[AULA] Der Hermipus-Prozess

  • Seit Tagen erlebte die Aula, in der es in den Zeiten des Bürgerkriegs etwas ruhiger zugegangen war, geschäftiges Treiben. Zuerst wurde die Halle gesäubert, dann brachten Sklaven Tische, Stühle und Bänke herein. Für die Richter wurden an einem langen Tisch Sessel aufgestellt. Wandteppiche mit den Insignien der Provinz Germania Superior wurden aufgehängt, nicht zuletzt auch, um den Nachhall in der großen Halle zu dämpfen und dem gesprochenen Wort zu mehr Verständlichkeit zu verhelfen. Pulte für die Schreiber wurden hereingebracht und aufgestellt. Der Scriba Calvus sorgte dafür, dass die Pulte an den Stellen zu stehen kamen, wo es den Schreibern möglich war, dem Prozess gut verfolgen zu können. Er achtete auch darauf, dass genung Tabulae und Griffel bereit lagen.


    Nachdem die letzten Tische gerückt, die letzten Papyri mit den Gesetzen des Imperiums in Regale eingeräumt, die Kohlebecken aufgestellt und die Wachen an den Türen eingeteilt waren, inspizierte ich den Saal. Alles war perfekt. Doch da, auf der Anklagebank war ein Besen liegen gelassen worden. Ich stellte ihn in eine Ecke.


    Der Prozess konnte beginnen.

  • http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus


    Mit der Zeit trafen Schaulustige und die Parteien ein. Der Iudex Prior Mamercus Apustius Gratus betrat schließlich die Aula als diese sich gut gefüllt hatte, deren Herrichtung er nach einem prüfenden Blick für angemessen erklärte. Im Schlepptau befanden sich die anderen Iudices, die ihm zu den Richtersessel folgten. Sie ließen sich auf den gemütlichen Sitzgelegenheiten nieder, nicht zuletzt verwundert über die bequeme Ausstattung. Als sie alle saßen, ließ Apustius vom Gerichtsdiener für Ruhe sorgen und erhob seine Stimme.


    "Hiermit eröffne ich diesen Prozess. Meine Herren, wir verhandeln heute hier und jetzt in erster Anhörung die Klage der Civitas Mogontiacum in folgenden drei Anklagepunkten:
    Gegen Philonicus, gen. Manceps, Silus, Paulinus wegen Diebstahl und Bildung krimineller Banden gemäß §§ 86 (2) bzw. 104 (2), gegen den Peregrinus Germar, Sohn des Ratbod, gen. Hermipus wegen Diebstahl, Bildung krimineller Banden und Bestechung gemäß §§ 86 (2), 104 (2), 108 (2)
    sowie gegen den Civis Servius Vipstanus Saloninus wegen Missbrauch der Amtsgewalt und Bestechlichkeit gemäß §§ 113, 115 des Codex Iuridicalis."


    Dies alles hatte der Iudex Prior aus einer Abschrift der Anklageschrift verlesen. Jetzt sah er in die Runde und stellte weiterhin fest:


    "Die Klage wurde angenommen durch den Legatus Titus Statilius Taurus am NON FEB DCCCLXIII A.U.C. (5.2.2013/110 n.Chr.). Ich stelle fest, dass beide Seiten anwesend sind, wobei die Civitas von Lucius Petronius Crispus vertreten wird. Die anderen Parteien vertreten sich selbst."
    Erneute kurze Pause. Apustius legte die Abschrift der Anklageschrift zur Seite und ließ zunächst einmal die Anwesenheit der Streitparteien bestätigen. Dann sah er Lucius auffordernd an.


    "Nun gut. Das Wort hat zunächst die Anklage. Petronius, bittesehr..."

  • Für Lucius war der große Tag gekommen, vor dem er sich ein wenig fürchtete - auch wenn er nicht bereit war, sich das einzugestehen. Er war kein besonders guter Jurist, hatte sogar den Cursus Iuris nur durch Betrug bestanden. Trotzdem musste er die Fassade aufrecht erhalten, um den Zorn des Alten zu vermeiden. Nur die noch größere Angst vor seinem Vater war es also, die ihn dazu bewogen hatte, sich nicht zu widersetzen.


    Und so stand er heute in der Regia. Immerhin war der Iudex nicht der Statthalter - ein Mann, den der junge Petronier wirklich respektiert hätte - sondern nur irgendwelche Decurionen aus Noviomagus und Borbetomagus. Erstere Stadt war etwas angesehener als das Legionsvicus Mogontiacum - selbst wenn dieses eine Provinzhauptstadt war - aber die Gesandten aus Borbetomagus waren für Lucius nicht viel mehr als größere Bauern. Das wiederum spielte ihm in die Hände, denn wie er wusste, musste er sich nur selbst einreden, dass sein Gegenüber ein Nichts war, dann konnte er auch sein Lampenfieber besiegen und flüssig reden. Das war nicht logisch, aber nach langem Überlegen hatte er beschlossen, es einfach zu akzeptieren und einmal einen Arzt zu fragen, sollte er jemals einen kennen lernen.


    Seine unmittelbare Prozessvorbereitung war deshalb auch ein wenig anders als die normaler Anwälte: Er saß auf der Anklagebank und beobachtete die drei Iudices und suchte nach Hinweisen, dies es ihm erleichtern würden, auf die drei herunterzublicken. Der Iudex Prior machte es dabei etwas schwieriger - er war schon etwas älter und bewegte sich überaus aristokratisch. Normalerweise blickte der junge Petronier zu solchen Leuten auf, die auf natürliche Weise Autorität auszustrahlen schienen, aber hier würde dies nur zu Stottern und Stammeln führen. Also brauchte er ein Argument, das für seine Minderwertigkeit sprach...


