Beiträge von Decima Lucilla

    Eigentlich ist Ion nicht dafür angestellt die Tür zu öffnen. Naja, eigentlich ist Ion überhaupt nicht angestellt, sondern gekauft worden. Aber trotzdem ist er dazu da Kopien zu erstellen und nicht um die Tür zu öffnen. Es gibt nur fünf Arten von Leuten, die vor der Tür stehen. Die einen, das sind die nichtsnutzigen Taugenichtse aus der untersten Bevölkerungsschicht, die ihre hochbrisanten, hochwichtigen und hochgeheimen Informationen für ein paar Sesterzen an die Acta Diurna verkaufen wollen. Die kann Ion überhaupt nicht leiden, obwohl er meist gleich auf das erste Angebot eingeht, weil er viel zu neugierig ist. Die zweite Art, das sind die ewig hektischen Schreiberlinge. Kaum sind sie durch die Tür hinein geeilt müssen sie schon wieder aus dem Haus hinaus, denn eine gute Geschichte wartet an jeder Ecke, doch sie wartet nicht lange. Die dritte Art Leute, das ist so jemand wie der Kaiser, dem sofort die Tür weit geöffnet werden muss und bei dem man sich die Nase besser schnell am Boden platt drückt und dabei beteuert, wie unglaublich geehrt sich die Acta Diurna fühlt und bla, bla, bla. Im 'Blablabla' ist Ion recht gut, er hofft irgendwann auf seine Freilassung und wenn es soweit ist, dann will er öffentlicher Ausrufer werden. Die vierte Art Leute hat Ion gerade vergessen. Die fünfte Art aber, das sind die furchtbar langatmigen und knausrigen Anzeigenschreiber, denen nach stundenlanger Ausformulierung ihrer Kleinanzeige dann doch aufgefallen ist, dass ein Sesterz pro Wort sie teuer zu stehen kommt und die unbedingt jemand sprechen müssen, der wichtig ist und etwas zu sagen hat, weil sie dem dann nämlich ein Ohr abschwatzen und den Preis drücken müssen. Nach so einer Art von Leute sieht auch Claudia Epicharis aus, zumindest aus der Sicht von Ion, die ein bisschen von unten kommt weil er nicht sonderlich groß gewachsen ist. So klein wie ein Zwerg ist er zwar auch nicht, aber den meisten Mitmenschen reicht er höchstens bis zum Kinn - nur der neuen Auctrix Lucilla, der reicht er sogar bis zur Nasenspitze.


    "Die Auctrix Decima Lucilla ist da. Aber ihre Zeit ist begrenzt, Anliegen müssen also kurz gefasst werden." Davon abgesehen, dass das nicht stimmt, hat Ion natürlich überhaupt nichts über Lucillas Zeit zu sagen. Aber er ist eben auch gern ein bisschen wichtig und am Ende tratscht Lucilla ja sowieso mit jedem immer eine halbe Ewigkeit, ganz egal ob Taugenichts, Schreiberling, Kaiser, irgendwer anderes oder Anzeigenschreiber, denn es scheint in ihrem Naturell zu liegen, dass sie viel redet, vor allem meist über völlig belangloses Zeug und am allerliebsten über Schuhe und die Märkte. Da kann Ion schon gar nicht mehr zuhören. Trotzdem öffnet er die Tür und führt den Besuch herein in die Eingeweide des Redaktionsgebäudes.


    Lucilla ahnt nichts von den Gedanken des Acta-Sklaven. Sie liegt in der Sonne im Atrium und liest gerade ein paar Artikel Probe, die noch nicht durch die Hände der Lectrix gegangen sind und kichert leise über einen unbeabsichtigten Rechtschreibfehler, als Ion mit Claudia Epicharis ins Atrium kommt und gewichtig hüstelt. "Auctrix? Hier ist eine Claudia Epicharis, die mit dir sprechen möchte."
    Noch immer lächelnd schaut Lucilla auf. "Oh." Sie legt den Artikel zur Seite und steht auf. "Salve, Claudia Epicharis. Ich bin Decima Lucilla, die Auctrix der Acta Diurna. Was kann ich für dich tun?"

