Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    Der langen Betrachtung konnte ich nicht standhalten, ich senkte nach Kurzem die Augen. Gleich, wo ich hinsah, um mich herum lag alles in Scherben: Meine liebsten Menschen waren allesamt traurig, die neue Familie kannte ich nicht einmal, bisher hatte mich keiner begrüßt oder schon einmal Kontakt aufgenommen, ich selbst fühlte mich entwurzelt, hatte nicht einmal die Gewissheit, dass mein Schritt den angestrebten Erfolg brachte, momentan fühlte ich mich nur noch schlecht. Bevor mein Bruder kam, hatte ich mechanisch funktioniert und über nichts nachgedacht. Nun zwang mich sein Verhalten, die Lage zu begutachten und das Ergebnis fiel nicht besonders positiv aus.


    Auf seine Frage nach den Claudiern nickte ich. Es lag ja auch auf der Hand, denn in Mantua lebten nicht viele patrizische Familien. „Was willst du denn tun, wenn jemand unfreundlich wäre?“, gab ich zweifelnd zur Antwort. Meine Stimme klang müde. Natürlich hatte ich mir bereits Gedanken gemacht, wie es sich anfühlen würde, wenn irgendjemand auf meine Abstammung zu sprechen kam. Die Aurelier waren der Geldadel, manche sahen das als niederwertiger an. Die Claudia hingegen war ein altes Adelsgeschlecht.


    „Wie würdest du reagieren, wenn dich jemand aus einer der Maiorgentes schief anschaut?“, fragte ich in dem Moment, als er mich bereits in die Arme zog. Ich legte den Kopf an seine Schulter und war mir sicher, er würde schon einen guten Rat wissen.
    Mein Blick lag auf irgendeinem Gegenstand im Zimmer, scheinbar dachte ich an nichts, aber weit gefehlt: Plötzlich waren die Gedanken an Sophus da. Es war mehr als 1,5 Jahre her, als ich das Letzte mal in seinen Armen lag. Sicher, ich hatte ihn seither wiederholt gesehen, aber behütet, wie in diesem Moment, fühlte ich mich bei ihm seit langem nicht mehr. Dabei wäre es mein Wunsch gewesen. Ungewollt schimmerten erneut Tränen in meinen Augen. Waren Männer nur so zu ihren Schwestern?


    „Gab es unter deinen ganzen Bekanntschaften einmal eine, die dein Herz berührt hatte?“, fragte ich aus diesen Gedanken heraus. Es musste zusammenhanglos wirken, aber das war mir egal. Es herrschte ohnehin eine Ausnahmesituation. „Und hast du sie so wie mich behandelt?“ Die letzte Frage war noch viel wichtiger. Wenn mir Corvi jetzt sagte, dass es niemals so war, dann war belegt, dass nur ein Bruder wirklich besorgt und beschützend auftreten würde, nie aber ein Verlobter oder ein Gemahl.

    Zitat

    Original von Marcus Vinicius Hungaricus
    Äh, ich bin mir jetzt nicht sicher, was du meinst. Erklär mir das bitte genauer.


    Okay, einen Versuch der Erklärung mache ich. Das Problem: Ich kann nicht ganz konkret werden, wenn ich meine Beziehungen nicht gefährden will. ;)


    Es gibt ja eine ganze Reihe an Leuten, die nach dem alten System die erste Stufe des CH bereits beschritten haben. Die hängen nun mehr oder weniger zwischen altem und neuem System. Wenn ich die Reform richtig verstanden habe, dann können sie ohne weiteres erneut eine Kandidatur (jetzt mal egal, ob erneut für den Quaestor oder dieses neue Dings) anstreben, sie sind ja bereits im Ordo Seantorius.


    Ändert sich denn für diese Leute bei der nächsten, übernächsten oder einer noch späteren Wahl noch etwas? Möglicherweise ja auch nur die Großzügigkeit des Kaisers wenn es um die Entscheidung "Aufnahme in den Senat oder nicht" geht? ;)

    Ich nickte zufrieden und kontrollierte nochmals die Anwesenheit meines Geldbeutels sowie die Mitnahme der Tunika.