    Nach einigem Überlegen fand Lucius endlich etwas - Apustius Gratus hatte seinen ganzen Reichtum sicherlich ererbt und war ein Krämer wie die Decuriones in Mogontiacum eben auch. Wahrscheinlich hatte er nie in seinem Leben ein Schwert in der Hand gehabt, sondern sich von Sklaven den Hintern auswischen lassen, während Leute wie Lucius' Vater ihren Arsch hingehalten hatten, damit Städte wie Noviomagus in Sicherheit waren. Sicherlich hatte er während des Bataveraufstands gemeinsame Sache mit den Rebellen gemacht und seine Schäfchen ins Trockene gebracht, ehe Noviomagus zerstört worden war. Und überhaupt, was war Apustius denn für ein Name?


    Mit diesen und anderen Gedanken aufgewärmt sah er sich noch einmal seine Tabula mit den Redepunkten an, warf sie dann aber achtlos auf die Bank - das bisschen würde er sich schon merken können, und um diese aufgeblasenen Trottel zu überzeugen, reichte seine Erinnerung allemal!


    "Verehrte Iudices", begann Lucius, wobei sein Unterton bei genauem Hinhören irgendwie unernst klang. "Ich, Lucius Petronius Crispus, Decurio, Sohn des Marcus Petronius Crispus, Primipilaris der Legio II Germanica..." Eine solche Vorstellung baute den jungen Petronier immer wieder auf - denn auch wenn er den Alten fürchtete, so war er doch stolz, was er geleistet hatte... "... stehe heute vor euch, um ein schändliches Verbrechen anzuklagen, das diese Banditen dort begangen haben."


    Er deutete auf die Anklagebank, wo die sechs Täter wie die Tauben auf der Stange saßen - sie zu verachten war die leichteste Übung für Lucius.


    "Gemeinschaftlich haben sie die Kasse der Civitas Mogontiacum geraubt, die sich aus all den Steuern speist, die wir braven Bürger Jahr für Jahr bezahlen."


    Er sah kurz zur Richterbank und der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass Apustius Gratus wahrscheinlich alle möglichen Tricks kannte, um etwas weniger in diesen Topf zu zahlen - wahrscheinlich reichte es, den Quaestor zu bestechen...
    "Wie konnte so etwas wohl passieren? Natürlich durch Verrat!"


    Er fixierte den ehemaligen Scriba Vipstanus - Lucius hatte immer gelernt, dass Treue und Gehorsam die wichtigsten Tugenden waren. Wer seine Pflichten vernachlässigte und sich den Worten seiner Vorgesetzten widersetzte, der war ehrlos und nichts wert. "Dieser treulose Schreiberling, Servius Vipstanus Saloninus, hat sich nämlich vom Kopf der Bande kaufen lassen. Dieser Kopf heißt Germar, Sohn des Ratbod und stammt aus der Civitas Alisinensium. Er ist ein Krämer und Verschwender, weshalb er auch versucht, sich mit dem Namen "Hermipus" einen seriösen Anstrich zu geben. Naja, er war jedenfalls auch ein miserabler Krämer, denn anstatt mit Mühe und Fleiß ordentliche Arbeit abzuliefern, verprasste er lieber das ererbte Vermögen seiner Familie, was dem Geschäft nicht gut bekam: Er drohte bankrott zu gehen! Allerdings hielt ihn das nicht davon ab, weiterhin in Fresserei und Sauferei zu leben! Bei einem seiner Saufgelage traf er dann auf einen windigen Typen namens Manceps alias Philonicus. Mit ihm heckte er den Plan aus, der im Folgenden tatsächlich gelingen sollte:


    Vipstanus, dem die Civitas voller Vertrauen die Verwaltung der öffentlichen Kassen anvertraut hatte, war dabei ein willfähriger Helfer: Gegen ein lächerlich kleines Bestechungsgeld verriet der Schreiberling Germar, wie die Stadtkasse am leichtesten auszuplündern war. Das setzte Manceps dann gemeinsam mit seinen Handlangern Silus, Paulinus und Scipio in die Tat um. Sie brachen den Tresor auf, schafften die Reichtümer in Säcken auf einem Boot über den Rhenus und verluden dann alles auf Karren.


    Geplant war, die Beute auf einem Gutshof bei Silva Abnoba zu teilen. Aber wie es bei Gaunern dieser Art üblich ist, war die Gier für das Teilen zu groß - Manceps und seine Spießgesellen schafften das Diebesgut auf der Straße weiter weg und konnten schließlich bei Vesontio von einer Straßenkontrolle festgenommen werden. Die Ermittlungen eines Klienten unserer Familie brachten dann hervor, was ich eben vorgetragen habe."


    Da Lucius den Magoniden nicht sonderlich mochte - auch wenn er noch immer voller Begehren (er hatte inzwischen festgestellt, welches Gefühl es wra) an Nicaea dachte - hatte er beschlossen, eher zu betonen, dass er zur Familia Petronia gehörte. Abgesehen davon würde es Mathayus sowieso nichts nützen, hier lobend erwähnt zu werden, denn seit seinem Aufbruch in Richtung Aegyptus hatte man nichts mehr von ihm gehört. Wahrscheinlich war er schon längst tot.


