In den Gärten

  • Da standen sie also vor ihr wie zwei begossene Stubenhunde und übten sich darin, möglichst unschuldig aus der triefenden Wäsche zu schauen. Aber so leicht war Elfleda noch nicht abzuhalten.
    “Aha, das Kind beruhigen also...? Das Kind beruhigen?! Wovon musste es denn beruhigt werden, dass es hier so krakeelt hat, als wolltet ihr die arme Naha umbringen, hm? Nein, sag nichts, sag einfach nichts!“
    Elfleda war nicht blöd. Schon vor Wochen, als hier draußen noch alles so gefroren war, dass man bis zum Grund des Teichs das Eis hätte hacken können und dennoch nicht auf flüssiges Wasser gestoßen wäre, hatte Lando gemeint, er wolle ihre Kleine mit Eiswasser taufen, um sie hart zu machen. Da brauchte es nicht viel Kombinationsgabe, was ihr treudoofer Ehemann hier draußen am Teich machte, was ihre Tochter so hatte schreien lassen.
    “Und du!“ drehte sie sich jetzt zu Phelan um, der wohl nicht rechtzeitig begriffen hatte, dass sein kleiner Versuch ihn nicht retten würde. “Wenn du dich schon anschleichst, dann wenigstens auf einen Feind mit einem Schwert, und nicht auf deinen Vetter mit meiner Tochter in Händen! Und wenn du dann schon dafür sorgst, dass der da...“, dabei fuchtelte sie mit einer Hand unbestimmt in Landos Richtung, ohne ihren Blick auch nur eine Sekunde von ihm zu nehmen “...mein Kind schmeißt, dann fängst du es gefälligst und wartest nicht, dass Ragin sich nochmal alle Knochen bricht!“
    Aprospos, wo war der eigentlich. Saß immer noch auf dem Boden mit Naha in den Händen, die sich scheinbar wieder beruhigt hatte. Sie sah nochmal funkelnd zu Lando. “Ich schwör dir, wenn sie sich erkältet hat, schläfst du eine Woche auf dem Fußboden“, schimpfte sie ungehalten weiter und stapfte dann zu Ragin.
    “und du...“ Ein drohend erhobener Zeigefinder zitterte einen Moment vor Ragin in der Luft, dann nahm Elfleda ihm die Tochter ab und gab ihm einen Kuss auf den Blonden Haarschopf. “Danke, dass du sie nicht hast fallen lassen.“
    Sie nahm das Töchterchen hoch auf den Arm, stützte sie halb an ihrer Taille ab und sah sie kurz an, als müsse sie prüfen, ob noch alles dran war. Ganz beiläufig, aber dennoch stechend, fügte sie dann noch an: “was nicht heißen soll, dass wir beide nicht nochmal über das fröhliche Herumhumpeln im Garten reden werden und darüber, wie lange es gedauert hat, den Knochen einzurenken, dass er gerade zusammenwächst, und was passiert wäre, wenn er nochmal gebrochen wäre.“


    Sie wippte die Kleine ein wenig im Stehen, was der zu gefallen schien. Offenbar war alles noch heil. Trotzdem bedachte sie das versammelte Mannsvolk mit einem finsteren Blick.
    “Die hen se doch net elle, dia Amisvaria. Schmeißet kloane Kinder... erschreckat sich vor ihre Vettra...ersaufat iahre Dechter... Und I be no s greeschte Rindvieh von elle, dass i mir nommal a Kind han macha lao von sellem Ochs...“, bruttelte sie recht ungehalten in ihrem Heimatdialekt dahin, während sie das tropfende Mannsvolk erstmal stehen ließ und in Richtung Kräutergarten abzischte. Callista brauchte noch ein paar Kräuter zur Stärkung ihres Kreislaufs, und dieses Mal würde Elfleda ihre Tochter mitnehmen. Oder noch besser! Marga geben! Die freute sich immer, wenn sie Naha in der Nähe hatte. Und wenn sie der erstmal erzählt hatte, was die duccischen Männer wieder gemacht hatten, dann konnten sie sich gemeinsam daran machen, diese Kerls verbal – oder mit der Teigwalze – zur Vernunft zu bringen.

  • Ein bisschen musste der junge Gode innerlich schmunzeln, während Elfleda seine Vettern zurecht wies. ABER als diese VERRÄTERISCHEN BUBIES ihre SCHULD nicht EINGESTEHEN konnten und die SCHULD an ihren GELIEBTEN BLONDEN VETTER abwälzten, hätte Phelan ihnen am liebsten Thors Hammer auf den Kopf fallen lassen. Gerade wollte er zur triumphalen Beschimpfung ansetzen da peitschte ihm auch schon der Beleidigungswind von Elfleda entgegen. Mit jedem Wort, ach was .. mit jeder SILBE wurde sein Hals kleiner und wollte sich unter seinen Gewändern verstecken.
    Als er sich alles angehört hatte schaute er genervt .. wieso war alles so kompliziert? Er ging auf das Wasser zu und ließ sich hineinplumpsen. Er dachte so könnte er alle drei zufrieden stellen ... aber er hatte sich vorher nicht ausgerechnet das das Wasser SO KALT sein würde. <"DARIN HAST DU SIE GETAUCHT?! BIST DU VON SINNEN?" keifte er den Vater an .. er hatte nichts anderes verdient als den Fußboden!

  • Als Efleda auf ihn zukam hatte er schon auf eine Ohrfeige gewartet. Warum wusste er selbst nicht, er fühlte sich meistens schuldig, aber mit einem Kuss hatte er nicht gerechnet. Doch gerade als er anfing dummlich zu grinsen, bekam er dann eine verbale Watschn, auch wenn sie nicht böse klang. Trotzdem fühlte er sich gleich genötigt schuldbewusst zu schauen.


    "In Ordnung Elfleda, entschuldige." Alles zugeben und sich entschuldigen hatte meist mehr Erfolg als Ausreden zu suchen oder es auf die anderen zu schieben. Als die heilerin dann mit ihrem Kind verschwand wurde sein schmerzender Hintern auch noch kalt.


    "Kann mir mal jemand aufhelfen? Verdammt mein Arsch wird morgen aussehen wie Landos Auge wenn Elfleda mit ihm fertig ist!"

  • "NATÜRLICH HAB ICH SIE DA REINGETAUCHT!", blaffte Lando, in dem nun alles auf Angriff schaltete, seinen Vetter an, "GENAUSO WIE EURE VÄTER EUCH IN KALTES WASSER GETAUCHT HABEN, ALS IHR NOCH KLEIN WART! GESCHADET HAT ES EUCH ANSCHEINEND NICHT!"


