• Sim-Off:

    Und wieder hat das Schicksal die Iulier getroffen... und mich dazu auserkoren, ein Testament anfechten zu müssen (damit die Iulii nicht auch mal so vor ihrem Stammsitz stehen wie Stella gerade ^^).


    Dives erkannte, dass er die junge Frau offensichtlich etwas aufgebracht hatte mit seinen Worten. Umso mehr zwang er sich dazu, der eigenen Bitterkeit zum Trotz - einer Bitterkeit, die an dieser Stelle einzig auf seine trüben Gedanken die Gens Tiberia betreffend zurückzuführen war und sich nicht etwa in der weiblichen Emotionalität des Mädchens begründete - äußerlich Haltung und Ruhe zu bewahren. Immerhin entschuldigte sie sich letztlich für ihren Ausbruch und erkannte, dass sie vieles noch nicht verstand.


    "Das tut mir Leid.", gab der im Gegensatz zur vorherigen Emotinalität des Mädchens sehr ruhige Ton des Iuniers dem Iulier die Gelegenheit, kurz Anteil zu nehmen am offenbar ebenfalls recht frühen Verlust des eigenen Vaters. Anschließend dann erfuhr der Senator - wohl bemerkt vom Soldaten und nicht etwa von der jungen Frau selbst - ihren Namen: Stella. Fast schon ein wenig patriotisch sprach der Urbaner weiter und erntete für seine Worte ein deutliches Nicken des Iuliers. "Ganz genau.", verbalisierte er am Ende dann auch seinen Zuspruch.


    "Lass mich, nachdem du selbst sagtest, vieles nicht ganz zu verstehen, versuchen, dir noch einmal einen der in meinen Augen wichtigsten Punkte zu erklären.", holte er sodann an Stella gewandt aus. "Das Prinzip, über das ich sprach; das Prinzip, nach welchem wir mit den Göttern in Kontakt stehen; dieses göttliche Prinzip nennt sich: Do ut des. Es heißt, ich gebe, damit du gibst.", betonte er. "Wir müssen also in Vorleistung gehen, wollen wir den Schutz und Segen der Götter erhalten. Andernfalls können wir ihre Gunst nicht für uns einfordern.", wies er darauf hin, wo hier der Denkfehler der jungen Frau lag. "Als ich eben an euch herantrat, um mich nach dem vorbildlichen Kameraden des hilfsbereiten Iunius hier zu erkundigen, bin auch ich - so profan dies erscheinen mag - in Vorleistung gegangen: Ich habe mich ihm und dir vorgestellt.", setzte er an dieser Stelle eine kurze Zäsur und hoffte, dass Stella womöglich von allein darauf käme, dass sie zwar gerade jede Menge Forderungen geäußert hatte, ihre Vorstellung ihm gegenüber jedoch noch immer schuldig geblieben war. "Wie Iunius absolut richtig und vortrefflich auf den Punkt gebracht hat, darf der, der sich Gutes erhofft, selbst nicht untätig sein."


    "Du fragtest, wer den Tiberii geholfen hat.", leitete er über. "Und ich kann dir bei Apollo", dem divitischen Lieblingsgott, der zugleich - ein glücklicher Zufall? - auch als Schwurgott bekannt war, "sagen, dass ich selbst zu Zeiten des Bürgerkriegs und der bereits zuvor begonnenen vescularischen Herrschaft hier in Roma tatsächlich einer derjenigen war, die stets zu den Tiberii gehalten haben. Ich habe sie in der Domus Iulia empfangen, habe sie in der Villa Tiberia besucht, habe sie zu privaten Feierlichkeiten eingeladen und mich auch zu öffentlichen Anlässen mit ihnen sehen lassen, habe sie in der von den Iulii geleiteten Societas Claudiana et Iuliana mit größtem Vergnügen aufgenommen und habe so auch insgesamt den Kontakt bestmöglich gepflegt und mich selbstverständlich stets bemüht zu helfen, wenn man mich um etwas gebeten hat.", führte er ruhig aber entschieden aus. "Gerade mir sollte man daher - und wer den Vescularius Usurpator", bemühte Dives den selbstkreierten Spitznamen alter Zeiten, "erlebt hat, der weiß, wozu dieser Mann im Zweifel bereit war - nicht vorwerfen, ich wäre feige gewesen oder hätte untätig daneben gestanden, als die Gens meines Großonkels" mütterlicherseits über Alypia Octavia "Tiberius Dolabella und seiner Tochter Tiberia Faustina", mit der Dives darüber hinaus auch väterlicherseits über Iulia Gemella verwandt war, "Hilfe brauchte.", wies er so weit nur irgend möglich diesen impliziten Vorwurf Stellas von sich.


    "Das göttliche Prinzip, es nennt sich: Do ut des.", schlug der Senator den Bogen zurück zum Beginn seiner Erklärung. "Es kennt also zwei Richtungen. Und manchmal, so schmerzlich diese Erkenntnis uns auch erscheinen mag, liegen die Antworten auf die großen Fragen nicht dort, wo man sie sucht und gerne finden würde.", strich er dann mit bedeutungsschwerer Miene heraus. Es war nach Auffassung des Iuliers hier eindeutig nicht die Frage, was alle anderen für die Tiberii getan hatten. Umgekehrt jedoch fragte gerade er sich sehr wohl, was die Tiberii ihm eigentlich zurückgegeben hatten... außer einer gezielten, praetorianischen Ermittlung gegen die Familia Iulia Dives samt eines Verhörs seiner ungeliebten Frau hinter seinem Rücken, dem Rücken des Pater Familias. Er senkte seinen Kopf. "So gern also auch ich selbst die Cohortes Urbanae anklagen würde dafür, dass die Straßen, auf denen meine beiden Verwandten jüngst ihr Leben ließen, nicht sicherer waren", so sprach er offen auch gegenüber dem iunischen Soldaten, "so schwer fällt mir dies. Denn schlussendlich muss auch ich eingestehen, dass vor allem ich selbst es bin, der vielleicht mehr hätte tun, der vielleicht mehr hätte... geben müssen.", betonte er das Wort, welches auch im 'Do ut des' gleich zweifach Verwendung fand. Ja, Dives hatte sich mit seinen Kindern nach Bovillae zurückgezogen, weil er es einst für das beste und einzig richtige gehalten hatte. Und wahrscheinlich war es das auch gewesen - zumindest für eine gewisse Zeit. Doch nach der Nachricht seines Cousins vom Tod des Trecenarius Tiberius... Was wäre gewesen, wäre er nach dieser Nachricht zurückgekehrt? Auf welche Entscheidungen im Senat hätte er mit seiner Stimme einwirken, welche Vorgänge außerhalb des Senats hätte er allein durch seine Anwesenheit beeinflussen können? Es stand die große Frage im Raum: Hätte er den frühen, gewaltsamen Tod seines Cousins und seiner Cousine verhindern können, wenn er sch damals entschieden, Roma wieder mehr zu dienen... mehr zu geben?

