Cubiculum | Manius Flavius Gracchus Minor

  • Auch Gracchus rümpfte ein wenig die Nase ob der wahrlich mefitischen Ausdünstung seines jüngsten Sprosses, hielt indes den kleinen Leib ein wenig verkrampft in seinen Händen als das Kind zu weinen begann und wusste nicht, was zu tun war, hatte er sich doch auch bei seinen übrigen Nachkommen nie um derartiges gekümmert. Ratlos blickte er zu Minor, von welchem jedoch keine Hilfe zu erwarten war, hernach zur Türe hin.
    "Du!"
    herrschte er den Sklaven an, welcher noch immer neben der Türe harrte.
    "Trage für das Wohl meines Sohnes Sorge!"
    Im ersten Augenblick schien der Namenlose nicht recht zu wissen, von welchem seiner Söhne Gracchus sprach, doch das ihm entgegen gehaltene Kleinkind beseitigte alle Zweifel wiewohl Hoffnung, dass er seinem jungen Herrn Minor zu Diensten sollte sein. Zaghaft trat er an das Bett heran und nahm das stinkende Bündel Mensch entgegen, gewillt es eiligst zur Hebamme zu bringen, dabei nicht ahnend, dass eben jene zu dieser Zeit bereits nicht mehr verfügbar war.
    "Lässt du ihn fallen oder kommt er sonstig zu Schaden, so sei dir versi'hert, dass dein belangloses Leben nurmehr eine einzige Kaskade aufeinanderfolgender Qualen wird sein, von welchen eine leidiger als die vorherige sich gestalten wird!"
    warnte Gracchus den Sklaven, der daraufhin das Kind fest an seinen Leib presste allen Gerüchen zum Trotze, denn obgleich Gracchus selbst noch selten an einen der Sklaven hatte Hand gelegt, so war er doch ein Flavius und somit mit allem zu rechnen, wiewohl sein Vilicus um so gnadenloser. "Ich werde ihn hüten wie mein Leben, Herr", eilte der Sklave sich zu antworten und verließ sodann den Raum. Gracchus wandte sich wieder Minor zu, in dessen Worten er fälschlicherweise eine Spur von Furcht zu erkennen glaubte vor dem Verlust der väterlichen Zuneigung.
    "Keine Sorge, mein Sohn, du wirst immer Minimus bleiben."
    Behutsam strich er ihm über das braunfarbene Haar und ein Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen.
    "Wenn du möchtest, dann musst du heute nicht zum Unterricht, sondern darfst bei der Salutatio unseren Klienten deinen Bruder präsentieren."

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Delektablerweise trug Manius Maior rasch dafür Sorge, dass die unerquicklichen Ausdünstungen des jüngsten Flavius fürderhin nicht mehr die bereits gereifteren flavischen Nasen inkommodierten. Nicht erging Manius Minor dabei, dass sein Vater größte Liebe gegenüber dem neuen Bruder verspürte, der er durch einen unvertraut scharfen Tonfall Ausdruck verlieh. Dann indessen wandelte sich seine Timbre schlagartig, als er scheinbar beschwichtigend, die weiterhin existente Gültigkeit des Kosenamens konfirmierte, dessen Abtritt der Knabe so sehnlichst erwartet hatte. Nun schien es, als würde er auf ewig mit jenem Diminutiv leben müssen, derartig tituliert von Eltern, Cognaten und Freunden der Familie, gar eine entsprechende Nennung durch seine eigenen, selbstredend jüngeren Geschwister schien durch das Einschleifen des 'Kleinsten' possibel. Entsprechend seiner routinierten Verhaltensweise ließ er all jene Sorgen allerdings im schier unendlichen Raum seines Innersten versinken, lediglich ein betretenes Schweigen, gepaart mit einer devoten Mimik an die Oberfläche dringen lassend, welche man im Halbdunkel des grauenden Morgens ohnehin wohl kaum auszumachen vermochte.
    "Gern!"
    bestätigte er an dessen Stelle die generöse Offerte seines Vaters, welche durchaus geeignet war, seine Indignation ob der Niederlage in Maßen zu erhellen, da es ihm stets überaus behagte, an der Seite seines Vaters die Obligationen patriarchischer Hausherrschaft zu erfüllen oder deren Erfüllung zumindest zu attendieren, was zudem oft auch eben jenem Hausherrn zur Freude gereichte.

  • Das Schweigen seines Sohnes missdeutete Gracchus als Zufriedenheit, ob deren es nichts mehr zu sagen gab, wiewohl er neuerlich sich suchte vorzunehmen, keinen seiner Söhne jemals dem anderen vorzuziehen, keinen von beiden außerhalb ihrer individuellen Bedürfnisse und Nöte zu bevorzugen, so dass es keinerlei Konkurrenz würde zwischen beiden geben - wobei die Anzahl der Jahre zwischen ihnen hierbei durchaus förderlich war. Ein wenig zögerlich, doch durchaus liebevoll strich er seinem Erstgeborenen über die propere Wange.
    "Gut, dann schlafe noch ein wenig, dass du morgen früh ausgeruht bist."
    Er stemmte sich von der Bettkante empor und merkte erst nun, da die Aufregung der Nacht allmählich aus seinem Leibe wich, dass auch er noch ein wenig Schlaf würde vertragen können - obgleich er zweifelte, sonderlich viel davon noch zu finden. Nach einem letzten Blick, sich zu vergewissern, dass es Minor an nichts würde mangeln, verließ er leise den Raum und kehrte in sein eigenes Cubiculum zurück, überaus frohgemut in die Zukunft seiner Familie blickend.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Obschon der die patriale Liebkosung in privato durchaus zu schätzen wusste, was ihm coram publico möglicherweise inzwischen nicht mehr behagt hätte, da derartige Handlungen doch seinen Status als 'großen Jungen' infrage zu stellen geneigt waren, war diese doch nicht geeignet, ihn auf sanftere Weise in Morpheus' Reich hinabgleiten zu lassen, da nun all jene Gedanken über ihn hereinbrachen, die er während der Prägnanz seiner Mutter stets aufgeschoben hatte in Erwartung, diese möge neuerlich einem Mädchen das Leben schenken. Stets hatte man seine Bedeutung als singulärer Spross der Familia betont, seit der Geburt Flammas bisweilen ihm zugute gehalten, dass er doch zumindest der singuläre männliche Erbe der Flavia Graccha war, womit es nun augenscheinlich ein Ende haben mochte. Zwar oblag ihm, wie Manius Maior gesagt hatte, die Sorge seines Bruders, was auf subtile Weise anzudeuten schien, dass er mitnichten eine Bedrohung seiner Stellung innerhalb des Familienverbandes darstellte, ebensowenig wie ein Klient seinen Patron infrage stellen mochte, doch ließ die weiterhin bestehende Titulatur als 'Minimus' doch die Interpretation offen, die parentale Wertschätzung bezöge sich primär auf den Jüngsten der Familie, während seine Qualitäten, die er in den letzten Jahren erworben hatte, keinerlei Ansehen genossen oder gar von seinen Eltern gänzlich nicht zur Kenntnis gelangt waren.


    Mit all jenen düsteren Gedanken also lag der Knabe nun wach auf seinem Bett, inspizierte die kunstvoll kassettierte Decke seiner Camera und glitt letzten Ende doch aufs Neuerliche ab die die Welt der Träume...

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich* ~~~


    Dichter Nebel umfing ihn, während er sich vorwärts schleppte. Vor ihm wankte das Marschgepäck seines Vordermanns hin und her, die Schritte der vielen tausend Mann wurde gedämpft durch die humiden Nebelschwaden um ihn, die gemeinsam mit dem Schweiß sein Antlitz benetzten. Zu seiner Linken erblickte er das Grau des Sees, welcher still und stumm im Morgengrauen lag, während Kolonne um Kolonne sich an ihm vorbeischob. Zur Rechten wiederum erhoben sich felsige Hügel, bedeckt mit dichtestem Wald, der im Nebel verschwand. So schob der Heerwurm sich gemächlich vorwärts, stets aufs Neue stockend, da Engpässe eine zusätzliche Stauchung evozierten, da nur ein Mann hinter dem anderen, mitnichten aber die gewohnte Marschreihe von vier Mann Breite die Stelle passieren konnte. Eintönig war das Marschieren dennoch und keinem der Kameraden entfuhr ein fröhliches Lied, wie es auf dem langen Wege von Roma bis hierher in den tiefsten Norden bisweilen geschehen war.


    Als sie neuerlich zum Warten gezwungen waren, zog sich die Rast indessen ungewöhnlich lang hin und mit einem Male war ihm, als vernähme er gedämpftes Rufen von vorn, wo hinter dem Vorhang des Nebels die spärliche Kavallerie der Vorhut den Weg bahnen musste. Soeben war er geneigt, den Centurio zu kontaktieren, als in diesem Augenschlag wildes Geschrei sich zu seiner Linken erhob. Lauter und lauter vernahm er aus der Dichte des Waldes galoppierende Hufe und schon brachen aus dem Schutz des Geästes wilde Gestalten hervor, grausame Fratzen mit wehendem Haar, centaurengleich verwurzelt mit ihren Reittieren und mit mächtigen Klingen in den Fäusten.
    Schon waren jene Unglückseligen, welche die äußerste Linie bildeten, von den Hufen der furiosen Hengste niedergestoßen, schon brachen die Reiter durch die Marschformation, als der Centurio seine Befehle verbalisierte:
    "Sarcinas deponite! Ad arma!"
    Jene Order war indessen gänzlich obsolet, denn zahlreiche Kameraden war die Tragestange des Marschgepäcks bereits aus den Händen geschlagen, andere hatten geistesgegenwärtig bereits sie von sich geworfen und hatten ihre Gladii gezogen. Manch ein tumber Narr nestelte indessen an seinem Scutum, welches ordnungsgemäß in der Schützhülle verpackt an der Tragestange hing, während die keltischen Krieger des furchtbaren Feldherrn sich schon auf sie stürzten. Der Feind hatte den Heerzug gänzlich unpräpariert angetroffen, dominierte augenscheinlich das Schlachtfeld, welches vielmehr einen schmalen Schlachtpfad darstellte und trieb die Legionäre gen See. Schon stürzten die ersten Recken in das kalte Nass, sprangen auf und eilten weiter gen Fluten oder verblieben abgetaucht, während sich das Wasser um sie dunkel verfärbte.
    An seiner Seite sah er den Centurio gen Erde fallen, das Angesicht grausig zermalmt durch den Schwertstreich eines keltischen Hünen hoch zu Ross, welcher sich nun ihm zuwandte. Das Pferd scheute, stieg empor und platzierte seine Hufe genau auf seiner Brust, sodass ihm die Waffe aus den Händen fiel und er im hohen Bogen retour geschleudert wurde, den Boden unter den Füßen verlor und schlussendlich mitnichten festen Grund, sondern liquides Wasser am Rücken verspührte, ehe er gänzlich aufgenommen wurde und der See sich über ihm wieder verschloss und den Lärm der Schlacht mit einem Mal verstummen ließ. Bestürzt wurde er sich gewahr, dass das Gewicht seiner Lorica Segmentata ihn beständig dem Seeboden zustreben ließ, dass die heftige Bewegung seiner Arme mitnichten dazu beitrug, sein Versinken zu mindern oder gar aufzuhalten.
    Ein tonloser Schrei entfuhr seiner Kehle, welcher lediglich einen Schwall von Luftblasen ihm entfleuchen ließ, dann verspürte er bereits, wie sich eisiges Wasser den Weg durch Mund und Nase bahnte, während er den Schmerz des Ertrinkens verspürte.