    Wütend Wassertropfen davonschnaubend stapfte er aus dem Teich und zog eine lange Spur von kaltem Wasser durch den Schnee während an ihm selbst tote Wasserpflanzen und Dreck klebten: "Das kann ja wohl nicht euer Ernst sein, dass ihr euch darüber aufregt. Wo sind wir hier eigentlich? Kaum ein paar Jahre nicht von Not und Hunger bedroht, und schon fallen die ältesten Traditionen flach, oder was?"
    Der Finger wanderte drohend von einem zum anderen, und deutete schließlich auf seine Frau: "Gerade du! Du solltest am besten wissen wofür das gut ist, die Kinder abzuhärten. Und du machst den lautesten Terz! Was ist eigentlich los mit allen? Kaum gibt es ein weiches Kissen unter dem Arsch, schon drehen alle am Rad."


    So schnell wie sie gekommen war, verrauchte seine Wut auch wieder. Aber Lando sah garnicht erst ein, sich hier für irgendwas zu entschuldigen, immerhin war das was er getan hatte nichts anderes als vollkommen normal. Zumindest in der Welt aus der sie alle stammten. Und in die Lando sich auf einmal wieder zurück wünschte. Er funkelte alle noch einmal böse an, dann wandte er sich abrupt um und marschierte.... nicht in das große warme Haus, sondern in Richtung der Ställe, seinem bevorzugten Rückzugsort wenn ihm das Treiben in der Casa zuviel wurde.

  • Es war die reinste Katastrophe. Elfleda schimpfte wie ein Rohrspatz. Lando gab recht erfolglos contra, bewahrte jedoch seinen Stolz und fand auch eine - zumindest in seinen Augen - glaubwürdige Erklärung, die die Schuld auf Phelan abwälzte. Der wiederum schien völlig plem plem zu sein, denn selbst nachdem Elfleda abgerauscht war, drehte er noch völlig am Rad und warf seinem Vetter vor, dass er die eigene Tochter in Eiswasser getaucht hatte! Witjon bibberte mittlerweile fürchterlich und stieg aus dem Teich heraus, triefend wie ein begossener römischer Köter. Ragins leise Bitte am Rande vernahm er nicht gleich, sondern nickte vielmehr Landos Erwiderung ab, die dieser Phelan an den Kopf warf. "Rrrichtttig..." klapperten seine Zähne leise, während er an Phelan vorbeihaspelte, vor Kälte ganz hibbelig geworden. Sie waren alle abgehärtet worden, das stimmte. Was Lando für die verweichlichte römische Gesellschaft übrig hatte, kam zwar irgendwo in seinem Hirn an, wurde jedoch durch den abrupten Frost erst einmal nicht weiter beachtet.
    "Idiot," knurrte er, als er dem wirren Vetter einen Stoß gegen die Schulter gab, dann stand er auch schon vor seinem anderen Verwandten, der zur Zeit Invalide war. Tropfend stand er kurz da, zog Schnodder hoch und reichte Ragin dann eine Hand, wobei er das Eiswasser auch über diesen versprenkelte. "Nnna komm, dddu rrretter der Kkk...Kleinkinder!" mit einem Ruck zog er den gar nicht mehr so kleinen Pimpf in die Höhe, ohne allzu viel Rücksicht auf dessen steifes Bein zu nehmen und bot ihm kurz Halt, bis Ragin die Krücke zur Hand hatte. "Bbbett...kkkkalt!" bibberte Witjon dann nur und stapfte auch schon über die Wiese aufs Haus zu, eine lange triefnasse Spur hinter sich lassend.

  • Er war nicht war nicht wirklich oft in dem Haus der Wolfrikssippe. Eigentlich kam er nur einmal die Woche her, wenn alle zusammen zum Mahl geladen wurden, wie es unter den Sippen einer Kyn nunmal Tradition war, aber ansonsten mied er es.
    Was Sönke in eine gewisse Zwickmühle brachte. Einerseits hatte er einen gewissen jugendlichen Narren an den Frauen in dem Haus gefressen. Nicht nur einmal war er nachts hochgeschreckt und hatte die Alben verflucht, warum sie ihn nicht mindestens zwei Momente länger hatten träumen lassen. Dummerweise hatten die Frauen fast alle was mit Lando zu tun, oder einen an der Klatsche, oder beides. Eila zum Beispiel, bei deren Anblick ihm das Sprechen schwerfiel, und die ihn deshalb wahrscheinlich für einen Idioten hielt, umschwebte der Ruf einer Valkyre, die mehr Männer getötet hatte als der älteste Veteran bei der Legion. Das konnte Sönke nicht bestätigen, das einzige, was er bisher zustande gebracht hatte waren ein paar Hiebe mit dem Holzstock auf einen störrischen Ochsen. Das WAS er allerdings nachvollziehen konnte, war das Gerücht, dass Eilas Schönheit Männern den Verstand raubte und oft sogar in den Wahnsinn trieb. War mit ihm ja auch nicht anders, zumindest hatte er das Gefühl. Wer es nicht besser machte, war Elfleda. Er hatte einmal rein zufällig miterleben dürfen, wie sie mehrere Männer in dem großen Raum mit dem Loch im Dach lang gemacht hatte. Nacheinander und gleichzeitig. Ein Wintersturm konnte nicht beeindruckender sein, und Sönke musste irgendwann beschämt erkennen, wie er sich selbst gewünscht hat von Elfleda ausgeschimpft zu werden. Paradoxerweise. Vor den Mädchen aus dem Dorf tat er immer als derjenige, der noch großes erreichen würde. Als Sohn eines Bauern. Die Mädchen kicherten und ließen ihn, bis zu einem gewissen Punkt zumindest, ran. Es brachte durchaus auch Vorteile mit sich, den Helden zu spielen.
    Dagmar, eine weitere Tochter aus dem Hause Wolfriks, kannte Sören nur aus der Zeit als er Mädchen doof fand, oder sich mit ihnen geprügelt hatte. Aber er war sich sicher, dass die Töchter Wolfriks allesamt wohl so ehrfurchtgebietende Geschöpfe waren, die einem mit Wort und Anblick alleine um den Verstand brachten. Nun, Ausnahmen bestätigten die Regel, aber über gewisse Fälle blickte Sönke wohlwollend hinweg.
    Andererseits. Vor diesem Aufsatz über die Wirkung der duccischen Frauen auf einen einfach gestrickten Mann war ja noch ein "einerseits". Sönke mied die Casa Duccia, weil sie ihn daran erinnerte, wie sein Vater sich entschieden hatte Thorleif Lando zu übergeben, damit dieser aus ihm einen brauchbaren Pferdeknecht machte. Und nicht ihn! Dabei war Thorleif als der Ältere DER Kandidat auf die Nachfolge seines Vaters, ER sollte auf den Feldern stehen und mit den Knechten schuften, nicht Sönke!


