Decima Seiana
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- Cubiculum
- Maximus Decimus Meridius
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Seiana saß da und las den Brief ihres Bruders wohl schon zum hundertsten Mal. Ihr kleiner Bruder… hatte ihr geschrieben. Hatte sich sogar entschuldigt, für diesen Streit, der doch zu mindestens genauso großen Teilen auch ihre Schuld gewesen war. Seiana hatte den Kopf auf ihre Hände aufgestützt und die Finger in den Haaren vergraben. Sie musste ihm endlich antworten, aber was? Wie? Sie hätte so viel zu sagen, aber sobald sie Worte zu Papier brachte, schienen sie ihr so nichtig und leer zu sein, ohne jede Aussage… Entnervt stand sie auf und lief im Zimmer herum, bis sie sich schließlich doch wieder setzte. In einer Ecke des Tisches lagen drei zusammengeknüllte Entwürfe, die davon zeugten, dass dies einer der seltenen Momente war, in denen Seiana um Worte verlegen war. Aber es half nichts. Wenn sie noch länger wartete, würde Faustus den Eindruck bekommen, sie wollte ihm nicht antworten, sie wäre immer noch wütend auf ihn – und das stimmte ja nicht. Wenn es einen Menschen gab, auf den sie noch wütend war, dann war es sie selbst. Weil sie damals nicht in der Lage gewesen war, zu unterscheiden zwischen ihm und sich, und sich einfach für ihn zu freuen, dass er den Mut hatte seine Träume zu verwirklichen, oder es wenigstens zu versuchen…
Mit einem Seufzen griff sie wieder nach der Schreibfeder und setzte erneut an. Lieber Faustus… Wieder war der Anfang holprig, und sie war unzufrieden, aber diesmal schrieb sie einfach weiter, und nach und nach hatte sie das Gefühl, Faustus fast sehen zu können, während sie ihm einfach erzählte, was ihr im Kopf herumging…
Als sie fertig war, war sie immer noch nicht ganz zufrieden – aber sie wusste, dass sie nichts besseres zustande kriegen würde, und so schickte sie Elena mit dem Brief los.
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Nach und nach fand ich mich in den Gängen der casa zurecht. Eigentlich waren es gar nicht so viele. Da ich bisher aber nur im heimischen Tarraco unterwegs gewesen war, schien mein Orientierungssinn hier auf eine harte Probe gestellt. Meine Expedition durch die unendlichen Weiten der Casa Decima hatte ich vor meinem cubiculum begonnen und war dann zwangsläufig im atrium gelandet. Dort hatte ich einen kleinen Plausch mit dem Koch abgehalten und ihm auch gleich meine Leibspeise mitgeteilt: frische Austern mit Zitrone. Nach diesem anregenden Gespräch hatte es mich in den hortus, den Garten des Hauses, verschlagen. Dort war mein Blick nicht nur von der Pracht der Blumen und Gewürzpflanzen, sondern auch von der Schönheit einer jungen serva gefangen. Mein Onkel bewies wirklich einen guten Geschmack bei der Wahl seiner Bediensteten. Nachdem ich meine Künste und Reize ausprobiert und ein kleines Treffen für den Abend arrangiert hatte, wollte ich weiter. Es gab scheinbar noch sehr viel mehr zu entdecken. Allein die Bibliothek des Hauses, in die ich schließlich gestapft kam, beherbergte wahre Schätze. Ich konnte es kaum glauben, aber da fiel mir doch ein Werk von Vitruv, dem alten Wassermeister, in die Hände. Das würde mir sicher gute Dienste bei meiner Arbeit leisten. Ich ließ mir die Schriftrollen daher in mein Zimmer bringen, wo ich sie später genüsslich lesen würde.
Letztendlich kam ich nun endlich in den zweiten Wohntrakt des Hauses. Langsam und konzentriert schritt ich die Türen ab und las für mich die jeweiligen Schilder, die zeigten, wer darin wohnte. Da stand auch der Name meiner Schwester. Endlich hatte ich ihr Zimmer gefunden. Freudestrahlend horchte ich an der Tür, um zu hören, ob sie nicht vielleicht gerade im Gespräch mit jemandem war. Scheinbar war dem nicht so und ich klopfte an.Seiana, Schwesterherz. Ich bin es, Scaurus.
In mir breitete sie Vorfreude aus. Zwar war ich mit ihr aus Tarraco hierher gereist, aber seit der Zeit auf dem Schiff hatten wir keine Gelegenheit mehr gehabt, ungestört miteinander zu reden. Und dabei war sie eine der wenigen Personen, mit denen ich wirklich gut und ausgiebig reden konnte und wollte.
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Seiana kannte sich inzwischen recht im Haus aus – sie hatte einige Zeit damit verbracht, die Gänge und Räume zu erkunden, die Menschen kennen zu lernen, sich mit den Abläufen vertraut zu machen… Sie wusste noch nicht genau, wie der Haushalt hier gehandhabt wurde, aber sie hatte begonnen sich einen Überblick zu verschaffen – und sie merkte bereits, dass es ihr gut tat, etwas zu tun zu haben, genauso wie die andere Umgebung. Sie beschäftigte sich gerade mit ein paar Schriftrollen, die der Maiordomus ihr gebracht hatte, als es an der Tür klopfte und sie die Stimme ihres Bruders hörte.