    ~ ~ ~

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Der Tag des Liber wie der Libera war gekommen, wie er beständig wiederkehrte von Jahr zu Jahr, von Dekade zu Dekade und von Saeculum zu Saeculum. An der Spitze seiner Familia, gefolgt von zahllosen gesichtslosen Gestalten, welche augenscheinlich die Clientel der Gens Flavia repräsentierten, durchquerte er die engen Straßen der Urbs Aeterna, welche angefüllt war mit Tischen und Bänken, besetzt von ausgelassenen, blumenbekränzten und überaus weinseligen Quiriten, die es ebenso zu umschiffen galt wie jene ältlichen Mütterchen, die transportable Öfen vor sich schoben und Opferkuchen feilboten, welche bei Kauf umgehend in ihr Gefährt wanderten um die Götter milde zu stimmen. Eben Götter waren es auch, welche zu keinem Zeitpunkt von seiner Seite wichen, welche ihn in der Gestalt der Antlitze von den Büsten im flavischen Atrium betrachteten, ihm wohlwollend zulächelten, sowohl Divus Vespasianus als Divus Titus, die Laren der Villa Flavia Felix, dazu aber auch die Wächter der Infantilität: Bacchus und Pater Liber, Libera, Pilumnus, Picumnus, Sentia, Voleta und Volumna und Agerona umschwirrten ihn körperlos, hielten inne und formten einen Schutzschild, welchen nichts Böses zu durchdringen vermochte.


    Endlich erreichte er die freie Fläche des Forum Romanum, welche kurioserweise in keinster Weise der Festivität gemäß herausgeputzt, sondern einsam und verlassen gleich seinem nokturnen Status vor ihm lag, umstellt von hochragenden Tempeln und Basilicae, denen er indessen keinerlei Attention zukommen ließ, sondern sich zielstrebig der Rostra näherte, sie festen Schrittes bestieg und dabei einem Consul gleichen mochte, dessen purpurverbrämtes Staatskleid er auch vorerst noch teilte. Ihm folgte sein Vater, gravitätisch dreinblickend und doch gänzlich absent erscheinend, postierte sich direkt vor ihm und hielt inne. Ihn fixierte er nun, unschlüssig des weiteren Handelns, blickte neuerlich beiseite, wo Volumna ihm ein couragierendes Lächeln schenkte, wandte den Kopf hin zum vielschrötigen Antlitz des Divus Vespasianus, zum bärtigen Bacchus und zum vergnüglichen Liber Pater, während der Vater die Hand schwer auf seiner Schulter platzierte.
    Dann eilten die Geschehnisse blitzartig voran: Die Hand auf seiner Schulter löste sich, riss an seiner Bulla, sodass das güldene Kettchen barst und das Medaillon stumm zu Boden sauste, wo es in tausend Teile zerbarst, worauf im selben Augenblicke die Götter gleich einem Rudel Tauben, welches man durch lärmendes Toben in Schrecken versetzte, in sämtliche Richtungen hinfortschossen und ihn selbst bar jedweder Protektion zurückließen. Doch war damit dem Entsetzen nicht Genüge getan, denn die Hände des Vaters verweilten keinesfalls, sondern ergriffen nun recht unsanft seine Tunica, rupften neuerlich und mit ratterndem Ratschen rissen sie das Unterkleid, die Toga Praetexta und selbst die Subligares entzwei, sodass er vollkommen entblößt sich vor dem nunmehr gewaltigen Publikum präsentierte, gleich einem Sklaven, welcher der Löwung harrte. Bizarrerweise vermochte er die starrenden Blicke indessen direkt zu erwidern, denn keinesfalls mehr stand der Vater nun schützend vor ihm, sondern hatte er sich ins hinterste Eck der Rostra verzogen, kauerte dort einem Embryo gleich und würdigte ihn keines Blickes.


    Stattdessen nahm nun eine differente Gestalt den parentalen Platz ein, eine bärtige Gestalt mit leblosem Antlitz und stechendem Blick formte die geborstenen Lippen zu einem gräulichen Grinsen, während ihre knöchernen Arme eine silbrig glänzende Toga emporhoben und ihm auf die Schulter legten. Panisch wandte er sich zur anderen Seite, doch hier erwartete ihn ein ebenso lebloses Paar, ein ergrauter Leichnam, dessen Hemd mit schwarz getrocknetem Blut benetzt war, sowie ein Weib mit wirrem Haar, welches nun nach dem stahlharten und eisigen Staatskleid griff, welches trotz seiner metallenen Qualität und Schwere sich gleich einer Version von edler Wolle in Falten legte und dem Körper anschmiegte, wobei ihm durch die Kälte der Kleidungsstückes schlagartige gewahr wurde, dass man seine Arme keinesfalls freigehalten hatte, was nun nicht mehr zu revidieren war, denn obschon die Toga soeben noch formbar sich erwiesen hatte, so besaß sie nun jene Härte und Starre, die einem bleiernen Kleid adäquat war, die damit aber jedwede seiner Regungen hinderte.
    "Vater! Hilf mir!"
    , rief er furchtsam hinüber zu jener sich unter seiner eigenen, keinesfalls metallenen Toga verkriechenden Gestalt am Rande der Rostra, welche einem Tier gleich unter dem Stoff hervorlugte und mit arglosem Tonfall replizierte:
    "Du bist längst kein Kind mehr, Minimus. I'h bin jeder Responsibilität für di'h ledig! Du musst di'h nun selbst zur Wehr setzen!"


    Die Toten um ihn feixten grausig und umzogen ihn, während er selbst, jedweder Beweglichkeit beraubt, in ihrer Mitte sich regte und schob, um sich von seinem bleiernen Kleid zu liberieren.
    "Mühe dich nicht, kleiner Flavius! Spar dir deine Kräfte für den Flug!"
    , rief dann endlich der bärtige Untote, postierte sich hinter ihm, sodass es ihm keinesfalls gelang, sich diesem zuzuwenden, gab ihm einen Ruck und stieß ihn über die Brüstung der Rostra. Vor ihm tat sich bodenlose Leere auf, er stürzte hinab, immer tiefer und tiefer...

    ~ ~ ~


    ... und erwachte, gebadet im eigenen Sude, in seinem vertrauten Cubiculum. Unwillkürlich fuhr seine Hand zur Brust, wo sie erfreulicherweise die Bulla ertastete, während er benommen um sich blickte, wo er trotz des protegierenden Medaillons keinerlei Schutzgötter ansichtig wurde, zumindest aber ebensowenig jener lebender Leichname, welche ihn nur allzu häufig verfolgten, sodass er sich endlich ermahnte, es habe sich bei jener schrecklichen Kognition lediglich um einen bösen Traum gehandelt. Dennoch vernahm er deutlich das Zittern seiner Hand, als er nach dem Becher mit Wasser griff, welcher neben seinem Bett parat stand, um ihm bei Bedarf, welchen er soeben verspürte, die Lippen zu benetzen. Nach jener Erfrischung sank er neuerlich ins Bett zurück und starrte auf die kassetierte Decke, welche er im Dunkel des Raumes mehr erahnen denn visuell erfassen konnte, während er sich im Geiste attestierte, dass er in keinster Weise die herannahende Mannbarkeit freudig antizipierte.


    Für eine Weile verharrte er noch, lauschte dem harmonischen Atem seines geschätzten Patrokolos, welcher seit seiner Rückkehr den Platz des Leibsklaven unmittelbar unterhalb seines Bettes eingenommen hatte, und entschwand endlich erneut in Morpheus' Reich, wo diesmal Erquicklicheres ihn erwartete...

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Dichter Nebel umpfing ihn, eisige Kälte drang durch den lächerlich dünnen Stoff seiner abstoßend beschmutzten und übelriechenden Tunica, welche doch gänzlich überdeckt wurde durch den süßlichen Duft des Todes, der der der Fracht jenes Karren, welchen er mit höchsten Mühen und unter Stöhnen und Japsen schob, entfleuchte und in ihm widrige ventrikuläre Regungen bescherte, welche doch zumindest keine orale Widergabe des unendlich entfernt liegen scheinenden Mittagsmahles evozierten, solange es ihm gelang, den Blick zwischen seinen Armen starr auf die unregelmäßigen Steine der gräbergesäumten Straße zu richten und nicht jenes mit einem ungepflegten Bart gesäumten Hauptes, das leblos direkt vor ihm sich bei jeder Unebenheit des Bodens sich hin und her wandte, ansichtig zu werden. Und doch vernahm er am Rande seines Gesichtsfeldes mit einem Male, dass das leblose Haupt keinesfalls mehr leblos war, sondern vielmehr ihn nun mit totem Blick fixierte, ihn gleichsam bei seinen Mühen mit Interesse beobachtete, ohne sich durch seine beständigen Mühen, diese Vorgänge zu ignorieren, in geringster Weise disturbieren zu lassen. Doch verspürte er mit einem Male einen inneren Zwang, jene Indiskretion bezüglich des Unvermeidlichen, genau jenem untoten Blick zu begegnen, weshalb er langsam das Haupt erhob, bis er endlich in die leeren Augen blickte.
    "Bleib stehen, wir sind da!"
    , sprachen die gesprungen, von verkrusteten Haaren gesäumten Lippen in diesem Augenschlage und er gehorchte, um sogleich um sich zu blicken, wo hinter den dichten Nebelschwaden Grabmäler in den schwarzen Himmel ragten, darunter, wie sich ihn nun schlagartig offenbarte, jenes der Gens Flavia. Und doch wurde seine Appetenz rasch wieder von dem ihm wohlvertraut erscheinenden toten Paar angezogen, ein Mann in einem dünnen, von schwarz getrocknetem Blut benetzten Gewand und ein zahnloses Weib mit wirrem Haar, auch ein Gehenkter und weitere Leichname, in die das Leben zurückgekehrt zu sein schien.
    "Zu Hilfe!"
    , rief er, sich umwendend und die Gräber fixierend, welche ebenfalls sich nun öffneten und ihre Insassen preisgaben, obschon diese nach römischem Brauche keinesfalls körperhaft mehr hätten erscheinen können, da sie doch für gewöhnlich lediglich in Form ihrer Gebeine und Asche ihre letzte Ruhe fanden. Doch jener Umstand gelangte nicht in seine Aufmerksamkeit, den die eisige Furcht hatte ihren unerbärmlichen Griff um ihn gelegt, hatte ihn gleich glühendem Stahl, welcher ins Wasser gestoßen wurde, erstarren lassen.
    "Mama! Zu Hilfe!"
    , gelangte endlich jene Person in seinen Geist, welche ihm gleich einem Schutzschild stets als Hüterin gedient hatte und deren Liebe womöglich das Böse der ihn umfangenden Larven und Lemuren vertreiben mochte. Doch das bärtige Haupt, welches sich samt dem hinzugehörigen Rumpf nun ebenfalls vom Stapel der Toten gelöst und neben ihm positioniert hatte, ließ lediglich ein schrilles Lachen vernehmen.
    "Deine Mama - ist tot, du kleiner Dummkopf!"
    , rief er aus und brach neuerlich in schallendes Lachen aus. In jenem Augenschlag öffnete sich auch das flavische Grab vor seinen Augen und heraus trat seine Mutter, deren vertraute vornehme Blässe um ein vielfaches gesteigert, deren makelloser feminer Leib zu einem knochigen Leichnam pervertiert und deren stets sorgsam geschminkte Augen eingefallen und leblos waren, doch zugleich voll Gram und Mitleid ihn fixierten. Sie öffnete ihren erblassten Mund und setzte zum Sprechen an, doch kein Wort entfleuchte ihm. Vielmehr bewegte sie sich, nun in einem tunnelgleichen Konstrukt stehend, langsam von ihm weg, ohne auch nur ein Glied zu rühren.
    "Neeeiiii..."

