Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Natürlich nahm ich die Gelegenheit sofort wahr, mich umzuschauen. Das Gebäude sah mir mehr wie eine Festung aus, jedenfalls erweckten die Natursteine bei mir eher die Assoziation eines Zweck- oder Wehrbaus, als die eines repräsentativen Wohnhauses. Ich war schon sehr gespannt, wie es im Inneren aussehen würde.


    Der äußere Garten war wirklich verwildert. Die mächtigen Bäume hatten ja was, aber die verwilderten Gärten und die Blätter im Teich ließen das Grundstück so aussehen, als wäre es verlassen. Waren wir hier wirklich richtig.


    "Mir war nicht bewusst, dass die Domus hier inmitten der Wildnis steht. Womit ich vor allem die unmittelbare Umgebung meine," sagte ich leise zu Stilo.


    Während ich mir Gedanken machte, wie man hieraus einen vorzeigbaren Garten oder Park machen konnte, fragte ich mich auch, ob Matidia mich erkennen würde. Oder meine Mutter. Immerhin hatten beide mich zuletzt gesehen, als ich als Junge zum Museion abreiste. Inzwischen war ich deutlich größer, auch kräftiger als damals.

    "Mein Vater hat viel Zeit damit verbracht, mich die Namen auswendig lernen zu lassen. Was, im Nachhinein betrachtet, eine recht gute Übung war. Die Idee eines Treffens gefällt mir, wobei du sicher der zeitbestimmende Faktor bist. Genauer gesagt ist dein Dienstplan der zeitbestimmende Faktor. Da wir nicht an Dienstpläne gebunden sind, sind wir flexibel. Von einer Willkommensfeier ist mir allerdings nichts bekannt. Andererseits habe ich mich auch nicht angekündigt."


    Das war, im Nachhinein gesehen, natürlich schon ein wenig unhöflich. Aber ich wollte meine Schwester überraschen. Da konnte ich ja schlecht vorher meinen Besuch ankündigen. Ich zuckte mit meinen Schultern.


    "Ich habe Gründe dafür. Nun, Iunianus Fango, wir möchten dich nicht länger als nötig von deinen Pflichten abhalten. Wir sehen uns bestimmt noch in den nächsten Tagen."


    Während ich sprach, lächelte ich freundlich und stieg wieder in den Sattel. Verdammter Sattel, verdammte Reiterei.


    "Du kannst mir dann vielleicht auch ein paar Tipps geben, wie das Reiten angenehmer ist. Irgend etwas mache ich noch falsch."


    Wobei ich da auch schon eine Vermutung hatte. Ich saß wahrscheinlich immer noch zu steif im Sattel.


    "Vale bene."

    Da musste ich erst einmal nachdenken. Dabei schloss ich die Augen, um den Stammbaum der Familie vor meinem inneren Auge zu visualisieren.


    "Wenn ich mich richtig erinnere, müsste Lucius Iunius Ursus unser nächster gemeinsamer Verwandter sein. Demnach wären wir... beide Ur-Urenkel des Lucius Iunius Ursus, wobei unsere Urgrußväter Brüder waren. Stilo hingegen ist Ur-Ur-Urgroßenkel von Lucius Iunius Ursus, wobei sein Ur-Urgroßvater ein Bruder unserer Urgroßväter war. Stilo ist der Sohn des Lucius Iunius Lucullus. Ich bin der Sohn des Lucius Iunius Varus."


    Ich hoffte, dass ich den Stammbaum richtig im Kopf hatte. Mein Vater hatte viel Zeit damit verbracht, mich alle Ahnen und Verwandten auswendig lernen zu lassen.


    "Stilo, falls ich mich irre und den falschen Lucius Iunius Lucullus im Kopf habe, korrigiere mich bitte."

    Als der Eques geholt wurde, war ich erst einmal verwundert, aber nach der Vorstellung des jungen Soldaten, den ich ein ganzes Stück überragte, war ich erfreut, was man mir auch ansah. Ich reichte ihm die Hand.


    "Salve, Iullus Seius Iunianus Fango. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Welcher Seius hat dich adoptiert?"


    Dass er von einem Seius adoptiert wurde, ging aus seinem Namen ja deutlich hervor.


    "Und danke für die Wegbeschreibung. Wobei ich davon ausgehe, dass Terpander den Weg finden wird, wenn er schon einmal dort war."


