Beiträge von Decima Lucilla

    Die milden Strahlen der Sonne verlocken geradezu dazu über die Mercatus zu schlendern und zu sehen, was Frau braucht oder auch nicht braucht und trotzdem haben will. Nicht, dass Lucilla einen Grund wie das Wetter zum Einkaufen bräuchte, sie kann auch strömender Regen nicht davon abhalten, aber trotzdem ist es natürlich angenehmer. Natürlich ist Lucilla nicht alleine unterwegs. Fünf Sklaven folgen ihr, drei davon sind schon schwer mit Beuteln und Kisten bepackt, denn immerhin ist es schon kurz vor Mittag, zumindest nicht mehr allzu weit bis dahin und Lucilla hat schon ein großes Areal abgearbeitet.


    Obwohl Lucilla natürlich im Ernstfall einen ganzen Tag ohne einen Bissen über die Märkte ziehen kann bekommt sie langsam etwas Hunger. Denn um die besten Angebote nicht zu verpassen ist sie am Morgen ohne Frühstück aus dem Haus und wer behaupten mag, Einkaufen sei nicht anstrengend, der war sicherlich noch nie richtig Einkaufen. Dazu strömt auch noch der verlockende Duft gebratener Hendeln durch die Straße und lockt Lucilla schließlich vor eine Bratküche, die zur Straße hin ihre Waren verkauft. Als sie sich die Auslage anschaut und sich für einen saftigen Schenkel entscheidet, ertönt ein leises Knurren. Etwas verschämt blickt Lucilla zu ihrem Bauch hinab, dann wieder auf und in das hechelnde Hundegesicht neben ihr. Sie lächelt verlegen den Besitzer des kleinen Hundes an. "Keine Sorge, ich glaube, das war meiner."

    Lucilla schaut Avarus schelmisch grinsend an. "Cato und Cicero sind Vergangenheit, außerdem sollten sie lieber schauen, wo sie selbst am Ende gelandet sind. Nein, Rom ist Pomp und Größe und jeder Römer hat das Recht ein bisschen Pomp und Größe zu sein, vor allem bei seiner Hochzeit. Dem Kaiser werden wir schon nicht auf die Füße treten und vom Rest lassen wir uns eh nichts sagen. Du nicht, das hast du oft genug bewiesen, und ich auch nicht, ich bin durch meine Familie darin geschult."


    Sie überlegt etwas und nickt dann. "Beim Essen lässt es sich immer am besten über Essen reden, das ist wahr." An Avarus geschmiegt blickt sie in den Himmel hinauf. Die Blätter der Bäume rauschen sanft im Wind, sanft wie Wellen und feine Wolkenfetzen ziehen über den Himmel, ziehen in Richtung des Meeres im Westen. In der Ferne irgendwo schlägt ein Sklave einer benachbarten Casa Brennholz, das rhythmische Klopfen klingt wie der Schlag der Ruderer. Ein Kälteschauer durchfährt Lucilla und ein leichtes Zittern folgt. "Ich hatte geglaubt, dich nie wieder zu sehen." flüstert sie leise, den Blick noch immer empor gerichtet.

    Immer hat Lucilla geglaubt, das schlimmste, was einer Römerin passieren kann, ist eine Audienz beim Kaiser persönlich. Doch heute erkennt sie, dass diese Annahme völlig falsch war. Der Imperator mag göttlich sein, aber er ist nur ein Mann. Im Senat dagegen sitzen hunderte Männer, die (fast) alle nach vorne schauen und denjenigen betrachten, der da vor ihnen steht. Normal wäre das noch nicht schlimm, doch in diesem Fall steht Lucilla da vorne im Senat. Zwar steht sie neben Hungi, aber der scheint eh zum Inventar zu gehören, weshalb es ihr so vorkommt, als starren tatsächlich (fast) alle Senatoren zu ihr.


