Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Nachdem Stilo gegangen war, sah ich meine Verwandten an, zuerst Matidia, dann Scato.


    "Wenn wir ihn das nächste Mal sehen, wird er wohl ein Soldat sein."


    Wie sich Stilo wohl verändern würde? Ob die Armee für ihn so wäre, wie er sich das vorgestellt hatte? Ich würde ihn auf jeden Fall fragen. Dann winkte ich Unauris zu mir.


    "Bitte die Toga richten, so kann ich nicht zum Forum gehen."

    Blutsuppe hatte ich noch nie probiert, aber davon gelesen. Die Soldaten oder Vollbürger - gab es da einen Unterschied? - Spartas sollten das wohl essen. Das Wort 'Originalrezept' deutete darauf hin, dass Terpander wohl genau das meinte. Ich war zwar schon recht gut gesättigt, aber probieren konnte man ja. Und gerade die Bemerkung, dass es nichts für verwöhnte Gaumen war, machte es interessant. Ich mochte einfache Speisen, auch wenn ich einem ausgeklügelten Menü eines Spitzenkochs ebenfalls nicht abgeneigt war. Nur bevorzugte ich, die alltäglichen Speisen einfach zu halten. Und wenn es eine neue Speise zu entdecken gab, die dazu passte, war das durchaus verlockend.


    "Warum eigentlich nicht. Allerdings sollte die Schüssel nicht zu voll sein, immerhin hatte ich bereits Puls und ich denke, dass ich es nicht übertreiben sollte. Was aber nicht heißt, dass das in Zukunft auch so sein wird. Also sei gewarnt, du könntest mich auf die Idee bringen, öfter Blutsuppe haben zu wollen."


    Ich grinste kurz, um meine 'Drohung' ins rechte Licht zu rücken.

    Das Lob war mir fast schon peinlich. Ich war zu Bescheidenheit erzogen worden, vor allem am Museion. Ein Philosoph strebte nicht nach Lob. Er erfreute sich vielmehr daran, dass seine Taten einen positiven Effekt hatten. Ganz abgesehen davon rührte mich diese Ansprache und ich mochte es nicht, wenn mich etwas rührte. Das machte die Selbstbeherrschung immer so schwer.


    Als Stilo mir dann die Schriftrolle gab und erzählte, was für ein Buch es war, konnte ich meine Freude nicht mehr verbergen. Bücher, diese großartigen Schätze, wertvoller als Gold. Und dann umarmte er mich. Warum umarmte einen hier dauernd jemand? Und gerade jetzt, wo ich in die Toga gekleidet war. Die Falten waren alle so schön geordnet gewesen. Ach, scheiß auf die Toga! dachte ich mir. Ich mochte Stilo. Und ich kämpfte gerade gegen den Impuls, hinter Stilos Rücken die Schriftrolle zu öffnen und mit dem Lesen zu beginnen, während ich die Umarmung erwiderte. Verdammte Neugierde! Aber ich konnte mich beherrschen.


    "Wenn ich einmal im Stab des Kaisers sein sollte - was ich bezweifle - werde ich an den Kommandant der Ala denken, den ich gerade umarme."


    Ich klopfte mit einer Hand auf Stilos Rücken und flüsterte ihm ins Ohr "Ich denke, dass wir den Moment nicht überstrapazieren sollten, sonst wird es komisch." Dann ging ich einen Schritt zurück, wobei ich meine rechte Hand auf seiner Schulter ruhen ließ. Sie Spur der Träne ignorierte ich.


    "Stilo, als mein Vater mich im Hafen von Ostia verabschiedet hatte, als ich das Schiff nach Alexandria nahm, sagte er recht viel zu mir, was ich hier nicht alles wiederholen möchte, bis auf eins, weil es passt."


    Ich holte tief Luft, um das Zitat besser von der Einleitung zu trennen.