    "Alles in Ordnung. Assindius, dann führe uns doch auf schnellstem Wege zur Schola: Runter vom Markt und zwar in entgegengesetzter Richtung aus der wir gekommen sind, dann die Hauptstraße entlang bis zum großen Torbogen, dort nach links abbiegen und dann sind wir nach etwa zehn Minuten Fußmarsch da."

    In Begleitung meiner Sklaven steuerte ich das Officium des Rectors dieser Schola an. Natürlich wusste ich, wer hinter dieser Tür saß, daher wandte ich mich an Aintzane.


    „Ich möchte, dass du anklopfst und zunächst fragst, wer am besten Auskunft über mögliche Sonderausbildungen oder auch geplante Kurse geben könnte. Falls wir mit diesem Anliegen in diesem Officium richtig sind, werde ich wohl späterhin nicht umhin kommen, die Unterredung selbständig weiterzuführen.“


    Ich seufzte, hatte sich doch meine Einstellung zur Rektorin von vormals schlecht nach zwischenzeitlich sehr gut bis zu erneut schlecht gewandelt. Sollte das Gespräch für mich unangenehm verlaufen, blieb aber immer noch die Möglichkeit von Assindius' verbalem Einsatz, was mich beruhigte. Vorerst verschob ich diese Maßnahme, weil sich Aintzane einfach gepflegter auszudrücken wusste und es ja auch um das Erscheinungsbild meiner Gens, oder inzwischen sogar Gentes, drehte.

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    Original von Ioshua Hraluch


    Tja, zuviele RPGler hier. :P


    Vielleicht täuscht der Eindruck, aber ich verbinde den Wandel eher mit der inhaltlichen Änderung der Factiones.



    Mich interessiert noch, ob für diejenigen, die nach dem alten System bereits die erste Stufe im CH beschritten hatten, sich die Situation in einem halben Jahr noch genauso darstellt wie sie heute ist. Die Frage mag komisch klingen, ist aber für mehrere Leute aufgrund von Gemunkel nicht unerheblich.

    Keine Geschwister und doch so ähnlich – ob das dieselbe Erziehung vollbracht hatte? Ich focht stets mit Leidenschaft, Corvi auch. Vorhin hatte ich mich wegen seinem Geständnis in tiefe Erschütterung gesteigert, nun tat er es. Bei den Göttern! Aus der Distanz betrachtet sah ich die eigene Übertreibung ein, hoffentlich wurde ihm ebenfalls seine Überreaktion noch rechtzeitig klar. Rechtzeitig, bevor er am Ende doch noch den Raum verließ. Eine furchtbare Vorstellung, denn trennende Dinge, Streit, Missverständnisse – all das musste erst aus dem Weg geräumt werden, bevor man auseinander ging. Für mich gab es nichts Schlimmeres als ungeklärte Situationen oder Uneinigkeit stunden-, gar tagelang ertragen zu müssen oder Zweifel mit mir herumtragen zu müssen. All das ging mir durch den Kopf, als mein Blick noch immer an seinen Rücken geheftet war. Wie immer rumorte der Bauch als Folge der ganzen Aufregung und zudem schmerzte der Kopf von den vorhin vergossenen Tränen.


    Die soeben kühlend an die Stirn gelegte Hand fuhr herab, als sich Corvinus bewegte. Annähernd hypnotisiert folgte mein Blick seinem Gang zum Stuhl und suchte nach Antworten in seinen Augen, als er Platz genommen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, aber plötzlich erhob er sich und kam herüber. Der Anflug eines Lächelns erschien auf meinem Gesicht, weil das ja immerhin ein gutes Zeichen war. Trotzdem blieb ich abwartend, denn möglich war genauso, dass ein erneuter Ausbruch auf mich zukam.


    Als er dann vor mir stand und sich entschuldigte, glaubte ich zunächst mich verhört zu haben.
    „Nein, um der Götter Willen, du musst dich doch nicht entschuldigen!“, beeilte ich mich zu sagen. Ungläubig schaute ich ihn an, konnte gar nicht glauben, wie schnell sich nun das Blatt gewendet hatte. Wieder beobachtete ich ihn, als er sich setzte, schaute dann aber zu Boden, weil es schwierig zu ertragen war, Schuld an seiner derzeitigen Verfassung zu sein.


