Ebenso wenig wie ihr Vater kam Nigrina dazu, zu antworten, als Piso schon etwas von sich gab. Was Aetius dachte in diesem Moment, blieb für Nigrina schleierhaft. Wenn ihr Vater wollte, war er ein Meister der Beherrschung, er wollte nur häufig nicht, sah es nicht ein, sah keinen Grund dazu. Diesmal sah er es offenbar. Nigrina selbst hingegen war für einen Moment sprachlos – was ihr selten geschah. Dann baute sich Druck in ihr auf, ein Druck, der nach einem Ventil suchte. Ihre Augen begannen gefährlich zu glitzern, die Brauen zogen sich bedrohlich zusammen, und ihre Nasenflügel bebten leicht. Oh ja, sie war kurz davor, in die Luft zu gehen. Nach allem, was Piso sich gegenüber dem Aurelier schon geleistet hatte – und Nigrina dachte tatsächlich so, schon allein angesichts des Eklats im Theater –, und nachdem er heute, auf IHRER Verlobungsfeier, in TRAUER erschien, als sei das hier ein trauriger Anlass, wollte er nun auch noch einen Gast hinauswerfen lassen? Sie kannte diesen Duccius Vala nicht, hatte nicht die geringste Ahnung, wer das sein mochte, aber das tat in diesem Moment nichts zur Sache. Das war ihre Feier – und ein wenig noch die des Aureliers, so viel gestand sie ihrem zukünftigen Ehemann dann doch zu –, und Piso hatte nichts, aber auch GAR NICHTS zu melden.
Aber auch jetzt kam sie nicht dazu, etwas zu sagen. Oder gar zu tun, was ihr durchaus auch als Alternative möglich schien. Piso war immerhin ihr Bruder, da gab es ein gewaltiges Repertoire an kleinen und größeren Racheaktionen, die ihr auf Anhieb in den Sinn kamen... Aber dazu kam es nicht. Denn Lupus begann zu lachen. Und DAS machte sie für einen weiteren Moment sprachlos, denn auf die Idee wäre sie nie gekommen. Einfach zu lachen. Und mit ein paar einfachen Worten darüber hinweg gehen, was Piso gesagt hatte. Sicherlich, das war Nigrina auch klar, war das frech, und wäre ihr das passiert, sie wäre höchst beleidigt gewesen – und einem Teil von ihr war auch klar, dass ihr das passieren konnte und wohl irgendwann würde, immerhin würde sie diesen Mann heiraten –, aber jetzt, in diesem Augenblick, war das wohl die beste Reaktion. Alles andere hätte nur zu einem Eklat auf der Feier geführt, und DAS war etwas, was sie um jeden Preis vermeiden wollte – aber genau durch ihre eigene, erste Reaktion wohl provoziert hätte. So aber schwieg sie, schwieg auch noch, als Piso antwortete, schon allein weil sie sich nicht ganz sicher war, ob sie sich unter Kontrolle hatte. Erst als Lupus ihre Hand nahm und ihr einen sachten Kuss darauf gab, zwang sie sich zu einem leichten Lächeln. „Spätestens wenn deine Gäste dir ihre Begeisterung ausdrücken, wirst du sehen, dass auch die Feste selbst es wert sind“, antwortete sie, scheinbar leichthin, während der Klang ihrer Stimme unterschwellig noch etwas von dem reizbaren Geschöpf verriet, das sie ebenso sein konnte. Das nächste Lächeln, dass sie ihrem baldigen Verlobten jedoch schenkte, hatte schon wieder ihre typische, hintergründige Note.
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Und das war der Moment, in dem Aetius vortrat. „Dann schreiten wir mal zur Tat, nicht?“ Er drehte sich zu den Anwesenden um. „Verehrte Gäste, darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten! Ich danke euch allen für euer Kommen zu diesem Anlass, der ein freudiger ist, sowohl für die beiden Gentes als auch für die beiden jungen Menschen, die heute hier im Mittelpunkt stehen... Amore, more, ore, re, iunguntur amicitiae* hat das Brautpaar in die Einladung geschrieben, und ganz diesen Worten gemäß wollen wir nun dafür sorgen, dass zwischen den Familien der Aurelier und der Flavier ein weiteres, starkes Band geknüpft wird.“ Als Aetius begonnen hatte zu reden, hatten zwei Sklaven das als den Hinweis verstanden, der es – für sie – war, und hatten auf dem dafür vorbereiteten Pult die Verträge ausgebreitet, zu dem Aetius nun schritt.
Durch Liebe, Sitte, Wort und Gegenstand, schließt sich der Freundschaft festes Band.