    "Du wirst nun ein neues Kapitel in deinem Leben beginnen. Du wirst viel Neues kennenlernen, und manches Altbekannte in einem anderen Licht betrachten. Aber eines wird sich nie ändern, und du wirst es nie vergessen: Du bist ein Iunius. Wir sind eine stolze Familie. Unser Vorfahre, Lucius Iunius Brutus, beendete die Königsherrschaft und bekleidete zusammen mit Lucius Tarquinius Collatinus das erste Konsulat. Aber unsere Bedeutung liegt nicht in unserer Geschichte, sondern in den Taten, die wir in Zukunft vollbringen werden. Tue alles, was du tust, zum Wohle Roms. Scheue dich nicht, Schwierigkeiten zu überwinden, aber scheue dich auch nicht, dir Hilfe zu holen, wenn du es alleine nicht schaffst. Vor allem aber, zeige allen, dass du ein Iunius bist und wir Iunii niemals aufgeben."


    Mir selbst kam dieser Moment, an den ich mich bei diesen Worten erinnerte, so unendlich fern vor. Und doch konnte ich noch jedes Wort exakt zitieren. Mein Vater war schon ein begnadeter Redner gewesen und ich hatte hoffentlich seinen Ton getroffen. Ich klopfte Stilo noch einmal auf die Schulter und nickte ihm leicht zu, bevor ich meine Hand von seiner Schulter nahm.

    Die Begeisterung des Aemiliers für den Kaiser war deutlich zu bemerken. Irgendwann würde ich ihn darauf hinweisen, dass Juristen sich nur höchst selten zu Begeisterungsstürmen hinreißen lassen sollten, zumindest nicht, wenn sie in dem Moment als Jurist tätig waren und es keinen Vorteil brachte. Aber noch war dieser Zeitpunkt nicht. Ich lächelte kurz.


    "Interessant, du hast mit Artikel XI die einzige in die Vergangenheit wirkende Vollmacht ausgesucht."


    Die Schlussworte könnten wir sicher auch diskutieren, aber zu einem späteren Zeitpunkt des Kurses. Mein Blick ruhte nun auf Sabaco. Ich war gespannt, welchen Artikel er aus dem Gesetz heraussuchen würde.

    Die Antwort war ehrlich und auch das verlangte Respekt. Entsprechend nickte ich Sabaco anerkennend zu.


    "Es erfordert Mut, ehrlich zu sein. Auch das ist etwas, das wir uns merken sollten."


    Beim Kommentar des Secundus musste ich grinsen.


    "Na, hoffen wir einfach mal, dass es nicht der selbe war, sonst wäre er ein sehr unglücklicher Mensch!"


    Die Art, wie ich sagte, zeigte, dass ich mir natürlich der rhetorischen Natur der Bemerkung bewusst war. Ein wenig Auflockerung war vielleicht ganz gut an diesem Punkt, denn nun ging es von meiner Seite her richtig in die Tiefe.


    "Doch nun zur Beantwortung meiner Frage. Für das Zwölftafelgesetz wurden durch den Senat die Decemviri Legibus Scribundis, zehn patrizische Männer, ausgewählt, um dieses Gesetz aufzuschreiben. Hierin schließt sich der Kreis zum mündlichen Recht, welches hierdurch aufgeschrieben wurde und durch Kenntnisse des athenischen Rechts ergänzt und modernisiert wurde. Beschlossen wurde das Zwölftafelgesetz aber durch die Comitia Centuriata. Die Lex Canuleia wurde, wie du, Aemilius, korrekt beschrieben hast," dabei nickte ich Secundus zu, "vom Volkstribun geschrieben, aber ebenfalls nicht beschlossen. Beschlossen wurde auch dieses Gesetz durch die Comitia Centuriata. Für die Lex Annaea de Matrimonio habe ich nichts hinzuzufügen."


    Ich ließ eine kurze rhetorische Pause, um das Gesagte sacken zu lassen.


    "Wir sehen hier ein System. Zunächst haben wir eine Person oder einen Personenkreis, die dazu bevollmächtigt ist, ein Gesetz einzureichen. Diese Vollmacht ging in der Res Publica Antiqua allein vom Senat aus. Heutzutage kann sowohl der Senat, als auch der Kaiser diese Vollmacht erteilen. Dass der Kaiser die Vollmacht erteilen kann, liegt an der Generalvollmacht, die er vom Senat erhalten hat. Das könnt ihr in der Lex Aquilia de Imperio nachschlagen. Dieses Recht, Gesetzesvorschläge einzureichen, hat natürlich auch der Kaiser. In der Res Publica Antiqua mussten Gesetze nach der Genehmigung durch den Senat vor die Volksversammlung, in den genannten Beispielen die Comitia Centuriata, gebracht werden, um von dieser beschlossen zu werden. Das wäre für die Belange unseres Imperium Romanum zu zeitaufwändig. Deshalb ist es nun der Kaiser, der den endgültigen Beschluss fassen muss."


