Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    „Entspannend“, wiederholte ich nachdenklich. „Wie beim Einschlafen?“ Das klang nun irgendwie nicht aufregend, fand ich und suchte nach weiteren Situationen, in denen ich mich entspannt fühlte. Ah! Das rechtzeitige Aufsuchen eines Aborts, das war mitunter entspannend, weil es die Last nahm, zu spät an den entsprechenden Ort zu kommen, was peinlich wäre. Hatte Entspannung etwas mit dem Vermeiden von Peinlichkeit zu tun? Ich war ratlos, also am besten erneut nachfragen.


    „Darunter kann ich mir nichts vorstellen. Geht es auch anders auszudrücken?“ Gleichzeitig grübelte ich selbst weiter – nach wenigen Augenblicken mit Erfolg.
    „Gerade fällt mir eine Erklärung ein. Immer wenn ich mich mit Sophus getroffen hatte, war er angespannt, dadurch war ich es auch. Und so ein Zusammensein löst diesen Zustand auf? Man geht anschließend gelöst miteinander um? Nichts ist mehr kompliziert? Das ist doch prima! Ich glaube, ich mag diese Beschäftigung mit dem Partner, noch bevor ich sie in allen Einzelheiten kenne.“Voller Begeisterung strahlte ich Corvinus an.


    Etwas an Corvis Ausführungen dämpfte jedoch meine Begeisterung. Es ging um die Gründe für besagtes Wachstum.
    „So wie du das ausdrückst, klingt es nicht nur lieblos, sondern auch wahllos. Oder willst du mir damit etwa sagen, dass es einem Mann egal ist, WELCHE Frau da gerade lockt?“


    Den grimmigen Gesichtsausdruck konnte ich nicht gänzlich unterdrücken.

    Keine Göttergeschichte, der ich je gelauscht hatte, war spannender gewesen als Corvis Beschreibungen. Mein Blick klebte förmlich an seinem Mund und je länger er sprach, umso weiter schob sich mein Kopf nach vorn. Zwischenzeitlich vergaß ich sogar das Atmen, ich musste es, als die Luft knapp geworden war, in einem tiefen Zug nachholen. Manchmal blickte ich nach unten, um vor meinem geistigen Auge die Vorgänge ablaufen zu lassen, aber bereits im nächsten Augenblick hörte ich wieder auf das Äußerte gespannt zu. Endlich speiste er mich nicht mit Kleinkram ab, sondern gab sich richtig Mühe. Ja, das war wieder Corvi, wie ich ihn kannte.
    Ich wagte kein einziges Mal, Zwischenfragen zu stellen. Möglicherweise hätte ich dadurch den Redefluss gestört. Außerdem waren seine Erklärungen einleuchtend. Ich saß wie erstarrt, als er schon längst geendet hatte. Kurzzeitig wurde mir bewusst, in welch irrsinnigem Tempo mein Herz gerade schlug, aber zwei Dinge beschäftigten mich viel nachhaltiger.


    „Wie fühlt sich das an?“, fragte ich im Flüsterton, der mir wegen der beeindruckenden Neuigkeiten angemessen erschien. Noch immer hatte ich kein Auge von Corvi gewandt. Und dann war noch was. Zunächst versuchte ich es selbst zu klären, aber es misslang.


    „Cooorviii …“ Ich schluckte, weil es sich doch etwas merkwürdig anfühlte, danach zu fragen. „Wie kommt es, dass es wächst und vor allem: Wie tief geht es denn hinein?“ Wieder schluckte ich, es war in der Theorie schwer vorstellbar. Gab es denn in mir einen Gang? Das müsste eigentlich alleine herauszufinden sein.

    „Du magst mich für naiv halten und vielleicht hast du ja auch Recht, aber ich begreife nicht, warum DAS nicht einfach ist.“


    Ich zuckte mit den Schultern und schaute interessiert auf die Pergamente in seiner Hand. Doch dann sagte er etwas Komisches: Es wäre einfacher, sie dir zu zeigen.


