Officium | Die Leiden des jungen Flavius

  • Schweigend, doch mit wachsender Besorgnis lauschte Gracchus den Ausführungen seines Vilicus', knetete fortwährend dabei mit der Linken seine Unterlippe und trieb noch einige Augenblicke nach dessen Abschluss in Gedanken, ehedem er seine Hand ließ sinken, und ein tiefes Seufzen ihm echappierte.
    "Allfällig ist es nur eine kurzzeitige Phase. Seit wann, sagtest du, währt dies bereits?"
    "Seit beinahe einem halben Jahr, Herr." Nachdenklich schüttelte Gracchus den Kopf.
    "Zu lange. Aber es gibt doch sonstig kein Anzei'hen dafür, dass etwas mit ihm nicht stimmt, oder? Dies hätte ich doch bemerken müssen …"
    Tatsächlich war es zweifelhaft, dass Gracchus irgendetwas bemerkte, das im Hause nicht mehr seinen gewohnten Gang ging, nicht nur darob, da er zumeist mit seinen Gedanken in jenem Abbild weilte, welches er in sich selbst von der Welt hatte erschaffen, sondern auch darob, da ihm Veränderungen charakterlichen Befindens an jedwedem Gegenüber stets nur schwer zu detektieren waren.
    "Was ist mit seinen übrigen Pflichten? Etwa die Leibesertüchtigung? Ver..nachlässigt er dies auch?"
    "Nein, Herr, soweit ich dies in Erfahrungen bringen konnte, hat sich sonst nichts verändert. Nur Artaxias vermeldet, dass er sich während des Unterrichts nicht mehr recht zu konzentrieren scheint, insbesondere bei den Aufgaben, die eigenständiges Arbeiten erfordern. Er hat lange versucht, Minor etwas mehr Begeisterung abzuringen und deshalb gezögert, mit dieser Angelegenheit an dich heran zu treten, auch da er sich nicht sicher war, ob er diese eher dir oder deiner Gemahlin zutragen sollte." Gracchus Leib versteifte sich ein wenig.
    "Antonia darf nichts davon wissen! Zumindest nicht, solange nicht die Ursa'he dessen geklärt ist! Allfällig ist es … nun … womöglich reift Minimus gerade zum Manne heran und … nun ja, bisweilen wird die Aufmerksamkeit dadurch ein wenig abgelenkt … ins..besondere … nun, in jedem Falle brauchen wir Antonia vorerst nicht zu beunruhigen. Gehe zu ihm und sage Miminus, dass ich mit ihm sprechen möchte."
    "Ja, Herr", bestätigte der Sklave und verließ den Raum, um Minor aufzusuchen, während Gracchus grübelnd zurück blieb und sich zu entsinnen suchte, wie alt Serenus gewesen war, als sein Vetter diesen in die Welt der Männer hatte eingeführt. Viel zu jung schien ihm Minor noch, doch wohl musste er sich eingestehen, dass Minor wenn auch noch kein junger Mann, so auch kein kleines Kind mehr war.

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  • Rasch erreichte der Knabe das Officium seines Vaters, noch immer nicht ahnend, welche Causa ihn am heutigen Tage jene Vorladung bescherte, zu der er sich nun aufgemacht hatte. Bar jedweder Ankündigungszeichen, die ihm als Sohn des Hauses im Falle der väterlichen Räumlichkeiten erlassen waren, trat er ein und erblickte seinen Vater, dessen kummervolles Mienenspiel er aus der Ferne noch wahrzunehmen in der Lage war, das indessen, kaum hatte er wenige Schritte auf ihn zu gemacht, in seinen Konturen zu einem unscharfen Farbenspiel verschwamm. Obschon er versuchte, jenen Prozess durch mehrmaliges Zwinkern zu unterbinden, mochte es ihm auch diesmal nicht gelingen, ein völlig klares Bild zu gewinnen.


    "Salve, Vater! Du hast mich rufen lassen?"
    begrüßte er Manius Maior und harrte, beherrscht von der Hypothese unerfreulicher Novitäten, der väterlichen Replik.