Mit einem Lächeln ging sie zur Tür und öffnete sie. „Caius!“ Sie begrüßte ihren Bruder mit einer Umarmung und einem leichten Kuss auf der Wange. „Schön dich zu sehen – komm doch herein.“ Sie hielt ihm die Tür auf und wies auf zwei Korbstühle, die in der Nähe des Fensters standen. „Möchtest du etwas trinken?“
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Endlich wurde die Tür geöffnet. Endlich sah ich das Zimmer meiner Schwester. Endlich spürte ich wieder die Umarmung, die ich so lange vermisst hatte. Innig erwiderte ich sie und streichelte dabei ihr Haar. Ich konnte mich glücklich schätzen, eine so schöne junge Frau zur Schwester zu haben. Natürlich wusste ich daher auch, wie gefragt sie unter den jungen Männern Roms war. Besonders besorgt war ich aber nicht um sie, schließlich wusste ich, dass Seiana einen sehr klugen Kopf besaß und wusste, welche Art von Männern sich schickte. Diese Gedanken verbannte ich denn auch gleich wieder in den Hinterkopf und setzte mich dankend, nachdem ich die Tür geschlossen hatte.
Ja, gern. Etwas Wein mit reichlich Wasser. Ich hab leider nachher noch ein paar Dokumente, die ich durcharbeiten muss...
Ausgiebig betrachtete ich ihr cubiculum nun von innen. Schön hatte sie es eingerichtet. Es gab genau die Wärme und Herzlichkeit wieder, die ich in ihrer Gegenwart spürte. Während ich so vor mich hin dachte, kam ich auch auf meinen Bruder Faustus. Was er jetzt wohl machte? Als er aus Tarraco verschwand, wollte er Künstler werden. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihm gehört und wusste auch nicht, wohin ich einen Brief hätte schicken sollen. Ein Brief, in dem ich ihm endlich wieder erzählen konnte, was bisher geschehen war, wie sich alles entwickelt hatte, wie schön unsere Schwester geworden war. Das führte mich sofort wieder zurück zu ihr. Entschuldigend lächelte ich ihr zu.
Verzeih, ich war geistig etwas abwesend. Du hast ein wunderschönes cubiculum. Habe ich dir schon einmal gesagt, dass ich von Glück sagen kann, so eine tolle Schwester zu haben?, fragte ich aufrichtig und nahm schließlich ihre Hand.
Wie hast du dich eingelebt?
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Seiana ging zu dem kleinen Beistelltischchen, auf dem zwei Krüge standen, einer gefüllt mit Wasser, einer mit Wein, und füllte für ihren Bruder und sich zwei Kelche – beide mit wesentlich mehr Wasser als Wein. Hernach trug sie die Becher zu Caius, der bereits in dem angebotenen Sessel Platz genommen hatte, reichte ihm einen davon und ließ sich ebenfalls nieder. Ihr Bruder betrachtete eingehend ihr Zimmer, und da er dadurch etwas abgelenkt schien, ließ sie ihm Zeit und nippte unterdessen an ihrem Getränk. Ein schelmisches Lächeln zupfte gleich darauf an ihrem Mundwinkel, als Caius’ endlich sprach. „Eine tolle Schwester? Gibt es ein Familienmitglied, von dem ich noch nichts weiß?“ Die Zeit in Rom tat ihr tatsächlich gut, wie sie feststellte. „Ich kann damit keinesfalls gemeint sein, es sei denn du hast vergessen, wie wir früher miteinander umgegangen sind.“ Ihre Augen begannen zu funkeln, als sie daran dachte – sie hatte selten eine Gelegenheit ausgelassen, ihre älteren Brüder zu ärgern, hatte es ausgiebig und gerne getan, auch wenn sie nur zu oft dann den Kürzeren gezogen hatte, weil sie einfach jünger war als sie. Aber letztlich waren es Streitereien von der Art gewesen, die Geschwister auf Dauer nur noch enger zusammenschweißte.
Einen kurzen Moment noch bewahrte sie ihre gespielt-ernste Miene, die nur durch das gelegentliche Zucken ihrer Mundwinkel und das Funkeln in ihren Augen untergraben wurde, dann breitete sich das Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Ich habe mich gut hier eingelebt, ja. Dass unsere Familie uns so freundlich aufgenommen hat, hilft dabei natürlich, aber es ist auch schön, hier wieder etwas zu tun zu haben – ich versuche Severa zu unterstützen, wo es geht. Und Rom ist faszinierend… es gibt viel zu entdecken hier.“ Sie trank erneut einen Schluck. „Was ist mit dir?“
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Nein, ich hatte freilich nicht vergessen, wie wir miteinander umgegangen waren. Und gerade brachte wieder freudige Kindheitserinnerungen in mir auf. Lächelnd und wohlig seufzend rief ich all das wieder zurück, was im Alltagsstress verschütt gegangen war. Erinnerungen an unbeschwerte Stunden, an denen mir Seiana die übelsten Streiche gespielt hatte und ich mir nicht zu fein war, es ihr postwendend zurückzugeben. Immer tiefer reiste ich in den Gräben und Gängen meiner memoria. Und immer weiter ging ich zurück. Plötzlich lächelte mir ein wohl vertrautes Gesicht entgegen. Ein weibliches Gesicht mit edlen, weisen Zügen. Es war das Gesicht meiner Mutter. Sie hauchte mir Worte zu, aber ich verstand sie nicht. Mein Blick wurde verzweifelt und erste Tränen blitzten in meinen Augen, während ich zur Wand an Seiana vorbei starrte.