    „Na, ich dachte, du willst sie mir zeigen?“ Verwundert sah ich ihn an, aber dann klingelte es bei mir. „DU erst noch!“ Meine Augen waren aufgerissen, aber das nur im ersten Moment. Im zweiten malte ich mir das Ganze bildhaft aus. Natürlich nicht er und ich, aber eben eine greifbare Demonstration. Ganz nebenbei nahm ich den Stapel entgegen, achtete aber noch gar nicht darauf. „Könnte man so was nicht organisieren?“, fragte ich hoffnungsvoll, aber gleich im nächsten Moment kam ein anderer Gedanke:


    „Was meinst du mit: Du könntest es nicht? Dass es sich nicht schickt, weiß ich selbst.“


    Um ihm die Möglichkeit zum Nachdenken zu geben, schaute ich mir die Bilder an. Tjo, die ersten waren weder aufschlussreich noch schön.


    „Meine Güte, sind die Frauen fett“, rutschte mir heraus. Spannende Dinge konnte ich nicht entdecken, so lange und genau ich auch hinschaute. Bei den letzten jedoch wurden die Motive interessanter. Zwei Bilder betrachtete ich sehr lange. Ein drittes fand ich nur dämlich, aber ich sagte nichts dazu. Weil ich nicht wusste, was ich als Kommentar dazu sagen sollte, schwieg ich erst einmal. Lange Momente später hob ich den Kopf. „Das war schon nicht schlecht, aber …“

    Nach den Worten, „Eine Liebste …“, kam erst mal lange nichts. Zunächst machte mich das auch nicht stutzig, vielleicht kannte er zu viele und ging sie der Reihe nach durch. Als die Pause jedoch zu lange wurde, fiel mir unser vorheriges Thema ein: Dieser Typ! Ich wandte den Kopf - zwischen den Brauen stand eine Falte, die jedoch verschwand, als er zu reden ansetzte, denn was er sagte, machte nun wiederum mich nachdenklich.


    „Ich finde, die Umarmung eines Liebsten fühlt sich definitiv nicht so gut wie die eines Bruders an“, erwiderte ich mit leiser Stimme. Und das alles nur, weil sich die romantischen Regungen gar so schnell abkühlten. Die Liebe eines Bruders hingegen schien dauerhaft zu sein. ABER zu diesem Zeitpunkt ahnte ich ja noch nicht, dass auch sie mehr als anfällig war – der Folgetag sollte es bereits zeigen.


    „Ich muss dann fertig packen lassen, Corvi.“ Es war sehr viel vorgefallen, ich war erschöpft und ich wollte noch heute ausziehen. Also hoffte ich, er ging auf meine unausgesprochene Bitte ein.

    Ich hatte mir den Besuch bei meinem ehemaligen Bruder anders vorgestellt. Sonst war er immer bereit, mir zu helfen, aber heute stellte er sich quer. Das war so gemein! Ich hatte doch kaum eine weitere Anlaufstelle, mal abgesehen von Assindius. Der würde mir bestimmt reinen Wein einschenken – ungeschminkt, vermutlich sogar in brutaler Offenheit. Da gab es nur das Problem mit den anderen Sitten der Germanen. Nicht auszudenken, wenn ich plötzlich einem Römer typisch germanische Gepflogenheiten präsentieren würde. Das Schlimmste: Ich würde es ja noch nicht einmal merken. Trotzdem nahm ich mir fest vor, mir diese Option offen zu halten. Es war mir egal, was Corvinus davon hielt. Auf mich wirkte er heute ohnehin wie ein Fremder.


    „Warum bist du so unfreundlich zu mir?“, fragte ich mit gerunzelten Brauen. „Ich habe dir doch nur eine Frage gestellt und ich finde NICHT, dass es Frauensache ist, mich aufzuklären. Warum, zum Hades, können wir denn nicht wie früher offen miteinander sprechen? Machst du das, weil ich nicht mehr deine Schwester bin?“


    Meine Stimme schwankte zwischen Ärger und kippender Fassung, aber ich hatte etwas Zeit, mich zu fangen, als er mich wie ein kleines Kind zu einem Sitzplatz schickte. Ich setzte mich, legte die Hände in den Schoß und wartete ergeben und mit trauriger Miene, dass Corvi endlich mit dem Kramen fertig werden würde.