    Entgegen dem Kribbeln in ihren Fingern und dem Drängen ihrer Neugier öffnet Lucilla das Kästchen sehr vorsichtig. Es ist Jahre her, ja fast müssen es Jahrzehnte sein - aber daran will Lucilla nicht denken, denn man ist immer nur so alt, wie man sich fühlt - also, es ist Jahre her, dass ihr Bruder Praetorianus ihr ein kleines, sehr einfaches Holzkästchen aus heller Kiefer in seinen Legionsurlaub mitgebracht hatte. Stürmisch wie immer hatte sie umringt von den anderen Decima-Kindern den Deckel aufgerissen und hatte promt eine hässliche, grüne Kröte in ihrem Haar hängen, sehr zur Belustigung aller anderen. Obwohl Praetorianus natürlich noch ein anderes Geschenk mitgebracht hatte, sie hat längst vergessen, was es gewesen ist, war Lucilla tagelang mit ihrem Bruder böse gewesen und hatte keine Wort mit ihm gesprochen, so lange bis ihre Mutter ihr tief und fest versichert hatte, dass eine Kröte im Haar Glück bringt. Lucilla hatte das nur allzu gern geglaubt, denn eigentlich mag sie es gar nicht, mit ihren Brüdern und Cousins böse zu sein. Doch dieser Vorfall hat sie Vorsicht gelehrt, die natürlich völlig unangebracht ist, da Meridius längst zu alt für solche Späße ist (allerdings war Praetorianus das zu dieser Zeit eigentlich auch schon, und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, wie jeder schwer arbeitende Töpfer bestätigen kann).


    Lucilla öffnet also das Kästchen vorsichtig und späht hinein. Dann dauert es nicht mehr lange, bis es ganz auf ist und Lucillas Augen vor Freude strahlen. Sie nimmt die Bernsteinkette heraus und stellt die Verpackung achtlos auf einer Säule ab, auf der eine Büste ihres Großvaters Decimus steht. Von diesem war zwar zu seinen Lebzeiten nie eine Büste angefertigt worden, allerdings hatte er natürlich in Stein verewigt werden müssen als die Decima eine Ahnenreihe brauchten.
    "Sie ist wunderschön! Ich danke dir, Meridius." Mit einem glücklichen Lächeln hebt sich Lucilla die Kette an den Hals und schließt sie geschickt hinter ihrem Kopf. "Ich werde mir gleich morgen ein passendes Kleid dazu kaufen. Was meinst du, in Senfgelb vielleicht? Oder eher in kontrastierendem Nachtblau? Oh ja, Nachtblau ist gut, und dann gönne ich mir noch eine bersteinfarbene Palla und ein paar helle Sandalen. Das wird herrlich aussehen, ihr werdet es sehen. Ich werde es morgen Abend tragen, wenn die anderen nach Hause kommen."


    In Gedanken schweift Lucilla schon über den Markt und lässt ein Kleid anpassen. Dann aber blickt sie auf, als hätte sie etwas vergessen. "Hast du Hunger? Ich habe den ganzen Haushalt aufgescheucht und dafür gesorgt, dass du nur beste römische Küche bekommst. Obwohl die germanische ja wirklich sehr fein ist, aber ich dachte mir, du hättest das Essen hier vielleicht vermisst? Ich habe sogar Tintenfische und Seebarben aus Ostia erworben." Das ist natürlich wie alle Meerestiere nicht unbedingt römisch solange man es auf die Stadt Rom bezieht, doch es ist typisch für die Städte am Meer, so wie Tarraco, und wenn Meridius irgendetwas vermisst haben würde, dann sicher die hispanische Küche seiner Heimat.

    "Oh, freu dich nicht zu früh, Medicus, auch wenn ich eine Menge Vorarbeit leisten kann, es wird noch mehr als genug von dieser Hochzeitsplanung an dir hängen bleiben." Lucilla hat sich schon vor scheinbar unendlichen Zeiten - damals als sie sich verlobt hatten - bei Großtante Drusilla schlau gemacht, was alles für so eine Hochzeit nötig ist. Und Aemilia hatte sie ein bisschen bei den Vorbereitungen geholfen, da gibt es ja wirklich so viel zu beachten.


    "Ein Monat ..." nickt sie dann und versucht sich nicht anmerken zu lassen, wie lange das doch ist. Natürlich war nicht mit viel weniger zu rechnen, Germania ist weit, Mogontiacum noch weiter, aber trotzdem ist es lang. "Ich werde hier warten," lächelt sie aber dann doch wieder. "Meine Familie hat sich aus Germania angekündigt, du hast sicherlich mitbekommen, dass Meridius entLAPPt wurde. Die Casa wird also wieder etwas voller werden, wenn endlich alle nach Hause kommen und mir wird es schon nicht langweilig werden."

