Beiträge von Narrator Italiae

    Die Priester und ihre Gehilfen nahmen ihre Positionen ein. Kurz darauf hob der sacerdos die Hand und bedeckte seinen Kopf mit einem Zipfel der weißen toga, die er trug. Das Messer hielt nun einer der Opferhelfer in der Hand. "agone?" fragte jener den Marspriester mit demütig gesenktem Haupte. Und der sacerdos antwortete mit dem erforderlichen "age!"


    Dem Stier wurden daraufhin mit einem Stiersollsturzstellenverursacher in Form eines kleinen Beils die Sehnen der Hinterläufe durchtrennt. Nun haltlos, knickte er ein und stürzte auf die Sollsturzstelle. Schon ergriff ein weiterer Opferdiener den mächtigen, goldgehörnten Kopf des Tieres und führte einen sauberen Schnitt durch den Hals durch. Dem Tier blieb keine Zeit für eine Reaktion. Es brach endgültig zusammen, sein Blut in eine flasche Schale ergießend, die gehalten wurde von zwei weiteren Opferhelfern. Nicht lange wartete der sacerdos martialis, bis er erneut hinzu trat und mit seinem Opfermesser die Bauchdecke des toten, noch warmen Stieres auftrennte. Mit größter Sorgfalt untersuchte er die verschiedenen Organe und studierte eines nach dem anderen aufs Genaueste. Man konnte dieser Tage nie umsichtig und sorgfältig genug sein, wenn es herauszufinden galt, ob ein Gott das Opfer annahm oder es ausschlug.



    Fabius Antistes sah die Salier von weitem. Dann betrat er jenen Platz, auf dem er sich nur an wenigen Tagen im Jahr aufhalten durfte - ungeachtet der Tatsache, dass er in den heutigen Tagen seine Bedeutung nahezu verloren hatte. Im Vorbeigehen zwinkerte er Gracchus, den er aus dem Collegium Pontificium kannte, zu. Dann stand er vor dem kleinen Altar.


    Die Opferdiener hatten alles vorbereitet. Der Rex Sacrorum musste lediglich das Eröffnungsgebet beten, dann konnte er auch schon den Weihrauch auf die glühenden Kohlen werfen. Während der Duft sich auf dem Comitium verbreitete, betrachtete Antistes den Platz. Seit seinem letzten Aufenthalt schien sich nichts verändert zu haben.


    Das Voropfer wurde vollzogen, dann folgte das Hauptopfer. Zu Ehren der alten Göttertrias hatte man zwei weiße Stiere, sowie einen weißen Ochsen für Quirinus vorbereitet.


    Den Tieren wurden die Wollbinden abgenommen, dann auch die Decken entfernt. Langsam strich der Rex Sacrorum mit seinem Messer über die Rücken der Tiere. Einer der Stiere schnaubte - das Messer war sicher nicht sonderlich warm auf dem Rücken! Glücklicherweise wirkten jedoch die Kräuter und das Tier blieb ruhig.


    Im Anschluss reinigte er sich die Hände und begann mit dem Opfergebet. Die drei Schutzgötter Roms wurden um Beistand für das Reich angefleht, man bot ihnen die drei Rinder und weitere Opfer an, berief sich auf bisherige Opfer und pietas. Schließlich endete Antistes und blickte zu den Opferdienern, die bereits die Tiere am Boden befestigt hatten und auf sein Zeichen warteten.


    "Age!"


    befahl er rasch. Alle drei Tiere sanken hinab, als man ihnen die Sehnen durchschlug und sofort danach den Todesstoß gab. Wie üblich wurde das Blut aufgefangen, die Innereien herausgenommen und an einen Haruspex weitergegeben.


    Unterdessen bereitete sich Antistes auf seine Flucht vor...




    Am Tempel des Mars Ultor vorbei war die Prozession gezogen, vorbei am campus martialis, auf der Via Flaminia den stattlichen, rot eingefärbten Stier zu seiner Bestimmung geleitend. Vereinzelte Sonnenstrahlen ließen die von wollenen Binden umgebenen Hörner und auch die Hufe des Tieres glänzen wie ein frisch polierter Brustpanzer. Als die Prozession schlussendlich auf dem vorbereiteten Platz ankam, waren auf den angrenzenden Tribünen bereits viele Besucher versammelt, um der öffentlichen Opferung beizuwohnen.


    Das letzte Hindernis stellte eine nicht besonders steile Rampe dar, welche auf die spina hinaufführte. Hier hatte man den Opferaltar aufgebaut, damit die Besucher des circus maximus eine gute Sicht auf die Prozedur haben würden. ministri besprenkelten bereits die Involvierten, während der herrlich gerötete Stier bereits an seiner Endposition mittels eines großen Hakens angekettet wurde. Nicht lange danach war ein recht lautes „favete linguis!“ zu vernehmen, woraufhin das allgemeine Gemurmel und die Wettrufe aus den Zuschauerrängen baldig verstummte. Ein stämmiger sacerdos in den besten Jahren, welcher dem cultus martialis angehörte, wusch sich bedächtig seine Hände und trocknete sie mit dem angereichten malluium latum Hernach trat er vor, hob die Hände und sprach die rituellen Darbringungsworte. tibicines setzten mit ihrem Flötenspiel ein, und der Priester ließ sich ein Töpfchen mit mola salza reichen. Im Hintergrund verbrannte leise knisternd eine Weihrauch-Kräutermischung. Nachdem der Stier die rituelle Reinigung hatte über sich ergehen lassen, griff der Priester nach seinem Opfermesser und strich dem ruhigen Tier vom Kopf zum Schwanz. Unter der Berührung fielen auch die wollenen Binden. Nun trat ein weiterer Priester hervor, ein jüngerer, welcher dementsprechend ein wenig aufgeregter war. Er hob die Hände, entrollte ein stattliches Pergament und sprach mit vernehmlicher Stimme das Opfergebet.


    "Mars Ultor, du siegreicher Rächer des populus romanum! Dies ist dein Tag, der dir zusteht, und er soll dir zur Ehre gereichen. Ein Festtag, an dem zu deinen Ehren ein Wettkampf zwischen deinen Söhnen stattfinden wird. Göttlicher Mars, siegreicher Mars, schenke deinen Söhnen Mut und Stärke, damit sie an deinem Tage ehrenvoll für dich in den Kampf ziehen. Um dich zu ehren, oh Mars Ultor, und um die Feinde deines Volkes daran zu erinnern, dass kein Vergehen an deinen Söhnen ungerächt bleibt durch dich! Nimm diesen Tag, wie es dir zusteht, mächtiger Rächer des pater patriae, oh Mars Ultor!"