    Das alles waren Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen als er das schwere Gartentor aufschob und den grünen Garten betrat. Ihm selbst war das Prinzip eines Gartens ja suspekt. Wenn man sich erst Städte baute, die einen Garten notwendig machten, warum tat man es dann überhaupt? Oder warum ließ man nicht genug Platz für die Natur?
    Sönke selbst hatte die Gärten der Römer noch nie gesehen. Er hatte davon gehört, dass die reicheren Römer sich zurechtgestutzte Natur in und hinter ihre Häuser holten, aber die Lebenswelt der Reichen und oberen war sowieso ein für ihn unerreichbares Universum. Die einzigen reichen Leute, mit denen er zu tun hatte waren die Nachkommen des großen Wolfrik, der es fertig gebracht hatte die Sippe von Sönkes Ur-Urgroßvater an sich zu binden. Seitdem waren sie sie nicht losgeworden, und so stand auch Sönke in der Munt der Duccii. Was ihn dazu brachte, wegen jedem Scheiss um Erlaubnis fragen zu müssen. Nicht, dass er es nicht einfach hätte tun können, aber das hätte Komplikationen ergeben, mit denen er sich lieber nicht beschäftigen wollte. Also: lieb anklopfen und nachfragen.

  • Naha
    [Blockierte Grafik: http://img199.imageshack.us/img199/1620/nahakind.png]


    "SÖÖÖÖÖÖÖÖNKÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄH!!!!!!" , erscholl es aus den Tiefen des Gartens. Naha war noch zu klein auf Bäume zu klettern, aber nachdem sie mitbekommen hatte, wie ihre Mutter ihren Vater einmal auf einen solchen gejagt hatte, war sie fest entschlossen das nachzumachen. Das dumme war: ihre Mutter ließ sie nicht aus dem Blick. Kein Stück. Nicht eine Sekunde.
    Aaaaaber: ihre Mutter konnte nicht überall sein. Vor allem nicht, wenn sie drauf und dran war Nahas Geschwisterchen auf die Welt zu bringen. Wobei Naha das vor allem als Vorwand betrachtete, das gesamte Haus zusammenschreien zu dürfen. Wenn Naha das gesamte Haus zusammenschrie war sofort jemand da, der ihr dasselbe verbot. Von Albin war sie sogar schon einmal deshalb gehauen worden. Dabei machte das normalerweise nur ihre Mutter. Oder Magda. Nun, zimperlich waren sie alle irgendwie nicht.
    Während also Elfleda munter das Haus zusammenbrüllte wurde Naha also Albin überantwortet. Der bald in einer schattigen Ecke im Garten eingeschlafen war, und nur dann und wann aufschreckte wenn Elfleda sich zu einem ganz besonders kreativen Fluch hinreissen ließ. Der letzte war allerdings schon etwas her, und so hatte Naha die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, sich auf einen Baum zu schwingen.
    Nun, eigentlich war es ein Busch. Für Naha aber war es ein Baum. Und er war hoch, verdammt hoch. Da sie gerade mal ein Jahr lang laufen konnte, waren Nahas motorische Fähigkeiten nicht die besten, aber sie reichten, um sie auf Kopfhöhe in den Busch zu befördern. Zufrieden mit ihrem Werk dachte Naha erst daran, Albin aufzuwecken. Aber dann öffnete sich das Gartentor, und ihr persönlicher Held schneite herein: Sönke. Das war definitiv ein Zeichen der Götter, von denen Phelan so oft erzählte, und deshalb ruderte sie mit einem Arm aus dem Busch heraus zu Sönke, und hielt sich mit dem anderen eher schlecht denn recht an einem dünnen Ast fest, während der unter ihr bedrohlich knarzte.


    "SÖÖÖÖÖÖNKÄÄÄÄÄH SCHAU MA WAS ICH MACHT HAB!!!"

  • In einer Zeit, da wegen fehlender Verhütungsmöglichkeiten die Frauen quasi ständig schwanger waren, und da wegen fehlender medizinischer Versorgung die Kindersterblichkeit enorm groß war, war man entsprechend auch an kleine Kinder gewohnt. In jeder gut funktionierenden Familie gab es mindestens eine handvoll von Menschen die jünger als fünf Jahre waren. Entsprechend war man an kleine Kinder und ihre Eigenarten gewöhnt, dummerweise aber auch an die Sterblichkeit dieser jungen Geschöpfe.
    Als Sönke mit sirenengleicher Stimme auf die Thronfolgerin des Hauses aufmerksam gemacht wurde, zog sich in ihm alles zusammen.


    "Bei Loki...", flüsterte er entsetzt, und fragte sich den Bruchteil einer Sekunde wieso eine dreijährige überhaupt schon in der Lage war in Bäume zu klettern. Beziehungsweise in einen Strauch. Schon fast automatisch setzten sich seine Beine in Bewegung, der Geist folgte in einigen Sekunden geschockter Entfernung während diesselbe zu dem Kind sich gegen jedes Naturgesetz zu verlängern schien je schneller er auf sie zurannte.
    "NAHA!!! HALT DICH FEST!!!", brüllte er noch mit der Inbrunst der Verzweiflung, und er sah das Kind schon fallen, als er es dann doch sicher in die Hände bekam und mit einem Ruck aus dem Strauch an sich zog.


    "Bei den Göttern, Kind!!!", jappste er, nicht etwa, weil er eine unermesslich lange Strecke zu rennen gehabt hatte, sondern weil der Gedanke, dass Elfledas und Landos Tochter sich ein Haar hätte krümmen können böse Vorahnungen hervorrief. Er drückte sie eine ganze Weile an sich, und versuchte ruhiger zu atmen, dann entsann er sich des eben Geschehenen... "Sag mal, Kind, was machst du da eigentlich? Wo ist deine Mutter? Passt niemand auf dich auf?"