    Dabei fragte ich mich aber, was die Bemerkung über den Garten bedeutete. Natürlich konnte ich mir einen verwahrlosten Garten auch nicht vorstellen. Ich war immer nur in gut gepflegter Zivilisation unterwegs, mit Ausnahme meiner Anreise nach Mogontiacum.

    Endlich waren wir in Mogontiacum angekommen. Von unserem Zwischenstopp bei Nemausus waren es noch etliche Tage gewesen, um über Lugdunum, Cabillonum, Divodurum und Colonia Augusta Treverorum hierher zu gelangen. Immerhin konnten wir die ganze Zeit Straßen benutzen, so dass wir relativ gut vorangekommen waren. Auch waren wir von Überfällen verschont geblieben, wofür ich mich bei jedem Zwischenstopp mit einem Opfer an Mercurius erkenntlich gezeigt hatte. Inzwischen fiel mir das reiten auch deutlich leichter, wenngleich ich immer noch abends mit Rückenschmerzen zu kämpfen hatte und auch meine Oberschenkel ständig gereizt waren.


    Das Wetter war hier deutlich kälter als in Rom. Dennoch hatte ich bis jetzt auf eine Subucula und auf Socken verzichtet. Tunika und Paenula taten ihren Dienst, die wesentlichen Witterungseinflüsse abzuhalten. Ich fror zwar, aber nicht so sehr, dass ich es als schädlich empfand. Da wir ohnehin in Gasthäusern nächtigten, war die Eiseskälte der Nacht kein Problem.


    Etwa 20 Passi vor dem Tor stieg ich vom Pferd und führte dieses die letzten Schritte, bis wir vor der Torwache standen.


    "Salve, Miles, ich, der Jurist Aulus Iunius Tacitus aus Rom, begehre zusammen mit meinem Verwandten Sextus Iunius Stilo und dem Sklaven Terpander des Prätorianers Sisenne Iunius Scato Einlass nach Mogontiacum. Und, wenn ich um den Gefallen bitten dürfte, um eine Wegbeschreibung zur Domus Iunia."


    Dabei lächelte ich der Torwache höflich zu.

    "Wer zu kurz lebt, hinterlässt nur einen großen Namen, aber kein Erbe. Eine Nation, die nur aus jungen Helden besteht, stirbt auf dem Schlachtfeld. Doch geht es einer Nation, die nur aus Feiglingen besteht, auch nicht besser. Odysseus erscheint mir da schon besser als Held geeignet zu sein, jedoch hatte er seine gesamte Mannschaft verloren. Das macht ihn zu einem schlechten Anführer. Divus Augustus hingegen hat alles. Gerissenheit, politischen Instinkt, gute Führungsqualitäten und militärisches Können. Und Glück, denn ohne das überlebt man nicht die Wirren eines Bürgerkriegs."


    Ich ließ mein Pferd langsam auf den Hang zutraben. Von dort aus ging es wieder nach Nemausus. Am nächsten Tag würde die Reise nach Mogontiacum weitergehen.

    "Ja, am Museion lernte ich zeichnen. Man kann kein brauchbarer Naturphilosoph werden, ohne zeichnen zu können. Man benötigt es zur Veranschaulichung von Geometrie und Versuchsaufbauten. Abgesehen davon hilft es, Eindrücke für längere Zeit zu konservieren."


    Wobei ich meine Zeichnungen möglichst präzise erstellte und somit der Begriff des Eindrucks von allem Abstrakten befreit war. Die weiteren Fragen Terpanders ließen mich an seiner Bildung zweifeln, nicht aber an seinem Verstand. Jedoch ließ ich mir davon nichts anmerken. Als ernsthaften Beitrag nahm ich sie dennoch an.


    "Zwei der Philosophen, aus deren Lehren ich meine Erkenntnis zog, lehrten zumindest in Athen, wobei der erste wohl auch dort geboren war, der andere jedoch auf Chalkidiki. Schlechte Lehrer waren sie nicht, wurde doch der zweite vom ersten Philosophen unterrichtet und war selbst wiederum der Lehrer Alexanders des Großen, der besser etwas enthaltsamer gelebt hätte. Dann wäre er wohl auch nicht so früh verstorben."


    Ob Terpander nun wusste, welche Philosophen das waren? Doch fiel mir etwas auf...