    Als der junge Mann die Rolle nach einigen Herzschlägen wieder zusammenrollte, zitterten seine Hände ein wenig. Er glaubte fast, die Präsenz des mächtigen Mars zu spüren…

    Gemächlich, gleich einer feingliedrigen Raupe, auf deren Körper die Couleur der Rinder sich wie farbige Flecken abzeichnete, mit welchen sie gedachte, ihr feindselig gesonnenes Getier abzuschrecken, bewegte der Senatorenzug der lustratio such durch die ewige Stadt, entlang der altehrwürdigen Grenzen des pomerium, andächtig bestaunt oder freudig bejubelt von den neugierigen Zuschauern, welche entlang des Weges sich zahlreich hatten versammelt. Manch einer ließ dort sich bequem auf den steinernen Sockel einer Statue, einen Grenzstein, eine Mauer oder manche auf eigens herbeigeschaffte Bestuhlung nieder - an einigen Stellen hatten gar findige Geschäftsleute Bänke aufgestellt und vermieteten die Plätze darauf - und wer zu jenen Glücklichen gehörte, die eine Behausung am Wegesrand bewohnten, hatte sich Freunde, Klienten und Patrone geladen, um ihnen jenen exklusiven Blick auf die staatstragenden Persönlichkeiten des Reiches bei einem Becher deliziösen Wein und einer kleinen Auswahl exquisiter Speisen zu bieten, während vor und nach dem Defilieren ebenfalls zum Wohle der Götter geopfert und jene fetiert wurden - denn auch das Volk trug Sorge ob der pax deorum.


    In den Reihen der Senatoren dagegen waren nach einigen Stunden die Spielarten verschiedenster menschlicher Regung zu beobachten, kaum einer, welcher noch stoische Gelassenheit auf seinem Antlitz präsentierte. Apathische Atemlosigkeit, bestrebte Beharrlichkeit, sekkanter Schmerz, verzweifelte Verbissenheit, exhaustive Erschöpfung, aufopfernde Anstrengung, persönliche Pein, langatmiges Leiden, körperlicher Kraftaufwand, seelische Strapaze und anhaltende Anspannung waren nur einige der Emotionen, welche sukzessive dem ein oder anderen Senator geradezu in seine Miene gemeißelt war, insbesondere in jene, welche nicht mehr nur von anhaltenden Sorgen in Falten wurden gelegt, sondern aufgrund des Alters bereits dauerhaft dieserart geprägt waren. Als am Fuße des Esquilin die Rinder zu einer kurzen Pause wurden abgesetzt, hatte es beinahe schon den Anschein, als würde der ein oder andere die Entsühnung nicht vollenden können.

    Sim-Off:

    Ich bitte die leichte Verspätung zu verzeihen


    Es war Februar geworden und erneut war jenes uralte Ritual an der Reihe, das man seit der Flucht der Könige dreimal im Jahr zu Ehren der Götter vollzog. Wie jedes Jahr waren auch die Salier zu diesem Ereignis geladen, wie üblich waren auch die Salier anwesend, um ihren Tanz zu zelebrieren.


    Fabius Antistes hatte in letzter Zeit alle Hände voll zu tun gehabt - die Opferhandlung für die Lustratio war äußerst aufwändig gewesen und nun war wieder große Eile vonnöten, wenn er nach diesem Opfer fliehen musste, um jeglichen Anspruch auf politische Bestimmung symbolisch aufzugeben.


    Wie bei einem Opfer üblich hatte man einen Klapp-Altar auf dem Comitium errichtet, dazu diesen traditionellen Ort der Volksabstimmungen geschmückt. Die Opferhelfer waren bereits erschienen, nur der Rex Sacrorum selbst wagte sich nur so kurz wie möglich auf den Platz und stand abseits, geschützt durch seine Liktoren, auf dem Forum, das noch nicht zum Comitium zählte.

    Tatsächlich war er nicht gereizt - im Gegenteil, er war gut aufgelegt. Sein einziges Problem war die drückende Blase, die ein längeres Gespräch mit ihm verhinderte. Also war eine schnelle Entscheidung gefragt...


    "Ehm...sollte die Schola diese Dissertation gestatten, würde ich es dir gestatten, die Regia in Begleitung eines Mitglieds des Cultus Deorum zu besichtigen."


    antwortete er daher schließlich und gab seinen Sklaven das Zeichen, möglichst rasch die Sänfte herbeizuholen.




    Der Rex Sacrorum sah Lucanus kritisch an. Hätte er darum gebeten, seine Domus Publica zu vermessen, hätte er sofort abgelehnt - nicht dass noch Einbrecher an die Pläne kamen! Aber im Falle der Regia...


    "Nun, wie du schon sagtest, das Heiligtum der Ops ist in jedem Falle tabu. Hast du dich denn schon mit dem Rektor der Schola Atheniensis abgesprochen?"


    Es lag im Interesse des Fabius Antistes, den jungen Mann möglichst schnell abzuwimmeln, denn wie bereits gesagt: Er befand sich gerade auf dem Weg zur Latrine! Abgesehen davon hatte er wenig für Wissenschaft übrig - für ihn zählten eher handfeste Dinge wie 'Do-ut-des' oder die Verfolgung der Politik!




    Maturus avis capit vermis - Der frühe Vogel fängt den Wurm. Diesem Motto folgte Fabius Antistes streng, daher hatte er gleich, nachdem er seine Klienten begrüßt hatte, seinen Weg in die Regia angetreten und konnte so noch vor dem jungen Lucanus an seinem Arbeitsplatz ankommen.


    Zuerst ließ er sich wie üblich die anfallenden Anfragen und Tagespost vorlesen und die ersten Antwortschreiben und Gutachten erstellen, doch dann tauchte ein junger Bursche auf, als er gerade den Weg zur Latrine nehmen wollte (natürlich die in seinem eigenen Hause).


    Er blieb überrascht stehen und da heute so schön die Sonne scheinte und er gute Laune hatte, erwiderte er freundlich.


    "Mit dem sprichst du! Was führt dich zu mir, Bürger?"




    Mit schwerer, behäbiger - und anlässlich der kürzlich in Rom eingetroffenen nachricht vor allem dunkler - toga trat ein hagerer Vertreter des cultus deorum auf das forum romanum, welches nach tüchtigem Einsatz der Prätorianer wieder weniger frequentiert war. Er erklomm ein kleines, eigens für Ankündigungen jedweder Art vorgesehenes Podest, klappte sein Wachstäfelchen auf und begann, mit erhobenem Arm laut und deutlich zu proklamieren.