    ~ ~ ~


    "...iiin!"
    , rief Manius Minor aus und schreckte hoch. Ihn umfing Schwärze und er erschrak, als eine Hand seine Schulter berührte, sodass er in Panik sich zurückschreckte, mit Händen und Füßen nach dem vermeindlichen Lemuren schlagend.
    "Domine! Erwache, Domine! Du hattest einen üblen Traum!"
    , sprach eine wohlvertraute Stimme und langsam identifizierte der Knabe den Schemen an seinem Bett und sein heftiger Atem kalmierte sich ein wenig. Alles war ein Traum gewesen, jener vermaledeite Traum, welcher ihn seit ihrer Flucht allzu viele Nächte quälte und inzwischen doch allzu vertraut sein sollte. Und dennoch hatte er in keinster Weise den üblichen Abläufen entsprochen, denn keinesfalls war Claudia Antonia ein Teil jener Odyssee gewesen, da sie doch sicher in Körbe verpackt nach Patavium gesandt worden war, während er mit seinem Vater per Pedes die Flucht angetreten hatte, womit ihr auch keine Rolle in seinen Heimsuchungen aus jenen Tagen zukam.
    "Ich habe Mutter gesehen. Sie war... tot."
    , teilte er seine Impressionen mit dem Sklaven, welcher ihm schon so oft über die Schrecken der Nacht hinweggeholfen hatte, obschon er noch immer keinen Reim sich auf diese Schau zu machen im Stande war. Sorgenvoll erwiderte der Sklave:
    "Deine Mutter? Was ist mit ihr passiert?"
    "Der Traum mit dem Leichenkarren. Sie war eine der Toten!"
    Sanft verspürte er die wärmende Hand Patrokolos', die ihm liebend über den schweißdurchnässten Rücken strich.
    "Deine Mutter ist nicht tot, Domine. Sie ist mit deiner Schwester Flamma in Patavium und es geht ihr sicherlich gut."
    , mühte der Sklave sich, seinen Herrn zu kalmieren. Schweigend vernahm der junge Flavius diese Worte, inkapabel, diese zu erwidern, da er doch durchaus wusste, dass seine Ängste zweifelsohne gänzlich gegenstandslos waren, da keinerlei diesbezügliche Nachricht die Villa Flavia Felix erreicht hatte. Und doch hatte sein vor Wochen entsandter Brief keine Replik nach sich gezogen, hatte Vater keinerlei Novitäten diesbezüglich seit Tagen berichtet. So verharrte er eine gewisse Weile im Schweigen, während die eisige Furcht des Traumes recht widerwillig ihre Klauen um sein Herz löste.
    "Deiner Mutter geht es gut, Domine."
    , repetierte Patrokolos und strich nochmalig über seinen Rücken.
    "Wir können ihr morgen ja nochmals schreiben, wenn du es wünscht."
    Einen Augenblick verharrte Manius Minor dennoch schweigend, ehe er langsam nickte.
    "Ja, das sollten wir tun."
    Langsam ließ er sich zurück auf die Liegestatt gleiten und betrachtete die Decke, die ob seiner Fehlsicht wie der Dunkelheit gleich dem übrigen Mobiliar der Schlafkammer nur schemenhaft zu erkennen war. Seiner Mutter ging es gut. Und morgen würde er ihr schreiben. Oder bei Vater Kunde einholen. Alles war zweifelsohne in bester Ordnung und dies war nur ein böser Traum gewesen.


    Mit diesen Gedanken umfingen ihn recht bald wieder Morpheus' Trugbilder, welche sich in diesem Falle indessen weitaus delektabler ergingen, so dass er am folgenden Morgen in keinster Weise mehr Remineszenzen an seine nächtlichen Ansinnen hegte...

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Eine ganze Weile observierte er sie nun schon von seinem sicheren Versteck, denn zu schön war ihr Anblick, als dass er seine Augen hätte abwenden können von ihr. Gleich der Schaumgeborenen stand sie in ihrem Bottich inmitten des Hofes, unschuldig wie ein Kind und doch grazil wie eine junge Hirschkuh, eine vivide Expression von Anmut und Stolz. Das Haar schwarz wie Ebenholz und glänzend vom kühlen Nass, die Wimpern säuberlich gezupft, das Näslein klein und stolz gen Himmel sich reckend, die Lippen voller Sinnlichkeit, rot und ebenmäßig. Einen Schwamm hielt sie in Händen, mit welchem sie ihren Leib zu liebkosen schien, während sie ihr Gesicht wusch, dann hinabfuhr zu dem schlanken Hals, der einem Birkenstamm gleich gerade und schlank emporragte, über die schmalen Schultern und hinab zu ihren femininen Wölbungen, die straff hervorragten und doch dem sanften Druck des Schwammes sich ergaben, sanft hin und her wogten und doch sogleich ihren Platz aufs Neue einnahmen. Dessenungeachtet perpetuierte der Schwamm seine Reise, benetzte den flachen Bauch, umgrenzt von den Rippenbögen und Beckenknochen, welche sich unter der makellosen Haut abzeichneten. Letztere wiederum schienen ihrerseits in ihrer triangulären Form einem Pfeil gleich auf jenen Punkt zu verweisen, der bereits dank fraulicher Maturität eine feine Behaarung aufwies und nunmehr seinerseits der Reinigungslust des Schwammes zum Opfer fiel, sodass sich Wasser ihre schlanken, gebräunten Beine hinabfloss.


    Gebannt verfolgte er jenes Spektakulum, als ihm gewahr wurde, dass der Schwamm mit einem Male inne hielt, was ihn bemüßigte, das Gesamtbild aufs Neue zu würdigen, ihre sanften Kurven hinauf zu verfolgen, bis er neuerlich an ihren Augen verweilte, die augenfällig seinen Blick erwiderten, als ihre voluptösen Lippen mit einem Male Worte formten:
    "Wer beobachtet mich denn da?"
    Selbstredend war er gänzlich außerstande, diesbezüglich eine adäquate Replik zu leisten, da er doch sie ohne ihren Konsens seit einer Weile observierte, was, obschon sie zu den Sklavinnen des Hauses zählte, zweifelsohne überaus ungehörig erschien, doch nötigte er sich doch zumindest die ridikulöse Position hinter dem Rosenbusch zu verlassen und sich aufzurichten, sodass er nonverbal ihre Frage erübrigte.
    Indessen eilte sie mitnichten von dannen, um ihre Blöße zu bedecken oder verzerrte auch nur ihr divines Antlitz vor Schrecken oder Furcht. Nein, vielmehr offenbarte sie ihre strahlend weißen, ebenmäßig gleich den Schilden in einer Legionärsformation aufgereihten Zähne und ließ ein vergnügliches Lachen vernehmen, ehe sie mit einem großen Schritt, der auf höchst unzüchtige Weise ihre Intima weiter offenbarte, dem Zuber entstieg und sich zielstrebig in seine Richtung bewegte. Jene Vorgänge trieben ihm geradezu den Schweiß auf die Stirne, während er gewahr wurde, dass seine Tunica bereits jetzt sich über eine vernehmliche Wölbung spannte, indessen das Ziehen seiner Lenden sich mitnichten reduzierte, während sie auf ihn zuhielt und ihre ergötzliche Attraktivität nur noch klarer präsentierte. Schwer atmete er, als er ein Pulsieren in sich verspürte und mit einem Male entlud sich alles, sämtliche Lust und Begehren und...

    ~ ~ ~


    ...er erwachte in höchstem Maße exaltiert in seinem Bett, noch immer eine stoßweise Kontraktion der Leisten verspürend, durch welche er sich augenscheinlich in höchst infamiliarer Weise einnässte. Eine Mixtur von Furcht, Erschrecken und Erlösung durchfuhr ihn zugleich, ehe jene Regung auch schon abgeklungen war und er eine Substanz verspürte, welche seine Tunica durchnässt hatte - ein Umstand, welcher ihm nicht mehr unterlaufen war, seit er in Cremona ein friedliches Exil gewonnen hatte. Erschrocken warf er die Decke zurück, doch keineswegs war sein Hemd gelblich gefärbt, wie dies bei der bisherigen nächtlichen Befeuchtungen geschehen war, vielmehr ent-deckte er im wahrsten Sinne des Wortes, dass er eine klebrige, ins Weiße tendierende Substanz ausgeschieden hatte.
    "Patrokolos!"
    , eilte er sich sofort Hilfe herbeizuholen, doch als er zur Tür blickte, entdeckte er dort mitnichten das wohlvertraute Deckenbündel, das für gewöhnlich trotz seiner Fehlsicht die Präsenz seines Leibsklaven verifizierte, vielmehr war die Bettstatt entblößt, was den Schluss gebot, dass sein geliebter Patrokolos sich verabsentiert und ihn mit jener alienen Impression allein gelassen hatte.


    Für eine Weile verblieb er unschlüssig in sitzender Pose, um seinen Traum zu rekapitulieren. In der Tat vermochte er sich noch deutlich zu erinnern, dass jene göttliche Gestalt seines Traumes ein durchaus reales Substrat besaß, nämlich ein neues Sklavenmädchen der Villa Flavia Felix, das bisweilen bei Tisch servierte, und deren Namen wohl Alkmene oder etwas Similäres lautete. Und in der Tat hatte er eben jene am Vortage in einem der hinteren Höfe der Villa Flavia Felix erblickt und für eine kurze Weile observiert, um dann doch rasch hinfortzueilen, ehe sie seiner gewahr worden war. Schon dort hatte sie sein ausgesprochenes Interesse erweckt und er hatte eine Regung in der unteren Körperpartie verspürt, der Neigung zu verweilen indessen konträr zu seinem Traume mit gewisser Scham nicht nachgegeben, sondern sich seiner eigentlichen Destination wieder zugewandt. Was dies nun zu bedeuten hatte, vermochte er indessen nicht zu beurteilen.
    Dessenungeachtet verspürte er indessen doch den Wunsch, sich jener Pollution zu entledigen, sodass er sich endlich erhob, bemüht, jene absonderliche Substanz nicht in Kontakt mit seiner Haut zu bringen, wo sie sich kühl antat und den Fleck auf der Tunica gegen das Bein kleben ließ, und zu der Wasserschüssel stakste, die auf einer Kommode für die morgendliche Waschung parat stand.