    Die Nachricht, dass es allen gut geht beruhigt Lucilla doch, obwohl sie nicht wirklich beunruhigt war. Zur Antwort, dass ihre Hochzeitsfeier natürlich in der Casa Decima ihren Anfang nehmen wird - wo sollte sie auch sonst beginnen? - kommt sie schon gar nicht mehr, auch nicht zu einer erneuten Nachfrage bezüglich des Geschenkes, denn in diesem Augenblick tritt Verus ins Atrium.


    "Salve, Verus," grüßt auch Lucilla ihren entfernten Verwandten und schweigt vorerst, bis Meridius schließlich etwas aus einer Falte herausholt, was nichts anderes sein kann, als ein Geschenk für sie. Ihre Nasenflügel pressen sich an die Nase, ihre Augen treten minimal ein Stück nach vorne aus ihrem Kopf und ihr Hals wird ein Stück länger, während sie sich unbewusst auf die Zehenspitzen stellt um eine bessere Sicht auf das Kästchen zu erhaschen.


    "Du hast mir etwas mitgebracht?" fragt sie versucht beiläufig, obwohl ihre Augen schon vor Vorfeude glühen und sich ihre Stimme eigentlich überschlagen will. Längst kann sich Lucilla beinahe alles leisten, was sie sich wünscht, und das tut sie mehr als oft, doch ein Geschenk ist und bleibt ein Geschenk und so klein es auch sein mag, es ist immer etwas ganz besonderes. Sich selbst Dinge Leisten kann man jeden Tag, doch Geschenke sind kostbar, da sie beweisen, dass jemand an einen denkt. Natürlich ist das Geschenk von Meridius schon obligatorisch, aber das macht es nicht weniger wertvoll - immerhin, in manch düsteren Stunden und tiefen Albträumen überkommt Lucilla ab und zu die unbegründete Angst, ihre Familie könnte sie irgendwann vergessen.

    Hiermit ernenne ich Germanica Aelia zur neuen Auctrix P.P.A. der Acta Diurna. Sie hat ihren Eifer und ihr Verantwortungsbewusstein bereits in vielen Ausgaben als Lectrix bewiesen und auch den ein oder anderen Artikel beigesteuert.


    Auf gute Zusammenarbeit!


    Die Auctrix.

    Auf seine gespielte Entrüstung reagiert Lucilla gewohnt gespielt genervt und rollt die Augen nach oben. "Und was hat der Kaiser gesagt?" Sie kneift die Augen zusammen. "Hast du ihm etwas mitgebracht?" Lange kann sie diesen Gesichtsausdruck nicht halten und muss ebenfalls lachen.


    "Neben der Antwort auf die Frage nach meinem Geschenk hast du mir auch noch nicht gesagt, wie es Mattiacus, Magnus und Maior geht." Natürlich geht es ihnen gut, andernfalls hätte Meridius nicht vergessen es ihr zu sagen. Doch wie alle Männer der Decima hat auch er so seine Schwierigkeiten eine lange Kette von Fragen im Gedächtnis zu behalten. Ein militärisches Manöver in hundert Schritten ist gar kein Problem, das kann er noch im Halbschlaf auswendig aufsagen, aber alle Fragen seiner Schwester auf einmal zu beantworten, das hat er noch nie geschafft.


    Sie dreht ihren Kopf und schaut sich zufrieden im Atrium um. Dann wendet sie sich lächelnd wieder ihrem Bruder zu. "Ich habe mir auch alle Mühe gegeben." Und einen Haufen Sesterzen ausgegeben, aber das braucht Meridius nicht zu wissen, eine Frau braucht schließlich ihre Geheimnisse. "Die Nymphen sind aus italischem Alabaster. In Volaterrae wird der beste Alabaster in ganz Italia abgebaut, wusstest du das? Ich hatte überlegt, ob ich neben dem Marmor in weitere Steinsorten investiere, erst hatte ich ein Auge auf Tuffe aus Antunnacum geworfen, das ist in Germania, ganz in der Nähe von Mogontiacum. Dann bin ich auf den Alabaster aufmerksam geworden, aber letzten Endes wird es wohl alles nichts mit dieser Erweiterung der Lex Mercatus. Auf jeden Fall habe ich die beiden Statuen entdeckt, als ich mir verschiedene Steine angesehen hatte. Ich glaube, Avarus muss sich darauf gefasst machen, dass demnächst seine Casa überquellen wird vor Statuen, allein von den Göttern gibt es ja unzählige Variationen, das war mir bisher überhaupt nicht bewusst." Direkt zur Sache kommen war noch nie Lucillas Stärke.

