Beiträge von Herius Claudius Menecrates

    Nach getaner Arbeit traf Menecrates in der Villa ein, ließ sich den Mantel abnehmen und das regennasse Gesicht abtupfen. Seine Toga wies am Saum Schmutzränder auf. Der im unteren Bereich voll gesogene Stoff machte das Kleidungsstück noch schwerer und die Falten lagen kreuz und quer.

    "Runter damit", wies er nach dem Betreten des Vestibulum die Sklaven an. Während die riesige Stoffbahn abgewickelt wurde, erstattete der Türsklave Bericht. Selbstverständlich blieb Faustus nicht unerwähnt, was ein Leuchten in Menecrates' Augen zauberte. "Atrium sagst du?" Er vergewisserte sich, wo sein Vertrauter wartete, und schmiedete einen Plan. Leider würde er für dessen Umsetzung wieder nach draußen in das Sauwetter müssen, aber die Mühe war es ihm wert. Er trat durch die Porta, drückte sich an der Hauswand entlang, um wenigstens etwas Regenschutz zu genießen, und betrat die Villa über das Peristyl. Leider blühte um diese Jahreszeit wenig, weswegen er den Plan, einen Blumenstrauß zu pflücken, verwarf.

    Menecrates wies auf eine Strauchpflanze, die einen Pflanzkübel zierte. Der Sklave wusste mit der Geste nichts anzufangen und hob ratlos die Schultern.


    "Ja, gib schon her!", forderte der Claudier ungeduldig und hielt die Hände auf.

    "Schwer, Dominus, sehr schwer." Die Bedenken des Sklaven prallten am Dickschädel des Claudiers ab, daher ging er zum Kübel, presste den Topf an den Bauch und stemmte sich aus der Kniebeuge in die Höhe. Die Übergabe des Kübels gestaltete sich schwierig. Abgesehen davon, dass Menecrates' Tunika auch noch feucht wurde, trug er ein erhebliches Gewicht.

    "Lächerlich kleiner Topf", keuchte er, während des Weges zum Atrium. "Muss es auch ausgerechnet heute regnen?" Die nasse Erde wog schwer, daher hielt er den Topf umarmt. Die Pflanze verdeckte Teile seines Sichtfeldes, aber niedriger halten konnte er sie nicht, weil das Ende der Armlänge bereits erreicht war.


    Im Atrium angekommen presste er hervor: "Herzlich Willkommen!" Er sah wenig, die Arme schmerzten und die Finger drohten abzurutschen. Trotzdem lachte er.

    25. Mai 2021

    #1

    Es sollte nicht irgendein Tag sein, an dem der Praefectus Urbi die Überreste der ersten Station begutachtete. Er suchte sich dafür einen besonderen Tag aus und der heutige schien ihm dafür bestens geeignet. ANTE DIEM VIII KAL IUN DCCCLXXI A.U.C. (25.5.2021/118 n.Chr.) galt als Festtag zu Ehren der Fortuna. Abgesehen davon, dass Menecrates der wieder aufzubauenden Statio eine lange Lebensdauer wünschte, sollte dieser erhoffte Erfolg in Kombination mit dem Glück gehen. Für beides stand die Göttin, die Menecrates auch privat verehrte. Er wählte sie als Schutzgöttin für die Statio - unabhängig davon, dass es noch eine offizielle Weihe für den Bauplatz geben würde, die ihn zum zweiten Mal reinigen sollte.

    Menecrates Begleitung setzte sich zusammen aus Angehörigen der Cohortes Urbanae, städtischen Mitarbeitern und Personal aus dem Cultus Deorum. Bevor die Erörterungen rund um das Wiederaufbauvorhaben begannen, plante der Praefectus Urbi eine kleine Opfergabe als Geste der Einladung an die erwünschte Göttin. Opferdiener platzierten mitten in der Ruine einen Foculus, legten Kohle hinein und entzündeten sie. Als sich Glut einstellte, winkte Menecrates einen Gehilfen herbei, der frisch gebackenen Opferkuchen, Kekse und loses Getreide trug. In Begleitung dessen - die Toga leicht angehoben - stieg er über Steine und umging größere Trümmerteile, bis er nahe am Foculus stand. Sein Blick richtete sich auf die Flammen und vermied die Kontrolle seiner Kleidung und Schuhe, die ungeeignet für derlei Kletterpartie waren. Er ließ sich die Hände reinigen, bedeckte das Haupt und begann die kurze, aber von einem intensiven Wunsch begleitete Ansprache.


    "Mater Fortuna, durch das Opfern der Kekse und des Getreides bete ich ein gutes Gebet, damit du dieser Station und all seinen Männern in der Zukunft günstig gestimmt bist. Sei geehrte durch diesen Kuchen." In Abständen ließ Menecrates die Opfergaben in den Foculus rutschen und die Flammen griffen gierig danach. Es knackte zuweilen, Rauch stieg auf und ein neuer Geruch erfüllte die Ruine.


    "Ich möchte ein Reliefs der Göttin an der Fassade der Station", entschied er spontan. "Das bezahle ich aus eigener Tasche, weil der Kaiser erwähnte, dass er für alles Grundlegende Mittel bereithält, aber nicht darüber hinaus. Desweiteren möchte ich einen Altar, an dem alle gläubigen Urbaniciani Tag für Tag um Schutz und Beistand bitten können. Wir bekommen dieses Loch in den Griff." Mit Loch meinte er sie Subura und sein Ton wurde gegen Ende kämpferisch. Getragen von dieser Emotion verlief die Rückkehr aus der Ruine zügiger als der Hinweg. Auf dem Pflaster angekommen, wandte er sich wieder um und betrachtete nochmals Trümmerberge und den abziehenden Rauch der langsam verglimmende Kohlereste im Foculus.