    Na bitte, das war geklärt. Mit Obst, Saft und Wasser kehrte ich zurück, goss mir sogleich einen Becher voll Obstsaft ein und trank ihn annähernd leer. Wer viel redet und sich vor Aufregung erhitzt, bekam eben viel Durst - das war halt so.


    Anschließend stellte ich mich unmittelbar vor meinen sitzenden Bruder hin, sodass er mir keineswegs mehr ausweichen konnte.


    "Nun? Erfahre ich jetzt die Einzelheiten von dir?"


    Den Kopf leicht zur Seite geneigt, lächelte ich ihn herausfordernd an.

    Zitat

    Original von Lucius Annaeus Florus
    Wenn man dazu noch sieht, wie selten scheinbar Schwangerschaften bei den Prostituierten waren, (...)


    Naja, was das betrifft, hat mir Sophus mal erzählt, dass wegen der Bleirohre usw. viele Römer und vor allem Patrizier unfruchtbar waren bzw. die Kindersterblichkeit sehr hoch war. Ich weiß, das hat nix mit Valerias Frage zu tun.


    Da sich ja aber Ovid sehr ausführlich und eindeutig zum Thema Sexualität geäußert hat, nehme ich auch an, dass sie keineswegs ein Stiefkind im alten Rom war. Ich wüsste halt noch gern, ob irgendwelche Zeichnungen vom Akt oder so existieren.

    "Ist gut, gib her und jetzt störe nicht weiter", grummelte ich, nahm das Essen - entgegen der Gepflogenheiten - bereits an der Tür entgegen und entschloss mich spontan zu einer Anweisung:


    "Assindius, sorge dafür, dass uns niemand stört. Niemand, hörst du? Kann außerdem sein, dass ich dich nachher noch brauche. Das allerdings hängt von meinem Bruder ab." Demonstrativ wandte ich den Kopf, schaute Corvi an und hoffte, damit meine Drohung von vorhin unterstrichen zu haben. Anschließend blickte ich zu meinem Leibsklaven zurück.


    "Und noch was, Assindius. Ich finde es wirklich sehr schön, dass du wie ein Schatten an mir klebst. Nur bitte, nicht in der Hochzeitsnacht! Und auch nicht in einer der danach folgenden."


    Ob er das verstand oder nicht, war mir egal.

    Ich kam mir reichlich rückständig vor, weil ich bisher noch nicht einmal über die Entstehung von Kindern nachgedacht hatte, im Grunde gar nichts darüber wusste, und Epicharis sprach sogar schon von Tricks, unliebsame Kinder fort zu bekommen. Ich nickte wissend, obwohl ich gar nichts wusste.


    „Ja, Männer haben es leichter, aber ich mag es nicht, wenn sie freizügig leben“, ging ich dann bereitwillig auf das neue Thema ein. Hier ging es ja nur um Ansichten und nicht um Wissen. „Um ehrlich zu sein, verachte ich sie sogar. Jedes Mal, wenn ich zu den Hausgöttern bete, bitte ich gleichzeitig den Genius darum, mich nie an so einen Mann geraten zu lassen.“


    Bisher hatte ich mit noch niemandem darüber gesprochen, Epicharis war die Erste. Nur die Götter wussten von meiner Aversion gegen erlebnishungrige oder gar untreue Männer. Bevor ich Gefahr lief, einem solchen anvertraut zu werden, würde ich lieber alleine bleiben wollen, das stand schon mal fest. Wer von mir alles haben wollte, musste gleiches bieten, anders ging die Rechnung nicht auf.
    Ich beeilte mich, Epicharis’ Gedanken zu folgen, denn sie war bereits weitergewandert, während ich noch über das vorherige Thema nachgedacht hatte.


