Auch der Wille der Götter ist zu beachten und, sollte dieser beeinträchtigt werden können, ein Gutachten des Collegium Pontificum eingeholt werden.


    Die andere Möglichkeit ist, dass es zum Zeitpunkt des Beschlusses des Gesetzes entweder schlicht vergessen wurde, diese Lücke zu schließen, oder dass es durch den Wandel der Gesellschaft im Laufe der Zeit erst zu dieser Lücke kam. So würde es beispielsweise niemanden überraschen, wenn ein Gesetz aus der Zeit, als Rom lediglich über Latium herrschte, keine Regelung zum Umgang mit transalpinen Gebieten gab. Es war schlichtweg nicht notwendig, diesen Sachverhalt zu regeln. Solche Lücken sind ungeplant und bedürfen einer Regelung. Hier sollte zunächst nach einer Interpretation gesucht werden, die sich in bestehende Gesetze einfügt. Falls dieses nicht gelingt, kann ein Gutachten bei den amtierenden Praetores oder dem Imperator Caesar Augustus angefragt werden. Das verschiebt aber lediglich die Auslegung auf die genannten Personen, wenngleich sie in diesem Fall eine für die Zukunft bindende Wirkung entfalten können.


    Grundsätzlich kann eine unbeabsichtigte Lücke durch eine Analogie geschlossen werden. Hierzu sucht man in den Gesetzen, inklusive Mos Maiorum, nach einem hinreichend ähnlichen geregelten Sachverhalt. Die für diesen Sachverhalt gefundene Regel wird dann auf den ungeregelten Sachverhalt übertragen. Ideal ist hierbei ein Sachverhalt der gleichen hierarchischen Ebene. So könnte beispielsweise eine Regelung für einzelne Res mancipi, beispielsweise ein Grundstück, auf eine andere Res mancipi, wie einen Sklaven, übertragen werden. Es ist aber auch möglich, auf unterschiedlichen Hierarchiebenen zu operieren. Hier gibt es zum einen das Argumentum a maiore ad minus, mit dem man vom Größeren auf das Kleinere schließt. Im gesetzlichen Kontext ließe sich hier eine Regelung aus einem allgemeineren Gesetz auf eine Lücke in einem Spezialgesetz, das unter dem allgemeineren Gesetz steht, übertragen. Andererseits ist es auch möglich, ein Argumentum a minore ad maius vorzubringen, womit vom Kleineren auf das Größere geschlossen wird. Hier wäre beispielsweise eine Regelung aus einem Spezialgesetz auf eine Lücke im allgemeineren Gesetz übertragen werden.


    Wenn ein solcher Lückenschluss nicht gelingt, sollte die Lücke nach dem Zweck des Gesetzes geschlossen werden.



    Summa interpretationis ad verbum


    Nach den zuvor genannten Prinzipien ist also ein Gesetz zunächst nach der originalen Bedeutung des Wortlauts auszulegen. Gelingt das nicht, so ist nach der aktuellen Bedeutung der Worte unter starker Würdigung des Mos Maiorum auszulegen. Ist auch dieses nicht möglich, so kann statt dessen der Zweck des Gesetzes zur Auslegung herangezogen werden.


    Bei Lücken in den Gesetzen ist zunächst zu ermitteln, ob die Lücke beabsichtigt ist. In diesem Fall ist ein logischer Interessenausgleich zu finden, der sich widerspruchsfrei in die bestehenden Gesetze und die Pax Deorum einfügt.


    Eine unbeabsichtigte Lücke ist nach Mos Maiorum zu schließen. Gelingt das nicht, ist eine Analogie in den bestehenden Gesetzen zu suchen und auf die Lücke zu übertragen.


    Wenn es auch an einer Analogie mangelt, sollte ein Lückenschluss nach dem Zweck des Gesetzes erfolgen.



    Interpretatio ad potestatem


    Der Kollege Publius Iuventius Celsus vertritt die Meinung, dass Gesetze nicht primär nach dem Wortlaut, sondern nach ihrem Sinn und Zweck (ihre potestas) auszulegen sind (Digesten 1.3.17: Scire leges non hoc est verba earum tenere, sed vim ac potestatem.)