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  • Im Gesicht des Soldaten glaubte Stella inzwischen etwas Menschliches gefunden zu haben. Er verlor sogar jene harte Ausstrahlung, die ihn eisern gemacht hatte. Es war also doch nur eine Maske, die einen sensiblen jungen Mann verbarg. Stella schenkte dem Soldaten einen liebevollen Ausdruck ihrer Augen. Als Tochter eines Soldaten wusste sie darum, wie der Dienst eine Seele vergiften konnte, wenn das militärische Leben seine Spuren hinterließ. Oft waren sie selbst mehr Gefangene ihrer eigenen Entscheidung, als sie wirklich glauben wollten. Antworten fanden sie selten. Kein Schlachtfeld hatte wirklich je Frieden gebracht und am wenigsten den Soldaten. Stella verabscheute genau jene Gewissheit. Ihr Vater war daran zerbrochen. Eine Kunst, die Blut und Tod benötigte, konnte dieses Handwerk wirklich so gut sein? Stella dachte daran, was aus diesem Mann geworden wäre, wenn er nicht Soldat geworden wäre. Vielleicht ein Sänger? Ein Philosoph? Ein Bauer? Sie stellte sich ihn als Bauern vor, welcher mit ihr zusammen Karotten anpflanzte. Eine wertvolle Vorstellung, da sie ihn inzwischen mochte. Nicht nur, weil er nett zu ihr geworden war, sondern weil er sich geöffnet hatte. Ehrlichkeit war eine Währung der Aufrechten.
    "... das ist...," suchte die Frau einen Satz und beobachtete dabei mit ihren Augen jegliche Reaktion in seinem Angesicht. Stella spürte, dass diesen Mann etwas bewegte. Nicht nur der Tod seines Vaters. Etwas, was beide teilten. Der Verlust verband und dieses Band war nicht mehr allein mit Pflicht zu verderben. "Ich...," suchte sie weitere Worte aber fand sie nicht. Es blieb der liebevolle Ausdruck in ihrem Gesicht, dieses freudige Vertrauen in etwas Gutes, welches Stella einen fast halbgöttlichen Glanz verlieh. Stella war gehorsam gegenüber ihrem Herzen und ihr Herz befahl, dass dieser Soldat ihr ehrliches Lächeln verdiente. Stella wollte ihm zeigen, dass er nicht verloren war und so sagte die Tiberia mit sonnenerwärmter Stimme: "Ich verstehe dich." Sie verstand ihn wirklich. Mehr musste sie nicht sagen. Es war genug gesagt, um unter diesem Himmel, der mehr Leid überdeckte, zu stehen. Manchmal waren menschliche Worte zu viel. Zu leer, zu bedeutungslos, denn manchmal brauchte es einfach eine menschliche Geste und eine göttliche Intervention in Form eines Augenblickes, der Menschen zusammen brachte, die unter anderen Umständen nie zusammengekommen wären. Die Sonne schien gar über wohlwollend auf diesen Augenblick zu fallen, da zwischen Scato und Stella ein breiter Lichtstrahl fiel und eine Brücke aus Licht schlug. Während Scato weiter sprach, legte er die Hand auf sein Herz. Eine Geste der Überzeugung und eines Eides gegenüber etwas. Eine Geste, die Stella beeindruckte und diesen Soldaten sogar ein wenig süß wirken ließ. Mutig sprach er von Rom und was Rom sein könnte. Er glaubte wirklich daran. Stella nicht. Zu viel hatte sie von ihrem Vater gehört, zu viel miterlebt aber es tat gut, diese Worte zu hören. Vielleicht würde sie eines Tages auch wieder daran glauben, dass Rom besser werden konnte, durch Entscheidung und Willenskraft. Ihr eigener Vater hatte daran geglaubt aber sich darin verloren. Und Rom möglicherweise sogar schlechter gemacht. Stella glaubte nicht an dieses Rom. Nicht an Macht und auch nicht an Imperien. Sie glaubte an Menschen. An ihre Fähigkeiten und ihre Schwächen. An all das, was Menschen ausmachte und bewegte. Rom war nur eine Stadt. Nur eine Idee von Macht und Größe. Ein Traum von Gesetz und Gesellschaft. Am Ende war es nicht Rom, sondern die Menschen, die Entscheidungen trafen. Und Rom waren Menschen. Da hatte der Soldat Recht. Seine Geste war aus Stellas Sicht wunderschön.


    "Tue es doch einfach für die Menschen," meinte Stella, wie von fremder Hand gesteuert und blickte den Soldaten mit einem geneigten Kopf an. "Warum müssen wir Menschen immer die Verantwortung an Ideen oder Namen abtreten?" Stella dachte laut nach. "Es gibt nur ein Ende, welches uns erwartet und soll unser Leben allein einer Idee gedient haben? Ist diese Idee das Leben guter Menschen wert?" Fragen, die Stella offen stellte und fast ketzerisch ehrlich sprach. Sie hatte keinen guten Bezug zu Rom, da alles, was ihr dieser Name gebracht hatte, war Leid, Trauer und Schmerz. Der Soldat glaubte an Rom. "Dein Glauben ehrt dich und ich wünschte, dass ich auch diese Fähigkeit hätte," meinte die Tiberia. "Mein Vater glaubte ebenfalls an dieses Rom und es hat ihn getötet," warf sie kalt einen Satz hervor und blickte dann zum Senator, bevor sie wieder zum Soldaten blickte, der ihr anbot, sie nach Hause zu geleiten. "Ich habe kein Zuhause mehr," sagte sie mit trauriger Stimme und blickte unmerklich hektisch zur Villa Tiberia. Fast so, als ob sie dem Soldaten einen ehrlichen Hinweis geben wollte. Doch sagen konnte sie es nicht. Nicht jetzt.


    Die Kopfbewegung endete abrupt, als der Senator erneut sprach.