    „Natürlich ist mein Bruder ein guter Mensch“, bestätigte ich im Brustton der Überzeugung. „Er macht halt nur eine blöde Phase durch.“ Hoffte ich zumindest. „Ich denke, einladen wäre der bessere Weg“, antwortete ich auf ihre Frage nach dem geplanten Treffen mit ihm. „Dann kann er gleich mal sehen, wie mein neues Zuhause ist. Natürlich würde ich dich auch gerne einmal zu meiner ehemaligen Familie mitnehmen. Es bleibt bei morgen?“


    Das erste Treffen mit meiner neuen Schwester war wundervoll gelaufen. Wir verstanden uns gut, teilten viele Ansichten, waren fast im selben Alter, unser Leben verlief ähnlich, was wollte ich mehr? Ich sah der Zukunft zuversichtlich entgegen. Auf ihre letzte Frage ging ich nur noch mit einer kurzen Antwort ein, denn das war keineswegs eine Sache, auf die ich stolz war.


    „Ja, es stand sogar ebenfalls in der Acta.“ Ein zerknirschter Gesichtsausdruck sprach Bände.

    Gerade hatte ich ihn noch mit wissbegierigen Augen angeschaut – der Raum war verschwunden, weil er unwichtig war – da kam der erste Regenguss. Ich hatte vergessen zu grüßen und lief bei seiner Zurechtweisung erst einmal rot an. Sowas war mir früher nie passiert: Höflichkeiten vergessen oder mich vor Corvi schämen. Ich war irritiert, das Lachen erstarb und ich flüsterte: „Salve“, der Ordnung halber.


    Noch immer verdattert griff ich nach dem Weinbecher, setzte an und merkte erst während des Trinkens, dass es Wein war. Ich hielt den Atem an und überlegte wohin mit dem Zeugs: Zurückspucken oder runterschlucken? Um einer weiteren Zurechweisung wegen ungebührlichen Verhaltens zu entgehen, machte ich einen ganz langen Hals und quälte das Zeugs hinunter. Warum gab er mir Wein, wo er doch wusste, dass ich keinen trank? Konnte man nicht nüchtern über dieses Thema sprechen? Warum stellten sich alle Leute eigentlich so an?


    „Auf seine Frage schüttelte ich den Kopf. Nein, es steht kein Termin für eine Sponsalia an, aber ich möchte vorbereitet sein. Und ebenfalls nein, meine neuen Schwestern können mir das nicht ausreichend vermittel. Die eine ist zu jung und die andere weiß es trotz passendem Alter auch nicht so genau. Wir haben es ja noch nie gemacht!“


    Ich schaute Corvi vorwurfsvoll an. Wie sollte man sich gegenseitig was erklären, von dem man keine Ahnung hatte?
    „Aber DU hast es ja schon ausprobiert."


    Seine Reaktion bewirkte eine Ernüchterung, wie ein begossener Pudel saß ich da. Zum ersten Mal ließ er mich im Stich und ich verstand nicht wieso.


    „Wenn du es mir nicht sagst, werde ich Assindius fragen“, entgegnete ich trotzig und wie auf Kommando klopfte es an der Tür. Natürlich rechnete ich keineswegs mit meinem Sklaven. Jetzt wurde mir nämlich klar, warum er so abweisend war und mich zu Beginn wegen meines forschen Hereinkommens zurechtgewiesen hatte: Er plante mal wieder ein Techtelmechtel und der- oder diejenige stand nun vor der Tür.


    Zum einen wütend über die unpassende Störung, zum anderen voller Groll auf diesen jemand, mit dem mein Bruder schon wieder ein Stelldichein geplant hatte, sprang ich auf, eilte zur Tür und riss sie auf.


    „Er trifft sich jetzt nicht mit dir“, knurrte ich bereits, als ich noch gar nicht wusste, wer da vor mir stand. „Äh …“ Mein eigener Sklave … „Ja?“, fragte ich, noch immer irritiert.

    Ich fand es beachtlich, wie gut sich Aintzane schlug, aber letztlich brachte mich das nicht weiter. Ich seufzte, überwand mich und trat hinzu.