    Wieder ließ ich eine kurze Pause, um das Gesagt sacken zu lassen.


    "Typischerweise sind Magistrate bevollmächtigt, Gesetze einzureichen. Aber auch anerkannten Senatoren kann dieses Recht eingeräumt werden. Der Kaiser ist beides. Wir haben damit die klassische Lex vorläufig als Gesetz definiert, mit den folgenden Eigenschaften. Eine Lex ist eine Festlegung von Regeln, die durch eine dazu bevollmächtigte Person dem dazu von der Verfassung des Staates vorgesehenen Gremium, bei uns dem Senat, vorgelegt und durch eine verfassungsgemäße Stelle, bei uns dem Kaiser, beschlossen wird. Staatsverfassungen können unterschiedlich sein und deshalb auch unterschiedliche Gremien und Stellen vorsehen. Bei einer Königsherrschaft kann beispielsweise alles in einer Hand liegen. Hier möchte ich nun unsere Überlegungen durch eine kleine Übung unterbrechen."


    Ich stand auf und ging zu einem Regal, aus dem ich zwei Schriftrollen holte. Ich legte jedem meiner beiden Schüler eine Schriftrolle hin.


    "Dies ist die Lex Aquilia de Imperio. Wo finden sich hierin die entsprechenden Vollmachten des Kaisers, die die Gesetzgebung betreffen? jeder von euch nennt bitte eine der Vollmachten, unter genauer Zitierung des Textes in der Lex Aquilia de Imperio."

    Ich hörte aufmerksam zu, musste aber doch korrigieren.


    "Dass vor den Zwölf Tafeln mündliches Recht galt, ist korrekt. Aber bis auf die Lex Annaea di Matrimonio sind mir deine Ausführungen noch zu wenig präzise. Wer genau hat das Zwölftafelgesetz und die Lex Canuleia beschlossen? Präziser: Welches Gremium? Matinius?"


    Dass ich das Wort an Matinius übergab, lag daran, dass ich ihn natürlich auch einbinden wollte. Niemand sollte hier zu kurz kommen und niemand sollte sich drücken können. Dabei sah ich Sabaco freundlich, aber zugleich erwartungsvoll an.

    Das würde wohl schwieriger werden... Nun gut, wie man Vater immer sagte: Man wächst mit seinen Herausforderungen. Intelligenz war da, Bildung musste nachgeholt werden. Das war machbar. Anders herum wäre es schwieriger. Von diesen Gedanken ließ ich mir aber nichts anmerken.


    "Die Antwort ist... interessant. Natürlich müsste man noch genau definieren, was ein Politiker ist und was eigentlich ein Staat ist, was im Moment sicher weit über das Ziel dieses Kurses hinausgehen würde. Aber versuchen wir uns, dem Ganzen schrittweise weiter zu nähern und nehmen den Gedankengang vom Aemilius wieder auf, dass ein Gesetz eine Festlegung von Regeln ist. Definieren wir: Ein Gesetz ist eine oder mehrere gesetzte Regeln."


    Ich hoffte, dass die Ähnlichkeit von 'Gesetz' und 'gesetzt' auffallen würde. Das war jedenfalls der rhetorische Sinn der Wahl eines Synonyms für 'festgelegt'.


    "Und stellen uns die nächste Frage: Wer kann eigentlich Gesetze festlegen? Oder, juristisch ausgedrückt: Wer erlässt ein Gesetz? Sehen wir uns hierzu ein paar Gesetze an. Wer hat das Zwölftafelgesetz erlassen? Wer hat die Lex Canuleia erlassen? Wer hat die Lex Annaea de Matrimonio erlassen?"

    Das war die Ausbildung, die man von einem Patrizier erwarten konnte. Entsprechend hielt ich mich mit Lob zurück.


    "Guter Gedankengang, Aemilius. Matinius, was ist deine Meinung?"


