Ein blutiger Streit
Akt 2, Szene 1
Ein Sistrum wurde geschlagen, eine Bronzerassel. Die Tibia spielte einen langgezogenen klagenden Laut, langsam ging eine Fackel nach der Anderen an. Einige Gestalten, in grauen und schwarzen griechischen Gewändern, und nackte Knaben dazwischen standen oder knieten in starrer Haltung auf dem Boden. Kreon wirbelt tanzend auf die Bühne. Seine Bewegungen sind stürmisch, energisch und aufgebracht. Sein Gesicht in einer Mischung aus Wut und Unglauben verzerrt. Er tritt mitten unter die Gestalten, die sich langsam, träge und fast unbeteiligt ihm zuwenden.
Die wütende Maske tritt nach vorne- Kreon
Männer! Bürger! Mit furchtbaren Worten erfahre ich, dass mich der Herrscher Ödipus anklagt. Aufbegehren soll ich gegen meinen Herrscher. Den Seher soll ich angestiftet haben, übles gegen meinen Schwager zu behaupten. Jene Anschuldigungen kann ich schwer erleiden, so hab ich wahrlich keine Lust mehr am Leben.
Die Bürger im Chor gesprochen:
Vom Zorne ergriffen sprach Ödipus die Worte!
In dem Moment tritt Ödipus aus dem Palast auf die Bühne. Er sieht Kreon und sein Gesicht verzerrt sich vor Wut. Anklagend hebt er den rechten Arm und deutet auf Kreon.
Zornige Maske und herrschaftliche Maske- Ödipus
„Ha du! Wie, du wagst es hier her zu kommen? Besitzt Du so die Frechheit, dass Du vor mein Haus kommst. Du Mörder dieses Mannes...“ [zeigt auf sich selber] „..Du, der doch Räuber meiner Herrschaft sein willst. Auf meinen Thron willst Du Dich schleichen mit faulen Tricks und üblen Lügen. Närrisch ist Dein Unterfangen, zu versuchen mit List und Tücke die Königsherrschaft zu erjagen.
Die herrschaftliche Maske tritt zurück, die Traurige tritt nach vorne und zwei Masken sprechen wieder gleichzeitig- Kreon
„Warum sprichst Du so zu mir? Welches Übel hast Du erfahren, was Du mir anhängst?
Zornige Maske und herrschaftliche Maske- Ödipus
„Rietest Du mir nicht, den Seher zu rufen?“ [Kreon nickt] „Wie lange ist es eigentlich schon her, dass Laios spurlos verschwand durch tödliche Gewalt und war damals der Seher schon im Geschäft?“ [Kreon nickt erneut] „Doch sprich, warum suchtest Du den Mörder Deines Schwagers, den Mann Deiner Schwester nicht?“
Traurige Maske- Kreon
„Wir fahndeten, versteht sich- doch hörten nichts. Und wo ich nicht klar sehe, da schweig ich lieber. Doch sehe ich schon, den Vorwurf, den Du mir machen willst. Ist meine Schwester nicht Deine Frau und diene ich dir nicht als Dritter, in der Herrschaft des Landes?“
Zornige Maske und herrschaftliche Maske- Ödipus
„Als falscher Freund zeigst Du Dich!“
Traurige Maske- Kreon
„Unrecht tust Du mir, Ödipus. Ich bin nicht von solcher Art, dass es mich gelüstet Herrscher zu sein. Weiß ich doch, dass das Herrschen viel Kummer und schwere Entscheidungen bringt. Zorn und Hader folgt diesen. Jetzt steh ich noch mit allen gut, alle grüßen mich freundlich auf der Straße. Fragen bei mir nach, wenn sie Dich brauchen. Als Dritter will ich weiter verbleiben, denn die Last des Herrschens zu tragen ist mir zu schwer! Niemals würde ich mich gegen Dich erheben. Folgte ich doch Deinen Anweisungen und ritt zum Orakel des Apollo. Treu hab ich gemeldet und mit dem Seher hab ich mich nicht verbündet. Hast Du Beweise, so verhafte und töte mich, nicht nur mit Deiner Stimme, nein doppelt, mit meiner Eigenen dazu. Doch nur auf unbewiesenen Argwohn klage mich nicht an. Denn gerecht ist dies nicht.“
Die Bürger tanzen um Kreon und Ödipus herum. Wieder spielt die Tibia und dazu werden mehrere Lyras gezupft, alles unsichtbar fürs Auge. Die Bürger verharren und sprechen im Gleichklang.
Bürger:
„Gut sprach er! Herr, wer schnell denkt, strauchelt leicht!“
Zornige Maske und herrschaftliche Maske- Ödipus
„Wenn einer, der einen Anschlag im Dunkeln plant, schnell vorgeht, so muss schnell auch ich entgegenplanen. Warte ich in Ruhe, so wird er mich stürzen.“
Traurige Maske- Kreon.
„So wünschst Du mich aus dem Land zu werfen?“
Zornige Maske und herrschaftliche Maske- Ödipus
„Nein! Sterben sollst Du, nicht verbannt nur sein. DAS will ich!“
Ödipus zieht ein Gladius hervor. Kreon springt zurück, hebt erschrocken die Hände. Ödipus macht einen Ausfall nach vorne und schlitzt das Gewand von Kreon auf. Blut spritzt auf die Bühne, Kreon schreit vor Schmerz auf. Ein Raunen geht durch das Publikum und die Tibiae spielen schrill. Kreon packt einen Stock, der auf dem Boden bereit lieg und hebt es gerade noch als das Schwert wieder herunter saust und sich in das Holz bohrt.
„HALT, ihr Elenden...! Will Schwager gegen Schwager kämpfen?“
Eine Frauenstimme donnert durch das Theater. Die Bürger winden sich und stolzieren nach hinten. Die üblichen Pestkranken kommen auf die Bühne gekrochen. Sie klagen, dann verharrt alles für eine theatralische Pause.