    25. November 2021


    Die Ruine der ersten Station lag monatelang unberührt. Gräser fassten auf ihr Fuß, Spinnentiere webte Netze und in Mauerspalten nistete während des Sommers eine kleine Spatzenkolonie. Gegen Ende des Jahres lagen die Nester unberührt. Menecrates' prüfendem Blick entgingen sie trotzdem nicht. Er liebte Vögel. Auf dem claudischen Anwesen hingen diverse Vogelhäuser, die der Praefectus speziell nach seinen Vorstellungen anfertigen ließ. Ganzjährig fütterte er die gefiederten Sänger und verbot den Köchen, sie als Speise auf den Teller zu bringen. Sein Herz schlug kräftig für die Schwachen und Schutzlosen. Vögel zählte er dazu.

    Zum Besichtigungstermin begleiteten den Praefectus Urbi Handwerker und Handlanger, sowie zwei Architekten und eine Urbanerstreife. Sein Cornicularius stand unweit von ihm. Menecrates wandte sich an den Verantwortlichen der Arbeitertruppe. Sein Arm wies in Richtung der Mauerspalten. "Bevor ihr die unbrauchbaren Steine abtragt und den Schutt abfahrt, nehmt ihr diese Nistplätze aus den Spalten. Ich möchte sie unversehrt in die Castra geliefert bekommen."

    Obwohl er wusste, dass Singvögel Jahr für Jahr neue Nester bauten, wollte er mit dieser Aktion verdeutlichen, dass er auf Achtsamkeit Wert legte, zumal diese abgebrannte Station einer besonderen Fürsorge und erneuten Weihung bedurfte. Die Zukunft der Statio I Urbana sollte sowohl für die hier stationierten Soldaten als auch für die gefiederten Bewohner sicherer als die Vergangenheit sein. Dafür würde Menecrates sorgen.

    Der Tag versprach, ruhiger als andere zu werden, daher nutzte Menecrates die Gelegenheit, um sich einen Überblick über die noch offenen Aufgaben zu verschaffen. Er griff zu Wachstafeln und setzte sich an den Tisch. Gefühlt kam er nirgends weiter, wollte sich aber die einzelnen Bereichen vor Augen führen, um sicherzugehen. Die jeweiligen Hinderungsgründe hielt er für jeden Bereich fest, um dort, wo es ging, nachhaken zu können. Er begann die Liste wahllos, die Reihenfolge der Prioritäten konnte er später festlegen.


    1. Statio I - noch keine explizite Freigabe seitens des Kaisers und der Priesterschaft
    2. Kombistation - ausstehende Rede des Kaisers vor dem Senat/ausstehende Weihe durch Priesterschaft
    3. Prozess Optio Furius Cerretanus - die Überstellung des Offiziers erfolgte noch nicht
    4. Klärung Fisch I - Kapazität beim Tresvir fehlt/Rückmeldung erste Befragung fehlt
    5. Klärung Fisch II - Klärung I steht noch aus/Einheiten noch nicht zusammengestellt


    Eine ähnliche Tabula würde er für die Praefectura Urbis anlegen können, bei der es allerdings bis auf den kränkelnden Curator Aquarum zum zügigen Abarbeiten der Punkte kommen sollte. Im militärischen Bereich sah die Situation trüber aus. Hinter jedem der aufgeführten Notwendigkeiten notierte er einen Hinderungsgrund. Die abschließende Betrachtung ergab, dass er keinen aus eigener Kraft beiseite schieben konnte. Personen, Institutionen banden ihm die Hände.

    Er seufzte, lehnte sich zurück und dachte nach.

    Inhaltlich hörte Menecrates das, was er hören wollte, aber sein Gespür vermeldete, dass etwas mit der Antwort nicht stimmte. Eine Komponente, die er nicht bestimmen konnte, schwang mit. Er wusste nichts von der Durchsuchung seiner Enkelkinder. Außerdem lagen die Vorkommnisse Jahre zurück. Weil der Rückschluss misslang, Menecrates aber eine Art von Schabernack wahrzunehmen glaubte, projizierte er die vermeintliche Vorfreude seines Cornicularius' auf die anstehende Hausdurchsuchung.

    "Kein Blödsinn, Cornicularius Octavius!", mahnte er. Die lockere Atmosphäre ließ seine Worte wenig belehrend erscheinen, eher beschwörend.

    Da alles besprochen schien, zog sich der Präfekt wieder in sein Officium zurück.

    Die Hand auf seinem Unterarm wirkte beruhigend, wenngleich die Worte wenig zur Beruhigung beitrugen, denn Lepidus traf den Nagel auf den Kopf: Solange Gewalt den Frieden sichern musste, würden sich Väter, Mütter und Anverwandte Sorgen um ihre Liebsten machen. Wie es aussah, hielt aber die Sorge Lepidus nicht gefangen, daher beschloss Menecrates, sich ihrer ebenfalls zu entledigen. Im Tun gelang dies schnell als im Verharren.