    Mich interessierte auch, wie Sabaco dachte. Schließlich ging es ja um Erkenntnisgewinn durch Austausch. Wobei sowohl eine Bestätigung, als auch eine abweichende Meinung in Ordnung waren.

    Die Bemerkung zu den nie verlorenen Gefechten nahm ich mit einem kaum bemerkbaren Grinsen zur Kenntnis. Nachdem nun die Vorstellungsrunde abgeschlossen war, kam ich direkt zur Sache.


    "Nun, da wir uns einander vorgestellt haben, können wir loslegen. Im Rahmen dieses Kurses werdet ihr die Grundlagen der Juristerei kennenlernen. Wenn der Kurs vorbei ist, werdet ihr saubere Definitionen formulieren können, die den Kriterien wissenschaftlicher Präzision genügen. Ihr werdet wissen, wie man Gesetze liest und wo man Informationen über die Auslegungslehre findet. Und ihr werdet sauber und präzise Sachverhalte unter die relevanten Rechtsnormen subsumieren und aus den Rechtsnormen argumentieren. Dort, wo es Regelungslücken in den Gesetzen gibt, werdet ihr sie zu Gunsten eurer Mandanten schließen und dort, wo es Auslegungsspielräume gibt, werdet ihr sie nutzen. Wir werden das Argumentieren üben und eure Logik und Rhetorik schleifen und Gerichtsverhandlungen simulieren, damit ihr ein wenig Praxiserfahrung erhaltet. Ich unterrichte nach den Standards des Museions und ich erwarte, dass ihr diese erfüllt.""


    Ich pausierte kurz, um beide eindringlich anzusehen. Dann fuhr ich fort.


    "Beginnen wir mit einer Übung in Logik, die wir bei jeder Definition wiederholen werden. Es ist wichtig, zunächst abstrakt zu klassifizieren und dann immer weiter zu konkretisieren, bis wir eine saubere Definition erhalten. Die erste Definition ist die des Gesetzes. Ich behaupte, dass ein Gesetz als Regel klassifiziert werden kann. Stimmt ihr dieser Klassifizierung zu? Wenn ja, welche anderen Regeln gibt es und wie unterscheidet sich ein Gesetz von anderen Regeln?"

    Als Aemilius Secundus die Taberna betrat, war ich kurz überrascht. Dann fiel mir wieder ein, dass wir in Rom darüber sprachen, dass ihn der Augustus nach Germanien zu senden gedachte. Das hatte er wohl auch getan. Dass ich ihn hier sah, freute mich. Einerseits freute mich das bekannte Gesicht, zumal er mir gegenüber stets freundlich war, andererseits fühlte ich mich auch geehrt, dass ein Patrizier meinen Kurs besuchte. So lächelte ich und grüßte ihn mit einem Nicken.


    Der zweite Mann, der die Taberna betrat, war sehr anders. Offenbar ein Angehöriger des Ordo Equester, und dem, wenn auch gedämpften, Klimpern nach ein Soldat, vermutete ich. Was sollte sonst unter einer Toga klimpern, wenn nicht ein Cingulum Militare? Es wäre jedenfalls seltsam, wenn es sich um etwas anderes handeln würde.


    "Salvete. Ich würde vorschlagen, dass sich die Herren schon einmal setzen, während ich noch einen Moment warte, ob es weitere Teilnehmer gibt."


    Dabei wies ich auf die beiden Bänke mit den Tischen.


    "In der Zwischenzeit können wir uns einander kurz vorstellen. Wie ihr euch denken könnt, beziehungsweise bereits wisst," dabei nickte ich Secundus zu, "bin ich Aulus Iunius Tacitus. Ich habe am Museion Philosophie studiert und in Rom als Advocatus praktiziert. Außerdem habe ich mehrere Bücher zu juristischen Themen verfasst. Und, das sollte ich auch erwähnen, seit acht Monaten keinen Prozess mehr verloren, obwohl ich an jedem Gerichtstag einen oder zwei Prozesse geführt habe."


    Nach dieser Kurzvorstellung meiner selbst, die eher dem mir unbekannten galt, nahm ich auf dem einzigen Stuhl platz. Natürlich könnte ich Secundus vorstellen, aber es gehörte für einen Juristen auch dazu, sich kurz und bündig vorstellen zu können. Deshalb sollte sich jeder selbst vorstellen.