    In der kurzen Pause fiel ihm plötzlich ein, dass er ganz vergessen hatte, die Absprache zwischen Manceps und Hermipus genauer zu erklären - das würde er jetzt so noch einbauen müssen...


    "Der Tatverlauf zeigt, dass folgende Tatbestände erfüllt sind:
    Germar - der übrigens eigentlich mit Manceps abgesprochen hatte, die Beute halbe-halbe zu teilen - hat gemeinsam Vipstanus bestochen und gemeinsam mit Manceps eine Bande gebildet. Als Auftraggeber ist er außerdem auch wie ein Mittäter für den Diebstahl zu verurteilen. An Beweisen haben wir für ihn vor allem seine eigenen Aussagen, die hier protokolliert sind. Weitere Nachforschungen decken sich mit den Aussagen. Außerdem wird er von seinen Mittätern beschuldigt."


    Er hob das Protokoll hoch, das er zur Verhandlung mitgebracht hatte. Tatsächlich hatte er selbst die Bücher Germars kontrolliert und dabei den Bankrott selbst vorgefunden. "Manceps alias Philonicus, Silus, Paulinus und Scipio, alle Peregrini, sind dagegen wegen der Bildung krimineller Banden und Diebstahl zu belangen. Sie wurden von einem Beneficarier-Posten mit der Beute aufgegriffen und waren ebenfalls im Verhör geständig.


    Und zuletzt Servius Vipstanus Saloninus: Er hat sich der Bestechlichkeit schuldig gemacht und seine Amtsgewalt missbraucht, indem er das ihm anvertraute Wissen über die Sicherungsvorkehrungen der Stadtkasse an Dritte weitergegeben hat.


    Das bringt uns zur Strafforderung der Civitas Mogontiaciensis, in deren Namen ich hier auftrete: Wir haben es hier mit Männern zu tun, die nicht irgendwen bestohlen haben - sie haben den Staat bestohlen! Sie haben dazu Männer angeheuert, deren einziges Ziel es war, das Geld unserer Stadt, die dieses dringend benötigt um öffentliche Bauten zu unterhalten, die Götter zu besänftigen und die Notleidenden zu unterstützen. Der Diebstahl an einem Gemeinwesen wäre schon ein Verbrechen, aber wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass alles Geld einer kaiserlichen Provinz dem Kaiser selbst gehört, und wir außerdem die Prämisse haben, dass eine Stadt ohne Stadtrecht kein Vermögen besitzen kann, die Stadtkasse also strenggenommen ein Teil der Provinzkasse ist, dann ergibt die Konklusion, dass diese Bande Geld des Kaisers gestohlen hat. Und zwar eine erhebliche Summe.


    Nach dem Strafrecht bestimmt die härteste Strafe das Strafmaß. Bandenbildung mit dem Zweck eines Verbrechens kann mit dem Tod bestraft werden. Und in Anbetracht der Tatsache, dass sich diese Männer dazu verschworen haben, dem Kaiser Geld zu stehlen, dazu noch keine römischen Bürger sind, beantrage ich die Todesstrafe als Warnung für alle, die ähnliches planen!"


    Er setzte sich und bemerkte dabei erst, dass er ganz die betreffenden Zitate aus dem Codex Iuridicialis vergessen hatte - aber dafür war es sowieso zu spät und die Herren auf der Richterbank hatten sicher einen Juristen zur Beratung, der ihnen das leicht sagen konnte. Außerdem hatte er ja noch das Schlussplädoyer und eine Tabula, auf der alles notiert war. Die studierte er jetzt noch einmal, um zu sehen, was er alles vergessen hatte...

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  • http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus


    Apustius hörte genau zu. Dieser Petronius hatte sich offensichtlich gut vorbereitet. Zwar erkannte der Iudex Prior hier und dort kleinere Fehler im Aufbau der Rede, aber das war halb so wild, denn der Inhalt klang soweit erstmal überzeugend. Jetzt war Apustius auf die Gegenrede gespannt.


    "Danke, Petronius. Die Verteidigung hat nun das Wort."

  • http://imageshack.us/a/img9/6633/hic3105.jpg M. Gorgonius Augurinus ...
    war Advocatus mit jeder Faser seiner Seele. Streng, manchmal fast unnahbar, glaubte er fest an die Gerechtigkeit. Nicht die gewonnenen Kriege seien es, die dem römischen Reich seine Majestät verliehen hätten, nein, diese Majestät sei ihm aus seinem Recht, dem Römischen Recht erwachsen. IUSTITIA EST CONSTANS ET PERPETUA VOLUNTAS IUS SUUM CUIQUE TRIBUENDI *) war sein Wahlspruch (diese Worte wird Ulpianus zwar erst ein paar Jahrhunderte später gesagt haben, aber es zeigt, wie groß der Weitblick des Augurinus war).


    Er trat vor.


    "Werte Iudices,mein Name ist Manius Gorgonius Augurinus. Mir ist die Aufgabe zugewachsen, den Angeklagten in diesem Fall Rechtsbeistand zu leisten. Obwohl ich jede Rechtsverletzung, wie auch diesen Fall von Diebstahl als eine Beschmutzung des Römischen Rechts betrachte, habe ich die Pflicht, dem Sieg der Gerechtigkeit auch für diese Beklagten zum Durchbruch zu verhelfen".


