[Forum Augustum] Templum Martis Ultoris

  • Als der Marspriester sich mir mit erlesener Freundlichkeit mit seinem Namen vorstellte, huschte mir zum ersten Mal, seit ich mich an diesem Vormittag zu der Opferhandlung aufgemacht hatte, ein Lächeln über mein Gesicht. Zur gleichen Zeit stellte ich allerdings auch beschämt fest, wie sehr meine Jahre in Achaia offenbar dazu geführt hatten, dass ich den Überblick über die Angelegenheiten meines Standes verloren hatte. Denn natürlich sagte mir der Name des Marspriesters etwas, und ich hatte auch gehört, dass er sacerdos war, dass ich ihn aber hier im Tempel des Mars Ultor treffen würde, hatte ich nicht gedacht.


    "Flavius Aquilius, sei mir noch einmal gegrüßt, denn es ist mir eine große Freude, Dich hier zu treffen! Ich weiß, dass Du zu den ausgewählten Freunden meines Vetters Corvinus gehörst."


    Ich hielt inne. Gerne hätte ich noch mehr gesagt, doch wurde mir in diesem Moment wieder die Bedeutung des geheiligten Ortes bewusst, in dem ich mich befand. Und auch Flavius Aquilius selbst hatte mich ja mit angenehmer Souveränität auf den eigentlichen Anlass meines Besuches im Tempel gebracht, indem er mir einen Ablauf für das Opfer vorgeschlagen hatte.


    "Dem Ablauf des Opfers, den Du vorgeschlagen hast, stimme ich ganz zu. Es ist das, was ich auch schon von unseren Hausopfern kenne und von Opfern im Tempel, die ich allerdings noch nie alleine durchgeführt habe, sondern stets unter Anleitung derjenigen meiner Verwandten, deren Tod ich jetzt zu betrauern habe."


    Mit Blick auf meine Sklaven fügte ich an:


    "Neben dem Wein, Keksen und Kuchen würde ich gerne noch etwas von dem mitgebrachten Weihrauch und Obst dem Mars darbringen. Leider sind es nicht wenige Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten von uns gegangen sind und denen mein Opfer nun gilt."


    Ich sah Flavius Aquilius offen in sein anziehend-männliches Gesicht. Seine Umsicht und Freundlichkeit hatten mich doch schon wesentlich beruhigt. Ich würde mein Opfer sicher nicht vergebens darbringen.

  • Mit einer gewissen Freude registrierte ich, dass er ein näherer Verwandter von Corvinus war - auch wenn ich bisher wenig Mitglieder der gens Aurelia kennengelernt hatte, nach der Bekanntschaft mit diesem zweiten Mann aus dieser Familie war meine Neugierde auf den Rest nun eindeutig gestiegen. Und ein angenehmes Lächeln hatte er auch noch, was wollte man schon mehr? "Leider weilt Dein Vetter noch in Germania, sonst hätten wir uns sicherlich schon einmal ausserhalb dieses sakralen Rahmens kennengelernt," versetzte ich freundlich und lächelte ebenso. "Aber sagt man nicht, die zufälligen Begegnungen wären oft die interessantesten?" Vielleicht würde nach seinem Opfer noch die Zeit für ein eingehenderes Gespräch bleiben, die Lust darauf hatte ich jedenfalls und ich merkte wieder einmal, wie sehr mir ein guter Freund in den letzten Wochen gefehlt hatte. Gracchus' Fortgang hatte mich einsam gemacht, und auch Corvinus fern zu wissen, machte die Sache nicht gerade leichter und angenehmer. Aber ich schob diesen Gedanken beiseite, denn es galt hier, Mars zu dienen, ich hatte später sicherlich noch genug Zeit, mich dem Lamentieren über mein Schicksal hinzugeben.


    "Den Weihrauch können wir gerne den Opfergaben hinzufügen, aber Obst würde ich mir für andere Gottheiten vorbehalten, Mars ist dann doch eher ein Freund von Keksen und Wein denn von Obst, das würde ich als Feldfrucht eher Ceres oder Flora darbieten," erklärte ich und winkte seine Sklaven heran, damit sie die Opfergaben zu uns bringen konnten. Der Opferaltar für die kleineren Opfer nahe an Mars' Kultbild war frei geworden, ein Kollege hatte die dort deponierten Kekse eines anderen Opfernden weggeräumt, sodass wir nun zur Tat schreiten konnten. "Du solltest zuerst den Weihrauch anzünden, er wird ein bisschen brauchen, bis er genug Hitze entwickelt, dass der Geruch den Raum erfüllen kann," gab ich noch einen hilfreichen Hinweis und beobachtete die Sklaven dabei, wie sie die einzelnen Gaben aufstapelten - Kuchen, Kekse und natürlich den Wein. Hoffentlich war es guter Wein, aber bei einem Aurelier erwartete auch niemand ernsthaft, dass er irgendwelchen Fusel mitbringen würde. Zudem mochte die stattliche Gestalt des jungen Mannes ein übriges tun, Mars' wohlwollendes Interesse zu wecken, ein Kriegsgott hatte für gewöhnlich mit verfetteten Müßiggängern wenig zu tun.

  • Je länger ich Flavius Aquilius ansah, desto stärker fielen mir nicht nur die edlen und einnehmenden Züge seines Gesichts auf, sondern auch eine gewisse - Melancholie vielleicht? Ich war mir nicht sicher, ob ich dabei nicht zuviel interpretierte, doch schienen mir auch seine Worte in diese Richtung zu weisen. Deshalb war ich glücklich darüber, nun auch ihm hier in Roma die gute Nachricht von Corvinus mitteilen zu können. Strahlend eröffnete ich ihm:


    "Meinen Vetter Corvinus erwarte ich bereits in Kürze wieder zurück in Roma! Ich bin sicher, dass Du einer der ersten sein wirst, mit denen er sich nach seiner Ankunft in Verbindung setzen wird. Und daher freue ich mich, dass auch wir beiden uns aller Wahrscheinlichkeit nach schon bald wieder sehen werden. Doch danke ich den Göttern, dass sie mir ein Treffen mit Dir schon am heutigen Tage ermöglicht haben."