    "Mercurius' Augenmerk auf die Reisegruppe zu lenken, sollte nicht allzu schwer sein. Der Schutzgott kann ohnehin besser auf den Jungen aufpassen als ich." Zuweilen vergaß der Claudier, dass es sich bei dem 'Jungen' um einen erwachsenen Mann handelte. Die Zeiten des kleinen Neffens gehörten schon lange der Vergangenheit an. Damit schien das Thema abgehakt und sie wandten sich anderen Inhalten zu. Vorher verabschiedete sich Pius und Menecrates nickte zum Gruß.


    "Ja, der Tod des kleinen Caesar", wiederholte Menecrates versonnen. Zwar wusste er, dass Lepidus auf etwas anderes hinauswollte, aber da der Claudier andernorts seine Gedanken filtern musste und er sie hier weitgehend ungefiltert äußern konnte, nutzte er die Chance. "Es ist nicht der erste Tod eines potentiellen Thronfolgers, und da der gewaltsame Tod des letzten in der Spätfolge einen Bürgerkrieg auslöste, rechnete ich im ersten Moment mit einem weiteren Giftmord." Er breitete entschuldigend die Hände aus. Umfangreiche Erfahrungen bargen einen Wissensschatz, aber sorgten auch für unliebsame Verknüpfungen.

    "Es ist immens wichtig für den Caesar, frei von jeglichem Verdacht zu sein, was er ja zu unser aller Glück auch ist. Es handelte sich wohl beim kleinen Caesar um einen natürlichen Tod und der ältere hielt sich in einer anderen Provinz auf. Intrigen und Umstürze im Kaiserhaus sind das Letzte, was Rom aktuell braucht, daher können wir aufatmen."


    Zum Zeichen, dass er die Intension seines Freundes verstanden hatte, ging er auch noch auf die Kaiserin ein.

    "Wann hast du die Augusta zuletzt getroffen? Bei mir ist es Jahre her. Damals traf ich sie öfters. Mir scheint, seit dieser Zeit hat sich viel verändert. In den Anfangsjahren war die Augusta beim Adel durchaus beliebt." Vor seiner ersten Amtsphase als Praefectus Urbi kannte er keine Patrizierfamilie, die die Augusta als intrigant bezeichnet hätten. Menecrates schloss allerdings nicht aus, dass der jungen Veturia die Macht zu Kopf gestiegen sein könnte, und beschloss, demnächst Augen und Ohren offenzuhalten.


    Was Bala betraf, der besaß Menecrates' Verständnis. Kinder aus ersten Ehen gab es unzählige in Rom und die meisten fühlten sich benachteiligt oder gefährdet. Allzu oft bildeten sie sich dies nicht nur ein, sondern standen den Auswirkungen hilflos gegenüber - Auswirkungen während ihres gesamten Lebens und insbesondere im Erbschaftsfall.

    Dass der Caesar in Germania blieben wollte, vermerkte Menecrates bei sich.

    Die Beschreibung 'freundlich und hilfsbereit' überraschte Menecrates, hatte er bislang eher Negatives gehört. Er merkte sich die Aussage und vor seinem inneren Augen entstand ein Berg, der - je nachdem von welcher Seite man ihn betrachtete - gänzlich unterschiedlich wahrgenommen werden konnte. Auf einer Seite - vielleicht im Osten - mochte der Hang sanft abfallen und eine Quelle entsprang am Gipfel. Farne säumten den Bachlauf und Wildtiere löschten ihren Durst, während die nördliche Seite des Berges einen Kahlschlag aufwies. Im Süden könnte der Berg steil abfallen und felsig sein. Jeder Betrachter würde den Berg anders beschreiben und Recht haben, obwohl keine Schilderung der anderen gleicht.


    Frugis Frage nach der Kooperation der Furier konnte Menecrates kaum zufriedenstellend beantworten. Er zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht", gestand er. "Lass uns von einer Kooperation ausgehen, denn die Casa wurde bisher nicht durchsucht und auch keine Gensmitglieder befragt. Wer nichts zu verbergen hat, kooperiert." Der Gedanke, dass es auch auf das Auftreten ankam, veranlasste Menecrates zu einer Ergänzung. "Wir treten an eine römische Familie heran. Unser Auftreten wird höflich und respektvoll, aber auch bestimmt sein, sofern nötig. Ich denke, du bekommst das hin." Er wollte nicht lapidar beruhigen, sondern seine Überzeugung mitteilen.

    Menecrates reichte die Zustimmung. Mit der Befehlsgewalt bei gemeinsamen Einsätzen ausschließlich seitens der Urbaner, hatte er schon im Vorfeld nicht gerechnet. Die Tatsache, dass dies betont wurde, nötigte ihm jedoch ein Schmunzeln ab.

    "Jede Streife stellt den Führer aus den eigenen Reihen. Selbstverständlich lassen sich die Cohorten auch nicht von Gardeoffizieren befehligen." Er zuckte mit den Schultern, denn im Grunde fand er diese Denkweise kleinlich. Andererseits gab es bisher kein gemeinsames Vorgehen, weswegen er die Bereitschaft dazu bereits als Fortschritt empfand.

    "Dann werde ich dich Tag und Zeit wissen lassen, an denen ich gemeinsame Operationen durchführen möchte. Sehr schön!" Er nickte zufrieden und stellte anschließend Überlegungen an, ob er bei der Gelegenheit Weiteres ansprechen sollte, aber ihm fiel nichts ein.