    Eine leerstehende Taberna in der Basilica Germanica war der Ort, an dem ich meinen Kurs abhalten wollte. Die Taberna bestand aus einem einzelnen Raum und war wohl einmal ein Kleidungsgeschäft gewesen. Weshalb es nicht mehr existierte, wusste ich nicht. Es interessierte mich auch nicht. Die Miete war extrem günstig gewesen, eigentlich fast geschenkt. Allerdings waren meine Preisvorstellungen wohl auch sehr stark von Rom und Alexandria geprägt. Gut möglich, dass in diesen Metropolen alles deutlich teurer war als hier in der Grenzprovinz.


    Der Raum war nach meinen Wünschen hergerichtet worden und sah aus, wie ein kleiner Gerichtssaal. Es gab an jeder Seite je eine Bank, vor denen jeweils ein Tisch stand. Hier konnten sich je Bank bis zu drei Personen niederlassen. Hinzu kam noch eine Bank für bis zu acht Personen, direkt im Eingangsbereich des Raums. Und gegenüber dem Eingang stand ein bequemer Stuhl. Im Gegensatz zu einem Gerichtssaal stand dieser Stuhl aber nicht erhöht, sondern ebenerdig. Es sollte ja nicht der Eindruck entstehen, dass ich mir hier ein Amt anmaßen würde.


    Ich war in Toga, weiße Tunika und edle Calcei gewandet und stand vor dem Stuhl, während ich wartete und hoffte, dass weder zu viele, noch zu wenige Schüler hier ankommen würden.

    "Viele scheuen sich, die Warte der Vernunft einzunehmen. Erst recht, wenn sie sich für jemand besseren halten."


    Das Lob nahm ich gerne an und quittierte es mit einem leichten Nicken.


    "Danke für deine Hilfe. Ich werde dir dann noch das Empfehlungsschreiben meines Patrons mitgeben. Noch ist es bei meinen Sachen."


    Damit war das Thema für mich erst einmal erledigt. Zeit, ein weiteres Thema anzusprechen. Ich dachte einen Moment nach, wie ich es am besten ansprechen würde, aber mir fiel keine allzu gute Überleitung ein. Vielleicht, weil mich das nächste Thema emotional zu stark berührte, auch wenn ich keine Gefühle zeigte.


    "Wo du schon das Lazarett angesprochen hast, würde ich dich um deine persönliche Meinung bitten. Wie steht es um meine Mutter? Wird sie wieder genesen? Oder läuft ihre Zeit ab?"

    Ich war ausnahmsweise mal der Letzte. Das lag aber auch daran, dass Unauris mir noch meine Toga angelegt hatte, da ich zum Forum musste bzw. wollte. Wie mein verstorbener Vater es stets sagte, sollte ein Jurist außer Haus immer so gekleidet sein, dass er jederzeit vor einen Praetor treten konnte. Abgesehen davon erschien es mir die richtige Kleidung, wusste ich doch, dass mein Vetter zur Ala aufbrechen wollte. So gab ich dem Abschied eine ordentliche Menge Würde.


    Als ich Stilo sah, erkannte ich, dass ihm die Tragweite seiner Entscheidung zumindest grob bewusst war. Er tat nun einen großen Schritt in eine sehr ungewisse Zukunft. Doch war ich mir sicher, dass er es schaffen würde. Andernfalls hätte ich ihm auch abgeraten.


    So stellte ich mich neben Scato und wartete. Stilo war mir ans Herz gewachsen und ich würde ihn sicher vermissen. Andererseits war ich wirklich stolz auf ihn, dass er diesen Schritt ging. Ich war mir recht sicher, dass ich kein guter Soldat wäre. Meine Gefechte waren Wortgefechte.

    "Ganz so stark finde ich es nicht, mich an diese Kreise heranzuwagen. Ich hatte nun oft genug mit Prätoren, Equites und Senatoren zu tun. Mit Koryphäen meines Faches und Personen, die im Ansehen weit über mir stehen. Ich hatte sie als Richter, Mandanten, Gegner und Anwälte der Gegenseite vor Gericht. Und ich habe ihnen allen gezeigt, dass ein einfacher Plebejer ihnen an Logik und Vernunft ebenbürtig oder sogar überlegen sein kann. Das zählt vor Gericht, sonst nichts. Natürlich geht es hier nicht um ein Gericht, aber mir ist bewusst, dass jeder Mensch seine Stärken und Schwächen hat. Und wenn ich nichts wage, werde ich nichts gewinnen."