Mutter..., murmelte ich, ohne zu realisieren, dass ich es wirklich gesagt hatte. Noch immer war ich gefangen in diesem Wachtraum. In diesem Albtraum, der mir wieder frisch vor Augen führte, wie unsere Mutter gestorben war. Zum ersten Mal seit unserem Aufbruch aus Tarraco sah ich diese Bilder völlig ungefiltert und ergab mich ihnen bedingungslos. Mit voller Wucht traf mich eine Szene, in der ich mich mit meiner Mutter stritt. Wie immer über völlig nebensächliche Dinge. Ich erkannte, wieviel ich ihr noch hätte sagen wollen, wieviel auf der Strecke geblieben war. Ich verbarg das Gesicht in meinen Händen und fing an, bitterlich zu weinen. Ich konnte es nicht mehr kontrollieren, die Tränen flossen sturzbachartig über meine Wangen. Das wollte ich meiner Schwester eigentlich nicht antun, denn sie stand sicher noch genauso unter Schock. Sorgen um mein Auftreten machte ich mir bei ihr nicht, sie wusste, dass ich durchaus bereit war, Gefühle offen zu zeigen. Doch in so heftiger Form hatte ich mich lange nicht mehr der Trauer und Verzweiflung hingegeben. Ich vermisste meine Mutter mehr als alles auf der Welt. Und ich konnte dabei nur hoffen, dass es ihr jetzt besser ging, wenn es dieses Elysium wirklich gab. Einmal in Berührung gekommen mit der Philosophie, zweifelte ich immer mehr daran. Aber die Hoffnung darüber hielt mich fest am Leben. Vielleicht würde ich ihr wiederbegegnen und wir wären alle wieder vereint. Aber in diesem Leben würde sich nichts mehr umkehren lassen. Sie war unwiederbringlich von uns gegangen.
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Caius’ Grinsen zeigte, dass er ihre Kindheit keineswegs vergessen hatte und ebenfalls daran zurückdenken musste, aber sein Gesichtsausdruck änderte sich bald, wurde immer nachdenklicher, schließlich wehmütig und traurig. Seiana wusste sofort, wohin ihn seine Gedanken getragen hatten – es war nicht schwer zu erraten, für keinen, der ihre Familie näher kannte, für sie, die in derselben Situation war, erst recht nicht. Sie hätte nicht das Wort hören zu brauchen, das er schließlich sagte, um Gewissheit zu erlangen. Seiana spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, als sich auch in ihr der Schmerz wieder rührte, aber obwohl ihr Gesicht ihre Trauer zeigte, drängte sie den Schmerz zurück. Sie hatte ihn immer zurückgedrängt, wenn andere zugegen waren, hatte ihm nur nachgegeben, wenn sie alleine war, und selbst dann nicht wirklich.
Seiana wollte dem Schmerz nicht nachgeben, konnte, durfte es nicht tun. Sie wurde gebraucht. Seit ihre Mutter so krank geworden war, hatte es immer etwas gegeben, was sie tun musste, immer jemanden, um den sie sich hatte kümmern müssen. Und sie hatte versucht, alles zu bewältigen, stark zu sein, da zu sein. Sie hatte ihre Mutter versorgt, hatte Aufregungen von ihr fern gehalten, hatte sich um das Haus gekümmert. Und sie war da gewesen, für Familie und Freunde, die Menschen, die ihrer Mutter nahe standen. Es war schwer gewesen, und Seiana hatte manches Mal nicht mehr gewusst, wo ihr der Kopf stand, aber wenn jemand zu ihr gekommen war und Trost gebraucht hatte, hatte sie sich Zeit genommen und Trost gespendet. Und so sehr es auch an ihren Kräften gezehrt hatte, wie viel lieber war ihr das doch gewesen als die Menschen, die kamen um oberflächlich ihr Beileid auszusprechen und erwarteten, dass sie ebenfalls da war, dass sie Worte der Aufmunterung fand, für Menschen, die ihre Mutter kaum gekannt hatten.
Als ihr Bruder anfing zu weinen, gab es für Seiana also nur eine mögliche Reaktion. Sie erhob sich und ging zu ihm hinüber, um sich auf der Lehne seines Sessels niederzulassen, dann nahm sie ihn in den Arm und streichelte seine Haare. „Sssssch“, murmelte sie. Er brauchte jemanden, der ihn einfach nur hielt, der für ihn da war, und so hielt sie ihn und war einfach nur da.