    "Ihr Bürger Roms, ihr Plebejer, Ritter, Patrizier und Senatoren! AUDITE!
    Die parentalia stehen bevor. Magistrate und Senatoren sind angehalten, ihre Amtszeichen abzulegen. Freudige Feiern sind untersagt. Sämtliche Tempel werden während der kommenden neun Tage geschlossen bleiben. Findet euch alle zum Opfer der virgo vestalis maxima ein, morgen zur hora sexta vor dem Tempel der Vesta! Schmücket die Ruhestätten eurer Ahnen, gedenket den divi parentes und kredenzt ihnen ein würdiges Mal in eurer Mitte."


    Dass man Salz, Wein und Brot parat halten und im Hause aufstellen sollte, um die umtriebigen Geister der Verstorbenen zu besänftigen, sollte jedem Römer klar gewesen sein, ebenso wie es übrig war, vielerlei Kränze im Haus zu verteilen. Zur Sicherheit wiederholte der Ausrufer nochmals einen Teil seiner Worte, ehe er seine Tafel zuklappte und von der Stufe trat, um anderenorts das Volk an diese wichtigen Tage zu erinnern.


    "Kommt morgen, zur hora sexta, zum Tempel der Vesta, um dem Opfer der virgo vestalis maxima beizuwohnen."



    Allmählich waren die Senatoren in zehn Gruppen aufgeteilt, so dass ein Sacerdos begann, die Gruppen den einzelnen Rindern zuzulosen. Jene großen Senatoren - in körperlichem Maße gesprochen - um Vinicius und Purgitus wurden um die Bahre mit der roten Kuh darauf herum aufgestellt, jenes Mittelmaß, Tiberius, Octavius und Flavius inkludierend, um eine Bahre, auf welcher der rote Ochse thronte, Senator Germanicus' Grupppe erwischte den schwarzen Ochsen. Aufgrund der Ankündigung, dass auf halbem Wege ein Wechsel der Seiten würde stattfinden, entbrannte kaum Zwist zwischen den Senatoren, wer an welcher Seite solle zuerst angreifen. Als endlich die Prozession war aufgereiht - zwischen den einzelnen die Rinder tragenden Bahren wurden Götterbilder, Standarten aus Holz, Eisen oder Bronze, die in der späteren Zeremonie verwendeten Kultgefäße und Gegenstände, Blumengirlanden und Weihrauchschwenker durch nicht senatorische Pontifices, Sacerdotes und weiteres Kultpersonal mitgeführt - trat der Rex Sacrorum an die Spitze des Zuges. Erneut drang die Stimme eines Heroldes über den kapitolinischen Hügel hinweg, welcher die Anwesenden aufforderte zu schweigen.


    Fabius Antistes dagegen erhob seine Arme, wandte die Innenflächen der Hände zum Himmel, um sodann seine Stimme zu erheben, während gleichsam hinter ihm Unmengen von Räucherungen auf runden Kohlebecken verstreut und ihr dichter Rauch dem Himmel entgegen geschickt wurden.
    "Götter des Imperium Romanum! Unsterbliche Ewige, endlos umfassende di immortales, gewährt uns die Gunst Eurer Aufmerksamkeit! Di consentes, Schirmherren unseres Volkes, Wahrer unseres Lebens, Euch gebührt unsere Sühne, wie den allgegenwärtigen Göttern, Überirdischen und Unterirdischen und all jenen in allen Welten dazwischen. In tiefer Demut vor der Macht Eures Wesens bitten wir Euch darob, Eure Aufmerksamkeit hin zu wenden auf uns, jene Männer, welche den Staat Rom und sein Volk vertreten, welche für den Staat Rom und sein Volk um Eure Vergebung bitten und um Euer Wohlwollen. Seht hin zu uns, Unsterbliche, die wir auf unseren Schultern tragen, was Euch zum Wohle zu geben sei, die wir uns stellen unter Eure Obhut."


    Die Arme des Rex Sacrorum senkten sich herab und er wandte den aufgereihten Senatoren sich zu.
    "Patres conscripti! Senatoren Roms! Ihr repräsentiert den Staat Rom und sein Volk, an diesem Tage mehr noch als gewöhnlich, denn ihr tragt das Wohl unseres Imperium auf euren Schultern, nur eure Tat kann dazu gereichen, die in Ungleichgewicht geratene pax deorum wiederherzustellen! Geht unermüdlich und stolz erhobenen Hauptes, wie einem Römer dies zusteht, geht reinen Herzens und tragt eure Last reinen Geistes, in Demut vor den di Romanorum!"


    Es war dies das Stichwort der Reinheit, welches Priester um die Opfer und ihre Träger ausschwärmen ließ, mit silbernen Schüsseln voll Wasser und Pinseln aus weißfarbenem Ochsenschwanzhaar ausgestattet, welche die Senatoren mit Wasser besprengten, um symbolisch sie zu reinigen. Hernach endlich war es so weit, tibicines und fidicines spielten auf, dazu wurden Handtrommeln und Schellen rhythmisch im Takte geschlagen, während die Träger der ersten Bahre - mit einem weißfarbenen Ochsen darauf - angewiesen wurden, ihre Last empor zu heben und die pompa zu beginnen.


    Von der Kuppe des kapitolinischen Hügels aus würde der Prozessionszug die Straße hinab zum Kopfe des Forum Romanum ziehen, von dort aus ein Stück die Via Flaminia entlang, um sich sodann, sobald die Grenze des pomerium erreicht würde sein, rechtswendig um dieses herum zu bewegen.






    Mochte Senator Vinicius Hungaricus seine Gedanken auch nicht aussprechen, so war die Vermutung, der Cultus Deorum wolle dem Senat eine Retourkutsche verpassen natürlich einerseits völlig absurd, immerhin liefen nicht wenige der Pontifices als Senatoren selbst in der lustratio mit, andererseits war sie - unter Betrachtung dessen, dass der Ritus unter Mitwirkung einiger nicht-senatorischer Mitglieder des Cultus Deorum war eruiert worden - vermutlich nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, denn nur allzu oft ruhten die Senatores sich auf vergangenen Taten aus und vergaßen darob ihrer gegenwärtigen Pflichten gegenüber den Göttern, weshalb, wenn sie dieser denn einmal nachkamen, jene musste dazu gereichen, all das versäumte aufzuholen - nicht zuletzt hätte ein jeder von ihnen die Möglichkeit gehabt, offen im Senat sich gegen jene Entsühnung auszusprechen.