    Es dauerte einen langen Atemzug, da antwortete Stella sehr leise: "Ich verstehe nun." Nein, sie verstand nicht wirklich. In ihren Augen war es bedeutungslos, sich über die Götter zu sorgen, wenn eine Person so oder so der Tod erwartete. Die Götter waren mit den Tüchtigen. Das wusste sie. Eine Spende im Tempel, ein Opfer auf einem Altar, konnte nur Zeit erkaufen. Zeit, die ohnehin ablief. Nur Pluto nahm gerecht auf. Nur Pluto war der Gott, dem man opfern musste, um die geschenkte Zeit nutzen zu können. Schließlich führte der Senator weiter aus. Stella blickte den Senator interessiert an. Er sprach über ihre Familie, gab ihr eine Antwort, die sie schmerzte. Es war eine Familiengeschichte im Schnelldurchlauf, die immer wieder dort traf, wo der Verlust noch hauste. Trauer war wieder ihr bester Freund und es fiel ihr schwer, dem Senator weiter zu folgen. "Die Tiberii schulden dir Dankbarkeit," gab sie merkwürdig deplatziert von sich, so als ob sie für dieses Haus sprechen konnte (was sie mit Sicherheit auch konnte) aber derzeit wollte sie nicht für das Haus sprechen. Stella war noch nicht die Advokatin der Tiberii, da es noch zu gefährlich war, sich in der Welt zu offenbaren. Ohne Erbe und Schutz würde sie genau jenen Dank nicht zeigen können. Das Sonnenlicht wanderte nun ein Stück. Stella holte erneut tief Luft, versuchte die Trauer in den Käfig zurückzudrängen, den ihr mutiges Herz gebaut hatte.
    "Wir hätten stets mehr tun können. Wir alle sind doch nur Gefangene unseres eigenen Schicksals, Senator." Stella dachte erneut laut nach und sprach das aus, was sie dachte und dies ohne jede Schranke. "Ich werfe mir dies auch oft vor aber diese Vorwürfe bewegen nichts. Wir können nur daraus lernen und bessere Menschen werden, um der Aufgaben gerecht zu werden, die uns dieses Leben entgegen wirft. Niemand ist für die Umstände verantwortlich aber dafür, wenn er nichts daran ändert," gab die Tiberia von sich und blickte den Senator mit ebenso bedeutungsschwerer Miene an und nickte dann verständnisvoll. "Fortes fortuna adiuvat," säuselte sie merkwürdig und blickte dann zum Soldaten, dem sie wieder ein fürsorgliches Lächeln schenkte.

  • Die Ausführungen des Senators hatten schon philosophischen Charakter. Scato gefiel diese Sicht, denn sie stimmte mit seiner in vielen Belangen überein. Nur hatte er weniger wohlklingende Worte dafür gefunden. Für den Iulius aber hatten die Ausführungen auch die Funktion, eine mögliche Schuld höflich, aber bestimmt von sich zu weisen. Scato nickte, um anzuzeigen, dass er zustimmte, wenngleich er dennoch gewisse Feindbilder hegte, die es seiner Meinung nach auszumerzen galt. Dies war sein Verständnis von Do ut des. Er überlegte einen Moment, ob er seine weiteren Gedanken verbalisieren sollte, entschied sich dann aber dafür.


    "Ein Soldat trägt sich jeden Tag erneut selbst zum Altar, bis die Unsterblichen sein Leben eines Tages vielleicht einforderten oder entscheiden, dass es nicht notwendig sei. Es ist das größte Opfer, zu dem wir fähig sind. Jeder von uns gibt sein Blut und, wenn es sein muss, sein Leben, damit das der anderen ein Stück besser wird. Dies ist mein Dienst an Rom und den Göttern. Und das eines jeden anderen, der diesen Weg wählt, damit andere ihn nicht gehen müssen. Darum denke ich: Ja, Rom ist das Leben guter Menschen wert. Und das, Stella, wird auch dein Vater so oder so ähnlich gesehen haben, sonst hätte er all das nicht auf sich genommen. Rom hat ihn nicht getötet. Er selbst hat sich bereitwillig geopfert."


    Dass das Fräulein Scato so zutraulich anlächelte, überforderte ihn ein wenig und seine Ohren röteten sich, da er weibliche Aufmerksamkeit nicht eben gewohnt war (es sei denn, er hatte es mal wieder geschafft, sich beim sanften Geschlecht unbeliebt zu machen), doch er lächelte verhalten zurück. Sein Blick richtete sich erneut auf die ausgestorbene Villa.


    "Namen sind Abstraktionen von etwas viel Größerem", erklärte er der aufgebrachten kleinen Frau. "Rom in seiner Gänze zu beschreiben, in all seinen Facetten und mit all seinem Glanz und Schatten, würde ganze Bibliotheken füllen. Der Begriff komprimiert alles. Und darum liegt in Namen die gleiche Macht wie in einer Pfeilspitze, welche die Kraft des Schützen auf einen winzigen Punkt fokussiert."

  • Sim-Off:

    Tut mir Leid. Es wollen plötzlich so viele etwas, dass es nicht ganz einfach ist, allen so halbwegs gerecht zu werden...


    Der Iulier nickte zufrieden, als die junge Frau, die angab kein Zuhause zu besitzen (war sie etwa eine Obdachlose?), erklärte, dass sie nun verstand. Denn letztlich war der Kern seiner Worte wohl auch nicht allzu schwer zu verstehen gewesen: Ob man Iuppiter, Neptun, Pluto oder irgendeinem anderen Gott opferte, jeder einzelne von ihnen erwartete erst eine Gabe, bevor er selbst gab. Daher, und davon war der Iulier absolut überzeugt, half es niemandem, sich nur über all die Ungerechtigkeit in der Welt zu beklagen und Hilfe zu fordern. Man musste etwas tun... musste etwas geben, um im Gegenzug auch wieder etwas zu erhalten. Dies hatte der heutige Senator einst selbst tun müssen - und getan. Im Anschluss an den Bürgerkrieg hatte er als Iulier - der genauso wie einige seiner Verwandten und engen Freunde gar eine kurze Zeit in den Castra Praetoria inhaftiert gewesen war - sich nicht beklagt über diese Ungerechtigkeit und über die schlechten Aussichten für seine weitere Zukunft. Stattdessen hatte er nicht weniger als sich selbst gegeben, als er sich dem Consular Vinicius Hungaricus als Klient angeboten hatte. - Eine Gabe, von welcher er anschließend lange Zeit profitieren konnte... und zweifellos bis heute politisch profitierte.