  • "Minimus"
    , grüßte Gracchus seinen Sohn und bedachte ihn mit prüfendem Blicke, konnte jedoch nichts an ihm detektieren, das seine Nachlässigkeit im Unterricht mochte erklären, wiewohl die Präsenz des Jungen ihm doch ein wenig zu jung noch schien als dass Minor bereits die Unsicherheiten des Erwachsenwerdens mochten vexieren können.
    "Setze dich"
    , wies er sodann auf einen der beiden Stühle, welche ihm gegenüber vor dem Schreibtisch standen, ließ dabei nicht das pausbäckige Antlitz Minors aus den Augen, bis dass dieser hatte Platz genommen.
    "Ich habe Klage vernommen über deine scholastischen Leistungen. Es mangelt dir zunehmend an Konzentration, so vermeldet dein Paedagogus, ins..besondere bei jenen Aufgaben, welche du eigenständig sollst ausführen."
    Es lag durchaus eine getragene Ernsthaftigkeit in Gracchus' Stimme, doch keine Schärfe und kein Vorwurf.
    "Gibt es etwas, das dich bedrückt oder betrübt, Minimus, das deine Aufmerksamkeit ablenkt von außen oder inwendig?"

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  • In unmittelbarer Nähe seines Vaters vermochte der Knabe zumindest die oralen Regungen von jenem zu identifizieren, selbst wenn die Abgrenzungen der einzelnen, durchaus wohlgeformten Zähne nicht auszumachen waren. Ungetrübt gelangte indessen der ihrerseits produzierte Klang der väterlichen Stimme an sein Ohr, deren Inhalte in ihm größte Konfusion evozierte. Welchen Fehltritt hatte er getan, dass es Manius Maior zur Kenntnis gelangt war, dass sein Sehvermögen sich selbst zu annihilieren geneigt war? Hatten jene geschwätzigen Sklaven, denen er seine Inkapazitäten zu beichten strengstens untersagt hatte, sich etwa über sein Wort hinweg gesetzt? Dabei hatte er jenen engsten Leibsklaven sein Vetrauen geschenkt! Oder entsprach jene Introduktion etwa der Wahrheit, und er hatte sich durch seine mangelhaften Leistungen vor Artaxias verraten?
    "Es...ich...ich meine..."
    Die Stimme des Knaben versagte und er blickte schuldbewusst auf den verschwimmenden Boden, dessen Musterung ihm ob der ihm entgleitenden Konzentration zu erkennen versagt war.
    Nun, da sein Mangel augenscheinlich aufgedeckt worden war, war er gänzlich unschlüssig der sich ihm präsentierenden Alternativen. Zweifelsohne würde sein Vater sich unermesslich grämen angesichts jener Einsicht, die jedwede Hoffnung auf ihn zunichte machen würde, da man ihn als Blinden lediglich gleich seinem Onkel Claudius Tucca zu einem Leben bar jeder Nützlichkeit verdammen konnte, wo er gleich einem Schmarotzer ohne die Potenz zur Steigerung des Ruhmes der Familie sein Dasein fristen würde, was der junge Flavius unter jedweden Umständen zu vermeiden oder zumindest aufzuschieben geneigt war. Auf der anderen Hand hingegen bestand durchaus die Possibilität, dass der ältere Flavius längst von der Wahrheit erfahren hatte und lediglich seine Honorität prüfte, indem er nun ein Geständnis erwartete, wie er es ihn einst gelehrt hatte.
    All jenes hatte Manius Minor abzuwägen, doch schwirrten diese Gedanken in derartiger Geschwindigkeit durch seinen Geist, dass er es mitnichten vermochte, einen zu fassen und unter dem gestrengen Blick seines Vaters bis zur Vollendung durchzuspintisieren. Letztlich besann er sich auf dessen mahnende Worte, da weder die Interessen seiner Familie, noch jene des Imperium Romanum durch jene Affirmation tangiert waren.
    "Ich...ich...ich verliere mein Augenlicht, Vater!"
    Kaum hatte er jene Worte exprimiert, bedeckten seine Hände sein rundliches Antlitz, während aus seinen ersterbenden Augen Tränen zu fließen begannen, wobei ihm zugleich ein beklagenswertes Schluchzen.