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Als ein Sklave ihr in den Gängen der Casa über den Weg lief und ihr einen Brief in die Hand drückte, war Seiana im ersten Augenblick verwirrt. Von dem Aelier konnte der Brief unmöglich sein, es sei denn er hatte ihr noch in Rom zum ersten Mal geschrieben, noch vor seiner Abreise, und das wäre… Seiana stoppte sich in Gedanken rechtzeitig, als ihr klar wurde, dass das etwas wäre, was dem Aelier durchaus zuzutrauen wäre – so wie sie ihn bisher kennen gelernt hatte. Dennoch bezweifelte sie, dass das Schriftstück tatsächlich von ihm war. Neugierig nahm sie es entgegen und faltete es gleich auseinander, und kaum dass sie den Absender gesehen hatte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Faustus… Mit einem Kopfnicken entließ sie den Sklaven und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer, um den Brief ihres Bruders in Ruhe zu lesen. Mit einem Glas Fruchtsaft machte sie es sich auf einem der Korbstühle nahe am Fenster bequem, zog die Beine an und verkreuzte sie unter sich, und begann zu lesen.
Schon bei den ersten Worten breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie war sich selbst nicht sicher gewesen, wie Faustus ihre Worte auffassen würde, ihr Geständnis, dass sie eigentlich eifersüchtig gewesen war… Aber vielleicht hatte er das auch gar nicht herausgelesen, immerhin hatte sie es so deutlich nicht geschrieben, dafür war sie dann doch zu feige gewesen. Oder zu stolz, zu eigensinnig? Sie wusste es nicht. Die Gefühle, die sie damals gehabt hatte, waren jedenfalls nichts worauf sie stolz war, und sie hatte es nicht über sich gebracht, das zu Papier zu bringen. Aber wenn er erst einmal hier war… konnte sie es ihm ja immer noch sagen. Wenn sie jemand verstehen würde, dann ihr kleiner Bruder. Das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht, während sie den Brief weiterlas, seine Erzählung, wie es ihm ergangen war. Er hatte versucht auf eigenen Beinen zu stehen. Nur als ich selbst… Wie gut konnte sie ihn verstehen, hatte ihn damals schon verstanden. Losgelöst von der Familie, von dem Namen, von der Verantwortung und den Erwartungen, die an einen gestellt wurden – wobei sie zugeben musste, dass ihre Mutter die Brüder immer mehr unter Druck gesetzt hatte, so sehr hatte sie sich gewünscht, dass sie das Erbe ihres Vaters antraten und aus ihnen Soldaten wurden. Seiana verstand nach wie vor nicht ganz, warum ausgerechnet das einer der Herzenswünsche ihrer Mutter gewesen war, aber sie hatte gesehen, wie sehr die Enttäuschung ihr zugesetzt hatte, vor allem in den letzten Lebensjahren.
Weiter las sie, konnte sich nicht helfen als eine Augenbraue hochzuziehen, als Faustus davon schrieb, dass er Hilfe gebraucht hatte – er schien nichts davon zu wissen, dass ihre Mutter jemanden auf ihn angesetzt hatte, der recht genau davon zu berichten gewusst hatte, wie es Faustus ergangen war. Und weiter ging es, auf ihrem Gesicht deutlich die Emotionen zu lesen, wie sie nachdenklich wurde als er vom Tod sprach, dann wieder schmunzelte, wie sich ihre Augen überrascht weiteten bei dem Satz, dass die Legion nach Hause kommen würde, und schließlich ein breites Grinsen während seiner Beschreibungen von Antiochia. Noch breiter wurde es beim nächsten Teil, als er seine Vorzüge als Soldat herausstellte, die sie in Zweifel gezogen hatte, gleichzeitig aber sein Glück hervorhob… Sie trank erneut einen Schluck und veränderte ihre Sitzposition, stellte einen Fuß vor sich auf und legte ihr Kinn auf das Knie, während ihre Augen schon wieder über das Pergament flogen. Jetzt kam zum ersten Mal ein Laut über ihre Lippen, ein Laut der Empörung, während sie rot wurde und in Gedanken grübelte, was sie Faustus genau über den Aelier geschrieben hatte. Doch nichts, was ihren Bruder zu diesen Sätzen veranlassen könnte? „Von wegen Köpfe verdrehen. Wart nur bis du nach Hause kommst, dann wirst du schon sehen, dass ich immer noch jemanden verdreschen kann, wenn du mir dann auch mit solchen Sprüchen kommst…“ Jetzt grinste sie wieder, eine Spur verlegen noch, aber die Freude über die gegenseitigen Neckereien – auch wenn sie nicht direkt ausgetauscht werden konnten –, war doch wesentlich größer. Der Rest des Briefes war schnell gelesen, und als Seiana das Ende erreicht hatte, streckte sie ihr angewinkeltes Bein aus, zog das andere an und begann von vorn.
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Irgendwann im Laufe des Abends, an dem ich die kostbaren Stunden meines Ausganges in Rom verbrachte, und endlich meine Familie wiedersehen konnte, tauchte ich vor dem Zimmer meiner Schwester auf. Ich hatte es mir von einer Sklavin zeigen lassen. Mittlerweile sah ich auch wieder etwas zivilisierter aus, frischgewaschen und gekämmt, die Nägel sauber, die Haare noch feucht. Ich klopfte, rief fröhlich: "Seiana! Ich bins!", und kam einfach rein. Ah, da war ja mein Schwesterherz!
"Hey! Jetzt hab ich endlich Zeit. - Oha, ein schönes Zimmer hast Du da!"
