Langsam drohte das Schweigen peinlich zu werden und Octavena hatte auch aufgegessen, weshalb sie ihre Schale zufrieden von sich schob.
"Hier etwas zu essen, war wirklich eine gute Idee."
Sie lächelte. Gegen ein gutes Essen hatte sie nie etwas einzuwenden und so etwas hob eigentlich auch immer ihre Laune.
Stadtspaziergang
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"Ja, wie gesagt - der beste Eintopf hier."
wiederholte Armin, während Lucius das wieder einmal für überflüssige Kommunikation hielt - sie hatten dies ja bereits gesagt und es gab keinen logischen Grund, warum sie Octavena hätten anlügen sollen - wenn man davon absah, dass sie lästig war und man sie vielleicht vergiften hätte wollen.
"Gehen wir zurück an die Arbeit!"
sagte er deshalb knapp und drehte sich kommentarlos um, da auch er aufgegessen hatte. Kurze Zeit später waren sie wieder auf dem Forum zurück und Armin fuhr mit seiner kleinen Stadtführung fort. Er deutete auf den Tempel, hinter dem sich auf dem Hügel das mächtige Legionslager erhob.
"Das da ist das Augustalium, der Tempel des Augustus. Dort werden die Kaiser - also die toten und die lebenden - verehrt. Außerdem treffen sich die Pontifices in seinem Tempel. Wir könnten ihn ja 'mal ansehen, oder?"
Er sah fragend zu Lucius, der aber nur mit dem Kopf schüttelte - sein Vater hatte ihm vom Provinzforum in Tarraco erzählt, das wohl so groß wie eine Pferderennbahn sein musste. Entsprechend würde Octavena aller Wahrscheinlichkeit nach über dieses lächerliche Kaiserheiligtum lachen. Und da er doch eine zwar irrationale, aber trotzdem emotionale Bindung an Mogontiacum, dieses Provinznest, in dem er aber doch geboren war, spürte, wollte er sich dadurch nicht beleidigen lassen. Außerdem hatten sie Arbeit.
"Nein, wir müssen noch mehr Häuser kontrollieren! Und übrigens sollte man beim Kaiserkult auch das Theater draußen vor der Stadt nicht vergessen! Und das Grab des Drusus - das gehört auch dazu!"
Zufällig wusste der junge Petronier, dass das Theater eines der größten des Imperiums war, sodass er es nicht unerwähnt lassen wollte - selbst wenn sie nicht daran vorbeikamen.
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Octavenas Mundwinkel zuckten ein klein wenig. Obwohl sie immer ein wenig außerhalb von Tarraco gelebt und vergleichsweise wenig Zeit direkt in der Stadt verbracht hatte, blieb Mogontiacum doch ein wenig ein Kaff in ihren Augen. Dass Lucius das ganz richtig vermutet hatte, weshalb er extra noch einmal das Theater erwähnte, ahnte sie nicht, aber seine Worte verfehlten nicht ihre Wirkung.
Dass das Theater in Mogontiacum recht beeindruckend sein musste, das wusste sie ja schließlich auch schon von den Magonidinnen.
"Stimmt es eigentlich, dass das Theater hier so groß ist?"
Sie wusste ja auch nicht, was für Maßstäbe Nicea da angeschlagen hatte, also war es bestimmt nicht schlecht, da nochmal nachzufragen. -
"Das Theater hat einen Durchmesser von 77 Passus und einem Gradus - in etwa."
spulte der Magister Vici ab - er hatte die Maße zufällig einmal gehört und sich engeprägt. Zumal es ihn ja - wenn auch unlogischerweise, denn er hatte ja weder Anteil an seinem Bau, noch an seiner Finanzierung - mit Stolz erfüllte, dass Mogontiacum so ein gewaltiges Bauwerk sein Eigen nannte.
"Im Theater und am Drususgrab finden im October immer Spiele zu Ehren des Drusus statt. Dazu kommen Vertreter aus ganz Gallia und die Legion hier aus Mogontiacum..."
erklärte Armin unterdessen ergänzend, wofür eine Civitas wie Mogontiacum so ein repräsentatives Gebäude brauchte.
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Den Kommentar, dass ein einfaches "Ja" auf ihre Frage gereicht hätte, sparte Octavena sich. Stattdessen hörte sie Armin interessiert zu. Was der sagte, war schon wieder nützlicher.
"Interessant. Weiß einer von euch, wie viele Leute da dann so reinpassen?" -
Natürlich war das wieder ein Spezialgebiet von Lucius und auch, wenn er solche Fragen reichlich unpräzise fand, begann er sofort wieder zu dozieren:
"Das hängt natürlich von verschiedenen Parametern ab. Bekanntlich besitzen Theater keine individuellen Sitze, sondern nur Stufen - wenn auch manche Besucher eigene Kissen oder so mitbringen - sodass es letztendlich davon abhängt, wie viel Platz jeder Besucher benötigt. Wenn wir von einer durchschnittlichen Breite von..."
