Bibliotheca | Legem brevem esse oportet, quo facilius ab imperitis teneatur

  • Die avunkuläre Perspektive einer weiteren Verwandten vermochte den Knaben nicht in sonderlich große Freude zu versetzen, da er bereits über eine schier unüberblickliche Schar von Onkeln und Tanten verfügte, deren differente Kohäsionen mit ihm sich bereits unter diesen Umständen seiner Kenntnis oftmals entzogen. Da indessen ein Gespräch über ein derartiges Thema augenscheinlich versprach, jenes diskonzertierenden Stoffkonvolut der Iurisprudenz zu verlassen, wirkte die Miene des jungen Flavius dennoch erfreut, um nicht zu sagen erleichtert. Dass letztere Frage dabei aufs neuerliche durchaus auf die trockene Materie zurückverwies, ahnte er nicht, sodass er bar jeder Suspektion ein inculpables
    "Wie?"
    erwiderte.

  • Piso grinste, voller Vorfreude auf seine Hochzeit. Sie seinem neffen gegenüber duchzukauen bedeutete doch im Grunde nur, sie schon im Vorhinein zu begehen, und das war doch das Beste ohnehin!
    “Dazu werden wir keine Bücher brauchen. Weißt du, Minimus, viele Gesetze zur Heirat sind nicht in einen Codex hineingeschrieben. Trotzdem gelten sie. Das heißt Gewohnheitsrecht. Jeder Priester kennt diese Gesetze, und man kann diese Sachen auch nachlesen. Aber ich erkläre es dir mal.“
    Er dachte kurz nach. Einen Ansatz zu finden war nicht schwer. “Ich und Prisca werden sine manu und per usum heiraten. Die meisten heiraten so. Weißt du, was das bedeutet?“, fragte er, denn es konnte ja sein, dass dem so war.

  • Erst jene Expression offenbarte dem Knaben die Intention des Themenwechsels, den Onkel Piso initiiert hatte. Selbstredend evozierte es neuerlichen Gram und Disturbation bei dem jungen Flavius, der sich bereits in seichteren Themengefilden gewähnt hatte und nun aufs Neue hart auf dem Boden der jurisprudenziellen Faktizität aufgeschlagen war. In der Tat trat bereits der Introitus jenes familienrechtlichen Arbeitsbereiches mit einer Fülle an Fachtermini auf, die zu neuerlicher Konfusion bei Manius Minor führten. Lediglich der Wortlaut der Begrifflichkeiten, die wohl mit 'ohne Hand' und 'durch Gebrauch' zu transferrieren waren, vermochte möglicherweise einen Hinweis zu bieten, sodass er mit größter Vorsicht und Insekurität seine Assumption formulierte.
    "So, wie es unsere Väter taten?"
    Eine derartige Begründung eines gemeinhin geübten Brauches erschien dem Knaben stets als agreabel, weshalb er auch bei diesem Kasus auf einen Erfolg zu hoffen wagte.

  • Mochte es denkbar sein, dass Minimus es nicht schmeckte, dass auch dieser Bereich des Rechtswesens, nun ja, Rechtliches beinhaltete? Piso konnte da nicht sonderlich weter helfen, deshalb blieb Minors Onkel auch relativ ungerührt. Nun, ungerührt, bis die Frage des Kleinen kam. Diese zauberte Piso ein Lächeln auf die Mundwinkel. Er hätte fast losgelacht, doch nicht über Minimus, sondern über den Umstand, dass diese Antwort aus dem Mund von neunundneunzig von hundert Jungen in Rom richtig gewesen wäre. Aber nicht im Falle von Pisos jungem Gegenüber.
    “Nun, so, wie es mein Vater tat!“ Sein Vater, pah. Aber Piso nahm ihn einmal als Beispiel her. “Er heiratete meine Mutter per usum und sine manu. Wie die Meisten. Aber bei deinem Vater ist es anders. Dein Vater heiratete deine Mutter auch sine Manu, aber seine Art der Heirat war die Confarreatio. Weißt du was, das besprechen wir später.“ Er räusperte sich. “Minimus, warst du schon einmal auf einer Heirat? Mit Pronuba, Opfer an die Götter und Brautraub? Mit Hochzeitszug, Hochzeitsfackel und Hochzeitsessen?“, wollte er wissen.