    Das war jetzt mehr, als ich sagen wollte. Aber ich empfand, dass ich meinem Vetter eine Erklärung geben sollte, weshalb ich mich so weit aus jedweder Deckung wagte.


    "Die Zusammenfassung wäre dann... gib mir einen Moment..."


    Ich schloss für ein paar Sekunden die Augen, um mich zu konzentrieren. Schreiben war so viel einfacher als reden, weil man beim Schreiben Zeit hatte. Doch hier konnte ich mir die Zeit nehmen. es ging darum, das Wesentliche herauszustellen.


    "Du könntest dem Scriba erzählen, dass ich ein Klient des letztjährigen Praetor Urbanus bin und dieser meine Dienste empfiehlt. Des Weiteren, dass ich auch bereits für die kaiserliche Kanzlei bei einem Edikt mitgearbeitet habe. Das sollte immerhin etwas Gewicht haben. Danach könntest du erwähnen, dass ich aber nicht auf der Suche nach einem Posten bin, denn dafür wäre Rom sicher besser. Stattdessen wünsche ich, für ein Buch zur Staatskunst zu recherchieren und bitte deshalb den Caesar darum, mein Begehren wohlwollend zu unterstützen und mich als stillen Beobachter zu akzeptieren. Sein Amt als Legatus Augusti erscheint mir hierzu besonders geeignet. Details könnte der Caesar in meinem Brief und dem Empfehlungsschreiben meines Patrons finden."


    Vielleicht hätte ich länger nachdenken sollen. Aber nun war es gesagt, und das gesagte hatte das gleiche Gewicht wie das geschriebene Wort.

    Ich musste ein wenig schmunzeln, als Matidia Scato einen bösen Blick zuwarf. Ja, auch das war meine Schwester. Der Name hingegen sagte mir nichts. Die Gens allerdings...


    "Publius Matinus Sabaco, sagst du? Verwandt mit dem Senator Publius Matinius Agrippa?"


    Das wäre allerdings höchst ungewöhnlich. Ich wagte zu bezweifeln, dass ein Senator seine Verwandtschaft in die Ala gehen lassen würde. Dann schon eher in die Legion, vermutlich als Tribun. Also korrigierte ich mich, noch bevor jemand antworten konnte.


    "Entschuldige, das war natürlich dumm von mir. Bleibt also noch der ritterliche Zweig oder ein Zweig sine ordo. Zu welchem gehört er?"


    Nicht, dass es irgendeine Bedeutung hätte. Für mich war vor allem wichtig, dass Matidia glücklich war.


    "Auf jeden Fall würde ich mich freuen, wenn er uns eine Stadtführung angedeihen lassen würde."


    Dabei lächelte ich fröhlich.

    "Beobachtungsgabe und Geduld sind Voraussetzung, um ein guter Philosoph zu werden. Diejenigen, die sich ohne beides Philosophen schimpfen, sind nur Schwätzer."


    Ein hartes Urteil, zugegeben, aber das war meine Meinung.


    "Wenn du magst, kann ich mir den Granatapfelbaum einmal ansehen."


    Aufmerksam beobachtete ich Scato dabei, das Schäufelchen hervorzukramen, wobei ich nicht bemerkte, dass er etwas überspielte. Er wirkte vielmehr fokussiert auf mich, weshalb er wahrscheinlich auch nicht weitersprach. Als er mich dann fragte, was er den Scriba fragen sollte, musste ich nachdenken.


    "Abgesehen von dem, was im Brief steht?"


    Ich entrollte den Brief und zeigte ihn Scato. Eine großartige Rede sollte bei einem gut geschriebenen Schriftstück eigentlich nicht nötig sein.


