Es zeigte sich nun, dass es durchaus hilfreich gewesen war, dass Carbo in relativ kurzer Zeit hintereinander beide große Hauptformen des Opferns mit eigenen Augen kennengelernt hatte, wie Caesoninus wohlmeinend erfreut feststellte, wo ja sie beide vor zwei Tagen zusammen im Namen des Norikers ein kleines, unblutiges Opfer vollzogen hatten, während er gestern Zeuge eines großen blutigen hatte sein können.
So war es nicht weiters verwunderlich, dass er die wesentlichen Dinge erkannte und benennen konnte, während die Stücke mit daran verhaftetem Detailwissen falsch oder gar nicht erkannt wurden. Caesoninus befand die Zeit nun also für richtig die Rätsel aufzulösen.
„Fangen wir also mit dem ersten Gegenstand an.“ Er hob das Weihrauchsteinchen hoch.
„Den Weihrauch hast du richtig erkannt und benannt. Er wird zu Anfangs eines Opfers verbrannt, um eine Brücke von unserer zu der der Götter zu schlagen.“
Caesoninus legte den Stein auf den Tisch zurück und griff nach dem Tuch.
„Das ist das mallium latum. Mit ihm trocknet der Opferherr seine Hände nach der Handwaschung ab, die nach der Darbringungsformel durchgeführt wird, doch dazu an jenem Tag mehr, an dem wir die großen und blutigen Opfer behandeln werden. Heute gilt es nur einmal sich mit diesen Gegenständen vertraut zu machen und sie zu verinnerlichen, als erste Berührungspunkte zum großen Themenkomplex des Opfers. Denn das Opfern ist eine Wissenschaft für sich. Es gilt vieles zu beachten, doch keine Angst, wir fangen klein an. Heute soll es einzig und alleine um diese Gegenstände hier gehen und um die Frage, was Opfern überhaupt ist. Noch einmal zur Wiederholung. Der Weihrauch wird am Beginn eines jeden Opfers angezündet, um das Tor zu den Göttern zu öffnen und dabei wird Ianus angerufen. Das mallium latum ist zur Handwaschung nach der Darbringungsformel nötig. Alles behalten?“
Als diese Punkte geklärt waren, griff er nach dem Messer und hielt es hoch.
„Das ist das culter, das Opfermesser. Du kannst theoretisch jedes Messer hierfür hernehmen, oder aber auch spezielle, eigens für den Opferritus angefertigte. Diese bestehen gewöhnlich ganz aus Knochen, oder geschliffenem Stein. Für gewöhnlich trägt von den Opferdienern der sogenannte cultrarius dieses Messer und ersticht auch am Ende das Opfertier damit, doch alles der Reihe nach. Zur rechten Stelle im Opfervorgang streicht der Opferherr, NICHT der cultrarius!!, mit dem culter dem Opfertier vom Kopf bis zum Schwanz und entkleidet es so symbolisch. Dann, etwas später im Verlauf, wird der cultrarius mit dem Opfermesser in der Hand den Opferherrn formelhaft fragen: „Agone?“, woraufhin dieser mit „Age!“ antwortet. Dann wird es endlich vom cultrarius erstochen.“
Caesoninus machte eine Pause und sah Carbo kurz an.
„Ich weiß, das war jetzt etwas viel auf einmal, also ich wiederhole“ und in langsamer Sprache wiederholte Caesoninus zuerst noch einmal das culter, um anschließend dann alle drei bisherigen Gegenstände der Reihe nach zu repetieren. Dann kam die Schale an die Reihe.
„Eine gemeine Schale wird, wie du richtig erkannt hast, zum auffangen des ausspritzenden Blutes verwendet. Es gilt als gutes Omen, wenn viel Blut fließt und als schlechtes, wenn wenig kommt. Auch darf nichts verspritzt werden. Doch daneben gibt es noch einen weiteren Schalentypus, den der speziellen Opferschale, der patera. Auf diese werden die entnommenen Organe gelegt für die Eingeweideschau, ebenfalls eine eigene Kunst.“
Die Schale wurde zurückgelegt und die Zwiebel emporgehalten.
„Diese Zwiebel steht in Vertretung für alle weiteren möglichen unblutigen Opfer. Jedem Gott sind andere Dinge heilig, diese Zwiebel hier z.B. ganz besonders für Venus, neben Lauch oder Heilkräutern. Bei unblutigen Opfern sind sie das Hauptereignis, bei blutigen Opfern bilden sie die Voropfer, doch die laufen nach dem gleichen Schema ab, wie die kleinen Darbringungen.“
Caesoninus legte die Zwiebel zurück und ergriff die gefaltete Toga.
„Zur Toga sei gesagt, dass sie ganz weiß sein sollte. Außerdem zieht sich der Opferherr bei Beginn der Kulthandlung einen Zipfel seiner Toga über das Haupt, so ist es im lateinischen Ritus üblich. Im griechischen Ritus hingegen bedeckt er es durch einen Lorbeerkranz. Frauen tragen ihre Haare offen.“
Das war vorerst alles nötige. Als letztes lagen dann noch die Sandalen auf dem Tisch. Sie ergriff Caesoninus nicht, sondern zeigte nur auf sie. „Die Sandalen sind hier, um dir einzuprägen, dass du sie bei einem Opferakt weglassen sollst. Komm barfuss, das zeugt von Demut und stimmt die Götter gnädig. Mit der Toga zusammengenommen kann man nochmal sagen, dass man als Mann barfuß und mit weißer Toga kommt und sich mit ihr verhüllt. Im griechischen Ritus dagegen Kränze. Frauen die Haare generell offen.
Sehr gut, wir sind einmal durch. Sieh dir jetzt kurz noch einmal stumm alle Gegenstände an und erinnere dich an das Gesagte. Dann wiederhole ich noch einmal.“
Und so gab er seinem allerersten Schüler im Leben eine kurze Weile, um alles Revue passieren zu lassen, ehe Caesoninus noch einmal den Weihrauchstein ergriff und noch einmal der Reihe nach jeden Gegenstand erklärte.