    Dives zeigte sich für einen Augenblick ein wenig irritiert von der Aussage, die Tiberii wären ihm Dankbarkeit schuldig. Denn Dankbarkeit war es nicht, was er damals erwartet hätte oder heute erwarten würde. So schüttelte er also leicht den Kopf. "Loyalität.", sagte er dann. "Sie wären mir Loyalität schuldig gewesen - dieselbe Loyalität, die ich ihnen gegenüber stets gezeigt habe.", erklärte er stattdessen und sah kurz zur Villa hinüber. Nein, er verlangte keine Dankbarkeit. Und nach allem, was geschehen war, erwartete er heute auch keine Loyalität mehr - eine Loyalität, die es offenkundig ohnehin nur in eine Richtung wirklich gegeben hatte. Doch bis heute hatten sich weder sein ehemaliger "Verbündeter", Trauzeuge und Mitsenator Tiberius Lepidus noch sein Mitklient Tiberius Ahala (sie teilten sich denselben vinicischen Patron, dem einst auch der Consular Tiberius Durus ein Klient war) auch nur mit einem einzigen Wort für das Verhalten ihres Verwandten entschuldigt oder sich davon distanziert. Und Dives - das wussten einige - war niemand, der schnell vergaß...


    "Das stimmt. Selbstvorwürfe bringen niemandem etwas. Denn letztlich führen sie zu nichts, da auch sie das Geschehene nicht ungeschehen machen können.", stimmte er der jungen Frau anschließend zu. Das Glück war mit den Tüchtigen... Dies aus dem Munde einer scheinbar Obdachlosen zu hören, ließ den Iulier etwas schmunzeln. Im Kern jedoch hatte sie damit natürlich dennoch recht: Dives käme wohl nicht umhin, sich nach dem Tod seines Cousins Caesoninus wieder dauerhaft zurück nach Roma zu begeben, wenn er verhindern wollte, dass bald ein Iulier nach dem nächsten starb und die Domus Iulia dann in traurige Konkurrenz mit der Villa Tiberia trat. Der Senator nickte also, während er schmunzelte, bevor ihn kurz darauf die Worte des Iuniers einfingen - und irgendwie berührten.


    "Das...", hatte er wirklich gut auf den Punkt gebracht. "...ist ein wirklich schöner Gedanke, Iunius.", zeigte sich Dives von dieser Sicht beeindruckt und musste - als erwähntermaßen Sohn eines ebenfalls vorzeitig im militärischen Dienst an Roma verstorbenen Vaters - in der Folge unweigerlich an selbigen denken. Caius Iulius Constantius. Die Konstante im Leben des Iuliers, deren ganze Konstanz für ihn letztlich darin bestand, nie da gewesen zu sein. Auch ihn hatte Roma nicht getötet - obgleich Dives dies auch nie derart betrachtet hatte. Stattdessen hatte auch er sich bereitwillig geopfert...
    So sehr er sich auch in der Vergangenheit mit diesem Schicksal abgefunden hatte und den Tod seines Vaters verkraftet und akzeptiert hatte, so sehr verspürte er in diesen Worten einen Trost, der ihn selbst in diesem Augenblick ein wenig überraschte.

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  • Achilles wurde durch seine Loyalität getötet, nicht nur die gegenüber seinem Eid, sondern auch gegenüber seiner eigenen Legende und seinem Herzen. Loyalität war es Sicht der jungen Tiberia nur dann vertretenswert, wenn sie gegenüber gerechten Versprechen stand. Es lag eine Ironie darin, dass Loyalität oft als Entschuldigung für eigenes Versagen betrachtet wurde. Stella war loyal aber verwandte den Begriff Loyalität nicht so, wie es der Senator tat. Sie war loyal gegenüber ihrem Herzen, gegenüber Menschen und auch einem übergeordneten Ideal. Loyalität ist man nicht schuldig, sondern man ist es schlicht. Loyalität ist keine Schuld, kein Vermächtnis, sondern eine Entscheidung einer Person gegenüber einer Sache oder einer Person. Echte Loyalität war nicht zu kaufen oder zu erwerben, sondern nur zu finden. Der Senator schien Loyalität als Geschäft zu betrachten und Stella sah es schlicht anders. Stella wollte antworten, den Senator konfrontieren und ihre Meinung darlegen, tat es aber nicht. Es hatte keinen Sinn, einem Mann, der Loyalität als Schuld betrachtete, das Gegenteil zu beweisen und Loyalität als Prinzip zu erheben. Im Gegenzug entschied sich Stella einen Gedanken preiszugeben. "Es liegt eine Ironie darin, dass Menschen gute Gründe zum Leben suchen und dies die gleichen Gründe sind, warum sie am Ende ihr Leben verlieren," platzierte die düstere Stella eine verbale Saat, die auch bei anderen ein Gedanke werden konnte. Eine Idee des Zweifels an der eigenen Position, dem eigenen Leben und auch der eigenen Wege. Im Chaos klammerten sich Menschen an manche Dinge, die keinen Wert hatten. Und oft starben und lebten Menschen für die falschen Gründe. Meistens jedoch für sich selbst. "Ich glaube, dass wir einander nichts schuldig sind, außer weiter zu machen. Ein Leben ist kein Urteil, kein ewiger Schuldspruch, sondern es ist schlicht für sich genommen, eine Abfolge von einem Tag zum nächsten. Das einzige Urteil sprechen wir uns selbst zu," erklärte die junge Philosophin des Pluto mit großen Worten. Doch so einfach konnte es nicht sein. Die Trauer brachte jenen Satz hervor: "Mein Vater ist tot." Er war tot und nichts, kein Gott und keine staatliche Entschuldigung konnte genug Rechtfertigung für Stella sein. Es tat einfach weh. So vieles tat einfach weh und dieser Schmerz brannte so schwer und machte das eigene Leben so unglaublich schwierig. "Ich mache niemanden einen Vorwurf," log sie. Sie machte vielen einen Vorwurf aber wollte sich nicht erklären und die Feinde benennen, die sie ganz sicher als Gegner ausgemacht hatte. "Doch mein Vater kehrte nicht mehr zurück. Eine Familie musste ohne Vater auskommen. Kinder allein sein. Diese Leere füllt kein Ideal, kein Traum und auch keine Entschädigung," wandte sie sich an den Soldaten, fast schon warnend, sein Leben nicht wegzuwerfen. "In gewisser Hinsicht sind die Götter grausam, nicht wahr?" Sie blickte wieder zum Senator. "Sie verlangen Opfer. Immer wierder. Oder verlangen vielleicht wir selbst Opfer? Sind wir es die Rechtfertigung suchen?" Stella wollte diesen beiden Männer konfrontieren. Eine Herausforderung sein, dass sie sich nicht wieder bequem hinter Worthülsen oder moralischer Flucht verstecken konnten. "Rom sind die Menschen. Rom sind wir alle und auch unser Schmerz ist Rom, also ich bitte dich, Senator, diese Menschen nicht zu übergehen und auf die Götter zu verweisen. Wir Menschen müssen handeln, jeden Tag, und keine Moral und kein Prinzip lindert den Schmerz der Trauer. Nur Pluto und die Zeit verschaffen Erledigung," sagte Stella und ihre Augen weiteten sich beim Wort Pluto, fast so als ob sie ihn herbeirufen wollte. "Ja, das Gewesene wird nicht durch Selbstvorwürfe aufgehoben aber wir alle sollten uns selbst stellen und uns selbst fragen, was wir für Menschen waren und was wir für Menschen werden müssen." Und Stella wollte eine Feindin aller werden, die Leid und Tod brachten. "Was wirst du tun, Senator?" Eine Frage, die kaltherzig blaffte und machte eine Geste zum Himmel und dann zum Boden. "Was wirst du tun, Soldat?" Sie blickte den Soldaten ernst an und machte die gleiche Geste. "Was werde ich tun?" Stella zeigte auf sich selbst und machte die gleiche Geste. "Ich bin nur eine Waise und mache weiter. Jeden Tag mache ich weiter, weil ich daran glaube, dass mein Vater das gewollt hätte." Dann blickte die Tiberia in den Himmel über der Stadt, die chaotischen Wolkenformationen beruhigten sie.

