Man hatte ihn angerufen, die Riten waren vollzogen, dass Opfer von vorzüglicher Güte. Genauer gesagt, war es die Gens Annaea gewesen, welches das große Opfer zu den Equirria durchgeführt hatte.
Die Männer Roms waren auf dem Marsfeld aufgezogen, um seinem Namen zu huldigen. Schreiend und mit dem Blute eines anderen befleckt hatten sich einst alle von ihnen ins Leben gekämpft und genauso verließen es die Besten von ihnen wieder in seinem Namen.
Blut.
Mit Blut schrieb der Gott des Krieges und der Rache seine Geschichte und lenkte die Geschicke seiner Anhänger. Nur wer bereit war selbst zu bluten, konnte das seiner Feinde vergießen. Und so blutrot wie manchmal die Gedanken seiner Getreuen werden mussten, so war es auch eine unumstößliche Regel, dass man manchmal die Welt mit dieser Farbe streichen musste.
Blut.
Wesentlich mehr als ein Stoff der alles am Leben erhielt, ein nonverbales Versprechen, ein Gebet an ihn Mars.
Dargereicht wurde ihm die tönernen Abbilder eines Gladius und des Scutum. Nicht nur den Tempel hatte der Mann betreten, der ihm diese Opfergaben darbot, nein er war ins Heiligtum selbst eingetreten. Stillschweigend betrachtete Mars diesen Mann, der die Voropfer mit allem gebotenem Respekt und der dazugehörigen Vorsicht auf dem Altar ablegte.
Ultor wie man Mars auch nannte, lauschte dem stummen Gebet dieses Mannes, der all jene Mühen auf sich genommen hatte um ihn heute zu preisen. Und so wie sich Lucius Annaeus Florus Minor erinnerte, so erinnerte sich auch Mars. Allerdings erinnerte sich der Gott an wesentlich mehr, Dinge die sein Anhänger niemals erfahren würde, Dinge die sich dank seiner schützenden Hand niemals zugetragen hatten.
Dieser Mann der dort in stiller Andacht zu ihm betete, hatte den Hauch einer Ahnung davon, weshalb seine Dienstzeit derart verlaufen war, wie das Schicksal seinen Lauf genommen hatte. Nun nicht alles lag in der Hand des Gottes und nicht überall schritt er ein. Manches muss, ja sollte geschehen. Anderes wiederum unterlag seiner eigenen Zeit, seinem eigenen Streben und manches verlangte seine direkte, unmittelbare ja seine sofortige Hilfe.
Dinge die ein sterblicher Verstand niemals erfassen würde, sie aber auch nicht erfassen musste. Seine Getreuen dachten in Jahren und Jahrzehnten, der dachte in Äonen.
Gleich mit Lucius Annaeus Florus Minor verließ Mars den Tempel und sein Blick schweifte über die Menge die sich zu seinen Ehren versammelt hatte. Ein erhebendes Bild, auch für einen Gott. Der Opferstier war in Ketten geschlagen, ein prachtvolles Tier, bar jeden Zweifels. Dann wurde es still, bevor die Musik einsetzte. Weitere unblutige Opfergaben folgten, die Mars am Rande zur Kenntnis nahm. Es waren freundliche Aufmerksamkeiten um jene des Ultor zu erringen.
Der Stier wurde in seinem Namen geweiht und von seiner Zierde befreit. Zierde, dargeboten um zu gefallen, das Blut war das tatsächliche Opfer und es musste fließen. Noch floss die Mola Salsa über das mächtige Tier, dessen Flanken sich hoben und senkten. Nun war es soweit. Lucius Annaeus Florus trat an den schwarzen, geweihten Stier heran und dem Manne wurde das Opfermesser gereicht und wahrlich, er nutzte es gekonnt und führte die Klinge zum großen Gefallen des Kriegsgottes.
Annaeus sprach mit Inbrunst zu ihm und das Gebet erreichte mehr als nur das Ohr des Gottes.
Die Zeremonie wurde fortgesetzt, der Hammer fuhr nieder auf den Schädel des mächtigen Stieres. Das Tier brach nach einem Moment zusammen . Servius Annaeus Vindex war es, der dem Tier die Kehle durchschnitt.
Blut.
Als das Blut heiß und dampfend aus dem Körper des Stieres floss, spürte Lucius Annaeus Florus Minor schlagartig eine fremde Präsenz in seinem Bewusstsein. Gedanken, Bilder, Erinnerungen und Wahrnehmung von solcher Intensität, dass es den Mann fast in die Knie gezwungen hätte. Doch er ging nicht in die Knie, denn etwas Uraltes und unvorstellbar Mächtiges hielt ihn fest auf den Beinen.
Für den Bruchteil eines Moments wurde Annaeaus der Hauch eines Blickes auf die Unendlichkeit gewährt. So prächtig, ergreifend und den menschlichen Verstand übersteigend, dass es ihn in den Festen seiner Seele erschütterte und er den inneren Blick davon abwenden musste.
Und er wusste mit unerschütterlicher Gewissheit, es war Mars der in seinen Geist zugegen war.
Diese uralte, mächtige Gottheit hatte sich mit ihm verbunden. Es war angst- ja respekteinflößend mit einem derartigen Geschöpf verbunden zu sein. Aber Lucius Annaeus Florus Minor spürte noch etwas. Von Mars ging nichts Bedrohliches für ihn aus. Mehr noch, Ultor hatte sich ihm und seiner Gens mit absolutem Wohlwollen zugewandt und Minor hatte er sich persönlich offenbart.
Und Annaeus wusste die Bande zwischen Mars und Rom waren erneuert und mit Blut besiegelt worden.
Einen Augenblick später war er in seinem Bewusstsein wieder allein, der Nachklang der göttlichen Berührung hielt allerdings noch einige Augenblicke an. Keine Berührung eines unsterblichen Wesens konnte schnell verblassen.