  • Mit skeptischem Blicke betrachtete Gracchus die zögerliche Reaktion seines Sohnes, hörte die stockende Wortfolge ohne Sinn und ohne Ende - was nicht zuletzt ihn zu der Überzeugung brachte, dass wohl wahrhaftig etwas den Jungen zutiefst derangierte -, hob ob dessen in unbewusster Art seine Braue, weniger um Missfallen oder Skepsis auszudrücken als mehr im Versuche durch den Anstoß der eigenen Regung die Worte seines Sohnes in Bewegung zu setzen. Doch als jene schlussendlich über die Lippen des Knaben perlten in aller Härte der ungetrübten Realität erstarrte jede Regung gleich jeglichem Empfinden im Antlitz des Vaters, der einige Augenblicke lang nicht mehr fähig war in jedweder Art und Weise zu reagieren, nicht einmal noch den sich in Tränen flüchten Sohne zur Kenntnis nahm. Dem peitschenden Rauschen des Meeres in Sturmesnacht gleich konnte Gracchus das Blut in seinen Ohren rauschen hören, während simultan ein eisiger Hauch durch alle Bahnen seiner Adern sich zog, Licht und Schattenreflexe gleichermaßen vor seinen Augen in wildem Reigen zu tanzen begannen, sich die Klauen der Larven um seine Kehle, seine Brust und sein Herzen legten und unbarmherzig sie zusammen drückten, dass ihm schien als müsse das Licht seiner Existenz erlöschen. Einer Blase gleich platzte Minors Zukunft - Gracchus' Erbe Zukunft -, zersprang und zersplitterte in abertausende Partikel, welche in klirrendem Scheppern auf den Boden der Realität aufschlugen, welche einem Regenguss gleich sich über ihn legten, auf ihn hernieder prasselten unzähligen Speerspitzen gleich, tief in sein Fleisch, tief in seine Seele hinein sich bohrten bis weit in sein Herz. Es war der Fluch, sein Fluch - dessen war Gracchus sich im selben Augenblicke noch gewahr -, über welchen so töricht er sich hatte zuletzt hinweggesetzt, die Larven verhöhnt und verspottet, wofür er nun die Konsequenz hatte zu tragen. Nein, sie hatten Minor nicht an sich gerissen, hatten ihm das Leben seines Sohnes - seiner Hoffnung, seines Stolzes - belassen, im höhnischen Wissen, dass dessen verlorene Zukunft Gracchus weitaus tiefer würde treffen, erst recht nach der Enttäuschung über seine Tochter, die nicht sein Sohn war geworden. In das leise Schluchzen Minors ihm gegenüber mischte sich das flüchtige, wispernde Raunen der Larven und Lemuren in den Schatten um ihn her, ging allmählich über in ein hämisches Kichern, ein kaustisches Lachen. Zornig ballte Gracchus die Linke und wäre irgendetwas in seiner Reichweite gewesen, wäre irgendjemand stoffliches, der dies hatte zu verantworten, in seiner Nähe gewesen, er hätte irgendetwas nach irgendwem geworfen mit all der Kraft seiner Wut. Doch nichts lag vor ihm, und niemand war um ihn, seinen Zorn zu ertragen, dass seine Hand schlussendlich sich wieder entspannte, er nur abrupt den Stuhl unter sich in der Bewegung des Erhebens von sich schob und zur Wand hin belferte:
    "Schweig!"
    Doch das Lachen in seinen Ohren verstummte nicht, klang nur ab zu leisem Gefeixe, ob dessen er es schwerlich ignorierend um den Tisch herum zu Minor trat, in seiner Stimme nun Besorgnis und Hilflosigkeit mitschwingend.
    "Beruhige dich, Minimus. Es wird ..."
    ... nicht so schlimm werden - dies waren die Worte, welche ihm im Sinne lagen, doch schluckte er sie hinab, ehedem sie seiner Kehle konnten echappieren, wäre doch dies einer Lüge gleich gekommen, denn zweifelsohne würde es schlimm werden - es war das Ende aller Zukunft seines Sohnes, noch ehedem sie hatte begonnen, das Ende jeglicher Karriere im Cursus Honorum, im Militär, im Cultus, oder auch nur in der Verwaltung. Es war das Ende aller Hoffnung, das Ende seiner Linie, welche nicht mehr als einen Blinden und eine Tochter würde hinterlassen, allmählich im Malstrom der Zeit würde verblassen.
    "Hast du bereits einen Medicus konsul..tiert?"
    fragte er matt, im gleichen Augenblicke jedoch wissend, dass dies noch nicht konnte geschehen sein, denn unbezweifelt hätte man ihn darob unterrichtet, weshalb er sich Sciurus zuwandte, welcher neben der Türe verharrte.
    "Eile dich und hole einen Medicus herbei! Aber nicht Kosmas, diesen ... Dilettanten! Gehe in die Stadt und bringe den besten Medicus mit, den du finden kannst."
    Stumm nickte der Sklave, öffnete und schloss die Türe hinter sich leise, dass die beiden Gracchen allein zurück blieben, jeder in seinem eigenen Schmerz gefangen. Der Vater trat nun endgültig bis zu seinem Sohn, legte ihm die Hände auf die Schultern und wusste nichts zu sagen, das Minor würde Trost spenden können, wusste nicht sich zu erwehren des hämischen Flüsterns über sein eigen Versagen, das beständig aus den Wänden drang.