    Mit spitzen Fingern klaubte er sich eine Kopie der Anklageschrift vom Tisch.


    "Ich werde, eure Erlaubnis voraussetzend, werte Iudices, die Abfolge der Anklagepunkte in dem Schriftstück des verehrten Petronius Crispus streng einhalten".


    "Da ist zunächst der Punkt 'Diebstahl und Bildung krimineller Banden' nach den §§ 86(2) respektive 104(2) CI gegen die Peregrini Philonicus, Silus, Paulinus und Scipio. Die Mittäterschaft von Philonicus und Silo bei der Ausführung des Diebstahls ist durch das Geständnis von Germar erwiesen. Mitnichten aber die von Paulinus und Scipio. Wie wir aus dem Verhörprotokoll vom M. Magonidas wissen, hat Philonicus dem Germar diese Namen verschwiegen".


    "Paulinus und Scipio wurden vielmehr zusammen mit Philonicus und Silo von einem Kontrollposten unter Führung des Optio Cn. Munatius Verax an der Grenze zur Gallia Lugdunensis beim Transport des Diebesgutes festgenommen. Ich habe diese Angaben durch eigene Erkundigungen einholen müssen, da mir bisher kein offizieller Bericht über die Festnahme und die eventuell nachfolgenden Verhöre vorliegt. Ich verweise hierzu auf § 17(5) CI. Wenn in den Akten des Gerichts ebenfalls kein solcher Bericht vorhanden ist, muss davon ausgegangen werden, dass die Mittäterschaft von Paulinus und Silanus bei dem Diebstahl als unbewiesen anzusehen ist".


    "Ich komme jetzt zu dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Gruppe nach § 104(2) CI". Augurinus lächelte in sich hinein. "Diese Zuordnung ist zweifellos ein viel zu großer Stiefel für den hier zu behandelnden Fall. Ich würde wirklich nur dann auf den § 104 plädieren, wenn nachgewiesen wäre, dass die Beklagten eine Vereinigung gegründet hätten, die die dauerhafte Begehung von Verbrechen zum Vorsatz hätte und auch schon mehrere Verbrechen begangen hätte. Die Beweislage ist hier nicht nur dünn, sondern fehlt sogar gänzlich, sodass große Zweifel bestehen bleiben. Richtig ist im diesem Fall, dass § 86(2) angewandt werden muss. Das Kriterium für § 86(2) ist ja, dass der Diebstahl von einer Bande ausgeführt wurde und nicht von einem einzelnen. Ich appelliere an das Iudicium, sich hier den Grundsatz 'in dubio pro mitius' **) vor Augen zu halten, um auf dem sicheren Boden der Gerechtigkeit zu bleiben".


    Augurinus blickte kurz auf die Anklageschrift, verzog die Mundwinkel und legte den Papyrus wieder auf den Tisch. "Ich komme nun zu Germar, Sohn des Ratbod. Ihm wird der Diebstahl, die Bildung einer kriminellen Gruppe und Bestechung vorgeworfen. Zweifelsfrei hat er den Diebstahl nicht selber ausgeführt. Ich kann ihn aber nicht aus seiner Verantwortung entlassen, denn § 86(2) greift auch hier. Mein Sinn für Gerechtigkeit veranlasst mich, noch auf die §§ 48 und 49 CI hinzuweisen, ein Punkt, der in der Anklage versäumt wurde".


    "Meine Ausführungen zu § 104 gelten auch für Germar, sodass ich sie nicht zu wiederholen brauche. An dem weiteren Vorwurf der Bestechung nach § 108(2) ist nichts zu deuteln. Aber ich bitte das werte Iudicium darum, folgendes in Betracht zu ziehen: Wie die Anklage es formuliert hat, den Tätern wurde 'gegen ein lächerlich kleines Bestechungsgeld' das Tor zu ihrer Beute geöffnet. Dieses Tor zur Beute war eine simple Holztür. Es ist und bleibt mir ein Rätsel, wie die jetzt klagende Civitas mit der Absicherung ihres Geldes so bodenlos leichtsinnig umgehen konnte. Es war ja geradezu eine Einladung an die Beklagten, auf die Beute zuzugreifen. Wohlgemerkt, ich spreche nur von Leichtsinn, nicht von Fahrlässigkeit, denn dies müsste ja dann juristische Weiterungen nach sich ziehen".


    Nur eine Augenbraue ging in die Höhe, als Augurinus zu den Stadtvätern hinüberschaute. Als er zu nächsten Punkt kam, seufzte er.


    "Der einzige römische Bürger unter den Beklagten ist Servius Vipstanus Saloninus. Ihm wirft die Anklage Missbrauch der Amtsgewalt und Bestechlichkeit nach den §§ 113 und 115 CI vor. Ich habe einige Zweifel daran, ob hier wirklich ein Missbrauch der Amtsgewalt vorliegt. Sicher kann man jedes auch noch so kleine Vergehen eines Amtsträgers mit einem gewissen Maß an Spitzfindigkeit leicht dem Tatbestand von § 113 zuordnen. Ich erlaube mir, jetzt mit demselben Maß an Spitzfindigkeit festzustellen: ein Missbrauch der Amtsgewalt liegt nur dann vor, wenn ein Amtsträger sich gegenüber Dritten Rechte anmaßt, die er de facto nicht hat. Der § 115 ist folglich hier der einzig Zutreffende und reicht für eine angemessene Strafe auch vollkommen aus. Im Übrigen verweise ich auf meine vorigen Ausführungen zum Thema Leichtsinn".