    „Natürlich bin ich noch deine Schwester, nur eben nicht vor dem Gesetz“, stimmte ich ihm eifrig zu. Die Worte wären nicht überzeugend gewesen, wenn ich weiterhin zu Boden geschaut hätte, also sah ich ihn an. Den Satz mit dem treffen, weil man selbst betroffen ist, verstand ich nicht im Ansatz, aber Corvi redete auch gleich weiter, sodass keine Zeit zum Nachgrübeln blieb.


    „Ich habe keine Ahnung, ob sie mich willkommen heißen“, sagte ich verwirrt, weil alles nur Bruchstückweise ins Bewusstsein rückte. „Auf jeden Fall komme ich dich und unsere Eltern doch besuchen. Ich bleibe ja überwiegend in Mantua und die Villen stehen nicht weit auseinander.“


    Sein letzter Satz verursachte mir aber dann einen Kloß im Hals, nach einem Luftschnappen schloss ich den Mund. Fraß gerade noch ein Wolf der Angst in meinem Bauch, verdrängte ein Gefühl der Rührung diesen Schmerz, aber es war keineswegs besser, denn es löste Hilflosigkeit aus, die mit vielen kleinen Greifhänden in meine Magenwand kralle. Durchaus schmerzvoll verzog ich das Gesicht. Gegen Angst kann man sich mittels Wut erwehren, aber dem neuen Gefühl war ich wehrlos ausgesetzt. Ich konnte noch nie gut ertragen, wenn mir wichtige Menschen traurig waren. Trösten war auch nicht immer meine Stärke, also nahm ich wortlos seine Hand.


    „Wir werden einander einfach festhalten“, schlug ich vor. Irgendwie kam dann seine Hand und … Ich schluckte. Irritation flackere in meinen Augen auf. Sowas hatte er doch noch nie gemacht. Oder doch?
    ‚Meine Güte, bin ich durcheinander’, schalt ich mich und schüttelte unwillkürlich den Kopf.

    Nachdem ich diese neue Tunika prüfend betrachtet, die Nähte kontrolliert und den Stoff befühlt hatte, nickte ich.


    "Ja, die ist gut. Die nehme ich."


    Ich zog den aus feinem Leder verarbeiteten Beutel hervor, öffnete ihn und zählte die Münzen ab. Das Geld landete ohne weitere Beachtung auf dem Verkaufstresen, während ich zuschaute, wie der Händler die Tunika wieder zusammenlegte, um sie für den Transport in eine möglichst praktische Form zu bringen. ;) Mit einer Kopfbewegung und einem Lächeln forderte ich Aintzane auf, ihr neues Kleidungsstück in Empfang zu nehmen.


    "Liegt noch ein ungestilltes Bedürfnis an oder können wir nun die Schola in Angriff nehmen?", fragte ich meine beiden Sklaven. Heute waren die Saturnalien und sie konnten durchaus Wünsche äußern.

    „Ich weiß wirklich nicht, ob ich eine so starke Frau bin“, erwiderte ich auf Epicharis Feststellung hin. „Vor allem die erste Bestattung liegt mir noch stark in Erinnerung, denn sie hat meine heile Welt zum Einsturz gebracht. Es ist, als stirbt auch etwas in dir, man kann sich nie wieder vollständig davon erholen.“
    Für Momente drifteten meine Gedanken in die Vergangenheit ab. Damals war mehr als der Glaube an Gerechtigkeit, an Schutz und Wohlwollen der Götter und die unerschütterliche Sicherheit innerhalb der Familie gestorben.


    „Mit einem Schlag bin ich erwachsen geworden“, stellte ich aus diesen Gedanken heraus fest. „Lange war mein Lachen verschwunden und selbst jetzt … Ich kann behaupten, seither von einer Ernsthaftigkeit betroffen zu sein, die mich um Jahre älter erscheinen lässt als ich es eigentlich bin. Jede Bestattung danach gräbt die Wunden tiefer ein, auch wenn mich nichts mehr wie die erste erschüttern kann.“