    Dies sagte ich nicht zuletzt im Hinblick auf die Worte des Marspriesters, die dieser zu meinen Opfergaben gefunden hatte. Besonders dankbar war ich ihm dabei dafür, dass er mir den Hinweis zum deplatzierten Obst-Opfer in einem so freundlichen Ton gegeben hatte, und nicht etwa überheblich oder gar hämisch. Ich war bei seinen Worten zwar dennoch leicht errötet, das fühlte ich, lächelte ihn aber umso dankbarer an.


    Nachdem das geklärt war, wurde gerade auch ein Opferaltar frei und neu hergerichtet, an den Flavius Aquilius mich nun führte. Er winkte auch meine Sklaven mit den Opfergaben heran, wobei ich denjenigen meiner servi, die das Obst mit sich führten, bedeutete, sich vom Tempel zu entfernen. Die Sklaven stellten die genehmen Opfergaben bereit, und der Marspriester gab mir noch einige hilfreiche praktische Ratschläge. Diesen gemäß wurde mir nun ein Kohle-Becken gereicht, dessen Inhalt ich entzündete. Ich wartete, bis die Kohle ganz durchglühte; dann ließ ich mir in einem mitgebrachten Schälchen Weihrauchkörner geben, die ich vorsichtig zur Kohle fügte. Langsam erfüllte sich, ganz den Worten des Priesters gemäß, der Raum um uns herum mit dem starken Duft. Ich selbst wurde immer stiller und versank in einer Stimmung von Andacht und Sammlung.

  • "Das ist eine wahrhaft gute Nachricht," erwiederte ich und mit einem Schlag hatte sich meine trübe Stimmung angesichts der Absenz meiner Liebe und meines besten Freundes enorm aufgehellt. "Ich habe ihm zwar geschrieben, aber ich fürchte, mein Brief ist auf dem Versandweg verloren gegangen, denn eine Antwort erhielt ich bis zum heutigen Tage nicht, umso mehr freut es mich, von seiner baldigen Ankunft zu hören. Die Götter scheinen es heute wirklich gut mit uns zu meinen, findest Du nicht auch?"


    Ich hätte ihn spontan umarmen können, aber ein gewisser, vorhandener Rest von patrizischer gravitas und dignitas hielten mich glücklicherweise zurück, in einem Tempel wäre dergleichen sicherlich nicht die beste Idee gewesen. So beließ ich es bei einem breiten und frohen Lächen und gab mir umso mehr Mühe, die Vorbereitungen für das Opfer korrekt und exakt auszuführen, wie es gefordert war. Zuletzt zogen wir uns noch, wie es im Tempel bei Gebeten üblich war, einen Teil der Toga über düe Köpfe, denn nur mit bedecktem Haupt durfte zu den Göttern gesprochen werden, wenn man es wirklich ernst meinte.


    Ich beobachtete das Werkeln der Sklaven und auch die geschickten, schlanken Hände meines Besuchers, der sicherlich noch kein einziges Mal zuvor wirklich harte körperliche Arbeit hatte verrichten müssen, sprachen seine Hände doch eher von geistiger Arbeit und sorgsamer Pflege durch kundige Sklaven. Mir erschienen diese Hände nicht weibisch, sondern wohlgeformt, und ich hätte viel darum gegeben, meine Schwielen und die rauhen Handflächen von der Fischersarbeit vergessen zu können. Aber ich war auch nicht hier, um die Reize des Aurelius Cotta zu bewundern, ich war hier, um meine Pflicht zu erfüllen.


    So erhob ich schließlich die Stimme, als der Rauch der angezündeten Duftessenz die Luft erfüllte und nachdrücklich, aber nicht aufdringlich davon kündete, dass ein Mann ein Anliegen an die Götter hatte.
    "O Mamarce, großer Feldherr, Vater Roms und Beschützer der Frauen und Schwachen, mächtiger Kämpfer und erbitterter Streiter, höre die Worte dieses Mannes, der gekommen ist, um Dir ein Opfer darzubringen. Wein und Kekse, Räucherwerk und Kuchen bringt er Dir dar, auf dass Du seinen Worten aufmerksam lauscht, und er bittet Dich damit, seinem Anliegen günstig gegenüberzustehen. O Mamarce, Mars, himmlischer Streiter, lass diesen Mann wissen, dass Du bei ihm bist." Nach dieser Anrufung nickte ich Cotta auffordernd zu, dass er seine Worte dem Gott gegenüber formulieren möge.

  • Mit jedem Augenblick erfüllte der Duft des Weihrauchs den Raum um den Opferaltar herum mehr. In einem Zustand völliger Entspanntheit und inniger Andacht verfolgte ich, wie sich schwere Rauchschwaden von dem Kohlebecken erhoben, höher stiegen und sich schließlich aufzulösen schienen.