    "Mir geht es gut wie immer." Lucilla weiß nicht, was Meridius über ihre längere Abwesenheit aus Rom weiß. Allerdings ist er immer gut über alles informiert und vermutlich hat Avarus auch in Germania nach ihr forschen lassen, daher ist es wahrscheinlich, dass er zumindest etwas weiß. Doch für Lucilla ist dies vergangen, gerade jetzt, wenn die Familie wieder zusammen kommt, scheinen ihr diese Tage so fern wie ein böser Traum und der Fluch nur wie ein zarter Frühlingshauch, der ihr Leben zwar streift, doch nichts ändern und nichts bewegen kann.


    "Die Frage zur Familie wollte ich dir aber gerade auch stellen. Es ist ja gar niemand mehr da und ich hoffe doch, du hast sie alle mitgebracht? Weißt du, dass diese Casa schon als Casa Decima Lucilla gehandhabt wird? Ich kam mir schon manchmal vor wie Großtante Drusilla in ihrer großen, leeren Villa mit lauter Sklaven um sich herum. Zum Glück ist vor nicht allzu langer Zeit Verwandtschaft aus Griechenland gekommen, Decimus Verus und seine Schwester Pulchra. Sie sind die Kinder von Decimus Philippus, der ja auch eine Zeit lang da war, aber dann wieder weiter gereist ist. Na gut, eigentlich war es hier gar nicht so leer, irgendwie herrscht bei den Decima ja immer das übliche Kommen und Gehen. Aber ich habe euch trotzdem vermisst."


    Eine kleine Pause entsteht, dann kann Lucilla ihren üblichen Fluss aus Neugier nicht mehr zurückhalten und sprudelt los. "Kommen Mattiacus und Maior auch wieder zurück? Wie war eure Reise, hattet ihr gutes Wetter? Hast du mir etwas mitgebracht? Wann werden Severa, Maximian und Valeria ankommen? Wie geht es Magnus und seiner Frau?"


    Sie löst sich aus der Umarmung und tritt ein wenig zurück. Meridius trägt natürlich keine Rüstung, im Pomerium wäre ihm das nicht erlaubt. "Und wie geht es dir? Hast du mir etwas mitgebracht? Wirst du hier bleiben? Oder hat der Kaiser dich schon wieder irgendwohin beordert?" Die Befürchtung, die früher in ihrer Stimme bei dieser Frage mitschwang, hat sich mit den Jahren gelegt. Lucilla weiß längst, dass ihr Bruder dem kaiserlichen Wort überall hin folgen würde und dass niemand etwas daran ändern könnte, weder seine Frau oder seine Kinder, und schon gar nicht Lucilla selbst.

    Es braucht nur das Wort 'Senator' am Eingang des Hauses, um eine kleine Kettenreaktion hinter der Tür der Casa Decima auszulösen. Nicht nur, dass der Ianitor die Tür öffnet, nein, hinter ihm flitzt ein kleiner Junge aufgeregt und mit großen Augen davon, als hätte er einen Geist gesehen.


    Seit Lucilla den Brief ihres Bruder in die Hände bekommen hat, steht die ganze Casa Kopf. Als erstes hat sie angefangen zu fluchen, dass Meridius sich aber auch immer so kurzfristig anmelden muss. Ihre Flüche waren dabei natürlich heftiger als es sich für eine römische Dame schickt, aber für eine Hispanierin waren sie noch ganz moderat. Nach dem Fluchen hat sie dann alle Sklaven aufgescheucht. Die Casa musste nicht groß hergerichtet werden, unter Lucillas Hand ist sie schließlich immer tadellos geführt, doch für den Empfang der halben Decima-Familie sollte sie natürlich extra schön hergerichtet sein. Überall im Vestibulum und Atrium stehen große Kübel mit frischen Schnittblumen und blühenden Zweigen, die ihren Duft durch die ganze Casa verströmen, denn nach dem kalten Winter in Germania sollten die Decima nun alle Vorzüge genießen, die der Frühling in Rom bietet. Aufgrund des feierlichen Anlasses und weil es sowieso schon längst nötige gewesen war, hat sich Lucilla dann auch noch kurzfristig dazu entschlossen, ein bisschen was an der Einrichtung des Hauses zu tun. Ein paar neue Stühle und kleine Tische haben die alten, doch schon sehr abgelebten Möbelstücke des Atrium ersetzt, und der Durchgang zwischen Vestibulum und Atrium wird von zwei lieblichen Nymphen-Statuen bewacht, die Lucilla einfach zu neckisch fand, um sie nicht mitzunehmen.