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  • Hinabgetaucht in jenes Meer des Autocompassion, das von seinen Tränen und den düsteren Gedanken, die seinem Geiste entstiegen, gleichermaßen genährt wurde, vernahm der Knabe wie durch einen Schleier den harschen Befehl seines Vaters, welcher seine Verdrossenheit nur steigerte, entsprach doch eine derartig gestrenges Wort nicht dem Usus der väterlichen Kommunikation und deutete daher auf größten Gram, wenn nicht gar Verachtung hin. So rannen weiter stumme Tränen die prallen Wangen hinab, während der junge Flavius sich die Frage stellte, ob es angesichts der parentalen Verachtung und des Kummers, den er durch sein Unvermögen die familiaren Erwartungen zu erfüllen evozierte, überhaupt adäquat oder überhaupt legitim war, weiterhin im Leben zu verweilen.


    In dieser Trübsal gefangen vermochte er auch die disruptierten, ursprünglich beschwichtigenden folgenden Worte nicht zu vernehmen, sondern erst die Frage nach einem Medicus ließ aus dem Meer der Tränen emergieren.
    "N...nein."
    stammelte er gehorsam, bemüht, seinem Vater über den Kummer seines Defizitarität nicht noch den eines ungehorsamen Sohnes zu bereiten. Zugleich wurde er sich seines unangebrachten Äußeren gewahr und wischte sich rasch die Tränen aus dem Gesicht, während sich indessen wieder neue bildeten und sein Antlitz neuerlich benässten. Doch selbst als Sciurius, jenes ihm suspekte Individuum, den Raum verlassen hatte, wusste er nichts zu seinem Bekenntnis zu addieren, ebenso erschien ihm jedes weitere Wort unangebracht.

  • Ein wenig überfordert durch die Tränen seines Sohnes suchte auch Gracchus nun das Nass aus Minors Antlitz zu verbannen, indem er mit seinen Fingerspitzen über dessen Wange strich, sie hernach an seiner Tunika wieder trocken rieb, um sodann das Prozedere auf der anderen Wange zu wiederholen.
    "Was auch immer geschieht, nichts kann etwas daran ändern, dass du ein Flavius bist"
    , murmelte der Vater beschwichtigend als würde dies jedes Schicksal, jede Misere und jedweden Unbill im Leben ausgleichen können - und tatsächlich war es in den Gedanken des Familienverbundes wohl so und nicht anders. Dennoch mochte Gracchus nicht akzeptieren, dass dies alles sollte sein, was Minor blieb, flüchtete sich in das Sammeln der Fakten.
    "Seit wann währt dies bereits, Minimus? Wann hast du die Anzei'hen dieses Schwindens zum ersten Male bemerkt?"

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  • Jene sanfte väterliche Berührung, die der Knabe an seiner Wange spürte, evozierte bei ihm ein Gefühl von Geborgenheit und vermochte, verbunden mit tröstenden Worten, ihm zu vermitteln, dass sein Vater mitnichten vollständig vergrämt war. Mit einem kummervollen Schniefen beendete der junge Flavius ob dessen den Tränenstrom und replizierte mit weiterhin in gewissem Maße tremorösen Stimme
    "Ich...ich weiß nicht. Anfangs verschwamm alles nur manchmal, dann habe ich immer Kopfweh bekommen."
    So vermochte er den Vorgang zumindest zu rekonstruieren, dessen peinvolle Schmerzen der Augen wie des ganzen Kopfes ihm vornehmlich und eindrücklich in Erinnerung geblieben waren, während er seine optische Potenz rückwirkend kaum mehr einzuschätzen vermochte.