    Der Vorteil dieser Interpretation wird an einem einfachen Beispiel offenbar. Im Codex Iuridicialis ist in § 103.1 geregelt, dass das Waffentragen innerhalb des Pomerium ausschließlich den römischen Stadteinheiten vorbehalten ist. Das heißt, dass Bürger, die nicht in einer Stadteinheit dienen, unter die Strafvorschrift dieses Paragraphen fallen. Nehmen wir nun an, dass die Stadt Rom von feindlichen Truppen erobert wurde. Die Götter mögen verhindern, dass dies jemals geschieht, jedoch sei darauf hingewiesen, dass es hierfür in der Vergangenheit Beispiele gibt. In diesem Fall gibt es keine römischen Stadteinheiten mehr innerhalb des Pomeriums. Nun erheben sich Bürger mit Waffen gegen die Feinde und vertreiben diese. Nach dem Wortlaut des Gesetzes haben sich die Bürger damit strafbar gemacht und ihre Straftat wäre entsprechend zu ahnden. Dieses Ergebnis wäre aber widersinnig, weil es doch im Interesse des Staates sein muss, dass römische Bürger ihre Heimat gegen Feinde verteidigen.


    Die Lösung liegt in einer Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes. In Friedenszeiten ist es nämlich durchaus wünschenswert, dass ausschließlich die römischen Stadteinheiten innerhalb des Pomeriums bewaffnet sind. Einerseits sollen so Kriminalität und Aufstände verhindert und ein friedliches Zusammenleben innerhalb des Pomeriums gewährleistet werden. Andererseits sichert es auch die Pax Deorum, weil die Götter selbst verfügt haben, dass grundsätzlich keine Waffen innerhalb des Pomeriums zu tragen sind. In Kriegszeiten, wenn Feinde innerhalb des Pomeriums sind, entfällt aber wenigstens der erste Zweck, weil das friedliche Zusammenleben mit Feinden unmöglich ist und Widerstand zur obersten Pflicht wird. Dann muss es aber auch möglich sein, sich zu bewaffnen und die Feinde zu vernichten oder zu vertreiben, um den Frieden wiederherzustellen. Dann sollte es aber auch keine Bestrafung für diejenigen geben, die bewaffnet gegen die Feinde gekämpft haben.


    Es erscheint also durchaus sinnvoll, Gesetze eher nach ihrem Sinn und Zweck als nach ihrem Wortlaut auszulegen. Wobei der Wortlaut natürlich den Sinn und Zweck des Gesetzes wiedergibt oder zumindest wiedergeben sollte.


    Nachteilig erscheint bei einer Auslegung nach dem Sinn und Zweck aber, dass dieser nicht immer bekannt ist. Bei neueren Gesetzen findet man diesen noch häufig, insbesondere dann, wenn noch Zeugen der Schaffung des Gesetzes leben, die man fragen kann. Je älter ein Gesetz ist, desto schwieriger wird es. Die Frage ist also, inwiefern eine Ermittlung von Sinn und Zweck überhaupt möglich ist. Hier können teilweise längere Recherchen in Archiven folgen. Sollte das nicht zum Erfolg führen, so bleibt nur eine allgemeine Überprüfung der Gesetze in ihrer Gesamtheit, inklusive dem Mos Maiorum. Und selbst das muss nicht zwingend zum Erfolg führen, beispielsweise bei singulären Regelungen für einen speziellen Sachverhalt. In diesem Kontext erscheint eine Auslegung nach dem Wortlaut der einzig gangbare Weg. Auch bietet eine Interpretation nach dem Wortlaut auch den Vorteil, dass hierbei subjektive Verzerrungen minimiert werden.