    "Dann danke ich dir für deine Zeit, Preafectus Heius!" Menecrates erhob sich, nickte noch einmal zum Gruß und begab sich in sein Officium.

    Als Octavius schwieg, benötigte Menecrates einige Momente zum Sammeln. Die Schilderung vermittelte bereits einen gespenstigen Eindruck, wie musste es erst Vorort gewesen sein.

    "Wir werden im Dienst mit den unterschiedlichsten Situationen konfrontiert und manche brennt sich dauerhaft ein. Mir selbst erscheinen noch heute Schlachtfelder im Traum. Ich hoffe, du kannst das Erlebte verarbeiten." Sein Blick versuchte die Antwort abzulesen.

    "Ursache der Veränderung bei der Vestalin ist sicherlich der Schock. Ich bin kein Arzt, aber nach meinem Dafürhalten müsste der längst abgeklungen sein." Menecrates überlegte. "Ich bin nicht sicher, ob Götter etwas am Zustand ändern können. Reden hilft, so lässt sich vieles verarbeiten. Und wenn reden unmöglich ist, dann muss man andere Wege finden. Hören kann sie noch, nehme ich an." Es gehörte nicht zu seinem Aufgabenbereich, sich Gedanken um die Töchter des Kaisers zu machen, aber der gesamte Fall bereitete ihm Kopfzerbrechen. Er musste ihn schnellstens klären, wobei andere Fälle auch nicht unter den Tisch fallen durften.


    Menecrates freute sich natürlich, wenn der Cornicularius seinen ersten Ermittlungsbericht zunächst selbstständig anging. Er vertraute darauf, dass sich Octavius bei Schwierigkeiten melden würde.

    Allein für einen Plausch saß Menecrates nicht hier. Er kam mit einem Anliegen.

    "Nach Abschluss deines ersten Falles, habe ich einen weiteren. Er gehört zu unseren Altlasten und er muss vom Tisch. Ich führe dich heute in den Auftrag ein, auch wenn der Bericht von Fall eins noch aussteht."

    Menecrates wartete, bis Frugi aufnahmebereit und abwartend saß, dann begann er.

    "Der neue Auftrag ist ein Mosaiksteinchen bei der Aufklärung der Brandserie, bei der neben etlichen Betrieben auch unsere Statio zum Opfer gefallen ist. Unser ehemaliger Optio Furius Cerretanus steht im Verdacht, in die Anschläge verwickelt zu sein. Seine Sklavin Eirean ist bereits als Täterin für das abgebrannte Lupanar überführt. Sie gilt mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mitglied der Krähenbande, aber wie tief der Optio drinsteckt, gilt es herauszufinden.

    Dein Auftrag umfasst eine Durchsuchung der Casa Furia. Wir setzen auf Kooperation. Kompromittiert werden soll niemand. Darf auch niemand, weil wir von der Unschuldigsvermutung ausgehen, bis dann, wenn jemand verurteilt ist. Wichtig sind alle Hinweise, Material oder Aussagen, die all jene Personen betreffen, die unmittelbar oder mittelbar verwickelt sind. Du findest die Akten im Archiv. Bei Fragen hilft dir Optio Purgitio." Inzwischen würde der Optio Cornicularius sein, aber der Dienstgrad spielte nur eine untergeordnete Rolle.

    "Der Fall ist komplex. Wahrscheinlich hast du Fragen."

    Die Vorstellungen des Kaisers deckte sich mit seinen, daher nickte Menecrates. "Ich werde gleich nach der Audienz einen Termin mit Praefectus Heius vereinbaren. Dort, wo es sinnvoll ist, werden wir die Kräfte bündeln, während die jeweiligen Spezialstrecken in die abschließende Begutachtung ergänzend einfließen. Das sollte der kürzeste Weg zu einem Ergebnis sein. Sobald wir stichhaltige Beweise haben, wirst du sie erfahren."

    Sofern der Kaiser kein weiteres Thema erörtern wollte, rechnete Menecrates mit dem Ende der Audienz, denn seinerseits bestand kein weiterer Redebedarf im Gegensatz zum Handlungsbedarf. Der vor Augenblicken gefasste Plan reifte bereits. Mit dem Ziel vor Augen bekam die Ohnmacht gegenüber den fatalen Ereignissen keinerlei Chance, sich zu entfalten.

    "Ja", bestätigte Menecrates seine Nachfrage, die Sicherheitslage in Germanien betreffend. "Wir erwarten im Senat beinahe täglich die angekündigte Rede des Kaisers, um auf den aktuellen Stand gebracht zu werden. Bisher vergeblich." Spekulieren wollte der Claudier nicht. Einen Abgleich zwischen dem heute Gehörten und dem Bericht des Kaisers fand er sogar interessant. Er lehnte sich ein wenig vor und wartete gespannt, denn in seiner Fantasie malte er sich eine besonders heikle Lage aus. Allerdings stand dazu der Schalk in Lepidus' Augen im Widerspruch.

    Die Antwort fiel anders als erwartet aus.

    "Hmm", brummte Menecrates und lehnte sich wieder zurück. Entweder wurde seine Nachfrage falsch verstanden, oder er wurde absichtlich geneckt. Weil ihm die Wendung der Atmosphäre gefiel, stieg er darauf ein.

