Cubiculum|Flavia Domitilla

  • Domitilla begriff recht schnell, dass der Anlass für den Besuch ihres Neffen von gewichtiger Natur war. Es bedurfte lediglich einen Blick in das Gesicht des jungen Flavius, um dies ablesen zu können. Sein gesamtes Auftreten unterschied sich erheblich von dem, wie sie es von ihm gewohnt war. Allerdings konnte sie sich vorerst keinen Reim darauf machen. Doch das sollte sich recht schnell ändern. Eines musste man ihrem Neffen schon lassen, er redete nicht lange um den heißen Brei herum, sondern kam schwindelerregend schnell auf den Punkt.


    Ein wohlwollendes Lächeln hatte sie aufgelegt, als er sich setzte und sich bei ihr bedankte, ihn empfangen zu haben. Für ihn hatte sie doch immer Zeit! Das wusste er sicher auch, denn obwohl sich Neffe und Tante erst seit recht kurzer Zeit kannten, war doch zwischen ihnen ein besonderes familiäres Band entstanden. Domitilla sah in dem fast gleichaltrigen Neffen inzwischen eher einen Bruder. Vielleicht sogar einen Ersatz für Piso, den sie erst in ihrem dreizehnten Lebensjahr kennengelernt hatte und der wenig später in der Blüte seines Lebens aus dieser Welt gerissen worden.
    Doch was der Neffe ihr nun eröffnete, ließ ihr Gesicht förmlich einfrieren. Er hatte eine Vereinbarung getroffen! Mit Tiberius Lepidus! Ausgerechnet mit dem Tiberius, der zwar in religiösen Dingen ein unterhaltsamer Fachmann war, in anderer Hinsicht aber auf sie wie ein kalter Fisch gewirkt hatte. Der Flavia wurde heiß und kalt zugleich. Der Aurelia hatte sie von dem Tiberius vorgeschwärmt, um vor ihr nicht mit leeren Händen da zustehen. Hatte sie etwa ihre Finger mit in diesem Spiel? Und selbst wenn, dann tat sie es nicht aus einer bösen Absicht heraus. Diese Geister hatte selbst herbei gerufen und sie schienen sie nun auf solch infame Weise heimsuchen zu wollen. Ein Schauder, nein ein Schwindel überfiel sie. Zum Wohl unserer Familien also… Alleine diese Worte banden ihre Hände mit unsichtbaren Fesseln.
    Auf diesen Schreck hin brauchte sie unbedingt etwas Wein. Etwas Wein? Nein, am besten die ganze Kanne!
    „Candace, Wein!“,sagte sie mit erstickender Stimme. Die Sklavin hatte den Ernst der Lage erfasst und gehorchte sofort. Sie reichte ihrer Herrin einen Becher, den diese mit einem Zug leerte.


    „Nun, was soll ich sagen…?“ Eigentlich war sie sprachlos. Nein, sie war empört darüber, dass ausgerechnet er sie verkauft hatte. „Weiß der Tiberius bereits davon…. und Manius Gracchus… weiß er davon? Und was ist… was ist mit meinem Vater?“

  • "Natürlich weiß er das, er war heute Mittag hier, wir haben keine Details besprochen, aber wir sind uns einig dass dies ein starkes Zeichen für eine starke patrizische Schicht sei, und beiden Familien Vorteile verspricht." erklärte Scato äußerst sachlich und fuhr fort,
    "Ich weiß dass du überrascht bist, und auch Gracchus und dein Vater wissen noch nichts von unseren Plänen, doch der Tiberius ist ein adäquater Ehemann für dich, aufstrebend, loyal, ein Mann den wir in den kommenden Zeiten gut auf unserer Seite gebrauchen können." weiterhin blieb Scato recht unterkühlt, denn er wusste nicht so recht welche Emotion er zeigen sollte..
    "Wie erwähnt haben wir keinerlei Details besprochen, sodass deine Vermählung und deren Ablauf, dir, oder besser gesagt euch unterliegt." merkte der Flavier noch, eventuell zur Aufheiterung, denn er sah ja dass seine Tante doch daran zu knabbern hatte..

  • Ach, er war bereits hier gewesen! Das wurde ja immer schöner. Wenigstens hatten sie noch keinen Hochzeitstermin vereinbart und die Einladungen verschickt. Domitilla suchte nach einem Ausweg. Ein Schlupfloch. Doch ihr Neffe ließ ihr kaum Platz zum atmen.


    Überrascht? Das ist gelinde gesagt untertrieben. Überfahren wäre wohl das angebrachtere Wort!“ Wie hatte sie sich nur so in ihrem Neffen täuschen können! Warum hatte er sie nicht vorher erst gefragt? Ein solches ignorantes Verhalten hätte sie höchstens von ihrem Vater erwartet, aber doch nicht von ihm!
    Eigentlich hatte ich an ein Bündnis mit den Claudiern gedacht… Aber da du ja bereits alles „klar“ gemacht hast… Wieso hast du mich nicht erst ins Vertrauen gezogen, Caius?! Ist dir mein Wohlergehen so gleichgültig?!“, appellierte sie an ihren Neffen. Der allerdings ließ sich scheinbar davon wenig beeindrucken. Stattdessen gestand er ihr wenigstens zu, sich um den Ablauf der Hochzeitsfeierlichkeiten kümmern zu dürfen, was allerdings sehr wenig zur erhofften Aufheiterung der Flavia betrug. Eher das Gegenteil war der Fall.
    Domitilla erhob sich von ihrem Stuhl. Aus ihrer Miene war wenig herauszulesen, was sie tatsächlich bewegte. „Du solltest jetzt besser gehen, Caius.“ antwortete sie kühl und emotionslos. Es genügte nur ein einziger Blick, den sie ihrer Candace zuwerfen musste, damit diese zur Tür schritt, um sie dem Flavier aufzuhalten.

  • Scato war doch recht überrascht davon dass seine Tante so aus ihrer Haut hatte fahren können, eine Patrizierin welche derartig ihre Zurückhaltung verlieren konnte, war durchaus nicht die Norm in seinen Kreisen.


    Ein Bündnis mit den Claudiern? Scato war bereits äußerst eng mit Claudius Felix verbandelt, und auch Gracchus war der Witwer einer Claudia, sodass der Flavier dort wenig Bedarf sah, und die Tiberiere erholten sich langsam vom Verlust ihres ehemaligen Oberhauptes.
    Pragmatische Gedanken wie diese waren es, welche Scato irgendwie davon abhielten sich weiter mit den Gefühlen seiner Tante zu beschäftigen. Er hatte eine wichtige Entscheidung getroffen, und er würde sein Gesicht sicherlich nicht verlieren indem er eben jene Rückgängig machen würde.


    Er erhob sich, ging zur Tür, und drehte sich nochmal kurz und mit einem kühlen, aber dennoch recht präsenten Blick um..
    "Ich tat was ich tat zum wohle der Familie." erklärte er ruhig, "Du bist darin inbegriffen." fuhr er fort und verließ anschließend den Raum..