  • Zu allem Überfluss breitete sich die Röte von den Ohren auf Scatos Wangen aus, als der Senator seine Gedanken lobte. Das Lob eines Senators wog viel. Im Gegensatz zu manch anderem Miles hatte Scato keine Vorbehalte gegenüber den höheren Gesellschaftsschichten, vielleicht auch, weil bei den Cohortes Urbanae nur Männer aus gutem Hause aufgenommen wurden und sie daher eng mit der Oberschicht verwoben waren. Auch er selbst stammte aus einer nicht ganz unbekannten Gens. Senatoren hatten die Iunier allerdings noch keine hervorgebracht.


    Dass Stella meinte, man stünde in niemandes Schuld, da das Leben von einem Tag zum nächsten verliefe, ließ Scato hingegen etwas die Stirn runzeln, da es sich opportunistisch und berechnend anhörte. Da die junge Frau jedoch gleich darauf erneut ihren verstorbenen Vater erwähnte, dienten diese kühlen Worte vielleicht auch dazu, eine harte Schale zu präsentieren, hinter der sich eine verletzte Seele schützend verstecken wollte. Das zu ergründen war in einem kurzen Gespräch allerdings nicht möglich.


    "Den Schmerz zu lindern ist nicht Sinn der Moral oder von Prinzipien. Schmerz gehört zum Leben dazu." Dass er selbst ebenso manchmal von dunklen Gefühlen und Gedanken überwalzt wurde und dann Hilfe brauchte, um wieder zurechtzukommen, musste er ja nicht verraten. "Was ich tun werde?", griff er Stellas Frage auf. Trotz seiner skeptischen Gedanken klang seine Stimme nicht unfreundlich. "Meine Pflicht. Diese habe ich mir selbst auferlegt, als ich den Eid geleistet habe." Er zog ein wenig am Gurt seiner Capsa, so dass der Kräuterbusch wogte, der daraus hervorragte. "Und darum werde ich euch nun wieder verlassen, bevor die Kräuter welken. Es war ein angenehmes Gespräch. Senator. Stella. Vale."


    Scato schenkte zum Abschied jedem einen freundlichen Blick, machte kehrt und begab sich zurück zur Castra Praetoria, um die frischen Kräuter zu verarbeiten.

  • Loyalität. Ein Begriff, der seinen Ursprung im Wort Lex - und damit also im Gesetz, der Vorschrift, dem Gebot, dem Vertrag - hatte. Die divitische Forderung nach Loyalität war daher nicht mehr und nicht weniger als die Forderung nach tiberischer Vertragstreue oder - speziell hier - nach Bündnistreue. Denn eine genau solche Verabredung - ein Bündnis, in dem man sich gar gegenseitig auch als Verbündeten betitelte - hatte es gegeben. Und die Tiberier hatten sich dabei leider als äußerst illoyale Bündnispartner erwiesen. Wem dies besser gefiel, der konnte es selbstredend auch als Vertragsbruch eines gewöhnliches Geschäfts bezeichnen. Das war letztlich jedem unbenommen. Denn es änderte nichts daran, dass auf das Wort eines Tiberius, dieser Eindruck hatte sich inzwischen leider bei Dives verfestigt, im Zweifel nicht viel zu geben war. Allfällig war es daher auch ganz gut, dass man den Iulier - als einen der in der Senatsdebatte ganz wenigen Verteidiger des namhaften Tiberius Durus - schlussendlich in der Abstimmung überstimmt und seine Aufnahme in das Ulpianum auf diesem Wege verhindert hatte...


    "Ein interessantes Gespräch, in der Tat. Daher bedauere ich es selbstredend, dass du uns jetzt verlässt, während ich zugleich jedoch auch froh bin, dass du deinem geschworenen Eid damit alle Ehre leistest. Vale, Miles Iunius.", sprach der Senator an den sich verabschiedenden Soldaten gewandt und erkannte erst jetzt, wo er verbal direkt darauf gestoßen wurde, dass der Iunier wohl gar kein gewöhnlicher Urbaner, sondern ein mutmaßlich im Valetudinarium - sei es als Capsarius oder gar als Medicus - tätiger war. In jedem Falle eine in seinen Augen sehr angenehme Person, wie er feststellen musste. Einen kurzen Augenblick dachte er zurück an die Cena mit Iunia Axilla und Iullus Cassius Hemina Minor damals in Ostia. An viel erinnerte er sich nicht mehr - einzig, dass sie es würdevoll ertragen hatte, den gesamten Abend über vom Cassier, dem damaligen Collega des Iuliers im Amt des Duumvirn von Ostia, mit Komplimenten überschüttet und fast schon permanent angegraben zu werden, daran meinte er sich noch ganz gut erinnern zu können. Die Iunier, so wollte ihm auch ohne zu wissen, ob hier eine Verwandtschaft bestand oder nicht, scheinen, hatten einige wirklich sympathische Personen und Persönlichkeiten in ihren Reihen.