    „Salve, Aelia. Um es kurz zu machen, ich suche eine Möglichkeit, meinen Sklaven in Tierheilkunde ausbilden zu lassen. Kannst du mir diesbezüglich weiterhelfen? Wenn es keine speziellen Kurse gibt, wäre der Verweis auf einen Privatlehrer auch hilfreich.“


    Insgeheim ärgerte ich mich, dass ich Aintzane nicht vor dem Officium noch um eine Auskunft gebeten hatte. Mal sehen, wie ich das nachholen konnte, ohne dass es zu grotesk vor dem Rector der Schola wirken musste.

    Mit zur Seite geneigtem Kopf lauschte ich den Ausführungen meines Bruders und schmunzelte, als er erklärte, er würde sich beschweren, falls jemand unfreundlich wäre. Jedenfalls wäre Vesuvianus in dem Fall der richtige Ansprechpartner.


    „Vesuvianus ist mein neuer Vater“, erwiderte ich lächelnd, denn ihn kannte ich ja wenigstens, was immerhin ein Fortschritt gegenüber den anderen Claudiern war. Die Stimmung war eigentlich zum ersten Mal wieder heiter, aber als ich meine Frage nach seinem Herzen stellte, war sie wieder hin. Corvi wurde ernst, er blickte regelrecht entgeistert, so als hätte ich von ihm die Herausgabe desselben verlangt.
    Seine Antwort überraschte mich nur teilweise. Einerseits war ich erstaunt, dass ich seinem Herzen am nächsten stand, denn ich war ja nun mal von Geburt an seine Schwester. Andererseits hätte ich von einer echten Liebesbeziehung sicher längst gewusst. Demnach gab es bislang also keine.
    ‚Ob ich wohl eifersüchtig werden würde, wenn sich seine Gedanken einmal permanent um jemand anderen, um eine andere drehen? Schon möglich. Im Augenblick genoss ich es ja, bei ihm im Mittelpunkt zu stehen.’


    Mitten in diesen Gedanken hinein, rückte Corvi plötzlich von mir ab. Ich blickte ihn zunächst aus dem Augenwinkel an, dann jedoch wandte ich mich ihm ganz zu. Hatte ich ihn verärgert? Vielleicht etwas Falsches gefragt? Ah, er hatte meine letzte Frage nicht verstanden, dabei war die doch ganz leicht. Ich lächelte.


    „Ich meinte, ob du eine Liebste auch so behütest wie mich. Ob du dich um sie sorgst, ihr Geborgenheit gibst, sie in den Arm nimmst, tröstest…“ ‚Eben das, was ein Bruder macht? Versteh doch, bitte!’ Vielleicht geht das ja mit einem fremden Menschen nicht. Nein, auch das ist wieder Käse, denn Sophus war mir ja gar nicht fremd. ‚Einfach abwarten, was Corvi sagen würde. Kaue ich ihm alles vor, ist die Antwort nicht mehr so viel wert.’

    Ich musterte Epi intensiv, damit mir auch nicht die kleinste Regung ihres Gesichtes entging. Möglicherweise konnte man ja aus Mimik hilfreiche Schlüsse ziehen. Dann verwies sie auf eine Tante, die ich natürlich nicht kannte.


    „Du, ist mir vollkommen egal, von dem du das hast. Hauptsache es stimmt. Das tut es doch, oder? Zur Not frage ich noch mal bei meinem Bruder, also bei Corvi nach. Ich erzähle es dir dann auch, damit du ebenfalls Bescheid weißt“, tuschelte ich verschwörerisch. „Jetzt aber verrate mir erst einmal alles, was du dazu weißt.“


    Gebannt schaute ich zu Epi und wenn sie mitunter ins Stocken kam, war ich versucht, ihr mittels Kopfnicken und allerlei anderen Gebärden, Mut zuzusprechen.


    „Wenn ein Mann Gelüste verspürt? Wie oft hat er denn das?“


    Obwohl wissbegierig auf die Antwort, rätselte ich gleichzeitig über die empfindlichste Stelle an mir herum. Bestimmt ist damit die Zunge gemeint. Es tat höllisch weh, wenn man sich darauf biss und ganz klar, Küssen war mit Kopulation gemeint.


    „Warum drückst du dich so kompliziert aus? Sag doch einfach Küssen?“


    Ich zuckte mit der Schulter. Plötzlich fiel mir aber eine Merkwürdigkeit auf.