  • Ungerührt wartete Domitilla, bis ihr Neffe den Raum verlassen hatte und Candace die Tür hinter ihm schloss. Erst dann brach ihre ganze Wut aus ihr heraus.
    „Dieses Aas! Dieses niederträchtige Aas! Was glaubt er, wer er ist, dass er sich so etwas anmaßt!“ Die Flavia war außer sich und schmetterte ihren Becher gegen die Wand. Schließlich brach sie in Schluchzen aus und ließ sich auf ihr Bett fallen.
    „Was soll ich nur tun, Candace?“, jammerte sie. Die Sklavin trat neben sie. Nach einiger Überwindung nahm sie neben ihr Platz und strich ihr sanft über das offene Haar.
    „Vielleicht ist es besser so, Domina. Der Tiberius wäre eine gute Partie, und außerdem... munkelt man…“ Die Sklavin verstummte, da sie Domitilla nicht noch mehr Kummer bereiten wollte.
    „Was munkelt man?“ Die Flavia hatte sich aufgesetzt und sah der Sklavin mit ihren verheulten Augen direkt ins Gesicht. Candace suchte nach Worten, um ihr das Aufgeschnappte zu unterbreiten.
    „Man sagt, der Claudius habe sich erneut mit seinem Großvater überworfen und er plane wieder nach Britannia zurückzukehren.“
    Nach Britannia! Domitilla seufzte. Zurück zu seinen Söhnen und zu der Erinnerung an seine verstorbene Frau. Er hatte sich also entschieden. Der Gedanke, mit ihm in diese unwirtliche Gegend zu ziehen, um dort Zuflucht vor ihrer Familie zu finden, stieß sie ab. Außerdem würde sie niemals gegen die Frau ankommen können, die einst zu Lebzeiten sein Herz besessen hatte. Hätte sie doch nie ihr Refugium im Apennin verlassen!


    Doch dann besann sie sich wieder an ihre Beweggründe, weshalb sie damals wieder nach Rom zurückgekehrt war. Sie wollte sich ihrer Verantwortung stellen und die Familie unterstützen. Und wie hätte sie dies besser tun können, als mit einer strategisch günstigen Verbindung?


    „Habe ich mich unmöglich benommen… gegenüber meinem Neffen?“, fragte sie unvermittelt die Sklavin.
    „Du warst sehr aufbrausend, Domina. Mehr als es sich für eine Dame deines Standes gebührt.“ Die Sklavin versuchte so sachlich wie möglich zu bleiben und hoffte, ihre Domina würde ihr das nicht übelnehmen.
    Aufbrausend… sinnierte Domitilla einen Moment. Doch dann wandte sie sich entschlossen an Candace. „Du wirst zu ihm gehen und dich dafür bei ihm entschuldigen! Jetzt sofort!“ Candace stand längst wieder neben ihrer Herrin und nickte untertänig. „Und sag ihm, dass ich mit dieser Verbindung einverstanden sein werde… ach ja, ist Philemon eigentlich wieder zurück?“
    „Ja, Domina. - Ich werde nachsehen, Domina.“ Dann verließ die Sklavin das Cubiculum ihrer Herrin.

  • Ein Sklave klopfte an die Tür brachte eine Nachricht von Scato für seine Tante..
    "Domina, Dominus Flavius Scato lädt dich dazu ein ihn heute zu den Spielen zu Ehren von Tiberius Durus zu begleiten." sagte der Junge unsicher und hielt seinen Kopf gesenkt.

  • Domitilla war in ihrem Cubiculum auf und ab gegangen, während sie auf die Rückkehr ihrer Sklavin wartete. Ihre Wut war langsam abgeflaut, doch konnte sie sich noch lange nicht mit dieser neuen Situation abfinden. Vielleicht konnte sie sich ja eines Tages damit arrangieren, den Tiberius heiraten zu müssen, doch von ihrem Neffen, dem sie sich so verbunden gefühlt hatte, so hintergangen worden zu sein, würde sie nicht so einfach wegstecken können. Von nun an würde ihre Beziehung erheblich abgekühlt sein. Zumindest wenn es nach Domitilla ging.


    Ihre Grübeleien wurden schließlich vom Klopfen ihrer Sklavin unterbrochen. Nachdem sie eingetreten war, nahm die Flavia wieder Platz. Einen Moment lang musterte sie Candace. Die Sklavin stand unterwürfig vor ihrer Domina. „Und?!“ fragte sie schließlich.
    „Er hat deine Entschuldigung angenommen, Domina, aber zeigte sich sehr unnachgiebig. Er sagte, er wird zeitnah ein Treffen arrangieren.“ Domitilla nickte nachdenklich. „Zeitnah, also… Und hat er noch mehr gesagt?“
    Candace schüttelte den Kopf. „Nein, Domina.“
    Die Flavia starrte ins nichts und schwieg eine ganze Weile. Zeitnah würde sie also auf den Tiberius treffen. Welch ein dummer Zufall, dass sie ausgerechnet heute Philemon zur Villa Tiberia gesandt hatte, mit der Bitte um einen Termin. Wahrscheinlich glaubte er nun, sie sei in heftiger Liebe zu ihm entbrannt.
    „Was ist mit Philemon?“, fragte sie schließlich. „Er wartet draußen, Domina.“
    Ein Blick der Flavia genügte und Candace ließ den Sklaven eintreten. Philemon verbeugte sich tief vor der Flavia, bereit seiner Domina Bericht zu erstatten.
    „Nun?!“, fragte Domitilla. „Der Tiberius lässt dir die besten Grüße…“, begann Philemon, doch mittendrin wurde er jäh von der Flavia unterbrochen. „Spar dir die Sprachschnörkel! Komm zum Punkt!“ Die Flavia wirkte angespannt, ihre Stimme klang gereizt. Das hatte auch Philemon bemerkt und ging sofort zum wichtigen Teil der Nachricht über. „Der Tiberius möchte dich zur 12 Stunde an den Iden des Maius vor der Regia treffen.“
    In Domitilla Schädel begann es zu arbeiten. Iden des Maius… zur 12. Stunde… „Die Iden des Maius? Das ist schon in ein paar Tagen… Hat er sonst noch eine Bemerkung gemacht?“ Doch der Sklave musste diese Frage mit nein beantworten, was die Flavia allerdings noch nachdenklicher stimmte.

  • Zitat

    Original von Caius Flavius Scato
    Ein Sklave klopfte an die Tür brachte eine Nachricht von Scato für seine Tante..
    "Domina, Dominus Flavius Scato lädt dich dazu ein ihn heute zu den Spielen zu Ehren von Tiberius Durus zu begleiten." sagte der Junge unsicher und hielt seinen Kopf gesenkt.