  • Im Orbit der Gedanken des Knaben schwebten jene Begrifflichkeiten, welcher Onkel Piso sich bediente, fortwährend umher. Eine eheliche Vereinigung "ohne Hand" und "durch Gebrauch" evozierte bei ihm die Imagination einer Freiheit körperlicher Gewalt, da er die Hand aus seiner infantilen Perspektive prinzipiell mit der elterlichen Gewalt zu strafen asoziierte, obschon dies in seinem Falle freilich niemals geschah, sondern die Strafen auf weitaus subtilere Art und Weise erfolgten.


    Erfreulicherweise sparte sein Lehrer indessen diesen jurisprudenziellen Teil des Eherechts vorerst aus, sondern schien sein Interesse jenen Sitten und Gebräuchen zuzuwenden, welche eine Hochzeit zu umgeben pflegten.
    "Durchaus. Ich war schon auf einigen Hochzeiten!"
    Dank der weiten Verzweigung der Gens Flavia, die in zahlreiche nobilitäre Familien Roms hineinragten, hatte der junge Flavius durchaus nicht selten die Ehre gehabt, an derartigen Feierlichkeiten zu partizipieren. Insbesondere vermochte er sich dessenungeachtet eines Anlasses zu erinnern, der durchaus lange Zeit zurücklag, sogar bar jedweder flavischer Brautleute durchgeführt worden war, dennoch aber spezielle Remineszensen erzeugten:
    "Bei der Hochzeit des Tiberius Durus durfte ich gar die Hochzeitsfackel tragen!"
    Noch immer vermochte er sich an jenen warmen Schein erinnern, welcher an jenem Abend vor seinem Antlitz geleuchtet hatte.

  • Sim-Off:

    Ach, den Thread gibt es ja auch noch... 8o


    Piso hob seinen Kopf und nickte damit einmal, langgezogen, wie man allgemein so anerkennend nickte. “Die Hochzeitsfackel hast du tragen dürfen! Na, dass nenne ich eine Ehre.“ Er nickte abermals.
    “Dann bist du eh schon ein Experte, hmm? Auf jeden Fall, was auf so einer Hochzeit passiert, das ist nicht nur ein bloßes Fest. Eine Hochzeit ist nicht dafür da, dass man sich dort vergnügen kann. Nein, vor allem ist sie dazu da, dass sich zwei Leute verheiraten, ein Mann und eine Frau. Sie schließen einen Pakt fürs Leben. Wenn zwei Fremde miteinander ein Kind haben, ist es ein Bastard. Und niemand will ein Bastard sein, oder? Wenn zwei Leute heiraten und ein Kind bekommen, ist es legitim. Das bedeutet, so ein Kind ist ein richtiges Kind, und ist ein richtiger Erbe seines Vaters. Bastarde nämlich erhalten den Status ihrer Mutter; richtige, eheliche Kinder den Status ihres Vaters.“
    Er überlegte kurz. “Eine Heirat ist auch dazu da, dass man seinen Stand festigt. Ein verheirateter Mann ist automatisch viel angesehener als ein unverheirateter Mann! Wir haben ja vorher über Integrität geredet, ja? Eine Ehe ist ein Zeichen von Integrität. Muss nicht heißen, dass der Mann wirklich integer ist, aber sowas deutet schonmal drauf hin.“
    Er räusperte sich. “Kurz gesagt, der Status der beiden Leute verändert sich durch eine Heirat. Aber wie, das hängt von der Art der Heirat ab! Wenn man eine Frau sine manu heiratet, dann hat der Mann die Hausgewalt über sie. Wenn eine Frau jemanden sine manu heiratet, bekommt der Mann das nicht! Kannst du dir vorstellen, was der Unterschied ist?“, fragte er Minimus.