    "Ach, und ich dachte schon, es wäre statt einem Wildschwein eine ganze Horde über die Waldlichtung gelaufen." Leider bekam er die Kombination 'ernstes Gesicht und vor Schalk blitzende Augen' nur notdürftig hin. Er winkte ab und gab das Schauspiel auf.

    "Es ist also, wie es immer war." Er zog fragend die Brauen nach oben und senkte sie wieder. Das Übliche in Germania konnte nicht mit dem Üblichen in Rom gleichgesetzt werden, das verstand sich von selbst. Er dachte zurück und stellte fest, was früher bei ihm unter Abenteuerlust rangierte, lief heutzutage unter Besorgnis. Der Themenwechsel zu Primus verstärkte diese Einmschätzung. In seiner Erinnerung war der normale, wenig aufregende Legionsalltag verblasst, während der Tod wichtiger Freunde und Familienmitglieder im Vordergrund stand.

    "Primus, du sagst es", erwiderte er an Lepidus gewandt. "Er bereiste die ganze Welt, aber Germania wurde ihm zum Verhängnis." Menecrates schwieg, während er gedanklich zurückreiste. Er brauchte den Moment für sich, der möglicherweise auf seine Gastgeber wie eine Schweigeminute wirkte. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er trotz vieler verlorener Familienmitglieder Victor nicht anbinden durfte. Gekonnt hätte er es wahrscheinlich, aber es wäre egoistisch gewesen. Lepidus hatte Recht, wie immer. Er atmete einmal durch, ohne sich gänzlich freimachen zu können.


    "Den Tod habt ihr bereits im Gepäck", sagte er Richtung Pius und spielte auf die Urne an. "Ladet ihn nicht anderweitig ein und nehmt auch den Leichtsinn nicht mit auf Reisen."

    Während Octavius über das Ausmaß der Aufgaben und das Rätsel der Bewältigung sprach, blickte Menecrates ihn unverwandt an. Selbst als kurzfristig Stille herrschte, behielt der Präfekt den Blickkontakt bei. Gleichzeitig arbeitete es hinter seiner Stirn. Nach Beendigung der Überlegungen erschien ein kleines Lächeln, das Freude über die Anteilnahme, aber auch Müdigkeit enthielt. Er nickte, ging aber mit keinen Wort auf das Gehörte ein - mit Ausnahme des Berichtes.

    "Der wichtigere Teil ist das Ermitteln, Octavius. Du kannst dir - wenn es nicht gerade um den Vestalinnenfall geht - jederzeit einen Schreiber holen und den Bericht diktieren." Er breitete beide Hände aus, als wollte er fragen, ob das eine brauchbare Lösung wäre.

    Den Gedanken zur Vestalin Valeria folgte Menecrates interessiert. Immerhin sprachen sie hier über den gravierendsten aller Mordfälle der Vergangenheit. "Ich traue den Göttern viele Möglichkeiten der Einflussnahme zu. Mit was ist denn die Vestalin belegt?" Er benutzte Frugis Worte, auch wenn sie losgelöst aus dem Zusammenhang etwas sonderbar klangen. Auswirkungen auf einen Menschen, die ihn aus dem Verkehr zogen, ihn beschützten oder gar bestraften, ließen viel Spielraum für die Fantasie zu. Daher harrte Menecrates der Antwort mit Spannung.

    Gleichzeitig bemerkte er Frugis fast schon verzweifelten Blick Richtung Notizstapel.

    "Notfalls helfe ich dir. Immerhin ist das ja dein erster Bericht. Wo klemmt es denn?"

    "Prima!", erwiderte Menecrates und erhob sich. Er trat hinter seinem Schreibtisch hervor und begleitete Ravilla zur Tür.

    "Dann bleibt mir nur, dir viel Erfolg zu wünschen! Ich benötige einen Bericht - selbst dann, wenn es keinen einzigen Hinweis zu berichten gäbe, denn eine erfolglose Befragung liefert auch ein Ergebnis." Er überlegte kurz, dann fügte e an: "Bei persönlicher Abgabe des Berichtes, könnte ich dich gleich in Fall zwei einweisen."

    'Hoppla', dachte Menecrates. Seine weitere Planung, die er wie selbstverständlich vornahm, setzte voraus, dass der Vigintivir Talent bei der ersten Befragung zeigte. Anscheinend hatte sein Unterbewusstsein den Mann längst für fähig befunden, bevor das Auge der Einschätzung folgen konnte. Er schmunzelte über sich selbst. Wahrscheinlich konnte er der Mode junger Leute aus Altersgründen wenig abgewinnen.

    Nach der Unterredung mit Lurco


    Lurco musste Octavius' Officium schon vor längerem passiert haben, als sich Menecrates dazu aufraffen konnte, das Vorzimmer zu betreten. Er wirkte ernst und müde. Dementsprechend kraftlos ließ er sich auf einen freien Stuhl an Frugis Schreibtisch fallen und stützte die Unterarme auf die Platte. Er wollte nicht gefragt werden, daher eröffnete er selbst das Gespräch. In ungewohnter Manier thematisierte er Befindlichkeiten.

    "Wie läuft es denn bei dir? Kommst du mit der Arbeit hinterher oder frisst sie dich auf?" Mit Augenzudrücken konnte man die Fragen auch als rein sachliche wahrnehmen. Immerhin würde zusätzlich die Stimmungslage aus der Antwort hervorgehen.