    Auch sei erwähnt, dass eine Auslegung nach Sinn und Zweck dazu führen kann, dass Gesetze ganz oder teilweise ihre Wirksamkeit verlieren, weil beispielsweise der Sinn und Zweck nicht mehr gegeben oder unnötig geworden ist. Es wäre aber vermessen, die Korrektur oder Abschaffung des Gesetzes dann in die Hände einzelner Juristen zu legen. Vielmehr sollte dieses allein durch den Senatus oder den Imperator Caesar Augustus erfolgen.


    Daher sollte die Auslegung nach dem Wortlaut bevorzugt werden und nur bei Unklarheiten die Auslegung nach Sinn und Zweck hinzugezogen werden. Bei widersinnigen Ergebnissen einer Auslegung nach dem Wortlaut sollte die Auslegung nach Sinn und Zweck bevorzugt werden.



    Summa interpretationis ad potestatem


    Die Auslegung nach Sinn und Zweck bietet den Vorteil, dass sie zu einer für das Imperium Romanum sinnvollen Anwendung der Gesetze führt und widersinnige Ergebnisse vermeidet.


    Andererseits ist die Ermittlung von Sinn und Zweck häufig mit Schwierigkeiten verbunden, die einer subjektiven Auslegung dienlich sind.


    Daher sollte die Auslegung nach dem Wortlaut bevorzugt werden, die bei Unklarheiten durch eine Auslegung nach Sinn und Zweck unterstützt werden kann. Lediglich bei widersinnigen Ergebnissen sollte die Auslegung nach Sinn und Zweck bevorzugt werden.



    Interpretatio ad totum


    Gesetzliche Regelungen sind stets in der Gesamtheit der Gesetze zu betrachten. Denn eine losgelöste Betrachtung einer einzelnen Regelung führt häufig zu einer falschen Auslegung, was der Kollege Publius Iuventius Celsus trefflich formuliert hat (Digesten 1.3.24: Incivile est nisi tota lege perspecta una aliqua particula eius proposita iudicare vel respondere.)


    Examplarisch sei wieder § 103.1 Codex Iuridicialis erwähnt. Betrachtet man ausschließlich den ersten Absatz, so wäre allen das Waffentragen innerhalb des Pomeriums verboten. Erst aus dem zweiten Absatz wird offenbar, dass den stadtrömischen Einheiten das Waffentragen abweichend hierzu erlaubt ist.


    Doch auch über ein einzelnes Gesetz hinaus ist der gesamte Rechtsrahmen zu betrachten. So wären beispielsweise die Regelungen der Lex Mercatus nicht umfassend und ausschließlich für das Handelsrecht. Vielmehr sind unter anderem auch die Lex XII Tabularum, Lex Atilia und die Lex Laetoria zu beachten, die weitere Einschränkungen mit sich bringen, ebenfalls zu beachten.


    Falls sich einzelne Gesetze ganz oder teilweise widersprechen, kann als einfache Regel gelten, dass neueres Recht stets älteres Recht verdrängt. Im Zweifelsfall gilt also die neuere Regelung.



    Summa interpretationis ad totum


    Grundsätzlich sind weder einzelne Regelungen losgelöst vom gesamten Gesetz zu betrachten, noch einzelne Gesetze losgelöst von der Gesamtheit der Gesetze.

    Fall sich Gesetze ganz oder in einzelnen Regelungen widersprechen, so gilt im Zweifelsfall die neuere Regelung.



    Summa summarum


    Eine Auslegung sollte grundsätzlich nach dem Wortlaut unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Gesetze erfolgen.


    Geplante Lücken sind widerspruchsfrei unter einem allgemeinen Interessenausgleich aller Beteiligten zu schließen, während ungeplante Lücken durch Analogie zu schließen sind.


    Eine Auslegung nach Sinn und Zweck sollte nur zur Aufhebung von Unklarheiten oder zur Vermeidung von widersinnigen Ergebnissen erfolgen.


    Eine Vernachlässigung der Gesamtheit der Gesetze ist unzulässig. Im Zweifelsfall gehen neuere Regelungen den älteren Regelungen vor.


