Nach der Salutatio beschloss ich, nicht direkt zum Tempel der Venus Verticordia zu gehen, sondern zuerst den Ort aufzusuchen, an dem ich bisher immer meine Gedanken ordnen konnte. So früh am Morgen war hier relativ wenig los, was meiner Intention sicher förderlich wäre. Das Wetter war sicher nicht optimal, um im Garten zu verweilen, aber dafür gab es ja die Portiken. So wandelte ich in den Säulengängen und fragte mich, was ich eigentlich sinnvollerweise tun sollte. Was gefiel mir an Fusca? Ihr Aussehen? Sicher. Ihre Bildung? Auf jeden Fall. Ihr Selbstbewusstsein? Ja, sicher. Was mich dann aber zwangsläufig zur anderen Frage brachte: Würde ihre Familie eine Verbindung gutheißen? Die Gens Seia war zweifelsfrei ambitioniert. Ich war in keinem Ordo und auf absehbare Zeit würde das auch so bleiben, schon wegen meines nicht vorhandenen Grundbesitzes. Andererseits war ich ein erfolgreicher Jurist und sogar in die Erstellung von Gesetzesvorhaben involviert. Doch konnte ich Letzteres schlecht publik machen. Seius Stilo wusste es, da war ich mir sicher. Doch konnte ich ihn nur schwer durchschauen.
Mein Vater hätte natürlich noch direkt gefragt, ob die Gens Seia uns etwas nützen würde. Das konnte man aber kurz durchkalkulieren. Ein Optio der Prätorianer und ein Mitglied des Ordo Senatorius waren auf jeden Fall vorhanden. Beide würden sicher noch weiter Karriere machen, da war ich mir sicher. Ein Nutzen wäre hier also durchaus zu erwarten.
Blieb noch die philosophische Frage: Sollte ich versuchen, ein Verlöbnis, vielleicht sogar eine Heirat, mit einer Frau zu erstreben, weil ich sie begehrte? Sicher, Begehren war eine starke Kraft und wäre sicher nicht schädlich. Doch verstellte es vielleicht den Blick auf Wesentliches? Ich kannte Fusca ja noch nicht wirklich. Realistischerweise musste man natürlich anmerken, dass sich die meisten Eheleute bei ihrer Heirat kaum kannten und entsprechend war das keine notwendige Voraussetzung. Warum war es mir dann wichtig? Natürlich war hier der Einfluss von Venus spürbar, oder eher der von Amor. Doch war ich nun immerhin fähig, das alles rationaler zu betrachten. Meine Gedanken waren klar, wenngleich ich keine abschließende Bewertung fand. Vielleicht war es dieser Ort. Oder es war der kühle Wind, der meinen Verstand schärfte. Oder es war der Einfluss meiner Schutzgöttin Minerva, deren Tempel auf dem benachbarten Forum stand.
Was mich letztlich zur wichtigsten Frage brachte: Sollte ich mich wirklich an Venus wenden? Immerhin hatte ich bisher recht wenig mit ihr zu tun, außer hin und wieder ein Opfer aus Höflichkeit. Was, wenn sie mir zürnte, weil ich Minerva bevorzugte? Logisch gab es nur einen Weg, das herauszufinden. Doch wollte ich das? Wichtiger noch: Wollte ich das jetzt?
Ich wusste es nicht, und so zog ich weiter meine Bahnen durch die Portiken, um meine Gedanken weiter zu ordnen.