  • Gerade hatte er den Beschluss gefasst, sich seine Tunica schlichtweg zu entledigen, als mit einem Male die Tür hinter seinem Rücken sich öffnete und er gleich einem ertappten Dieb sich umwandte, zumal er in misslicher Lage sich befand und eine Detektion schon befürchtete. Jene Person, die ihn disturbiert hatte, schenkte ihm indessen keine Beachtung, sondern betrat rückwärtig das Cubiculum, dabei ein schmatzendes Geräusch produzierend. Als sie ihm endlich das Haupt zuwandte, identifizierte der junge Flavius schließlich seinen geliebten Patrokolos, was ihn ein wenig kalmierte, er er diesem doch seine Unzulänglichkeit anvertrauen konnte.
    "Patrokolos!"
    , adressierte er den späten Heimkehrer, der seinerseits erstarrte, als er seinen Herrn in einer befleckten Tunica inmitten des Cubiculums erblickte und rasch die Tür hinter seinem Rücken schloss, sodass Manius Minor lediglich eine vage Hypothese zu bilden imstande war, dass dahinter der Schatten einer weiteren Person hinfortgehuscht war. Doch verblieb ihm keine weitere Option, dies weiter zu reflektieren, denn schon ergriff Patrokolos die Initiative, indem er auf ungläubige Weise seinen Herrn ansprach:
    "Domine, was tust du?"
    "Ich bemühe mich, meiner Tunica ledig zu werden. Mir ist ein... Malheur geschehen!"
    , erfolgte prompt die Replik, da er doch nicht recht vermochte seine widersprüchlichen Emotionen in adäquate Worte zu kleiden, welche einem Dritten jene mysteriösen Körperregungen zu vermitteln imstande waren. Hingegen erhob Patrokolos, der eine Öllampe mit sich in den Raum gebracht hatte, eben jene, um die Szenerie genauer zu beleuchten, was zugleich auf verbale Weise erfolgte, als er des Fleckes gewahr worden war:
    "Hast du dich...eingenässt?"
    "Nein. Und ja, gewissermaßen."
    "Benötigst du frische Bettwäsche?"
    "Nein. Lediglich meine Tunica. Eine frische Tunica, ja."
    Überaus inkommod war jener Dialog, den sein Sklave ihm aufnötigte, da er trotz der vertraulichen Relation, die er zu jenem pflegte, Skrupel verspürte den Hergang seines nächtlichen 'Malheur' im Detail zu explizieren, andererseits aber doch den Verdacht auszuräumen gedachte, er habe neuerlich einem Kleinkinde gleich in die Tunica sich entleert, was Patrokolos indessen nicht hinderte, ihn genau diesbezüglich zur Rede zu stellen:
    "Hattest du etwa... einen feuchten Traum?"
    Hinter jener Vokabel vermochte der junge Flavius sich deplorablerweise nichts vorzustellen, zumal er dieses als Vorwurf nokturner Blasenentleerung interpretierte-
    "Einen feuchten Traum? Was darf ich darunter imaginieren?"
    "Hast du geträumt, es mit einem Mädchen zu treiben? Oder...mit einem Jungen?"
    Der Knabe erstarrte ob der Zielsicherheit, mit welcher sein Sklave in medias res gestoßen war, zumal Sexualität eine überaus heikle Thematik darstellte, welcher er bisherig noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte, obschon ihm selbstredend bewusst war, auf welche Weise Kinder produziert wurden und dass es dem Usus entsprach, dass Männer sich zum weiblichen Geschlecht (in speziell zu bestimmten Partien des femininen Körpers) hingezogen fühlten oder bisweilen selbstredend auch zu ihresgleichen, schließlich ebenso, dass der Geschlechtsakt keineswegs nur dann zu intendieren war, wenn ein Kinderwunsch bestand. Diesbezüglich war die römische Gesellschaft diesem Thema doch zu aufgeschlossen, erblickte er doch beim Flanieren durch die Gassen hier und da eindeutige Graffiti oder die Reklamen von Lupanaren, las in den Dramen, mit welchen er sich die Zeit vertrieb, vom Werben und dessen Erfolgen oder vernahm diesen oder jenen zotigen Kommentar aus Gesprächen von Passanten oder gar zu vorgerückter Stunde auf Gastmählern. Indessen schreckte es ihn doch, da er bis vor geraumer Zeit keinerlei Bedürfnis in jeneDirektion verspürt, ja mit Ausnahme seiner Anverwandten gar eine gewisse Furcht vor dem Weiblichen gepflegt hatte. Und doch war ihm zuletzt allzu deutlich geworden, dass zahlreiche Dienerinnen des Hauses, aber auch Damen auf der Straße über gewisse Reize verfügten, die den Knaben nötigten ihnen nachzublicken oder gar zu spekulieren, welchen Anblick sie wohl böten, so man sie ihrer Kleider beraubte. Dennoch vermochte er all dies nicht zu ordnen oder zu reflektieren, sodass er endlich eine evasive Replik wählte:
    "Nicht direkt."
    Dies war durchaus nicht die Unwahrheit, und doch genügte jene Negation augenscheinlich, Patrokolos' Hypothese zu verifizieren, denn er brach in ein Gelächter aus, welches Manius Minor noch weiter konfundierte und ihn schamhaft erröten ließ, obschon er sich doch keiner Schuld bewusst war.
    "Du musst dich nicht grämen, Domine! Das passiert!"
    Schon hielt der Sklave auf ihn zu und griff nach dem Saum der Tunica, um diese dem nunmehr vollständig konfundierten Manius Minor zu entreißen, wobei aufgrund des Odeurs aus Patrokolos' sich erkennen ließ, dass dieser augenscheinlich dem Weine zugesprochen hatte. Jenem Umstand sich zuzuwenden war der Knabe indessen noch nicht geneigt, da es doch so erschien, als verfüge sein Diener bezüglich jener neuen Impressionen über eine gewisse Expertise, an welcher zu partizipieren er gedachte:
    "Wie 'das passiert'? Dir auch?"
    , fragte er somit verhalten, während ihm sein beflecktes Kleid über das Haupt gezogen wurde und er somit in völliger Blöße vor Patrokolos sich wiederfand. Geschäftig faltete dieser nun das Gewand, während er leutselig sich bezüglich seiner Experienzen äußerte:
    "Naja, schon lange nicht mehr. Aber ja, es ist mir bereits passiert. Aber wenn man regelmäßig mit einem Mädchen liegt, dann passiert es nicht mehr."
    Manius Minors Augen vergrößerten sich immer weiter, als er gewahr wurde, dass sein geliebter Patrokolos, jener Freund, der doch eine similäre Asexualität für ihn besaß wie ein Tisch, bereits mit Mädchen sich bettete. Nun übertraf er ihn durchaus an Alter, zugleich wurde sein attraktives Äußeres nicht selten gepriesen, womit der Gedanke keinesfalls abwegig erschien. Doch hatte der Knabe ihn schlichtweg niemals gedacht. Immerhin nächtigten sie doch stets im selben Raum, damit der Sklave ihm zu jeder Tages- wie Nachtzeit zu Diensten stand. In der Konsequenz musste er sich also bisweilen davon stehlen, um amouröse Abenteuer zu bestehen, ihn folglich zurücklassen für seine Begierden! Eine gewisse Eifersucht entbrannte in ihm, als der junge Flavius seinerseits kritisch zu fragen begann:
    "Mit welchen Mädchen liegst du denn? Schleichst du dich davon?"
    Hingegen schien der Sklave all dies als gänzlich unproblematisch zu ästimieren, denn freiheraus replizierte er, als berichte er über eine Vorliebe an Speis und Trank:
    "Nunja, ich treffe immer wieder welche. Zum Beispiel auf dem Forum, während du bei Magister Quinctius unterrichtet wirst. Oder hier in der Villa. Ich bin ja immer nur kurz dort, wenn du mich nicht brauchst. Und danach komme ich natürlich wieder schnell zurück. Möchtest du dich übrigens selbst reinigen?"
    Kritisch blickte er im Licht der Lampe hinab zu jener verklebten Masse, die sich in der Scham seines Herrn verfangen hatte, wobei diesem ob seiner Fehlsicht selbstredend entging, dass jener Blick aufs Deutlichste transportierte, dass der Sklave keineswegs geneigt war, jenes Malheur selbst zu beseitigen. Doch ohnehin war dem noch immer nackend inmitten seines Cubiculum verweilenden Manius Minor nahezu entfallen, was ihm selbst soeben widerfahren war, nachdem er nun von der sexuellen Aktivität seines Patrokolos erfahren hatte, die ihm doch als Konkurrenz zu ihrer exklusiven Relation erschien:
    "Und wenn ich deiner des Nachts benötige? Wenn mich ein übler Traum plagt?"
    Nun erst schien der Sklave gewahr zu werden, dass jenes freimütige Geständnis womöglich auf geringes Verständnis stieß, denn er positionierte die Lampe wieder auf der Kommode und strich sich verlegen durchs Haar.
    "Nun, ich bin ja nicht ständig fort! Nur selten eigentlich!"
    Nur in geringem Maße mochte diese Zusage die Erregung des jungen Flavius zu kalmieren, doch ließ ein sanfter Windhauch, der durch die verschlossenen Läden des Raumes drang, ihn seiner entblößten Situiertheit gedenken, der abzuhelfen nun doch von höherer Priorität erschien denn ein Streit mit seinem Patrokolos.
    "Wir werden morgen darüber sprechen. Hole mir vorerst eine saubere Tunica, ich werde mich bis dahin ein wenig reinigen."
    , wählte er letztlich die Prokrastination all jener Umstände, welche ihm einerseits Raum würde gewähren, all jene Impressionen nochmalig zu reflektieren, andererseits sein Gemüt zu kalmieren und seinem Sklaven endlich, seines insinuierten Rausches ledig zu werden. Jene Option erschien augenscheinlich auch Patrokolos durchaus favorabel, da er nun in vertraut-devoter Weise sich neuerlich seiner sämtlichen Bedürfnisse annahm:
    "Gern, Domine! Möchtest du auch einen Schluck verdünnten Wein oder etwas anderes?"
    Doch Manius Minor war für die heutige Nacht bezüglich jedweder Liquida saturiert, vielmehr verspürte er endlich eine der Uhrzeit adäquate Müdigkeit, welche ihn gar erwägen ließ, ohne eine Tunica sich zu Bett zu begeben. Und in der Tat war er, ehe der Sklave mit frischer Wäsche retouniert war, neuerlich in Morpheus' Reich entschwunden, wo ihn weniger frivole Narrative erwarteten, die ihm doch einen tiefen und reposierlichen Schlaf bescherten.

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Wärme. Und nun letztlich auch wieder Frieden, nachdem in den letzten Tagen bisweilen die Enge seines Hauses als überaus bedrückend sich erwiesen hatten, ihn bisweilen geradezu derangiert hatte aufbegehren lassen. Mochte sie auch nicht bester Laune sich erfreuen, ja gar aufs Neue eine gewisse Erregung verspüren, so hatte sie ihm doch nach dem Erheben ein wenig Relaxation vergönnt, welche er für ein behagliches Schläfchen genutzt hatte. Doch nun, da er erwacht war, verspürte er die Neigung, ein wenig von seinem Trank zu kosten, welcher ihm so leichtlich zur Verfügung stand und die ihm offenbarte, dass sie am Vortage wohl ein wenig leckeren Obstes konsumiert hatte. Kaum hatte er sich gesättigt, führte er aufs Neue den Daumen zum Munde und begann fröhlich daran zu lutschen, ihn mit seiner Zunge zu erforschen und den Fingernagel zu umtasten.
    Und doch schien irgendetwas Irrititation zu bieten, ob dessen er sich in seiner wärmenden Höhle zu regen bemüßigt fühlte, ehe ihm bewusst wurde, dass seine liquide Umgebung sich zu verflüchtigen begann. Schon musste er Notiz nehmen, wie seine der Boden sich seinen Füßen sanft anschmiegte und der liquide Platzhalter an seiner Stirn vorbeiwaberte und schlichtweg seine kleine, behagliche Welt verließ. All dies alarmierte ihn aufs höchste, was nun auch auf sie sich übertrug, sofern diese Emotionen sich nicht antipodal fortpflanzten. Dann erfolgten bereits hektische Bewegungen, die ihn hin und herstießen, fortunablerweise gedämpft durch die weiche Bewandung seiner Wohnhöhle, ehe ein letztes Mal Ruhe eintrat, während er doch gedämpfte Laute vernahm, die von draußen sich an sein Ohr drängten und einer gewissen Tension nicht entbehrten.