    "Welch interessanter Sachverhalt, dass ich in Sichtweite Alexanders studierte. So schließt sich der Kreis. Das ist mir noch nie aufgefallen. Doch kommen wir zum dritten Philosophen, dessen Lehren mich beeinflusst haben. Dieser stammt aus dem fernen Indien und ich habe kein direktes Werk von ihm gelesen, wohl aber Werke über dessen Philosophie. Er hieß wohl Siddharta oder so ähnlich. Und die Schule der Stoa ist ebenfalls prägend gewesen. Allen gemein ist, dass Begehren als schädlich für Eudaimonía betrachtet wird. Eudaimonía aber hängt stark mit Erkenntnisgewinn zusammen, denn ohne diese kann man sich jenem nicht widmen. Der Inder ist am strengsten in dieser Hinsicht, jedoch warnt er zugleich davor, vom einen Extrem ins andere zu fallen. Völlige Enthaltsamkeit ist also auch nicht richtig. Jedoch stelle ich fest, dass etwas, das große Freude bewirkt, zu Begehren führen kann. Dies gilt es aber zu vermeiden. Wie auch immer... ich denke, dass wir vielleicht auch eine unterschiedliche Definition von Zufriedenheit haben könnten. Doch denke ich, dass wir nun erst einmal genug philosophiert haben, denn die Sonne ist schon über den Zenit hinaus gelaufen und wir müssen noch zurück nach Nemausus. Allerdings werde ich über deine Frage weiter nachdenken, denn ich habe noch keine Antwort."


    So packte ich die Schreibutensilien weg und signalisierte, dass es Zeit zum Aufbruch war. Jedoch hoffte ich, dass wir bei anderer Gelegenheit wieder Zeit für einen philosophischen Austausch finden würden. Die andere Lebenswirklichkeit Terpanders eröffnete mir durch dessen Meinung und Fragen neue Sichtweisen, was wiederum zu neuen Erkenntnissen führen konnte.

    Terpanders Antwort zeigte in eine andere Richtung, als ich es erwartet hatte. Doch besser machte es das nicht.


    "Nun, Terpander, um noch einmal auf den Liebhaber zurückzukommen, so bin ich überzeugt, dass wir hiermit unterschiedliches gemeint haben. Allerdings muss ich dich in einigen Dingen korrigieren, zumindest was die Sicht eines Philosophen anbetrifft. Der Beischlaf sollte ausschließlich der Zeugung von Nachkommen dienen, unabhängig davon, ob hierbei Spaß entsteht oder nicht. Spaß jedoch ist etwas, das einem echten Philosophen fremd sein sollte. Ein Philosoph sollte nach Zufriedenheit streben und nach Harmonie in sich selbst, aber auch mit der Welt. Das rechte Maß ist Grundlage jedweder die Erkenntnis fördernder Philosophie."


    Womit ich etlichen philosophische Schulen ihre Eignung zum Erkenntnisgewinn absprach. Das war mir natürlich klar, entsprach aber auch meiner Meinung.


    "Entsprechend gilt, dass Zufriedenheit ein erstrebenswerter Zustand ist, Spaß hingegen als Übermaß an Vergnügen abzulehnen ist. Man sollte stets bedenken, dass jedes Übermaß schädlich ist. Zufriedenheit ist daher vor allem durch Genügsamkeit zu erreichen. Womit, lieber Stilo, wir auch schon bei deiner Bemerkung sind. Denn hier liegst du zumindest teilweise richtig, dass alles im Gleichgewicht sein muss. Jedoch muss ich sagen, dass ich der Inszenierung von epischen Geschichten und historischen Ereignissen stets skeptisch gegenüber stehe, findet diese doch aus der Sicht des Autors eines Bühnenstückes statt, so dass eine subjektive Verzerrung inhärent ist."


    Während wir sprachen, stellte ich meine Skizze des Aquädukts fertig. So schweifte mein Blick über das Flussbett des Vardo. Mir fielen einige größere Steine auf, die auf allen Seiten rund zu sein schienen. Das deutete darauf hin, dass ein Hochwasser solche Steine transportieren konnte. Aus der Größe dieser Steine könnte man sicher die Kraft des Wassers berechnen und daraus wiederum die nötige Widerstandskraft der Pfeiler.

    Ich dachte einen Moment lang nach, musste mir aber eingestehen, dass ich Terpander nicht verstand.