    Wieder blickte Augurinus zu den Stadtvätern hinüber.


    "Die Anklage hat den Bürger Saloninus nicht des Diebstahls und der Bildung krimineller Gruppen bezichtigt. Sie betrachtet ihn, wie jeder andere vernünftige Mensch das auch tun würde, folgerichtig als nicht zugehörig zu dem Ganovenquintett. Er wurde nur als Türöffner benutzt. So weit, so gut, wenn die Anklage dann nicht in einer bemerkenswerten Rückwärtsvolte für alle Angeklagten die Todesstrafe fordern würde. Für alle?"


    Jetzt hob Augurinus beide Augenbrauen.


    "Ich stelle fest, dass damit das werte Iudicium unzulässigerweise zu einem ungerechten Urteil aufgefordert wird. Man kann die Angeklagten nicht über einen Kamm scheren. Also: SUUM CUIQUE!"


    "Die Todesstrafe? Ich finde in der Anklageschrift keine tragfähige Begründung für eine solche Forderung und das Iudicium wird wohl auch keine finden. Oder vielleicht doch? Ja, sicher, die Anklage hat ja auf den schlimmen § 104 (2) plädiert! Mit der abenteuerlichen Begründung, dass die Angeklagten des Kaisers Geld gestohlen hätten. Ja, aber warum hat die Anklage bei einem solch gigantischen Vorwurf dann vergessen, auf § 104(3) CI zu plädieren? Der würde doch mühelos ein Todesurteil ermöglichen. Sie haben aber nicht und so ist dies auch nicht Gegenstand dieser Verhandlung."


    "Wertes Iudicium, zum Schluss bitte darum, bei der Urteilsfindung auf dem sicheren Boden der Gerechtigkeit zu bleiben".


    Er setzte sich.


    Sim-Off:

    *) Gerechtigkeit heißt, jedem sein Recht geben, immer und beharrlich
    **) im Zweifel für das Mildere

  • Ungeduldig saß Lucius auf seiner Bank und blickte zu Boden, während er zugleich das hochmütige Geschwätz des Verteidigers hörte. Offensichtlich war der Mann ein ausgesprochener Paragraphen-Liebhaber, denn er warf mit diesen Zahlen nur so um sich. Inhaltlich war das ganze aber heiße Luft - er konnte nicht einen logischen Beweis liefern, dass seine Klienten unschuldig oder auch nur weniger schuldig waren - er schien das Verfahren schlicht in die Länge ziehen zu wollen.


    Das Problem war, dass er vergessen hatte, einen Codex Iuridicialis mitzubringen, weshalb er der letzten Anschuldigung nichts Sicheres entgegensetzen konnte. Zwar ging aus der Rede hervor, dass § 104 der Bandenparagraph war, aber was war Abschnitt (3)? Fieberhaft überlegte der junge Petronier - und versuchte es mit Logik. Zu Bandenkriminalität ließ sich eigentlich wenig Wichtiges aussagen: es musste definiert werden, was eine Bande war, ebenso mussten eventuelle Abstufungen bei der Strafbarkeit vorgenommen werden - wobei der dritte Abschnitt offensichtlich die Todesstrafe in Betracht zog. Aber welcher Umstand sollte solch eine Strafe von anderen Strafen absondern? Wenn er sich recht erinnerte, gab es drei Kategorien von Straftaten - Vergehen, Verbrechen, Schwerverbrechen - die aber typisch juristisch sehr schwammig abgegrenzt waren. Nur Schwerverbrechen ermöglichten die Todesstrafe - aber was definierte ein Schwerverbrechen? Nunja, die Schwere - richtig, das musste es sein! Es blieb nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob er richtig lag:
    "Du hast mir scheinbar nicht zugehört, Gorgonus! Ich habe doch gerade ausgesagt, warum ich § 104 (3) für gegeben halte, denn gibt es ein schwereres Verbrechen als Diebstahl am Kaiser?"


    Außerdem musste er noch den logischen Zirkelschluss thematisieren, der ihn geärgert hatte, sobald er ihn gehört hatte:
    "Außerdem würde ich gern wissen, wie du dir das vorstellst, Gorgonus: Die Richter sollen die Sache als Bandendiebstahl behandeln, die Täter haben aber gleichzeitig keine Bande gebildet? Das ist eine Kontradiktion!"

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  • http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus
    Eine Kontradiktion. Lucius' Worte hallten noch in Apustius Geist wider, als Gorgonius sich bereits wieder meldete. Das ganze war ja tatsächlich eine hochinteressante Auseinandersetzung. Apustius war begeistert. Er hätte nicht gedacht, dass dieser Jungspund eine dermaßen wohlfeil formulierte Rede hätte halten können. Auch wenn diese nicht völlig fehlerfrei in Bezug auf die Begründung der Anträge hinsichtlich des Strafmaßes erschien. Aber Gorgonius machte demgegenüber einen sehr souveränen und routinierten Eindruck. Naja, er war immerhin schon viele Jahre länger Advocatus als der Petronier.


    "Gorgonius, du hast das Wort", ließ der Apustier fürderhin verlauten, da dieser ihn doch derart erwartungsvoll fixiert hatte.