    Neben der Herrichtung der Casa musste natürlich auch das Familienfest organisiert werden, das zu so einem Anlass geradezu verpflichtend ist. Zu Anfang hat Lucilla überlegt, ein großes Fest nicht nur für die Familie, sondern gleich für halb Rom zu geben, dann aber hat sie sich in Hinblick auf die wenige Zeit für ein ausschweifendes Essen in familiärer Runde entschlossen. Meridius würde wahrscheinlich sowieso noch ein offizielles Bankett für seine Rückkehr abhalten und das sicherlich von Severa organisieren lassen.


    Der ganze Aufruhr hat Lucilla den halben Vortag und auch den heutigen Tag mehr als beschäftigt, doch als der Senator nun nach Hause kommt, döst sie gerade im Garten in der kleinen Laube, die Livianus einst seiner Ehefrau Aemilia geschenkt hatte, unter dem wachsamen Blick der Statue der Diana. Der kleine Sklavenjunge, der kurz zuvor von der Tür losgerannt war, kommt atemlos bei ihr an, zögert einen Augenblick und rüttelt sie dann vorsichtig an der Schulter. Lucilla hat ihm als Belohnung eine Portion kandierte Apfelstücke versprochen, wenn er sich beeilen und sie benachrichten würde, sobald Meridius das Haus betritt.


    Aufgeschreckt aus dem Halbschlaf richtet Lucilla ihr Kleid, prüft mit einer Berührung ihre Haare und eilt dann ins Haus. Sie rennt fast durch den Garten, verlangsamt ihren Schritt aber im Haus. Sie kommt sich vor wie ein kleines Mädchen und fühlt sich an die Tage erinnert, aln denen Meridius aus der Legion nach Hause nach Tarraco gekommen ist. Es war nicht nur die Tatsache, dass er ihr immer etwas mitgebracht hatte, die seine Ankunft so heiß ersehnt gemacht hatte, sondern auch die Tatsache, dass er und Praetorianus nach dem Tod ihres Vaters diese Rolle für Lucilla eingenommen hatten. Obwohl Lucilla längst kein kleines Mädchen mehr ist, ihre Bewunderung für ihren großen Bruder ein wenig durch den Realismus des Lebens gelitten hat und sie schon gar nicht mehr alles tut, was er sagt, so ist ihre Freude trotzdem groß, denn er ist und bleibt ihre Familie, mehr noch, je kleiner die Familie wird.


    "Meridius!" Mit einem breiten Strahlen eilt Lucilla auf ihren Bruder zu und umarmt ihn. "Wie schön, dass du wieder hier bist." Sie drückt sich an ihn und schaut mit großen Augen zu ihm hoch. "Hast du mir etwas mitgebracht, Bruderherz?" Ihr Grinsen wird so breit, dass es fast bis zu den Ohren reicht.

    Zufrieden und beruhigt schaut Lucilla ihrem Verlobten in die Augen und lächelt sanft. Diese Hochzeit würde tatsächlich alles in ihrem Leben ändern, irgendwie. Sie würde ihrem Traum von einer echten, richtigen Römerin wieder ein Stück näher kommen, einer Römerin mit großer Casa, an der Seite eines wichtigen Mannes und irgendwann mit vielen Kindern, die von Anfang an richtige Römer wären.


    Das Lächeln erstirbt, als Avarus seine Reiseabsichten bekundigt. "Oh.", ist alles, was Lucilla erst einmal einfällt und ihr Gesicht wird von einem erstaunten Ausdruck überzogen. In ihrem Kopf fangen die Gedanken an zu rattern, sie könnte ihn begleiten, mit ihm ist die Reise sicher nicht gefährlich, vor allem jetzt im aufkommenden Sommer. Allerdings ist sie gerade erst wieder in Rom, die Verwandtschaft aus Germania hat sich angekündigt und irgendwer wird sich um die Hochzeitsvorbereitungen kümmern müssen.


    Das Erstaunen hält nicht lange vor, das Lächeln kehrt zurück und sie zuckt mit den Schultern. "Na wenn du musst, dann musst du. Ich würde dich begleiten, aber nach Germania möchte ich jetzt noch nicht wieder. Das verstehst du doch, oder? Ich kann hier in Rom schon Vorbereitungen für die Hochzeit treffen, Erkundigungen und Angebote einholen, damit es danach nicht mehr so lange dauert, ja? Wann glaubst du, wirst du wieder zurückkommen?"