    Heiß ist es in der Curia Iulia, zumindest kommt es Lucilla so vor. Sie merkt, wie die Hitze ihr durch den Körper steigt und wahrscheinlich glühen ihre Wagen schon. Lucilla ist in ein kostbares, aber schlichtes, blaues Kleid gewandet, mit einer farblich passenden Palla, einfach gesteckter Frisur und nur sehr dezentem Schmuck versehen. Ambrosius war der Meinung gewesen, dass man im Senat nicht zu dick auftragen sollte, denn das würde da nur mit Worten gemacht.


    Irgendwo zwischen den vielen Senatoren muss auch Avarus sitzen, zumindest sollte er das. Lucilla versucht einzelne Senatoren aus den Reihen heraus zu erkennen, doch sie sieht nur eine verwischte Masse von Köpfen. Angeblich sitzen die Senatoren nach politischen Lagern, doch Lucilla hat keine Ahnung, wo welches politische Lager sitzt, davon abgesehen, dass sie nichteinmal sicher ist, welchem politischen Lager ihr Verlobter denn nun genau angehört. Ihre Verwandten kann sie ebenfalls vergessen, denn die Decima-Senatoren treiben sich lieber irgendwo in der Weltgeschichte herum, als im Senatsgebäude.


    Bleibt Hungi zum festhalten. Lucilla riskiert einen Seitenblick, gerade in dem Moment als er ihr zuzwinkert und das führt dazu, dass ihr vollends das Herz in die Sandalen rutscht. Obwohl Lucilla selten um Worte verlegen ist, so ist und bleibt sie ein Landei aus der Provinz und für solche öffentlichen Auftritte ist sie einfach nicht gemacht. Überhaupt steht sie nur hier, weil sie lange mit Hungi und Livia darüber gesprochen hat. Eigentlich wollte sie nie Auctrix werden, denn mal davon abgesehen, dass das ganze auch noch ehrenamtlich ist, scheut sich Lucilla ein bisschen vor so viel Verantwortung. Doch dass Livia die Arbeit der Auctrix wegen ihrer Umstände nicht mehr ausfüllen kann, das hat Lucilla schon in den letzten Wochen gemerkt und die Acta Diurna braucht nunmal zwei Frauen an ihrer Spitze, das hat Lucilla auch in den letzen Wochen bemerkt. Außerdem hat Hungi gesagt, dass es nur vorübergehend ist.


    Sie lächelt krampfhaft und schaut wieder nach vorne. Sollte sie jetzt etwas sagen?
    "Salvete, Senatores. Ergänzend zu Senator Vinicius Worten möchte ich kurz meine Qualifikation anführen, denn auch wenn Senator Vinicius sie zur genüge kennt, so mag sie dem ein oder anderen hier vielleicht nicht geläufig sein. Mit den Abläufen in der Redaktion der Acta Diurna bin ich bestens vertraut. Seit den Iden des Septembers DCCCLV A.U.C. (13.9.2005/102 n.Chr.) bin ich Redaktionsmitglied, ab ANTE DIEM IV KAL OCT DCCCLV A.U.C. (28.9.2005/102 n.Chr.) führte ich das Lectorat und seit ANTE DIEM VII KAL FEB DCCCLVI A.U.C. (26.1.2006/103 n.Chr.) stehe ich Tiberia Livia als Auctrix P.P.A. zur Seite, deren Aufgaben ich in den letzten Wochen größtenteils mit übernommen habe."
    Hoffentlich war das laut genug. Lucilla hat das Gefühl, die große Halle verschluckt einfach alles. Aber zumindest die ersten Reihen sollte es gehört haben und das sind sicherlich sowieso die wichtigsten Senatoren.