    Während Purgitius redete, fuhr sich Menecrates erneut über die Stirn und schloss dabei die Augen. Das Gespräch strengte ihn an. Der Optio redete viel und er redete sich auch einiges ein, denn von Ermittlungen gegen ihn war nicht die Rede. Der Präfekt beschloss, das Gespräch zu beenden. Er zeigte ein gequältes Lächeln.

    "Optio Purgitius, wenn ich eine Nachfrage zu deiner Person habe, dann erwarte ich eine Erklärung zum Sachverhalt. Die hast du mir auch gegeben. Was ich nicht erwarte, sind Hinweise, wie ich etwas zu sehen oder wie ich die Situation zu bewerten habe." Durch die Resignation in Mimik und Stimme ließ sich erahnen, dass die erhaltenen Ratschläge nicht unbedingt Freude ausgelöst hatten. Menecrates erhob sich.

    "Wir haben dann alles. Bleib an den Fällen dran und fertige abschließend einen Bericht. Du kannst dann wegtreten." Er wartete, bis Lurco das Officium verlassen hatte. Danach setzte er sich. Sein Blick suchte die Ferne. Wolkenberge türmten sich am Himmel und er sah Momente lang zu, wie sie zogen. Das Gespräch mit Frugi stand noch aus.

    Purgitius mühte sich redlich, den Verdacht der Christennähe nicht auf sich sitzenzulassen, was Menecrates registrierte. Sicherlich wäre es auch im Laufe der Zeit durchgesickert, wenn einer der Soldaten oder Offiziere eine Affinität zu dieser Sekte an den Tag legte. Abtun wollte der Präfekt die Angelegenheit trotzdem nicht, weil jedem in der Castra bewusst sein sollte, dass er Glaubensabtrünnige im Visier behalten würde.

    Bei Purgitius zweifelte er im Grunde nicht. Im Gegenteil: Wer sich derart anstrengte, die aufgekommene Skepsis auszuräumen, demonstrierte Abscheu gegen diesen Glauben. Es wäre dennoch einfältig, einzig Beteuerungen zu glauben, trotzdem beschwichtigte Menecrates mittels Handbewegung.

    "Ich musste nachfragen, weil ich mir in der Sache mit den Christen keinen Fauxpas leisten kann. Sie bedrohen unsere Ordnung und Sicherheit." Rom wurde bereits aus den Angeln gehoben und sie rangen gemeinsam um Schadensbegrenzung. "Stell dir mal folgende Schlagzeile vor." Er hob die rechte Hand und zeichnete die nachfolgenden Worte als imaginären Balken in die Luft. "PU beauftragt gläubigen Christen mit den Ermittlungen gegen die Christianersekte."

    Er lachte auf, obwohl ihn ein Ausrutscher dieser Art zu Fall bringen konnte. Zeit blieb nicht, sich Sorgen zu machen. Er musste abliefern - stets und ständig. Zwar hatte er die Lage im Griff, durfte aber zu keiner Zeit und an keiner Stelle nachlassen.


    "Gut, anderes Thema." Er musste überlegen, denn heute arbeitete er mit dem Kopf und nicht mittels Notizen. Glücklicherweise brachte ihn Purgitius zum vorhergehenden Thema zurück, und der Präfekt nickte zu den Ausführungen, die Übergabe der Akten betreffend.

    "Die Abgabe der Akte Furia bedeutet für dich nur eine Teilentlastung. So leid es mir tut", er hob bedauernd die Hände, "ein Fall rückt nach. Ich weiß, wir arbeiten alle am Limit. Wollen wir hoffen, dass die Aufstockung Entlastung mit sich bringt." Er griff zum Becher und nahm einen Schluck. Anschließend fuhr er sich über die Stirn und spürte, wie angenehm die Hand kühlte.

    "Ich bin dieser Tage auf den offenen Fall 'Püppchen' gestoßen. Eine Befragung in dieser Sache ist mehr als überfällig und da du ohnehin zu Senator Annaeus gehst, könntest du bei der Gelegenheit diese Befragung gleich mit erledigen. Wir müssen uns dringend freischaufeln."

    Menecrates brummte. Er wenig beruhigten ihn die Ausführungen, aber zur Entspannung reichten sie nicht. Er konnte kein Griechisch und sträubte sich dagegen, eine Fremdsprache zu lernen. Vor den Hintergründen des Christenglaubens hatte er sich bisher erfolgreich gedrückt, selbst zu der Zeit der Verbrennungen. Er hatte damals Verus, der ermittelte. Menecrates erhielt die Resultate und das reichte ihm. Im Grunde ähnelte die aktuelle Situation der damaligen, nur dass Menecrates bei Verus sicher wusste, dass der regelrecht stur den römischen Traditionen anhing. Lurcos Haltung hingegen kannte er nicht, das verunsicherte ihn, aber es kam auf einen Test an. Er würde sich einen ausdenken müssen.


    Bereits zur Audienz beim Kaiser hatte Menecrates einen Plan gefasst, den er nur noch ausfeilen musste. Eine Andeutung konnte er aber bereits fallen lassen. "Du wirst deine Haltung gegenüber Christen unter Beweis stellen können. Wenn der Plan steht, gibt es einen Aushang." Ob Menecrates wirklich einen Aushang anbringen würde, blieb dahingestellt. Erfolgreiche Zugriffe benötigten den Überraschungseffekt. Er musste alles bis ins Kleinste durchdenken.


