Und wieder hat das Schicksal die Iulier getroffen... und mich dazu auserkoren, ein Testament anfechten zu müssen (damit die Iulii nicht auch mal so vor ihrem Stammsitz stehen wie Stella gerade ^^).
Dives erkannte, dass er die junge Frau offensichtlich etwas aufgebracht hatte mit seinen Worten. Umso mehr zwang er sich dazu, der eigenen Bitterkeit zum Trotz - einer Bitterkeit, die an dieser Stelle einzig auf seine trüben Gedanken die Gens Tiberia betreffend zurückzuführen war und sich nicht etwa in der weiblichen Emotionalität des Mädchens begründete - äußerlich Haltung und Ruhe zu bewahren. Immerhin entschuldigte sie sich letztlich für ihren Ausbruch und erkannte, dass sie vieles noch nicht verstand.
"Das tut mir Leid.", gab der im Gegensatz zur vorherigen Emotinalität des Mädchens sehr ruhige Ton des Iuniers dem Iulier die Gelegenheit, kurz Anteil zu nehmen am offenbar ebenfalls recht frühen Verlust des eigenen Vaters. Anschließend dann erfuhr der Senator - wohl bemerkt vom Soldaten und nicht etwa von der jungen Frau selbst - ihren Namen: Stella. Fast schon ein wenig patriotisch sprach der Urbaner weiter und erntete für seine Worte ein deutliches Nicken des Iuliers. "Ganz genau.", verbalisierte er am Ende dann auch seinen Zuspruch.
"Lass mich, nachdem du selbst sagtest, vieles nicht ganz zu verstehen, versuchen, dir noch einmal einen der in meinen Augen wichtigsten Punkte zu erklären.", holte er sodann an Stella gewandt aus. "Das Prinzip, über das ich sprach; das Prinzip, nach welchem wir mit den Göttern in Kontakt stehen; dieses göttliche Prinzip nennt sich: Do ut des. Es heißt, ich gebe, damit du gibst.", betonte er. "Wir müssen also in Vorleistung gehen, wollen wir den Schutz und Segen der Götter erhalten. Andernfalls können wir ihre Gunst nicht für uns einfordern.", wies er darauf hin, wo hier der Denkfehler der jungen Frau lag. "Als ich eben an euch herantrat, um mich nach dem vorbildlichen Kameraden des hilfsbereiten Iunius hier zu erkundigen, bin auch ich - so profan dies erscheinen mag - in Vorleistung gegangen: Ich habe mich ihm und dir vorgestellt.", setzte er an dieser Stelle eine kurze Zäsur und hoffte, dass Stella womöglich von allein darauf käme, dass sie zwar gerade jede Menge Forderungen geäußert hatte, ihre Vorstellung ihm gegenüber jedoch noch immer schuldig geblieben war. "Wie Iunius absolut richtig und vortrefflich auf den Punkt gebracht hat, darf der, der sich Gutes erhofft, selbst nicht untätig sein."
"Du fragtest, wer den Tiberii geholfen hat.", leitete er über. "Und ich kann dir bei Apollo", dem divitischen Lieblingsgott, der zugleich - ein glücklicher Zufall? - auch als Schwurgott bekannt war, "sagen, dass ich selbst zu Zeiten des Bürgerkriegs und der bereits zuvor begonnenen vescularischen Herrschaft hier in Roma tatsächlich einer derjenigen war, die stets zu den Tiberii gehalten haben. Ich habe sie in der Domus Iulia empfangen, habe sie in der Villa Tiberia besucht, habe sie zu privaten Feierlichkeiten eingeladen und mich auch zu öffentlichen Anlässen mit ihnen sehen lassen, habe sie in der von den Iulii geleiteten Societas Claudiana et Iuliana mit größtem Vergnügen aufgenommen und habe so auch insgesamt den Kontakt bestmöglich gepflegt und mich selbstverständlich stets bemüht zu helfen, wenn man mich um etwas gebeten hat.", führte er ruhig aber entschieden aus. "Gerade mir sollte man daher - und wer den Vescularius Usurpator", bemühte Dives den selbstkreierten Spitznamen alter Zeiten, "erlebt hat, der weiß, wozu dieser Mann im Zweifel bereit war - nicht vorwerfen, ich wäre feige gewesen oder hätte untätig daneben gestanden, als die Gens meines Großonkels" mütterlicherseits über Alypia Octavia "Tiberius Dolabella und seiner Tochter Tiberia Faustina", mit der Dives darüber hinaus auch väterlicherseits über Iulia Gemella verwandt war, "Hilfe brauchte.", wies er so weit nur irgend möglich diesen impliziten Vorwurf Stellas von sich.
"Das göttliche Prinzip, es nennt sich: Do ut des.", schlug der Senator den Bogen zurück zum Beginn seiner Erklärung. "Es kennt also zwei Richtungen. Und manchmal, so schmerzlich diese Erkenntnis uns auch erscheinen mag, liegen die Antworten auf die großen Fragen nicht dort, wo man sie sucht und gerne finden würde.", strich er dann mit bedeutungsschwerer Miene heraus. Es war nach Auffassung des Iuliers hier eindeutig nicht die Frage, was alle anderen für die Tiberii getan hatten. Umgekehrt jedoch fragte gerade er sich sehr wohl, was die Tiberii ihm eigentlich zurückgegeben hatten... außer einer gezielten, praetorianischen Ermittlung gegen die Familia Iulia Dives samt eines Verhörs seiner ungeliebten Frau hinter seinem Rücken, dem Rücken des Pater Familias. Er senkte seinen Kopf. "So gern also auch ich selbst die Cohortes Urbanae anklagen würde dafür, dass die Straßen, auf denen meine beiden Verwandten jüngst ihr Leben ließen, nicht sicherer waren", so sprach er offen auch gegenüber dem iunischen Soldaten, "so schwer fällt mir dies. Denn schlussendlich muss auch ich eingestehen, dass vor allem ich selbst es bin, der vielleicht mehr hätte tun, der vielleicht mehr hätte... geben müssen.", betonte er das Wort, welches auch im 'Do ut des' gleich zweifach Verwendung fand. Ja, Dives hatte sich mit seinen Kindern nach Bovillae zurückgezogen, weil er es einst für das beste und einzig richtige gehalten hatte. Und wahrscheinlich war es das auch gewesen - zumindest für eine gewisse Zeit. Doch nach der Nachricht seines Cousins vom Tod des Trecenarius Tiberius... Was wäre gewesen, wäre er nach dieser Nachricht zurückgekehrt? Auf welche Entscheidungen im Senat hätte er mit seiner Stimme einwirken, welche Vorgänge außerhalb des Senats hätte er allein durch seine Anwesenheit beeinflussen können? Es stand die große Frage im Raum: Hätte er den frühen, gewaltsamen Tod seines Cousins und seiner Cousine verhindern können, wenn er sch damals entschieden, Roma wieder mehr zu dienen... mehr zu geben?