    Obschon durch die tröstenden Worte in nicht geringem Maße beschwichtigt, keimte angesichts jener Remineszensien neuerlich die Furcht vor einer gänzlichen Erblindung in ihm auf, weshalb Manius Minor einen Schritt auf Manius Maior zumachte, um seine Arme um den verschwommen sich präsentierenden Leib zu legen.
    "Werde ich so blind wie Onkel Nero?"
    Mit leichten Schaudern wurde der Knabe sich augenblicklich gewahr, dass eben jener Claudius Tucca ihm seinen liebsten Spielgefährten, das Krokodil Caius, in seiner frühesten Kindheit zum Präsent gemacht hatte. Mochte jenes geliebte Wesen die Blindheit gleich einem Fluch auf ihn übertragen haben?

  • Selbstredend vermochte Gracchus auch mit den neuen Details nichts über die Ursache des Leidens seines Sohnes zu sagen, wiewohl diese zu implizieren schienen, dass das Sehvermögen Minors sich tatsächlich kontinuierlich verschlechterte. Indes verschlechterte sich hinwider der gesundheitliche Zustand auch bei einem ordinären Fieber oder einer Erkältung und konnte doch zumeist wieder ohne jegliche zurückbleibende Einschränkungen kuriert werden, so dass allfällig dies auch bei Minors Erkrankung würde möglich sein. Die Berührung seines Sohnes riss Gracchus aus diesen Gedanken, welche in fragende Bahnen wurden gelenkt, da er im ersten Augenblicke nichts mit dem Namen Onkel Nero wusste zu verbinden - bezüglich dieses Namens ihm ohnehin stets als erstes der gewaltige Molosserhund seines Neffen Serenus in den Sinn gelangte. Erst hernach verband er den Praenomen mit dem Cognomen des Tucca, eines Vetters seiner Gemahlin, welchen er gleichsam nie hatte persönlich kennen gelernt, da jener irgendwo im Norden der Provinz weilte - Mantua oder Pisae soweit er sich entsann - und selten zu Besuchen nach Rom aufbrach, wiewohl Gracchus während dessen letzten Aufenthaltes in der Hauptstadt selbst im fernen Achaia hatte geweilt oder hernach keinen Besuch empfangen. Somit wusste er nicht genau, wie jener Claudius sich die Zeit vertrieb, spintisierte sich darob ebenso düstere Aussichten über Minors Zukunft zusammen wie dieser selbst.
    "Ich weiß es nicht, Minimus, allein die Götter können dies bestimmen."
    Zu gerne hätte er kalmierende Worte für seinen Sohn gefunden, doch war es ihm unmöglich diesbezüglich sich in eine Lüge zu flüchten, deren Chance auf Erfüllung wohl ebenso groß war wie auf Nichteintreten, denn weit demütigender noch als vor Minor einzugestehen, dass es Dinge gab, welche jenseits seines väterlichen Einflussbereiches standen, wäre der Tag, an welchem der Sohn die Lüge des Vaters würde erkennen müssen.

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  • Selbstredend entsprach jene Replik, die sein Vater in größter Aufrichtigkeit dem Knaben präsentierte, nicht der Hoffnung dessen, eine pazifizierende Relativierung seines Leidens zu finden. Die Augen schließend, um jene stetige Remineszenz der unscharfen Falten im Gewande des Vaters extingieren, presste er sein durch Tränen befeuchtetes Antlitz an den warmen, bergenden Leib.

  • Aus der Stadt her kommend eilte sich Sciurus den medicus aus der Taberna Medica Decima durch die prachtvollen Gänge der Villa Flavia zu führen bis zum Arbeitszimmer seines Herrn. Er klopfte nur flüchtig, ehedem er die Türe öffnete und eintrat, gefolgt von Iaret, dessen Name er indes nicht kannte, der jedoch ohnehin nebensächlich war.
    "Herr, dies ist ein medicus aus der Taberna Medica Decima", stellte er den Arzt vor.