    Die Sonnenstrahlen, die gleichzeitig mit Avarus Blick in Lucillas Augen fallen, lassen diese in einem weichen Braunton schimmern. Doch auch das Blinzeln kann die Ernsthaftigkeit, welche seit einiger Zeit hinter diesen Augen liegt, nicht ganz vertreiben. Doch Lucilla versucht dem mit einem Lächeln zu entgegnen und da sie sich in Avarus Nähe immer geborgen fühlt, braucht sie sich noch nicht einmal anzustrengen.


    "Ich möchte doch nicht so heiraten, wie wir uns das überlegt hatten. Ich meine, nicht so klein und bescheiden. Ich will eine große Feier, denn ich habe vor, nur einmal in meinem Leben zu heiraten. Ich will viele Gäste einladen, die mit uns feiern. Ich will Tänzer, Musik, ein kleines Schauspiel und vielleicht Gladiatorenspiele. Ein rauschendes Fest und einen pompösen Brautzug. Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen, ich habe genug Geld angespart, damit es neben der Mitgift auch dafür reicht." Ihre Auge strahlen für einen kurzen Moment, bevor sie ihren Blick etwas verschämt niederschlägt. Ihre Stimme wird etwas leiser. "Das Leben ist viel zu kostbar und es kann jederzeit vorbei sein. Wir sollten es genießen."

    Nicht nur die Kälte ist zu bemerken, auch das fehlende Licht stört Lucilla nach wenigen Sekunden. Sie seufzt genervt über diese unverschämten Wolken und öffnet die Augen. Noch ist ihr Mund nicht wieder vom Seufzen geschlossen, da weitet er sich zu einem breiten, glücklichen Lächeln. "Medicus!"


    Lucilla richtet sich eilig auf und haucht ihm einen Kuss auf die Wangen. "Wie lange bist du schon hier?" Als sie sich ihres vorherigen Gesummes bewusst wird, steigt Lucilla augenblicklich etwas Röte ins Gesicht, doch sie lenkt ihre Gedanken schnell in eine andere Richtung. "Es ist gut, dass du da bist. Ich wollte eigentlich schon vor zwei Tagen mit dir sprechen, aber mit den ganzen Gästen ... du weißt ja. Ach, Medicus, ich habe dich so sehr vermisst." Sie lehnt sich an ihn und legt ihren Kopf an seine Schulter.

    Ein fröhliches Lied vor sich hinsummend sitzt Lucilla im Garten der Casa Decima. Eigentlich sitzt sie nicht, sie liegt mehr auf einer der gepolsterten Bänke und hat die Augen geschlossen. Die Sonne scheint ihr warm auf die Haut. Egal wie römisch sie auch ist, egal wie sehr sie eine römische Dame sein will, das hispanische Landei in ihr braucht die Sonne auf der Haut - Bräune und Blässe hin oder her. Ein Bein baumelt von der Bank herab und schwingt im Takt des Liedes. In Gedanken weilt Lucilla in Mauretania Caesariensis. Der Marmorhandel läuft gut, gerade jetzt im Frühjahr wird wieder überall neu und weitergebaut. Womöglich würde sie neu über die Abnahmemenge verhandeln. Das geht natürlich brieflich mit dem Cursus Publicus, aber beinahe wäre es reizvoll, nach Caesarea zu reisen und das wundervolle Land noch einmal zu genießen. Wäre da nur nicht die Schiffsreise ...

    Ein überhaupt nicht quirliger, alter Sklave der Decima schluft auf das Klopfen hin zur Porta und öffnet die Tür. Den Sklaven schaut er gar nicht erst an, sein Blick geht direkt zum Senator, der natürlich in Rom bekannt ist und erst recht in der Casa Decima.


    "Salve, Senator!" grüßt er daher auch artig, wartet aber trotzdem, weswegen der Germanicus gekommen ist. Immerhin ist die Dame Lucilla nicht mehr die einzige im Haus und unwahrscheinlicherweise könnte der Besucher auch zu jemand anderem wollen.