    Es waren bereits einige Tage vergangen, seitdem ihr Neffe sie über seine Pläne unterrichtet hatte, die er mit ihr hatte. Seitdem war es still geworden zwischen den beiden. Domitilla mied seine Gesellschaft und sprach kein Wort mit ihm. Umso überraschter war sie, als eben jener Sklave in ihrem Cubiculum erschien und ihr Scatos Einladung überbrachte.
    Domitilla fühlte sich hin und hergerissen. Zum Einen wäre sie liebend gerne zu den Spielen gegangen, andererseits konnte sie gerne auf die Gegenwart ihres Neffen verzichten. Natürlich ahnte sie, warum er ausgerechnet mit ihr zu den Spielen erscheinen wollte. So gut hatte sie ihn mittlerweile kennengelernt. Alles was er tat, geschah aus einem bestimmten Grund heraus.
    „Sag ihm, ich bin unpässlich!“, platze es aus ihr heraus. Der Sklave wollte bereits gehen, als sie es sich scheinbar doch anders überlegt hatte. „Halt! Sag ihm, dass ich seine Einladung annehme.“

  • Nach einem erquickendem Bad, welches sie aber nur suboptimal genießen konnte, hatte sich Domitilla in ihr cubiculum zurückgezogen. Begleitet wurde sie von einer für sie fremden Sklavin, die für die Leibsklavin der Flavia eingesprungen war. Das Mädchen hatte sich im balneum die größte Mühe gegeben, um den hohen Ansprüchen der Flavia gerecht zu werden. Dennoch konnte sie nach Domitillas Ansicht nicht mit deren Leibskavin mithalten. Der Grund für Candaces fehlen war auf einen Auftrag zurückzuführen, den sie ihr unmittelbar nach der cena übertragen hatte. Domitilla hatte darin sozusagen eine letzte Möglichkeit gesehen, vielleicht dem Unvermeidlichen doch noch entgehen zu können - der Heirat mit dem Tiberius.


    Nach dem Bad hatte sie eine sehr bequemen Tunika bevorzugt, in die sie sich von der Sklavin einkleiden ließ. Inzwischen hatte sie es sich auf ihrer Kline behaglich gemacht. Einige Stunden zuvor hatte ihre Leibsklavin mit einer Liste ihrer Herrin die heimische Bibliothek betreten. Auch wenn ihr Mago, der alte Bibliothekar immer noch unheimlich war, war sie dennoch erfolgreich gewesen und hatte die gewünschten Schriften ins cubiculum der Flavia schaffen können. Unnötig zu erwähnen, dass der Bibliothekar sie mehrmals darauf hingewiesen hatte, wie empfindlich die Schriftrollen waren und dass sie Weinflecken so gar nicht gut vertrugen.


    Domitilla griff zu einer der Schriftrollen, Ovids „ars amatoria“ und begann zu lesen. Getreu dem Motto viel hilft viel hatte sie sich zur Sicherheit alle drei Bände kommen lassen. Allerdings fehlte es der Flavia an der nötigen Konzentration, um sich voll und ganz dem geschriebenen Wort widmen zu können. Immer wieder sah sie auf, schien zu sinnieren, dann lenkte sie den Blick seufzend auf die Sklavin, die sich still am Rand des Zimmers postiert hatte, damit sie sich um eventuell ausgesprochene Wünsche ihrer Herrin sofort kümmern konnte. Schließlich senkten sich wieder die Augen der Flavia, suchend auf den Papyrus, um wieder die Stelle zu finden, an der sie stehengeblieben war.

  • Die Zeit schien einfach nicht fortschreiten zu wollen. Der Flavia wollte es einfach nicht gelingen, sich auf die Schriftrolle in ihrer Hand zu fokussieren. Schließlich legte sie sie entnervt zur Seite und starrte ins Nichts. „Wein!“, befahl sie der Sklavin nach einer Weile, die sich auch sofort daran machte, einen Becher zu füllen und ihn der Flavia zu reichen. Hastig trank Domitilla. Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie ihr Blick zur Tür ging. Doch die Tür schien versiegelt zu sein. Niemand kam, niemand klopfte an – Stille. Unerträgliche Stille. Ihre Ungeduld wuchs mit jeder Sekunde. Jeder Herzschlag wurde unerträglich. Seufzend veränderte sie ihre Lage auf der Kline, bis es ihr schwerfiel, die richtige Position zu finden. Letztendlich hielt sie nichts mehr auf der Kline. Hektisch spritzte sie auf und lief nervös durch das Zimmer umher.


    Gefühlte Stunden später erschallte endlich ein befreiendes Klopfen an der Tür. Die Sklavin öffnete und ließ die Leibsklavin der Flavia eintreten. Sie selbst verabschiedete sich mit einer stummen Verbeugung und eilte erleichtert davon.
    „Und??!!“, war Domitillas erste Frage in einem äußerst bestimmten und fordernden Ton. Ihrer Sklavin sah man es förmlich an, dass sie nicht wirklich befriedigende Nachrichten mitgebracht hatte. Auf dem Weg zurück hatte sich Candace überlegt, wie sie es ihr am schonendsten beibringen konnte – in gewisser Weise auch schonend für die Sklavin selbst.
    „Domina, ich bitte um Vergebung, aber der Dominus war nicht zugegen. Ich konnte nur mit seinem Bruder sprechen,“ begann sie schließlich.
    „Ja und!!??“ Des langen Wartens mehr als überdrüssig geworden, drohte die Flavia, langsam ungehalten zu werden. Candace wurde es immer unbehaglicher zumute. Hoffentlich ließ die Domina ihre schlechte Laune, ob der unerquicklichen Neuigkeiten an ihr aus.
    „Leider konnte mir Dominus Claudius nicht sagen, wo er sich aufhält. Er sagte, er hätte ihn seit Wochen nicht mehr gesehen. Aber er meinte, er sei heute als Gast deines Neffen in der Villa Flavia zugegen und würde an der cena teilnehmen.“