Neugierig wie sie sich hier eingerichtet hatte sah ich mich um, und schlenderte, breit lächelnd, durch das Zimmer auf meine Schwester zu. In der Hand hielt ich meinen Leinenbeutel. Ich schwenkte ihn ein bisschen hin und her und meinte dann verschmitzt: "Rate mal was ich da drin habe!" -
Nachdem Faustus verschwunden war, hatte Seiana sich dem Essen gewidmet und dann wieder zurückgezogen – nur um ungeduldig darauf zu warten, dass ihr Bruder endlich kommen würde. Das hieß, eigentlich war sie hin und hergerissen, mal ließ sie ihrer Ungeduld freien Lauf, lief in ihrem Zimmer hin und her und wusste nicht so recht, was sie mit sich anfangen sollte, mal bemühte sie sich, sich zusammenzureißen und sich, nun ja, zu benehmen. Aber wirklich konzentrieren konnte sie sich ohnehin auf nichts, und so war sie schon bald wieder auf den Beinen und räumte im Zimmer herum und beschäftigte sich einfach irgendwie.
Dann, schließlich, endlich klopfte es, und ohne eine Antwort abzuwarten kam Faustus in ihr Zimmer, wesentlich gepflegter noch als zuvor, aber das war ihr völlig egal – er hätte auch völlig heruntergekommen aussehen können, und sie hätte trotzdem nur das Strahlen in seinen Augen gesehen. Sie ließ die Schriftrollen fallen, die sie gerade zum dritten Mal umsortiert hatte, und kam ihm entgegen, um ihn noch einmal zu umarmen. „Hab ich dir schon gesagt, wie schön es ist, dass du bist? Und ich hoffe für dich, dass du wirklich noch Zeit hast und nicht schon bald wieder zurück musst, sonst kannst du was erleben“, drohte sie ihm scherzhaft, noch während sie ihn an sich drückte. Dann ließ sie ihn wieder los und zog ihn an der Hand hinüber zu der kleinen Sitzgruppe am Fenster, während sie neugierig auf den Beutel sah, den er schwenkte. „Ach was, sag bloß… Hast du mir was mitgebracht? Irgendwas… Parthisches, würde ich sagen? Schmuck vielleicht?“ Seiana grinste. „Komm setz dich, willst du was trinken? Oder hast du noch Hunger?“
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Drusus nutzte den Zeitaufwand des Suchens nach Seianas cubiculum zur Umschau in der CDM.
Er begegnete vielen Unbekannten; man sah sich befremdend, mitunter ein wenig von oben herab an, grüßte höflich und war letztendlich froh, nicht mit irgendwelchen Fragen konfrontiert zu werden.
Wie in Trance ging Drusus durch die vielen Gänge, vorbei am Garten ...
Mit einem Mal sah er die vielen Weinberge ... und war da nicht Aeala?
Es ist an der Zeit, daß du heimkehrst, dachte er und brachte seine Gedanken wieder in Ordnung.
Mittlerweile stand er vor Seianas cubiculum. Er legte sein Ohr an die Tür und vernahm eine fröhliche, ihm wohlbekannte Stimme: Serapio, der kleine Bruder, in voller Redeaktion!
Eingedenk seiner guten Erziehung klopfte Drusus an die Tür.
*** Klopf *** Klopf *** Klopf ***
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An diesem Abend nahmen die Umarmungen kein Ende und das war gut so. Ich drückte Seiana an mein Herz und lachte: "Hab ich schon gesagt wie schön es ist wieder hier zu sein?"
Dass ich mich später - aber erst viel später! - noch zu einem Rendezvous davonzumachen gedachte, das behielt ich lieber erst mal für mich.
"Ich stehe Dir vollstens zur Verfügung!", verkündete ich, mit einer feierlichen Verbeugung, und liess mich in den bequemen Sessel sinken. Geniesserisch fuhren meine Finger über die feinen Stickereien auf einem der weichen Kissen. Was es bedeutete einen Raum ganz für sich zu haben, das war mir erst klargeworden seitdem ich mir mit sieben anderen ein Zelt teilen musste - oder auch nur fünf mittlerweile, es war trotzdem eng, und Rupus sägte jede Nacht ganze Wälder.
"Ja, also wenn Du gerade was da hast... würd ich auch noch was essen."
Wirklich hungrig war ich zwar nicht mehr, aber Appetit hatte ich immer noch, kein Wunder bei der Aussicht dass es ab morgen wieder Puls gab.
"Hm... ja... ja fast, es ist was parthisches, das stimmt schon mal. Ach, da fällt mir ein, ist eigentlich der Sklave den ich hierher geschickt habe, auch angekommen, Tsiáhar?"