    Erst als Flavius Aquilius seine Stimme zum Gebet erhob, wurde ich einen Moment lang aus meiner Andacht entführt. Ja, auch in diesem heiligen Augenblick konnte ich mich für kurze Zeit des Gedankens an die Freude nicht erwehren, die dem Marspriester anzumerken gewesen war, nachdem ich ihm die Mitteilung gemacht hatte von Corvinus baldiger Rückkehr. Ich freute mich natürlich vor allem für diesen meinen Vetter, dass ihn in Roma offenbar ein so enger Freund erwartete. Aber selbstverständlich empfand ich auch Freude für Flavius Aquilius, dessen wirklich einnehmendes und frohes Lachen sein Glück über diese Nachricht zum Ausdruck gebracht hatte. Ja, ich freute mich in diesem Moment so sehr, dass mir selbst ein Schmunzeln über das Gesicht huschte; unwillkürlich hob ich meinen Kopf, und beinahe wäre mir dabei mein toga-Stück vom Kopf gerutscht. Dies war mir Mahnung und Warnung genug; augenblicklich wandte ich meine ganze Konzentration und Inbrunst meines Herzens wieder dem Gotte zu und dem Gebet des Marspriesters. Als dieser geendet hatte, sammelte ich mich erneut, räusperte mich ein wenig und begann dann zu sprechen:


    "O Mars, Gott des Krieges, Gott der Stärke, himmlischer Streiter! Heute bin ich zu dir gekommen, um dir dieses Opfer darzubringen, von dem der Weihrauch, der hier verbrennt, ein Vorgeschmack ist. Ich bringe dir, großer Gott, dieses Opfer dar, für die verstorbenen Mitglieder meiner gens Aurelia, besonders für diejenigen, die erst vor Kurzem verstorben sind: die Eltern meines Vetters Corvinus, die Mutter von Prisca und die Mutter von Sisenna. Auch für meine Verwandten Sophus und Cicero bringe ich dieses Opfer dar, von denen wir nicht wissen, wo sie sind. Verleih ihnen und uns allen etwas von deiner unbezwingbaren Stärke, du Beschützer der Schwachen und großer Feldherr. Sieh gnädig nieder auf dieses Opfer!"


    Ich hoffte inständig, niemanden bei meiner Aufzählung vergessen zu haben, und betete noch inbrünstiger zu Mars, falls es doch der Fall sein sollte.

  • Das schien ein generalstabsmäßig vorbereitetes Opfer zu sein, dem wichtigsten Tempel des Mars angemessen. Ausgiebig diskutiert und geplant und trotzdem schien der Gebetstext völlig individuell und kein Abklatsch aus einem Lehrbuch zu sein. Weihrauch, Wein, Keks, Kuchen, wunderbar, alles da. Und Mars sollte sich um verschwundene Familienmitglieder kümmern. Dumme Sache, von einem wusste er nämlich, dass er tot war.

  • Während ich den betörenden und starken Duft des Weihrauchs einatmete, verloren sich meine Gedanken etwas, denn nichts auf der Welt hätte mich dazu gebracht, bewusst dem Gebet eines anderen zu lauschen. Wie alle Priester hatte ich früh gelernt, ab der Einführung die Gedanken in eine Ferne zu richten, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hatten - selbst zu Mars zu sprechen, wenngleich nur in Gedanken, war die beste Alternative, und so hielt ich es auch in diesem Fall, bat ihn stumm darum, sich Aristides' anzunehmen, der von allen Familienmitgliedern am ehesten einer tödlichen Gefahr gegenüber stehen mochte. Aber auch zu Gracchus verirrten sich meine unsteten Gedanken, wenngleich dies eher ungewollt geschah, hatte ich die letzten Tage über doch festgestellt, dass es mir besser erging, wenn ich jede Erinnerung an ihn und das Geschehene so gut es ging vermied.


    Nach einer angemessenen Zeit der Stille, und als ich die Kohle unter dem Weihrauch langsam ausglühen sah - es war kein allzu dickes Stück, immerhin mussten am Tag doch etwas mehr Leute nacheinander diesen Altar benutzen - räusperte ich mich bedächtig und blickte zu Aurelius Cotta hinüber, leicht lächelnd, bevor ich wieder die Stimme erhob:
    "O Mamarce, großer Feldherr, Beschützer Roms und der Schwachen, wir danken Dir, dass Du unserem Bitten gegenüber aufmerksam warst. Möge Dir auch weiterhin unser Dank gewiss sein, wir werden Deiner gedenken, wie es Dir zukommt. Mamarce, lass Deinen Blick auf diesem Mann ruhen, der zu Dir gekommen ist, um für seine Familie zu bitten, lass auch ihn nicht ohne Deinen Schutz sein, so bitte ich Dich als Dein Priester."
    Wieder ließ ich ein wenig Zeit vergehen, bevor ich zurücktrat und Cotta bedeutete, es mir gleich zu tun - das Opfer war beendet, die wichtigen Worte gesprochen, nun mochten wir uns wieder dem täglichen Leben zuwenden, nachdem wir einen kleinen gedanklichen Ausflug in die Götterwelt unternommen hatten.


    "Ich hoffe, Du wirst die Antworten erhalten, nach denen es Dich verlangt, Aurelius Cotta, niemand sollte zu lange auf Klarheit harren müssen. Deine Worte klangen aufrichtig, und es spricht nichts dagegen, dass Mars Dich gehört hat," sagte ich aufmunternd und schob langsam den Togazipfel von meinem Haar, um auch anderen anzuzeigen, dass unser Gebet beendet war.

  • Auf mein laut vorgetragenes Gebet folgte eine Zeit der Stille, von der ich nicht wusste, wie lang sie gewesen war. Mein Zeitgefühl war völlig erloschen in der dichten Atmosphäre von Sammlung und Andacht, die im templum Martis Ultoris herrschte. Sie wurde noch verstärkt durch den Weihrauch-Duft ganz in meiner Nähe und den Geruch, der von den übrigen Opfergaben ausging, die ich dargebracht hatte. Irgendwo im Hintergrund meinte ich auch, leise Gebetsworte zu vernehmen, doch achtete ich darauf nicht weiter. Stattdessen wanderten meine Gedanken zu den Erinnerungen, die ich noch an die verstorbenen Mitglieder meiner gens hatte und an diejenigen, die schon bald aus Germania zurückkehren würden.


