Die Wahrheit kommt ans Licht?
Akt Zwei, Szene Zwei
Eine Tuba wird geblasen, Flöten spielen eine pompöse Musik, Rasseln werden geschüttelt und einige Frauen (nicht sichtbar) singen einen betörend anmutenden Choral. Eine Frau in einer langen, goldbestickten Stola tritt auf die Bühne. Ihre langen schwarzen Haare umfließen ihre weichen und runden Schultern, das Gewand lässt einen doch großzügigen Ausschnitt erkennen und sie läuft in einem sinnlichen Gang, nicht tanzend, auf Ödipus und Kreon zu. Beide sehen die Frau, manchen wird sie auch als Clodia von der Cena Libera bekannt sein, wie erstarrt an. Ödipus hält das Gladius wie ein Damoklesschwert über Kreon.
Die Frau hebt gebieterisch die Hand und spricht selber. Keine Maske tritt nach vorne.
Iokaste:
„Bei den Göttern, ihr Unglückseligen, was tut ihr hier? Kämpft der Schwager gegen Schwager? Wer hat das Übel entfacht, wer hat das erste schlechte Wort gesprochen, welches führte zu diesem Streit?“
Kreon läuft schnell, aber voll mit tänzerischen Schritten zu seiner Schwester. Schnell versteckt er sich hinter sie und deutet anklagend auf Ödipus.
Traurige Maske- Kreon.
„Schwester, furchtbare Worte hat er gewählt. Er will mich aus dem Vaterland stoßen oder gar töten. Du sahest es doch selber. Doch all die Worte sind unwahr. Und unglücklich will ich sein, nein verflucht zugrunde gehen, wenn etwas von dem wahr sein sollte, was ich Dir angetan habe, Ödipus!“
Er wendet sich um und flieht mit einem eleganten Sprung von der Bühne. Iokaste schreitet langsam auf Ödipus zu.
Iokaste:
„So sprich, Herr, war ist vorgefallen zwischen Euch?“
Ein Bürger tritt nach vorne, hebt beide Arme nach oben als ob er die Götter anflehen will. Die versammelten Bürger und Knaben sprechen im Chor.
Die Bürger im Chor gesprochen:
„Den eidgebundnen Freund verklagte er, ein blinder Verdacht kam auf aus Worten, welche unberechtigt waren, und verletztn.“
Iokaste geht einen Schritt auf Ödipus zu und umgreift sein Handgelenk.
Iokaste:
„Bei den Göttern, Herr, erklär auch mir, weshalb Du nur in Dir solch einen Zorn hast aufgerührt. Was waren die Worte, die gesprochen wurden? Wer hatte Schuld an diesem Streite?“
Ödipus lässt sein Schwert sinken und steckt es dann schließlich weg. Voll des Gram verzerrten Gesichtes sieht er zu den Zuschauern und hebt die rechte Hand.
Herrschaftliche Maske- Ödipus
„Mörder des Laios nennt mich Kreon. Zwar sprach er die Worte nicht selber aus, doch über den Seher ließ er es mir verkünden. Den Schurken schickte er nach vorne und behauptete dreist, ich sei es, der über das Land den Fluch brachte.“
Iokaste lässt Ödipus los und lacht. Ödipus sieht sie erstaunt an.
Iokaste:
„Mach Dich los von all dem, was Du sagst, mein Gemahl. Denn hör auf mich und lerne, dass es wahrhaftig kein sterblich Wesen gibt, das teilhaftig ist der Seherkunst. Ich will Dir dafür Beweise geben. Denn einst erging an Laios ein Orakelspruch. Über ihn würde ein Schicksal kommen, besiegelt durch seinen eigenen Sohn. Durch seine Hand soll er sterben. Doch dann erschlugen an einer Scheide dreier Wagenwege Räuber und nicht sein Sohn ihn. Denn sein Sohn, kaum da war er drei Tage alt, wurde verschnürt ins unzugängliche Gebirge geworfen. Und so hat Apollo es nicht durchgesetzt, dass jener zum Mörder seines Vaters wurde.“
Ödipus reißt die Augen auf und hebt pathetisch die Hände über den Kopf und rauft sich verzweifelt die Haare.
Herrschaftliche Maske- Ödipus
„ Was packt mich, da ich eben Dich gehört habe, Frau, der Seele Irrlauf und Erschütterung des Geistes. Sprachest Du von dreier Wagenwege? Wo ist dieser Ort? Wo geschah dieses Unglück und erzähl mir genaueres? Wie sah Laios aus? Und kam er mit einem großen Zug?“
Iokaste sieht Ödipus verwundert an.
Iokaste:
„Ein Scheideweg, dort von Delphi und Daulia her. Es war kurz bevor Du im Besitz der Herrschaft gelangtest. Laios, ein Mann von großem Wuchs und mit blütenweißem Flaum um sein Haupt, von deiner Gestalt wich er nicht stark ab. Er zog mit einem Wagen mit fünf seiner Männer und ein Herold war unter ihnen. Nur einer entkam, ein Diener. Doch als Du die Herrschaft annahmst, da bat er mich, ihn als Hirten auf das Land zu schicken. Ich gewährte ihm den Wunsch. Doch warum fragst Du es?“
Ödipus schreitet auf der Bühne auf und ab und ringt mit seinen Händen.