    Während das Gespräch zu anderen Dingen abschweift ist die Gelegenheit gekommen, sich unauffällig und vertrauensvoll an Sedulus zu wenden. Wenn die Antwort falsch wäre, dann würde die Peinlichkeit immerhin in der Germanica-Familie bleiben und Sedulus muss schließlich nett zu Lucilla sein, damit sie seinen Onkel auch tatsächlich nochmal irgendwann heiratet. :D


    Sie lehnt sich also unauffällig vor, als würde sie nach einer weiteren Traube Trauben greifen wollen, und flüstert vertrauensvoll fragend zu Sedulus hinüber. "Sagunt?"

    Ich bin auch wieder da. Anstatt meinen Koffer voller Geld steuerfrei in der Schweiz auf ein Konto zu deponieren hab ich es doch wieder versteuert in Schoggi investiert und einen Koffer voller braunes Gold mitgebracht. :D
    Und ich sage euch ... Schokolade macht doch glücklich. :]

    Was die Worte Caesars betrifft ist Lucilla auch sehr skeptisch. Wie soll ein Mann von unzähligen Dolchstößen niedergestochen noch viel sagen, wenn schon ein einzelner Schwertstreich ausreicht, um einem Menschen alle Worte zu rauben? Trotz der gemütlichen Atmosphäre findet es Lucilla auf einmal kalt im Raum und rückt noch ein wenig näher zu Avarus, als dieser wieder neben ihr sitzt. Geistesabwesend greift sie nach den Trauben und steckt eine nach der anderen in den Mund. Hannibal und Karthago schaffen es noch, bis zu ihr durchzudringen, dann schweift sie von Karthago nach Leptis Magna, übers Mare Internum, aufs Mare Internum, ins Mare Internum, um das Mare Internum herum, in die Heimat nach Hispania.

    "Sagunt?" murmelt sie fragent in Avarus Ohr, denn eigentlich war diese iberische Stadt nicht mit Rom verbündet, als der karthagische Feldherr sie angegriffen hat, sondern handelte erst hinterher ein Bündnis aus. Wahrscheinlich gibt es eh unzählige Städte, die von Hannibal angegriffen worden und die mit Rom verbündet gewesen waren und alle werden sie sicherlich nicht an diesem Abend aufzählen können.

    Eingelullt von dem Singsang der Männer bekommt Lucilla gar nicht richtig mit, was der Sacerdos überhaupt genau sagt. Aber er wird schon wissen, was er tut, weshalb wohl kaum irgendwer darauf achtet, was genau er sagt. Wie bei jedem großen Opfer ist es für Lucilla das Beeindruckendste, als die große, schwere Kuh so einfach umkippt, so als würde sie schlafen und irgendwelche albernen Jungen, wie es in ihrer Familie sicherlich auch ein paar gibt und gegeben hat, schubsen sie um. Mit dem Unterschied, dass diese Kuh nie wieder aufstehen wird. Fasziniert schaut Lucilla der Entnahme der Eingeweide zu und ihre Gedanken treiben mit dem Wogen der Eunuchen und ihrem Gesang wieder davon. Wenn Magna Mater dem römischen Volk ihren Segen beschert, dann wird das auch sie selbst - Lucilla - mit einbeziehen. Der Hauch der Gefahr, die Ahnung der Bedrohung könnte sie dann getrost ignorieren, brauchte sich keine Sorgen zu machen über irgendwelche Flüche. Überhaupt ist er es, der sich vor ihrem Fluch in Acht nehmen sollte, nicht umgekehrt.


    Die Verkündung der litatio reißt Lucilla aus diesen Überlegungen. Das Opfer ist angeommen, das Fest kann beginnen! Sie schaut sich um und bedeutet Ambrosius mit einem Nicken, dass er sich bereit halten soll, ihr durch die Masse zu folgen.