    Als der Zeitpunkt der Zusammenkunft bereits ein wenig überschritten und somit theoretisch alle Senatoren anwesend waren, stellte der Rex Sacrorum Fabius Antistes sich auf die Stufen des Tempels der kapitolinischen Trias und einer der Herolde des Cultus Deorum trug dafür Sorge, dass die Staatsmänner schwiegen.
    "Favete linguis!"
    Es war dies zwar nicht üblich, jene Worte außerhalb des Opferritus zu nutzen, doch immerhin war dies eine lustratio und wohl jeder Senator würde auf diese Worte reagieren.


    "Ich bitte um Ruhe"
    kündete auch der Rex Sacrorum selbst noch einmal seine Worte an.
    "Senatoren Roms, an diesem Tage habt ihr euch eingefunden, unsäglichen Frevel wider die Götter zu sühnen. Bevor dieser überaus wichtige Ritus seinen Beginn finden wird, lasst mich zunächst einige Worte über den organisatorischen Ablauf verlieren, denn immerhin ist dies kaum ein Ereignis, welches durch alljährliche Begehung Teil unseres Erfahrungsschatzes wäre, gleichsam jedoch ist es eminent wichtig, die traditionellen kultischen Riten und Gepflogenheiten einzuhalten, um ein Gelingen der lustratio sicher zu stellen. Jene unter euch, welche den Zug nur begleiten, jedoch nicht am Tragen der Rinder teilnehmen können, bitte ich, sich vor den Tempel der Fides zu begeben, ihr werdet euch an das Ende der eigentlichen Prozession anschließen. Die anwesenden Helfer des Cultus Deorum werden den übrigen dabei helfen, zehn Gruppen etwa gleich großer Männer zu bilden und jeder Gruppe ein Opfertier zulosen."
    Immerhin bestand trotz allem ein Unterschied zischen dem Gewicht eines jungen Stieres und einer jungen Kuh, obgleich der Cultus Deorum auch hierbei hatte Acht darauf gelegt, dass alle Tiere von etwa gleichem Gewicht waren.
    "Jede Gruppierung soll sich hernach selbstständig noch einmal in zwei Gruppen aufteilen, jene welche auf der linken Seite der Bahre zu Tragen beginnen werden und jene, welche auf der rechten Seite starten. Es sei hierbei erwähnt, dass zur Hälfte des Weges die Seiten gewechselt werden, so dass die Last gleichermaßen auf alle Schultern verteilt sein wird. Im Zuge dieses Wechsels, auf halber Strecke am Fuße des Esquilin werden wir zudem eine Pause einlegen, so dass ihr euch ein wenig ausruhen und erfrischen werdet können. Natürlich ist es unser Ziel, dass auch während der Prozession niemand Schaden nehmen wird, es werden daher zahlreiche Helfer mit feuchten Tüchern und Trinkschläuchen euch begleiten, doch so es euch dürstet, gebt dies in eurer Gruppe bekannt, dass nicht auf einmal alle Hände gleichzeitig loslassen. So ihr bemerkt, dass ein Tier unruhig wird und dies nicht rechtzeitig von einem unserer Helfer erkannt wird, so weist jene darauf hin. Die Reihenfolge in der Prozession, der Abmarsch, die Pause und auch die Rückkehr hier auf das Capitol werden von den Angehörigen des Cultus Deorum organisiert, ich bitte euch darum, ihren Anweisungen folge zu leisten, so dass alles wohlgeordnet von statten gehen wird."
    Der Rex Sacrorum blickte durch die Reihen der Senatoren, immerhin in die Gesichter zahlreicher erwachsener Männer, so dass dies kaum ein Problem würde werden.
    "Sobald sich die Gruppierungen gebildet haben und an den Tragen bereit stehen, die Opfer aufzunehmen, werde ich den Ritus der Weihe und die Zeremonie der lustratio einleiten."
    Den Worten des Fabius folgend, traten die ersten weißhaarigen Männer zum Tempel der Fides hinüber, die Helfer des Cultus Deorum begannen, die übrigen nach Größe zu sortieren und den Bahren zuzuweisen.



    Sim-Off:

    Bitte lasst Euch eigenverantwortlich einsortieren, achtet bei den Gruppen jedoch auf die Größenangaben der einzelnen IDs im Tabularium.



    Der Tag begann, wie ein gewöhnlicher Tag in Rom zu dieser wie auch zu jeder anderen Zeit beginnen musste, wie ein gewöhnlicher Tag auch an unzähligen anderen Orten zu jeder anderen Zeit begann, indem sukzessive das dunkle Tuch der Nacht wurde gelüftet und die Helligkeit des Tages sich über den Himmel hinweg schob, um schlussendlich die Welt gänzlich zu umfassen. Das leuchtende Rund der Sonne schimmerte träge durch eine dünne Wolkenschicht, welche im Laufe des Tages sich durchaus noch mochte zusammenballen, denn vom Ozean im Westen her drängten sich dichte Wolkenfelder aneinander. Möglicherweise jedoch würden auch diese völlig unbeteiligt vom Geschehen unter sich über die ewige Stadt hinweg ziehen, erst weiter im Osten - allfällig auch im Norden, so Zephyrus sich von Notus würde verdrängen lassen -, sich um die Hügel des Landes schmiegen, bis dass derart sie trunken wären vor Nass, dass in kräftigen Schauern sie dort sich würden ergießen.


    Ein gewöhnlicher Tag also in und um Rom, so mochte man meinen, doch nicht so für seine Bewohner. Eine lustratio war angekündigt, ein Sühnopfer, und ein äußerst spektakuläres dazu, da es die Wiederherstellung der pax deorum nach dem Mord an der Virgo vestalis maxima und damit das Wohl des Staates betraf - weshalb dies nicht nur jene tangierte, welche es auszuführen hatten - die Senatoren - sondern gleichsam ebenso die Bevölkerung, sei es aus tatsächlicher Besorgnis um das Gleichgewicht des Friedens mit den Göttern, aus reiner Neugier oder womöglich gar aus Schadenfreude - immerhin sah man nicht oft den Senat sich körperlichen Strapazen aussetzen, und es mochte einige Bürger mehr als nur erfreuen, die so oft gerühmte 'Last der Verantwortung', welche die Staatsmänner zu tragen hatten, einmal ganz bildlich vor Augen zu sehen. Der Weg um das pomerium, den heiligen Bezirk der Stadt herum war daher von Menschen gesäumt wie sonst nur die Straßen an Tagen eines Triumphzuges, allenthalben hatten sich Zuschauer versammelt und warteten auf den Zug. Je nachdem, wo der einzelne sich hatte platziert, würde dies jedoch noch eine ganze Weile dauern, denn längst hatten sich nicht alle Senatoren auf der Kuppe des kapitolinischen Hügels versammelt.