    „Epi, hier stimmt was nicht, bestimmt hat sich die Tante geirrt. Zum Küssen muss man sich nicht nackig machen, also DAS weiß ICH ganz genau.“ Klug nickte ich. Endlich konnte ich auch etwas zum Thema beisteuern. „Ovid sagst du? Ja, ich habe davon gehört, mich aber nie getraut, dergleichen zu lesen. Steht das Werk hier in der Bibliothek?“

    Ich musste wohl recht verständnislos geschaut haben, als mich seine ernsten Worte erreichten, denn ich erwischte mich selbst mit erstarrter Miene und sprachlos für den Augenblick. Du meine Güte! Was war bloß aus meinem jüngeren Bruder, ähm ehemaligen Bruder, geworden? Er klang unserem Vater zum Verwechseln ähnlich. Ich wischte seine Ermahnungen weg, schloss die Tür mit einem Schwung und hörte gerade noch seine letzten Worte.



    Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    "Diesmal war es nur ein Brief, den ich mir nun schenken kann, wer weiß, wie du mich nächste Mal hier im Zimmer vorfindest, wenn du derart fix bist."


    „Was soll das wieder heißen?“ Ratlos blickte ich meinen Bruder an. Vorfinden? Betrunken vielleicht? Etwa mit einem Jungen im Arm? Unwillig runzelte ich die Stirn. Auf jeden Fall war ich bei Corvi an der richtigen Stelle, um über dieses Thema mehr zu erfahren. Ich besaß seine Aufmerksamkeit, was wollte ich mehr? Eilig legte ich die wenigen Schritte zum Bett zurück und setzte mich. Nichts war so schön weich wie diese Schlafunterlagen. Ich räusperte mich, lächelte kurzzeitig verlegen, nahm aber anschließend todesmutig Anlauf und breite mein Anliegen aus.


    „Kein Verehrer. Sehnsucht nach dir kommt da schon eher hin, denn ich brauche deinen Rat. Corvi, die Hochzeit kann schneller als erwartet auf mich zukommen und ich möchte vorher wissen, was Mann und Frau am Abend tun. Was passiert da? Wie muss ich mich verhalten? Was wäre falsch? Ja eben, wie geht das? Du hast doch schon Erfahrung damit. Und vor allem sag mir eins: Woher nimmt ein Mann das Kind und wie, bei den Göttern, befördert er es in den Bauch?“


    Ich hatte schnell gesprochen, so als stand jene Nacht unmittelbar bevor. Dem war natürlich nicht so, es lag an dem heiklen Thema, das mir einfach nicht mehr aus dem Kopf ging, das die Wangen rötete, den Pulsschlag verdoppelte und meine Fantasie auf Hochtouren brachte. Es war mir absolut schleierhaft, wie alles ablaufen sollte und schließlich gab es nirgends eine Spielanleitung oder so. Woher sollte ich wissen, wann ich schlucken durfte oder musste? Ob das schmeckte, was er mir zu essen gab? Ich war mir relativ sicher, ein Kind gelangte über den Mund in den Bauch. So lief das immer.


    „Corvi, wieso überhaupt muss sich der Mann ausziehen?“ Wie sah ein Mann eigentlich nackig aus?

    Weil mir die Frage unter den Nägeln brannte, mir zwar Epicharis schon viel erklärt hatte, ich aber das Ganze noch einmal aus der Sicht eines Mannes beschrieben haben wollte, besuchte ich kurzerhand meinen Bruder – unangekündigt zwar, aber die überraschenden Einfälle waren ja oft die besten. Ich musste ganz dringend meine Wissenslücken schließen, damit ich auf alles vorbereitet war. Schnell konnte einer Verlobung die Hochzeit folgen und dann gab es diese entscheidende Nacht. Den Kopf voller Gedanken übersah ich dieses dumme Loch im Straßenbelag vor der Villa, trat hinein, knickte um und fluchte einmal laut. Sofort schlug ich die Hand vor den Mund, das war unschicklich und ich wusste das.