  • Da die Zeit um ihn nicht mehr wichtig schien - nichts war es im Vergleich mit dem Wohl seines Sohnes -, konnte Gracchus letztlich nicht bestimmen, ob sein Sklave sonderlich schnell gewesen war, doch der medicus erschien keinen Augenblick zu früh, gegenteilig wohl eher einige Wochen zu spät, was indes nicht in seinem Verschulden lag. Wäre die Zurschaustellung des Augenblickes inniger Trautheit zwischen Vater und Sohn zudem Gracchus an einem anderen Tage allfällig ein wenig unangenehm gewesen, zählte auch dies an diesem Tage wenig, dass er nur einen kurzen Moment ein wenig derangiert war über die plötzliche Disturbation, ehedem er sich von Minor löste und dem medicus zuwandte.
    "Salve! Sei willkommen in diesem Hause. Ich bin Flavius Gracchus und dies hier ist mein Sohn Minimus."
    Sanft, aber bestimmt schob er seinen Sohn ein wenig voran und wies jenen an:
    "Berichte dem medicus mögli'hst detailliert, was dich quält."

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    Schweigend war Iaret dem Sklaven gefolgt, der ihn ohne Umschweife zur Villa Flavia führte, an einem recht grimmig dreinschauenden Ianitor vorbei ins Innere, bis er schließlich vor einer Tür anhielt, klopfte, eintrat. Iaret folgte ihm hinein und fand sich in einem Raum mit zwei Menschen wieder, ein kleiner, ein großer, die sich umarmten. Geduldig wartete er, bis sich die Aufmerksamkeit ihm zuwandte, bevor er den Gruß des Älteren erwiderte. „Chaire, Senator et Pontifex Flavius Gracchus. Chaire, Minimus.“ Er deutete ein Nicken an, als der Vater den Jungen aufforderte, und schwieg zunächst. Fragen konnte er immer noch stellen, wenn der Junge erzählt hatte, was ihn plagte.





    MEDICUS

  • Die Tränen des Knaben waren versiegt, ehe die Porta sich neuerlich öffnete und Sciurius in Begleitung eines Mannes von mediärer Anciennität in das Officium schlüpfte. Doch selbst wenn die Flüssigkeit von der väterlichen Tunica aufgesogen und neutralisiert war, barg der junge Flavius sein Antlitz noch in eben jener und hing düsteren Gedanken nach.


    Vorsichtig versuchte er indessen nun den Unbekannten zu fixieren, was ihm nach dem Nähertreten des Mannes ob seiner Fehlsichtigkeit nur schwerlich gelang, sodass Iarets Züge rasch aufs Neue verschwammen, sodass lediglich Stimme und Habitus des Medicus das Misstrauen des Knaben erregten. Getreulich dem paternalen Befehl folgend, begann er dennoch stockend und stammelnd zu berichten:
    "Ich...ich kann nicht richtig sehen! Wenn Dinge weiter weg sind, kann ich sie schon sehen. Aber was direkt vor mir ist, ist immer ganz verschwommen! Aber ich glaube, es wird schlimmer."
    Durchaus hatte Manius Minor jene Regelmäßigkeit zu erkennen gewusst und eben dies ermöglichte ihm auch ein Zurechtfinden in der sich ihm verschließenden Welt. Etwa konnte er so wenige Details herannahender Personen sich einprägen, konnte Geschenke identifizieren, ehe sie sich durch die große Nähe vor seinem Auge in eine indifferente, monokolorierte Masse auflösten und sich dennoch artig für sie bedanken. Trotz jener gewiefter Techniken schwang weiterhin die Furcht des Erblindens mit jedem Atemzug, den der Knabe tat, mit und ließ ihn nun voller Bedrückung und Kummer auf den Mosaikboden vor seinen Füßen, dessen Musterung er lediglich aus längst vergangenen Tagen memorierte, blicken.