    Irgendwann jedoch drang wieder die Stimme des Flavius Aquilius in mein Bewusstsein; er sprach ein abschließendes Gebet an Mars, dem ich mich aus vollem Herzen anschloss. Nach einiger Zeit gab er mir den Wink, vom Altar wegzutreten, denn mein Opfer war beendet. So streifte ich gleich ihm den Toga-Zipfel von meinem Kopf und versuchte, mich langsam wieder an den Alltag zu gewöhnen, in den zurückzukehren nun meine Pflicht war. Die freundlichen Worte, die der Marspriester jetzt abermals an mich richtete, erleichterten mir dies sehr.


    "Flavius Aquilius, ich danke Dir sehr für Deinen Beistand bei meinem Opfer! Ich war vorher sehr angespannt, aber Deine Hilfe hat es mir leicht gemacht, hoffentlich alle Riten richtig zu vollziehen und Mars gnädig zu stimmen. Auch die Gebetsworte, die Du gefunden hast, haben mir aus dem Herzen gesprochen."


    Ich sah den Patrizier dankbar lächelnd an. Dabei fiel mir ein, dass ich vor lauter Anspannung noch gar nicht nach den Angehörigen seiner gens gefragt hatte. Ich war mir jedoch auch nicht sicher, ob dies hier die richtige Gelegenheit dafür wäre.


    "Ich würde mich gerne noch länger mit Dir unterhalten, zumal die villa Aurelia hier in Roma im Augenblick noch ziemlich leer steht und mir die rechte Ansprache fehlt. Andererseits sehe ich schon wieder Beter kommen, die Deine Hilfe ebenso gern in Anspruch nehmen möchten, wie ich es gerade getan habe. Ich bin aber voller Hoffnung, dass wir uns schon bald in einem günstigeren Rahmen begegnen werden, denn wie gesagt: Corvinus wird bald aus Germania zurückkehren, und dann wird es wohl nicht lange dauern, bis wir uns auch wieder sehen! Jedenfalls hoffe ich das!"


    Ganz gegen meine Gewohnheit stand ein strahlendes Lachen auf meinem Gesicht. Flavius Aquilius hatte etwas an sich, dass mich dazu brachte, mich sehr wohl zu fühlen.

  • Es fiel mir leicht, sein Lächeln zu erwiedern, denn seine offene und freundliche Art hatten mein Vergnügen daran, meine Pflichten hier im Tempel zu erfüllen, zumindest für die Dauer unserer gemeinsamen Zeit durchaus erhöht.
    "Ich habe nur gehandelt, wie es uns Priestern im Haus des Mars bestimmt ist - jedem anderen hätte ich ebenso geholfen. Dennoch, bei Dir habe ich es gerne getan, Aurelius Cotta, und ich hoffe, es ist nicht das letzte Mal, dass ich Dich hier sehen durfte." Wenigstens hatte er ehrlich geklungen, das war etwas, was man nicht jeden Tag erlebte. Sicher, die Mütter und Ehefrauen in Sorge um ihre Männer waren zumeist auch ehrlich in ihren Worten, aber ab dann wurde es schon düster bis zappenduster. Doch was wollte man in der ewig stinkenden, verlogenen Hure Rom schon von den dort lebenden Menschen erwarten? Die Zeit hier hatte meine einstigen Hoffnungen eines Besseren belehrt und mir den gesunden Zynismus zurückgebracht, der mich als ungewollten Erben meines Vaters auch schon durch meine Kindheit getragen hatte.


    Als er ansprach, dass andere Beter nach mir verlangten, sah ich schon einen dicklichen Senator auf mich zuschwappen, der mir schätzungsweise genau wie schon die Tage zuvor ein Ohr abkauen würde, wenn es um seinen kostbaren wie nichtsnutzigen Sohn ging, für den er opfern wollte, damit aus dem Taugenichts endlich ein Mann wurde - ich hätte ihm ja empfohlen, den Kerl zu den Legionen zu schicken, hätte ich nicht ernsthaft einen Eklat zwischen seiner und meiner gens befürchtet. So nickte ich nur zu Aurelius Cottas Worten, wappnete mich für den bevorstehenden Redefluss und erwiederte: "Du siehst es richtig, die Pflicht scheint es heute gut mit mir zu meinen und beschert mir viele Menschen, die meiner Hilfe bedürfen - dennoch, ich freue mich darauf, wieder mit Dir zu sprechen, ich bin mir sicher, es wird nicht lange dauern. Möge Dein Herz am heutigen Tage leicht sein und aller Sorgen ledig, da nun Mars Sein Übriges tun wird, die Wege Deiner verschollenen Verwandten zu erhellen!" Und mit dieser gutgemeinten Floskel leitete ich das übliche Verabschiedungsritual unter Patriziern ein, welches der guten Worte nur so strotzte und letztendlich auch mit einem kurzen 'vale!' hätte zusammengefasst werden können. Dennoch, der Stand verpflichtete.

  • Die abermals freundlichen Worte, die der Marspriester zu mir sprach, machten mich ganz verlegen, zumal ich nicht einen Augenblick an ihrer Aufrichtigkeit zweifelte.


    "Ich danke Dir sehr, Flavius Aquilius. Seit meiner Ankunft hier in Roma ist dies eines der ersten freundlichen Worte von meinesgleichen, die ich zu hören bekomme; das werde ich Dir nicht vergessen. In diesem Tempel wirst Du mich bestimmt wiedersehen, auch wenn wir nach der Rückkehr der anderen Mitglieder der gens sicher auch des öfteren Hausopfer darbringen werden."


    Ich aber würde in mir nach diesem Tempelbesuch eine besondere Neigung zu Mars kultivieren, die mich auch wieder an diesem Ort zurückführen würde. Von den Betern, die die Hilfe meines priesterlichen Standesgenossen "genauso gerne in Anspruch nehmen wollten, wie ich es gerade getan hatte", drängte ein Senator offenbar zu besonderer Eile. Ich merkte, dass Flavius Aquilius ihn aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, und so wollte ich seine Zeit auch nicht länger in Beschlag nehmen. Seine liebevollen Abschiedsworte erwiderte ich darum auch für meinen eigenen Geschmack viel zu kurz:


    "Es freut mich zu sehen, dass die Ehrfurcht vor den Göttern auch heute wieder so viele Menschen in den Tempel führt. Ihrer Verehrung des Mars will ich jetzt auch nicht im Wege stehen. Vielmehr empfehle ich Dich und Deine gens seiner Fürsorge an! Mögen wir uns schon bald in Gesundheit und heiterem Gemüt wiedersehen! Vale bene, Flavius Aquilius!"