    Ad

    Caesar Appius Aquilius Bala

    Legatus Augusti

    Mogontiacum, Germania Superior


    De

    Aulus Iunius Tacitus

    Advocatus et Iuris Consultus

    Mogontiacum, Germania Superior


    Salve Caesar Aquilius,


    du magst dich fragen, wer dir schreibt, weshalb ich mich kurz vorstellen möchte. Ich bin ein junger, erfolgreicher Jurist aus Rom und Klient des letztjährigen Praetor Urbanus Lucius Annaeus Florus Minor. Neben einem Werk in der Kommentarsammlung der Basilica Ulpia kann ich auch auf mehrere Werke der Jurisprudenz, zahlreiche gewonnene Prozesse und die Mitarbeit an zwei Gesetzestexten, genauer an einer Lex und an einem Edikt, mit Stolz zurückblicken. Außerdem bin ich in praktischer und theoretischer Philosophie hervorragend ausgebildet.


    Ich schreibe dir deshalb, weil ich aktuell für ein Werk über Staats- und Rechtstheorie recherchiere. Um unsere Staatsform näher zu erörtern, möchte ich mich nicht allein auf den Schein und die Realität in Rom, sondern auch die Praxis in den Provinzen stützen. Ich denke, dass man nirgends besser das Zusammenspiel zwischen Staatsverfassung, ziviler Administration und Militär so gut erkennen kann, wie in einer Grenzprovinz. Dies führt zu meinem Begehren, dich für eine Weile begleiten zu dürfen. Dabei will ich dich nicht stören, sondern lediglich als aufmerksamer Beobachter die Zusammenhänge in der Praxis sehen und ins Abstrakte überführen. Dass du hierbei selbstverständlich auch auf meine Expertise zurückgreifen kannst, ist gewiss. Allerdings gehe ich davon aus, dass dir weitaus bessere Juristen zur Seite stehen, als ich einer bin.


    Du solltest dich aber nicht nur auf meine Worte verlassen. Deshalb habe ich in einer versiegelten Tabula eine Empfehlung meines Patrons mitgeschickt, diese mag wesentlich objektiver meinen Nutzen und mein Interesse wiedergeben. Sollte dir dieses nicht genügen, so bleibt mir nur noch, dir anzubieten, mich zur Audienz zu laden. Ich halte das zwar nicht für notwendig, denn immerhin ersuche ich nach keinen verantwortungsvollen Tätigkeiten, sondern lediglich nach der Möglichkeit einer stillen Beobachtung. Jedoch magst du dieses immer noch anders sehen.


    Ob ich dir von Nutzen sein kann, musst du selbst entscheiden. Dass ich aber einen großen Nutzen für die juristische Untermauerung unseres Staatswesens bringen kann, steht für mich außer Frage. Was dies einem Caesar und, so es den Göttern gefällt, zukünftigen Princeps bringen mag, vermagst du selbst zu erkennen.


    Mögen die Götter dich segnen!


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus


    Ich sah Scato kurz an, bevor ich hinzufügte "Oder meinst du eine kurze Zusammenfassung, die du dem Scriba nennen kannst?"

    "Ich... bin.. so froh, dass du da bist.", flüsterte sie schließlich erstickt zurück.

    Ich legte einen Arm um meine Schwester und wischte ihr mit dem Daumen meiner freien Hand vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht. Es war jetzt fast wieder so wie damals, vor mehr als zehn Jahren, als ich nach Alexandria aufbrach, oder eher aufbrechen musste. Auch damals hatte Matidia geweint, auch damals hatte ich sie so getröstet. Sie war nun einmal meine kleine Schwester und das würde sie immer bleiben.


    Als Scato sie dann fragte, wie der Decurio hieß, sah ich sie fragend an. Das interessierte mich auch. Vielleicht stammte er ja aus einer guten Familie? Oder war zumindest jemand, dessen Name ich schon einmal gehört hatte. Das war zwar nicht sehr wahrscheinlich, doch wenn sich sein Name bis Rom herumgesprochen haben würde, dann wäre es auch eine ziemlich gute Partie. Immerhin war Matidia eine junge Frau im besten Alter. Wobei ich sie niemals gegen ihren Willen verheiraten würde. Schließlich war sie meine kleine Schwester und ich würde allen Unbill dieser Welt von ihr fernhalten, so weit es in meiner Macht stand.

    Natürlich nahm er mein Angebot der Mithilfe an, weshalb ich mich genötigt sah, etwas klarzustellen.