    Gegenteilig harrten die zehn zum Opfer bestimmten Rinder bereits ihres Schicksals, umsorgt von zahlreichem Dienstpersonal des Cultus Deorum. Ihre Hörner und Hufe waren prächtig vergoldet, selbst ohne den Schein der Sonne glänzten sie weithin, um ihre Köpfe waren die infulae genannten Bänder gebunden, welche wie die dorsulae über ihren Rücken aus der besten und reinsten Wolle gefertigt waren, welche man hatte auftreiben können. Ein wenig kurios jedoch war ihr Anblick trotz allem, denn nicht wie gewöhnlich standen die Rinder träge inmitten der Prozession, sie lagen, friedlich auf Gräsern kauend oder mit glasigem Blicke in die Gegend starrend, auf großen Bahren, zu deren Seiten lange Tragestangen befestigt waren, nicht unähnlich jenen gewaltigen, gar Raum-artigen Sänften, mit welchen die ägyptischen Herrscher pflegten sich durch ihre Städte tragen zu lassen. Auf diesen Bahren thronten die Tiere, festgegurtet mit breiten, ledernen Bändern, welche unter den dorsulae verliefen, so dass die Rinder selbst von etwaigem Verlangen geleitet nicht würden sich erheben und möglichst nicht viel sich bewegen konnten, denn bereits eine marginale Positionsänderung würde die unter seiner Last schwer tragenden Senatoren leicht aus dem Gleichgewicht bringen können. Um die Opfertiere herum standen Angehörige des Cultus Deorum, welche bis zum Beginn der lustratio die wie Pendel an Ketten befestigten Gefäße mit Räucherungen schwenkten, welche die Tiere beruhigten und in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachen hielten. Die Senatoren, welche die Opfer indes begutachten wollten, sandte man aus diesem Grunde höflich ein Stück hinfort, auf dass nicht ebenfalls sie in jener rauchigen Umnachtung mochten verloren gehen.


    Manch einer der Senatoren hoffte dabei sicherlich, in einer anderen Welt verloren zu gehen, da er der Tiere angesichtig wurde, manch anderer diskutierte bereits mit dem Nebenmann über die beste Technik, mit welcher die Bahren würden anzuheben sein, wiederum andere dehnten zur Vorbereitung ein wenig die müden Gelenke unter ihren Togen, manche waren blass um die Nase und jammerten noch bevor sie auch nur einen Schritt hatten getan, und einige versuchten trotz der anstehenden Anstrengung einigermaßen würdevoll in ihren Togen repräsentativ herum zu stehen.

    "Seltsam! Seltsam!" In einer fließenden Bewegung hob sich der schönen Proserpina Hand, streckte sich ihr Arm zu perfekter Pose dem Granatapfel am Schattenbaum hin. "Find ich diese Frucht hier? Die mir in den Gärten droben, ach! so lieb war." Sanft umschmeichelte sie die Frucht mit ihren Fingern, umfasste sie schlussendlich und zog sie ab. "Laß dich genießen, freundliche Frucht! Laß mich vergessen alle den Harm! Wieder mich wähnen droben in Jugend, in der vertaumelten lieblichen Zeit, in den umduftenden himmlischen Blüten, in den Gerüchen seliger Wonne, die der Entzückten, der Schmachtenden ward!"
    Die graufarbenen Stoffbahnen wurden langsam hinter der Schönen gelüftet, so dass der blaufarbene Himmel wieder sichtbar ward. Als würde einige Kerne sie aus der Frucht entnehmen, drehte die Proserpina sie, hob ihre Hand, um die Kerne darin zu zeigen und steckte sich diese zum Mund. "Labend! labend!" Genießerisch verdrehte sie die Augen.


    Doch noch ehe die Kaubewegung der Schönen endete, sank das dunkle Tuch erneut herab, ein Zischen tönte hinter den Stoffbahnen hervor, erneut leises Stöhnen und Ächzen.
    "Wie greift's auf einmal durch diese Freuden, durch diese offne Wonne mit entsetzlichen Schmerzen, mit eisernen Händen der Hölle durch!" Entsetzen wand sich über ihre Miene, verzweifelt blickte sie über die Zuschauer hinweg. "Was hab ich verbrochen, daß ich genoß? Ach, warum schafft die erste Freude hier mir Qual? Was ist's? was ist's? – ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken, mich fester zu umfassen! Ihr Wolken tiefer mich zu drücken! Im fernen Schoße des Abgrunds dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen! Und ihr weiten Reiche der Parzen ir zuzurufen: Du bist unser!"


    "Du bist unser!" riefen die Parzen mit hohen Fistelstimmen aus dem Hintergrund hervor. "Ist der Ratschluß deines Ahnherrn: nüchtern solltest wiederkehren; Und der Biß des Apfels macht dich unser! Königin, wir ehren dich!"


    "Hast du's gesprochen, Vater? Warum? warum?" Von Desperation erfasst irrte die schöne Proserpina über die Bretter der Bühne, so herzzerreissend erneut, dass viele Augen mit leidendem Blicke ihr folgten. "Was tat ich, daß du mich verstößest? Warum rufst du mich nicht zu deinem lichten Thron auf! Warum den Apfel? O verflucht die Früchte! Warum sind Früchte schön, wenn sie verdammen?"


    "Bist nun unser! Warum trauerst du? Sieh, wir ehren dich, unsre Königin!"


    O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung, daß ich euch hin verwünschen könnte! O wäre der Kokytos nicht euer ewig Bad, daß ich für euch noch Flammen übrig hätte! Ich Königin, und kann euch nicht vernichten! In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! – so schöpfet, Danaiden! Spinnt, Parzen! wütet, Furien! In ewig gleich elendem Schicksal. Ich beherrsche euch und bin darum elender als ihr alle." Von Wut verzerrt schmetterte die Schöne ihren Schmerz in die Welt hinaus.


    "Du bist unser! Wir neigen uns dir! Bist unser! Unser! Hohe Königin!"