    Ich war heute in der Eifel unterwegs und habe mir erhaltene Reste des Kanals bei Nettersheim angesehen. Das ist eine der Quellen des Eifel-Aquädukts. Es ist schon interessant, wenn man sieht, dass es noch heute einen zuverlässigen Wasserfluss von klarem, sauberem Wasser gibt und die Brunnenfassung trotz ihrer Versandung noch immer ihre Aufgabe erfüllt. Selbst ein versandeter Kanal funktioniert noch.


    Zum Thema Blei möchte auch noch kurz etwas anmerken: Frisches Blei überzieht sich bereits an der Luft mit einer dünnen, aber chemisch inerten Oxidschicht. Die Chemie des Wassers, insbesondere des kalkhaltigen Wassers, führt dazu, dass sich noch schwerer lösliches Bleicarbonat bildet. Auf dem Bleicarbonat wächst in der Regel Calciumcarbonat und, je nach Wasserbeschaffenheit, auch Magnesiumcarbonat auf. Doch selbst ohne die Versinterung ist das Blei bereits passiviert. Insgesamt ist Blei also gar keine schlechte Wahl für Wasserrohre.


    Allerdings gibt es eine andere mögliche Quelle für eine Bleivergiftung in der Antike: Bleiacetat, auch bekannt als Bleizucker. Dieses war als Süßstoff bereits in der Antike bekannt. Das Interessante an Bleiacetat ist, dass es in der optimalen Form für die physiologische Verwertung vorliegt. Aber das hat nichts mit den Wasserleitungen zu tun. ;)

    Der Aedituus vermeldete "Litatio!" und sah mich erwartungsvoll an. Ich blickte kurz nach oben und bedankte mich in Gedanken, als mich ein leichter Luftzug kurz umspielte. Die Richtung, aus welcher der Luftzug kam, passte nicht zur heute vorherrschenden Windrichtung. Wie seltsam. Ob das ein Zeichen Minervas war? Ich nahm es einfach als solches an.


    "Aedituus, wie besprochen bitte ich darum, dass der Tempel das Fleisch verkauft und daraus seine Unkosten deckt. Und ich danke für deine Unterstützung."


    Der Aedituus nickte kurz und wir wechselten noch ein paar Worte. Ich kaufte auch einen Korb voll Opferfleisch und nahm in mit nach Hause, schon weil ich es als unhöflich gegenüber der Göttin empfand, darauf zu verzichten.

    Pacta sunt servanda, das galt erst Recht für Verträge mit den Göttern. Minerva hatte meine Bitte erfüllt, also lag es nun an mir, meine Verpflichtung zu erfüllen. Ich hatte ihr ein Kalb versprochen. Natürlich kaufte ich es nicht selbst, sondern hatte es dem Aedituus des Minerva-Tempels überlassen, dieses zu organisieren. Inzwischen war es da und alles war für das Opfer bereit. So ein großes Opfer hatte ich bisher nie gebracht, deshalb war ich ein wenig nervös. Das Kalb war bereits vor dem Tempel festgemacht und kaute ruhig auf seinem Futter. Der festliche Schmuck von weißen und roten Bändern am Kopf und einer schönen Wolldecke über den Rücken ließ es fast zu schön erscheinen, um es zu opfern.


    Ich schritt die Stufen zum Tempel empor und wusch mir am Eingang meine Hände im dafür vorgesehenen Waschbecken. Dann zog ich einen Zipfel der Toga über meinen Kopf und betrat das Gebäude. Das von mir gewünschte Speiseopfer war bereits angerichtet. Was man mit etwas Geld doch alles im Tempel organisieren konnte. Ich trat vor das Kultbild und betrachtete die Göttin für einen Moment, während ich Weihrauch entzündete.


    "Weise Minerva, ich danke dir, dass du mich die richtigen Argumente hast finden lassen, so wie ich es von dir erbeten hatte. Ich will dir auch erneut, wie so oft, für meinen scharfen Verstand danken. Ich hatte dir ein Opfer versprochen, und ich werde mein Versprechen nun erfüllen. Doch zuvor seien dir diese Süßigkeiten geschenkt. Ich hoffe, dass sie dir gefallen. Das Rezept stammt aus Athen, der anderen deiner Städte. Bitte, nimm meine Gaben an, so wie du auch meine täglichen kleinen Gaben im Lararium annimmst."