  • http://imageshack.us/a/img9/6633/hic3105.jpg M. Gorgonius Augurinus ...
    betrachtete seine Fingerspitzen als ob er dort die Ursache für die tölpelhafte Antwort des Anklägers finden könnte. Dann hob er den Blick. "Werte Iudices, es macht mich immer traurig, wenn ich Juristen begegne, die ihre Gesetzestexte nicht mit der gebotenen Andacht lesen".


    "Betrachten wir also hier den § 104 CI. Dort ist von der 'Bildung krimineller Gruppen' die Rede. Wie man leicht an § 104(1) CI erkennen kann, liegt die Intention des 104 auf gut organisierten Gruppen, im genannten Absatz gar auf bewaffneten Gruppen. Gemeint sind offensichtlich Gruppen, die staatsfeindliche Ziele haben können oder auch Gruppen von Piraten und Räubern, die, wie gesagt, gut organisiert sind und dauerhaft operieren und damit sogar auch das Gemeinwohl gefährden können. Das Gesetz stellt hier nicht die Taten, sondern die Bildung oder Gründung einer solchen Gruppe unter Strafe".


    "Das kann man überhaupt nicht vergleichen mit einer lose organisierten Diebesbande, die sich zum Zweck eines oder gegebenfalls auch mehrerer Diebstähle zusammen gefunden hat. Im Unterschied zu § 104 verwendet der § 86(2) deshalb nicht ohne Grund auch den Begriff Bande. Hier wird die Tat unter Strafe gestellt und wenn sie gemeinschaftlich begangen wird, wirkt dies strafverschärfend. Damit regelt der § 86(2) diesen Tatbestand abschließend, weshalb sich eine zusätzliche Anwendung von § 104(2) verbietet, vor allem schon deshalb, weil mit § 48 auch die Frage einer Mittäterschaft erschöpfend geregelt ist".


    Mit der Miene eines Menschen, den man in seinem Mittagschlaf gestört hat, blickte Gorgonius hinüber zu dem Ankläger. "Der § 104 scheidet also aus und damit auch jede Forderung nach einer Todesstrafe, ganz gleich, ob das in der Anklageschrift steht oder nicht".


    "Ich fasse also zusammen: Das hohe Iudicium möge den Tätern Philonicus, Silus, Paulinus und Scipio auf §86(2) erkennen, mit einer Höchststrafe von 1200 Sesterzen Geldstrafe oder sechs Monaten Haft. Ich bitte dabei aber die Rolle von Philonicus als Inspirator in der Abstufung der Strafzumessung zu würdigen, ebenso wie die Tatsache, dass die Beteiligung am eigentlichen Diebstahl bei den Tätern Paulinus und Scipio nicht erwiesen ist".


    "Das hohe Iudicium möge bei dem Täter Germar, genannt Hermipus auf § 86(2) in Verbindung mit § 48(2) erkennen, zusätzlich auf § 108(2), letzterer mit einer Höchststrafe von 800 Sesterzen Geldstrafe oder drei Monaten Haft, wobei § 86 den Ausschlag geben sollte".


    "Das hohe Iudicium möge bei dem Täter S. Vipstanus Saloninus auf § 115 erkennen, mit einer Höchststrafe von 1000 Sesterzen Geldstrafe oder vier Monaten Haft. Auf § 113 kann aus den Gründen, die ich schon genannt habe, nicht erkannt werden".


    Mit einer wegwerfenden Handbewegung fuhr er fort: "Auf die von großem Pathos getragenen Argumente, mit der der Ankläger auf die Tränendrüsen der verehrten Iudices zu drücken versuchte, um das Strafmaß anzuheben, will ich hier nicht eingehen, da sie bei der gegebenen Rechtslage ohnedies keine Wirksamkeit mehr entfalten können".


    Er setzte sich.

  • Witjon saß natürlich am heutigen Tage im Publikum, denn hier ging es schließlich darum, die Männer zur Rechenschaft zu ziehen, die seinen Heimatort durch ihr widerwärtiges Tun drastisch geschädigt hatten. So emotionslos und beinahe unbeteiligt der Iudex Prior die Verhandlung leitete, so mitreißend und spannend ließ sich der Schlagabtausch von Ankläger und Verteidiger mitverfolgen. Lucius Petronius Crispus preschte zunächst in jugendlichem Ungestüm vor und forderte sogleich die Todesstrafe für alle Beteiligten, was Witjon erschreckte. Der ging ja richtig in die Vollen. Witjon selbst hatte zumindest den Scriba Vipstanus in seiner Zeit als Duumvir persönlich kennen gelernt. Da mutete es jetzt schon seltsam an, denjenigen zum Richtblock zu treiben.


    Andererseits vermochte der Gorgonier es, mit stichhaltigen Argumenten Lucius' Vortrag ganz schön auseinander zu nehmen. Witjon erkannte schnell die Patzer, die der Petronier in seine Anklage eingebaut hatte und die die Verteidigung nun aufdeckte. Darüber würde wohl noch zu reden sein, da war Witjon sich sicher. Andererseits lag es bei den Iudices, das Strafmaß festzulegen. Wenn auch die Gesetzesgrundlage für Lucius' Forderung nicht in allen Fällen genau passte, so war die geforderte Strafe durchaus berechtigt, wenn es nach Witjon ging. Die Civitas durfte nicht zulassen, dass Bandendiebstahl zu einem rentablen Geschäft wurde, in dem sich Verbrecher ihres Überlebens selbst bei Handhafthabung sicher sein konnten.