    Dankbar reichte ich dem Marspriester meine Hand, wobei mir, obwohl ich ihm in die Augen sah, auffiel, dass seine Hand viel kräftiger war als die meine. Dann drehte ich mich um und begab mich gemessenen Schrittes und gefolgt von den Sklaven zum Ausgang.

  • Meine nemesis in Form des fettleibigen Senators nahte nun unaufhaltsam, und für einen kurzen Moment wünschte ich mir inständig, Mars hätte endlich ein Einsehen mit dem Sohn des Senators und würde ihn zur Not zum Mann prügeln lassen - stattdessen erwiederte ich den freundlichen Blick meines Noch-Gesprächspartners und lächelte. Dass mich seine Worte freuten, er wolle wieder zum Tempel kommen, war wohl kaum zu übersehen, und ich freute mich wirklich, Patrizier opferten selten vor der Öffentlichkeit, und unter der ganzen plebs war es sehr angenehm, einen gebildeten und höflichen Mann kennenzulernen.


    "Vale bene, Aurelius Cotta!" erwiederte ich mit Nachdruck und blickte ihm eine Weile nach, während er sich durch die heranbrandenden Menschen aus dem Tempel bewegte, so lange, bis ich den Senator nicht mehr ohne Ärger zu verursachen ignorieren konnte, und fügte mich letztendlich in mein Schicksal, schätzungsweise nicht nur ein Kotelett nach diesem Gespräch von meinen Ohren pflücken zu müssen. Wenn ich ehrlich war, freute ich mich darauf, Cotta wiederzusehen, und konnte dieses Gefühl nicht einmal genau festmachen.

  • Ich hatte kaum glauben können, welche Wahrheiten mir die aktuelle acta verkünden wollte - nein, glauben würde ich es niemals können, denn für ein Können bedurfte es eines Willens, und den besaß ich derzeit nicht. Es war ein eiliger Einkauf, und ich hatte für gute Waren eindeutig zuviele Münzen herausgeworfen, aber am heutigen Tag war es mir gleich, denn meine Frage war wichtig, vielleicht die wichtigste, die ich seit Jahren hätte stellen wollen. Meine Schritte trugen mich eilig in den Tempel des Mars hinein, und ich hatte glücklicherweise eine Zeit erwischt, in der nur wenige Menschen opferten, mein präferierter Altar war leer und so konnte ich ohne Verzögerung vortreten, das stattliche Häufchen Kekse ausbreiten, und dann die elend teuren Weihrauchkörner im der Brennschale deponieren. Erst jetzt fand ich wieder so etwas wie Ruhe, aber dennoch blieb mein Innerstes von jenen Fragen und Zweifeln durchdrungen, die nicht verstummen wollten. Aristides tot .. nein, das durfte nicht sein. War er nicht der einzige Soldat unserer gens, dem man solches wirklich glauben mochte? War er nicht in den Krieg gezogen, um der Familie Ehre zu machen?


    Sicherlich, ein gewisser Teil von mir war sich auch dessen gewiss, dass die schönen parthischen Frauen bei dieser Entscheidung auch eine Rolle gespielt haben mussten, aber hauptsächlich ... hauptsächlich hielt ich Aristides für einen guten Soldaten. Langsam schenkte ich einen Becher des vollmundigen Falerners ein, den ich Mars als Trankopfer darzubringen gedachte, und vergoss diesen Wein dann auf dem Boden vor dem Altar, während der süßherbe Geruch des Weihrauchs langsam begann, in der unbewegten Luft empor zu steigen.
    Mit gemessener Handbewegung zog ich einen Zipfel meiner toga über den Kopf und verharrte schweigend eine ganze Weile, bis ich mir sicher zu sein glaubte, dass Mars die Tatsache, dass hier guter Weihrauch verbrannt wurde und ein guter Wein zu holen war, zur Kenntnis genommen hatte. Erst dann hob ich zu sprechen an, gut vernehmlich, denn für meine Frage schämte ich mich nicht, musste es doch in diesen Zeiten viele Menschen geben, die sich mit ähnlichen Fragen quälten.


    "O Mamarce, großer Feldherr, Vater Roms und Beschützer der Frauen und Schwachen, mächtiger Kämpfer und erbitterter Streiter, höre die bescheidene Bitte Deines Dieners, der um seinen Vetter bangt - Flavius Aristides ist es, der als tot gemeldet wurde, und mein Herz ist es, welches dies nicht glauben will. Bitte lass mich wissen, ob es wahr ist, ob er wirklich tot ist, und ob wir wahrhaft um ihn trauern müssen - oder ob es noch nicht zu spät ist für Hoffnung. Denke an seine Verlobte, die auf ihn wartet, denke an seine Familie, an seine Kinder, die auf ihn warten, die hoffen, dass ein geliebter Mensch zurückkehrt .. und vielleicht denkst Du auch an Deinen Diener, der seinen Freund und Vetter vermisst und sich nichts weiter wünscht, als ihn lebendig wiederzusehen."
    So verharrte ich und betrachtete den Weihrauch, dessen dunkler Rauch sich mit der Luft zu vermischen begann und sich im Raum zefaserte, als sei graues Blut in Wasser geflossen ...