    "Ich muss ehrlich sagen...", begann der Iulier, nachdem der Soldat sie also verlassen hatte, "...dass ich es für eine Illusion halte zu glauben, dass tatsächlich niemand einem anderen etwas schuldig wäre. Denn tatsächlich ist doch im Gegenteil ein jeder - jeder einzelne von uns - anderen etwas schuldig.", widersprach er der jungen Frau. "Der Sohn ist dem Vater gegenüber stets Gehorsam schuldig. Der Römer ist seiner Familie gegenüber - und sei er der letzte seines Stammes und die Familie daher nur er selbst - stets zur Loyalität verpflichtet." Der Senator verzichtete auf den Hinweis, dass es im Zweifel selbstredend eine Frage der jeweiligen Definition war, wen man als Familie betrachtete und wen nicht. "Wir alle sind es schuldig, ein gegebenes Wort zu ehren, ein gegebenes Versprechen einzuhalten, einen geleisteten Eid nicht zu brechen - sei es wie im Falle des Iunius der Eid eines Soldaten oder sei es wie in meinem Fall der Eid, den ich als Senator von Roma abgelegt habe. Ich habe eine Schuld gegenüber meinen Klienten und sie gegenüber mir. Meine Freigelassenen haben gar über meinen Tod hinaus eine Schuld gegenüber meiner Familie.", zählte Dives auf. "Und ja, natürlich stehen wir auch den Göttern gegenüber stets in einer Schuld. Schließlich möchte ich, dass das Getreide auf meinen Feldern wächst und gedeiht. Dafür muss ich selbstverständlich opfern. Und wenn ich nicht nur in einem Jahr eine gute Ernte haben will, sondern auch im Jahr darauf, dann muss ich mein Opfer selbstredend auch wiederholen. Jahr für Jahr. Denn es entspricht nun einmal nicht dem Do ut Des, lediglich einmal etwas zu opfern und im Anschluss zu erwarten, ständig und immerfort etwas dafür zu bekommen.", führte der Iulier aus.


    "Wenn du Schmerz über deinen Verlust empfindest, dann übergehe ich diesen im Übrigen nicht, wenn ich auf die Götter zeige. Im Gegenteil, ich helfe dir damit.", kam er dann auch auf diesen Punkt noch zu sprechen. Denn in der Tat war er überzeugt: Solange diese Stella keine Christianerin war - oder irgendeiner anderen Sekte angehörte, die nur einen einzigen Gott allein verehrte -, solange war jedes Opfer an einen zuständigen Gott geeignet, wenigstens das Gefühl zu erlangen, man hätte eine Linderung des Schmerzes erfahren. Zweifellos: Der von ihr erwähnte Pluto war allerdings nicht dafür bekannt, in einem solchen Fall von großer Hilfe zu sein. "Die Frage, die nur du selbst wirst beantworten können, ist jedoch die, ob du diese Hilfe annimmst oder ignorierst.", erklärte Dives, der sich an dieser Stelle aus irgendeinem Grund - es musste wohl die Präsenz der Villa Tiberia sein - kurzzeitig an Lepidus erinnert fühlte, dessen gescheiterte Wahl zum Aedil der Iulier bis heute damit verband, dass der Tiberier den divitischen Ratschlag, sich nach seiner Überwerfung mit Aurelius Lupus einen neuen Patron zu suchen, konsequent ignoriert hatte. Und da hatte dann selbstredend auch Dives - seinerzeit noch ohne Sitz im stadtrömischen Ältestenrat - seinem ehemaligen Verbündeten nicht helfen können. Denn jeder musste letztlich selbst wissen, welchem Rat er folgte und welchen er in den Wind schlug. "Ich jedenfalls werde, um deine letzte Frage zu beantworten, mich nach diesem kurzweiligen Gespräch jetzt dem Miles Iunius gleich ebenfalls wieder auf den Weg begeben.", kündigte er dann an. Denn einerseits empfand er es nach wie vor als unterschwellig unangenehm, sich mit jemandem zu unterhalten, der sich ihm - trotz eigener Vorstellung - nicht ebenfalls vorstellte und diese Geste gegenseitigen Respekts von Beginn an - ja - schuldig blieb. Und andererseits, so fand er zudem, hatte er nun auch genug Zeit in Gegenwart der Villa Tiberia verbracht.


    Der Senator wartete selbstredend noch einen Moment, um der jungen Frau die Gelegenheit für irgendeine Erwiderung zu geben - falls sie dies denn wollte. Andernfalls würde er sich - da er sie zwar begrüßt hatte, sie ihn umgekehrt jedoch nicht - ohne weitere Verabschiedung mit seinem noch immer wenige Schritte wie ein Schatten hinter ihm stehenden Privatsekretär Saras zurück zur divitischen Sänfte begeben.