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    Von dem Moment, als der Knabe zu sprechen begann, hatte Iaret keine Augen mehr für den Vater. Nachdenklich musterte er den jungen Flavius, während dieser von seinen Beschwerden berichtete. Wie der Sklave schon berichtet hatte, wurde sein Augenlicht schlechter – anders als es jedoch häufiger vorkam, war es nicht die Ferne, die dem Knaben Probleme bereitete, sondern die Nähe. „Wann haben deine Beschwerden begonnen?“ begann er, ohne Anklang von Einfühlsamkeit und recht routinemäßig, aber dennoch mit dem nötigen Ernst. Kühle, trockene Finger legten sich an die Schläfen des Jungen, ohne vorher zu fragen oder eine Vorwarnung zu geben, seine Daumen lagen auf den Wangenknochen, und Iaret hob das Gesicht des Flavius leicht an, um seine Augen inspizieren zu können. „Augen auf“, wies er hierzu kurz an, bevor er mit seinen Fragen fortfuhr: „Wie sehr hat sich deine Sehschwäche verschlechtert, seit du die ersten Anzeichen bemerkt hast? Und welche Auswirkungen hat sie auf dich, außer der offensichtlichen?“





    MEDICUS

  • Jene Geschäftsmäßigkeit, mit der der Medicus sich an sein Werk machte, verwirrten den Knaben erstlich, doch gaben ihm kurz darauf ein Gefühl von Geborgenheit in der Hand eines Spezialisten, sodass er widerstandslos die Griffe an sich geschehen ließ und versuchte, das verschwommene Antlitz Iarets zu fixieren, als dieser seinen Kopf sanft anhob.
    Seine orale Erwiderung benötigte indessen ein wenig mehr Zeit, da sie ein Spintisieren über die Anfänge seiner Ametropie erforderte, welche durchaus einige Zeit zurücklagen.
    "Ich...ich weiß nicht genau. Zuerst hatte ich Kopfweh und war stets müde. Dann...habe ich nicht mehr richtig lesen können, denn die Buchstaben verschwammen. Meinen Magister am Ende des Raumes vermochte ich noch zu erkennen, doch trat er an mich heran, verschwamm auch er."
    Der Bericht erweckte neuerlich den Gram des jungen Flavius. Jene Abfolge unterschiedlicher Stadien, die sich stets ins Schlimmere wandten, ließ ihn kaum mehr an die Possibilität eines Auswegs glauben.
    "Manchmal, wenn ich mich sehr anstrenge, schaffe ich sogar, etwas nähere Dinge scharf zu sehen. Aber ich glaube, ich schaffe es immer weniger."
    Eine Quantifizierung der Abnahme seiner Sehfähigkeit, ebenso eine Nennung weiterer Auswirkungen vermochte Manius Minor indessen nicht vorzunehmen, sodass er stattdessen auf geradezu elegische Weise fragte
    "Werde ich erblinden?"

  • Gegensätzlich zu Iaret, welcher keine Acht mehr auf den Vater hatte, behielt Gracchus den Medicus ganz genau im Auge, beobachtete jede Regung und Bewegung, spannte sich innerlich an als der Arzt schließlich seinen Sohn berührte. Zum ersten Male bedauerte Gracchus nicht mehr, in den letzen Jahren selbst einige Erfahrung mit diversen Medici angesammelt zu haben, denn in Relation zu eben jenen schien ihm Iaret durchaus kompetent vorzugehen, zumindest nicht zu der dilettantischen Sorte zu gehören, für welche Gracchus nicht die geringste Sympathie konnte aufbringen. Die Worte seines Sohnes indes gereichten dazu, seine Sorge weiter zu erhöhen, denn mit einem Male wurde ihm die vage Similarität zwischen Minors Zustand und dem seinen - welcher seit Jahren nun schon andauerte - gewahr und weniger dass er befürchtete, dass eben die gleiche Intensität des Leidens auch auf ihn würde übergreifen können, fürchtete er weit mehr, dass er es gewesen war, welcher diesen Fluch auf seinen Sohn hatte übertragen. Innerlich aufgewühlt, doch in einer nach außen hin gemächlichen Art und Weise verschränkte er den rechten Arm vor der Brust, stützte den Linken darauf ab und hob seine Hand bis kurz vor das Kinn, versuchte unauffällig seine Finger zu betrachten. Jedes Detail schien ihm deutlich, er nahm die Rillen der Haut wahr, die vereinzelten, hellen Härchen darauf bis hin zur Struktur seines Nagels - und all dies schien ihm, wie es seit jeher gewesen war. Es musste also doch einer anderen Bewandtnis geschuldet sein, dass Minor die Buchstaben verschwammen, und genau genommen verschwammen Gracchus selbst schlussendlich auch nicht die Buchstaben vor Augen, sondern mehr die Worte, und diese erst, sobald sie in seinem Sinn angelangt waren. Nachdenklich rieb er sich mit der Linken über sein Kinn und blickte wieder zu dem Medicus und seinem Sohn, die Antwort auf eben jene essentielle Frage des Jungen mit bangem Herzen abzuwarten.