  • Diesmal hatte es mir wirklich nicht schnell genug gehen können. Eiligst hatte ich durch Maron einige Sklaven zusammenstellen lassen, die mich mit der Sänfte auf dem raschesten Wege zum Forum Augustum zu bringen hatten. Und ganz entgegen meinen sonstigen Umgangsformen hatten diese servi von mir während ihres Marsches wieder und wieder den Befehl zu hören bekommen, "doch endlich schneller zu gehen". Im Unterschied zu meinem letzten Besuch beim Tempel des Mars Ultor ließ ich mich diesmal so nahe wie möglich an das Gotteshaus herantragen, und Opfergaben hatte ich auch keine bei mir, denn ich war noch gar nicht sicher, ob ich ein Opfer darbringen würde; und wenn, würden sich die Gaben schon an Ort und Stelle erwerben lassen. Aber das war jetzt zweitrangig.


    Es kostete mich alle Mühe, nicht etwa auch noch in das heilige Haus zu hetzen, sondern es gemessenen Schrittes zu betreten, wie das an diesem Ort angebracht war. Kaum aber hatten sich meine Augen an das Halbdunkel des Raumes gewöhnt, glaubte ich unter den recht wenigen Betenden den Mann zu erkennen, wegen dem ich den Tempel so eilends aufgesucht hatte. Meine Ahnung hatte mich also in dieser Hinsicht nicht getrogen: Offenbar in tiefstes Gebet versunken, stand Flavius Aquilius an einem der Altäre. Leise, ganz leise schritt ich auf diesen Altar zu, so dass ich das aufgeregte und auch angstvolle Klopfen meines eigenen Herzens zu hören vermeinte. Ich blieb dann in einer Entfernung von diesem Altar und dem Marspriester stehen, dass mich der Betende auf keinen Fall bemerken konnte, denn natürlich wollte ich um nichts in der Welt sein Opfer stören. Nur Fetzen seines laut vorgetragenen Gebets drangen an mein Ohr; sie bestätigten wiederum meine Vermutungen und führten auch mich in tiefe Andacht, denn ich schloss mich aus tiefstem Herzen dem Anliegen des Flavius Aquilius an.

  • Tief im Gebet versunken war der Mann vor dem Altar, ebenso tief versunken schien der zweite Mann, der bald hinzu trat. Beide hatten nicht die Kinder bemerkt, die über den Vorplatz des Tempels tobten und Römer gegen Parther spielten. Ihre Rufe drangen nicht bis in den Tempel herein. Erst als sie ihr Spiel beendeten hatten und sich verabschiedeten, drang ein Ruf bis in den Tempel, als wollte er die Fragen der Betenden beantworten: "Wir sehen uns morgen."

  • Die Rufe der Kinder ließen mich aus meinen Gedanken auffahren - war dies die Antwort, die ich mir ersehnte? Oder war es nur ein Zufall? Doch im Leben eines Priesters gab es keine Zufälle, zumindest nicht dieser Art. Ich blickte an dem Mann vorbei zum Tempelausgang, ob ich die Kinder erkennen könnte, und blinzelte unwillkürlich. Einer der Jungen hatte ein Holzgladius zum Spielen, ein anderer trug eine aus Lumpen gefertigte Mütze im parthischen Stil - es musste ein Omen gewesen sein, auch wenn es für jeden anderen nur das harmlose und vor allem unschuldige Spiel einiger Jungen gewesen war. Wir sehen uns morgen ... die nächste Runde im Kampf, der Krieg ging weiter. Und Aristides ... lebte er noch, um diesen Kampf mitzumachen? Lebte er noch, allen Meldungen zum Trotz? Ich konnte nur das Beste hoffen, still bangen, wie es eben immer war, wenn man um jemanden fürchten musste, der einem vieles wert war.


    Überrascht musste ich feststellen, dass der Mann, der mir eben nur ein Sichthindernis gewesen war, jemand war, den ich kannte - Aurelius Cotta, der Verwandte meines besten Freundes, dem ich hier schon einmal bei einem Opfer geholfen hatte. Manche Menschen vergaß man eben nicht so leicht. "Salve, Aurelius Cotta," sagte ich freundlich, als ich vom Altar getreten war und mein Opfer mit einigen kurzen Dankesworten beendet hatte. Ein anderer Priester kam schon herbei, um den Altar abzuräumen und sich zweifelsohne die am besten aussehenden Kekse unter den Nagel zu reißen, aber diesmal war es mir gleich. Wenn Mars mir zugehört hatte, dann sollten sich meinetwegen meine Amtskollegen die ohnehin schon feisten Wänste weiter vollschlagen. "Führt Dich auch die Sorge um einen Verwandten hierher?"

  • Noch während des Gebets erschallte vom Vorplatz des Tempels her ein Ruf von einer hellen Kinderstimme. Ich war noch immer so tief in Andacht versunken, dass ich dem keine besondere Bedeutung beimaß und auch den Inhalt des Rufes nicht bewusst vernahm. Aufmerksam wurde ich erst, als sich offenbar auf diesen Kinderruf hin Flavius Aquilius umdrehte und an mir vorbei in Richtung Tempelausgang blickte; mich schien er dabei gar nicht wahrzunehmen. Jetzt erst sah auch ich mich um und konnte gerade noch zwei Jungen erkennen, von denen der eine ein Holzschwert trug, der andere aber eine Kopfbedeckung, wie sie auf den zahllosen Graffiti in der Stadt unsere Feinde, die Parther aufhatten; beide Jungen schienen sich voneinander zu entfernen. Nun erst begriff ich, dass diese kurze Szene ein Zeichen gewesen sein konnte, die Antwort des Gottes auf das Gebet seines Priesters; sofort wandte ich mich wieder um und sah Flavius Aquilius gebannt an.