    "Möglicherweise haben wir hier ein Definitionsproblem und meinen unterschiedliche Dinge. Ich sehe starke Emotionen generell kritisch, weil sie unsere Urteilsfähigkeit stark beeinträchtigen. Liebe gehört dazu, so dass ein Liebhaber, rein grammatisch gesehen, ein Mensch ist, der von Liebe geleitet wird. Entsprechend sehe ich hierin eine Gefährdung des effizienten Erkenntnisgewinns. Dabei ist es auch unerheblich, ob man Liebhaber einer Person oder einer Sache ist. Als Ausnahme muss hier die Philosophie als Liebe zur Weisheit gelten, ist doch diese Liebe nicht emotional zu sehen, sondern als eine Liebe, die unmittelbar von der Vernunft ausgeht und nicht von den eher tierischen Instinkten, die uns ebenfalls innewohnen. Natürlich haben die Instinkte auch ihre Berechtigung, sichern sie doch unser Überleben. Insofern ist die Existenz der Instinkte durchaus vernünftig, jedoch sind es instinktgetriebene Handlungen nicht."

    Das musste ich kommentieren und philosophisch einsortieren.


    "Du hast völlig Recht, dass ein Bauwerk nicht aus dem Nichts kommt, sondern zunächst eine Person die idéa des Bauwerks erkennen und durchdringen, bevor diese zu Papier gebracht wird und hierdurch zum eídos wird, welches dann in eine physikalische Form, eben das Bauwerk, gebracht wird. Es bedarf hierzu eines Menschen, der zu hoher Erkenntnis befähigt wird. Das mag ein Philosoph sein, aber auch ein philosophisch gebildeter Baumeister, der seinen Geist gut geschult hat, vermag dieses. Wichtig ist es, den Geist zu schulen und Wesentliches von Unwesentlichem und Wahres von Falschem zu trennen. Wobei Falsches auch jene Dinge umfasst, die zwar real sind, aber falsch wahrgenommen werden. Das heißt, Trugbilder der wahren Beschaffenheit. Allzu oft nehmen wir nur Trugbilder wahr, deren wahre Form erst nach philosophischer Erörterung erkannt wird. Deshalb ist es richtig, den Verstand nicht abzulenken. Und hiermit kommen wir zum Theater. Die meisten Stücke sind bloße Unterhaltung und damit Ablenkung. Doch auch jene, die einen bildenden Zweck verfolgen, sind oftmals nicht von reiner Erkenntnis geprägt. Nicht ohne Grund verwirft Platon in seiner Politeia die Dramen und Epen, weil sie eben oft nicht die gewünschte Moral oder Bildung vermitteln. Insofern hast du auch darin Recht, dass Theaterbesuche der Erkenntnis nicht förderlich, mithin sogar schädlich sind. Was allerdings den Hinweis auf die Fähigkeiten als Liebhaber anbetrifft, so sei angemerkt, dass auch dieses eine Ablenkung des Geistes ist, die man möglichst vermeiden sollte."


    Kurz dachte ich nach, bevor ich ergänzte:


    "Andererseits muss natürlich auch berücksichtigt werden, dass ohne sexuellen Kontakt mit dem anderen Geschlecht wir Menschen zwangsläufig zum Untergang verdammt wären. Folglich ist es notwendig, dass Kinder gezeugt werden, vorzugsweise von jenen Menschen, die zur höheren und höchsten Erkenntnis befähigt sind. Womit wir nun zu einem Paradoxon gelangen: Jene, die zur höchsten Erkenntnis befähigt sind, sollten sich nicht ablenken lassen, auch nicht durch Sexualität. Andererseits sollten genau diese Menschen sich vermehren. Man hat also die Wahl zwischen höchster Erkenntnis und Fortbestand und Verbesserung der Menschheit. Jedoch lässt sich dieses Paradoxon auflösen, indem man in der einen Lebensphase enthaltsam lebt und in einer anderen eine Familie gründet. Die Frage ist nur, welche Phase zuerst sein sollte."


    Hier wusste ich in der Tat - noch - keine Antwort.

    Die Reise von Rom nach Ostia, genauer zum Portus Ostiensis Augusti, verlief ohne Zwischenfälle, was nicht weiter verwunderlich war. Doch auch die Überfahrt von Ostia nach Massilia war erstaunlich angenehm gewesen. Dass ich einen eigenen Bereich für Stilo, Terpander, mich und unsere Pferde gemietet hatte, war dem Komfort sicher nicht abträglich gewesen. Doch vor allem die für diese Jahreszeit erstaunlich ruhige See hatte die Fahrt angenehm gemacht.