    "Fern! weg von mir sei eure Treu und eure Herrlichkeit! Wie haß ich euch! Und dich, wie zehnfach haß ich dich – Weh mir! ich fühle schon die verhaßten Umarmungen!" Die Arme um ihren Körper geschlungen irrte die schöne Proserpina hin und her, sank schlussendlich auf die Knie herab.


    "Unser! Unsre Königin!"


    "Warum reckst du sie nach mir? Recke sie nach dem Avernus! Rufe die Qualen aus stygischen Nächten empor! Sie steigen deinem Wink entgegen, nicht meine Liebe. Wie haß ich dich, Abscheu und Gemahl, O Pluto! Pluto! Gib mir das Schicksal deiner Verdammten! Nenn es nicht Liebe! – Wirf mich mit diesen Armen In die zerstörende Qual!" Verloren in ihrer Hoffnungslosigkeit sank die Schöne auf die Bretter der Bühne, verbarg ihren Kopf in ihren Armen.


    "Unser! unser! hohe Königin!"


    Begleitet vom Ruf der Parzen senkte sich das graufarbene Tuch nun auf die Bühne herab, wurde von den beiden Ceres-stimmigen Parzen, welche nun sich an den Seiten der Bühne zeigten und sich bis auf die Farbe ihrer Gewänder glichen, nach vorn hin gezogen, so dass es auch die schöne Proserpina verbarg, hernach versanken beide selbst in einer Verbeugung, so dass sie beinah neben der Bühne verschwanden.


    ~~~ finis ~~~

    Im Hintergrund der schönen Proserpina erloschen die Flammen der Fackeln, hinterließen nur Dunkelheit. Kurz darauf wurde das blaufarbene Tuch wieder empor gezogen, so dass das Bühnenbild erneut geschlossen war. Die Schöne indes stand vorn am Rande der Bühne, blickte zum römischen Himmel empor. "Ruhst du noch oben auf deinem goldenen Stuhle, zu dem du mich Kleine so oft mit Freundlichkeit aufhobst, in deinen Händen mich scherzend gegen den endlosen Himmel schwenktest, daß ich kindisch droben zu verschweben bebte? Bist du's noch, Vater? – nicht zu deinem Haupte in dem ewigen Blau des feuerdurchwebten Himmels, hier! Hier!– –"


    "Ja, hier! Ich komme, Püppchen, ich komme!" Trunken vor Wein drängte Pintelus durch die Zuschauer, stieß ein um den anderen bei Seite, besessen vom Anblick der Schönen, welche so drängend nach ihm verlangte. Längst hatte er Ragettix abgehängt, welcher mit seinem schmächtigen Leib nur halb so überzeugend durch die Passanten schiffte.


    "Leite sie her! Daß ich auf mit ihr aus diesem Kerker fahre! Daß mir Phöbus wieder seine lieben Strahlen bringe, Luna wieder aus den Silberlocken lächle! O, du hörst mich, freundlichlieber Vater, wirst mich wieder, wieder aufwärts heben; Daß, befreit von langer, schwerer Plage, ich an deinem Himmel wieder mich ergetze! Letze dich, verzagtes Herz! Ach! Hoffnung! Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte! Dieser Boden ist nicht Fels, nicht Moos mehr; Diese Berge nicht voll schwarzen Grauses! Ach, hier find ich wieder eine Blume!" Geschmeidig beugte Proserpina sich hinab und als sie sich wieder erhob hielt sie eine kleine Blume in Händen. Einige Zuschauer applaudierten ob des gelungenen kleinen Zaubers.
    "Dieses welke Blatt, es lebt noch, harrt noch, daß ich seiner mich erfreue!" Sie drehte sich zum schemenhaften Baume hin und erstarrte. "Seltsam! Seltsam!" In einer fließenden Bewegung hob sich ihre Hand, streckte sich ihr Arm.


    "Nein! Nicht! Verzweifel nicht!" Endlich war Pintelus am Rande der Bühne angelangt, erklomm eilig die nur wenige passus erhöhten Bretter. "Hier bin ich! Ich hab dich gefunden! Ich werd' dich retten, Püppchen! Komm zu mir, komm zu mir!" Er lachte rau und schien nicht im Mindesten sich bewusst, dass er das Stück ruinierte. Einige Zuschauer begannen zu lachen, andere feuerten Pintelus an.


    "Was ist da vorne los, Kynastos?" flüsterte eine Stimme laut hörbar hinter dem Vorhang, merklich tiefer nun als noch zuvor der Ceres zugehörig, doch eindeutig die selbe.


    Ungnädig blickte die schöne Proserpina dem kahlen Pintelus in die Augen und zischte boshaft. "Du ruinierst das Stück, Trunkelbold. Verzieh' dich!"


    "Aber ich rette dich! Was jammerst du die ganze Zeit, wenn du nicht in meinem Bett landen willst, Püppchen?" Er kam bedrohlich näher, so dass einige ehrbare Bürger schon der schönen Proserpina zu Hilfe wollten eilen. Diese jedoch hob nur ihre Hand und winkte ihnen ab. Mit einem Satz war Pintelus bei ihr, atmete seine Alkoholfahne ihr ins Gesicht, so dass sie dieses zu einer leidenden Fratze verzog, legte einen Arm um ihren Rücken, mit der anderen Hand zog er den Saum ihrer Tunika ein wenig empor. Fröhlich johlten einige Männer im Hintergrund, denn ein zotiges Possenspiel war ihnen ohnehin viel angenehmer denn jene Darbietung der Göttergeschichten ohne Beischlaf und Gewalt. Stück um Stück wanderte Pintelus' Hand an der schönen Proserpinas Schenkel entlang, bis dort er angelangt war, wo zu enden er hoffte.


    Pintelus' Gesicht erstarrte, hastig zog er seine Hände zurück, stolperte einige Schritte rückwärts. Jegliche Farbe verließ sein Antlitz, warf das maliziöse Lächeln der schönen Proserpina nur matt zurück. "Idiot", ließ jene mit dunkler Männerstimme vernehmen, holte aus und traf mit ihrer nun gar nicht mehr zierlich erscheinenden Faust präzise auf das Kinn des Pintelus'. Der Störenfried schwankte, dann fiel er wie ein gefällter Baum in die Menge der Zuschauer, wo lachend er wurde aufgefangen. Benommen blinzelte er in die Augen Ragettix', welcher noch immer nicht begriffen hatte, was geschehen war.


    "Alles in Ordnung?" fragte ein nun am Rande der Bühne erscheinendes, kantiges Gesicht.