  • Naha
    [Blockierte Grafik: http://img199.imageshack.us/img199/1620/nahakind.png]


    Das erheiternste im noch kurzen Leben eines Kindes ist es stets, wenn Erwachsene sich seltsam aufführen. Das war zum Beispiel jetzt so. Nicht nur, dass Naha die erwartete Aufmerksamkeit bekam, nein, sie bekam sie sogar mit einer lustigen Showeinlage eines durch den Garten hetzenden Sönke. So lachte Naha herzhaft über Sönke, bis dieser sie schließlich erreichte und ruppig aus dem Strauch riss. Das wiederrum war ein Problem: Naha hatte gefühlte Ewigkeiten gebraucht um in dem Strauch auf diese Höhe zu kommen. Das war alles andere als einfach gewesen. Und jetzt riss er sie einfach so aus ihrer persönlichen Bestleistung, und drückte sie an sich. Nicht nur, dass es sie wahnsinnig erschreckte, nein, es machte sie stinksauer! Dabei war das Sönke!


    Nahas Reaktion folgte prompt: sie fing herzzerreissend an zu heulen. Fast so laut wie ihre Mutter oben die Welt verfluchte. Aber nur fast. Sie heulte mit Einsatz sämtlicher Mittel: Strampeln, hauen, kratzen, Rotz und viel Wasser.
    Allerdings waren kleine Kinder wechselhaft. Als er zum Beispiel mit ihr zu reden begann, stellte sie ihre Heultirade relativ zügig wieder ein und brabbelte ein verschnupftes "Mama meint, Geschwisderchen komm. Aba Geschwisderchen mach Mama böse. Hörst du? Mama böse. SEHR böse. Was wolle hier, Sönke?"

  • Na großartig. Da rettete man dem Kind zumindest alle Knochen, und wurde dafür bestraft. Eine kleine Wildkatze konnte nicht widerspenstiger sein, und Sönke fragte sich, ob er der Liste der Bitten an Witjon auch noch eine Schere für Nahas Fingernägel hinzufügen sollte. So auf jeden Fall wurden seine Arme von roten Striemen gezeichnet. Nicht, dass es ihm viel ausmachen würde, als Bauer war man sowieso daran gewöhnt ständig irgendwo Macken und Blessuren zu haben. Aber so ein kratzbürstiges junges Ding war dann doch was anderes.


    "Dein Geschwisterchen kommt?", fragte Sönke schließlich die sehr offensichtlich und sehr überflüssige Frage. Dass Elfleda schwanger war, war bekannt, und jeder hatte sich Sorgen um sie gemacht, als Lando gestorben war. Aber Elfleda hatte sich davon nicht unterkriegen lassen, was Sönke ziemlich beeindruckt hatte, er selbst hatte einen Verlust nicht ganz so gut weggesteckt. Svea hatte sie geheißen, und seine Eltern hatten mit Landos Einverständnis mit ihren Eltern alles in trockene Tücher gebracht, bis das vierzehnjährige Mädchen einen Monat vor dem Termin der Hochzeit an Fluss gestorben war. Sönke hatte sie geliebt, zumindest hatte er das geglaubt, und dann war sie ihm genommen worden. Alleine die Tatsache, dass keiner der anderen Männer weinte, als sie verbrannt wurde, hatte ihn davor bewahrt Rotz und Wasser zu heulen wie das kleine duccische Mädchen es gerade in seinen Armen tat.
    "Na, wenn das so ist, wünschen wir..", wollte Sönke gerade die Götter milde bitten, als von oben ein heftiger Fluch und lautes Geschrei durch die Luft schallte, "...oh.. eh.. ja. Dann wollen wir ihr aber den Segen der Götter wünschen, auf dass Frigg sie sicher und gesund durch die Geburt bringt und deinem Geschwisterchen ein gutes Leben schenkt, ja?"


    Sönke setzte die Kleine wieder ab und sah sich suchend um. Die Frauen waren jetzt wahrscheinlich alle bei der werdenden Mutter, aber die Männer suchten bei so einer Gelegenheit gerne das Weite... und da entdeckte er auch schon den alten Albin, der gemütlich in einer schattigen Ecke vor sich hinschlummerte.
    "Sag mal, weißt du ob Witjon hier irgendwo ist? Ich müsste mal mit ihm sprechen.."

  • Naha
    [Blockierte Grafik: http://img199.imageshack.us/img199/1620/nahakind.png]


    Ein bekräftigendes Nicken versicherte Sönke noch einmal davon, dass Nahas Geschwisterchen kam. Warum auch immer die Erwachsenen da so ein Aufhebens darum machten. Die Möglichkeit, ihre Mutter könnte dabei sterben, existierte für Naha gar nicht. Eine Mutter konnte genausowenig sterben, wie dass sie krank wurde oder nicht wusste, was man machen musste. Schon gar nicht ihre Mutter, auf die selbst die größten Männer hörten. Und gerade rief sie auch wieder etwas. “Hörst du, wie böse Mama ist?“
    Ja, da war es wirklich gut, ihr von den Göttern auch alles Gute zu wünschen. Fröhlich nickte Naha Sönke zu und strahlte ihn aus noch ein bisschen verheulten Augen an.


    Sönke ließ sie wieder runter, obwohl es Naha eigentlich gefiel, dass er sie herumtrug. So ließ sie die Arme noch nach ihm ausgestreckt, als er auf einmal nach Witjon fragte. Die Unterlippe schob sich sofort vor und ihre Arme wurden trotzig vor der Brust verschränkt. Was wollte Sönke denn von ausgerechnet dem? “Mmmmm-mmmm“, machte Naha und schüttelte dabei den Kopf heftig von links nach rechts. Was wollte Sönke ausgerechnet von ihm? Er hatte ihren Vater angezündet.
    Es sei denn... “Willst du ihn verhauen?“ Hoffnungsvoll schaute Naha hoch zu Sönke.

  • "Oh ja...", murmelte Sönke, "..sehr böse."
    Auf einmal machte er sich Sorgen um die Grand Dame der Duccii. Wenn sie bei der Geburt starb, war Ostgermanien offen. Landos Tod hatte schon für erhebliche Probleme gesorgt, gerade weil er mitten in den Arbeiten der Rekonsolidierung der duccischen Wirtschaftlage gestorben war. Jetzt hing alles an Witjon, und den kannte Sönke nicht halb so gut wie den überall präsenten Lando. Letztendlich würde er darauf pokern müssen, sein Anliegen gut genug als Gewinn für die Kernsippe verkaufen zu können.