    Gespannt lehnte Witjon sich ein wenig vor. Jetzt würde es wohl zunächst einmal eine Beweiswürdigung geben, denn der Iudex Prior würde wohl kaum das reine Wortgefecht der Parteien als Entscheidungsgrundlage gelten lassen. Besonders nicht, wenn es um Todesurteile ging. Witjon warf einen Seitenblick auf seinen Sohn, der ihn zu der Verhandlung begleitet hatte. Er schien ebenfalls recht interessiert zu sein. Immerhin war dies seine erste große Gerichtsverhandlung. Vielleicht würde Audaod ja selbst einmal dort vorne stehen und jemanden anklagen oder dessen Verteidigung übernehmen. Ob er gar Iudex werden würde? Wenn Audaods Norne es so wollte, würde es wohl so kommen...

  • Audaod saß neben seinem Vater und verfolgte ebenfalls die Verhandlung. Nicht so aufmerksam und gewiss nicht so begeisterungsfähig wie dieser, aber dennoch hörte er zu. Vor allem studierte er Mimik und Gestik der Redner und deren Auftreten insgesamt. Wo Lucius an manchen Stellen noch gelegentlich einen etwas unsicheren Eindruck machte, wirkte der Gorgonier wie die Souveränität in Person. Audaod faszinierte das. Die Lehren seines Magisters und später die des Grammaticus und in jüngster Zeit auch die des Rhetors schienen also doch Sinn zu ergeben. Er sollte den Lektionen seiner Lehrer wohl tatsächlich mehr Aufmerksamkeit schenken, wenn er nicht in naher Zukunft wie Lucius herumstammeln wollte, wie Audaod es von seinem Vater aus der ein oder anderen Sitzung des Ordo Decurionum gehört hatte.

  • Nachdem die Anklage- und Verteidigungsreden vorgebracht worden waren, rief der Iudex Prior zur Beweisvorlage auf. Zu diesem Zweck wurden die verschiedenen Anklagepunkte der Reihe nach abgearbeitet. Zunächst einmal ging es um die Peregrini Philonicus beziehungsweise Manceps, Silus, Paulinus und Scipio. Diese waren im Verhör allesamt geständig gewesen, weshalb lediglich das dazugehörige Protokoll verlesen wurde, in dem die von Lucius Petronius Crispus getätigten Anschuldigungen inhaltlich bestätigt wurden. Die Männer hatten sich zusammengefunden, um die Stadtkasse zu stehlen, und taten dies auch.


    Als nächstes wurde ein Bericht eben jenes Beneficariers verlesen, der die Leitung bei der Festsetzung der flüchtigen Diebesbande inne hatte. In diesem wurde die genaue Höhe des gestohlenen Geldes, das genauestens abgezählt worden war - 30555 Sesterzen - und der Hergang der Flucht und Festnahme der Diebe präzise wiedergegeben.


    Im Folgenden wurden die Beweise zur Handlung von Hermipus vorgebracht. Dessen Taten waren nach seinen eigenen Aussagen festgeschrieben worden, welche nun ebenfalls verlesen wurden. Da blieb kein Zweifel an irgendeiner Schuld.


    Servius Vipstanus Saloninus wurde zuletzt selbst als Zeuge vernommen hinsichtlich des Diebstahls der Stadtkasse aus dem Raum in der Curia, den er ja selbst miterlebt hatte. Eine Aussage machte er jedoch nicht. Statt dessen reichten auch hier wieder die Verhörprotokolle der Komplizen aus, um die vom Petronier vorgeworfenen Handlungen zu bestätigen.


    Insgesamt sah die Beweislage also höchst unvorteilhaft für die Angeklagten aus, dafür umso besser für die Civitas und den Petronier.


    Der Hergang der Tat war also bewiesen. Jetzt ginge es mit hoher Wahrscheinlichkeit nur noch um die Frage des Strafmaßes, die ja bereits Streitpunkt zwischen den Parteien gewesen war. Wie würden die Iudices entscheiden?

  • http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus
    Nachdem die Parteien ihre Reden vorgetragen hatten, ging man zur Beweisaufnahme über, die ausführlich durchgeführt wurde. Apustius verfolgte die Vorträge aufmerksam und wechselte dabei gelegentlich Blicke mit seinen Iudices oder ließ sich leise von ihnen etwas ins Ohr flüstern. Der eine oder der andere schien sich bereits eine feste Meinung gebildet zu haben, anderer war noch unentschlossen. Irgendwann war die Beweisaufnahme dann glücklicherweise am Ende und Apustius konnte die Parteien zum Schlussplädoyer aufrufen.


    "Nun denn, meine Herren. Die Standpunkte der Parteien sind gehört worden, die Beweise wurden vorgetragen. Die Parteien haben zum Abschluss noch einmal die Gelegenheit, eine abschließende Rede vorzutragen. Petronius, du hast als erster das Wort", ließ der Apustier die Versammelten letztlich wissen. Nach den Schlussplädoyers würden die Iudices sich dann zur Urteilsfindung zurückziehen.