    "Alles bestens" entgegnete die schöne Proserpina, nun wieder in wohl klingenden Mezzosopran gehüllt. "Wir können fortfahren. Oder möchte hier noch irgendwer sich von meiner Jungfräulichkeit überzeugen?" Sie blickte milde lächelnd zu den Zuschauern hin, welche vorwiegend mit Gelächter ihr antworteten.

    Noch eben mit den Händen hinaus gewiesen in die endlose Ewigkeit, in welcher die Bewohner des Tartarus ihren Qualen sich ergaben, zog nun die schöne Proserpina sie an ihre gewölbte Brust, zu ihrem Herzen hin. "Ach, so ist's mit dir auch, mein Herz! Woher willst du schöpfen? – und wohin? – Euer ruhiges Wandeln, Selige, streicht nur vor mir vorüber; Mein Weg ist nicht mit euch! In euren leichten Tänzen, in euren tiefen Hainen, in eurer lispelnden Wohnung rauscht's nicht von Leben wie droben, schwankt nicht von Schmerz zu Lust."


    "Aber ich schwanke von Lust." Den leeren Weinkrug aus seiner Hand drückte Pintelus seinem Kumpanen Ragettix gegen die Brust und schob vor sich die ersten Zuschauer bei Seite. Nicht lange zögernd stellte Ragettix die beiden Gefäße auf dem Boden ab, um Pintelus zu folgen, der sich träge durch die Menge nach vorne zu drücken versuchte.


    "Der Seligkeit Fülle. – Ist's auf seinen düstern Augenbraunen, im verschlossenen Blicke? Magst du ihn Gemahl nennen? Und darfst du ihn anders nennen? Liebe! Liebe! Warum öffnetest du sein Herz auf einen Augenblick? Und warum nach mir, da du wußtest, es werde sich wieder auf ewig verschließen?"


    "Wenn nicht nach dir, Püppchen, nach wem dann? Nach wem dann?" schmetterte Pintelus nun, als wäre er selbst Teil jenes Stückes dort vorn auf der Bühne.


    Indes, die schöne Proserpina war es gewohnt, die Blicke der Männer auf sich zu ziehen, ignorierte gänzlich jegliche Zwischenrufe. "Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen und setzte sie neben sich auf seinen kläglichem Thron? Warum mich, die Tochter der Ceres? O Mutter! Mutter! Wie dich deine Gottheit verläßt im Verlust deiner Tochter, die du glücklich glaubtest, hinspielend, hintändelnd ihre Jugend! Ach, du kamst gewiß und fragtest nach mir, was ich bedürfte, etwa ein neues Kleid oder goldene Schuhe?" Sich unter den Blicken der Menge aalend, drehte die Schöne sich auf der Bühne, strich eng ihr Kleid am Körper entlang und seufzte in tiefer Theatralik. "Und du fandest die Mädchen an ihre Weiden gefesselt, wo sie mich verloren, nicht wieder fanden, ihre Locken zerrauften, erbärmlich klagten, meine lieben Mädchen!"


    Hinter den Stoffen der Szenerie her schallte der klagende Ruf der Ceres. "Wohin ist sie? Wohin? Welchen Weg nahm der Verruchte? Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen? Wohin geht der Pfad seiner Rosse? Fackeln her! Durch die Nacht will ich ihn verfolgen! Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde, eill keinen Gang scheuen hierhin und dorthin."
    Der Hintergrund der Bühne teilte sich nun in der Horizontalen, noch immer hing von oben herab der graufarbene wolkenbemalte Stoff, doch das blaufarbene Gewölk dahinter sank ein Stück zum Boden hinab, so dass ein Zwischenspalt entstand. Fackelschein wurden dort sichtbar, hinter der Bühne hin und herirrend.


    "O Mutter! Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu, aller Pfade gewohnt, folgen sie deinem Lenken: in der unbewohnten Wüste treibt dich's irre – ach, nur hierher, hierher nicht! Nicht in die Tiefe der Nacht, unbetreten den Ewiglebenden, wo, bedeckt von beschwerendem Graus, deine Tochter ermattet! Wende aufwärts, aufwärts den geflügeltem Schlangenpfad, aufwärts nach Jupiters Wohnung! Der weiß es, der weiß es allein, der Erhabene, wo deine Tochter ist! – Vater der Götter und Menschen!"

    Auch der Flamen Quirinalis wartete ungeduldig darauf, dass sich beim Haruspex etwas tat. Vermutlich war es diesmal ein besonders akribischer Eingeweideschauer, denn die Zeit, bis er den Kopf hob, verging furchtbar langsam. Dann jedoch ging alles ziemlich schnell.


    Der Blick, den der Haruspex dem Flamen zuwarf, war kaum angekommen, schon verkündete der Priester des Quirinus


    "Litatio!"


    In der Zwischenzeit hatten die Opferdiener die Ziege schon fast vollständig zerlegt, sodass die Pontifices entspannt zusammenkommen konnten. Unterdessen nahm der Flamen seine Toga vom Kopf.


    In Kürze würde dann das Opfermahl stattfinden. Zwar hätte ein Schweinebraten sicher besser geschmeckt, aber den Ahnen schmeckte Ziege wohl besser. Daher war nicht nur Acca Larentia, sondern auch die Priester mit dem Ergebnis des Tages zufrieden.




    Nur Bruchteile eines Herzschlages lang ließ die Schöne sich von ihrem Spiel ablenken, fuhr mit herzzerreißender Elendsstimme fort. "Weggerissen haben sie mich, die raschen Pferde des Orkus;" Hinter dem Vorhand erklang das Trappeln von Hufen, vermutlich dem Aneinanderschlagen zweier Steine entlockt. "Mit festen Armen hielt mich der unerbittliche Gott! Amor! ach Amor floh lachend auf zum Olymp – " Das helle Lachen einer Männerstimme verdrängte nun das Hufgetrappel. "Hast du nicht, Mutwilliger, genug an Himmel und Erde? Mußt du die Flammen der Hölle durch deine Flammen vermehren? – Heruntergerissen in diese endlosen Tiefen! Königin hier!"
    Seitlich der stoffenen Bahnen schob sich eine Hand vor das Bühnenbild, eine goldfarben bemalte Krone aus dünnem Blei in ihrer Hand. Die schöne Proserpina ergriff das Symbol der Macht und krönte sich selbst.


    "Oh ja, Püppchen! Königin meiner schlaflosen Nächte" raunte Pintelus heiser und die um ihn herum stehenden Gesellen lachten aus tiefen Kehlen.