    Etwas irritiert blickte er das kleine Mädchen dann auch an, als sie ihn eine spur zu hoffnungsvoll danach fragte, ob er eben diesen Witjon verhauen wollte.
    "Verhauen? Wieso sollte ich ihn verhauen, Naha?"

  • Naha
    [Blockierte Grafik: http://img199.imageshack.us/img199/1620/nahakind.png]


    “Na weil er Papa Aua macht hat!“ Dass die Großen immer so schwer von Begriff sein mussten! Sönke war doch dabei gewesen als Witjon Lando angezündet hatte. Glaubte Naha zumindest, denn die Beerdigung war jetzt schon wieder einige Tage her und ein so junger Geist wie ihrer behielt solche Informationen nicht immer.
    Aber scheinbar wollte er Witjon nicht verhauen, das begriff Naha sehr wohl. Ansonsten hätte er ja gesagt. Wenn Erwachsene nachfragten, hieß das normalerweise nein. Also verlor Naha auch sehr schnell ihr Interesse daran und setzte sich stattdessen auf den Boden, um ein Paar Blumen aus dem Gras zu pflücken und eine nach der anderen an Sönke hochzureichen. “Da, schenk ich dir.“

  • "Weil er...", fragte der mehr als nur verwirrte Sönke. Was war das jetzt schon wieder für eine Geschichte? Witjon hatte Lando... nunja... Aua gemacht? Während er die Blumen des kleinen Mädchens automatisch annahm, überlegte er, was das zu heißen vermochte. Aber.. es waren doch alle dagewesen. Es war ein offenes Geheimnis, dass Lando in einem Kämpferkreis gefallen war... wie passte das da jetzt rein?
    Er entschloss sich, den Gedanken beiseite zu schieben und sich auf die neu aufkommende Stille oben zu konzentrieren.


    "Ich glaube, da hat sich was getan..", murmelte er, packte Naha unter den Armen und hob sie auf seine Schultern während er auf die Casa zuging, "..lass uns mal nachsehen ob dein Geschwisterchen schon da ist."

  • Missmutig starrte Hadamar auf die glatte Wasseroberfläche vor ihm. Wie lang war er jetzt hier? Drei Wochen, vier? Gefühlt sicher mehr. Und was hatte er hier zu tun? Schuften auf der Hros. Fantastisch. Da hätte er auch genauso gut daheim bleiben können, fand er. Genauer gesagt, daheim wäre es besser gewesen, denn neben der Arbeit hier im Gestüt musste er auch noch lernen. Lernen. Lernen! Lesen und Schreiben und Latein, was alles Dinge waren, durch die er sich mehr schlecht als recht durchquälte, schon allein weil er nicht die geringste Lust dazu hatte, und dass er sich unsäglich dumm dabei vorkam, half auch nicht wirklich. Das war... das war furchtbar! Er hatte sich irgendwie was anderes vorgestellt, als Witjon sein Einverständnis gegeben hatte. Gut, er hatte sich gar nichts vorgestellt, aber hätte er, dann wäre es ganz sicher nicht das gewesen. Und jetzt war er hier, in Mogontiacum, und von den Vorteilen, die es haben mochte in einer Stadt zu leben, hatte er bisher noch nicht wirklich was mitbekommen. Er arbeitete, und wenn er fertig mit Arbeiten war, dann schleifte ihn Milacorix in den Unterricht. Hadamar wusste gar nicht, wozu das alles nötig sein sollte, aber ganz offenbar wurde das einfach erwartet von einem Duccius. Jedenfalls einem, der in der Stadt lebte und es hier zu etwas bringen wollte. Oder besser: bringen sollte.


    Irgendwas musste sich ändern. Er konnte sich doch nicht einfach so vereinnahmen lassen, und das an jedem einzelnen Tag! Wenn er schon hier war, dann wollte er auch was erleben, er wollte etwas von der Stadt sehen, er wollte abends in den Tavernen umher streichen... Er sollte sich einfach hinstellen und, nun ja, ein Machtwort sprechen. Jawoll. Milacorix vor vollendete Tatsachen stellen, und jeden anderen, der ihm über den Weg lief. Aber er wusste jetzt schon, dass das nichts werden würde, also war es wohl besser sich von vornherein einfach auf den Weg zu machen. Und wenn er dann heimkam... Wie? Unterricht? Ich dachte heute fällt er aus, ich hatte da so was gehört... Oh, er konnte sich schon vorstellen, wie Elfleda auf so was reagieren würde. Oder seine Mutter, wenn sie das irgendwann erfuhr. Aber das war es definitiv wert. Hoffentlich. Und er war ein Mann, so einfach war das. Er war der älteste von seinen Geschwistern, und sein Vater war tot. Das musste doch irgendwas heißen. Nachdenklich starrte er auf das Wasser. Der Teich war nicht mehr gefroren – es zwar immer noch kalt, aber in den letzten Tagen hatte genug Tauwetter eingesetzt, dass sich die Eisschicht aufgelöst hatte. Hadamar stand also da... dann bückte er sich kurzentschlossen und zog sein Schuhwerk aus. Er hatte plötzlich das Gefühl, sich selbst etwas beweisen zu müssen, und das Wasser... im Winter... das schien eine gute Idee. Mit den Neugeborenen machten sie das ja auch, und was so ein Winzling aushielt, das konnte er ja wohl schon lange. War ja auch nicht das erste Mal, dass er so was machte, nur war er bisher noch nie allein gewesen dabei. Mit Freunden, ja, wenn es um eine Wette ging oder eine Mutprobe oder sie einfach nur was getrunken hatten und ihnen die lächerlichsten Ideen kamen... Mit nackten Füßen stand Hadamar am Ufer des Teichs und überlegte für einen Augenblick, ob er zuerst die Temperatur des Wassers testen sollte. Hm. Hm. War vielleicht keine so schlechte Idee. Hadamar machte einen Schritt nach vorne und machte Anstalten, seinen linken Fuß in das Wasser zu tauchen. Und zog ihn wieder zurück, bevor er nass werden konnte. War vielleicht doch eine schlechte Idee. Hadamar hatte schon eine ungefähre Vorstellung davon, wie kalt das sein würde, aber wenn er es tatsächlich spürte, verließ ihn vielleicht der Mut, und er wollte sich nun mal etwas beweisen. Besser nicht das Risiko eingehen, dass er dann doch einen Rückzieher machte. Mit wenigen Handgriffen zog Hadamar sich bis auf seinen Lendenschurz aus, und im nächsten Moment sprang er kopfüber ins Wasser. Und kam prustend und keuchend und um sich schlagend wieder hoch. „VERDAMMTE AXT IST DAS KALT!!!“