    Enttäuscht lässt Lucilla ihre Schultern hängen. Sie hatte den Marmor von Aemilia überantwortet bekommen, als es dieser nicht mehr so gut ging, und später dann ganz geerbt. Wie immer, wenn sie etwas angeht, hat sie sich über die Steine kundig gemacht, Informationen eingeholt und den Betrieb durch gutes Wirtschaften zum Erblühen gebracht. Nicht zuletzt ist der Abbau von und Handel mit Marmor eine ihrer tragenden Wirtschaftssäulen, denn ihre Hendln sind zwar die besten des Imperiums und die Höfe im Unterhalt vergleichsweise günstig, doch sonderlich viel Gewinn fällt dabei nicht ab.


    "Hast du nicht vielleicht einen Klienten, der das übernehmen könnte? Und was ist mit der Schmiede in Tarraco? Die Hühnerhöfe können wir aber doch behalten, oder? Irgendetwas müssen die Senatorenfrauen doch auch noch tun können. Ich kann doch nicht die ganze Zeit zuhause sitzen und sticken und weben?!" Eine fürchterliche Vorstellung. Natürlich ist diese Vorstellung nicht sehr realistisch, Großtante Drusilla hat ja auch immer genug zu tun, obwohl sie nur ein oder zwei Betriebe irgendwo in Süditalien verwaltet. Und als Frau eines Senators hätte Lucilla noch viel mehr zu tun. Sie würde Klienten empfangen, Entscheidungen für ihren beschäftigten Ehemann treffen, Gesellschaften ausrichten, zu Gesellschaften anderer Senatorengattinen eingeladen werden und nicht zu vergessen für ein ganzes Haus verantwortlich sein.


    "Es ist gar nicht so schlimm, wenn der Bau etwas länger dauert. Wir werden eh nicht so viel Zeit in Mauretania verbringen können, bis wir nicht alt und grau sind und das dauert ja noch eine Weile." Sie stockt und schaut Avarus mit einem schelmischen Grinsen an, verkneift sich aber den Kommentar, dass das zumindest bei ihr der Fall ist.

    Lächelnd schwärmt Lucilla in Gedanken ein wenig mit und sieht vor ihrem inneren Auge in windeseile eine marmorweiße Villa entstehen mit großen, platzverschwenderischen Räumen, mit einem geradezu riesigen Atrium und einem blühenden und duftenden Garten. Bis sie die Außenmauer zieht, sind die Grenzen der zwei Saltus längst überschritten.


    "Es wird wunderbar werden. Schade, dass wir es erst richtig genießen werden können, wenn wir alt und grau sind. Ich wüsste da auch schon jemand, der den nötigen Marmor liefert. Weißt du, wenn man die Kosten für den Transport von Africa nach Rom abzieht, dann kannst du fast nicht billiger bauen als mit Marmor." Der Gedanke lässt sie an die verschwenderische Bauweise in Caesarea denken. Genau so eine verschwenderisch gebaute Villa wäre ganz in ihrem Sinn.


    "Wie ist das eigentlich mit dem Marmorhandel? Kann ich diesen nach unserer Hochzeit überhaupt weiterführen?"

    "In Mauretania? Zwei Saltus?" Lucilla klappt der Unterkiefer hinunter, dann schüttelt sie den Kopf, während sich das Staunen zu einem Lachen verbreitert. "Da passt ein großer Hendlhof drauf! Wusstest du, dass africanische Hühner noch größer als gallische werden? Oder wie wäre es mit Straußen? Die legen Eier, die sind so groß wie der Kopf eines Neugeborenen und hier auf dem Markt zahlt man ein Vermögen dafür!"


    Mit leuchtenden Augen schaut Lucilla Avarus an und grinst. "Steht denn auch schon eine Casa auf dem Grundstück?"

    Auf einmal dringt eine Stimme an Lucillas Ohr, die ihr fast alle Aufregung nimmt und sie blickt dort hin, wo diese Stimme herkommt. Und da sitzt er tatsächlich, viel weiter vorne, als Lucilla angenommen hat. Natürlich äußerst er sich positiv - etwas anderes hätte er sich mal getrauen sollen, der Ehesegen hätte schon schief gehangen, noch bevor die Ehe überhaupt begonnen hätte. Lucilla lächelt ihm zu, muss dann aber schon wieder ihren Blick niederschlagen um die leichte Röte zu verbergen, als Senator Macer sein offenes Lob ausspricht. Ihre Großtante Drusilla sagt immer, eine verheiratete Frau braucht nicht rot zu werden und nicht zuletzt unter diesem Aspekt wird es wohl wirklich endlich Zeit, dass Lucilla heiratet.


    Vorerst ist aber dieser Tag zu überstehen. Wenn die Senatoren doch nur etwas schneller wären. Natürlich, es sind alles nicht mehr die Jüngsten und sie haben ja den ganzen Tag Zeit, aber Lucilla wäre doch wohler, wenn Hungi sie doch wenigstens vielleicht entlassen würde, wenn eh keiner eine Frage an sie stellen mag.