    Dieser, geschult durch seinen aufopferungsvollen Dienst und wohl auch sensibilisiert durch persönliche Frömmigkeit, hatte dieses Zeichen offenbar schneller aufgefasst als ich und im Gegensatz zu mir wahrscheinlich auch vollständig. Denn schon kurz darauf, nachdem er noch einige abschließende Gebete gesprochen hatte, näherte er sich mir ohne die Anspannung, die ihm zuvor selbst aus meiner Entfernung und von hinten anzusehen gewesen war. Freundlich grüßte er mich; mir hingegen blieb nur, seinen Gruß immer noch ein bisschen verblüfft und überrumpelt zu erwidern:


    "Salve, Flavius Aquilius! Offen gesagt, führt mich die Sorge um einen Deiner Verwandten hierher. Ich habe die Acta Diurna gelesen ..."


    Bei diesen Worten musste ich ihn noch immer ziemlich verwirrt angesehen haben.

  • "Was immer Aristides geschehen sein mag, ich weigere mich zu glauben, dass er tot ist," erklärte ich mit einiger Bestimmtheit. "Denn wäre dem so, hätte es mir Mars gezeigt, er ist kein Gott, der die Menschen ewig rätseln und raten lässt. Letztendlich glaube ich, dass wir noch einige Tage warten müssen, bevor wir eine eindeutige Nachricht erhalten, und dann auch Gewissheit erlangen können. Hast Du die Kinder gehört? Es kann kein Zufall sein, dass sie ausgerechnet hier Römer gegen Parther spielten, das geschieht hier vor den Tempeln selten genug, die wenigsten Kinder trauen sich ohne Eltern hierher."
    Ein bisschen beruhigte ich mich auch selbst mit diesen Worten, und wie so oft lächelte ich einfach, um die letzten Zweifel auszuräumen. Ein Lächeln besaß sehr oft eine seltsame, übergreifende Macht, die Dinge besser erscheinen ließen, als sie waren. Dass ich noch immer Sorgen wegen Aristides' Schicksal hatte, musste Cotta nicht wissen ... und ich würde sie mit niemandem teilen.


    "Wenn Du also opfern willst, stehe ich Dir gern zur Seite ... inzwischen haben wir uns ja auch aneinander gewöhnt." Ich ließ ein schalkhaftes Augenzwinkern folgen, in Cottas Nähe fühlte ich mich durchaus wohl und das sollt er ruhig merken. In unserer Gesellschaft war es selten genug, dass mir überhaupt jemand auf lange Sicht sympathisch war, und dass er sich um meinen Verwandten sorgte, sprach sehr für ihn.

  • Als Flavius Aquilius nun auf meine Andeutung einging, die er mit seiner Sensibilität natürlich sofort verstanden hatte, meinte ich, ihm deutliche innere Erregung anmerken zu können. Bei seinen Worten über die Kinder, die Mars offenbar als Zeichen geschickt hatte, nickte ich und sah mich noch einmal in Richtung Tempelausgang um, als könnte ich meinem Gesprächspartner mit dieser Geste deutlicher zeigen, wie sehr ich seine Meinung teilte. Ob seine Erregung, die ich zu erkennen glaubte, eher darauf zurückzuführen war, dass er vom Zeichen des Gottes noch ganz und gar eingenommen war, oder vielleicht doch daher rührte, dass ein Rest Zweifel in ihm verblieben war, maßte ich mir nicht an zu beurteilen. Denn zum einen war ich in diesen Dingen oft tölpelhaft und lag daneben; niemand sprach freiwillig mit mir über seine Gefühle. Und zum anderen erschien mir Flavius Aquilius je länger, je mehr ohnehin als eine sehr geheimnisvolle Persönlichkeit: Ich hatte seit meinem ersten Besuch im templum das ein oder andere über ihn gehört, vor allem aber gingen mir seine Hände, die so ganz anders aussahen als meine und die mir gleich beim Opfer behilflich sein würden, nicht mehr aus dem Kopf. Ein Opfer darzubringen, dazu war ich nun entschlossen.


    "Auch ich habe die Kinder bemerkt, und ihr Spiel hier kann kein Zufall gewesen sein! Und ja, ich möchte ein Opfer darbringen für Flavius Aristides und alle anderen Soldaten, die in Parthia ihr Leben riskieren. Allerdings weiß ich nicht, ob ich Deine Hilfe in Anspruch nehmen kann, vielleicht möchtest Du jetzt allein sein."


    ... vielleicht aber auch gerade nicht, und das hoffte ich, und so hatte ich ihn auch nach seinen Worten und seinem warmen Lächeln verstanden.


    "Ich muss Dir aber sagen, dass ich gleich, nachdem ich die Acta gelesen hatte, hierher geeilt bin. Ich stehe also mit völlig leeren Händen da, was Opfergaben angeht; freilich habe ich diesmal auch keine falschen Opfergaben bei mir."


    Ich musste selbst schmunzeln bei dem Gedanken an das Obst, das ich beim letzten Mal mit mir geführt und dann schließlich der Ceres geopfert hatte.

  • "Es ehrt Dich, dass Du für alle milites opfern willst, Aurelius Cotta, und manches Mal glaube ich gar, dass ein Weg in die Tempel dieser Stadt für Dich ein ständiger sein könnte," erwiederte ich und atmete einmal tief durch, dann hatte ich mich wieder völlig in der Gewalt. Es war die Übung nicht nur dieses Jahrs, die mir half, meine persönlichen Empfindungen von dem zu trennen, was meine Pflicht war, sprach ich bei den Opfern die falschen Worte, weil ich abgelenkt war, würde das niemandem nutzen. "Hast Du Dir jemals überlegt, Deiner Pflicht für Volk und Staat als sacerdos nachzugehen? Eine politische Karriere wäre Dir dadurch nicht verwehrt." Dann allerdings schüttelte ich leicht den Kopf, jetzt war sicher nicht der richtige Moment, um über persönliche Ausrichtungen zu diskutieren, vor allem nicht im Angesicht der Statue des Mars.