    „Seit Wochen?! Aber, wie ist das möglich? Es MUSS doch jemand wissen, wohin er gegangen ist!!“ Die Flavia bebte innerlich und hatte anfangs dem letzten Satz ihrer Sklavin kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Am liebsten hätte sie alle ihre Wut, ihre Enttäuschung, ihren Schmerz laut hinaus geschrien. „Hat Felix sonst noch etwas gesagt?“
    „Ich fragte ihn, ob man bald mit der Rückkehr des Dominus rechnen könne. Er meinte darauf, dass es möglich wäre… doch…“ Die Sklavin zögerte. Sie wusste nicht recht, ob sie weitersprechen oder es dabei bewenden lassen sollte. Doch die Flavia war in dieser Beziehung unbarmherzig. Sie trat in bedrohlicher Weise noch näher an ihre Sklavin heran, ließ aber vorläufig noch von ihr ab. „Ja?! Was wolltest du sagen?? Nun sprich schon, dummes Ding!!“
    Candace hatte den Drang, zurückzuweichen, weg aus der Gefahrenzone. Jedoch verblieb sie dort, wo sie stand, um ihre Herrin nicht noch mehr zu reizen. „Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat, aber ich sah eine Art Traurigkeit in seinem Gesicht, als er über seinen Bruder sprach…,“ brachte sie endlich, wenn auch etwas zögerlich, heraus. Die Augen ihrer Herrin verengten sich daraufhin. Nun reichte es aber! Sie pfiff darauf, was ihre Sklavin glaubte oder auch nicht glaubte. Sie wollte einzig allein Fakten! Nur das zählte. „Eine Traurigkeit also…? Ja?!“ Sie konnte nicht weiter an sich halten. Blitzschnell ergriff sie das rechte Handgelenk der Sklavin und zog hefig daran. Gleichzeitig erhielt die Sklavin eine schallende Ohrfeige.
    „Was verheimlichst du mir, elendes Scheusal?!“, schrie sie nun ungehemmt.
    Die Sklavin war nun doch einen Schritt zurückgewichen. Ihre Wange brannte wie Feuer, worauf ihr die Tränen in die Augen schossen. „Nichts, Domina. Ich verheimliche dir nichts!“, beteuerte die Sklavin schluchzend.


    Die Wut der Flavia war inzwischen in Trauer umgeschlagen. Sie ließ von ihrer Sklavin ab, taumelte einige Schritte zurück. Ihre Standhaftigkeit drohte zu versagen, bis schließlich ihre Knie einknickten und sie vor Candace zu Boden ging. Die Sklavin, die soeben noch den Zorn ihrer Herrin am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte, eilte ihr zu Hilfe. Neben ihr kniend, stützte sie Domitilla, die einem Häufchen Elend gleich, schluchzend und jammernd jegliche Contenance verloren hatte. Liebevoll und tröstend strich sie ihr übers Haar. „Ist schon gut, Domina. Ich bin bei dir,“ wisperte sie leise.
    Tief in ihrem Inneresten empfand sie eine Geborgenheit, die ihr schon lange nicht mehr zuteil geworden war. Einfach gehalten und getröstet zu werden, so wie es früher immer ihre Kinderfrau getan hatte.
    „Es ist so ungerecht, Candace!“, jammerte sie schluchzend.
    „Ja, das ist es,“ gab sie Sklavin zurück und streichelte sie weiter.
    „Fühlt es sich so an, wenn man unfrei ist?“, fragte die Flavia nach einer Weile. Niemals zuvor hatte sie einen Gedanken daran verschwendet, wie sich die Sklaven um sie herum fühlten mussten, täglich den Launen ihrer Herrschaften ausgesetzt zu sein und keinerlei Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation zu haben.
    „Manchmal…“, gab die Sklavin freimütig zurück. „Doch es gibt auch hellere Tage.“
    „Es tut mir so leid…“ schluchzte Domitilla unter Tränen. Alles schien so hoffungslos. Ausgerechnet ihre Sklavin, die sie nun so aufopfernd tröstete, hatte sie geschlagen. Sie fühlte sich noch schlechter. Doch Candace hielt sie weiterhin zärtlich umschlangen. „Ist schon gut, Domina. Ist schon gut!“
    Eine ganze Weile hielten Sklavin und Herrin eng umschlungen noch inne, bis es Zeit war, sich für die cena zurecht zu machen...

  • Es gab vieles, was die Flavia beschäftigte. Dinge, die so vertraulich waren, dass es ihr schwer fiel, mit jemand darüber zu sprechen. Es mangelte Domitilla einfach an einer engen Vertrauten, so wie es meist Mütter für ihre Töchter waren. Domitillas Mutter jedoch war weit weit weg in ihrer Villa in Aquileia. Außerdem hatte sie sie bereits seit Jahren nicht mehr gesehen. Aber auch früher war Horatia Lepida nicht das gewesen, was man eine umsorgende Mutter nannte. Mit ihr hatte sie niemals eine wirklich enge Beziehung verbunden. Wenn Domitilla immer etwas auf dem Herzen gehabt hatte, dann war es stets die Kinderfrau gewesen, die sich ihr angenommen hatte. Almathea hatte sie wie eine eigene Tochter geliebt, genauso wie sie die Kinderfrau wie eine Mutter geliebt hatte, obwohl sie doch nur eine Sklavin ihrer Mutter gewesen war. Gerade in den letzten Tagen war es ihr wieder schrecklich bewusst geworden, wie sehr ihr Amalthea gerade jetzt fehlte.
    Neuerdings aber hatte das Verhältnis zu ihrer Sklavin Candace eine positive Wendung genommen. Zwar hatte die Flavia ihre Sklavin recht schnell wieder spüren lassen, welchem Stand sie angehörte. Doch sie hatte nicht vergessen, wie beseelt sich die Sklavin ihr gegenüber verhalten hatte. Insgeheim war ihr bewusst geworden, wie wertvoll die Sklavin doch für sie war.


    Wie gewöhnlich hielt sich die Leibsklavin in der Nähe ihrer Herrin auf. Der Nachmittag versprach beschaulich zu werden. Domitilla hatte einen weiteren Versuch gestartet und sich den ausgeliehenen Schriften Ovids angenommen. Diesmal gelang es ihr sich tatsächlich, sich in die Materie einzulesen. Doch von jeher war die junge Flavia keine Freundin der schnöden Theorie gewesen. Bereits als Kind hatte ihr Forscherdrang sie zu unorthodoxen Aktionen verleitet. Letztendlich lösten sich ihre Sinne von „ars amatoria“ und sie sah auf.
    „Candace..“ Die Augen der Sklavin trafen auf die ihrer Herrin. „Ja, Domina?“
    „Hast du jemals bei einem Mann gelegen?“, fragte sie in einem ruhigen Ton. Allerdings schien sie damit die Sklavin ein wenig zu überraschen. „Äh, wie bitte? Äh, nein Domina.“
    „Und was war mit diesem claudischen Sklaven? Wie hieß er noch gleich?“ Der Flavia war es spätestens an der Wahlsiegfeier ihres Neffen aufgefallen, dass Candace etwas für diesen kräftigen Burschen empfunden hatte.
    „Dracon, Domina…. Äh, nein. Ich habe nicht bei ihm gelegen.“ Der Sklavin war dieses Thema ein wenig peinlich. Eigentlich war es nur ihrer Scham geschuldet, weshalb sie die Beziehung zu dem Sklaven nicht weiter vertieft hatte… und nun war er verschwunden, zusammen mit seinem Herrn. Die Flavia nickte nur bedächtig. Dann versuchte sie wieder weiterzulesen. Irgendetwas aber schien sie zu beschäftigen. Nach einer Weile versuchte sie es schließlich erneut. Diesmal verbannte sie Ovid auf ein Tischchen, welches neben ihrer Kline stand.
    „Candace…“ Wieder schaute die Sklavin auf. „Ja, Domina?“
    „Kannst du mir sagen, wie ich einen Mann lieben soll, für den ich absolut nichts empfinde?“ Noch immer klang die Stimme der Flavia ruhig und sachlich. „Die Liebe kommt sicher irgendwann, Domina“, meinte die Sklavin oberflächlich, obwohl sie davon keine Ahnung hatte. Zweckehen waren in den Kreisen ihrer Herrin doch etwas ganz alltägliches. Allerding war dies eine der Antworten, die die Flavia nicht wirklich hören wollte.
    „Ja sicher… aber was ich meine, ist nicht die sinnliche Liebe, sondern eher der körperliche Aspekt dabei.“ Die Sklavin schien nun endgültig perplex zu sein. Krampfhaft begann sie nach einer Antwort zu suchen. „Vielleicht… vielleicht solltest du es einfach deinem Gatten überlassen…, “ meinte sie schließlich.
    „Meinem Gatten?“, fragte Domitilla skeptisch. „Und wenn der nur frigide und abgestumpft ist? Was dann?“
    Aber darauf wusste auch die Sklavin keine Antwort. Die Flavia griff wieder nach ihre Schriftrolle, so dass sie bald wieder darin vertieft war. So verging Stunde um Stunde. Doch eine hilfreiche Antwort fand sie auch dort nicht.
    „Candace! Richte für mich eine Tunika. Eine von den alten, schlichteren! Ich möchte in die Stadt gehen.“