    In Gedanken schweift Lucilla in der Oasenstadt am Rand des Mare Internum umher, dort, wo fast mehr Marmor verbaut ist als in Rom. Ganz entgegen ihrer früheren Vorstellung blühen dort Blumen, wachsen Obstbäume und fließt Wasser aus dutzenden Springbrunnen. Vielleicht ist es im Sommer noch heißer als in Rom, doch es gibt viel mehr Grün, in dessen Schatten man sich dann flüchten kann und auch der dicke Marmor speichert die Kühle der Nacht in seinem Inneren.


    Nur langsam tröpfeln die Worte ihres Verlobten in diese Gedanken, verwischen das wunderbare Bild und schwemmen es schließlich fort. Mit großen, entsetzten Augen blickt sie ihn an. "Es hat nichts mit ihm zu tun?" Sein nächster Satz dringt schon nicht mehr bis zu ihr vor. "Etwa mit ihr?!" Der Gedanke an die merkwürdige Plocia lässt Lucilla sich schütteln. Ein wirklich sehr merkwürdige Frau ist das gewesen und sie könnte sich absolut nichts vorstellen, was Avarus an ihr finden könnte, absolut gar nichts!

    Alles Gute zum Geburtstag!
    Hast du ein Glück, egal wie alt du wirst, du wirst immer die Jungfrau bleiben. :P


    Und lass dir mit dem Schnaps nichts einreden. Heute Abend musst du dich eh irgendwann ins Bett legen, warum also solltest du dann noch stehen wollen? :D


    ~Himbeergeist, oh Himbeergeist,
    ich weiß schon nicht mehr, was ich weiß... ~
    [SIZE=7](Du kannst ja schonmal üben, vielleicht wirst du doch noch irgendwann die A... ähm, Andere. 8) )[/SIZE]

    Wieder lacht Lucilla fröhlich und beißt endlich in ihren Schenkel. Essen ist schon immer einer ihrer größten Genüsse gewesen und selbst ein so einfaches Gericht wie ein saftiger Hendlschenkl mit knusprig schwarz-brauner Haut kann Lucilla wahrhaft glücklich machen.


    Als die ersten Bissen so eilig verschlungen sind, dass es gerade nicht als gierig durchgeht, schaut sich Lucilla verwundert um, was den Fremden zu seiner merkwürdigen Annahme bringt. Sie schaut die Sklaven mit den Paketen an und beginnt dann grinsend den Kopf zu schütteln.
    "Aber nein, ich bin nur am Einkaufen. Ich habe das in den letzten Wochen ein wenig vernachlässigt und meine Garderobe ist etwas ausgedünnt. Außerdem ist es Zeit jetzt im Frühjahr endgültig den Winter aus der Casa zu treiben und es ist auch die Zeit, in der die ersten Schiffe wieder regelmäßig aus Aegypten und Syrien über das Mare Internum kommen und all die neckischen Kleinigkeiten mitbringen, die eine Casa erst wohnlich machen. Und ihr beide? Habt ihr jetzt Mittagspause?"

    Menschen einschätzen konnte Lucilla noch nie besonders gut. Aber der Mann trägt eine saubere Tunika und auch wenn er wohl eine Rasur vertragen könnte, macht er den Anschein eines anständigen Händlers, Arbeiters oder vielleicht Verwaltungsbeamten. Lucilla hat während ihrer Zeit beim Cursus Publicus zwar nie die Zeit gefunden in ihren Pausen in die Stadt zu gehen, aber der Cursus Publicus ist ja auch ein hektisches Unternehmen.

    Ob die Götter sie tatsächlich lieben, da ist sich Lucilla nicht ganz so sicher. Immerhin hängt dieser Fluch an ihr fest. Auf der anderen Seite hängt er ebenso an dem verfluchten Pirat und sie ist am Leben, also ist es vielleicht doch wahr. Sie lächelt sanft und nickt. "Nur noch gemeinsam."


    Sie bezweifelt, dass Avarus etwas an der Situation hätte ändern können. Wahrscheinlich wäre er nur ebenso tot wie die anderen. Denn hätte er zu einem Schwert gegriffen, wäre er den Piraten unterlegen gewesen und hätte er nicht zu einem Schwert gegriffen, hätten sie ihn ebenfalls in den Hades befördert.