    Die letzten Schritte legte ich dann in besonders anmutiger Manier zurück. Ich betrat die Villa, schlug die Tür zu und rannte ab hier quer durch das Haus, bis ich leicht außer Atem vor Corvis Zimmertüre stand. Dreimal donnerte ich an das Holz, wartete auch nicht, bis die Aufforderung zum Eintritt kam, sondern platzte in den Raum.


    „Corvi, ich brauche deine Hilfe“, rief ich noch auf der Türschwelle, rauschte ins Zimmer und bemühte mich augenblicklich um die Orientierung. Die Türklinke noch in der Hand suchten die Augen bereits den Raum nach meinem Bruder ab.



    edit: Die Vorgeschichte.

    Die Erklärungen zu Medeas Geschichte rauschten wirkungslos an mir vorbei. Voller Konzentration wartete ich auf die erhofften Antworten, die gleich im Anschluss kamen. Oh, ich hatte geahnt, dass Epicharis geschockt reagieren würde, zumindest sah sie danach aus. Aber ich hatte Glück, sie entspannte sich schnell, atmete aus und ich annähernd synchron mit ihr. Über alle Maßen gespannt und aufmerksam – Kopf samt Oberkörper dabei nach vorn gebeugt – folgte ich den Ratschlägen und prägte sie mir gewissenhaft ein. Nichts wäre fataler gewesen, als irgendetwas zu vertauschen oder gar zu vergessen.
    Als sie geendet hatte, verblieb ich in der Abwartungshaltung, denn entscheidende Dinge fehlten mir noch. Wozu brauchte man den Mann? Was tat er oder musste ich etwas tun? Ich hatte wirklich nicht den Ansatz einer Ahnung.


    „Das mit den Göttern verstehe ich, aber das mit dem Mann halt nicht“, gab ich zu und lehnte mich dabei zurück. Nicht etwa, weil meine Wissbegier nun gestillt war, sondern weil mir meine gewöhnliche Körperhaltung bewusst geworden war. Ich hüstelte, bevor ich Epicharis erneut anblickte und nachfragte.


    „Was meinst du mit: Wenn der Mann bei der Frau gelegen hat? Sag’s bitte keinem, aber ich verstehe das nicht.“


    Es war schon peinlich genug, dass meine Schwester meine Unwissenheit mitbekam.

    „Äh, Kinder ermordet?“ Meine Augen nahmen eine unnatürliche Größe an. Nicht nur, weil die Vorstellung zu grausig war, sondern weil Epicharis sogleich ins Schwarze getroffen hatte.


    Ich ließ mich zur Sitzecke ziehen und nahm Platz. Anschließend nestelte ich an meiner Tunika herum, die Augen dabei auf den Schoß gerichtet, bis mir klar wurde, dass ich aus Verlegenheit auch noch genau dorthin blickte, wo offensichtlich Kinder vor ihrer Geburt getragen wurden. Es war ja nicht zu übersehen, weder bei Tier noch Mensch. Eine spürbare Hitze stieg mir zu Kopf, sodass ich mir durch ein Pusten Erleichterung schaffen wollte, aber vergeblich – die Wangen glühten erbarmungslos.


    „Epi, was muss man machen, damit Kinder entstehen?“


    Ich hob erwartungsvoll den Kopf, hoffte, dass mich meine Schwester nicht auslachte und wartete mit zitternden Knien und feuchten sowie eiskalten Händen ihre Reaktion ab.

    Zu gern ließ ich mich auf das Thema „Corvinus“ ein, denn damit fühlte ich mich wie in früherer Zeit, als ich als Aurelia mit einer Freundin über die Familie sprechen konnte. Also lächelte ich, rückte mich bequem in meinem Korbsessel zurecht und ließ mir noch ein Getränk bringen. Derart gerüstet stand einer ausführlichen Erörterung nichts mehr im Wege.


    „Ja, es ist seine Art und sicherlich auch seine Erscheinung, die es ihm leicht macht, allerhand Mädchen und Frauen kennen zu lernen“, bestätigte ich mit einem bekräftigenden Nicken. „Vermutlich atmet er Lockstoffe aus, anders kann ich es mir nicht erklären.“ Ich schüttelte unwillig den Kopf. Das war ja noch nicht einmal alles, aber ich biss mir auf die Zunge, weil ich es versprochen hatte.


