Eigentlich ist Ion nicht dafür angestellt die Tür zu öffnen. Naja, eigentlich ist Ion überhaupt nicht angestellt, sondern gekauft worden. Aber trotzdem ist er dazu da Kopien zu erstellen und nicht um die Tür zu öffnen. Es gibt nur fünf Arten von Leuten, die vor der Tür stehen. Die einen, das sind die nichtsnutzigen Taugenichtse aus der untersten Bevölkerungsschicht, die ihre hochbrisanten, hochwichtigen und hochgeheimen Informationen für ein paar Sesterzen an die Acta Diurna verkaufen wollen. Die kann Ion überhaupt nicht leiden, obwohl er meist gleich auf das erste Angebot eingeht, weil er viel zu neugierig ist. Die zweite Art, das sind die ewig hektischen Schreiberlinge. Kaum sind sie durch die Tür hinein geeilt müssen sie schon wieder aus dem Haus hinaus, denn eine gute Geschichte wartet an jeder Ecke, doch sie wartet nicht lange. Die dritte Art Leute, das ist so jemand wie der Kaiser, dem sofort die Tür weit geöffnet werden muss und bei dem man sich die Nase besser schnell am Boden platt drückt und dabei beteuert, wie unglaublich geehrt sich die Acta Diurna fühlt und bla, bla, bla. Im 'Blablabla' ist Ion recht gut, er hofft irgendwann auf seine Freilassung und wenn es soweit ist, dann will er öffentlicher Ausrufer werden. Die vierte Art Leute hat Ion gerade vergessen. Die fünfte Art aber, das sind die furchtbar langatmigen und knausrigen Anzeigenschreiber, denen nach stundenlanger Ausformulierung ihrer Kleinanzeige dann doch aufgefallen ist, dass ein Sesterz pro Wort sie teuer zu stehen kommt und die unbedingt jemand sprechen müssen, der wichtig ist und etwas zu sagen hat, weil sie dem dann nämlich ein Ohr abschwatzen und den Preis drücken müssen. Nach so einer Art von Leute sieht auch Claudia Epicharis aus, zumindest aus der Sicht von Ion, die ein bisschen von unten kommt weil er nicht sonderlich groß gewachsen ist. So klein wie ein Zwerg ist er zwar auch nicht, aber den meisten Mitmenschen reicht er höchstens bis zum Kinn - nur der neuen Auctrix Lucilla, der reicht er sogar bis zur Nasenspitze.
"Die Auctrix Decima Lucilla ist da. Aber ihre Zeit ist begrenzt, Anliegen müssen also kurz gefasst werden." Davon abgesehen, dass das nicht stimmt, hat Ion natürlich überhaupt nichts über Lucillas Zeit zu sagen. Aber er ist eben auch gern ein bisschen wichtig und am Ende tratscht Lucilla ja sowieso mit jedem immer eine halbe Ewigkeit, ganz egal ob Taugenichts, Schreiberling, Kaiser, irgendwer anderes oder Anzeigenschreiber, denn es scheint in ihrem Naturell zu liegen, dass sie viel redet, vor allem meist über völlig belangloses Zeug und am allerliebsten über Schuhe und die Märkte. Da kann Ion schon gar nicht mehr zuhören. Trotzdem öffnet er die Tür und führt den Besuch herein in die Eingeweide des Redaktionsgebäudes.
Lucilla ahnt nichts von den Gedanken des Acta-Sklaven. Sie liegt in der Sonne im Atrium und liest gerade ein paar Artikel Probe, die noch nicht durch die Hände der Lectrix gegangen sind und kichert leise über einen unbeabsichtigten Rechtschreibfehler, als Ion mit Claudia Epicharis ins Atrium kommt und gewichtig hüstelt. "Auctrix? Hier ist eine Claudia Epicharis, die mit dir sprechen möchte."
Noch immer lächelnd schaut Lucilla auf. "Oh." Sie legt den Artikel zur Seite und steht auf. "Salve, Claudia Epicharis. Ich bin Decima Lucilla, die Auctrix der Acta Diurna. Was kann ich für dich tun?"