    "Wenn wir verheiratet sind, nimmst du mich auf deine Inspektionsreisen mit?" Reisen ist immer ein gutes Thema, von der Vergangenheit abzulenken. "Ich denke darüber nach, mit Plocius Piso neu zu verhandeln. Der Marmorabsatz in Rom ist gut und die Steine aus Africa verkaufen sich noch weitaus besser als die aus Italia. Auch wenn ich nicht vorhabe nach Caesarea zu reisen, es hat mich doch auf den Gedanken gebracht, dass wir immer noch nicht in Aegyptus gewesen sind. Vielleicht wäre dieses Jahr ein gutes Jahr, den Postdienst dort zu inspizieren, ich könnte dir ja sogar dabei helfen. Erfahrung habe ich schließlich genug und wenn du mich mit nimmst, dann hat das den Vorteil, dass du keinen Praefectus oder Stationarius von seiner Arbeit abziehen musst." :D

    Lucilla lässt ein fröhliches Lachen erklingen und schaut dann gespielt verschwörerisch drein. "Wenn er nicht gefüttert wird, dann wird er eine wilde Bestie." Sie nimmt den Schenkel vom Wirt hinter der Theke in Empfang und einer der Sklaven hinter ihr drängt sich an die Seite, um zu bezahlen.


    Lucilla nimmt davon keine Notiz sondern unterhält sich weiter mit dem Fremden. Sie hat Rom vermisst, die Märkte, das Treiben, die Menschen, das Leben. Nirgendwo ist es wie in Rom und selbst wenn im Sommer der Tiber anfängt zu stinken, wenn sich Rom in einen Sud aus Dreck und Hitze verwandelt, für Lucilla gibt es nichts schönneres als in Rom zu sein. "Aber keine Angst, dies sind die besten Hendln im ganzen Imperium, damit werde ich ihn schon wieder zur Ruhe bekommen." Natürlich kennt Lucilla ihre Abnehmer und Kaeso Fufidius Camelius gehört mit seiner Bratküchenkette KFC zu den Großabnehmern im Raum Rom und rangiert bei den Mengenabnahmen noch vor der Garküchenkette Silva Vindobonae, die sich letzter Zeit von einem kleinen Dorf aus Noricum her im Imperium verbreitet.


    Wie beinahe jede Frau von den großen Kulleraugen in ihren Bann gezogen, kann Lucilla aber schließlich doch nicht widerstehen, dem kleinen Welpen über den Kopf zu streichen, noch bevor sie sich ihrem Schenkel widmet. Hunde gehörten auch in der Casa Decima in Tarraco zum Inventar um sich um die Ratten zu kümmern, doch bis sie ein passendes Alter erreicht hatten, waren sie immer auch Spielgefährten der Kinder gewesen.

    "Es war doch schon fast Winter ..." versucht sie ihre Reise zu rechtfertigen, obwohl sie genau weiß, dass es eh keine Rechtfertigung bräuchte. "Ich hatte Angst, die Alpen würden zuschneien, bevor ich in Italia bin und ich hatte doch alle Zeit der Welt." Natürlich hat sie dabei nicht eingeplant, so viel länger zu Reisen.


    "Ich reiste über Gallien. Wusstest du, dass man in Massilia wundervoll einkaufen kann? In Lutetia soll es übrigens noch besser sein, Gavia Minor hat mir das erzählt, sie fuhr auch auf dem Schiff und ..." Und ist jetzt tot, liegt am Grund des Mare Internum und ihr rastloser Geist feiert vermutlich Feste in Neptuns Reich und zieht Piraten zu sich hinab in den Schlund des Meeres. Nur Quintus Tullius nicht, denn das wüsste Lucilla.


    "Das Schiff fuhr von Massilia aus, direkt nach Rom. Es war neblig und ..." Und auf einmal waren sie da gewesen. Er war da gewesen. Mit ihm der Fluch. Lucilla kann ihn hören in diesem Augenblick. Du bist der Fluch, Lucilla. Sie schaudert.


    "Sie sind alle tot. Alle. Nur Ambrosius und ich ... die Classis hat uns aufgelesen." Befreit, um genau zu sein, in dem Augenblick, als alles noch schlimmer geworden war, als eh schon. Das nächste Mal solltest Du das Schwert fester halten, Lucilla. Mit geweiteten Augen blick Lucilla erschrocken über die Schulter. Doch da ist niemand, nur der Wind bewegt die Blumen in den Beeten und lässt die Blätter der Bäume rascheln.


    "Danach war ich in Ancona, bei einer Freundin meiner Großtante Drusilla. Ich konnte nicht einfach wieder nach Rom." Sie schlägt ihren Blick nieder und betrachtet die bunte Farbenpracht der Frühlingsblumen.