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    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Die Zeit war verspielt. Stella hatte nicht mehr die Zeit, geeignete Worte zu wählen oder passend zu reagieren, denn sie war als Mensch einfach furchtbar unsicher. Wie eine Sonne konnte sie strahlen aber eben so schnell in gewohnter Regel versinken. Die Verabschiedung des Soldaten traf Stella, die nicht damit gerechnet hatte, dass dieser einstmalig harte Soldat, der sich für einen Moment als Mensch präsentiert hatte, so schnell wieder flüchten würde. Es war in Stellas Augen eine Flucht, da er sich einem weiteren Gespräch entzog und die Tiberia mit seiner Antwort zurückließ. Die Mauern, die Stella zum eigenen Schutz errichtet hatte, bröckelten zusehens, da ihre Kälte, ihre morbiden Worte, nur ein Schild gegen die Welt waren, die sie einfach nicht verstand. "Vale," gab sie den Verlust zu. Der Soldat war gegangen, hatte sich verabschiedet und war fort. Und wahrscheinlich war er für immer fort, da die Wahrscheinlichkeit, diesen Mann in dieser Stadt wieder zu finden, erstaunlich gering war. Es war ein schmerzlicher Verlust, denn sie wollte ihm ehrlich antworten. So ehrlich, wie sie es nur konnte und sich einfach als die junge Frau zeigen, die sie eigentlich sein wollte. Doch nun war sie wieder dort, wo sie stets gewesen war. Es war zwar niemals zu spät, sich selbst zu verzeihen aber es war oft zu spät, einen Moment in die richtige Richtung zu bewegen. Stella schämte sich, dass der letzte Eindruck von ihr selbst, ein düsterer Blick in düstere Gedanken war. Beinahe wäre sie dem Soldaten hinterher geeilt, nur um ein Wort der Hoffnung an ihn zu richten, das seinen Idealismus nicht mit stiller Verachtung strafte. Doch sie hatte versagt, wie so oft versagt hatte, einfach ein Leben zu führen und das zu sagen, was Menschen verband. Sie sah die Person vor sich, verstand die Person aber sagte nicht das Richtige. Es war ein Fluch zu wissen, was geschehen würde und was das eigene Versagen für Folgen hatte. Stella war ihr Handeln nicht egal. Nichts war ihr wirklich egal und doch trudelte sie durch ihre Tage, wie ein fallender Stern, der seinen Platz am Himmel verloren hatte. Stella warf dem Soldaten noch einen liebevollen Blick hinterher, in der irrigen Hoffnung, dass er Umkehren würde. Er tat es wohl nicht.


    Stella verblieb noch ein Augenblick mit dem Senator. Die junge Tiberia konnte nicht sich selbst entkommen. Die Erklärungen des Senators verstand Stella, hörte aufmerksam zu und nickte fast bei jedem Satz dankbar. Sie wollte sich nicht erneut die Blöße geben, einen Menschen derartig zu übergehen und gehässig seine Werte zu negieren, auch wenn sie selbst andere Werte hatte. Es war gemein. Und Stella wollte nicht gemein sein. Sie hasste es ja selbst, wie gehässig und heimtückisch viele Menschen waren. "Entschuldigung," gab sie kleinlaut von sich und blickte den Senator mit ihren kristallklaren Augen an, die von einem inneren Feuer begleitet wurden. "Manchmal sind wir alle blind und ich war ebenso blind. Doch nun kann ich sehen," sagte sie und bediente sich damit - ohne ihr Wissen - eines christlichen Satzes, da dieser Satz der Blindheit oft im Zuge eines christlichen Erwachens benutzt wurde, da man erst durch das Licht des einen Gottes sehen konnte. "Ich brauche tatsächlich Hilfe aber Hilfe ist in dieser Stadt schwerlich zu finden," versuchte sie demütig zu antworten und gleichzeitig den Senator im Gepräch zu halten. Stella wollte jetzt nicht in ihr einsames Leben zurück. Das Gespräch brachte ihr Ablenkung von der Trauer und der grausamen Arbeit einer letzten Angehörigen. "Ich werde deine Worte bedenken und mich darauf beziehen, was mich einst mein Vater lehrte," meinte sie und kratzte sich nervös an der linken Schulter. Auch der Senator wollte gehen. Wieder einmal würde sie allein sein und keine ehrliche Hilfe finden, da sie durch Stolz, Schmerz und eigene Unfähigkeit, erneut ihre Karten verspielt hatte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich dem Senator garnicht vorgestellt hatte. Es war vollkommen vergangen, da sie wieder in sich selbst gefangen war. "Ich bin Tib...," wollte sie reflexartig ihre Namen zur Verabschiedung hinwerfen, damit der Senator wenigstens ihren Namen kannte. Und brach dann ab, da es gefährlich war, sich jetzt einem Politiker zu offenbaren. Vielleicht war er ja tatsächlich für den Untergang verantwortlich. "Ich bin Stella," war schließlich die vergessene Vorstellung, die sie dem Iulius präsentierte. "Ich hoffe, dass wir uns eines Tages unter besseren Umständen wieder treffen," erklärte Stella mit einem ehrlichen Lächeln. Wenigstens diesen Abschied wollte sie menschlicher und offener gestalten, als den Verlust des Soldaten.

  • Ein kaiserlicher Auftrag führte mich an einem milden Herbsttag zur Villa Tiberia, um die Beerdigung des Trecenarius Tiberius Verus zu erörtern. Natürlich hatte der Kaiser mir auch unmissverständlich deutlich gemacht, dass ich nicht nur als Organisator hier war, sondern vielmehr der renitenten Tochter auf den Zahn fühlen sollte. Allein die Schilderungen hatten ausgereicht um mir deutlich zu machen, dass ich das Mädchen nicht unterschätzen durfte. In der Audienz war es gar so weit gekommen, dass der Kaiser sie in die Schranken hatte weisen müssen. Zweifellos bedurfte es einer beträchtlichen Hartnäckigkeit, um den sonst stets besonnenen Aquilius Severus derart zu provozieren - und dafür hatte Tiberia Stella meinen Respekt. Deswegen lag es mir auch fern, sie auf ihr junges Alter zu reduzieren.


    Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten ließ ich mich an diesem Tage nicht von Sänftenträgern durch die verwinkelten und stinkigen Gassen Roms chauffieren, sondern zeigte Volksnähe und bewegte mich zu Fuße zur Villa Tiberia. Ich wusste, dass die Villa dem Sklavenaufstand zum Opfer gefallen und in der Folge wiedererrichtet worden war. Genauso erinnerte ich mich an die glorreichen Tage der Gens unter der Führung des Senators Tiberius Durus. Allerdings wusste ich auch, dass der Einfluss der altehrwürdigen Familie mittlerweile beinahe lächerlich gering war und die junge Stelle somit auch keine gewichtigen Argumente - oder besser gesagt Fürsprecher - auf ihrer Seite hatte.


    An der Villa Tiberia angekommen, trat Carpinatius - ein schmächtiger Notarius, den ich für die Schreibarbeit rekrutiert hatte - an die Porta und kündigte die Delegation vom Palatin an. "Salve, Procurator a memoria Cnaeus Fabius Torquatus im Auftrag des Augustus, um Tiberia Stella zu sprechen", legte Carpinatius offen.

