Am nächsten Tag hatten sich vormittags die ersten Händler angekündigt. Auf Grund des in den Haushaltsbüchern erkennbaren Verhandlungsgeschicks des Maiordomus ließ ich diesen die Verhandlungen führen und griff nur hin und wieder ein. So sollte es danach aussehen, dass wir uns abgesprochen hätten und ich nur aus irgendeinem Grund es für unter meiner Würde erachtete, mit den Händlern allzu viel zu sprechen. Das schien die meisten Händler aber nicht zu kümmern.
Nachdem die Waren fast vollständig verkauft waren und etliche Talente Silber den Besitzer gewechselt hatten, konnte ich einen ersten Kassensturz machen. Ich war genauso wohlhabend, wie vor meiner Reise. Zusätzlich kamen noch die Sachen dazu, die ich nicht verkaufen wollte. Ein Händler wäre damit sicher nicht zufrieden, doch für mich war alles zu gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte. Nun musste ich nur noch unbeschadet mit meinem Vermögen und meinen Sachen nach Rom kommen. Das würde sicher noch einmal eine Stange Geld kosten, aber wenigstens war das Ziel nun zum Greifen nahe.
Am späten Nachmittag erhielt ich Besuch aus dem Museion. Man hatte nicht irgendwen geschickt. Die Stimme erkannte ich sofort und als er dann den Raum betrat, erkannte ich ihn sofort wieder. Sein langer Bart war inzwischen komplett grau und sein Haupthaar war auch mehr grau als schwarz, doch Alexios, der am Museion mein Lehrer gewesen war, hatte sich ansonsten kaum verändert. Er war in einen weißen dorischen Chiton gekleidet, über dem er eine blaue Chlamys trug. Die Sandalen waren aus wertvollem weichen Leder. Im Gegensatz dazu war ich in die vollständige, seidene Gewandung eines serischen Gelehrten gehüllt. "Salve, Alexios," grüßte ich ihn mit einem höflichen Lächeln, obwohl ich am liebsten vor Freude gelacht hätte. Aber das wäre eines Gelehrten unwürdig - sowohl im Stoizismus, als auch in der serischen Tradition.
Alexios sah mich eine Weile skeptisch an. "Du hast abgenommen. Das steht dir gut. Aber komplett in Seide gekleidet? Ist das nicht zu dekadent?"
"Nicht in Serica," erwiderte ich.
"Ist das so?" fragte er skeptisch.
"Ja. Gelehrte stellen dort eine der höchsten Schichten der Gesellschaft dar. Und ich wurde dort als Gelehrter anerkannt. Yúnzǐ. Das heißt Meister Yún. Daher ist das die standesgemäße Kleidung. Die Hofkleidung ist sogar noch wertvoller. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, das Wissen und die Ordnung zu repräsentieren." Ich deutete ihm, sich in einem Korbstuhl niederzulassen.
"Du bist auf jeden Fall selbstbewusster geworden. Früher hättest du noch versucht, dich irgendwie rauszureden. Jetzt argumentierst du so, als wäre es das Normalste von der Welt. Dabei ist es immer noch Seide. Ein Arbeiter im Hafen könnte vom Wert deiner Kleidung seine Familie ein Jahr lang ernähren. Hast du wahrgenommen, wie dick deine Gewänder sind?" Während er sprach, nahm er Platz.
Weiterhin höflich lächelnd antwortete ich. "Ja, das habe ich wahrgenommen. Vor allem in der drückenden Hitze Indiens und der Gebiete östlich davon, nah am Äquator. Aber ehrlich gesagt interessiert es mich nicht, wer wen davon wie lange ernähren könnte. Ich habe dir ja bereits erklärt, was die Kleidung repräsentiert."
Alexios nickte. "Wie gesagt, du bist selbstbewusster geworden. Du machst dich, junger Freund."
"Danke." Ich nickte kurz dem Maiordomus zu, der daraufhin Sklaven schickte, um die Bücher zu bringen. Es war knapp eine Kamelladung voll. "Ich nehme an, dass du die Bücher in Empfang nehmen sollst. Die Werke, die ich in der Ferne enthielt, habe ich kopiert. Das Material, auf dem sie geschrieben sind, ist dem Papyrus ähnlich und doch anders. Es wird dich an das Material, aus dem die Wespennester sind, erinnern. Außerdem habe ein Buch über die serische Schrift verfasst und eins über die serische Sprache. Außerden ein Wörterbuch. Dazu noch diverse Skizzen von Landschaften und Aufzeichnungen über Länder und Kulturen in Koiné. Das alles dürfte für das Museion von Interesse sein, nehme ich an?"