    Unnötiger Weise betrachtete ich meine Hände, merkte es aber nicht einmal, weil das Thema so vollkommen ungeeignet war, mich von der an sich schon schwierigen Situation des Familienwechsels abzulenken – es verstärkte eher noch das Gefühl von Verlust und Hilflosigkeit. Bloß an was anderes denken … Epicharis hatte zum Glück auch bereits ein neues Thema zur Hand: Ihre Schwester Prisca. Natürlich musste ich schmunzeln, als sie erklärte, Prisca würde sich freuen, jetzt nicht mehr nur unter ihr leiden zu müssen. Ich würde mich also überraschen lassen, was Epicharis damit wohl gemeint haben könnte.
    Anschließend folgte ich den kurzen Beschreibungen einiger Claudier. Natürlich würde ich meiner neuen Schwester meinen Bruder einmal vorstellen, daher nickte ich eifrig.


    „Ich bin gespannt, wie ihr euch versteht. Aber du musst aufpassen, er ist ein rechter Eroberer: Egal wo du hinblickst, er scheint überall Frauen zu kennen. Selbst in Germanien habe ich eine getroffen.“


    Mit einem viel sagenden Blick nickte ich meiner Schwester zu.


    „Auch ein Besuch bei den Pferden lässt sich arrangieren. Und ja, es stimmt: Das Gestüt Aurelia …“ Ich stutzte kurz. Konnte der Name denn überhaupt so bleiben? „Ja, also, ich leite den Zucht- und Rennbetrieb, natürlich mit Unterstützung etlicher Angestellten. Die italischen Gespanne stammen aus unserem Betrieb.
    Ein Geheimnis?“


    Ich lächelte und rückte nun meinerseits näher. „Bist du etwa einmal unschicklich in der Öffentlichkeit geritten?“ Nun kicherte ich und gedachte zurückliegender Erinnerungen.

    Ich blickte nach den Worten des Händlers meinen Leibsklaven an, runzelte die Stirn und dachte – aber nicht laut: ‚Kommt mir das jetzt alles nur spanisch vor oder war wirklich etwas faul?


    „Ist dieses Kleid nun im Wert von 25 Sesterzen oder vermutest du das nur, wenn du ‚sicherlich’ sagst?“


    So ist das eben, wenn man die Geschäfte einer großen Familie führt: Der Geschäftssinn wurde scharf, die Geschäftstüchtigkeit wuchs.


    „Weißt du was? Ich nehme eine Tunika von diesem Stapel dort hinten, wo 25 Sesterzen dran steht und falls der Stoff und die Verarbeitung wirklich gut ist. Es darf ein Grün im ähnlichen Farbton wie diese helle sein.“


    Ich wies auf das vor mir liegende Kleid. Assindius musste diese Farbe ja nicht tragen und wenn sie Aintzane gefiel, meinetwegen …

    "Ja, 15 Sesterzen sind der Durchschnittspreis, aber ich sagte ja schon, ich möchte eine in besserer Qualität erwerben", entgegnete ich dem Händler, wobei meine Stimme einen für mich vollkommen ungewohnten Anflug an Gereiztheit aufwies - einerseits froh darüber, dass er nicht unverschämt war, aber andererseits auch verärgert, weil mein Wunsch ja bereits zu Beginn, der nach einer abhebenden Tunika war.


    "Welcher Qualität ist nun diese hellgrüne Tunika? Oder gibt es sie in verschiedener Stoffqualität?"


    Mein Geschäftsverstand war geschärft, denn ein und dieselbe Tunika ließ ich mir wohl nicht zu verschiedenen Preisen einreden, auch wenn meine Sklavin sich offenbar bereits festgelegt hatte. Ihre Frage nach meiner Meinung überhörte ich geflissentlich. So weit ging nun die Konversation doch nicht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

    Sprachlos verfolgte ich die Reaktionen meines Bruders. Es war wie in einem Theaterstück: Ich war der Zuschauer, den die Vorgänge auf der Bühne in ihren Bann schlugen … und wie sie mich beeindruckten. Ich war unfähig, mich zu rühren - die Augen geweitet, der Mund geöffnet, das Herz überschlug sich. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die Hand legte sich schützend auf den Mund, aber in den Augen war die Betroffenheit zu erkennen.