    So, wie ich es Mercurius versprochen hatte, zeigte ich mich in Massilia sowohl ihm als auch Neptunus gegenüber großzügig. Jedem ließ ich zwei Schweine opfern. Nach einem Tag in Massilia ritten wir weiter, bis wir schließlich in Nemausus ankamen. Das war zwar ein leichter Umweg, aber in der Nähe befand sich ein Ziel, das ich einfach sehen musste. Ich hatte bereits von dem Aquädukt über den Vardo fluvius gelesen, der wohl die gewagteste Konstruktion dieser Art war. Doch wollte ich das Bauwerk mit eigenen Augen sehen. Und so machten wir einen Tagesausflug von Nemausus zum Aquädukt.


    Nach einem längeren Ritt kamen wir am Tal des Vardo fluvius an. Tief hatte sich der Fluss in den Fels geschnitten und floss gute 35 passi unter uns. Und dann kam der Aquädukt in unser Blickfeld. Ich beschloss, den Blick vom Fluss aus zu genießen und führte mein Pferd den Hang hinunter, bis ich schließlich im Flussbett ankam. Dort stieg ich wieder in den Sattel und folgte dem Fluss, bis ich einen Blick auf das gesamte Bauwerk hatte. Stolz erhob sich der Aquädukt hinauf bis zur Talhöhe. Auf fünf Pfeilern, die sechs Bögen trugen, bestand die untere Reihe. Die Bögen schätzte ich auf eine Höhe von 13 oder 14 passi und die Pfeiler standen etwa vier passi auseinander. Darüber fand sich eine weitere Reihe von Bögen, die ich ebenfalls auf gut 13 passi Höhe schätzte. Diese waren etwa 4 2/3 passi breit. Diese zweite Ebene bestand aus elf Bögen. Darüber schließlich erhob sich noch eine dritte Bogenreihe, die die Wasserleitung trug. Diese dritte Reihe bestand aus 35 Bögen, die jeweils zwei passi breit waren und rein mathematisch etwa viereinhalb passi hoch sein mussten.


    Ich machte mir Notizen auf einer Wachstafel, was im Sattel gar nicht so einfach war. Doch inzwischen war ich genug geritten, um etwas sicherer im Sattel zu sitzen, wenngleich mir jeden Abend Beine und Rücken schmerzten. Ich bestand immer darauf, durchzureiten und nur dann eine Pause zu machen, wenn die Pferde eine benötigten. Doch für das Folgende traute ich mir nicht zu, im Sattel sitzen zu bleiben. So stieg ich ab, nahm eine unbeschriebene Wachstafel und begann, im Wachs den Aquädukt zu skizzieren. Ich machte mir so viele Notizen, wie irgend möglich. Schließlich wandte ich mich an meine Begleiter.


    "Ist das nicht großartig? Drei Bogenreihen, um eine stabile Querung des Flusses zu gewährleisten. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass dies der einzige Aquaeductus ist, der auf drei Ebenen ruht. Ob wohl noch einer der Baumeister lebt? Zu gerne würde ich mich mit denen unterhalten."


    Meine Begeisterung verbarg ich nicht. Wieso sollte ich auch.


    "Vergesst die Tempel und die Theater, das hier," ich deutete auf den Aquädukt, "DAS ist die wahre zivilisatorische Leistung Roms! Frisches, sauberes Wasser. In jeder Stadt. Keine Seuchen, weil das Wasser schlecht ist. Gesundes, klares Wasser!"

    Nachdem Stilo das Geschenk erklärt hatte, signalisierte ich meinen Begleitern, dass wir weiter mussten. Bevor wir losritten, wandte ich mich noch an Germanicus Ferox.


    "Danke. Ich werde deinen Namen nicht vergessen, Nero Germanicus Ferox, und wünsche dir noch einen ruhigen Dienst ohne Zwischenfälle. Vale bene."


    Dann wendete ich mein Pferd in Richtung Ostia und ließ es langsam lostraben.

    Nachdem sich alle zurückgezogen hatten, begab ich mich ebenfalls in mein Cubiculum. Jedoch nicht, ohne vorher Terpander meine Zufriedenheit über die Organisation mitgeteilt zu haben. Ich hoffte, dass die Verbundenheit der Gentes Seia und Iunia, die an diesem Abend zu erkennen war, auch in Zukunft erhalten bliebe und möglicherweise noch vertieft würde.