    Die schöne Proserpina ließ sich indes nicht beirren. "Königin?" schmetterte sie den Zuschauern vorwurfsvoll entgegen, so als trügen all diese allein nur an ihrem unseligen Unglücke Schuld, und tatsächlich zuckte manch einer in der vordersten Reihe ein wenig erstaunt zurück.
    "Vor der nur Schatten sich neigen! Hoffnungslos ist ihr Schmerz! Hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück, und ich wend es nicht. Den ernsten Gerichten hat das Schicksal sie übergeben; Und unter ihnen wandl' ich umher, Göttin! Königin! Selbst Sklavin des Schicksals!" Unter dem Vorhang hinter ihr hoben sich nun schemenhafte Gestalten, mindestens vier Hände ließen die düsteren, schwarzfarbenen Schatten aus Holz um Proserpinas Füße wandeln.
    "Ach, das fliehende Wasser möcht ich dem Tantalus schöpfen, mit lieblichen Früchten ihn sättigen! Armer Alter! Für gereiztes Verlangen gestraft! – in Ixions Rad möcht ich greifen, einhalten seinen Schmerz! Aber was vermögen wir Götter über die ewigen Qualen!" Zu den Schatten hinzu begann im Hintergrund nun Stöhnen und Ächzen.
    "Trostlos für mich und für sie, wohn ich unter ihnen und schaue der armen Danaiden Geschäftigkeit! Leer und immer leer! Wie sie schöpfen und füllen! Leer und immer leer! Nicht einen Tropfen Wassers zum Munde, nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen! Leer und immer leer!"


    "Ach, ich kenn' dein Leid, mein Püppchen! Meine Kanne ist auch immer nur leer - kein Tropfen mehr zu meinem Mund!" Verwegen hob Pintelus seine tatsächlich leere Weinkanne über seinen Kopf und schwenkte sie hin und her.
    "Oh ja, Püppchen, meine auch!" beeilte Ragettix sich anzufügen und auch er hob seinen Krug, wand einmal ihn um, um zu zeigen, dass kein Tropfen mehr daraus rann.

    Sim-Off:

    * einige Jahrhunderte zu früh, doch damals vermutlich aktueller denn später: Johann Wolfgang Goethe, Proserpina


    Zum Festtag der Proserpina wurden jener Göttin nicht nur Opferungen dargebracht, auch auf den Straßen nahm so manches Gesinde den Tage zum Anlass, sich einige Sesterzen zu erspielen. Im Grunde war es ein äußerst gewagtes Stück, denn keine Kopulation, kein Mord, keine Schlacht, nicht einmal ein Kuss der Liebenden kam darin vor, doch der Vorteil dessen war, dass ein einziger Schauspieler ausreichte, die in die Unterwelt entrissene Proserpina darzustellen, dazu ein paar Stimmen aus dem Hintergrund. Er, der an diesem Tage auf der provisorischen Bühne nahe des Forum Romanum stand, war die schönste Proserpinen von allen. In Athen hatte er sie verkörpert, in Cnossus, Leptis Magna und in Alexandria, und nun endlich in Rom, der Blüte des Lebens.


    [Blockierte Grafik: http://img508.imageshack.us/img508/8875/proserpinabu3.jpg]
    Proserpina, die Schönste von allen.


    Die Bühne bestand aus einem Podium, auf welchem die schöne Proserpina bald regungslos stand, um der Zuschauer zu harren. Hinter ihr bewegte sich blaufarbener Stoff und kündete von einer Person, welche die letzten Falten dahinter richtete. Vor der Stoffbahn standen aus Holz gefertigte, zweidimensionale Abbilder von Felsen, zudem an der Seite der Schattenriss eines Baumes, an welchem ein einzelner, mit Wachs überzogener, grell rotfarben leuchtender Granatapfel befestigt war.


    "Halte! Halt einmal, Unselige!" drang die Stimme der Proserpina bis weithin über die versammelten Zuschauern hinweg, als gelte der Ruf ihnen. Und fürwahr, einige, welche eben noch am Straßentheater wollten vorbei ziehen, blieben nun neugierig stehen.
    "Vergebens irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos liegen vor dir die Trauergefilde, und was du suchst, liegt immer hinter dir. Nicht vorwärts, aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus verwölbt die lieben Gegenden des Himmels, in die ich sonst nach meines Ahnherrn froher Wohnung mit Liebesblick hinaufsah!"
    Über den blaufarbenen Stoff im Hintergrund senkt sich von oben herab graufarbener Stoff, in welchen düstere Donnerwolken waren eingefärbt.


    "Ach! Tochter du des Jupiters, wie tief bist du verloren! – Gespielinnen! Als jene blumenreiche Täler für uns gesamt noch blühten, als an dem himmelklaren Strom des Alpheus wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten, einander Kränze wanden und heimlich an den Jüngling dachten, dessen Haupt unser Herz sie widmete, da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen, keine Zeit zu lang, um freundliche Geschichten zu wiederholen, und die Sonne riß leichter nicht aus ihrem Silberbette sich auf, als wir, voll Lust zu leben, früh im Tau die Rosenfüße badeten. – O Mädchen! Mädchen! Die ihr, einsam nun, zerstreut an jenen Quellen schleicht, die Blumen auflest, die ich, ach, Entführte! aus meinem Schoße fallen ließ, ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand!"
    Wahrhaft theatralisch wand sich der Schmerz über das Antlitz der Schönen, sich verzehrend irrte sie über die kleine Bühne hinweg, so dass manch ein mannhafter Römer der Zuschauermenge sich bereits im Herzen aufmachte, die holde Jungfer aus ihrem Darben zu befreien.


    "Wo du auch bist, Püppchen, ich werd' dich retten!" gröhlte ein stämmiger Bursche, der recht weit von der Bühne entfernt stand - zur Erleichterung der schönen Proserpina - und anschließend ein lautes Lachen vernehmen ließ. Es war der beinah kahle Pintelus, welcher an Arbeitstagen nahe des Forum Boarium in einer Schlachterei das Fleischerbeil schwang und an diesem, seinem freien Tag bereits ein wenig tiefer in die Weinkrüge der Tavernen vom Forum Boarium bis zum Forum Romanum hin geschaut hatte.



    "Ja, Püppchen, wir retten dich!" fiel gleich ein weiterer Zuschauer, Ragettix genannt, in das Gelächter ein. Auch Ragettix arbeitete in eben jener Schlachterei am Forum Boarium, doch er schwang nicht das Beil, sondern durfte nur die Innereien aus den aufgehängten Säuen und Lämmern kratzen.