  • Beschwingt betrat Domitilla ihr Reich. Nachdem ihre Sklavin die Tür hinter ihr schloss, brach sie in schallendes Gelächter aus und umarmte die völlig verdutzte Sklavin, die mir so viel Körperkontakt nicht im Mindesten gerechnet hatte. Doch natürlich freute sich auch Candace für ihre Herrin über diese wunderbare Wendung der Dinge.
    Dennoch beschäftigte die Sklavin etwas, was sie sie die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt und ihrer Herrin bislang vorenthalten hatte. Bis jetzt hatte sie gehofft, das Geheimnis um den wahren Verbleib ihres claudischen Verehrers für sich behalten zu können. Schließlich war sie ja der Überzeugung gewesen, die Flavia würde schon bald den Tiberius ehelichen. Eine Schreckensnachricht, wie die, die ihr Dracon mitgeteilt hatte, wäre da nur im Wege gewesen. Doch nun hatte sich das Blatt gewendet und fast alle Möglichkeiten standen der Flavia wieder offen. Candace war sich nun ganz sicher, dass Domitilla die Wahrheit erfahren musste. Auch wenn sie schmerzhaft war für sie beide. Für die Flavia, weil sie einen geliebten Menschen verloren hatte und für die Sklavin selbst, weil sie diese Nachricht so lange zurückgehalten hatte und damit ihre Domina erzürnen konnte.
    „Domina,“ begann sie nun zaghaft mit ihrer Beichte. Jedoch fand sie bei ihrer Domina wenig Beachtung, da diese noch damit beschäftigt war, ihren Triumph auszukosten. Zufrieden ließ sich Domitilla in den Stuhl vor ihre Kommode fallen. Sie erwartete nun, von ihrer Sklavin abgeschminkt zu werden. Dabei fiel ihr plötzlich ein ungeöffneter Brief ins Auge, der ein Sklave in der Zwischenzeit hier in ihrem Gemach deponiert haben musste. Ihre Heiterkeit war schnell verflogen. „Von wem ist dieser Brief?“, fragte sie ihre Sklavin.
    Candace, die auf ihre Domina einen leicht entrückten Eindruck machte, trat endlich näher, besah sich den Brief und stellte erleichtert fest, dass es kein flavisches Sigel war, welches auf ihm prangte.
    „Er ist nicht von deinem Vater, Domina. Vielmehr stammt er aus der Feder von Sergia Fausta. Du erinnerst dich sicher. Du warst zu Gast auf ihrer Hochzeit.“
    Natürlich erinnerte sich Domitilla, alleine schon des Hochzeitkleides wegen. Sie erinnerte sich auch an ihr erstes Zusammentreffen mit der Sergia in den Thermen… eine Frau, die man sich nicht zur Feindin machen sollte.
    „Sergia Fausta?“, fragte die Flavia erleichtert. „Lies vor, was schreibt sie?“
    Die Sklavin begann daraufhin den Brief vorzulesen:




    SERGIA FAUSTA



    Ad Flaviam Domitillam
    Villa Flavia Felix
    Rom - Italia



    Sergia Fausta Flaviae Domitillae s.d.


    Wie geht es dir, geschätzte Flavia? Ich hoffe, du befindest dich wohlauf, bist glücklich und rundherum zufrieden! Denn andernfalls dürfte ich dir auch sicherlich nicht schreiben, dass es mir gerade fantastisch geht! Flavia, ich möchte dich ganz herzlich einladen in die Casa Iulia, um an meinem kleinen und zugleich großen Glück namens Marcus Iulius Dives Minor, geboren an den vergangenen Meditrinalien, für einen Moment teilzuhaben!


    Bei meinem Großvater Marcus Sergius Stephanus (er war einst ein treuer Klient des Senators Flavius Felix!), ich würde mich wirklich freuen, wenn du kämest! Und es soll auch dein Schaden bestimmt nicht sein:
    Ich will nichts vorweg nehmen, aber hast du zum Beispiel von der Eheschließung zwischen dem Senator Duccius und dieser Tiberia Lucia gehört? Ich war hautnah dabei gewesen bei diesem Skandal! Denn hast du zum Beispiel gewusst, dass ihr Bruder Tiberius nicht lange vorher ausgerechnet vom duccischen Senator (und gegen die Stimmen der Vertreter von Gerechtigkeit, von Objektivität und Transparenz!) eine Auszeichnung für seine Amtszeit als Vigintivir zugeschanzt bekam?!? Ohne zu behaupten, dass dieses "Diploma" nun ganz ungerchtfertigt war (obwohl mein Mann so eins, finde ich, mindestens genauso verdient hätte!), riecht das doch förmlich danach, dass der Kerl seine eigene Schwester nur für so ein.. Ding aus dem gehobenen Luchsbau direkt in eine raue Wolfshöhle warf!


    Ist das nicht schockierend?


    Ich verbleibe in positiver Erwartung deiner Antwort und wünsche dir von allem, wie es einer Flavia gebührt, nur das beste!
    Vale bene!


    /images/signet/Siegel_Sergia.png


    Sergia Fausta
    ANTE DIEM XI KAL NOV DCCCLXIV A.U.C.
    Casa Iulia | Rom | Italia


    “Eine Einladung!”, kommentierte Domitilla das Gehörte grinsend. „Wie schön! Das kommt mir sehr gelegen. Was könnte denn schöner sein, als ein entspannter Nachmittag mit einer guten Freundin, um ihren kleinen Sohn willkommen zu heißen?“… und dabei den allerneusten Tratsch über ihren Ex-Verlobten zu erfahren. Nein, es konnte wahrhaftig nichts schöneres geben!