    "Ein direktes Losungswort gibt es nicht," sagte ich und sprach leise weiter, "aber wenn du von Tacitus und seinen Freunden Aristoteles und Platon grüßt, die aus der Kälte des Nordens grüßen, wird man wissen, wer du bist. Nach deinem ersten Besuch wird man dich ohnehin kennen."


    Etwas lauter sprach ich weiter.


    "Ich danke dir. Und selbstverständlich wird es außerhalb des Dienstes sein müssen. Was den Vorteil hat, dass man dich dann auch bewirten können wird."


    Ich hoffte, dass die Sklaven die entsprechende Gastfreundschaft gewähren würden. Andernfalls sollten ihnen die Götter gnädig sein, denn ich wäre es nicht. Bei Gastfreundschaft und dem erwidern eines Gefallens kannte ich keine Kompromisse.


    Zufrieden betrachtete ich, wie mein Vetter dem Soldaten ein Geschenk überreichte. Es war mir stets wichtig, dass die Soldaten angemessen geehrt wurden. Wofür er das Geschenk gab, verstand ich nicht. Dazu sprach Stilo zu leise. Doch schien es ihm wichtig zu sein und nur das zählte.


    Bevor ich mein Pferd wieder zum Aufbruch wendete, sprach ich den Miles noch einmal an.


    "Noch eine Frage, bevor wir weiterziehen. Wie ist dein Name, Miles? Ich muss ja wissen, wem meine Dankbarkeit gebührt."

    Gegen einen kurzen Plausch hatte ich nichts einzuwenden. Da ich inzwischen bereits in den Sattel gestiegen war, wendete ich mein Pferd und sprach von dessen Rücken zum Miles.


    "Wir gehen die Familie besuchen, in den Nordprovinzen. Hoffentlich ist das Wetter nur halb so furchtbar, wie alle behaupten."


    Ich lächelte kurz. Dann kramte ich in meinem Geldbeutel und zog eine golden glänzende Münze hinaus, die ich kurz betrachtete und schließlich dem Miles reichte. Ein Aureus war ein nicht zu verachtender Betrag.


    "Wenn du es einrichten könntest, hin und wieder nach Dienstschluss bei der Domus Iunia vorbeizuschauen und nach dem Rechten zu sehen, wäre ich dir sehr dankbar."


    Dass ich mich auch nach meiner Rückkehr erkenntlich zeigen würde, sprach ich nicht aus. Das sollte dem Urbaner aber klar sein.

    Während andere in die Stadt hineinkamen, war ich zusammen mit Iunius Stilo und Terpander auf dem Weg aus der Stadt heraus. Jeder von uns war mit einem Pferd ausgestattet, welches wir aber auf Grund der Tageszeit an den Zügeln führten. Während wir das Tor durchschritten, grüßte ich die wachhabenden Soldaten kurz. Nach etwa 20 Passi auf der Via Portuensis blieb ich kurz stehen und drehte mich um. Dafür, dass ich viele Jahre in Alexandria verbracht hatte, verspürte ich dennoch eine starke Verbundenheit zu Rom. Das hier war einfach meine Heimat, man konnte es drehen und wenden wie man wollte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tibers erhob sich der Aventinus. Noch konnte ich umkehren, wenn ich wollte. Doch ich wollte nicht. Ich stieg in den Sattel meines Pferdes und ließ es antraben. Zwar war ich recht unsicher im Sattel, doch hatte ich beschlossen, die Reise, zumindest so lange wir nicht auf See waren, möglichst lange und ohne Pause im Sattel zu verbringen. Nur so konnte ich mich wieder an wenigen Reitlektionen, die ich als Kind hatte, erinnern, meine Fähigkeiten vertiefen und verbessern. Mochten andere ruhig schmunzeln, wenn sie mich im Sattel sitzen sahen. Ich war mir sicher, dass dies anders aussehen würde, sobald wir in Mogontiacum ankommen würden. Doch nun ging es erst einmal in Richtung Seehafen. Der Beschluss war schon lange gefasst. Es gab kein zurück.

    "Ich danke dir für die gute Arbeit, Terpander. Du kannst nun deinen weiteren Pflichten nachgehen."