  • Ein älterer Sklave öffnete die Tür, welcher mühsam aus beiden Augen schauen konnte. Der Sklave lugte vorsichtig heraus und machte dabei eine unbequeme Kopfbewegung. "Dominus, bist du es?" Der Sklave fragte mit krächzender Stimme, während er versuchte in den Schemen vor sich etwas zu erkennen. Doch seine Ohren funktionierten noch gut, so dass er schnell merkte, dass es nicht sein verschollener Dominus war. "Ah", jappste der alte Mann und versuchte eine aufrechte Position einzunehmen. "Wir sind nicht mehr ganz so viele aber ich werde die ehrenwerte Domina informieren, ob die Dame jemanden empfangen kann...," sagte der Alte, der sicherlich niemals Ianitor war. Vermutlich war er auch einfach übrig geblieben und die neue Domina wollte den alten Mann nicht in ein unbequemes und unsicheres Leben als Libertinus entlassen. Es dauerte nicht lange, da trat der Sklave zurück und winkte mit einer ungelenkten Geste hinein. "Ja, sie empfängt euch im hortus," erklärte der Sklave und wollte die Delegation sorgsam durch das Haus geleiten.

  • "Ich bin Tib...," wollte sie reflexartig ihre Namen zur Verabschiedung hinwerfen, damit der Senator wenigstens ihren Namen kannte. Und brach dann ab, da es gefährlich war, sich jetzt einem Politiker zu offenbaren. Vielleicht war er ja tatsächlich für den Untergang verantwortlich. "Ich bin Stella," war schließlich die vergessene Vorstellung, die sie dem Iulius präsentierte.

    War Hilfe tatsächlich so schwer zu finden hier in Roma? Dives würde wohl auf dem weiteren Heimweg ein wenig darüber sinnieren. Zweifellos: In wohl keiner anderen Stadt des Imperiums platzten regelmäßig mehr Träume und Hoffnungen, scheiterten mehr Laufbahnen und Karrieren - und ja, fanden mitunter gar ganze Existenzen ihr Ende. Die Frage jedoch war, wo man die Ursachen dafür suchte. Lag eine der Ursachen darin, dass es hier - am Nabel der Welt, im Zentrum der Macht, im Herzen des Imperiums -, wo die Dichte an Senatoren, Equites und Mäzenen wohl größer war als an jedem anderen Ort der bekannten Welt, nicht genug Hilfe zu finden gab? Oder aber lag eine der Ursachen vielmehr darin, dass es in dieser marmornen Stadt der Superlative einen ständigen Kampf gab um Einfluss, Macht und politisches Überleben? Ein immerwährender Kampf, der dazu führte, dass über kurz oder lang eine große Zahl derer, bei denen man Hilfe finden konnte, diese Hilfe nur höchst selten jemandem zuteil werden ließen, der nicht explizit danach fragte.


    Zudem konnte man wohl sagen: Je geheimnisvoller man sich gab, umso schwieriger war es für andere - gerade in der Urbs Aeterna - zu vertrauen und gegebenenfalls zu helfen. Denn Intrigen lauerten hier hinter jeden zweiten Ecke. Und Intrigen konnten bisweilen sogar schlichtweg tödlich sein: Der Senator hatte in diesem Zusammenhang stets seine vestalische Adoptivtochter Torquata vor Augen, die einst als Opfer einer Schmutzkampagne viel Kraft investierte, für ihren guten Namen zu kämpfen... nur um erschöpft und ausgelaugt von diesem Kampf hernach ihr Leben an eine Krankheit zu verlieren, der sie am Ende schlicht nichts mehr entgegen zu setzen hatte. - Mochte diese junge Frau hier nun also eine freigeborene Tiburtia sein oder eine freigelassene Tiberiana, der Iulier nickte schlicht und lächelte schmal.


    "Ein Sprichwort sagt, man treffe sich in der Tat stets zweimal im Leben. Hoffen wir also, dass die Umstände dann bessere sein werden.", griff Dives ihre Worte auf. "Bis dahin wünsche ich dir alles Gute. Vale.", verabschiedete er sich nun also doch noch, bevor er seinem iberischen Begleiter ein Handzeichen gab, gemeinsam zur Sänfte zurückzukehren. Kurz darauf setzte sich das iulische Gefährt mit dem Senator an Bord wieder in Bewegung. Saras warf noch einen letzten musternden Blick auf die Villa, bevor er neben der Sänfte her laufend den weiteren Tagesverlauf mit seinem Dominus besprach.

    ir-senator.png Iulia2.png

    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Es war wie verhext gewesen, er war von Mantua aus nach Genua gereist um von dort aus ein Schiff nach Ostia zu nehmen. Was wie jeder sich ausmalen konnte der schnellste Weg gewesen wäre. Aber anhaltender Südwind hatte seinen schönen Plan in Rauch aufgehen lassen. Stattdessen hatte er über Land über die Via Aurelia reisen müssen. Was nicht nur deutlich länger gedauert sondern auch deutlich ansträngender gewesen war. Naja was wollte man machen der Verkehr in Rom war nun wirklich auch nicht viel besser. Trotzdem kam er zwar nicht mit einer Sänfte wohl aber mit einem Tragestuhl vor der Stadt Villa in Rom an.


    Einer seiner Sklaven, den er war natürlich mit einem gewissen Gefolge in Rom angekommen, ereiferte sich und klopfte für seinen Herren an die Porta.

    Zum Glück öffnete auch bald ein Sklave oder Diener – das konnte man ja nie sagen – die Porta. In einem kurzen Gespräch, das sich nun entspannte, erfuhr Quintus dass kein anderer Tiberius im Haus sei und dass auch derzeit niemand hier wohnte. Das konnte Quintus kaum glauben, aber da er hier in der Stadt weiter keinen Gastfreund hatte. (Und auch in keiner anderen Stadt außer in Mantua) Entschied er sich trotzdem, sein Hauptquartier für seine Erledigungen hier in Rom erst mal hier aufzuschlagen. Er wollte ja nicht lange bleiben, höchstens ein zwei Wochen. Nachdem der Türhüter den Verwalter geholt hatte und Quintus diesem erklärt hatte, dass er der Sohn des Senators Quintus Vitamalacus war, war dieser auch etwas freundlicher. Offenkundig hatte dieser hier gerade das Sagen und war recht zufrieden damit. Aber man ließ Quintus und seine kleine Reisegruppe herein und man verstaute seine Reisekisten in einem der Zimmer für Gäste. So betrat er die tiberische Villa und versuchte erst mal hier anzukommen.

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