    Ich drehte mich nach rechts und nickte dem Aedituus kurz zu. Dieser schritt daraufhin voran zum Altar vor dem Tempel, auf dem das festgemachte weiße Kalb weiterhin ruhig lag. Die weiteren Gäste, die sich spontan hier eingefunden hatten, sowie ich selbst, wurden mit Wasser besprengt. Ich hatte niemanden zu dem Opfer eingeladen, weil ich hier eine persönliche Obligation erfüllte. Der Tempel sollte hinterher das Fleisch verkaufen.


    Nach den Worten "Favete linguis!" an die versammelten Gäste entfernte ich zunächst den Kopfschmuck und danach die Decke vom Kalb. Nach dem Entfernen der Decke sah es mich kurz empört an. Natürlich war es jetzt schlagartig kühler für das Tier. Die Tatsache, dass der Aedituus nun das Kalb mit Mola Salsa bestrich, machte es nicht unbedingt besser, obwohl die Empörung nun einer Art Verwirrung des Tieres wich. Immerhin blieb es weiterhin ruhig. Ein Opferhelfer reichte mir den Culter, mit dem ich vom Kopf bis zum Schwanz über das Kalb strich. Dann gab ich das Messer zurück und hob meine Hände.


    "Minerva, Klügste der Klugen, Weiseste der Weisen, siehe dieses Opfer, welches ich die in Erfüllung meines Versprechens übergebe. Du hast deinen Teil unseres Vertrages erfüllt, nun bitte ich dich, dieses Kalb als Erfüllung meines Teils des Versprechens zu akzeptieren. Sei dir gewiss, dass ich auch weiterhin dir treu opfern werde und mich für die Gabe meines Verstandes, mit der du mich so großzügig gesegnet hast, weiterhin erkenntlich zeigen werde."


    Minerva wusste, dass ich eher nicht der Mensch vieler Worte war. Bisher hatten wir uns auch ohne viele Worte gut verstanden. Hoffentlich würde es auch so bleiben. Das Kalb muhte kurz, wobei ich mir nicht sicher war, ob das nun Zustimmung oder Ablehnung bedeutete. Ich drehte mich nach rechts und sah den Aedituus an. Dieser nickte mir kurz zu, woraufhin ich den Victimarius ansah. Dieser fragte "Agone?", woraufhin ich mit "Age!" antwortete. Daraufhin schlug er mit dem Malleus beherzt auf den Kopf des Kalbs, welches das mit einem erstaunten Blick quittierte. Nur einen kurzen Moment später stieß der Cultrarius das Messer in den Hals des Tieres, woraufhin das Blut zu sprudeln begann. Der Aedituus ließ Blut in einer Schale sammeln und beobachtete die Zuckungen des Kalbes genau.


    Als das Tier ausgeblutet war und leblos auf dem Altar lag, wurde es auf den Rücken gedreht und die Eingeweide entnommen. Der Aedituus betrachtete die Eingeweide. Hoffentlich würde die Göttin mein Opfer annehmen. Einmal abgesehen von der finanziellen Seite war es auch eine Frage, ob meine bislang gute Beziehung zu Minerva Bestand haben würde.

    Die Parentalia hatte ich zuletzt als Kind gefeiert, bevor ich nach Alexandria geschickt wurde. Damals hatte ich das Fest als recht fröhlich in Erinnerung, wobei mir der Sinn und Zweck nicht ganz klar war. Dafür hatte mir damals der Gedanke gefallen, an diesen Tagen den Ahnen nahe zu sein. Natürlich verschwendete ich als Kind keinen Gedanken daran, dass auch mein eigener Vater einmal zu den verstorbenen Ahnen gehören würde. Wie doch die Zeit verging!