  • Candace öffnete die Tür, trat ein und gab auch Evridiki ein Zeichen, es ihr gleich zu tun. Dann näherte sie sich um einige Schritte der Flavia, die lesend in einem der Sessel saß und ihrer Sklavin erst gar keine weitere Beachtung schenkte.
    Die Sklavin verschaffte sich durch ein dezentes Räuspern Aufmerksamkeit, bevor sie die Flavia ansprach. Ihre Haltung aber wirkte eher unterwürfig. „Domina, ich konnte heute auf dem Sklavenmarkt eine neue Sklavin für deinen Haushalt finden.“ Gespannt harrte sie darauf, wie sich die Flavia zu „ihrem Kauf“ äußern würde. In dieser Hinsicht konnte Domitilla sehr unberechenbar sein. Doch wie es schien, war sie heute gutgestimmt, was durchaus an dem gestrigen Gespräch mit ihrem Cousin liegen konnte.


    Die Flavia sah von ihrer Schriftrolle auf, fokussierte dann zuerst ihre Leibsklavin und lenkte schließlich ihren Blick zu der neuen Sklavin, die sie von Kopf bis Fuß musterte. Ein junges Ding. Nicht zu hässlich. Das ist gut. Ob sie auch sprechen kann? Letzteres wollte Domitilla auf der Stelle herausfinden, ohne ihrer Candace weiter Beachtung zu schenken. Mit einer Handbewegung forderte sie die junge Frau auf, näher zu treten.
    „Wie ist dein Name?“, fragte sie dann. „Ihr Name ist Evridiki, Domina und sie kommt…“, platze es aus Candace vorlaut heraus, was der Flavia aber sehr missfiel. Sogleich strafte sie sie mit einem mürrischen Blick und funkte ihr ungehalten dazwischen. „Habe ich dich gefragt?!“
    Die Leibsklavin, die sich sofort ihres Fehlers bewusst geworden war, schien nun am liebsten im Boden zu versinken. „Bitte verzeih, Domina“, fügte sie kleinlaut hinzu und hielt sich von nun an eher im Hintergrund. Zu dumm dass sie ihren eigenen Ratschlag nicht befolgt hatte...


    „Na los, erzähle mir etwas über dich!“, forderte sie die neue Sklavin leicht gereizt auf. Die Neue tat gut daran, sich es nicht von Anfang an mit ihrer Domina zu verscherzen.

  • Evridiki folgte der Leibsklavin in ihrer Ansicht nach gebührendem Abstand. Will heißen, einen guten halben Meter ließ sie schon Platz, allein schon deshalb, weil es wohl nicht sonderlich toll wäre, der einzigen Bekannten in dieser neuen Umgebung in die Hacken zu treten oder ähnliche Dummheiten zu produzieren. Ihren Kopf hielt sie gesenkt, scheinbar unglaublich interessiert am Fußboden - oder einfach nur, wie immer, betont unterwürfig. Mit der linken Hand am rechten Handgelenk kämpfte die Griechin nebenbei gegen den Drang an, weiter an der wunden Stelle herumzureiben. Zur Ablenkung konzentrierte sie sich auf eine möglichst flache Atemtechnik, um bloß nicht zu laut zu sein - denn wie empfindlich genau ihre neue Domina sein würde, das hatte Candace nicht verraten.


    Während des kleinen Intermezzos zwischen Domitilla und Leibsklavin zuckte die Neue kurz zusammen, behielt ihre Fassung aber größtenteils. Erst als sie direkt angesprochen wurde, gingen ihre nach außen hin erkennbaren Handlungen über das reine folgsame "Hinterher-Gehen" hinaus. So hob sie tatsächlich kurz den Blick, stets darauf achtend, nicht etwa durch ein zu weit vorgeschobenes Kinn zu forsch zu wirken, und schenkte der Domina ein dezentes Lächeln. Das konnte hoffentlich kaum schaden - oder doch?
    In jedem Fall kam die geforderte Auskunft bald, relativ leise, aber mit einer sehr sauberen Aussprache, und in einem Ton, der irgendwo zwischen Apathie und zurückhaltender Höflichkeit einzuordnen war: "Ich heiße Evridiki und stamme aus Athen. Dort bin ich geboren, und dort wurde ich für den Dienst als persönliche.. Assistentin...", an dieser Stelle hakte sie kurz - denn aus irgendeinem Grund fiel es ihr trotz allem nicht immer einfach, sich selbst als Sklavin zu bezeichnen - ehe sie wieder ansetzte, "Also als arbeitsfähige Begleitung eines gut situierten Dominus herangezogen. Das beinhaltete meine Funktion als private Sekretärin des besagten Dominus, weshalb ich notwendigerweise lesen und schreiben kann, im Griechischen wie im Römischen, und für den damaligen Dienst ausreichende Kentnisse der Mathematik vorweisen kann. Falls Unterhaltungszwecke von Bedeutung sind, muss ich erwähnen, dass mir Musik und Tanz den griechischen Traditionen gemäß nicht fremd sind, es jedoch anmaßend wäre, dies als eine hervorstechende Qualität meinerseits zu benennen. Welche Arbeitsgebiete und -umstände mir jedoch in diesem Haus zuzuweisen sind, liegt mit Sicherheit nicht in meinem Ermessen und das Gesagte soll lediglich meine bisherige Historie und damit zusammenhängende Gebrauchsweise darstellen."
    Das alles war hoffentlich gleichzeitig ausführlich und unverfänglich genug und so schloss sie den Vortrag, der dann ja doch noch ziemliche Ausmaße angenommen hatte, und senkte den Kopf wieder. Gleichzeitig schalt sie sich innerlich selbst: "Sklavin", was war daran so schwer zu sagen? Nichts Anderes war sie doch. Und sie wusste es, jeder wusste es, warum also darum herumreden? So starrte sie leicht zerknirscht, was sie natürlich nicht zu zeigen bemühte, den Boden an und wartete auf das Urteil ihrer neuen Domina - inzwischen eher besorgt bis verängstigt als hoffnungsfroh.

  • Domitilla hatte die Schriftrolle inzwischen beiseite gelegt.Die Sklavin hatte nun ihre volle Aufmerksamkeit. Das schüchterne Ding trat sogleich auch etwas näher, hob kurz seinen Kopf an und lächelte die Flavia an, was an sich wohl nicht schlimm gewesen wäre. Die Flavia jedoch fand dies doch sehr befremdlich, so dass sich, ganz nach flavischer Manier, ihre rechte Augenbraue hob. Eine Sklavin hatte sie nicht anzulächeln! Nicht, wenn es dazu keinen passenden Anlass gab. Doch vorerst wollte sie diesen Fauxpas nicht ahnden. Noch genoss Evridike eine gewisse Art von "Welpenschutz". Aber vielleicht konnte sie ja auf andere Weise bei ihre neuen Domina punkten.


