Die Antwort war ehrlich und auch das verlangte Respekt. Entsprechend nickte ich Sabaco anerkennend zu.
"Es erfordert Mut, ehrlich zu sein. Auch das ist etwas, das wir uns merken sollten."
Beim Kommentar des Secundus musste ich grinsen.
"Na, hoffen wir einfach mal, dass es nicht der selbe war, sonst wäre er ein sehr unglücklicher Mensch!"
Die Art, wie ich sagte, zeigte, dass ich mir natürlich der rhetorischen Natur der Bemerkung bewusst war. Ein wenig Auflockerung war vielleicht ganz gut an diesem Punkt, denn nun ging es von meiner Seite her richtig in die Tiefe.
"Doch nun zur Beantwortung meiner Frage. Für das Zwölftafelgesetz wurden durch den Senat die Decemviri Legibus Scribundis, zehn patrizische Männer, ausgewählt, um dieses Gesetz aufzuschreiben. Hierin schließt sich der Kreis zum mündlichen Recht, welches hierdurch aufgeschrieben wurde und durch Kenntnisse des athenischen Rechts ergänzt und modernisiert wurde. Beschlossen wurde das Zwölftafelgesetz aber durch die Comitia Centuriata. Die Lex Canuleia wurde, wie du, Aemilius, korrekt beschrieben hast," dabei nickte ich Secundus zu, "vom Volkstribun geschrieben, aber ebenfalls nicht beschlossen. Beschlossen wurde auch dieses Gesetz durch die Comitia Centuriata. Für die Lex Annaea de Matrimonio habe ich nichts hinzuzufügen."
Ich ließ eine kurze rhetorische Pause, um das Gesagte sacken zu lassen.
"Wir sehen hier ein System. Zunächst haben wir eine Person oder einen Personenkreis, die dazu bevollmächtigt ist, ein Gesetz einzureichen. Diese Vollmacht ging in der Res Publica Antiqua allein vom Senat aus. Heutzutage kann sowohl der Senat, als auch der Kaiser diese Vollmacht erteilen. Dass der Kaiser die Vollmacht erteilen kann, liegt an der Generalvollmacht, die er vom Senat erhalten hat. Das könnt ihr in der Lex Aquilia de Imperio nachschlagen. Dieses Recht, Gesetzesvorschläge einzureichen, hat natürlich auch der Kaiser. In der Res Publica Antiqua mussten Gesetze nach der Genehmigung durch den Senat vor die Volksversammlung, in den genannten Beispielen die Comitia Centuriata, gebracht werden, um von dieser beschlossen zu werden. Das wäre für die Belange unseres Imperium Romanum zu zeitaufwändig. Deshalb ist es nun der Kaiser, der den endgültigen Beschluss fassen muss."
Wieder ließ ich eine kurze Pause, um das Gesagt sacken zu lassen.
"Typischerweise sind Magistrate bevollmächtigt, Gesetze einzureichen. Aber auch anerkannten Senatoren kann dieses Recht eingeräumt werden. Der Kaiser ist beides. Wir haben damit die klassische Lex vorläufig als Gesetz definiert, mit den folgenden Eigenschaften. Eine Lex ist eine Festlegung von Regeln, die durch eine dazu bevollmächtigte Person dem dazu von der Verfassung des Staates vorgesehenen Gremium, bei uns dem Senat, vorgelegt und durch eine verfassungsgemäße Stelle, bei uns dem Kaiser, beschlossen wird. Staatsverfassungen können unterschiedlich sein und deshalb auch unterschiedliche Gremien und Stellen vorsehen. Bei einer Königsherrschaft kann beispielsweise alles in einer Hand liegen. Hier möchte ich nun unsere Überlegungen durch eine kleine Übung unterbrechen."
Ich stand auf und ging zu einem Regal, aus dem ich zwei Schriftrollen holte. Ich legte jedem meiner beiden Schüler eine Schriftrolle hin.
"Dies ist die Lex Aquilia de Imperio. Wo finden sich hierin die entsprechenden Vollmachten des Kaisers, die die Gesetzgebung betreffen? jeder von euch nennt bitte eine der Vollmachten, unter genauer Zitierung des Textes in der Lex Aquilia de Imperio."