    "Zur Warnung sei der Hinweis geäußert, dass ich extrem wenig Erfahrung mit Gartenarbeit habe. Ich kann zwar Öle aus Pflanzen extrahieren, bin aber bei der Pflanzenpflege nur wenig bewandert. Als mein Lehrer Alexios einmal eine Reise vom Museion nach Athen unternahm, kümmerte ich mich so lange um sein Kräuterbeet. Das war ihm immer wichtig. Das heißt, dass ich Pflanzen zumindest so gießen kann, dass sie nicht eingehen. Und ich hatte in den letzten fünf Jahren am Museion einen Baum der Gattung kedrómêlon aufgezogen. Immerhin mit Erfolg. es gab Blüten und auch Früchte."


    Dass ich ein wenig stolz darauf war, dass mir die Pflanze nicht eingegangen war, ließ ich mir anmerken. Doch nun war es erst einmal an der Zeit, die Frage meines Vetters zu beantworten.


    "Doch nun zur Frage, wie du mir helfen kannst. Nun, relativ einfach, auch wenn es nicht ganz unkompliziert ist. Ich bin zwar vor allem wegen meiner Mutter und meiner Schwester hier, aber deshalb will ich meine industria nicht aufgeben. Es ist so, dass ich dabei bin, Erkenntnisse für ein Buch über das Staatswesen zu verfassen. Und da bietet es sich an, praktische Erfahrungen zu sammeln, die nicht von der alles überstrahlenden Zivilisation der Stadt Rom geblendet sind. Nach meinen Erwägungen bietet sich eine Provinz, insbesondere eine Grenzprovinz, dazu an, zu erkennen, wie das Zusammenspiel aus ziviler Verwaltung, Militär und Prinzipat funktioniert. Nun weiß ich ja aus deinem Brief, dass der Caesar hier verweilt, so dass in dieser Provinz alles sichtbar sein sollte, was ich für meinen Erkenntnisgewinn benötige. Nur müsste ich dazu an die richtige Stelle kommen. Deshalb möchte ich dich darum bitten, einen Brief an den Caesar zu überbringen. Wäre das möglich? Oder verlange ich zu viel?"

    Dass Vater stolz auf mich sein würde, vermutete ich auch. Schon allein deshalb, weil ich, so wie er, Jurist geworden bin. Aber vor allem natürlich wegen meiner Leistungen als Jurist, womit ich ihn vermutlich bereits jetzt im Ansehen überflügelt hatte. Dann sagte Matidia etwas, das mich aufhorchen ließ. Ich nahm einen Schluck Posca, bevor ich sprach.


    "Du kennst also einen Stadtführer? Das wäre natürlich interessant, wenn man von einem Kundigen geführt würde."


    Mich freute, dass sie hier Kontakte geknüpft hatte. Das würde ihr sicher guttun. Dann dachte ich noch einmal nach. Stadtführer, nicht Stadtführerin. Entweder war das eine grammatikalische Unachtsamkeit oder sie meinte wirklich einen Mann. Das war natürlich nicht verboten, aber mich interessierte natürlich auch, ob sie vielleicht eine interessante Partie kennengelernt hatte. Allerdings ließ ich mir von diesen Gedankengängen wenig anmerken.


    Dann bekam ich Stilos Satz mit, dass er zur Ala gehen wollte. Ich sah zu ihm herüber und er sah wirklich entschlossen aus. Ich erwiderte sein Nicken.


    "Aus dir wird sicher ein hervorragender Soldat. Sei aufmerksam und strebsam, dann wirst du deine Eltern stolz machen. Ich für meinen Teil bin sehr stolz, eine Verwandtschaft wie euch alle zu haben."


    Dabei lächelte ich stolz und sah erst Stilo, dann Scato und, besonders lange, Matidia an. Schließlich flüsterte ich ihr ins Ohr "Ich weiß, dass es schwer für dich sein musste, hier in der Fremde mehr oder minder auf dich allein gestellt und mit unserer verletzten Mutter klarzukommen. So weit ich das einschätzen kann, hast du die Herausforderung gut bewältigt. Ich bin ausgesprochen stolz auf dich, kleine Schwester. Und Vater wäre es auch."