    "Gut, haben wir noch was?" Er hatte noch mehr auf dem Zettel, aber seine Gedanken drifteten immer wieder zurück zur Prioritätenliste. Die Situation mit den vielen wartenden Fällen machte ihn unzufrieden. Bereits morgen konnte Optio Furius überstellt werden und dann gäbe es ein Problem.

    "Planänderung! Ich werde die Untersuchung der Casa Furia an Cornicularius Octavius übertragen. Er verfügt über Kapazität." Die Ermittlungen im Fall der getöteten Vestalin standen kurz vor dem Abschluss, zumindest was die Befragungen anging. Für den Rest der Aufklärung wollte Menecrates sorgen, denn das stand außerhalb von Frugis Möglichkeiten. "Die Einführung in den Fall müsstest du vornehmen. Cornicularius Octavius verfügt über keinerlei Vorkenntnisse." Der Präfekt hielt Frugi dennoch für den besseren Mann, weil sich einerseits die Fälle bei Purgitius stapelten und der andererseits auch nicht vorwärts kam.

    Gracchus' Sichtweise, die verschieden gelagerten Fremdländer betreffend, fand Menecrates interessant. Derart detailliert hatte er diesen Bevölkerungsteil noch nie betrachtet. Er pauschalisierte sie häufig. Nur wenn er gezwungen war, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, machte er sich Gedanken und konnte die Einteilung sogar erweitern.

    "Obwohl ich es wie du sehe, dass sie fordernd die Hand aufhalten, aber nichts geben, habe ich im Zuge der Umsiedlungen für den Bau der ersten Station vereinzelt auch andere erlebt. Ein zugegeben kleiner Teil von Ihnen zog nach dem Verlust des Wohnraums oder auf unseren Aufruf hin in die Castra Vigilum. Rom bietet ihnen Möglichkeiten, etwas zurückzugeben, aber ein Auskommen auf der Basis illegaler oder krimineller Machenschaften scheint den meisten mehr zu liegen." Seine Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten, bevor er mit dem Anflug eines Grinsens weiter sprach.

    "Im Gespräch mit deinem Sohn habe ich geflachst und vorgeschlagen, statt das Pomerium mit Soldaten zu füllen, lieber sämtliche Fremdländer aus dem Gebiet zu schaffen. Meinetwegen könnten wir die straffällig gewordenen auch sofort eliminieren." Den letzten Satz meinte er ernst, das Grinsen war verschwunden.


    Die Bemerkung zur Bauplatzweihe quittierte er mit einem Nicken. Er musste an seinem bisherigen Vorgehen nichts ändern, was ihn beruhigte, wenn er an zurückliegende Grundstücksweihen dachte.

    Natürlich leuchtete ihm auch die nachfolgende Erklärung zur besonderen Weihe eines Gebäudes ein, das im Konflikt mit sakralen Gesetzen stand. Umso mehr freute ihn die Zusage, dass Gracchus das Collegium informieren und Vorkehrungen treffen wollte. An dieser Stelle konnte sich der Praefectus Urbi entspannen, was ein schöner Abschluss für die Erörterungen bedeutete. Er atmete einmal tief ein und fühlte sich entlastet.


    Als Gracchus eine weitere Angelegenheit in Bezug auf die Sicherheit der Stadt erwähnte, wandte Menecrates wieder den Kopf zu ihm, ohne den Spaziergang zu stoppen. Bisher war er dabei noch nie gestolpert, was hoffentlich auch so blieb.

    Die Aufklärung zum Thema folgte prompt und für Menecrates schloss sich damit der Kreis, was Gracchus nicht ahnen konnte. Ihr eingangs wortlos kommunizierter Mordfall ging mit immer größer Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf das Konto von Christen. Der Präfekt wandte den Blick wieder ab und musterte stattdessen das Pflaster, bevor er antwortete.

    "Ich hätte Lust, auch diese Plage aus unserer Stadt zu entfernen." Er fügte in Gedanken an: 'Dieses Mal vollständig und nicht nur partiell wie während meines Consulats.' Das Wort 'Christen' in den Mund zu nehmen, kostete Überwindung, also unterließ er es. Der Wind frischte auf, was seinem Gemüt gut tat.

    "Sie sind nicht nur lästig, sie sind auch kriminell - bestes Beispiel der Sklavenaufstand - und möglicherweise gehen noch mehr Taten auf deren Konto. Wir stecken mitten in Ermittlungen." Allerdings konnte er darüber nicht aufklären, zumal der Verdacht zwar erhärtet, aber noch nicht bewiesen war und die Entscheidung des Kaisers noch aus stand.

    "Sie lehnen unsere Götter ab und legen sich mit dem gesamten System an. Wir haben viel zulange zugesehen. Sie werden immer dreister."

    Nach einer Gedankenpause fügte er an: "Du wirst einen Grund haben, weswegen du mich ansprichst, und ich vermute, es geht dir nicht um meine Meinung zum Decretum."

    Der Spruch über schlechte Kleidung konnte auch von Lepidus stammen, daher schmunzelte Menecrates. Die aktuelle Sicherheitslage in Germania konnte er hingegen nicht beurteilen, da er zum einen über keine Informationen verfügte und zum anderen vollständig von der wankenden Sicherheitslage in Rom in Beschlag genommen war. Das allein brachte ihn mitunter an Grenzen. Pius führte wie zur Bestätigung aus, dass die Reise in einer verlässlichen Gruppe stattfinden würde, weswegen Menecrates doch wieder an Schneefälle und Kälte dachte, bis der Name seines Neffen fiel. Er erstarrte und hob erstaunt die Brauen.