    Schon ahnte er Schreckliches. Doch mitnichten hätte er sich träumen lassen, wie grausig sich die Fortgänge evolvieren würden: Mit einem Mal erbebte seine Welt aufs Neue, wieder und wieder und die Wände seines Heimes neigten sich bedenklich ihm zu, ja schienen ihn gänzlich erdrücken zu wollen, was untermalt wurde von ihren gellenden Schreien, als habe sie sich heftig gestoßen, wie dies vor wohl etwa einem Monat sich bereits ereignet hatte, doch nun ins Indefinite potenziert! Panik verbreitete sich in ihm, schon fürchtete er von den Wänden seiner Kammer erdrückt zu werden, als er mit einem Mal verspürte, dass sein Haupt nicht mehr gegen jene Decke stieß, die sich dort stets befand, sondern eine Öffnung sich aufgetan hatte, die angesichts der Kontraktionen seines Heimes als similärer Ausweg erschien. Ohnehin blieb ihm keinerlei Wahl, denn schon hatte seine Kammer sich derartig verengt, dass er wie von selbst die feuchten Wände entlang in jenes Loch glitt, das auf wundersame Weise über ihm sich aufgetan hatte.
    Doch keineswegs erwies sich dies als plaisierlicher Weg, denn jener Pforte folgte ein schier endloser Gang, dessen Enge ihm die Furcht einjagte, sein Kopf möge ob des Druckes aller Seiten bersten, seine Gliedmaßen würden in inadäquate Richtungen gebogen und verdreht werden, während er sich doch langsam, aber stetig fortbewegte, gedrängt von rhythmischen Kontraktionen und dem weiters hilariösen Schreien von draußen, das ihn in schiere Agonie versinken ließ, zumal sich jene Qualen ausdehnten, ja geradezu nimmer endend sich gerierten.


    Doch mit einem Male vernahm er inmitten seines Laborieren, wie die Geräusche von draußen sich approximierten, ja wie es gar heller zu werden schien vor seinem Antlitz und mit einem Male vernahm sein Haupt eine haptische Impression, welche gänzlich konträr zu allem sich erwies, was er jemals verspürt hatte, denn nichts schien seine feinen Härchen zu umgeben und gegen seine weiche Haut zu drücken. Obskurerweise regte sich in ihm in all jener Enge und jenem Schmerz, den die drängenden Wände des Tunnels seinem zerbrechlichen Leibe zufügten, ein gewisser Vorwitz, als sein Gefängnis ihn nach und nach preis gab in eine Welt voller gleißendem Licht und hektischer Laute.
    Grob griff etwas nach seinem Kopf, zerrte an ihm und entriss ihn endlich gänzlich dem Foyer seines Hauses, woraufhin ihn eine obskure Kühle und Leichtigkeit umfang, da nunmehr keinerlei Flüssigkeit oder Membran seine Regungen bremste, er jedweden Boden unter den Füßen, jedweden Schutz um sich vermisste und man ihn endlich an der Brust empor hielt. Mit schrecken vernahm er einen Schlag an seinem Gesäß, geleitet von einem Klatschgeräusch und mit einem Male füllten sich seine Lungen mit Luft und er brüllte vor Schmerz und Entsetzen seinen allerersten Atemzug in jene aliene Welt hinaus.

    ~ ~ ~


    "Ahhh!"
    Manius Minor schreckte hoch und blickte voll Verwirrung um sich, kniff die Augen zusammen um jener schmerzenden Helligkeit zu entgehen, die soeben ihn noch umfangen hatte, doch wurde er sich rasch gewahr, dass er mitnichten in der Luft hing, sondern vielmehr sicher in seinem Bett saß, wo ihn zweifelsohne neuerlich ein Nachtmär heimgesucht hatte, sodass er vorsichtig die Augen öffnete, um auch schon eine Regung nahe der Pforte seines Cubiculum zu vernehmen.
    "Domine..."
    , entfuhr es Patrokolos, ehe ein herzhaftes Gähnen folgte. Der Knabe indessen blickte nun, da er der Entlassung aus Morpheus' Reich mit seinen grotesken Trugbildern gewahr wurde, zu den verschlossenen Läden seiner Kammer, durch die bereits Sonnenstrahlen spitzten, was gewisse Rückschlüsse auf den Fortschritt des Morgens darbot und somit einen neuerlichen Schrecken induzierte:
    "Patrokolos, ich muss verschlafen haben!"
    Zweifelsohne hatten die Lektionen des Qunctius bereits begonnen, womöglich erwarteten Iullus und Atilianus ihn bereits voller Unrast im Atrium! Anstatt durch jene Hypothese jedoch hektische Betriebsamkeit seines Leibsklaven zu evozieren, vernahm er lediglich ein unterdrücktes Lachen aus Richtung der Tür.
    "Aber Domine, heute ist doch dein Geburtstag! Meine herzlichsten Glückwünsche!"

  • Vom nunmehr schwindenden Gemach seiner Mutter herbeieilend stürzte Manius Minor in sein Cubiculum, wo er zielstrebig auf das Bett sich war, um seine Kissen mit bitteren Tränen zu tränken. Das Antlitz in heftigster Emotion verzerrt und unter Schluchzen und Schniefen passierte der Dialog mit Manius Maior nochmalig Revue: Wie nur konnte sein Vater die Memoria der Claudia Antonia hinfortzuwischen suchen, wie man Notizen auf einer Tabula hastig mit dem Stylus erasierte? Jenes Heiligtum stiller Andacht an jene divine Gestalt, deren Dignität zumindest für den Jüngling die der offiziös divinisierten Flavii beiweitem übertraf, abzubrechen und zu profanieren mochte bereits an sich einen Frevel darstellen, doch dies gar aus der Intention heraus zu tun, sich der neuen Matrone des Hauses anzubiedern, erschien geradezu abscheulich, ja inexkulpabel! Wie überhaupt konnte sein Vater es wagen, den Platz der ehrwürdigen Claudia durch die nichtswürdige Aurelia zu füllen? Wo jene jungfräulich in die Ehe getreten war, doch als überaus fertil sich erwiesen hatte, glich diese einem vertrockneten Brunnen, befleckt und doch kraftlos, ein fleischgewordenes böses Omen und Unglücksbringer, der nun in parasitärer Weise sich mühte auch die Flavia Graccha zu beschmutzen!


    Das größte Übel an jener schicksalhaften Situation stellte indessen der Umstand dar, dass Manius Maior all dieser Einwände durchaus bewusst war, und er dennoch sich wider all die Weisheiten, die er selbst Manius Minor einst hatte gelehrt, wandte, da doch die Wahrheit hinter der Aurelia Anbiederung nur die schnöde Gier, Anteil am strahlenden Glanz des flavischen Geschlechtes zu gewinnen, konnte sein, da die Ehelichung jener unheilvollen Natter nicht nur die Familie durch ihre Zankhaftigkeit und Arroganz schädigen, sondern implizit auch dem Staate selbst zum Nachteile würde gereichen, indem sie die Kraft der Flavii minderte und in Neid und Missgunst gegen die Sprossen der Claudia am Ende der Res Publica einige Diener versagte, deren Anlagen und Edukation sie für die Lenkung des Staatsschiffes überaus kapabel sein ließen.


    In welch hohem Maße die Dinge im Argen lagen, hatte das heutige Zwiegespräch indessen in aller Klarität erwiesen: Obschon die Natter noch nicht einmal die Pforten des Hauses hatte überschritten oder das flavische Ehebett in Besitz genommen hatte, übte sie bereits einen abscheulichen Einfluss auf das Haupt der Flavii aus und dirigierte ihn gleich einer Puppenspielerin, indem sie ihn seinem eigen Fleisch und Blut alienierte. Selbstredend war dem jungen Flavius bereits zu vor aus schmerzlichste bewusst gewesen, dass seines Vaters Tugenden der Mut und die Mannhaftigkeit nicht waren, er vielmehr dazu neigte, das Unrecht zu akzeptieren und feig zu entfleuchen, anstatt für die Mores Maiorum zu fechten. Doch dass er ohne Zögern unter das Joch einer nahezu fremden, wenn auch überaus attraktiven Frau sich beugte und, getrieben von fieberhaftem Verlangen, jener vergifteten Rose zu gefallen, all das vergaß, was er in einem laborösen und ehrenvollen Leben aufgerichtet hatte, ja die Frucht seiner eigenen Lenden hinfortzuwischen wie eine faulgewordene Traube, war mehr denn erschreckend.
    'allfällig wäre es besser, auch deine Blutlinie nicht fortzuführen, während ich mit einer anderen Gemahlin einen Stammhalter zeuge'
    Wie ein loderndes Feuer schmerzten jene Worte in seinem Herzen und schnürten seine Brust, dass jeder Atemzug zur unermesslichen Qual erwuchs. Zweifelsohne war dies das Werk der Einflüsterungen jener Natter, doch nötigten sie den Jüngling dennoch, jedwede Hoffnung auf seinen Vater fahren zu lassen, ließen jene Restanten an Zuneigung dahinschmelzen wie Eis in einem dekadenten Sommertrunk, und erteilten seinem beständigen Verlangen nach jener paternalen Zuneigung und Liebe, welche er stets insgeheim hatte ersehnt, eine schroffe Absage, die seinem Verlangen Hohn sprach. In der Tat glich dieser Schmerz in nicht geringem Maße jenem, den er bei der Nachricht vom Tode seiner Mutter hatte verspürt.
    Ja, nun war auch sein Vater für ihn verstorben und hatte ihn als Waisen zurückgelassen. Dieser Tod indessen erwies sich als weitaus schmerzlicher denn jeder Abschied zuvor, denn während die Manen der Claudia Antonia ihn wohlwollend aus den Gefilden der Seligen geleiteten, war die Relation zum Genius Manius Maiors zur Gänze destruiert und hatte gar in Feindschaft sich gekehrt.
    Wie indessen sollte er seinem Schicksal, dem Lauf der Ehren, folgen, ohne dass sein eigener Vater und damit die gesamte Familia ihn unterstützte? Welche Funktion verblieb ihm, wenn er nicht zum Stammhalter der Flavia Graccha würde werden, sondern ein enterbter Tropf? Würde Gracchus Maior ihn des Hauses verweisen, all jene Kommoditäten ihm versagen, ohne die zu existieren Gracchus Minor sich niemals zu imaginieren vermochte?
    Würde er nicht jämmerlich zugrunde gehen? Und wäre er damit nicht ohnehin zu nichts zunutze, ein fehlsichtiger Knabe ohne Kontakte, dem nichts denn der Bettelstab verblieb, der indessen ob seiner Adipositas ein derartig groteskes Bild würde präsentieren, dass niemand auch nur ein As ihm zu gewähren bereit wäre?
    Sollte er nicht besser unmittelbar dem Rat des Hegesias folgen und sich, gleich Cato Uticensis und vielen anderen, selbst den Tod geben, ehe Hunger und Schmach ohnehin sein Leben raubten?