  • Wie bei fast allen familiären Feierlichkeiten wurde der Mannbarkeitsritus Hadamars mit aller Akribie vorbereitet. Dabei fiel ein Großteil der Arbeit auf die Herrichtung eines geeigneten Festplatzes, der im Falle der Söhne und Töchter Wolfriks eben eine gewisse Menge an Leuten beherbergen musste ohne, dass man sich allzu sehr gegenseitig auf den Füßen stand. Man brauchte immerhin Platz zum tanzen, zum trinken, zum raufen. Zum alles.
    Der Garten des familiären Anwesens hatte da seine Vorteile, und so war er es mal wieder, der als Örtlichkeit ausgesucht wurde. Nach Hochzeiten, Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten war es endlich mal wieder eine Mannbarkeit, die in diesem Umfeld gefeiert wurde. Auch wenn der Vater des Jungen nicht mehr lebte (was öfter vorkam als einem lieb sein konnte) und schon zu Lebzeiten nicht zu den prominentesten Mitgliedern der Sippe gehörte, es würden doch viele Menschen kommen um dem jungen Hadamar dabei zuzusehen, wie er sich von seiner Kindheit verabschiedete und seinen Speer bekam.


    Der Tag schien günstig, das Wetter hielt sich, auch wenn kein Sonnenschein keine besondere Göttergunst verhieß. Es waren weiße, dünne Wolken die den Himmel verhangen und ein leichter Wind blies... aber wenigstens regnete es nicht. Das schienen sich auch die meisten der Anwesenden zu denken, denn es war durchweg gutgelauntes Gerede zu hören, das sich in der Menge zu einem unverständlichen Gerausche vermengte. Immer wieder wurde gelacht wenn Witze oder witzige Neuigkeiten verbreitet wurden, und irgendwo konnte man lautes Flötenspiel hören, und irgendjemand schlug einen Takt.


    Auch wenn Hadamar noch nicht zum Mann geworden war, so hatten die Festlichkeiten längst begonnen.

  • Hadamar war… aufgeregt. So sehr ihm das auch widerstrebte – und so sehr er sich bemühte, sich das nicht anmerken zu lassen, sondern ganz im Gegenteil abgeklärt und abgebrüht zu wirken –, es gab kein anderes Wort um zu beschreiben, was in ihm vorging. Schon gar nichts, was das so gut in einem einzigen Wort zusammenfasste, das Flattern in seinem Magen, das Prickeln unter seiner Haut, das Matschige in seinen Knien. Nicht dass das die ganze Zeit und dauerhaft so war, aber immer mal wieder meldete sich eines oder auch zwei dieser Anzeichen…
    Ja, er war aufgeregt. Und es ärgerte ihn maßlos. Er war der Jüngste unter seinen Freunden, die hatten ihre Mannwerdung alle schon hinter sich – zugleich war er der Älteste seiner Geschwister. Und ein bisschen kam er sich dabei nun so vor, als hätte er alle Nachteile davon, aber nicht die Vorteile: er war als erster seiner Geschwister dran und hätte als solcher vielleicht irgendeinen Bonus, was Aufregung oder mögliche Blamagen seinerseits betraf, aber da seine Freunde alle älter waren, konnte er nichts von dem, was schief gehen könnte, darauf schieben. Er war als letzter seiner Freunde dran und hätte als solcher vielleicht den Vorteil genießen können, dass da nun niemand mehr so genau darauf achtete, aber weil seine Geschwister alle jünger waren, würden sowohl sie als auch seine Mutter mit Adleraugen zusehen, weil, nun ja, er war halt der Älteste, und sie wollten stolz auf ihn sein. Und Hadamar wollte ja auch, dass sie stolz auf ihn sein konnten. Aber wenn er sich seine Freunde so ansah, gönnten die ihm eh keinen Bonus als Jüngstem in ihrer Runde, also war das vermutlich ohnehin egal. Nur den Bonus, den er als Ältester hätte haben können, um den fand er es ein wenig schade… denn heute würde er kaum seine Familie von seinen Freunden so trennen können, dass die Kleinen nichts von den Frotzeleien mitbekamen. Und seine Freunde nichts von seiner Mutter oder den anderen Erwachsenen, die sich irgendwie peinlich benehmen könnten. Und dann war da noch Runa, die auch da sein würde… Bei den Göttern, er hasste es so im Mittelpunkt zu stehen, da war die Gefahr doch viel zu groß, dass er am Ende das Gespött der Leute war. Und die Mannbarkeit war wichtig. Er war sich nicht so sicher, ob es da wirklich eine Möglichkeit gab, das zu versauen – wobei, irgendwie konnte man immer irgendwas versauen, so schwer war das nun auch nicht. Und falls es so eine Möglichkeit gab, würde er sie wohl finden. Er hoffte nur, dass er sie nicht auch nutzte, sondern sie im Gegenteil dann weiträumig umgehen konnte, wenn er sie fand.