Er musste einen Moment überlegen, ob sein Körperumfang repräsentativ war. Vermutlich konnte man aber nicht von einem Cubitus, sondern einem Gradus ausgehen.
"...einem Gradus ausgehen, dann haben wir könnten wir den die Sitzflächen berechnen. Die oberste Reihe hätte dann bei 77 Passus - oder ziehen wir grob zwei Passus für die Sitzfläche und die Abschlussmauer ab - ungefähr - ähm - 240 Passus Umfang, davon die Hälfte, geteilt durch die durchschnittliche Breite von einem Gradus würden dann..."
Diesmal musste er nicht ganz so lange rechnen wie bei der Ermittlung des Umfanges überlegen, ehe er endlich verkündete:
"160 Personen auf dem obersten Rang. Allerdings weiß ich die Zahl der Reihen nicht auswendig, außerdem müssen wir bei jeder ja einige abziehen..."
Der junge Petronier begann bereits zu überlegen, wie viele Plätze pro Reihe er abziehen musste - oder war es einfacher, jeweils den Halbumfang neu zu bestimmen und diesen dann wieder durch die Durchschnittsbreite zu teilen?
Ehe er aber eine von beiden Möglichkeiten äußern konnte, schaltete sich wieder Armin ein und sagte schlicht
"Ich hab' mal 'was von 10 000 Plätzen gehört. Also zwei Legionen!"
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Octavena seufzte leise, als Lucius mit seinen überkomplizierten Ausführungen begann. Warum um alles in der Welt musste er ihre einfache Frage auch schon wieder völlig unnötig aufdröseln und übergenau beantworten? Eine ungefähre Zahl oder ein einfaches: "Keine Ahnung" hätten es doch auch getan! Das musste ihm doch klar sein. Zumindest hoffte sie das.
Schon rollte sie genervt mit den Augen und murmelte etwas von: "Es reicht schon eine ungefähre Zahl", als Armin glücklicherweise in zwei simplen Sätzen ihre Frage knapp und einfach beantwortete.
Octavena gab sich beeindruckt. "10 000? Das ist ja dann wirklich eine ganz hübsche Anzahl." -
"Allerdings - das ist das größte Theater in beiden Germaniae, vielleicht auch darüber hinaus."
erklärte Lucius, dem der Kommentar Octavenas offenbar entgangen war. Allerdings ging Armin direkt weiter, ehe sie das Forum wieder verließen - er wollte Octavena ja noch mehr zeigen.
"Hier gegenüber ist das Capitolium für Iuppiter, Iuno und Minerva. Oder wie wir hier sagen: Taranis. Bei uns steht er mit Teutates und Esus - das wäre für euch Mercurius - an der Spitze aller Götter, die Göttinnen sind eher für Fruchtbarkeit oder Heilung zuständig."
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Mercurius an der Spitze der Götter? Eine merkwürdige Vorstellung. Aber genau das faszinierte Octavena auch schon wieder. Wie kam man nur darauf, es so zu halten und nicht wie bei den Römern mit Iuppiter als Göttervater? Aber darauf gab es wahrscheinlich keine wirkliche Antwort, manche Dinge waren schließlich einfach so wie sie waren.
"Was habt ihr denn für Göttinnen zum Beispiel?"
Auch das schien sich ja wieder mehr von ihren eigenen Göttinnen zu unterscheiden, unter denen es ja durchaus Kriegerischere wie Minerva oder Discordia gab. -
"Wir haben mehrere Göttinnen. Die wichtigsten sind die Matrae. Sie sorgen für das Heim, den Nachwuchs und so weiter. Außerdem gibt es die Suleviae, das ist sowas wie ein Genius für Frauen. Sirona ist eine Göttin der Quellen und der Heilung - sie wird auch zusammen mit Mogon verehrt. Dann Epona, die Göttin der Pferde, Rosmerta, die Gattin des Mercurius... naja, das dürften die wichtigsten gewesen sein."
Tatsächlich kannte Armin nur die Götter und Göttinnen, von denen Morag ihm erzählt hatte, denn seine germanische Familie war schon lange tot gewesen, als er sich für derartige Dinge interessiert hatte.
Für Lucius war dieses Thema allerdings wieder einmal unlogisch - vor allem, warum die Götter sich an verschiedenen Orten so unterschiedlich präsentieren mussten. Sein Vater hatte ihm etwa erklärt, dass Sirona etwa so wie Diana war - aber warum sollte sie hier einen anderen Namen tragen? Und vor allem, warum kümmerte sie sich in Italia offensichtlich um die Jagd und hier nur um Quellen?