    Erst ließ er Traurigkeit erkenne, dass es mir schon das Herz zuzog. Aber bevor ich ihn mit einem Streicheln trösten konnte, sprang er auf, weswegen meine Hand mitten in der Bewegung stoppte und in den Schoß zurücksank. Die kommenden Reaktionen jedoch waren geeignet, mir einen Schrecken einzujagen: So hatte ich Corvi noch nie erlebt. Fassungslos sah ich die Karaffe zerschellen, die Flüssigkeit spritzen und den Boden einnehmen. Automatisch fuhren die Hände zu den Ohren, um das Scheppern zu mildern. Kein Laut drang aus meinem Mund, während ich den zunächst am Fußboden klebenden Blick gewaltsam löste, um damit meinem Bruder zur Tür zu folgen. Körperlich ging gar nichts: Ich blieb weiterhin wie erstarrt sitzen.
    Und was hatte er noch gesagt? Du gehst wegen IHM? Das klang doch so abfällig oder bildete ich mir das im Nachhinein nur ein? Wen meinte er überhaupt damit? Sophus? Oder diesen ekelhaften Fl…? Kurzzeitig stieg Ärger in mir auf.


    Sein Verhalten, so sehr es mich auch erschreckt hatte … es war geeignet, diesen Anflug von Groll fortzuwischen, weil ich den Schmerz hinter der Wut erkannte. Ich, die ich Sophus stets verteidigte, vergaß ihn für den Moment, weil mein Bruder wichtiger war. Aber was tun? In einer Geste der Hilflosigkeit strichen meine Hände über das Gesicht. Es war Ratlosigkeit, weil ich nicht wusste, wie ich seinen Schmerz lindern konnte. Die Adoption war geschehen, sie ging nicht rückgängig zu machen und vor allem: Ich wollte das ja auch gar nicht. Schließlich gab es ja einen gewichtigen Grund dafür.


    „Was kann ich tun, damit du mir verzeihst?“, fragte ich nach langen Momenten des Schweigens mit dünner Stimme. Für mich wäre es unerträglich gewesen, zukünftig im Streit mit meinem Bruder zu liegen. Mein bittender Blick hing am Rücken meines Bruders in der Hoffnung, er möge nicht wortlos den Raum verlassen.

    Aintzane hatte es offenbar bei dem Wortwechsel auch die Sprache verschlagen. Ich jedenfalls wandte mich mal meinem Sklaven und mal dem Händler zu. Die Argumente waren verblüffend. Mal abgesehen von meinem eigenen Geschmack, den ich bislang ja noch nicht einmal geäußert hatte, und dem, was meine Sklavin fand, was mir immer noch nicht gänzlich klar war (kräftig oder pastellgrün), wollte ich es nun genauer wissen.


    Zitat

    Original von Assindius
    „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine einheitliche Richtlinie gibt was passt und was nicht. Das kommt doch immer darauf an, was man selber denkt, nä. Ich jedenfalls denke, dass sie mit dem Grün aufpassen muss!“


    "Inwiefern aufpassen?"


    Und an den Händler gewandt: "In welcher Preislage sind diese Kleider?"

    Als ich die Hand auf meinem Arm spürte, lächelte ich dankbar. Ich kam mir in meiner neuen Familie so verloren vor, weil ich ja kaum jemand kannte und die rechtlichen Beziehungen noch gänzlich ohne ein Gefühl der Zugehörigkeit waren. Zudem schmerzte der Verlust, den ich vermutlich konsequenter als nötig beurteilte.


    „Vor dem Gesetz habe ich keine Brüder mehr, aber vielleicht sollte ich diese Tatsache wirklich nicht überbewerten. Ich bin als ihre Schwester aufgewachsen und kein Gesetz der Welt kann das rückgängig machen. Bande dieser Art sind nicht auslöschbar, auch nicht durch einen so folgenschweren Schritt wie eine Adoption. Verliebe dich bloß nicht in einen Verwandten“, rutschte es mir heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte, welche Konsequenzen diese Offenlegung mit sich bringen würde.


    „Ich habe eine ganze Reihe von Brüdern gehabt: Zwei sind allerdings nicht mehr diesseits des Flusses, ich habe ihre Bestattung ausgerichtet. Manche weilen außerhalb Italias, aber mein jüngerer Bruder Corvinus lebt in Mantua.“


    Ich lächelte bei dem Gedanken an ihn, denn wir hatten uns immer gut verstanden. Nur eben die letzte Begegnung war unerfreulich verlaufen.