    „…bisschen mehr anstrengen, Hadamar“, hörte er gerade seine Mutter sagen. Sie hatte offenbar noch viel mehr gesagt, aber Hadamar hatte nach Sönke Ausschau gehalten, dessen Gesellschaft er im Augenblick deutlich bevorzugen würde. Und bitte ohne Thore und die anderen, die konnten erst mal auf Abstand bleiben, aber das würde sich wohl kaum realisieren lassen. „Hörst du mir überhaupt zu?“
    „Mehr anstrengen“, wiederholte er ohne rechte Überzeugung und ohne seine Mutter überhaupt anzusehen, aber als er ihren Blick auf sich spürte – den Blick –, fand er es dann doch plötzlich angebrachter, zu ihr zu sehen. Und nach dem eigentlichen Sinn in ihren Worten zu suchen. „Also, ich mich. Ich könnte mich mehr anstrengen.“
    „Du solltest das nicht so leicht nehmen! Solche Möglichkeiten bekommen nicht viele, und du könntest damit viel erreichen…“ Sie begann an seiner Kleidung herumzuzupfen.
    „Nee komm, lass das bitte!“ Hadamar fing ihre Hände ein und drückte sie herunter. „Ich nehm das ernst. Ich… bemüh mich.“
    „Und das soll ich glauben?“ Natürlich musste sie mal wieder wissen, wenn er log. Warum noch mal hatte er zugelassen, dass sie mit Milacorix geredet hatte? Ah ja richtig, weil es keine Möglichkeit gegeben hatte, das zu verhindern. Aber immerhin versuchte sie nicht wieder, vor allen, die schon da waren, an ihm herumzuzupfen. Und wenigstens sprach sie auch leise, leise genug, dass niemand etwas hören konnte, der nicht gerade direkt in ihre Nähe kam. Obwohl, wer Hadamar kannte, konnte sich vermutlich denken, dass es bei diesem Mutter-Sohn-Gespräch nicht gerade darum ging, wie stolz sie doch auf ihn war. Bei diesem Gedanken hatte Hadamar wenigstens den Anstand, ein bisschen ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Seine Leistung im Unterricht war nicht die beste, das stimmte schon, aber es war einfach so schwierig, und so frustrierend, dass er schlechter war als seine jüngeren Verwandten. Dass die schon wesentlich länger Unterricht bekamen als er, zählte nicht wesentlich für ihn. Und für seine Mutter auch nicht, die gerne gesehen hätte, dass er wenigstens irgendwen überflügelte. „Wenn du dich anstrengst, könntest du sicher einen Posten in der Verwaltung bekommen. Hast du schon mit Witjon gesprochen, was für dich in Frage käme?“
    Wuuusch. Da war das schlechte Gewissen wieder davon gerauscht. Was hatte sie nur mit der Verwaltung? Warum sollte er den ganzen Tag… Verwaltungskram machen wollen? Hadamar verdrehte die Augen, verzichtete aber vorsichtshalber darauf laut auszusprechen, was genau er von der Verwaltung im Allgemeinen und von dem möglichen Beginn seinerseits in eben jener im Speziellen hielt. Da war doch schon mal gleich das erste Fettnäpfchen, das er umschiffen konnte. „Nein, noch nicht“, antwortete er wahrheitsgemäß, und ebenso wahrheitsgemäß fuhr er fort: „Dafür bin ich noch nicht gut genug, was den ganzen Lateinkram angeht.“ Eine Antwort, die seine Mutter zwar nicht begeisterte, aber von der sie wusste, dass sie stimmte – und die sie zumindest vorläufig davon abhalten würde, ihn weiter mit der Verwaltung zu traktieren. Er wusste zwar, dass er ihr irgendwann würde sagen müssen, dass er ganz sicher nicht vorhatte je in der Verwaltung anzufangen… aber irgendwann war ebenso ganz sicher nicht heute.

  • Potitus Tuscenius Piso
    [Blockierte Grafik: http://www.kulueke.net/pics/ir/nscdb/b-germanen-maenner-alt/27.jpg]


    Wie viele Männer von Rang und Namen in den alten Stämmen und Sippen hatte auch Thorger, Sohn des Wituold es zum römischen Bürgerrecht gebracht. Den neuen Namen trug er dabei als hübsches Beiwerk, gingen seine Ambitionen doch nicht viel weiter als über die lokale Politik der Civitas hinaus. Als treuer Parteigänger der Söhne Wolfriks und Sohn des alten Goden war er natürlich freudig der Einladung Witjons gefolgt, bei einer Mannwerdung nicht nur Gast zu sein, sondern auch die Riten zu führen. Dies gab ihm gleichsam die Möglichkeit, das bisher sehr ergiebige Bündnis mit den Wolfrikssöhnen zu festigen und sich gleichsam einen Ruf als zuverlässiger und anerkannter Gode zu erarbeiten. Dass mittlerweile auch Römer zu ihm kamen, damit er mit ihnen Wodan/Iupitter oder Iuno/Frigg opferte, freute ihn umso mehr.


    Die Feier war schon vor dem Ritus ordentlich in Gang gekommen, und so brauchte es eine Zeit, bis er alle Menschen zur großen Eiche geführt hatte, um die Menge schließlich zur Ruhe zu rufen als sie sich weigerte es von selbst zu tun.
    Es begann mit einer Anrufung Wodans, der als Schirmherr des Tages über die Riten wachen sollte und den Jungen erfolgreich in den Kreis der Männer geleiten sollte. Mit bedeutungsvoller Miene breitete der Gode die Hände aus, und begann mit sonorer Stimme zu singen, auf dass die Menge in das altbekannte Lied einstimmte.


    "Werte Wolfrikskinder, verehrte Gäste... heute ist es an uns, Hadamar, den Sohn des Sigmar, Sohn des Goswini, Sohn Tjaards und Sohn Wolfriks in den Kreis der Männer aufzunehmen, auf dass er seine Stelle annehme, seiner Familie zur Ehre gereiche, im Kampf wie im Wirken zur Stärkung seiner Sippe beiträgt und ein Weib nehme mit dem er sich im Sinne der Asen vermehre.", begann er die Rede, mit der er die Menschen lehren und daran erinnern wollte, dass auch in Zeiten relativen Friedens die Herausforderung an die Menschen die Erhaltung ihrer Selbst war, "So wie der Wodan mit Jörd den Asen des Donners zeugte, so wurde auch Donar erst eines Weibes anheilig, als er von seinem Vater in den Kreis der statthaften Asen aufgenommen worden war. Hammer und Gürtel waren es, die Donar als Mann auszeichneten, und so soll es auch unter uns sein... aber auch Donar musste weisen, dass er sein Weib und seine Kinder ernähren konnte... so tritt hervor, Hadamar, Sigmars Sohn, und bring Zeugen für deine Mannestugenden hervor."


    Mit ernster Miene wartete er darauf, dass der Junge vorgetreten war, dann legte er ihm die kräftigen Hände auf die Schultern und wandte ihn mit sanftem Druck der versammelten Menge zu: "Wer unter euch will zeugen, dass Hadamar Weib und Kinder ernähren kann? Wer zeugt davon, dass er im Kampfe besteht? Und wer zeugt davon, dass er verantwortungsvoll mit wachem Geiste und starkem Wort seinen Platz in unserer Gemeinschaft annimmt?"

