"Oh, aber natürlich!" nickt Lucilla bestätigend, denn ganz Rom würde ihr Kind zu sehen bekommen. Wie ein neues Kleid würde sie es ausführen. "Avarus würde dann zwar gerne aufs Land hinaus, aber ich glaube wirklich nicht, dass das nötig ist. Mein Bruder Meridius hat das ja auch so gehandhabt, als wäre eine Frau krank oder aussätzig, wenn sie ein Kind gebiert! Also ich wäre gerne bei Iulia gewesen, so etwas ist doch ein Familienereignis und ich wünschte mir, ich hätte noch mehr weibliche Verwandschaft, die das mit mir teilt. Aber du weißt ja, wie die Männer sind. Die Frau braucht Ruhe und muss aus der Hektik der Großstadt hinaus." äfft Lucilla mit tiefer Stimme die Männerwelt nach. "Oh ja, da kennen sich die Herren der Schöpfung natürlich ganz besonders gut aus. Also meine Mutter hat all ihre Kinder mitten in Tarraco zur Welt gebracht. Gut, Tarraco ist nicht Rom, aber ruhig ist es ganz sicher auch nicht, und darum werde ich auch in Rom bleiben."
Bei dem vielen Gerede vergeht die Zeit und schon stehen Epicharis und Lucilla am Ende der Schlange - oder am Anfang, je nachdem, von welcher Seite man aus es sieht. Lächelnd erklimmt Lucilla neben der Patrizierin die Stufen zum Tempel hinauf, die Sklaven mit den Gaben für das Voropfer hinter ihnen. Zwischen den Säulen schlägt ihnen schon der Räucherduft entgegen und spätestens beim Gang durch die große Tür hindurch, betreten die beiden Frauen eine andere Welt. Das Licht großer Öllampen beleuchtet die Waffen, Schilde und Rüstungen, die den großen Feinden Roms in der Vergangenheit abgenommen und dem Mars in diesem Tempel geweiht worden waren. Lucilla hat allerdings wenig Sinn für Militaria. Obwohl die große Kultstatue des Mars in diesem Tempel einen väterlichen Bart trägt, symbolisiert sie doch durch und durch einen Krieger und Lucilla erschauert in seinem Anblick. Sie mag den Krieg nicht und eigentlich auch keine Krieger. Mit Mars Tarbucelis, Mars Capriociegus, Mars Silvanus oder Mars Tilenus kann sich Lucilla eigentlich mehr anfreunden, aber sie ist schließlich nicht wegen sich selbst da. Es geht nunmal um Krieg und Soldaten und da ist der Tempel des Mars Ultor die erste Adresse, immerhin ist es auch der schönste und größte Tempel des Mars überhaupt.
Lucilla öffnet ihr einfach zusammengebundenes Haar und reinig ihre Hände in dem Becken an der Tür. Dann tritt sie zusammen mit Epicharis vor die große Mars-Statue. Jedes Mal, wenn Lucilla vor den gewaltigen Füßen steht, fragt sie sich, ob Mars wohl kitzelig ist. Einmal, da war sie noch etwas jünger, hat sie ganz schnell am großen Zeh gerieben, doch es ist nichts geschehen. Mit einem Blick vergewissert sich Lucilla, dass Epicharis soweit ist, dann fängt sie mit der Räucherung an, um sich schließlich an Mars zu wenden.
"Mars Pater, wir stehen heute hier als Verlobte, als Cousinen und als Tanten Deiner Söhne, und wir bitten darum, bewahre sie uns wie ein Vater. Sende sie wohl überlegt in den Kampf und halte Deine Hand schützend über sie.
Mars Invictus, wir stehen heute vor Dir als Römerinnen mit reinem Herzen, und wir bitten darum, führe unsere Soldaten unversehrt bis zum Sieg.
Mars Gradivus, wir stehen heute vor Dir als sorgende, aber auch hoffende Frauen Roms, und wir bitten darum, schreite dem römischen Heer voran und erfülle die Herzen Deiner Kämpfer mit Mut und Stärke.
Mars Ultor, wir stehen heute vor Dir als Frauen des Imperium Romanum, und wir bitten darum, schleudere Deinen Zorn gegen all jene, die unsere sicheren Grenzen bedrohen, und all jene, die Rom auf dem Feld entgegen stehen.
Unsterblicher Mars, unsere Gaben übergeben wird Dir, auf dass Du unsere Liebsten schützen mögest und ihre Herzen mit Kraft und ihren Geist mit Mut erfüllen wirst. Segne mit Deiner Kraft und Deinem Mut Marcus Flavius Aristides, Faustus Decimus Serapio und Marcus Decimus Livianus, so bitten wir Dich. Nimm unsere Gaben, oh Mars, so bitten wir Dich, im Gegenzug, und gewähre unseren Liebsten Deine Gunst."
Während ihrer Worte gießt Lucilla ihren Wein die die Schale vor dem Mars und die Kekse - goldbraune, knusprige Kekse mit 52 Zähnen - wandern auf den Tisch.