"Die Matres sind quasi eine dreigeteilte Iuno. Sirona wird mit Diana gleichgesetzt und Rosmerta mit Maia, glaube ich. Warum die Gallier - das sind nämlich gallische Namen, weil die Germanen das ganze schon wieder ein bisschen anders sehen - allerdings auch teilweise ganz andere Attribute und Zuständigkeiten haben, wissen wahrscheinlich nur... naja, die Götter eben."
fügte er deshalb gelangweilt hinzu.
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"Schade eigentlich, dass sie uns über den Grund nicht aufklären...", kommentierte Octavena mit einem kleinen Grinsen Lucius' Erklärung. Tatsächlich hätte sie das wirklich interessiert. Allerdings hatte ihr Vetter auch Recht damit, dass er sagte, dass vermutlich nur die Götter eine Antwort auf diese Frage wussten.
"Also haben Gallier und Germanen unter sich auch noch einmal Unterschiede bei ihren Göttern?"
In ihrer Vorstellung hatte sie immer nur ein Bild von all dem gehabt. Eigentlich nie hatte Octavena groß darüber nachgedacht, dass es da auch noch Unterschiede geben könnte, auch wenn es ihr nun gar nicht mal so unglogisch erschien. -
"Wenn du mich fragst, spielt die genaue Ausgestaltung ihrer Verehrung einfach keine Rolle - alles andere wäre unlogisch."
gab Lucius zurück, ohne recht zu wissen, was daran komisch war - die Welt der Götter hatte er schon mehrmals durchdacht und trotzdem leuchtete ihm deren Mechanik nicht ein. Wenn sie unsterblich und mächtig waren - wieso sollten sie so unlogische Regeln aufstellen?
In diesen Dingen konnte Armin seinem Herrn allerdings nicht folgen - konnte es aber ebensowenig bestreiten, denn das würde nur eine endlose Diskussion nach sich ziehen, bei der der Sklave aus Langeweile irgendwann nachgeben würde. Also beantwortete er einfach die eigentliche Frage:
"Die Funktionen bei den Galliern und Germanen sind ähnlicher als zu denen der Griechen oder Römer. Aber sie haben doch unterschiedliche Namen und teilweise auch andere Aufgaben und so..."
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Octavena zuckte mit den Achseln. "Mag sein. So kann man das natürlich auch sehen."
Das Thema war ihr selbst zu schlecht greifbar, als dass sie sich auf eine riesige Diskussion einlassen wollte. Dafür hatte sie selbst von alldem eine zu ungenaue Meinung, um irgendetwas zusammen zu argumentieren.
Stattdessen rekapitulierte sie eigentlich mehr für sich selbst, als dass sie es wirklich zusammen fassen wollte, die Erklärungen, die sie bekommen hatte. "Also nehmen sich die germanischen und gallischen Götter wenig, aber trotzdem gibt's Unterschiede? Interessant."
Vor allem, da das ja eine gewisse Parallele zu den Ähnlichkeiten zwischen den griechischen und römischen Götter darstellte. Auch wenn Octavena sich nicht sicher war, ob sich daraus tatsächlich irgendeine Verbindung ziehen ließe. -
Die Frage, warum die Götter bei den einen so und bei den anderen so waren, hatte Lucius sich noch nicht wirklich gestellt. Allerdings war es ja schon einmal logisch, dass sie unterschiedliche Namen trugen - das war in unterschiedlichen Sprachen ja bei allen Dingen so. Inwiefern die Götter allerdings überall ähnliche Aufgabenbereiche besetzten und warum das so war, war wirklich eine gute Frage. Eine Erklärung konnte es sein, dass die Zuschreibungen Abbilder der jeweiligen Lebenswelt waren - aber die These war nicht so ganz ausgereift. Alles in allem war Religion eben doch eine unlogische Angelegenheit, die man nicht mit messerscharfer Rationalität ergründen konnte.
Deshalb schwieg Lucius vorerst, sondern überließ es Armin, eine weniger intelligente, dafür aber kürzere Antwort zu geben - er hatte ja auch nicht wirklich Ahnung, denn er kannte ja nur das, was Morag ihm beigebracht hatte.
"Naja, ich denke schon... Gibt es in Hispania andere Götter?"
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Octavena zuckte mit den Achseln. "Ein sehr großer Teil der Bevölkerung ist römisch und die haben natürlich keine anderen Götter", erwiderte sie, "Wer kein Römer ist mag andere Götter haben, aber da kenne ich mich nicht so richtig aus."
Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich im Bezug auf ihre Heimat da auch nie so richtig Gedanken gemacht. Da waren die Dinge für sie viel zu selbstverständlich gewesen. -
"Das wäre auch sehr verwunderlich, denn die Petronier stammen ja von römischen Siedlern ab."
warf Lucius ein, der sich rudimentär in der Familiengeschichte auskannte - soweit sie eben rekonstruierbar war. Immerhin waren die Petronier kein uraltes Adelsgeschlecht, das genaue Stammbäume bis auf Romulus und Remus zurückführte. Genaugenommen war diese Information auch schon alles, was der Alte ihm zu ihrer Herkunft hatte sagen können.
"Naja, dein Vater betet ja auch zu Apollo Mogon, auch wenn Mogon kein römischer Gott ist."
warf Armin ein und der junge Petronier musste sich eingestehen, dass sein Sklave recht hatte - das hatte er nicht bedacht.
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Octavena zuckte mit den Achseln. "Aber wenn ich das richtig verstanden habe, sind Apollo und Mogon gleichzusetzen, oder? Dann nimmt es sich doch nichts."
Dann war das ja immer noch derselbe Gott nur unter einem anderen Namen. -
Auf dem Rückweg zur Curia sah Pacatus den Magister Vici mit seinem Gefolge auf dem Forum herumstehen. Er dachte sich, dass es vielleicht ganz gut wäre, sich bei dem für den guten Tip zu bedanken.
"Ah, salve Magister Vici! Salvete. Schön, dass ich Dich treffe. Dein guter Rat hat mir richtig geholfen, ich habe gleich eine Stelle als Scriba beim Aedil bekommen. Für den guten Tip bedanke ich mich sehr bei Dir, Petronius Crispus. Ich soll im Officium III Abfangjäger spielen, Edikte für den Aedil schreiben und die öffentlichen Gebäude auf Bauschäden überprüfen. Ach, da fällt mir ein, kennst Du vielleicht einen Architekten hier in Mogontiacum?"
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Zwar hatte Lucius sich nicht mehr eingehender mit der Götterwelt beschäftigt, nachdem er festgestellt hatte, wie unlogisch und irrational sie war, aber er wusste doch noch einiges darüber. Ursprünglich hatte der Alte behauptet, dass Mogon einfach der Name der Gallier für Apollo wäre, so wie es ja auch bestimmte Vokabeln für Tisch oder Haus gab. Allerdings hatte der Junge dann herausgefunden, dass es nicht nur einen Apollo Mogon gab, sondern auch einen Apollo Belenus gab. Dieser wiederum hatte - wie auch Apollo Mogon - eine Gefährtin. Allerdings war diese Belisama offenbar nicht Rosmerta und wenn man davon ausging, dass die Götter wie die Menschen monogam lebten, war es unlogisch:
"Naja, Apollon hat keine Gefährtin, Mogon schon. Und dann gibt es ja auch noch Belenus, der angeblich auch Mogon ist und wieder eine andere Gefährtin hat. Abgesehen davon habe ich noch nie von einem Orakel des Mogon gehört, sehr wohl aber von einem des Apollon."
Das Orakel von Delphi war immerhin weltbekannt. Aber ehe der junge Petronier noch weitere Argumente gegen eine Identität von Apollo und Mogon ins Feld führen konnte, tauchte der Fremde von vorhin auf. Und scheinbar hatte er eine Arbeit gefunden, wie er ungefragt losplapperte. So wie der zu Plaudern anfing, war er wohl von der Sorte Massulas - das würde Octavena sicherlich gefallen. Ihm allerdings weniger...
"Definiere Architekt? Ein Baumeister? Oder ein Mann, der in der vitruvianischen Kunst geschult ist?"
antwortete er deshalb etwas unfreundlich - die Information, dass der neue Scriba Bauschäden prüfen sollte und einen richtigen Architekten wollte, war für den Magister Vici kontradiktorisch: für die Bauschädensuche war ein richtiger, gebildeter Architekt sicherlich zu teuer...
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Zitat
Der Magister Vici: "Definiere Architekt? Ein Baumeister? Oder ein Mann, der in der vitruvianischen Kunst geschult ist?"
Komische Antwort... Hier in Mogontiacum schienen merkwürdige Menschen zu leben. Pacatus war zwar durch die Begegnung mit dem - immerhin recht wortgewandten - Troglodyten schon leicht abgehärtet, aber dieser Magister Vici da hatte doch etwas Rätselhaftes an sich. Einen Architekten definieren? Wie, beim Hades, sollte das gehen?
"Äh, ... nochmals Danke für Deinen Tip. Ich frag dann doch lieber jemand anderen. Vale, Magister, valete".
Er nahm Kurs auf die Curia. Komische Reisegruppe.
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