    Nachdem sie am Morgen schon ihr privates Opfer dargebracht hat lässt es sich Lucilla nicht nehmen auch zum offiziellen Opfer für die große Mutter zu gehen. Das hat natürlich rein gar nichts damit zu tun, dass sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr auf einen Fest in Rom unterwegs war und schon seit Tagen an nichts anderes mehr denken kann, als endlich wieder die Stadt zu genießen. Zwischen den eher einfachen Bürgern begleitet sie die Pompa, denn sie hat keine Lust sich nach vorne durch zu drängeln, obwohl es ihr durchaus zustehen würde. Doch sie spart sich ihre Energie lieber für das eigentliche Opfer und das nachfolgende Fest auf, sich an den Essenständen nach vorne drücken würde noch schwer genug werden. Zwar hat sie Ambrosius dabei, doch obwohl der Sklave kein Schwächling ist versteht er von Ellenbogeneinsatz lange nicht so viel wie die Mercatus-erprobte Lucilla. Erst einmal gibt es allerdings auch keine Veranlassung für Unhöflichkeiten, denn wie das so ist bei Opferzügen, selbst wenn sie nicht zu Ehren der Concorida sind, gibt es kein Gedränge sondern nur friedliches Vorangehen.


    Am Opferplatz angekommen schafft es Lucilla sogar ohne weiteres ein Stück nach vorne, so dass sie einen guten Blick auf die schwarze Kuh und den Priester hat. Sie lässt ihren Blick schweifen und die im Takt der Musik wogenden Männer hinter dem Opferpriester erinnern Lucilla schon wieder an das wogende Meer. Kurz glaubt sie, dass nicht die Männer, sondern dass die Welt um sie herum schwankt, weil die Welt auf Planken liegt, den Planken eines Schiffes auf dem Mare Internum. Sie schließt einen Moment lang die Augen und murmelt den Namen der Magna Mater mit. Als sie die Augen wieder öffnet, hat das Schwanken aufgehört und Lucilla vermeidet es ihren Blick nochmals zu den Eunuchen zu wenden.

    Ein weiterer Handgriff und Lucilla hält das scharfe Opfermesser in der Hand, ein zweiter und der Deckel des Käfigs ist geöffnet. Sie umfasst mit fester Hand die Ohren des Karnickels und zieht es heraus. Fast leblos hängt das Tier in der Luft, zuckt nur ab und zu mit den Pfoten. Lucilla sieht es kaum. Ihre Stimme wird noch etwas leiser, als sie das Messer hebt. "Schütze auch das Leben von Quintus Tullius ... lass seine Tage schlimmere Qual als im Hades sein, lass seinen Körper leiden und seinen Geist verzweifeln, doch gewähre ihm sein Leben." Ein schneller Schnitt und das Karnickel ist tot. Dunkelrot fließt das Blut über das schwarze Bauchfell und tropft auf den Boden vor Lucilla, sammelt sich dann in der Kuhle für die Trankopfer und fließt träge durch das kleine Loch in der Vertiefung ab. Sie legt das tote Tier auf den Gabenplatz und das Messer daneben. Dann tunkt ihre Hand in das warme Blut und verfällt wieder in ihr Gemurmel.


    "Magna Mater ... große Göße Göttin ... meine Gaben für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... meine Gaben ... Magna Mater ... für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... für Dich ... Magna Mater ... meine Gaben ... große Göttin ... Magna Mater ..." Sie hebt die blutgetränkte Hand und fährt sich in einer langsamen Bewegung über ihre Drosselgrube, so dass ein roter Fleck dort zurück bleibt. Neben Lucilla lässt sich eine weitere Frau zum Opfer nieder und beginnt ihrerseits den Namen der großen Göttin zu murmeln. "Magna Mater ... große Göße Göttin ... meine Gaben für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... meine Gaben ... Magna Mater ... für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... für Dich ... Magna Mater ... meine Gaben ... große Mutter Magna Mater..."