  • Mitnichten war es Patrokolos gelungen, seinen jungen Herrn zu kalmieren, als er diesen wenige Zeit später in unveränderter, fötengleicher Pose auf seiner Liegestatt auffand, die den jungen Flavius in ihrer habitualisierten Desperation jener Tage gewahrte, da er in Mantua von seinem Vater war verlassen worden. Und in der Tat bestanden nicht wenige Parallelen, denn hier wie dort verspürte er die Phantomschmerzen der Amputation von seinem Vater, obschon sie damals lediglich physischer, nunmehr aber psychisch-emotionaler Natur und damit von scheinbar größerer Endgültigkeit waren.


    Doch wie sehr auch die Gewissheit schmerzte, die eigene Bestimmung zur Gänze verfehlt zu haben, da doch sein Vater ihn enterben und seine Stiefmutter ihn letzten Endes hinauskomplementieren würde, so war doch Kronos keinesfalls geneigt, den Lauf der Zeiten zum Stillstand zu bringen ob der Befindlichkeiten eines kleinen, wohlbeleibten Jünglings in einer Stadt mit hunderttausenden von Bürgern. Folglich drängten schon am folgenden Tage wieder die Obliegenheiten eines jungen Aristokraten, insonderheit der Besuch des Rhetorenunterrichtes, hingegen auch der familiärer Zusammenkünfte bei Tisch oder Abendgesellschaften. Vermochte er hier sich noch zu exkulpieren, so fasste Sciurius doch am dritten Tage nach dem Streit den Beschluss, dass der junge Herr endlich wieder zur gewöhnlichen Partizipation am familiären Leben zu nötigen war, sodass Patrokolos die desagreable Mission angelastet wurde, Manius Minor diesbezüglich zu motivieren, um den familiären Skandal zumindest in einem gewissen Grade unter dem Scheffel zu halten.


    Und so kam es, dass der Sklave sich letztlich auf der Bettkante seines Herrn wiederfand, um ihm wie bereits die Tage zuvor kalmierend über den Rücken zu streichen, nachdem dieser neuerlich sein Nachtmahl verschlungen hatte, um prompt sich wieder zwischen seinen Decken zu verkriechen und mit ungerichtetem Blick die Wand neben der Pforte des Cubiculums zu fixieren.
    "Domine, so kann das nicht weitergehen!"
    , setzte er endlich zu jenem unplaisierlichen Dialoge an, doch anstelle einer Replik erntete er keinerlei Reaktion.
    "Domine, du musst zu Rhetor!"
    , mühte sich Patrokolos aufs Neue in konkreterer Weise, doch bot er hierdurch lediglich einen Angriffspunkt für die desperate Situiertheit des jungen Flavius, der ihn noch immer kleines Blickes würdigte:
    "Wozu? Mein Vater wird mich enterben und verstoßen! Wozu die Beredsamkeit studieren, wenn ich letztlich als Bettler und Taugenichts in der Gosse enden werde?"
    Patrokolos seufzte.
    "Das ist doch Unsinn, Domine. Dein Vater hat dich nicht verstoßen, er-"
    "Er sagte, es wäre besser, ich wäre niemals geboren!"
    , intervenierte Manius Minor aufs Neue mit weinerlichem Timbre, obschon er die letzten Tage bereits mehr Tränen hatte vergossen, als er durch den Konsum von Wein und Wasser vermeintlich zu reproduzieren imstande gewesen war. Patrokolos seufzte neuerlich. Unzählige Male hatte er den Inhalt des Wortwechsels zwischen den beiden Manii Gracchi in den letzten Tagen rezitiert bekommen, sodass er den Jüngling zu korrigieren imstande war, selbst wenn dies kaum dessen Laune zu heben geeignet sein würde:
    "Das hat er nicht gesagt! Und im übrigen hat er im Zorn gesprochen und es zweifellos nicht so gemeint!"
    Wie zu vermuten reagierte Manius Minor auch hierauf nicht im Geringsten, sondern nutzte sein Publikum zwischen den langen Phasen der Ignoranz vonseiten der Familia lediglich, um dieselbe Leier wie die vorigen Tage zu spielen und sich und der Welt sein Leid zu klagen:
    "Mein Vater meint, was er sagt! Diese Aurelia hat ihn behext, zweifelsohne! Sie wird die Flavii Gracchi auslöschen und durch ihre Bastarde ersetzen!"
    Auch dies war keineswegs eine Novität im Lamentieren des Jünglings, doch diesmal erkannte Patrokolos eine Option darin, die er keinesfalls ungenutzt verstreifen zu lassen duldete:
    "Dann denk an deine Geschwister! Denk an Flamma und Titus! Sie brauchen dich als ihren großen Bruder!"
    "Wie soll ich ihr Bruder sein, wenn ihr Vater nicht mehr der meine ist?"
    , fragte der junge Flavius, augenscheinlich nicht geneigt dem Meer der Autosympathie so leicht zu entsteigen.
    "Du bist ihr Bruder! Sie sind nicht nur die Kinder des Manius Flavius Gracchus, sondern genauso deiner Mutter! Glaubst du, sie würde es wollen, dass du dich hier verkriechst?"
    Der Jüngling rappelte sich auf, um seinen dicklichen Leib wie zum Mahle auf den Arm zu stützen. Seine Mutter! Seine geliebte Mutter, die sein Vater zu annihilieren im Gange war! Allein jener Umstand war schon deplorabel genug, um sich dem Reich des Pluto anvertrauen zu wollen!
    Und doch ließen die Worte seines geliebten Patrokolos keineswegs hinfortwischen wie das leere Geschwätz der übrigen Sklaven, die sich diverse Male darin versucht hatten, ihn mit schäbigen Naschereien und infantilen Beschwichtigungsanläufen und Drohungen seinem Bett zu entreißen. Seine Mutter, jene makellose Diva, hätte es zweifelsohne gemissbilligt, ihren Sohn wie einen Knaben heulen zu sehen, so sehr er sich momentan auch geneigt fühlte, die Sekurität der Liegestatt nimmermehr zu verlassen!
    Und in der Tat verspürte auch der Diener, dass jene Kerbe zu traktieren ein rettender Ast war, den weiter zu umklammern galt, so er die Mission des Villicus noch zum Ziele führen wollte.
    "Sie würde doch wollen, dass du ein Vorbild bist für Titus! Dass du Flamma beschützt! Vor..."
    Für einen Augenschlag stockte der Sklave, da ihm die Worte doch als ein Anheizen zur Revolte, gleich einem Verrat an demjenigen, der ihn nährte und kleidete, erschienen, doch wischte er jenen Vorbehalt endlich für das höhere Wohl, die Rückkehr des jungen Flavius ins Leben, beiseite:
    "...ihrer Schwiegermutter und dem, was dein Vater tut!"
    Indessen hatte Manius Minor endlich sich herabgelassen, seinen geliebten Patrokolos direkt zu fixieren und somit auch leiblich seinen Worten Beachtung zu schenken, obschon ihm aufs Neue eine, wenn auch schwächliche Ausflucht gewahr wurde, die er prompt ins Felde führte:
    "Doch Titus ist doch gar nicht hier."
    "Aber Flamma! Und glaubst du, sie werden nicht erfahren, dass ihr großer Bruder in Selbstmitleid versunken ist? Dass er seinem Vater unterlag und dies klaglos hinnahm? Ja ihm sogar noch entgegen kam, indem er sich selbst unsichtbar machte?"
    Aufs Neue mühte der Jüngling sich, jenen Einwand zu parieren, doch vermochte er keine Replik zu formulieren, da jener doch überaus persuasiv erschien, denn in der Tat war Flamma kürzlich angekommen und bedurfte in ihrer femininen Fragilität des Schutzes vor jener Natter von Aurelia, zu schweigen von Titus, der wie er seines Erbes würde betrogen werden, hingegen zu klein war, um sich persönlich zur Wehr zu setzen.
    "Doch was soll ich schon tun?"
    , brachte er endlich kraftlos hervor, was nunmehr Patrokolos nötigte, um eine Antwort zu ringen, da in jener Spontaneität des Zwiegesprächs kaum konkrete Instruktionen zu formulieren waren:
    "Nun... jedenfalls solltest du dich nicht verkriechen! Führe dein Leben fort, suche Kontakt zu deiner Familie und..."
    Da die Worte fehlten, füllte Patrokolos die entstehende Pause mit einer hilflosen Geste, ehe er einen eher schwächlichen Abschluss fand:
    "...sei ein Vorbild für sie!"
    Die Worte seines Dieners generierten durchaus Sinn im Geiste des Jünglings, doch widerstrebten ihm die Konsequenzen aufs Heftigste:
    "Wie soll ich dieses Zimmer wieder verlassen? Ich würde zweifelsohne meinem Vater aufs Neue entgegen treten müssen? Wie sollte ich reagieren, nachdem er mich so schroff von sich gewiesen hat?"
    Der Sklave seufzte wiederum, doch diesmal nicht lediglich ob der Desperation seines Herrn, sondern zugleich ob der Kompliziertheit der eigenen Mission.
    "Du musst ihm ja keine Zuneigung entgegen bringen. Sieh es als ein Theater, in dem du eine Rolle spielst. Auch Achilleus hat sich verstellt in Skyros, solange es ihm an Kraft und Macht fehlte, um offen in den Krieg zu ziehen."
    Selbstredend war dem jungen Flavius der Mythos über den heroischsten aller Heroen wohlbekannt, doch zugleich, dass der listenreiche Ulixes ihn allzu leicht hatte enttarnt. Indessen war auch Ulixes ein vortreffliches Bild, dass bisweilen List vonnöten war, um seine Ziele zu erreichen, zumal er im Grunde ja seit seiner Rückkehr aus dem Exil ein derartiges Possenspiel darbot, das zu perpetuieren womöglich durchaus im Bereich des Möglichen lag.
    "Ich weiß nicht..."
    , replizierte er, doch implizierte bereits das Timbre seiner Stimme, dass Patrokolos neuerlich ein Triumph war gelungen.
    Und in der Tat verlangte Manius Minor schon am folgenden Tage nach seiner Toga, um zum Studium bei Magister Quinctius zu gehen und zum Nachtmahl wieder brav die familiare Cena zu frequentieren. Der Jüngling funktionierte aufs Neue, selbst wenn er die ohnehin nicht geringe Introversion um ein vielfaches potenziert zur Schau trug.