    In der Tat das konnte sie! Das Mädchen begann zu sprechen. Zwar sprach sie leise, fast zu leise, doch hing ihrer Sprache kein Akzent an, wie es gelegentlich bei Sklaven aus fremden Ländern der Fall war. Sie war Griechin, aus Athen. Sehr gut! Doch Domitillas Mine schien unbewegt, mit keinerlei Regung zeigte sie ihre Anerkennung. Nicht einmal Candace gegenüber, die tatsächlich ein gutes Händchen bei Kauf der Sklavin bewiesen hatte.
    „Als persönliche Assistentin? Aha…“ Mit dieser Formulierung hatte sie die Flavia nun doch überrascht. Offenbar hatte sie Sklavin ein Problem mit dem Offensichtlichen. Das konnte wohl daran liegen, dass man ihr in der Vergangenheit nicht mit der notwendigen Strenge begegnet war, die bei einem Sklaven durchaus angebracht war, damit er oder sie nicht vergas, wo ihr Platz war.


    Doch Domitilla lauschte den Ausführungen Evridikis weiter. An sich fand sie die Aufzählung ihrer Fähigkeiten sehr beeindruckend. Die Sklavin schien ein wahrer Juvel zu sein und was ihr besonders wichtig war, eine Bereicherung für ihren Haushalt. Außerdem besaß sie die Gabe, sich adäquat auszudrücken. Man konnte sie neben sekretärischen Aufgaben auch als Botin zum Überbringen verbaler Nachrichten einsetzen. Das Mädchen musste ein Vermögen gekostet haben!
    „Nun gut, Evridiki. Das hört sich ja alles sehr ansprechend an. Doch wenn ich all das höre, stellt sich mir eine Frage. Sage mir, weshalb hat dich dein 'gut situierter Dominus' veräußert?“ Gab es da einige Aspekte, denen sie vielleicht weniger Beachtung geschenkt hatte und sie daher schlichtweg 'vergessen' hatte?

  • Prompt kam die Erwiderung: „Bitte verzeih mir Domina, ich hätte das eher klarstellen sollen: Mein Dominus starb des Alters wegen, er hat mich nicht veräußert. Jedoch hatte seine Tochter, in deren Besitz ich fallen sollte, keinen weiteren Nutzen für mich, denn ihr Bedarf an Arbeitskräften war bereits gedeckt.” Das sollte wohl als Erklärung ausreichen, und so verfiel die neue Sklavin wieder in Schweigen. Aufrecht stand sie da, zitterte zwar nicht, begann aber der Nervosität wegen, wieder an ihren Handgelenken zu reiben. Immer wieder sah sie auf, doch größtenteils galt ihr Blick noch immer dem Fußboden.


    War das jetzt zu direkt, zu indirekt? Hätte es für den Tod nicht eine schönere, vorsichtigere Umschreibung gegeben? Jetzt war es in jedem Fall zu spät und so hoffte Evridiki, sich mit ihrer naiven Plapperei keine Feinde gemacht zu haben. Doch ganz so launisch wirkte die neue Domina doch tatsächlich nicht, Candace mochte gar übertrieben haben. Aber da sich die Griechin ohnehin vorgenommen hatte, über die nächste Zeit hinweg eine perfekte Muster-"Bedienstete" abzugeben - ja, die Nomenklatur war so eine Blockade bei ihr - waren Überlegungen, die in eine widerspenstige Richtung führen würden, oder gar mit dem Gedanken spielten, das Wohlwollen der Oberen auszunutzen, sowieso hinfällig.

  • Die Flavia musste nicht lange auf eine Erwiderung warten. Offenbar gab es eine gute Erklärung dafür, weshalb die Sklavin zur Versteigerung auf dem Sklavenmarkt gelandet war. Natürlich! Der Tod! Und die Erbin wusste nichts, mit ihr anzufangen!
    „Nun ja, das wäre eine plausible Erklärung…“, meinte Domitilla nachdenklich. Eigentlich konnte sie rundum zufrieden sein. Also warum zögerte sie noch lange? Ihrer Leibsklavin war in der Tat ein guter Fang gelungen. Und die Ausführungen ihrer neuen Sklavin über deren Fähigkeiten hörten sich auch sehr positiv an, um nicht zu sagen phänomenal!. Offenbar war sie das perfekte Pendant zu ihrer Candace, die in kosmetischen und modischen Fragen sehr hilfreich war und außerdem über die besondere Gabe des Zuhörens und der fehlerlosen Wiedergabe des Gehörten verfügte.


    „Nun gut!“, meinte endlich die Flavia. „Dann will ich es mit dir versuchen. Ab sofort wirst du nun meine „Assistentin“ sein. Du wirst meine Korrespondenz erledigen und mich, gemeinsam mit Candace, in der Öffentlichkeit begleiten. Du wirst meine Augen und Ohren sein und auch meine rechte Hand.“ Domitilla grinste raffiniert bei dieser Vorstellung. Die neue Sklavin war gut beraten, diese scheinbar freundliche Geste, nicht als solche aufzufassen. Indem die Flavia sie zu ihrer Sekretärin machte, wurde sie automatisch zur Mitwisserin ihrer intimsten Geheimnisse. Wehe ihr, sollte sie sich einmal verplappern!
    "Meinst du, du bekommst das hin?"

  • „Das bekomme ich hin, Domina.”, antwortete die Griechin mit der üblichen Ruhe. „Und auch wenn ich nicht in der Position bin, deine Entscheidungen zu beurteilen, muss ich doch anmerken, dass dieses Aufgabenfeld mir persönlich besser zusagt, als so manch andere mögliche Vorstellung.” Damit meinte sie letzten Endes nur, dass die ihr von Domitilla zugewiesene Stellung in dem der Sklavin eigenen Weltbild ziemlich gut zu dem passte, wofür sie doch ihr Leben lang herangezüchtet worden war. Ob sich diese Einschätzung bewahrheiten würde, würde sich früh genug zeigen. Doch natürlich verschafften ihr die Worte - und das Grinsen - ihrer neuen Domina ein durchweg positives Bauchgefühl, vielleicht sogar ein Stück Sicherheit, das ihr in den letzten Wochen im Pferch des Sklavenhändlers gefehlt hatte. Das Mädchen wurde gar ein wenig entspannter, sah auch mal zu Domitilla auf - freundlich lächelnd natürlich - und fuhr sich mit einer Hand durch das dunkle Lockenhaar. Die Nervosität war noch da, aber da sich im Moment alles in die richtige Richtung zu entwickeln schien, gab es zunächst einmal wohl nichts zu befürchten.