Ich schnürte die Caligae auf und zog die Beine auf den Sessel, machte es mir im Scheidersitz gemütlich. Dann fischte ich aus meinem Leinensack das Mitbringsel hervor, und schlug den dicken Stoff auseinander in den ich es zum Schutz eingerollt hatte. Zum Vorschein kam die kleine Alabasterstatue, die Frau mit den bläulichen Mondsteinaugen, die nur ihr langes, kunstvoll herausgearbeitetes Lockenhaar, und darin die Mondsichel trug. Ich wusste nicht was sie darstellte, auch wenn sie mich ein klein bisschen an Bildnisse der Isis erinnerte, aber ich fand sie schön und geheimnisvoll. Zu einer Frau passte sie ausserdem viel besser, und lächelnd stellte ich sie vor Seiana auf den Tisch. Die alabasternen Glieder schimmerten in einem durchscheinenden Weiss. Aber komischerweise kam mir die Statue, nur handhoch, zart und blass und bloss, in dem grossen Zimmer auf einmal so verloren vor, und mir schoss sogar der verrückte Gedanke durch den Kopf, ob sie nicht möglicherweise Heimweh nach Mesopotamien haben könnte. Sehr eigentümlich, das, ich hatte mal wieder zu viel Phantasie.
"Die ist für Dich, ich hoffe sie gefällt Dir. - Aber sag mal, was machen überhaupt unsere Brüder, Du hast mir doch geschrieben, sie wären auch nach Rom gekommen?"
Da klopfte es deutlich an der Türe, ich wandte den Kopf und blickte dorthin, neugierig wer Seiana da besuchen wollte. -
Drusus wartete.
Wie es schien, war sein Klopfen überhört worden. Womöglich sollte es verständlicherweise auch nicht gehört werden.
Seine beiden kleineren Geschwister bei trautem Beisammensein in der Freude des Wiedersehens. Da durfte und wollte er keinesfalls stören.
Insgeheim war er froh darüber. Somit wurden viele Fragen nicht gestellt.
Nachdem auch Scaurus nicht anzutreffen war setzte Drusus seinen Rundgang durch die CDM fort. Irgendwann fand er sich im vestibulum wieder.
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„Vollstens zur Verfügung… Etwas anderes würde ich auch nicht erwarten.“ Seiana erwiderte seine Verbeugung mit einem angedeuteten, dafür aber umso huldvolleren Neigen des Kopfes, und grinste anschließend breit. „Ja, also… Obst hätte ich da. Ah ja, und Gebäck. Wenn du mehr möchtest oder etwas anderes, kann ich Elena Bescheid sagen, dass sie noch etwas holen soll.“ Seiana holte von einem Tisch an der Wand eine Schüssel, die gefüllt war mit den unterschiedlichsten Obstsorten, und eine flache Schale, in der Kleingebäck angerichtet war, stellte beides auf den Tisch bei den Sesseln und schenkte dann sowohl ihrem Bruder als auch sich Wein ein, bevor sie sich ebenfalls setzte. Für einen Moment damenhaft, wohlerzogen, wie es sich gehörte für eine Frau ihres Standes, aber im nächsten Moment wurde ihr bewusst, dass sie das bei Serapio gar nicht musste. Mit den Armen stemmte sie sich noch einmal kurz hoch und zog mit Schwung die Beine auf den Sessel, so dass sie nun darauf saß, den Oberkörper leicht zur Seite geneigt.
Neugierig musterte Seiana den Beutel, bevor sie wieder zu Serapio sah. „Ja, Tsiáhar ist angekommen. Das Schwert hat Meridius in Verwahrung genommen, wenn du es möchtest. Sonderlich viel habe ich nicht mit ihm zu tun, aber Elena meint, er ist nach wie vor… sehr schweigsam und zurückhaltend.“ Was vermutlich kein Wunder, bedachte man die Umstände, unter denen er Sklave geworden war – aber darüber wollte Seiana sich jetzt keine Gedanken machen, stattdessen beobachtete sie gespannt, wie ihr Bruder aus dem Beutel einen mit Stoff umschlagenen Gegenstand hervorzog. Anschließend weiteten sich ihre Augen, als nach und nach die filigrane Statue zum Vorschein kam, gearbeitet aus Alabaster, Figur, Haare, alles kunstvoll bis ins kleinste Detail gefertigt, mit einer kleinen Mondsichel im Haar und zwei Mondsteinen als Augen. Serapio stellte sie auf den Tisch, und Seiana streckte die Hand aus, um sie zu berühren, hielt dann aber inne. Ihre Hand verharrte kurz vor der handgroßen Statue, blieb in der Luft hängen, als Seiana für einen winzigen Moment das Gefühl hatte, dass es falsch wäre, die Figur in die Hand zu nehmen. Schließlich berührte sie sie doch, aber ihre Finger strichen nur sacht über das Haar bis zu der Mondsichel, wo sie erneut verharrten, bevor Seiana die Hand wieder zurückzog und ihren Bruder anlächelte. „Sie ist wunderbar, Serapio.“
Seiana war so vertieft in den Anblick dieser zarten Frauengestalt, dass sie im ersten Moment das Klopfen nicht wahrnahm – erst als Serapio sich neben ihr bewegte und zur Tür sah, realisierte sie, dass wohl jemand geklopft hatte. „Herein?“ Seianas Blick wurde wieder von der Statue angezogen, während sie wartete. Elena oder einem anderen Sklaven hätte diese kurze Aufforderung genügt, um einzutreten, aber als nach einem Moment keine Antwort kam, stand sie auf, um selbst die Tür zu öffnen – nur stand davor niemand mehr. Seiana warf einen kurzen Blick nach links und rechts, aber auch der Gang war leer. Mit einem erstaunten Achselzucken wandte sie sich um und sah Serapio mit einer Mischung aus Verwunderung und leichter Verwirrung an. „Keiner mehr da.“
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Der Parther war also angekommen. Ich quittierte das mit einem zufriedenen Nicken, in dem eine tiefe Genugtuung mitschwang, darüber dass der Mann, der mir da in Parthien so übel mitgespielt hatte, und mir vor allem so einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte, jetzt hier Teil der Sklavenschaft war. Geschah ihm recht, und wie, da konnte er mal sehen wohin es führte sich gegen Rom zu erheben!
