Die Kondition des Claudiers ließ zu wünschen übrig. Die vermehrte Arbeit im Sitzen, aber vor allem die Untätigkeit während seiner Erkrankung, hatten einen kolossalen Einbruch der körperlichen Leistungsfähigkeit zur Folge gehabt.
"Ich muss was tun", gestand er ein, während er sich die schmerzende Seite hielt. "Ab sofort setze ich eine Stunde Training auf den Tagesplan. Das kann den Offizieren auch nicht schaden und den Mannschaften sowieso nicht." Er plante es versetzt, damit der Streifendienst ungestört verlief.
Zu einem kleinen Teil hielt er sich an Lepidus fest, aber in der Hauptsache machte er sich große Sorgen, dass der Freund floh, was üble Folgen haben würde. Als Aemilius kurz darauf Menecrates' verkrampfte Hand tätschelte, schaute er demzufolge ungläubig und irritiert.
Der Claudier, der den Wolf auf Handzeichen trainiert hatte, hob die Hand und verharrte mit ihr in der Luft. Die Geste übermittelte Verschiedenes: Sie sollte beschwichtigen und eine abwartende Haltung einfordern. Der Wolf gehorchte generell nur in Maßen und tagesformabhängig. Eine Gefahr stellte er trotzdem nicht dar, solange sich ein Fremder nahe bei seinen Bezugspersonen aufhielt und nicht fortrannte.
Menecrates' Staunen wuchs, als sich Lepidus instinktiv richtig verhielt und den Blickkontakt mied. Zum Glück schickte der auch geistesgegenwärtig die herbeieilenden Sklaven fort
"Bei den Göttern, du meidest Gras fressende Pferde, aber ein Raubtier schreckt dich nicht?" Halb lachend, halb verwundert stieß er die Worte aus. Er wusste, dass Tiere sich von der Atmosphäre leiten ließen und wo keine Spannung in der Luft lag, beruhigten sich auch ein Wolf relativ schnell. Dies gab Gelegenheit, Lepidus' Ausführungen und anschließend ihm selbst zu folgen.
"Nein, ich frage mich eigentlich nicht, warum. Ich weiß, ich tu das alles für meine Familie", antwortete Menecrates. "Aber ich weiß, worauf du hinauswillst: Die Familie ist entweder nicht vorhanden oder hat andere Pläne." Manche Nachkommen verfolgten auch keinerlei Pläne.
Lepidus offenbarte mehr über seine Kinder und der Claudier hörte zu. Er nickte verstehend, weil es ihm ähnlich erging. Offensichtlich stellte seine Familie keine Ausnahme dar, was ihn mit der eigenen Situation etwas versöhnte.
"Mir ist schon öfter zu Ohren gekommen, dass sich die ältesten Kinder zu den Besseren entwickeln. Das kann doch kein Zufall sein. Sind wir bei ihnen die besseren Eltern?" Auch sein ältester Sohn war von allen am weitesten gekommen. Er bemerkte einen Moment später, dass Lepidus anhielt und drehte sich zu ihm. Wieder beobachtete er instinktiv richtiges Verhalten gegenüber Ulf.
"Kennst du dich mit Wolfartigen oder mit Hunden aus?" Die Hand zum Schnüffeln hinhalten galt als perfekt, anstelle solch unüberlegter Dinge wie über den Kopf streichen. Kein Wildtier duldet diese Geste.
"Wusstest du, dass ein Wolf krank wird, wenn man ihn analog einem Hund füttert? Wölfe schlingen große Mengen und fressen zeitweise lange nichts. Die Regelmäßigkeit der menschlichen Fürsorge macht sie tatsächlich krank."
Als Ulf abdrehte, sprach Lepidus weiter. Wieder nickte Menecrates. "Söhne, die zu Freunden werden, sind das Beste, was einem Mann passieren kann", urteilte er voller Überzeugung. "Auf solches Fundament lässt sich bauen." Gern wäre Menecrates in dieser Stimmung verweilt, aber zwei Aussagen geisterten noch durch seinen Kopf und er betrachtete den Freund.
"Im Gegensatz zu dir", wiederholte er Lepidus' Worte. "Welchen Leidenschaften hängst du nach, wenn ich fragen darf?" Ihm fielen Frauen, Alkohol und mit etwas Fantasie Spielsucht ein. Seine Brauen rückten nach oben und drückten Neugier aus. "Oder sprichst du von früher?"