    "Victor?" In Windeseile durchforstete Menecrates seine Erinnerung, ob der Neffe diesbezüglich eine Andeutung hatte fallen lassen, musste aber verneinen. Er schluckte, bevor er weiter sprach. "Sein Vater ist in Germania gefallen. Ich kann den Jungen hier nicht anbinden, aber", er seufzte und strich sich durch die Haare, "Germania in Kombination mit Victor weckt bei mir automatisch die Erinnerung an den Bürgerkrieg." Stellas Auftreten hatte er für den Moment vergessen. Er wandte sich an Lepidus, wiegte den Kopf und blickte besorgt. "Wie ist denn dort die Sicherheitslage? Du hast bestimmt mehr Informationen als ich."

    Der Blick in den Becher versprach Halt, denn es lenkte ab, den Bodengrund zu betrachten. Gleichzeitig bot es Gelegenheit nachzudenken, was schwer genug war, weil ein Sklave den Blick fehlinterpretierte und Menecrates auf seine Wünsche hin ansprach. Er schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand. Immerhin landete erst vor Augenblicken der Inhalt eines ganzen Bechers in seinem an Säure nicht gewohnten Magen. Er hob selbst dann nicht den Blick, als Lepidus ihn aufforderte, sich keine Gedanken um die Pietät zu machen. Stattdessen lachte er auf.

    "Das sagt sich so leicht." Er zuckte die Schultern und fügte an: "Das Unangenehme der Situation ist das eine, aber in unseren Kreisen wird generell auf das Auftreten geachtet. Jedes Benehmen daneben macht es mir schwerer, für mein Mündel eine standesgemäße Ehe arrangieren zu können."

    Menecrates wurde aus den Gedanken gerissen, als Lepidus sich mühte aufzustehen. Er blickte auf, um den Grund zu erfahren, da entdeckte er einen jungen Mann, der zu Hilfe eilte. Das Ausmaß der körperlichen Beeinträchtigung seines Freundes schmerzte den Claudier fast körperlich. Wie musste es sich erst als Betroffener anfühlen. Gleichzeitig fragte sich Menecrates, warum Lepidus aufstand. Nach seinem Dafürhalten besagten die Höflichkeitsregeln anderes. Ältere musste niemals aus Wertschätzung gegenüber Jüngeren aufstehen, es sei denn, die Jüngeren besaßen einen deutlich höheren Rang. Ältere durften sitzen bleiben. Selbiges tat Menecrates, als ihm Pius vorgestellt wurde.

    "Ich freue mich, dich kennenzulernen, Pius. Dein Vater hält große Stücke auf dich." Dass er regelrecht schwärmte, wollte Menecrates nicht erwähnen, damit keine seltsame Stimmung aufkam. Andererseits ließ Lepidus seine Freude über den gelungenen Sohn deutlich erkennen. "Germania ist um diese Jahreszeit nicht das Beste aller Reiseziele. Ich hoffe, du bleibst von stärkeren Wetterunbilden verschont."

    Es erleichterte Menecrates, den Magistrat mit seiner schlecht kontrollierten Belustigung nicht vor den Kopf gestoßen zu haben. Sein Besucher nahm das Amüsement gelassen, das aus Menecrates' Sicht trotz allem unverzeihlich war. Sie führten ein Dienstgespräch und keine private Unterhaltung. Die hohen Selbstansprüche des Claudiers in Bezug auf Höflichkeit gerieten vermutlich bereits ins Wanken, als Seius Ravilla unpünktlich erschien und zügig durch das Vorzimmer marschierte. Der Vigintivir wirkte verpeilt. Sein äußeres Erscheinungsbild und die Sorge um die körperliche Unversehrtheit taten ihr Übriges.


    Der Praefectus Urbi kannte die Gedanken seines Gastes nicht, daher konnte er ihm auch nicht erläutern, warum er in diesem speziellen Fall die Angehörigen als über jeden Zweifel erhaben betrachtete. Er verließ sich ganz auf die Einweisung seines Offiziers, der wissen müsste, dass Iulia Stella als Vorzeigerömerin galt, die sich bestenfalls mit Frauen traf und abseits der Politik aufhielt. Ihr inzwischen angetrauter Gatte weilte zum Zeitpunkt des Attentats in Germania und kam erst recht nicht in Frage. Es lagen noch keine Beweise vor, aber im Verdacht stand die Krähenbande. Hilfreich wäre es, die beiden Sklaven zu finden, die als erste das Opfer bzw. die beiden Opfer sahen. Menecrates driftete gedanklich ab und rief sich zur Ordnung.


    "Ich bin nicht sicher, ob sich aktuell jemand im Anwesen der Iulii aufhält, den du befragen kannst. Zunächst benötigen wir den Zugang zur Casa, weswegen ihr als erstes die Casa Annaea aufsuchen werdet. Dort wohnt Iulia Stella. Ich denke, du wirst sie vor Ort befragen müssen. Es sei denn, sie kann Zeit erübrigen und begleitet euch in die Casa Iulia. Sei flexibel, improvisiere. Denke voraus, aber auch quer. Verknüpfe selbstständig und entwickle Strategien. So in etwa sind meine Erwartungen." Er lächelte ohne jede Belustigung, denn er erhoffte sich Ergebnisse.