  • Kaum eine Stunde, nachdem Manius Minor die Urbs hatte betreten, fand er sich nach dem frostigen Empfang in seinem angestammten Cubiculum wieder. Ignorierend, dass selbiges in der Zeit seiner Absenz sorgsam unterhalten und gepflegt worden war und lediglich hier und dort einigen Staub hatte angesetzt, wie uneingedenk des Umstandes, dass im Cubiculum seines Vaters eine similäre Situation sich ereignete, warf er sich, den mahnenden Patrokolos auf den Fersen, direkt auf das Bett, versenkte sein Haupt in die zahlreichen Kissen und ließ ein erbärmliches Seufzen vernehmen.
    "Was soll ich nur tun?"
    , erklang seine jämmerliche Stimme, gedämpft durch die weichen Kissen.
    "Nun erhole dich zuerst von deiner Reise."
    , erwiderte der Sklave und nahm auf der Kante des Bettes seines Herrn Platz. Aus den Kissen erklang erneut die Stimme des Jünglings:
    "Beschaffe mir Opium, Patrokolos! Ich bedarf dringend der Ermunterung!"
    In der Tat schien die Desillusion ob seines Verrates an der Sache Epikurs sich von Augenschlag zu Augenschlag zu steigern, aggravierte sich zu gänzlicher Desperation, welcher lediglich die Erregung durch den Saft des Mohnes Linderung zu bieten versprach. Obschon jener Schub an Frohsinn jedweder rationalen Grundlage entbehrte, war nämlich die Wirkung indiskutabel, gebahr, so nicht Elation doch zumindest jene wohlige Passivität, welche eine Indifferenz gegen sämtliche Unpässlichkeiten des Daseins evozierte.
    "Wo sollte ich das denn hernehmen?"
    , fragte Patrokolos ein wenig irritiert zurück, doch ohne den Kopf aus dem Tumulus aus Kissen zu erheben, winkte der junge Flavius enerviert ab.
    "Egal! Eile dich nur!"
    Die Inkompetenz seines Dieners verärgerte den Jüngling zusätzlich zu seiner ohnehin misslichen Lage. In Alexandreia war der Konsum von Opium keineswegs eine Partikularität gewesen und, obschon in früheren Tagen jenes Produkt kaum sein Interesse hatte geweckt, so zweifelte er nicht, dass auch in Roma auf jedem größeren Markt ein Fernhändler derartiges offerierte.
    Doch zumindest resignierte Patrokolos nach jener zürnenden Reaktion seines Herrn und erhob sich ächzend.
    "Ich werde sehen, was sich tun lässt."


    Manius Minor blickte auf und verfolgte den sich klarifizierenden Schemen, welcher sein Cubiculum durchquerte und endlich hinter der Tür verschwand, um einsam ihn zurückzulassen. Allein mit seiner Scham ob der verratenen Ideale seiner Philosophie, seiner Panik ob des mangelnden Opium-Spiegels in seinem Leib und seiner Desillusion ob jenes grässlichen Einstandes in seiner Heimatstadt und Familia, welche so fremd ihm war geworden...

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Er blickte durch jenes gigantische Portal, welches wallende, rote Vorhänge säumten und gar in unendlicher Höhe überspannten. Aus ihm strömte Licht auf ihn, doch unter seinen sonnengleichen Quellen erblickte er zahllose bartlose Häupter, einen infantilen Chor von Jünglingen und Maidlein, welche nicht mehr als zehn Lenze mochten zählen. Doch voll Appetenz waren ihre Blicke ihm zugewandt, ja erblickte nicht selten er ein Glänzen der Faszination in ihren Augen, das geradehin possierlich ihm erschien.
    "Seid ihr alle da?"
    , vernahm er seine eigene, exaltierte Stimme und er verspürte den Drang, beide Arme in paralleler Weise gen Himmel zu recken.
    "Jaa!"
    , tönte es ihm aus unzähligen Kinderkehlen entgegen, freudig und innocent zugleich. Mitnichten irritierte ihn jenes groteske Auditorium, als er sich umwandte, um zu erkunden, welche Gestalt sich nunmehr ihm von der Seite näherte. Es handelte sich um eine androgyne Gestalt, deren hageres, fahles Antlitz von dünnem Haar war umrahmt, auf welchem wiederum ein Krönlein thronte. Mit hastigen Worten grüßte sie ihn:
    "Caspius, Caspius, da bist du ja endlich!"
    "Prinzessin Cornelia, was bedrückt dich?"
    , entfuhr es ihm, zugleich staunend, dass der Name jener unansehnlichen Gestalt ihm war geläufig, hingegen mitnichten verwundert, mit dem Terminus eines orientalischen Stammes tituliert zu werden.
    "Caspius, das Krokodil! Das Krokodil von Alexandria! Es will unser Glück hindern! So tu doch etwas, mein lieber Caspius!"
    Die Prinzessin herzte ihn furchtsam, sodass er ihre knochigen Glieder am Leibe spürte, doch schon eilte sie hinfort, ihn ratlos hinterlassend.
    "Wo mag das Krokodil uns auflauern?"
    Jenes Wesen aus den Fluten des Niles war ihm klärlich vor Augen, doch ließ die Region, in welcher er weilte, jedweden Gewässers missen, welches den Corpus eines derart gigantischen Wesens hätte gefasst.
    "Gib Acht, Caspius!"
    , tönte neuerlich der Chor jenseits des Portales und eilig wandte er sich um, um sogleich der Bestie selbst ansichtig zu werden. Ein Krokodil durchaus, wie er eines als Knabe von seinem blinden Anverwandten als Präsent hatte erhalten, doch war es angetan mit weibischer Tracht, dazu mitnichten furchtgebärend, sondern vielmehr gemächlich und friedvoll, zumal es nunmehr mit vertrauter Stimme ihn rief:
    "Caspius, komm zu uns zurück!"
    Doch obschon es ihm widerstrebte, vernahm er neuerlich die eigene Stimme, diesmal tollkühn und maliziös:
    "Gib Acht, ich werde dich zerschmettern!"
    Hastig neigte er sein Haupt, um sogleich vom Boden eine überdimensionierte Waffe, eine Keule, welche mit Leichtigkeit er schwang, um sogleich die Bestie niederzuwerfen, obschon er doch nicht wenige Sympathie für jenes infortunable Untier hegte, welches nicht einmal Zähne in seinem gewaltigen Rachen aufwies, sondern furchtsam sein Maul verbarg.
    "Nimm dies!"
    , gellte seine Stimme und wider Willen erteilte er ihm einen Hieb mit der Keule, sogleich neuerlich ihr Anlauf gewährend, um mit einem weiteren Ausruf:
    "Und das!"
    , noch einen Streich auszuführen.
    "Au! Au!"
    , lamentierte das Krokodil und ließ artig sich die Schläge gefallen, während jenseits des Portales höhnisches Lachen zu vernehmen war.
    Er wollte inne halten, wollte nicht jene abscheuliche Prinzessin erretten, sondern vielmehr das miserable Wesen, welches nun er beständig mit Hieben traktierte, wollte nicht zur Belustigung des infantilen Publikums einem Gladiatoren gleich jenem innocenten Wesen den Garaus bereiten.
    Doch etwas hinderte ihn und schlagartig erkannte er, dass nicht er Herr seiner Glieder war, sondern spinnenfadendünne Schnüre aus seinen Handflächen gen Himmel erwuchsen, sie hierhin und dorthin dirigierten und somit jede Regung und jeden Hieb koordinierten. Irritiert folgte sein Blick den Fäden gen Himmel, wo über dem Vorhange Dunkelheit lauerte und dann, inmitten jener inilluminierten Leere eine wohlvertraute Gestalt, welche behände die Fäden an hölzernen Kreuzen bald hierhin, bald dorthin bewegte, sie drehte und sodann wieder ließ zurückweichen. Und über den kolossalen Händen im Halbdunkel eines verborgenen Raumes lauerte ein höchst konzentriertes Antlitz...


    ~ ~ ~


    Manius Flavius Gracchus Maior! Dies war der letzte Gedanke, ehe Morpheus' ihn rüde aus seinem Reiche verstieß und in die Welt der Lebenden katapultierte. Irritiert richtete Manius Minor sich auf, einen Augenschlag in jenen Traumgespinsten verweilend, welche so grotesk anmuteten und in ihrer Albernheit doch so trefflich seine Situation kommentierten, welche am heutigen Tage um ein Weiteres war aggraviert worden.


    Denn obschon sein Leib von Schweiß war benetzt und sein Magen ihm durchaus blümerant erschien, was zweifelsohne ein Gruß des Opium-Trunkes war, welcher ihm die Ruhe des Schlafes hatte gewährt, so vermochte er doch zu reminiszieren, welche Situation ihn dorthin hatte gebracht:
    Der heutige Tag war der Wahltag und am frühen Morgen bereits war er im Kreise seiner Familie zum Comitium geeilt, vorerst zum letzten Male angetan mit der Toga candida, um nochmalig die Senatoren vor dem Betreten der Curia Iulia seiner Ambitionen zu erinnern. Erst als die Pforten der Curia sich geschlossen hatten und er dem wachenden Blick Manius Maiors war entschwunden, hatte er gewagt unter dem Vorwande des Missbehagens, welches durchaus keine Lüge war gewesen, nach Hause zurückzukehren, um mit besagtem Opium sich über den Irrwitz jenes Tages hinwegzutrösten. Nun aber blieb lediglich der fahle Geschmack des Mohnsaftes, ein schweres Haupt und das Bewusstsein, durch jene winzige Eskapade keineswegs dem großen Spiel keineswegs entfleucht zu sein. Intuitiv strich er sich über die Hände, als vermöge er mit jener superstitiösen Geste die invisiblen Fäden, an welchen sein Vater ihn dirigierte, abzulösen und eigener Wege zu gehen, doch sinnfälligerweise bremste den Weg seiner Linke über den Handrücken der anderen Hand der opulente Karneol seines Siegelringes, welcher ihn gleich dem Halsband eines Sklaven auswies als Besitz der Gens Flavia, juristisch zwar ein freier Mann, doch realiter nicht weniger gefangen und rechtlos wie die miserablen Unfreien, welche auf den flavischen Latifundien jenen Reichtum erwirtschafteten, von dem zu leben das einzige Privileg seines Standes mochte sein.

  • Nach der Wahl war Gracchus durchaus zufrieden mit dem Ergebnis seines Sohnes, gleichwohl die Zustimmung hätte höher ausfallen können. Doch er entsann sich durchaus, dass sein erstes Wahlergebnis ebenfalls eher bescheiden war ausgefallen - was zweifelsohne der Fluch jener patrizischen Söhne war, welche geradewegs aus ihren Studienorten zurück nach Rom und in die Politik strebten. Gleichwohl hatte Minor die erste Stufe des Cursus Honorum erklommen - und diese mit Bravour und Pflichteifer ausgefüllt würde sein Wahlergebnis zur nächsten Kandidatur sich zweifelsohne bessern. Nachdem die Sitzung des Senats war geschlossen worden erreichte er recht beschwingt das flavische Heim und ließ sich selbstredend nicht die Gelegenheit nehmen, die gute Nachricht selbst seinem Sohne zu überbringen. Kurz nur klopfte er an die Türe, ehedem er auch bereits eintrat.
    "Gratulation, Minimus, der Senat von Rom hat dich erkoren im kommenden Amtsjahr ein Diener des Staates zu werden!"
    Bereits im nächsten Augenblicke stockte er, bot Gracchus Minor doch nicht etwa das Bildnis eines strahlenden Siegers, sondern war eher ein wenig blass um die Nase.
    "Geht es dir gut?"
    fragte der Vater darob ernstlich besorgt - schlussendlich würde in wenigen Tagen bereits die Vereidigung anstehen.

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  • Das Opium dämpfte noch seine Reflexe, weshalb Manius Minor zwar erschrak, doch keine corporalen Regungen zeigte, als unerwartet Manius Maior sein Cubiculum erstürmte, um voller Euphorie, ja geradehin inspiriert das Resultat der Wahlen hinauszuposaunen, uneingedenk des Faktums, dass eben jenes Ergebnis, welches in den Augen des Vaters glorios und vor der Welt als Triumph mochte gelten, in den Augen des Sohnes einen Verlust repräsentierte, die Privation von jedweder Hoffnung, das folgende Jahr zumindest in einiger Ruhe zu fristen und sich, so nicht coram publico, doch zumindest im Stillen den Studien des großen Philosophen zu widmen.