    Nun war ich also am Grab meines Vaters, welches ich tatsächlich zum ersten Mal seit meiner Rückkehr nach Rom besuchte. Vater würde es verstehen, denn auch er hatte die Arbeit stets an erste Stelle gestellt. Wie ähnlich wir uns doch manchmal waren! Und zugleich oft sehr verschieden. Ich schmückte das Grab festlich und beschloss, meinem Vater ein wenig zu berichten, wie es mir erging.


    "Salve, Vater. Ich hoffe, dass es dir in den elysischen Feldern gut geht. Und ich hoffe, dass du den Weg hierhin gefunden hast. Mutter hat dir ein schönes Grabmal errichten lassen. Dafür habe ich deinen Lieblingswein mitgebracht."


    Ich präsentierte dem Grabmal kurz den Krug, den ich mit mir führte.


    "Das ist natürlich nicht ganz vergleichbar, aber wir wissen beide die Kleinigkeiten zu schätzen. Das hast du mir immer beigebracht."


    Der Gedanke daran, wie mein Vater mir als Kind mit großer Geduld seine Lebensphilosophie vermittelt hatte, zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.


    "Ach ja, dass ich wieder in Rom bin, brauche ich dir wohl nicht mehr zu sagen. Dafür habe ich einen recht guten Einstieg als Jurist gemacht. Ich habe zwei Kommentare verfasst, von denen einer sogar in die Bibliotheca Ulpia aufgenommen wurde. Und ich habe die meisten meiner Prozesse gewonnen. Erst kürzlich habe ich von meinem Freund Quintus Betucius Firmus die Vertretung von dessen Bruder samt Ehefrau übernommen und das Verfahren damit gerettet."


    Ich lachte kurz.


    "Gerettet ist natürlich Ansichtssache. Für die Gegenseite war es eher das Wegnehmen eines sicher geglaubten Sieges. Ich denke, dass wir darauf ruhig trinken können."


    Ich gab einen guten Schluck Wein in die dafür vorgesehene Öffnung des Grabmals, damit der Wein auch meinen Vater erreichen konnte. Dann nahm ich auch einen Schluck. Der Weingeschmack meines Vaters war nicht meiner, aber was tat man nicht alles für seine Eltern?


    "Es sieht so aus, als hätte ich dein Gespür für die Rechtsauslegung geerbt. Das wird dich sicher freuen, zumal es ja lange so aussah, als würde ein Philosoph aus mir. Allerdings bin ich das auch immer noch. Mein Zugang zu den Gesetzen ist eher philosophisch, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Im Übrigen... nun... wie sage ich dir das am besten? Das ist nicht der einzige Unterschied zwischen uns. Ich habe mir einen Patron gesucht."


    Entschuldigend hob ich die Hand, die nicht durch den Krug belegt war.


    "Ja, ich weiß, ein guter Advocatus ist maximal unabhängig. Doch sei dir gewiss, dass ich meinen Patron sorgsam ausgewählt habe. Er mischt sich nicht in meine Arbeit als Advocatus ein. Auch meine rechtswissenschaftlichen Arbeiten kann ich frei anfertigen. Dafür haben sich die Diskussionen mit meinem Patron als sehr nützlich erwiesen. So eine zweite Meinung, gerade wenn sie anders ist, verbessert diese Arbeiten durchaus. Du solltest den Namen meines Patrons übrigens kennen. Der Senator Lucius Annaeus Florus Minor. Er wurde für diese Amtszeit zum Praetor Urbanus gewählt. Seien wir realistisch, ein Praetor als Patron ist für einen Juristen sicher nicht ganz falsch. Wer weiß, vielleicht erreiche ich so den Ordo Equester, der dir verwehrt blieb. Auch wenn es dir nicht viel bedeutete, mir bedeutet es etwas. Man kann so viel mehr zum Positiven verändern, wenn man ein Ritter ist. Ich begnüge mich eben nicht mit der Vertretung von Mandanten, auch wenn es lukrativ ist. Ich bin weiterhin Philosoph, wie ich bereits erwähnte."


    Erneut teilte ich den wein mit meinem Vater.