    Es ist heiß im Tempel, doch Lucilla spürt auf einmal Kälte in sich aufsteigen. Die Lichter der Kerzen verschwimmen, schwimmen in der Luft, schwimmen im Meer, im Mare Internum, auf einem Schiff im Nebel, im Sturm. Der Gesang im Hintergrund wird zum Tosen des Windes, das Klingen der Schellen zum Rauschen des Meres, das Schlagen der Trommeln zum Platschen der Ruder. Ein Flüstern zieht an Lucilla vorbei Das nächste Mal solltest Du das Schwert fester halten, Lucilla., neben ihr, hinter ihr, überall um sie herum. Er ist nah, viel zu nah, Lucilla spürt seinen kalten Hauch im Nacken, seinen warmen Kuss auf ihren Lippen, die Klinge des Messers am Hals. Du bist der Fluch, Lucilla. ... du bist der Fluch.... der Fluch ...


    Erschrocken ruckt Lucilla hoch, hebt ihren Kopf, ihr Herz rast und sie hört es bis in die Ohen pochen. Neben ihr sind zwei Frauen in ihr eigenes Opfer für die große Mutter vertieft, die extatischen Tänze im Tempelinneren dauern fort, die Räucherschwaden hängen schwer unter der Decke. Das Blut auf Lucillas Haut ist trocken, in der Auffangschale vor ihr längst frisches Blut von frischen Opfern. Zitternd greift sie nach dem Korb, steht auf und wankt noch immer benommen zum Ausgang des Tempelgebäudes. Sie lässt sich bereitwillig von einem Tempeldiener beim Anziehen der Sandalen helfen und zieht die Palla über ihrem Kopf eng zusammen, nicht nur, um ihr offenes Haar in der Stadt zu verbergen, sondern auch wegen des blutigen Flecks, den sie erst Zuhause abwaschen wird. Später am Tag wird sie dann auch noch das offizielle Opfer besuchen.

    In eine dunkle Palla gehüllt wandert Lucilla völlig alleine den Weg zum Tempel der Magna Mater auf den Palatin hinauf. Natürlich ist sie nicht völlig alleine, unzählige andere Frauen gehen heute und in den kommenden Tagen diesen Weg. Die Megalesia haben begonnen und während der Staat der Göttin mit öffentlichen Feierlichkeiten dankt, nutzen viele Frauen diese Zeit um der großen Mutter für ganz private Dinge zu danken - oder auch, um sie um etwas zu bitten. Lucilla will beides tun, und da es in den nächsten Tagen voll wird im Tempel ist sie schon recht früh auf den Beinen, noch bevor am Mittag das große Opfer stattfinden wird. In einem Korb, der über ihrem Arm hängt, liegen teure Früchte aus dem Süden des Reiches - Datteln und Feigen - und eine fest verschlossene Amphore mit Wein aus Hispania. Außerdem ist da auch ein kleiner Käfig mit einem verschreckten schwarzen Karnickel drin, von dem Lucilla hofft, dass es nicht allzu viel stercus ablassen würde, denn der Käfig ist an den Seiten natürlich nicht ganz dicht.


    An einer etwas älteren Frau, die auf dem Weg nach draußen ist, huscht Lucilla vorbei in den Tempel hinein und blinzelt in die weihrauchgeschwängerte Luft. Der süßliche Duft der Räucherungen kann nicht ganz den Geruch nach Blut und Schweiß überdecken, nach dem Blut der zahlreich geopferten Tiere und dem Schweiß der ekstatisch sich bewegenden, bunt gekleideten eunuchischen Tempelpriester, die über die kommenden Tage kaum bei Sinnen sind. Lucilla legt ihre Palla ab und öffnet ihr Haar, dann streift sie die Sandalen von ihren Füßen und legt alles in eine kleine Nische neben dem Tempeleingang. Sie reinigt ihre Hände am Becken neben der Tür, nimmt ihren Korb auf und schreitet durch den Tempel, zwischen den Tänzern hindruch, selbst beschwingt von den schweren, dumpfen Schlägen der Trommel, dem Rasseln der Schellen und den langgezogenen Trance-artigen Gesängen. Vor dem schwarzen Stein nimmt sie eine Hand voll Weihrauch aus einer silbernen Schale, die vor einer der Säulen aufgestellt ist, und wirft die groben Körner auf das Gitter vor dem Kultbild der Kybele. Das Ergebnis ihrer Gabe ist kaum zu sehen, denn wegen der vielen Opferungen schlängeln sich die Rauchsäulen forwährend in die Höhe und füllen den Raum. Doch die große Mutter braucht kaum einen Hinweis darauf, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf den Tempel richten sollte. Wenn sie heute nicht die Gebete und Bitten erhört, dann hat sie sich eh für immer vom römischen Volk abgewendet.