    „Was ich aber auch nicht verstehe …“ Mein Blick suchte Epicharis. „Offensichtlich sind wir, ich schließe dich jetzt einfach ein, altmodisch erzogen worden. Weißt du, was passiert wäre, wenn ich mir je einen solchen Ausrutscher geleistet hätte? Mein Vater … Sophus … vermutlich meine Brüder … nicht auszudenken.“ Da gab es einmal Andeutungen und die hätten alleine gereicht, mich von solchen Abenteuern abzubringen, was nicht nötig war, denn mich bekam man nicht geschenkt.


    „Eine Flavia stand sogar in der Klatschspalte der Acta. Überlege mal! Eine Flavia! Also, wäre ich ein Mann, würde ich so eine Frau ganz bestimmt nicht mehr anrühren. Gut, als Frau würde ich einen Mann, der herum steigt, auch nur unter Zwang nehmen.“


    Ich betrachtete Epicharis und versuchte mir vorzustellen, welche Einstellungen sie vertrat. Vermutlich war sie anständig, das erwartete ich einfach von Mädchen aus gutem Hause, aber vielleicht fand sie Männer im Lupanar oder auch privaten Betten völlig normal.


    „Ich weiß nicht, ob mein Bruder nur Herzen bricht oder sich mehr von den Mädchen nimmt“, räumte ich dann jedoch ein. „Ich würde ihn dir gerne vorstellen. Dann sehe ich ihn ja bei der Gelegenheit auch gleich wieder, denn derzeit ist das Heimweh doch recht groß. Hast du für morgen schon etwas vor?


    Naja, und was die Pferde betrifft … etwas Unrühmliches habe auch ich vorzuweisen: Ich bin nämlich schon zu Pferd gesehen worden.“ Ich lachte leise, denn dieses Vergehen fand ich nicht vergleichbar schlimm. Pferde gehörten zu meinem Leben und als Leiterin des Zuchtbetriebes lag es auf der Hand, dass ich nicht nur reiten konnte, sondern es auch liebte. Immerhin hatte ich mich aber in den letzten 20 Monaten nicht mehr auf einen Pferderücken gesetzt.

    Nach der erfolgten Adoption stand einer Heirat nichts mehr im Wege. Ich hielt mich permanent an diesem Gedanken fest, um die Umstürze in meinem Leben zu verkraften, denn insgeheim musste ich zugeben, dass ich mich schon einmal wohler gefühlt hatte. Es lag nicht an der neuen Familie, denn die war sehr entgegenkommend und nett, sondern an einem Einsamkeitsgefühl, das ich einfach nicht abstreifen konnte. Also kreisten meine Gedanken Tag und Nacht einzig um den Grund meines Familienwechsels und damit kam ich recht bald auf das Thema „Kinder“.
    Nichts Besonderes mochte man meinen, ich hatte mich damit bereits als kleines Mädchen auseinandergesetzt. Mama zu sein, war das Natürlichste auf der Welt. Nur jetzt, wo dieser Zustand in greifbare Nähe rückte, stellte ich mir Fragen nach dem wie und wodurch. Ich hatte Null Ahnung, wie Kinder entstehen; ich wusste nur, dass man dazu einen Mann braucht. Mutter Aurelia anzusprechen, wagte ich nicht mehr, weil ich sie durch meinen Adoptionswunsch sehr verletzt hatte. Eine neue Mutter gab es für mich nicht, denn Vesuvianus war Witwer. Also blieb nur meine Schwester Epicharis, die in etwa in dem Alter war, wo man solcherlei Themen erörtern konnte, weil sie für uns beide in nicht allzu weiter Ferne lagen.


    Geschwind machte ich mich nach dem verspätet eingenommenen Frühstück auf den Weg zu ihrem Zimmer. Hoffentlich war sie noch in der Villa und nicht bereits unterwegs. Ich klopfte hastig, drückte die Klinke herunter und steckte den Kopf durch den Spalt.


    „Epi?“