    "Nun, ich denke, dass du dennoch stolz auf mich bist. Oder vielleicht gerade deshalb? Immerhin hattest du mir beigebracht, stets meinen eigenen Weg zu gehen. Tja, nun, ich habe leider immer noch jede Menge Arbeit. Aber das kennst du ja, haben wir es doch gemeinsam. Ich werde dir noch den restlichen Wein lassen. Und ich verspreche, dich zu besuchen, so wie ich eben Zeit finde. Vale bene, bis demnächst."


    Ich stellte den Weinkrug vor das Grabmal und ging. Dabei hatte ich das gute Gefühl, meinen Vater zumindest ein wenig glücklich gemacht zu haben. Obwohl ich natürlich hoffte, dass er im Elysium ohnehin glücklich war.

    Es war nun schon eine Weile her, seit ich das Lararium verlassen hatte und mich in die Bibliothek zurückgezogen hatte. Ich war gut mit Posca und einem kleinen Imbiss versorgt worden, während ich die augusteischen Ehegesetze studierte. Ich würde mein Wissen hier noch vertiefen müssen. Noch einmal würde es mir die Gegenseite vor Gericht nicht so einfach machen.


    Da kam Begoas zu mir.


    "Domine, du hast Besuch?"


    Ich zog eine Augenbraue hoch, erwartete ich doch gar keinen Besuch.


    "Aha. Wenn es weder mein Patron noch irgend eine höhergestellte Person ist, kannst du den Besuch bitte hierher bringen."


    "Ja, Domine."


    Er verschwand wieder und nach ein paar Momenten kam mein Freund Quintus Betucius Firmus herein, gefolgt von seinem Bruder Gnaeus Betucius Lepta und einer Frau. Lepta und die Frau sahen ausgesprochen glücklich aus.


    "Salvete."


    Ich sah Firmus an.


    "Du schuldest mir einen Gefallen."


    Dann sah ich Lepta an.


    "Du schuldest mir fünf Aurei."


    Danach sah ich zu der Frau.


    "Und du, nun du schuldest mir gar nicht, außer der Nennung deines Namens. Wobei ich vermute, dass dieser Albina Calvia ist."

    Die drei sahen mich mehr oder weniger verdutzt an.


    "Ähh, ja. Alles drei, ja," sagte Firmus.


    "Freut mich, dass wir uns einig sind. Was verschafft mir die Ehre des Besuchs?"


    "Naja, mein Bruder wollte seine Schulden begleichen und Calvia wollte den Mann kennenlernen, der sie von der Patria Potestas befreit hat."


    Die Frau lächelte strahlend.


    "Advocatus Iunius Tacitus, danke! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Wirklich... du musst direkt von Iuno geschickt worden sein!"


    "Minerva und Iustitia," erwiderte ich trocken.


    "Ich verstehe nicht?"


    Firmus lachte.


    "Das ist mein Freund Tacitus! Hahaha! Du bist noch immer wie am Museion. Trocken wie der Wüstensand."


    Ich schmunzelte. Dann legte Lepta einen Beutel auf den Tisch vor mir.


    "Ich," er blickte zu seiner Frau, "wir schulden dir großen Dank. Bitte, nimm dieses Honorar an."


    Nachdem ich den Beutel geöffnet hatte, fielen mir sofort zwei silberne Ringe mit Gemmen auf. Ich holte sie, sowie das Geld, wortlos hervor.


    "Sechs Aurei, ein Denar, fünf Sesterzen, und diese beiden Ringe. Vereinbart waren fünf Aurei."


    Fragend sah ich Lepta an.


    "Du hast mehr für uns getan, als wir erwarten konnten. Deshalb haben wir ein wenig zusammengelegt. Die Ringe gehören meinem Vater. Er möchte, dass du sie besitzt, weil du seinen Sohn glücklich gemacht hast. An Geld haben wir das gegeben, das wir gerade entbehren können. Unser Haus bedarf der Renovierung, sonst hätten wir mehr übrig."