  • „Große Worte von einer kleinen Sklavin. Nun wir werden sehen.“ Domitilla lächelte spöttisch, ob der überaus gesunden Selbsteinschätzung ihrer neuen Sklavin. Sie glaubte, sich auf sicherem Terrain zu bewegen. Doch wenn sie nicht auf der Hut war, stolperte sie und fiel hinab in den tiefen Abgrund, von dem es kein Entrinnen mehr gab. Dann war diese vielgepriesene Sklavin nur eine von vielen, die in der Masse unterging und ihr belangloses Dasein mit stupiden Dingen, wie putzen oder Staub wischen fristen musste.


    „Gut, setz dich hierher, an meinen Schreibtisch. Nimm dir eine Tabula und schreibe einen Brief.“ Vom Selbstbewusstsein der Sklavin angestachelt, hatte sich die Flavia dazu entschieden, die Fähigkeiten ihrer neuen Sklavin auf der Stelle zu erproben. Aber natürlich wollte sie es Evridiki nicht zu einfach machen. Diktate schreiben kann jeder. Die Kunst des Schreibens lag in der Fähigkeit, gekonnt zu formulieren. Für eine Sklavin, die gewohnt war, nur das zu schreiben, was man ihr soufflierte, musste dies ein enorm großes Stück Freiheit darstellen. Für diesen Test wollte sie Evridiki diese Freiheit wenigstens einmal gewähren. Ob sie ihm gewachsen war, musste sich erst noch erweisen.
    „Einen Brief an meinen Vater!“ Allein der Gedanke an ihn verfinsterte ihren Blick. „Schreib ihm, wie sehr ich überrascht war, als ich von seiner Wahl, betreffend meines zukünftigen Ehemanns, hörte.“ Noch hatte sich die Flavia im Griff. Sie schäumte zwar innerlich vor Wut, zeigte es aber noch nicht so offensichtlich. Wahrscheinlich hätte nur eine vertraute Sklavin, wie Candace es war, die Gefahr gerochen. „Schreib ihm, wie untröstlich ich bin, ihm mitzuteilen, dass ich diesen Mann nicht heiraten kann, da ich dadurch Gefahr laufe, die Schwägerin eines wilden barbarischen dahergelaufenen germanischen Homo Novus zu werden.“ Ihr Äußeres konnte jedoch nicht mehr lange ihre geladene Gefühlslage verbergen. Je mehr sich ein gewisser Duccius Vala vor ihr inneres Auge drängte, umso mehr errötete sie vor Zorn, obwohl es bislang noch keine Gelegenheit gegeben hatte, dem Duccius von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Jedoch konnte die Flavia auf diese Gelegenheit auch getrost verzichten.
    „Schreib ihm das!“ Ihre Stimme war von ein ums andere Mal immer lauter geworden. Fast schon schrie sie nun. Doch sie fing sich recht schnell wieder, denn dies sollte ja nur ein Test sein.
    Sie ließ der Sklavin noch ein paar Minuten Zeit, doch dann wollte sie das Resultat ihres Könnens sehen, beziehungsweise hören.
    „Also! Lies vor!“, befahl sie mit einer Spur Strenge in ihrer Stimme.

  • Evridiki nickte nur eifrig vor sich hin, schnappte sich besagte Tabula und lauschte zunächst den Ausführungen ihrer Domina. Als dann die Rede von dem "wilden barbarischen dahergelaufenen germanischen Homo Novus" war, schluckte sie. Doch ob der Signale, die Domitillas Körpersprache aussandte - die Röte, der finstere Blick - musste sie sich einen Kommentar dahingehend wohl verkneifen, auch auf Fragen verzichten und einfach das tun, was ihr befohlen worden war. Genug Taktgefühl, um aus einem Brief kein Hassschreiben werden zu lassen, besaß das nach eigenem Ermessen viel zu lockige Mädchen selbstverständlich trotzdem: Der Kompromiss musste also genug Überzeugungskraft und eben auch Abscheu zulassen, dabei aber jeden Anflug unangemessenen Betragens weit umschiffen; denn, so viel war sicher, auch wenn die Flavia wohl nie in ihrem Leben die Erfahrung wahrer Gefangenschaft gemacht hatte oder je machen würde, war sie doch eine Gefangene des guten Geschmacks - und dazu gehörte Evridikis Ansicht nach auch, seinem Vater keinen Brief voller Hass und Geifer zu schicken.
    Keine einfache Aufgabe also, aber eine, die man als Neuerwerb sicherlich ernstnehmen sollte. Dementsprechend eilig schrieb die junge Griechin, aber dementsprechend unsicher - und leise - war sie auch, als sie schließlich begann, das Geschriebene vorzutragen:


    „Salve Vater! Ich hoffe, du bist wohlauf und erfreust dich bester Gesundheit und bestem Gemüt. Und doch muss ich dir mitteilen, dass mein eigenes Glück von einem äußerst unpässlichen Umstand getrübt wird:”, hier erlaubte sich die hastig Vortragende eine dramatische Pause, ehe sie wieder ansetzte, „So sehr es mir widerstrebt, dich, Pater, und dein Ermessen anzuzweifeln, sehe ich mich in diesem Fall dazu gezwungen. Denn, so lass mich - in der Hoffnung, du mögest mein Anliegen verstehen - erklären, der Ehemann, den du für mich wähltest, weckt in mir allzu große Zweifel, ob diese deine Entscheidung die Richtige sein kann. Diese starken Zweifel sind dadurch bedingt, dass die familiären Bindungen dieses Mannes”, hier kam ein fragender Blick Richtung Domina, denn immerhin kannte man noch keinen Namen, „zur Germanischen Stammesherkunft, und der damit einhergehenden Barbarei und Identität als Homines Novi, keine sind, die ich mir und unserer Gens guten Gewissens zumuten könnte. Eine solche Verbindung entspräche nicht meiner Vorstellung eines schicklichen Eherverhältnisses.”
    Hier wurde einmal tief durchgeatmet, denn das war ja mal ein ganz schön heftiger Schachtelsatz gewesen, ehe Evridiki fortfuhr: „Ich möchte also erneut betonen, dass ich dich dringendst ersuche, meine Sache anzuhören und deine Entscheidung bezüglich meines künftigen Ehepartners zu überdenken.
    Mögen die Götter dir auch in Zukunft gewogen sein,
    Domitilla”


    Nun sagte das schüchterne Mädchen aus Athen erstmal nichts, starrte die vollgeschriebene Tabula an und schien, als würde sie am Liebsten im Boden versinken. Dass auch sie zunehmend errötete, zeigte noch einmal zusätzlich ihr Unbehagen. Irgendwas musste falsch sein, unpassend. Zu förmlich, zu unförmlich, zu direkt, zu indirekt, aber Zufriedenheit mit dem eigenen Werk war sicher nichts, was sie im Moment verspürte. Zu abhängig war ihr weiteres Schicksal vom Geschmack und vom Urteil der Flavia. Also wagte sie es nicht, noch einen weiteren Mucks zu machen, und blieb, wie zur Salzsäule erstarrt, an Ort und Stelle, auf das Unvermeidliche wartend.

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