Ich streckte mich, und trank einen Schluck Wein, angelte mir dann ein paar Trauben aus der Obstschale.
"Danke! Das ist jetzt genau richtig."
Nach und nach steckte ich mir die Trauben in den Mund, lehnte mich in dem Sessel zurück, den Becher auf den Knien abgestützt und betrachtete Seiana, wie sie das Mitbringsel begutachtete. Aber seltsam, ich hatte das Gefühl, dass meine Schwester auch so eine Art... Scheu - oder nein, Scheu ist schon zuviel gesagt, so einen Ansatz davon eben - vor der kleinen Statue hatte, jedenfalls berührte sie sie ganz zögernd nur. Aber sie schien ihr doch zu gefallen, und ich strahlte glücklich zurück, voll der Freude ihr eine Freude zu machen.
Keiner da? Ich zog ein überraschtes Gesicht.
"Komisch, ich hab's genau gehört wie es geklopft hat... oder war das nebenan vielleicht? Ne, eigentlich bin ich mir sicher."
Ich sprang auf, stellte den Becher ab, und trat zur Türe, neben Seiana, um auch mal den Kopf hinaus in den Gang zu strecken. Obwohl ich ihr natürlich vollkommen zutraute zu erkennen wann ein Gang leer war und wann nicht, musste ich doch selber mal gucken. Ja, ganz leer.
"Vielleicht spukt es hier?", schlug ich scherzhaft vor. Aber dann fiel mir wieder ein, dass der Tod von Maximian noch nicht so lange her war... da war das vielleicht nicht so witzig. Das Geräusch von Schritten, irgendwo im Haus, drang an mein Ohr, und mir war, als ob sie sich gerade entfernten.
"Ich geh mal rasch nachsehen!", beschloss ich, und trat, barfuss wie ich war, auf den Gang hinaus, ging dann in die Richtung des Geräusches. Da fand ich allerdings niemanden, dafür traf ich auf dem Rückweg im Atrium den alten Marcus, der mir etwas auszurichten hatte: Mein Bruder Drusus war hier, und er hielt sich gerade im Garten auf. Drusus! Sofort stürzte ich hinaus... -
Seiana nickte verwirrt. „Ja, ich habe es auch gehört… Keine Ahnung…“ Sie beobachtete Faustus, wie er aufstand und ebenfalls zur Tür kam, und musste schmunzeln, als er sich selbst davon überzeugte, dass im Gang niemand war. „Spuken?“ Das Schmunzeln wurde zu einem Grinsen. „Ja, vielleicht war es ein Geist.“ Dann zog sie überrascht die Augenbrauen hoch, als Faustus kurzerhand beschloss, auf die Suche nach dem zu gehen, der geklopft hatte. „In Ordnung, ich warte dann hier…“ sagte sie, die ersten beiden Worte noch hinterher gerufen, die letzten nur noch gemurmelt, als ihr Bruder um die Ecke bog. Einen Moment lang stand sie noch da und lächelte einfach nur, froh darüber, dass Faustus wieder da war, dass sie sich verstanden, so wie früher, als hätte es ihren Streit und die vergangenen zwei Jahre gar nicht gegeben… Und auch wenn er sich verändert hatte, war er doch noch derselbe, immer noch so spontan und ungestüm wie früher…
Immer noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht zuckte sie schließlich die Achseln und schloss die Tür, wusste danach aber nicht so recht, was sie tun sollte, während sie wartete. Kurz überlegte sie, ob sie auch hinterher gehen sollte, einfach weil sie nicht gern untätig herumsaß und wartete, aber dann setzte sie sich doch wieder hin und betrachtete erneut die kleine Statue, auf ihrem Gesicht ein weicher, fast schon zärtlicher Ausdruck. Lange musste sie allerdings nicht warten, denn schon nach kurzer Zeit klopfte es erneut an ihrer Tür, und diesmal riss sie sich sofort los von der Statue, sprang hoch und öffnete schwungvoll die Tür. „Appius!“ rief sie überrascht aus. Auf Maximian’s Beerdigung hatte sie ihn zum ersten Mal seit Jahren wieder gesehen, und dort hatten sie nicht wirklich viel Gelegenheit gehabt zu reden – und danach war er schnell wieder verschwunden und, soweit sie wusste, nicht mehr in der Casa aufgetaucht. Umso mehr freute sie sich, dass er jetzt da war – und Faustus ihn zurückgeholt hatte, nachdem es offenbar sein Klopfen gewesen war, dass sie zu spät gehört hatte. Sie trat einen Schritt auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn herzlich „Es ist so schön, dich zu sehen… euch beide“, sie grinste in Faustus’ Richtung. „Ich hoffe du hast auch etwas Zeit und bleibst länger als beim letzten Mal. Wir hatten gar keine Gelegenheit wirklich miteinander zu reden.“ Sie ließ Appius los und strahlte ihn an, dann machte sie eine einladende Handbewegung. „Na los, kommt rein. Für dich auch Wein?“
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Drusus hatte dreimal geklopft, als auch schon die Tür geöffnet und Seiana vor ihm stand.