    Lucilla kniet sich auf den Boden und lässt sich von der Schwere des Raumes, vom Licht der zahlreichen Öllampen und Kerzen, von Rauch und Musik einhüllen. Die Augen halb geschlossen starrt sie auf den nachtschwarzen Stein vor sich und wippt langsam ihren Körper vor und zurück. Nach kurzer Zeit beginnt sie unablässig zu murmeln. "Magna Mater ... große Göße Göttin ... meine Gaben für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... meine Gaben ... Magna Mater ... für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... für Dich ... Magna Mater ... meine Gaben ... große Göttin ..." Mechanisch greift sie in den Korb neben sich, holt die Früchte heraus und legt sie zu den anderen Opfergaben um den Stein. Dann folgt die Amphore. Es dauert, bis sie den Korken entfernt hat, weiter vor und zurück wippend, dann gießt Lucilla den guten Wein in die kleine schalenförmige Vertiefung auf dem etwas erhöhten Opferstein zwischen den Räuchergittern. "Ich danke dir für deinen Schutz und deine Hilfe. Bitte gewähre mir auch für die nächsten 13 Monde deine Gunst."

    Mit seinem zweiten Satz disqualifiziert Sedulus Lucilla für diese Runde gänzlich. Lucilla mag Gedichte und Lyrik und Texte wirklich gerne, vor allem so lange sie irgend jemand vorliest und man nur zuhören muss. Doch nicht erst seit ihrer Zeit im Cursus Publicus und den endlos langen Postlisten hat sie eine Abneigung gegen alle Texte, die über eine handelsübliche Tabula hinaus gehen, es sei denn es geht bei diesen Texten um Neuigkeiten aus dem Imperium Romanum. Selbst eine Schriftrolle mit Dichtung zur Hand zu nehmen, das widerstrebt Lucilla zutiefst. Für die wirklich wichtige Dichtung, die römische, ist dies auch nicht nötig. Großtante Drusilla hat oft genug dafür gesorgt, dass während des Essens die Liebeskunst von Ovid zitiert wurde, die Komödien von Plautus und Terentius hat Lucilla schon zig Mal als Aufführungen im Theater erlebt und die restliche Dichtung, Catull, Vergil und andere, findet sich immer wieder zu den verschiedensten festlichen Anlässen. Wer braucht da noch so verstaubte Griechen wie Platon? Lucilla auf jeden Fall nicht - was natürlich nichts damit zu tun hat, dass sie kein Griechisch gelernt hat und ihn damit nicht einmal lesen könnte, wenn sie es denn wollte - was sie natürlich nicht will.


    Sedulus Frage ist eh völlig unerheblich, denn egal wie groß das Reich auch war, größer als das Imperium Romanum kann es eh nicht sein. Im Wissen, dass das das einzig wichtige ist, isst Lucilla noch ein paar Trauben und rückt unauffällig ein wenig näher an Avarus heran. Viel lieber wäre sie jetzt mit ihm alleine, es gibt so viel zu besprechen, doch wahrscheinlich wird er nach diesem Mahl kaum noch aufnahmefähig sein.