Alexios hielt es nicht mehr in seinem Stuhl. Er ging zu meinen Schriften, nahm sie in die Hände und fühlte über die Oberfläche. "Faszinierend..." Er öffnete einige der Schriftrollen. "Diese Zeichen..." er sah zu mir "Wie funktionieren sie?"
"Es sind Silbenzeichen," erläuterte ich, "aber manchmal haben gleich lautende Silben unterschiedliche Zeichen, weil sie unterschiedliche Begriffe bezeichnen. Das muss man dann am Kontext erkennen. Die Schrift ist sehr schwer zu lernen, die Aussprache ist einfacher, aber dennoch schwer. Dafür ist die Grammatik extrem einfach."
"Und du beherrschst diese Sprache?" Alexios hatte diese Leuchten in den Augen, das ich kannte, wenn er forschte.
Ich nickte kaum merklich. "Mit Akzent, aber ja."
"Das Museion ist sehr interessiert. Was willst du dafür haben?"
"Nun, du bist ein Priester des Apollon. Diese Bücher sind meine Opfergabe dafür, dass Apollon mich geschützt hat. Sie sollen seine Bibliothek schmücken. Du solltest sie als Weihegeschenk dem Museion übergeben." Er sah mich nur kurz ungläubig an, weil er erkannte, dass ich es ernst meinte.
"Dann werde ich die Weihe bezeugen."
"Gut." Ich stand auf und ging zunächst zu einer Weihrauchschale, in die ich besten arabischen Weihrauch gelegt hatte. Diesen entzündete ich und wartete, bis der süßlich duftende Rauch aufstieg. Dann ging ich zu den Büchern und hob meine Hände mit den Handflächen nach oben. "Apollon, Herr der Musen, Schützer vor Krankheit und Gefahren, der du mich auf meiner Reise geschützt hast. Du hast mich vor Banditen geschützt und vor Naturkatastrophen. Du hast mich im Gebirge beschützt und auf See. Du hast mich neue Künste lernen und die Welt sehen lassen. Dafür danke ich dir. So, wie ich es versprochen habe, soll deinem Tempel, dem Museion, mein Wissen aus dieser Reise zur Verfügung stehen. Meine Aufzeichnungen, die ich mit der Sorgfalt eines Forschers und Gelehrten geführt habe, sollen als Kopien, die ich fehlerfrei angefertigt habe, in die Bibliothek des Museions aufgenommen werden. Meine Schuld dir gegenüber ist damit beglichen. Ich werde dir auch weiter gewissenhaft opfern, so du mir weiter zur Seite stehst." Mit einer Drehung nach rechts beendete ich mein Gebet.
"Es sei hiermit bezeugt," sagte Alexios.
Nachdem das erledigt war, ließ ich Brot, Wein und Olivenöl bringen, um noch einen gemütlichen Abend mit Alexios zu verbringen. Natürlich fragte er mich über Serica aus und hing an meinen Lippen, während ich erzählte. Es dämmerte bereits der Morgen, als wir schließlich unser Treffen beendeten. Ich ließ Sklaven die Bücher zum Museion bringen und verabschiedete mich respektvoll, aber nicht zu herzlich von Alexios. Er verstand, dass mich die Sitten in Serica entsprechend geprägt hatten. Doch hielt ihn das nicht davon ab, mich zum Abschied kurz zu umarmen, mir auf die Schulter zu klopfen und mir zu sagen, dass er extrem stolz auf mich war. Auch wenn ich es nur mit Worten der Bescheidenheit annahm, wussten wir beide, wie viel mir sein Lob bedeutete. Er war immerhin das, was einem zweiten Vater am nächsten kam.
Nachdem Alexios gegangen war, beauftragte ich den Maiordomus, mir ein Schiff nach Ostia zu organisieren. Danach legte ich mich schlafen. Schon bald wäre ich wieder in Rom.