    „Von Prisca habe ich schon gehört, aber ich kenne sie nicht. Inzwischen kommen aber immer mehr Familienmitglieder hinzu, die mir mehr als nur vom Namen her bekannt sind: Du, mein Vater und Onkel Arbiter kenne ich auch.“

    Mit der neuen Tunika zeigte ich mich, was die Länge betraf, sehr zufrieden. Sie war zudem gut gearbeitet und in dem gleichen weichen Stoff wie die erste.


    „Grün sagst du“, erwiderte ich mit nachdenklicher Stimme, während ich die beiden Kleider abwechselnd hochhielt. „Also das muss ich an meiner Sklavin sehen.“


    Ich drehte mich zu Aintzane und forderte sie mit einem Nicken auf, sich die beiden Kleider erneut anzuhalten.


    „Was meinst du selbst?“, fragte ich anschließend. „Und was sagt dein Geschmack, Assindius?“ Nicht, dass ich dem Germanen ein besonderes Modebewusstsein unterstellen würde, aber die Kommentare waren stets lustig und so erteilte ich ihm öfter als üblich das Wort.

    Was schwatzte Assindius heute so viel? Und auch Aintzane beteiligte sich munter an der Konversation. Ich drehte mich flüchtig zu den beiden um, erhaschte den Ausdruch „Sohnemann“ und blickte dann doch reichlich verdutzt.


    „Habe ich irgendwas verpasst?“, fragte ich scheinheilig, denn praktisch umsetzen ließ sich die soeben vernommene Beziehung der beiden nicht: Aintzane war dafür „ein klein wenig“ zu jung. Gleichwohl war ihr aber eine erzieherische Ader zueigen. Nun, vielleicht – irgendwann in weiter Ferne – würde ich einmal Kinder haben und neben allerhand Gelehrten konnte ein Kindermädchen nicht schaden. Aber erst einmal abwarten, zu welchen Mitteln Aintzane bei Assindius noch so greifen würde. Ich bedachte meinen Leibsklaven mit einem schelmischen Blick, wandte mich dann aber wieder dem Händler zu, nachdem ich die Tunika ausreichend an Aintzane betrachtet hatte.


    „Hm, ich finde, diese Tunika fällt etwas kurz aus. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass meine Sklavin von etwas größerer Statur als eine Römerin ist. Welche Farben haben wir denn überhaupt zu Auswahl?“

    Tylusische Qualität war in der Tat eine gute, also waren sie an diesem Stand schon einmal richtig. Ich nickte Aintzane zu, die offensichtlich ein gutes Gespür besaß, ohne Umwege den besten Zielhafen zu finden. Prüfend strich ich über den Stoff, warf einen Blick auf die Nähte und war durchaus zufrieden, was nicht gleichbedeutend mit einem sofortigen Kaufentschluss war.


    „Ich möchte die Tunika an meiner Sklavin sehen. Ein Anhalten dürfte reichen, die Wetterverhältnisse erlauben nicht mehr. Der Stoff muss weich fallen, damit die gute Qualität auf Anhieb sichtbar ist.“


    Nicht dass ich die Meinungen meiner Sklaven grundsätzlich berücksichtigen würde, aber möglicherweise gab es Überlegungen praktischer Art, die ich als Herrin kaum einzuschätzen vermochte, also war ich durchaus für Kommentare aufnahmebereit.

    Aus einem zaghaften Lächeln wurde ein deutlich sichtbares und schließlich ein ganz großes, als nach der ersten Umarmung die Begrüßungsworte erklangen. Ich legte die Arme behutsam um meine Schwester, traute mich kaum zu drücken, tat es dann aber doch, und empfand dabei ein Gefühl innerer Wärme. Irgendwie folgte ich wie im Trance zu den Sesseln und ebenso unbewusst nahm ich Platz.