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  • [Blockierte Grafik: http://img51.imageshack.us/img51/2204/iaret.jpg]


    Iaret lauschte den Erklärungen des Jungen, während er ihn betrachtete. Die Augen schienen klar zu sein, jedenfalls konnte er keine Trübung erkennen.* „Moment“, antwortete er ruhig auf dessen Frage. Noch war er nicht fertig, und vorher würde er keine Einschätzung abgeben. „Augen zu“, kommandierte er dann, um vorsichtig eben jene über den geschlossenen Lidern abzutasten, zu fühlen, ob sie härter waren als gewöhnlich.** „Schmerzen deine Augen auch? Sind sie häufiger gerötet? Bleibt es beim verschwommen Sehen, oder ist dir auch etwas anderes aufgefallen... verändern sich Farben oder Licht und Schatten, bist du empfindlich bei Helligkeit, solche Dinge?“ Er ließ das Gesicht des Jungen wieder los und trat einen Schritt zurück. „Weißt du noch, wann du die ersten Anzeichen gemerkt hast?“ wiederholte er seine erste Frage, weil der Flavius diese nicht beantwortet hatte.



    Sim-Off:

    *Falls das nicht stimmt, sag Bescheid, dann editier ich :)
    **Sind sie's?





    MEDICUS

  • Dem Medicus mochte, so er überhaupt eine dysfunktionale Wandlung im Sehapparat des Knaben zu erkennen vermochte, würde lediglich möglicherweise eine leichte Esotropie identifizieren, die von der hypermetropiebedingten stetigen Belastung des infantilen Auges herrührte, indessen erfreulicherweise bisher nur in geringem Maße vorhanden war. Dennoch war der Druck, den Iarets sorgsame Hände auf die Lider des jungen Flavius ausübten, durchaus für diesen unangenehm und erhöhten die Furcht, ihnen könne eine deplorable Devianz auffallen, welche seine stetige Erblindung offenbar werden ließ. Dessenungeachtet beantwortete Manius Minor nun jedoch jede der ihm gestellten Fragen, selbst wenn diese ihn bisweilen zu unpräzisen Aussagen hinreißen mussten.
    "Ja, manchmal. Aber eher tut mein Kopf weh. Sonst ist, glaube ich, alles normal."
    Die letzte, neuerlich gestellte Frage, brachte ihn indessen ins Sinnieren, da es ihm vielmehr einem Prozess gleich erschienen war, dessen Anfang ebenso undeutlich erschien wie sein Ende.
    "Möglicherweise vor einem Jahr. Ich weiß nicht genau."
    rang er sich schließlich ab, obschon es ihm nicht einsichtig erschien, wie eine derartig geartete Replik der Diagnose behilflich sein mochte.

  • [Blockierte Grafik: http://img51.imageshack.us/img51/2204/iaret.jpg]


    Iaret ließ sich Zeit mit der Untersuchung, ging sorgfältig vor. Es brachte nichts zu hetzen, wenn es um Gesundheit ging. Allerdings konnte er nichts entdecken, nichts, was auffällig gewesen wäre… und die Antworten des Jungen gaben auch keinen Hinweis darauf. „Nein“, beantwortete er schließlich übergangslos die Frage, die der Junge bereits vorhin gestellt hatte – und fügte erst nach einem weiteren Moment an: „Ich kann keine Anzeichen dafür entdecken, dass du erblindest. Es scheint sich vielmehr um eine allgemeine Sehschwäche zu handeln… Bei jungen Menschen ist es zwar häufiger, dass sie in die Ferne schlecht sehen können, aber manchmal ist es auch so wie bei dir. Ein geschliffener Edelstein wie Nero ihn hatte könnte dir vielleicht behilflich sein… Die Umstände können sicherlich auch ein wenig angepasst werden; dein Unterricht beispielsweise. Im Übrigen bleibt nicht viel als dich daran zu gewöhnen.“





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