    Schließlich wollte ich ihn auch nicht unnötig von seiner Arbeit abhalten. Ich wusste, dass er im Hintergrund dafür sorgte, dass alles funktionierte und die anderen Sklaven ihre Pflichten ordentlich erfüllten. Andererseits...


    "Oder falls es deine Pflichten zulassen, kannst du dir den Rest des Tages frei nehmen."

    Der Tag der Abreise war gekommen. Ich hatte mich von meinem Patron verabschiedet und Mercurius ein Opfer dargebracht. Meine Schreibutensilien waren bereits verstaut und nun wurden auch meine restlichen Sachen von Begoas gepackt. Vor allem bei meiner Toga sah ich mit Argusaugen zu, damit sie auch ordentlich gefaltet war. Ersatz-Calcei, zwei Subuculae, zwei wollene Tuniken, dazu noch Socken - man wusste ja nie, wie kalt es in Germanien werden würde. Eine Zinnschüssel, Bronzebesteck und ein bronzener Becher, damit ich unterwegs im Zweifelsfall noch etwas zum Speisen haben würde. Und natürlich einen Kamm und Öl, damit ich mich pflegen konnte. Gekleidet war ich in eine warme Wolltunika, Calcei und eine dicke Paenula.


    Nachdem alles gepackt war, wurde es auf mein Pferd verladen, welches ich mir von einem zufriedenen Mandanten gekauft hatte. Ich hatte darauf bestanden, dass es für Reitanfänger geeignet war, denn ich war kein erfahrener Reiter. Wozu auch? Am Museion war ein Pferd völlig unnütz, in Rom genauso und auf See war es auch nicht allzu hilfreich. Das würde sicher spannend werden, ab Missilia zu reiten. Tatsächlich bevorzugte ich - ziemlich unrömisch - Seereisen. Das war vielleicht der starke griechische Einfluss, den das Museion auf mich hatte. Doch nun gab es kein zurück mehr. Es war Zeit, abzureisen.

    Damit meine Reise auch sicher verlief, hatte ich mich auf den Weg zum Tempel des Mercurius gemacht. Dort überreichte ich den Priestern eine recht großzügige Spende, um mich dann dem Gebet an den Gott zu widmen. Ich verbrannte eine etwas faustgroße Menge Weihrauch und zog einen Zipfel meiner Toga über meinen Kopf.


    "Mercurius, Schutzgott der Reisenden, der du mich auf meinen Reisen stets geschützt hast, ich bitte dich erneut um deinen Schutz. Wie du weißt, reise ich zwar nicht oft, aber dafür sind meine Reisen lang und gefährlich. Bei meiner ersten Reise haben noch meine Eltern großzügig an meiner statt geopfert, damit ich sicher ans Museion käme. Bei meinem Rückweg hatte ich dir zu Beginn und Ende der Reise reichlich geopfert. Und so will ich es auch diesmal halten. In Kürze werde ich nach Mogontiacum reisen. Die soeben geleistete Spende soll mein Opfer sein, um deine Gunst zu gewinnen. Du wirst auch mit Neptunus reden müssen und ihn überzeugen müssen, das Schiff von Ostia sicher nach Massilia passieren zu lassen. Es wird dir nicht schwer fallen, denn bei meinen letzten Reisen hattest du wesentlich längere Passagen auf See ebenfalls sicher ermöglicht. Du kannst Neptunus gerne ausrichten, dass ich mich erkenntlich zeigen werde, sollte ich eine ruhige Fahrt nach Massilia haben. Und dein Schaden soll es auch nicht sein. Ich bitte dich auch, meine Begleiter auf der Reise ebenfalls unter deinen Schutz zu stellen. Auch deshalb war ich heute bereits sehr freigiebig dir gegenüber. Wenn wir alle sicher in Mogontiacum angekommen sein werden, werde ich dir auch dort noch einmal opfern und das umso großzügiger, je angenehmer die Reise war. Quid pro quo, mein lieber Mercurius. Ich hoffe, dass wir uns handelseinig sind."


    Ich betrachtete die Statue des Gottes kurz, dann drehte ich mich nach rechts und verließ den Tempel. Nachdem ich wieder auf der Straße war, ließ ich mir meine Toga richten und ging meines Weges. Ob der Gott mich erhört hatte oder nicht, wusste ich nicht. Jede Reise war ein Risiko, das gehörte zum Leben dazu.