    "Und doch waren nur fünf Aurei vereinbart," bemerkte ich emotionslos.


    "Bitte, nimm den Rest als Geschenk an. Du hast so viel für uns getan!"


    Ich sah Firmus an. Dessen Blick sagte mir, dass ich alle sehr enttäuschen würde, wenn ich das Geschenk ablehnen würde. Eigentlich widerstrebte es mir, es anzunehmen. Mein Vater pflegte immer zu sagen, dass die Ablehnung eines Geschenks oft schlimmer aufgefasst wurde als eine verbale Beleidigung.


    "Also gut, dann will ich dieses Geschenk annehmen. Aber unabhängig von der Vereinbarung des Honorars, als Geschenk von Freunden."


    Calvia und Lepta strahlten.


    "Du hast dich doch ein wenig verändert seit Alexandria," flüsterte mir Firmus grinsend zu.


    "Und du schuldest mir immer noch einen Gefallen."


    "Und der wäre?"


    Nun grinste ich.


    "Irgendwann, vielleicht auch nie, werde ich den Gefallen einfordern. Bis dahin vermag ich ihn nicht zu spezifizieren."


    Firmus nickte. Er hatte verstanden.


    "Wir danken dir für deine Zeit. Es sieht so aus, als hätten wir dich bei der Arbeit gestört. Deshalb verabschieden wir uns wieder."


    "Aber wir würden uns freuen, wenn du uns einmal besuchen kommst. Am besten, wenn das Haus renoviert ist."


    "Schickt mir eine Einladung und ich werde sehen, ob ich es einrichten kann."


    Die beiden verabschiedeten sich und gingen. Firmus klopfte mir kurz auf die Schulter.


    "Du bist der Beste, Tacitus. Wir sehen uns."


    "Auf jeden Fall. Vielleicht komme ich bei dir einmal auf einen Becher Wein vorbei. Oder du bei mir."


    Firmus lächelte und wir reichten uns zum Abschied die Hände.


    Als die Gäste gegangen waren, sah ich mir noch einmal das Honorar an. Vielleicht war es ja auch eine göttliche Fügung, um mir meine mit den Göttinnen eingegangenen Verpflichtungen zu erleichtern?

    Nachdem ich meinen ersten Fall zum Eherecht gewonnen hatte und noch auf einen Becher Mulsum von meinem Patron eingeladen wurde, hatte ich mich wieder auf den weg nach Hause gemacht. Die Göttinnen hatten wohl meine Bitten erhört. Also sollte ich ihnen kurz berichten.


    "Minerva, Iustitia, ich habe den Fall gewonnen. Aber das wisst ihr sicher schon. Ich danke euch."


    Ich sah mir die Statuette der Iustitia an.


    "Ja, ich weiß, das sich dir einen Schrein oder eine Statue schulde. Ich denke, dass ich die Statue bevorzuge. Wenn du mir also kein anderes Zeichen gibst, wird es eine Statue sein. Magst du Marmor?"


    Die Statuette regte sich natürlich nicht. Also entschied ich, dass Marmor sicher in Ordnung gehen würde.


    "Nun, dann soll es Marmor sein. Es ist sicher teurer als der Schrein, aber dafür hast du den Praetor auch die Patria Potestas aufheben lassen. Quid pro quo."


    Dann sah ich zur Minerva-Statuette. Ich hatte eben das Gefühl gehabt, dass sie mich kurz erwartungsvoll angesehen hatte.


    "Ja, ich weiß, ich schulde dir ein Kalb als Opfer. Du hast meinen Verstand nicht versagen lassen, ich schulde dir ein Kalb. Vertrag ist Vertrag. Nur werde ich heute keins mehr bekommen. Ich werde morgen alles mit dem Aedituus deines Tempels klären."


    Irgendwie sah sie jetzt zufriedener aus. Oder bildete ich mir das nur ein? Vielleicht hatte ich heute zu wenig getrunken? Darüber rätselnd, ob die Götter uns auch in ihren Statuetten im Lararium erscheinen konnten, begab ich mich in die Bibliothek.