  • Witjon war heute außerordentlich gut gelaunt. Endlich gab es mal wieder etwas ordentliches zu feiern, das einen Sohn Wolfriks betraf. Hadamar würde in die Reihen der erwachsenen Männer aufgenommen werden. Wenn das nicht ein Grund zum "ausrasten" war, wie die Jugend womöglich sagen würde. Das Sippenoberhaupt hatte sich heute ganz seinem Status entsprechend gekleidet, wobei er allerdings darauf achtete den Rahmen nicht zu sprengen. So trug er ein dunkelrotes - die Hausherrin würde es womöglich Bordeaux-Rot nennen - Hemd aus feinem Leinen sowie eine schlichte beige Hose. Es fehlte dabei auch nicht das Statussymbol eines Germanen: Der Gürtel. Oder vielmehr: Die Gürtelschnalle. Denn dort, wo Witjons Gürtel zusammengehalten wurde, prangte fein gearbeitetes Silber, das einen monströsen Wolf zeigte, der den Mond anheulte. Das war wohl ein allzu deutliches Zeichen, das die Stärke und Macht der Söhne und Töchter Wolfriks demonstrieren sollte. Alles andere war wie gehabt: Langes Haar, Vollbart und die hochgezogene Augenbraue in Kombination mit einem schiefen Grinsen.


    So bahnte Witjon sich einen Weg durch die anwesenden Gäste, schüttelte hier Hände, stieß dort mit seinem Metbecher an, schlug andernorts jemandem zur Begrüßung freundschaftlich auf den Rücken. Witjon war stadtbekannt, wie es sich gehörte, und dennoch wunderte es ihn manchmal noch immer wie viele Menschen ihn kannten und achteten. An diesem Tag waren viele Freunde der Duccii anwesend, die bereits vor Beginn der offiziellen Riten scherzten, tranken und mancherorts bereits musizierten und sangen.


    [Blockierte Grafik: http://www.kulueke.net/pics/ir/nscdb/a-germanen-maenner-jung/08.jpg]


    Ortwini, Sohn des Siguhelm


    "Aus dem Weg! Weg da! Lasst mich durch! Achtung, heiß und wichtig!" Natürlich war Ortwini auch mit von der Partie. Er verschaffte sich lauthals Platz, um zu seinem besten Freund zu gelangen. "He Witjon! Heilsa," grüßte er den bestürmten Duccius, der die Umarmung des wilden Schönlings freudenstrahlend erwiderte.
    "Heilsa Ortwini. Hast du schon was zu trinken?" Witjon lachte bei Ortwinis Anblick. Obwohl sie beide nun schon einige Jahre älter waren als damals, als sie sich kennen gelernt hatten, war der Sohn Siguhelms im Geiste kein kleines bisschen gealtert.
    "Ja aber sicher doch, Prost!" kam prompt die erwartete Antwort und sie stießen metschwappend an und nahmen jeder einen ordentlichen Schluck. "Wo hast du dein Weib und die Blagen gelassen?" folgte schon die nächste Frage, bei der Witjon sich neugierig umschaute. Ortwini hatte nämlich endlich eine Frau gefunden - oder vielmehr für sich finden lassen -, die ihm auch gleich eine ganz Unzahl an Sprösslingen auf die Welt gebracht hatte. Sigrun hieß die Gute, die ein junges Mädchen gewesen war, als sie Ortwini zur Frau gegeben worden war. Und sie wurde von den Göttern geliebt, denn sie schenkte ihrem Gatten ganze sechs Kinder, von denen bisher fünf sogar überlebt hatten! "Aaach, die ist irgendwo da drüben. Klatsch und Tratsch und so'n Quatsch halt. Kennst'e doch," erklärte Ortwini mit einer Wischiwaschi-Handbewegung in eine unbestimmte Richtung. "Was weiß ich wo die Kleinen sind. Die kommen schon zurecht." Witjon nickte zustimmend. Audaod war sicherlich auch inmitten der Menge unterwegs, zusammen mit Landulf. Die beiden waren die dicksten Freunde und standen zusammen wie Brüder. Vermutlich verzapften sie bereits wieder irgendwelchen Unfug, ärgerten Mädchen oder heckten einen Plan aus, der sie als allererste zum Schweinebraten führen würde.


    So rückte der Beginn der Mannbarkeitsriten immer näher, während der Garten sich mit Gästen füllte. Die Stimmung war ausgelassen und es wurde gescherzt, gelärmt und ordentlich vorgetrunken. Selbst als der Sohn des alten Goden die Menge zur Ruhe aufrief, dauerte es noch eine Weile, bis die Zeremonie beginnen konnte. Dann aber war es mucksmäuschenstill und alle hörten gespannt auf das, was der Tuscenius zu sagen hatte.
    Während Thorger - wie Witjon den Tuscenius nannte, denn auf den römischen Namen, der höchstens bei Empfängen in römischem Rahmen Bedeutung hatte, gab man in diesem Kreise sowieso nicht viel - sprach, musterte Witjon den Jungen um den es hier heute ging sehr eingehend. Hadamar wirkte nervös, so wie es sich gehörte. Witjon fixierte wieder den Sohn des Goden, als dieser seine Aufforderung an die Menge richtete. Wer wollte Zeuge sein für Hadamars Mannestugenden? Wen würde Hadamar aufrufen? Sicherlich würde der Junge ihn auch benennen. Und wen wohl noch? Erwartungsvoll ruhte der Blick der Menge auf den beiden Gestalten im Mittelpunkt des Tages, Hadamar und Thorger.

  • Als ich mich dem Garten der Duccii näherte, hörte ich schon den Lärm eines recht ausgelassenen Festes. Ab und an ein aufkommendes Gejohle, ein an- und abschwellendes Gemurmel, das sich hin und wieder in Gelächter und laute Zurufe verstieg. Je näher ich kam, desto lauter wurde es.


    Aber, als ich durch das Gartentor ging, wurde es plötzlich still. Ich stutzte etwas, weil ich in diesem Moment zunächst mein Erscheinen in Verdacht hatte, die Ursache für diese schlagartige Stille zu sein. Dann bemerkte ich aber, dass es der Beginn einer Zeremonie war, die das plötzliche Schweigen bewirkt hatte, in das jetzt der Gesang eindrang, mit dem Wodan angerufen wurde, gefolgt von einer Rede. Man war dabei, einen jungen Kerl in den Kreis der Männer aufzunehmen.


    Für den jungen Kerl ist das eine ernste Sache. Und da sollte man nicht hineinplatzen, auch wenn die Festgäste es nicht erwarten konnten, bis sie wieder zum fröhlichen Lärm zurückkehren konnten. Ich ging also auf Zehenspitzen zu dem Gedränge hin, das sich um den großen Baum sammelte. Und ich blieb dann erst mal auf Zehenspitzen, um über die Köpfe hinweg etwas von dem Geschehen mit zu bekommen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!