    "Ich werde Dir gern für ein Opfer zur Seite stehen, und dass Du keine Gaben dabei hast, sollte kein Problem sein. Wir müssen nur ein paar Schritte vor den Tempel machen, dort sind genug fliegende Händler unterwegs, die sich sicher freuen, ihre Kekse und Weinamphoren loszuwerden." Im Grunde waren der Tempel und die Händler ohnehin voneinander abhängig - wer vor dem Tempel noch Opfergaben kaufen konnte und sie nicht durch die halbe Stadt schleppen musste, opferte eher - und durch den stetigen Strom der Opfernden waren die Händler sicher, ein gutes Geschäft machen zu können. "Wollen wir einige Schritte hinaus machen?" Ich machte eine einladende Geste, würde es mir doch auch die Gelegenheit zu einem Gespräch etwas abseits des Tempels geben, und etwas genauer kennenlernen wollte ich diesen Verwandten meines besten Freundes in jedem Fall.

  • Nur zu gerne wollte ich schon auf die freundliche Einladung des Marspriesters eingehen, mit mir ein paar Schritte vor den Tempel zu machen und dort die für das Opfer nötigen Gaben einzukaufen: Meine Lippen formten nur zu gern ein Lächeln, und mein spitzes Kinn senkte sich schon zu einem dankbaren Nicken. Doch durfte ich das überhaupt? Konnte ich den sacerdos wirklich aus dem templum und von seinen Gebeten und eigenen Sorgen entführen - um Händlern ein Geschäft zu ermöglichen? Ich kam mir schäbig vor und sah den Patrizier noch einmal prüfend an. Doch er seinerseits musterte mich, wie mir schien, mit wohlwollender Neugierde; seine ganze anziehende Gestalt wirkte einladend, und - ja, vielleicht hätte er sich nach all dem, was sich in den vergangenen intensiven und anspannenden Momenten ereignet hatte, ohnehin gerne einmal die Füße vertreten. Nach einem kurzen Zögern nickte ich daher wirklich, ließ Flavius Aquilius vorgehen und folgte ihm dann vor den Tempel, mithin an jenen Ort, an dem vor kurzer Zeit die Kinder ihr so bedeutungsvolles Spiel gespielt hatten. Da in Sichtweite des Tempeleingangs immer noch meine Sänfte mitsamt einiger Sklaven wartete, wollte ich schon einem von diesen winken, damit er dann die Opfergaben an sich nehmen würde. Zufrieden konnte ich in dem Moment jedoch aus den Augenwinkeln heraus feststellen, dass sich bereits einer der Sklaven - wie es schien, Trautwini - aus eigener Initiative zu uns auf den Weg machte.


    Dies ermöglichte mir, mich nun ungeteilt Flavius Aquilius zuzuwenden - und gerade das fiel mir nicht leicht. Natürlich war ich seit meinen ersten Bartstoppeln immer wieder nach meinen Zukunftsplänen gefragt worden; dass man als Patriziersohn nicht für sich selbst am Leben war, sondern für die gens, für Rom und den Kaiser, hatte auch ich schon früh realisiert. Auf derartige Fragen hatte ich nur bis jetzt immer sehr allgemein und ausweichend mit politischen Ambitionen geantwortet; weil es davon für Patrizier nicht mehr viele gab, hatten die Fragesteller und Fragestellerinnen sich mit dieser Aussage immer schnell zufrieden gegeben. Flavius Aquilius aber in diesem Sinne und Tonfall zu antworten, war mir schlicht unmöglich. Ob es daran lag, dass er mich mit seinem Hinweis auf den cultus deorum auf eine direkte Alternative aufmerksam machte? Oder lag es an ganz etwas anderem - ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich nicht mit ein, zwei Sätzen würde antworten können und dass ich mehr würde sagen müssen über mich und meine Gefühle, als ich es gewohnt war. Denn wer fragte schon danach? Aber - so ging es mir plötzlich durch den Kopf, und mein ganzes Gesicht wurde glühend rot - aber wen fragte ich eigentlich danach? Doch man hatte uns beigebracht, über so etwas nicht zu sprechen. Und unsere religio romana verabscheute derartige Sentimentalitäten, so jedenfalls hatte ich das verstanden, was man mich darüber gelehrt hatte. Ich sah zu Flavius Aquilius auf, denn ich wusste, dass ich seine Fragen nicht mehr länger mit Schweigen übergehen durfte, um nicht vollends ungehobelt zu wirken. Zunächst aber brachte ich doch nur einige Phrasen hervor, wenn auch ihr Inhalt ernst gemeint war.


    "Deine Frage nach einem möglichen Interesse, das ich am cultus deorum hegen könnte, ehrt mich sehr! Denn das ist einer der hervorragendsten Orte, um der Pflicht für Volk und Staat nachzukommen. Ich persönlich komme mir dafür aber reichlich unwürdig vor"


    Ohne meine willentliche Steuerung ließ meine Stimme diesen Satz sonderbar in der Luft hängen. Wieder blickte ich den Marspriester an, irgendwie darauf hoffend, er werde es jetzt schon richten und das Gespräch in die von mir gewünschte persönliche Richtung führen. Ich war nicht bereit, die Verantwortung für den Verlauf dieses Gespräches selbst zu übernehmen. Und ich wollte also für den CH kandidieren ... Entschlossen, dabei vielleicht etwas schnell redend, fügte ich an:


    "Flavius Aquilius, ich möchte Deine Frage eigentlich nicht mit den wenigen Sätzen abtun, die ich gerade geäußert habe. Wenn ich aber länger darauf eingehe, dann muss ich vielleicht ... etwas Persönliches über mich sagen. Deine Zeit ist begrenzt, und Deine Gedanken sind eingenommen von den Sorgen um Deine Verwandten. Ich möchte Dich nicht belästigen."


    Schon begann ich, mich unter den Händlern, die mir bei meiner hektischen Ankunft gar nicht aufgefallen waren, nach den geeigneten Opfergaben umzusehen. Auch Trautwini war inzwischen zu uns gestoßen.

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