  • Die avunkuläre Narration erschien dem Knaben in der Tat einleuchtend, zumal er für diesen Kasus eine Situation zu kommemorieren vermochte, in der einer der Bediensteten den anderen mit der Vokabel 'Bastard' tituliert hatte in einem Kontext, der eindeutig auf die beleidigende Funktion dieses Wortes hindeutete. Indessen endete Piso neuerlich mit einer komplizierten, augenscheinlich auf Spekulation hin ausgerichteten Frage betreffs der Auslegung juristischer Fachtermini. Da der junge Flavius jedoch mit der Zeit vor dem Anspruch, stets eine korrekte Replik zu formulieren kapituliert hatte, beschloss er sich in diesem Falle schlicht einer etymologisch basierten Interpretation zu bedienen selbst auf das Risiko hin, einen Fehltritt zu tun.
    "Unter väterliche Gewalt* ist vielleicht so, dass eine Frau cum manu genauso unter ihrem Mann steht wie ich unter meinem Vater."
    Jene Deutung erschien Manius Minor in der Tat plausibel und traf, obschon er dies nicht zu wissen vermochte, zweifelsohne auch den originären Kern der juristischen Konzeption.

    Sim-Off:

    * Hausgewalt = patria potestas

  • “Sehr, sehr, sehr gut!“ Der ältere Flavier der beiden freute sich wie ein Honigkuchenpferd, als Minimus die richtige Antwort gab. Vielleicht war er doch kein so schlechter Lehrer, wie er schon zwischenzeitlich gedacht hatte? Oder aber war das nur Glück?
    “Das stimmt ganz genau. Eine Ehe cum manu bedeutet mit väterlicher Hausgewalt. Die Frau hat dann zu ihrem Mann ein Verhältnis... nun, wie eine mit ihrem Vater verheiratete Tochter.“ Urks! Der Gedanke war grausig. Gut, dass es nur noch so wenige cum-manu-Ehen gab. “Das bedeutet auch, dass die Frau den Gentilnamen ihres Mannes annimmt. Und sie erbt wie seine Tochter. Eine Frau, die sine manu geheiratet hat, behält ihren Gentilnamen und untersteht ihrem Ehemann... hmm, halt als Frau ihrem Mann. Aber der Mann hat nicht die Gewalt über sie.“
    Er hüstelte, bevor er weiterlekturierte.
    “Gut, das hast du jetzt eh verstanden, oder? Also, kommen wir auf die Arten der Ehe zurück. Wie du siehst, kann man ohne und mit der Hand heiraten. Aber man kann sich auch aussuchen, auf welche Art und Weise man heiraten will. Es gibt die Ehe per usum, dann gibt es die Confarreatio und die Coemptio. Sagen dir die etwas?“
    Er musste gar nicht so neugierig dreinschauen, wie er es tat. Schließlich hatten schon vorher die Erwähnung dieser Wörter bei seinem Neffen Verwunderung hervorgerufen.

  • Es erschien dem Knaben schwerlich zu imaginieren, dass einer Ehefrau ein infantiler Rechtsstatus zukommen konnte, was ihm lediglich durch den Umstand erklärlich erschien, dass jedwede Person innerhalb der Familie dem Pater Familias gleichermaßen untertan war. Inwiefern hingegen es possibel sein konnte, dass eine Frau ihrem Manne nicht unterstand, erschloss sich ihm weitaus schlechter.


    Die nun folgende Frage präsentierte sich indessen weitaus diffiziler, da der junge Flavius ob dem Usus der Nuptiae per usum niemals einer andersartigen Heiratsform attendiert hatte als jener.
    "Nein, was ist das?"
    replizierte er dementsprechend, zumal ihm juridische Fragestellungen bei derartigen Angelegenheiten niemals großes Interesse entlockt hatten.

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