    Und wieder lächelte ich, als die Sprache auf die "große Schwester" kam. "Ich hoffe, ich bin in dieser Rolle nicht allzu ungeschickt, denn ich habe zum ersten Mal im Leben Schwestern. Für mich ist das ein großartiger Gewinn, denn auch wenn ich meine Brüder, auch ..." Ich fasste mich an die Stirn und senkte kurzzeitig den Kopf. "Ich vergesse noch oft, dass sie nicht mehr meine Brüder sind", erklärte ich recht verzagt, fuhr dann aber weiter fort: "Ich denke einfach, dass ich mit Schwestern andere Dinge teilen kann als mit Brüdern. Das wollte ich sagen."


    Trotz aller Freude und trotz des lieben Empfangs von wirklich jedem der bisher getroffenen Claudier, war mir anzusehen, dass die Wehmut über den Verlust der einstigen Familie noch in meinem Herzen saß.

    Ich wusste gar nicht, worauf ich zuerst achten sollte: Da schaffte es meine Sklavin doch tatsächlich über die Köpfe der Marktbesucher hinwegzusehen. Und nicht nur das ... sie schob offensichtlich mit Leichtigkeit einen stattlichen Mann aus dem Weg. Mein überraschter Blick streifte sie.


    "Du willst doch nicht etwa Assindius Konkurrenz machen?" Nur ein Teil der Frage bestand aus Humor, der andere war blankes Staunen. “Ja, dann mal los!", forderte ich sie unternehmungslustig auf, als ich jedoch ein deutliches Schnaufen in meinem Rücken hörte und zunächst nachschaute, wer da so außer Atem war.


    "Ah, Assindius. Wohl zu tief ins Glas geschaut und heute morgen nicht aus dem Bett gefunden", begrüßte ich meinen Leibsklaven. "Dort vorn ist unser Ziel." Mein Arm wies in schräger Richtung über den Platz und ich war ehrlich gespannt, wie sich nun Aintzane verhalte würde. Möglicherweise waren die beiden ja ein gutes Gespann. Oder aber sie waren Konkurrenten und behinderten sich gegenseitig ...
    Jedenfalls irgendwann kamen wir an und sogleich erfolgte die Nachfrage des Händlers. Ich holte tief Luft, weil alles so überraschend schnell ging, sodass ich kaum zum Nachdenken kam.


    "Dienlich am besten mit einer Tunika der besseren Qualität und zwar für meine Leibsklavin", antwortete ich dem Händler. "Die Tunika soll sie von anderen Sklavinnen anderer Häuser abheben, sichtlich abheben, aber ohne mich auszustechen, versteht sich. Was kannst du mir diesbezüglich anbieten?"

    Nach dem gestrigen Besuch meines neuen Vaters war ich nachdenklich geworden. Stiller als sonst hatte ich das Frühstück eingenommen, ohne jeden Elan die üblichen Entscheidungen im Renn- und Zuchtbetrieb getroffen. Gegen Mittag trat meine Leibsklavin auf mich zu und unterrichtete mich vom Eintreffen meiner neuen Schwester und deren Wunsch, mich zu treffen. Bei den Göttern, war ich aufgeregt. Bei dem Entschluss, meine angestammte Familie zu verlassen, war mir offensichtlich nicht klar gewesen, was alles auf mich zukommen würde. … und am Ende war noch alles umsonst gewesen. Fast schon trotzig schob ich diesen marternden Gedanken fort - nein, ich wollte nicht mehr grübeln.


    So gut es ging, machte ich mich dennoch auf alles gefasst, als ich vom Cubiculum kommend, Richtung Tablinum schritt. Hinter einer ruhigen Fassade pochte ein aufgeregtes Herz, als ich den Raum betrat.


    „Salve, Epicharis …“ Die Stimme leicht angehoben, fragte ich mehr als dass ich feststellte. Ich kannte meine Schwester ja nicht. „Ich bin Deandra“, stellte ich - vermutlich überflüssiger weise - klar.“

    Es die Palla geflogen kam, duckte ich unweigerlich den Kopf - derart schwungvoll wurde ich bislang noch nie angekleidet. Aber letztendlich saß alles perfekt, was mich verwunderte und Aintzane ein anerkennendes Nicken einbrachte.


    "Ja, gehen wir", antwortete ich und setzte das Vorhaben sogleich in die Tat um. Wenig später verließ ich die Villa zu Fuß und schlug den Weg Richtung der Märkte ein.