Drusus erwiderte die Umarmung seiner Schwester mit der gleichen Herzlichkeit, die sie ihm entgegenbrachte. Behutsam fuhr er ihr über das weiche Haar und strich über ihre Wangen. Plötzlich ging ein Ruck durch ihn, er hielt inne und sah sie nur an.
Dann betrat er mit Faustus ihr cubiculum, das auf ihn den Eindruck machte, als wäre er nicht das erste mal hier. Alles kam ihm so vertraut vor, sogar der Duft, der den Raum durchströmte.
Mit einem Blick, der den Kenner verriet, sah er seine Schwester nochmals an und meinte anerkennend:
"Es liegt mir nicht, Dir zu schmeicheln, schließlich bin ich gerade Mal Dein Bruder. Ich erinnere mich, als ich damals von zuhause wegging, daß Du sehr hübsch warst. Aber nun, Du bist ja zu einer Schönheit herangewachsen, die Männerherzen höherschlagen läßt. Und um ganz ehrlich zu sein, jetzt bedauere ich, was dies betrifft, daß ich Dein Bruder bin.
Doch genug der Begrüßung. Ich hatte heute viel zu tun und die vielen Laufereien machten durstig. Einen guten Wein lehne ich nicht ab."
Drusus, wieder eingedenk seiner guten Erziehung, wartete bis ihm Seinana einen Platz anbot.
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Es machte mich glücklich, vom Scheitel bis in die Zehenspitzen hinein, dieses Wiedersehen. Lächelnd sah ich wie Appius und Seiana sich in die Arme fielen und begrüssten, dann ging ich zurück zu dem Sessel in dem ich vorher gesessen und Wein getrunken hatte, fläzte mich hinein und griff wieder nach dem Becher. Den Ellenbogen auf die Lehne gestützt, musterte ich Seiana, als Appius so in höchsten Tönen ihre Schönheit pries.
Hm... klar, war sie schön, wunderschön, aber diese Verzückung konnte ich irgendwie gar nicht nachempfinden. Naja, kein Wunder. Ich schob mir einen Keks in den Mund und dachte nach, eine kleine Falte zwischen den Brauen. Was meine Geschwister wohl dazu sagen würden, wenn ich ihnen erzählen würde, was ich so für Erkenntnisse über mich gewonnen hatte, in der Zwischenzeit... Machte mich ganz nervös, allein die Vorstellung."Aber erzähl doch!", bat ich Drusus, "Wie kam das, dass Du ausgerechnet nach Germanien gegangen bist? Und was hast Du da gemacht? Hast Du Schneestürme erlebt, und wilde Barbaren gesehen?"
Und zu Seiana gewandt fügte ich hinzu: "Du hast doch auch nicht gewusst, dass er dort war, oder?" -
Zitat
Original von Faustus Decimus Serapio
"Wie kam das, dass Du ausgerechnet nach Germanien gegangen bist? Und was hast Du da gemacht? Hast Du Schneestürme erlebt, und wilde Barbaren gesehen?""Langsam, langsam,"
beschwichtigte Drusus seinen Bruder,
"eine Antwort nach der anderen, die auf Deine letzte Frage gleich zu Beginn: Ich habe in der Germania viel Schnee im Winter gesehen, von Schneestürmen habe ich zwar gehört, aber keine erlebt. Was die wilden Barbaren betrifft: entweder habe wir sie alle in die Schranken verwiesen oder sie sind bereits ausgestorben. Ich habe viele von denen kennengelernt, zugegeben, sehr viele machten einen ganz schön wilden Eindruck, jedoch wild waren sie nicht. Wohlgemerkt, ich war Zivilist. Das schließt natürlich nicht aus, daß die milites unserer in der Germania stationierten Einheiten andere Erfahrungen machten.
Du fragst, was ich dort gemacht habe? Na ja, erst arbeitete ich auf einem Weingut bei Mogontiacum, dann war ich dort tätig. Ich war in die familia aufgenommen und hatte mich ich die Tochter des Besitzers verliebt, bis zu diesem schrecklichen Unfall ..."
Drusus hielt inne und wischte sich über die Augen, dann hatte er sich aber wieder in der Gewalt,
"... der mich erst einmal aus der mir lieb und vertraut gewordenen Umgebung vertrieb und wieder nach Rom führte.
Und nun zu Deiner ersten Frage: Ich hatte niemals vor in die Germania zu gehen. Schon gar nicht wegen der Schneestürme und der wilden Barbaren,"
Drusus sah Faustus an und mußte unwillkürlich lächeln,
"aber im Ernst: ich habe mal da und mal dort gearbeitet, schließlich wollte ich ja leben, und schloß mich dann einer Gruppe von lixae an, über die und mit denen ich in der Germania gelandet bin.
Und nun, Faustillus, bist Du dran: Was hast Du so getrieben, wie ist es Dir ergangen?"
Drusus nahm einen Becher Wein und schlürfte langsam den guten Tropfen.
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