    Trübsinnig hob er daher die Augen, fixierte jenen ihm zustrebenden und dadurch immer verschwommener ihm erscheinenden Schemen, beinahe Reue dabei empfindend, jene infantile Freude durch seinen Missmut zu destruieren:
    "Nein. Ich vermag mir erstreblicheres zu ersinnen, als das folgende Jahr in Knechtschaft zu fristen."
    Unbedacht waren jene Worte zwar, doch das Opium hatte den Geist des Jünglings benebelt, hatte ihm nicht nur die Empfindsamkeit für den Schmerz, sondern ebenso jene für die Furcht geraubt, sodass er geradewegs seine Gedankenströme verbalisierte, zumal es ihm durchaus defendabel erschien, selbige seinem Vater zu offenbaren, da doch er nicht mehr als sein Placet zur Erhaltung der flavischen Fassade gegeben zu haben vermeinte, während sämtliche Aktivitäten hinter derselben niemals Teil ihres Arrangements waren gewesen.

  • Mitnichten lag ein Hauch von Krankheit in Minors Stimme, doch zweifelsohne von einem Leiden ganz spezieller Art und Weise.
    “Ach, Minimus“
    , seufzte Gracchus einfühlend und trat durch den Raum hindurch an Minors Bett.
    “Glaubte nicht auch Epikur, dass die Einsicht wi'htiger noch ist als die Philosophie, da das lustvolle Leben im gleichen Atemzuge auch einsichtsvoll, vollkommen und gerecht sein muss?
    Er setzte sich auf das Bett und blickte auf seinen Sohn hinab.
    “Wie kann dein Leben einsichtsvoll, vollkommen und gerecht sein, wenn du nicht bereit bist der Welt auszugleichen, was sie dir jahrelang geschenkt hat, was sie dein Leben dir noch schenken wird? Wenn du einzig deinem eigenen Genusse auf Kosten der Gesellschaft na'hstrebst, so wird dies am Ende nicht lustvoll sein - irgendwann wird dieser Genuss dir schal und ungustiös schmecken, abgestanden und leer.“

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  • Wie schon viele Male, so offendierte Manius Minor auch diesmalig der despektierliche Kosenamen, mit welchem Manius Maior ihn unbeirrt titulierte, obschon seit der mehr als eine Dekade zurückliegenden Geburt von Titus bereits er nicht mehr der Jüngste der Flavii Gracchi war, zweifelsohne auch nicht mehr, respektive noch nicht der Kleinste unter ihnen, ja er gar vor einigen Jahren seine Liberalia hatte gefeiert und nun augenscheinlich bereits ein politisches Amt errungen. Und als sei er ein kleiner Knabe, welchem durch einige joviale Gesten all jene Jahre der Distanz, jene Absenz in den kritischsten Phasen seines Lebens vergessen zu machen wären, platzierte er sich auch noch auf seinem Bett, jenem Refugium, in welchem so häufig er den Trost vor eben jener paternalen Kälte hatte gesucht.
    Doch er war kein Knabe und nicht bestrebt, sich durch jenen Moment der Zugänglichkeit täuschen zu lassen, weshalb er, um zumindest okulare Äqualität zu produzieren, sich in seiner Liegestatt aufsetzte, obschon auch jenes Unternehmen lediglich von beschränktem Erfolg war gekrönt, da seine geringe Körpergröße doch auch im Sitzen nicht an jene des Vaters heranreichte, sodass letztlich auch nun letzterer auf ersteren hinabzublicken imstande war. Trutzig blickte er jedoch zumindest in jene Region, in welcher er die Augen des älteren Gracchen vermutete, und ebenso trutzig war sein Tonfall, als er unwirsch replizierte:
    "Was weißt du schon über die Lehren Epikurs?"
    Innerlich konnte er sich jedoch einer gewissen Admiration nicht erwehren, denn die paternale Frage mochte nahezu als eine Rezitation des fünften Lehrsatzes seines Meisters gelten, so man Einsicht zum Synonym der Vernunft, Vollkommenheit hingegen mit Anstand wollte äqualisieren. Die Interpretation, ein politisches Amt als Conterpartie für die Annehmlichkeiten seines bisherigen Lebens zu erachten, war hingegen gänzlich ridikulös, was in ihm die Ambition erweckte, zumindest in jenem, ihm so familiaren Feld mit seinem Vater eine Schlacht zu wagen, welche ihm schon jetzt verhieß zu triumphieren:
    "Dessenungeachtet, welchen Nutzen sollte der Welt aus mir als Vigintivir, Quaestor oder Consul erwachsen, wo doch so viele nach diesen Ämtern streben, welche selbige mit größerem Ansporn und mehr Lust würden ausfüllen?"
    Mochte es eine langfristig maliziöse Begierde sein, dem Ruhm der Welt nachzujagen, so verschaffte sie doch zumindest für den Moment eine Lust, die nur dem kenntnisreichen Epikureer, welcher die langfristigen Konsequenzen der Freude an jener Droge der Macht konsiderierte, als vergiftet musste erscheinen.

  • "Nun, mein Sohn, auch ich war einmal jung und habe während meinen Studien so manch Philosophen studiert. Epikurs Erhöhung der Lebensfreude sehe ich indes nicht dadurch erreicht, dass ein Mensch sich selbst, seine Herkunft und seinen Lebensweg ver..leugnet und eigennützigen, hedonistischen Genüssen sich hingibt, sondern vielmehr darin, sich mit sich selbst, seiner Herkunft und seinem Lebensweg auszusöhnen und eben aus diesem sein Glück und seine Zufriedenheit zu schöpfen. In einer Utopie mögen dem Menschen anderweitige Mögli'hkeiten gegeben sein, doch in der Realität, welche uns zu eigenen ist, kann nur die Bejahung des eigenen Selbst in den Umrissen seiner definierten Rolle zu Glück führen."
    Große Worte waren dies, an deren Umsetzung auch der ältere Gracchus durchaus noch zu arbeiten hatte. Die Möglichkeiten seiner Rolle hatte er allfällig zur genüge ausgeschöpft, doch insbesondere in Hinblick auf die Liebe stellte er sich des Öfteren die Frage, ob ein eigennütziges, hedonistisches Handeln ihn hierbei nicht würde glücklicher machen können - doch letztlich war er auch hiervon nicht überzeugt.
    "Viele mögen nach den Ämtern des Cursus Honorum streben, ihr Ansporn und ihre Lust mag größer sein als die deine, doch ihr Behuf ist oftmals fragwürdig, denn sie streben nicht nach dem Wohle des Reiches, sondern schli'htweg nach der Mehrung ihres eigenen Einflusses, ihrer eigenen Macht oder ihres Reichtumes, nach eigennützigen, hedonistischen Genüssen. Manch einer dieser Männer bringt nicht einmal eine adäquate Bildung mit sich, sondern ver..brachte seine Kindheit und Jugend damit in den Wäldern der barbarischen Provinzen herumzutrollen oder seinem Vater bei seinem täglichen Handwerk zu assistieren. Du indes bist frei von diesen Zwängen, des Strebens nach Luxus, der Machtgier und Geltungssucht - du musst dich nicht sorgen um dein eigenes Wohl, wurdest einzig geboren, dich mit dem Wissen der Welt anzufüllen, dich vertraut zu machen mit Fehlern und Glanzstunden der Historie, Sprache um Spra'he zu lernen, um die Weisheit der ganzen Welt in dir aufzunehmen, dich Philosophie, Arithmetik, Geometrie und Geographie zu widmen, um die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen, der Rhetorik, um deine Gedanken in angemessene Worte zu fassen, um auf Grundlage dessen die bestmögli'hen Entscheidungen treffen zu können, welche Rom zum Wohle gereichen."
    Er blickte seinen Sohn an und kurz nur flackerte ein wenig Unsicherheit in ihm auf, dass er Minor allfällig hätte selbst ein wenig mehr anleiten müssen durch die Zeit seines Heranwachsens hindurch. Hinwieder er selbst hatte seinen Vater seit frühester Kindheit stets nur einige Tage zu besonderen Anlässen gesehen, so dass dies wohl kaum eine notwendige Prämisse für eine optimale Erziehung war.
    "Dies ist der Nutzen, welcher der Welt aus dir erwächst, dies ist deine Bestimmung, Minor, und sie mit Bravour zu erfüllen wird auch dein eigenes Glück mehren. Derzeit scheint es als wolltest du in der Mitte eines Flusses gegen die Strömung laufen, um die Quelle zu errei'hen, welche dir ergötzlich sprudelnd erscheint - doch dies wird dir stets nur beschwerlich sein und am Ende wirst du nicht verdursten, doch verhungern. Lässt du dich indes vom Flusse leiten, lernst du darin zu schwimmen und die Strömung für dich zu nutzen, so macht dies dich frei und du wirst an einem See enden, welcher mit seinem Reichtum dich nicht nur nicht ver..dursten lässt, sondern dich gleichsam auch nährt."

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  • Die Impertinenz, mit welcher Manius Maior sich anschickte, ihn, der für nunmehrig beinahe zwei Jahre nichts anderes denn die Lehren Epikurs nicht nur studiert, sondern auch gelebt, über die Interpretation jener Weisheiten zu belehren, erzürnte Manius Minor, zumal sogleich seine Explikationen offenbarten, wie partiell jenes Verständnis reichte, da er von Bestimmungen und Kapazitäten zu fabulieren begann, welche für einen Epikureer allenfalls von peripherem Interesse mussten sein.
    "Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten."
    , rezitierte er folglich jene Negation der paternalen Argumentation, zugleich den Hochmut seines Vaters refutierend, welcher die Weisheit des einzig wahren Weisen in das Prokrustesbett seiner limitierten Ideologie, jenes irrsinnigen Konstruktes aus leeren Meinungen und infantilen Ängsten, zu pressen.
    "Jene vermeintlich minder qualifizierten Narren scheinen die Funktionen des Staates hinreichend zu garantieren. Welchen Sinn sollte es also haben, seinen Nutzen zu augmentieren, indem man sich in jenen See stürzt, den du für eine Bestimmung, Epikur jedoch eher ein stürmisches Gewässer hält, welches jeden Schwimmer letztlich ertränkt?"
    Eben jenen Aspekt der epikureischen Dogmatik hatten die Myrmidonen, welche nahezu sämtlich aristokratischen Häuser entstammten und folglich similär selbst von der Perspektive waren bedroht gewesen, von ihren ambitiösen Vätern in das Haifischbecken der Politik gestoßen zu werden, ausgiebig disputiert, sodass der junge Flavius diesmalig vortrefflich war präpariert, seinen Vater in die Schranken seiner limitierten Epikur-Rezeption zu verweisen.
    "Der Tag, an welchem Politik, das Spiel um Macht und Influenz mir Lust bereitet, wird der erste sein, an welchem ich mich zum Sklaven jener inexhaustiblen Begierde nach einem steten Mehr an Macht, Geld, Ämtern und Ansehen mache, ohne jemals sie vollkommen stillen zu können. Der See mag mich nähren, doch niemals sättigen!"
    Hostil verschränkte er seine feisten Arme vor der Brust. Insonderheit missfiel ihm, dass der ältere Gracchus es wagte zu antizipieren, was ihm Freude oder Lust mochte bereiten, da doch niemals er seinem Dafürhalten irgendein Interesse für die Bedürfnisse und Wünsche seines Sohnes hatte gezeigt, ja stets in paternaler Manier die Entscheidungen für ihn getroffen hatte und bis auf den heutigen Tag traf. Auch jene Akkusation fühlte er sich genötigt zu verbalisieren, da das Opium die Barrieren der Moderation doch hatte annihiliert:
    "Dessenungeachtet: Was weißt du, was mir goutiert?"

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