Herrschaftliche Maske und traurige Maske:
„So schicke nach dem Hirten. Denn er soll mir bezeugen, was ich vermute. Sprechen darüber sollte ich nicht, doch ich will es Dir nicht vorenthalten.“
Ödipus und Iokaste treten zur Seite. In dem Moment wird vor die Bühnenwand des Palastes ein Anderes herunter gelassen. Es ist der Innenhof eines römischen Hauses. Fröhliche Musik wird gespielt, auf die Bühne treten Tänzer und einige andere Gestalten. Darunter sind auch ein Mann, der Ödipus bis aufs Haar gleicht, und ein älteres Ehepaar. Ödipus Maske spricht weiter und der König Ödipus deutet auf die Szene.
Herrschaftliche Maske- Ödipus
„Mein Vater war Duumvir von Korinth, ein wahrhaft angesehener Mann und meine Mutter Merope aus einem altehrwürdigen Geschlecht. Mir war ein ehrenhaftes Leben bestimmt unter ihrem Dach, bis zu jenem Abend als ein Mann es wagte, in seiner Trunkenheit falsche Worte zu sprechen!“
Ein Mann steht auf und lacht grölend.
„He, Ödipus, Sohn des Polybos, untergeschoben bist Du Deinen Eltern. Ein Bastard und kein ehrenhafter Sohn bist Du!“
Der junge Ödipus will aufspringen und sich auf den Beschimpfenden werfen, doch die anderen halten ihn davon ab. Die Musik verstummt und um sie herum wird eine Tuch fallen gelassen. König Ödipus tritt wieder nach vorne und sieht zu den Zuschauern.
Herrschaftliche Maske- Ödipus
„Meine Eltern zeigten sich empört über dieses Verhalten und versuchten mir mein Bedenken zu zerstreuen. Doch heimlich ging ich nach Pytho und Apollo schickte mir einen Orakelspruch! Schlimmes sagte er mir voraus, dass ich der Mutter mich vermischen müsste und ein Geschlecht, unerträglich anzusehen, zutage bringen würde. Meinen Vater, der mich gepflanzt, würde ich erschlagen. So wanderte ich von meinem Heime fort. Auf dem Scheidewege nun traf ich eine Gruppe von Männern...“
Die feiernde Gesellschaft war mittlerweile verschwunden, das Bühnenbild wechselte wieder, mittels aufwendiger Theatermechanismen, die dem Zuschauer jedoch verborgen blieb. Karge Landschaft war auf die hölzerne Wand gemalt, dazu ein Weg. Ein Wagen polterte auf die Bühne, auf dem sitzt ein älterer Mann. Voraus geht ein Mann mit einem Heroldsstab. Der junge Ödipus, dem König wie aus dem Gesicht geschnitten, kommt wieder auf die Bühne und läuft auf die Gruppe zu.
Herold:
„Aus dem Weg!“
Er stößt den jungen Ödipus zur Seite als der Wagen an ihm vorbei poltert, tritt Laios, der König mit dem Fuß nach Ödipus. Dieser verzieht sein Gesicht voll des Hasses und packt seinen Stab. Wütend schlägt er nach Laios. Er trifft ihn am Kopf. Laios schreit laut auf und fällt vom Wagen und die Bühne herunter. Er bleibt vor den Zuschauern reglos liegen. Ödipus, im Rausche seines Zornes erschlägt einen nach dem Anderen. Nur einer kann fliehen.
Ödipus Maske spricht und der König Ödipus gestikuliert dazu.
Herrschaftliche Maske- Ödipus
„So erschlug ich sie alle! Durch mich ist er umgekommen. Ich brachte den Fluch über die Stadt! So sprach der Seher recht!“
Die Bühnenbilder werden schnell wieder hochgezogen, der Wagen verlässt die Bühne über eine kleine Rampe und Iokaste tritt nach vorne und an die Seite von König Ödipus.
Iokaste:
„Das kann nicht sein. Denn es ward vorher gesagt, dass sein Sohn ihn erschlagen sollte. Doch jener Unglückselige hat ihn nie erschlagen, ist selber vorher doch gestorben. So stimmen auch die anderen Sprüche des Sehers nicht. So kann es nicht so sein, dass Du den Laios hast erschlagen.“
Herrschaftliche Maske- Ödipus
„So schicke nach dem Hirten, er soll die Wahrheit verkünden!“
Iokaste nickt und Beide wenden sich ab und gehen in den Palast zurück.
Die Pestkranken kommen auf Händen und Knien auf die Bühne gekrochen. Düstere Flötenmusik begleitet ihren Auftritt.
Die Pestkranken:
„Oh ihr Parzen, das Schicksal ist unabwendbar. Licht wird in die Dunkelheit gebracht. Ödipus beginnt zu erkennen. Doch die volle Wahrheit ist ihm noch nicht erschienen. Wehe uns! Wehe uns!“
Dunkelheit fällt über die Bühne, die Fackeln wurden gelöscht.