  • Zitat


    Original von Lucius Petronius Crispus per PN


    Endlich kam der unsägliche Prozess zu einem Ende - Lucius hatte schon längst die Lust verloren an den Spitzfindigkeiten dieses Winkeladvokaten, der seinem Namen alle Ehre machte - auch wenn er keine Schlangenhaare, sondern vielmehr fast garkeine hatte, war er mit das Schrecklichste, was der junge Petronier je erlebt hatte! Bei jedem Wort dieses Paragraphenreiters hatte er sich sein Schwert herbeigesehnt - Armin hatte ihm ausgeredet, es mitzunehmen - um ihm nach § 1 (1), Lex Petronia, "Wer dummschwätzt, stirbt!" die Kehle aufzuschlitzen. So musste er aber auf seinem Platz bleiben, die Finger kneten und die Redeschwälle über sich ergehen lassen. Richtig zuzuhören hatte er bald keine Lust mehr gehabt - aber das würde auch kaum nötig sein, denn selbst diese Strohköpfe von Iudices würden seiner rationalen Argumentation zustimmen müssen!


    Jetzt aber stand er auf, räusperte sich und begann sein Schlussplädoyer:
    "Verehrte Iudices, zum Abschluss kann ich nur noch einmal meine Argumente wiederholen, auch wenn Gorgonus sie nicht recht versteht und sie haarspalterisch auseinanderzunehmen versucht:


    Nicht einmal die Angeklagten können behaupten, dass sie den Diebstahl begangen haben - und zwar alle! Sie alle haben ihre Taten schon längst gestanden - Germar und Vipstanus hier in Mogontiacum, vor dem Ermittler der Civitas und einem Scriba, die anderen in Vesontio bei den Beneficarii. Ich kann mir kaum eine glaubwürdigere Aussage vorstellen und weitere Zweifel sind überflüssig! Soweit ich weiß, haben wir Krieg, und wir können nicht darauf warten, bis irgendwelche Beneficarii wieder zurückgekommen sind - wenn sie das überhaupt tun - ganz zu schweigen vom Ermittler der Civitas, der ebenfalls nicht in Mogontiacum ist. Es wäre irrational, deshalb zu glauben, dass diese Aussagen unwahr sind! Damit können wir uns alles weitere Gerede über Beweise sparen!"


    Er machte eine kurze Pause - in einem Plädoyer musste noch einmal eine Strafforderung kommen - selbst wenn es redundant war und irgendwie davon auszugehen schien, dass sich Richter das Eröffnungsplädoyer nicht merken konnten (das hatte Eumenius ihm eingetrichtert) - außerdem war das ja der eigentliche Streitpunkt der Verhandlung gewesen, wobei dieser Gorgone ja seine juristisch-haarspalterische Ader an den Tag gelegt hatte, die dem jungen Petronier so furchtbar auf die Nerven ging.


    "Dass wir einen Diebstahl haben, ist völlig klar. Dass wir eine Bande haben, aber genauso! Auch das hat Gorgonus schon zugegeben, auch wenn er aus irgendeinem Grund glaubt, dass Diebesbanden und gewöhnliche Banden etwas unterschiedliches sind! Das Ziel einer kriminellen Bande sind Verbrechen, und dass ein Diebstahl ein Verbrechen ist, ist sowieso klar! Zeiträume sind nicht messbar und daher unerheblich - man könnte auch von einer langen Dauer reden, denn der Diebstahl hielt ja an, bis die Täter gefasst wurden, was fast ein Jahr gedauert hat!


    Hier haben wir es aber nicht nur mit irgendeinem Diebstahl zu tun, sondern mit einem besonders schweren Diebstahl! Das sieht man nicht nur an der großen Beute, sondern vor allem an dem Besitzer! Es geht hier nämlich um den Besitz einer Civitas, also einer kaiserlichen Provinz, also des Kaisers! Dabei ist es völlig egal, wie dieser Besitz gesichert ist, denn auch wenn man zum Beispiel den Volkstribun anrührt, weil seine Haustür nie verschlossen sein darf, fällt man dem Fluch anheim! Und wer den Besitz des Staates oder des Kaisers anrührt, der hat immer ein schweres Verbrechen begangen, selbst wenn das Geld auf dem Forum liegen würde und nur ein Schild daran stände, dass es dem Kaiser gehört! Wenn wir so eine Argumentation zuende denken, könnten wir ja auch Randalierer, die Statuen umstürzen oder öffentliche Gebäude beschädigen, nicht mehr anklagen!"
    Auf den Vergleich mit dem Volkstribun war Lucius stolz - den Cursus Honorum hatten sie einmal vor Jahren bei Xanthippus besprochen, als sie Cicero gelesen hatten. Und dann noch einmal bei Eumenius, der ihnen die Aufgabe gegeben hatte, Rom und die Verwaltung eines Municipium zu vergleichen. Das ganze war stinklangweilig gewesen, aber dieses kleine Detail war wundersamerweise bei ihm hängengeblieben...


    Was jetzt noch blieb, war ein einfacher Syllogismus:
    "Wenn Bandenkriminalität dadurch definiert ist, dass eine Bande ein Verbrechen begeht und das Verbrechen in unseren Fall besonders schwer ist, dann ist es logisch, dass wir in unserem Fall schwere Bandenkriminalität vor uns haben! Und schwere Bandenkriminalität verdient, wie Gorgonus ja auch schon erklärt hat, die Todesstrafe! Der Fall ist also klar!


    Dann bleibt Vipstanus, der verräterische Scriba übrig. Auch wenn man vernünftigerweise sagen muss, dass seine Information zur Anbahnung und zum Erfolg der Tat maßgeblich beigetragen hat und er deshalb in gewisser Weise auch zur Bande gezählt werden kann, dürfte das für einen spitzfindigen Juristen diskussionswürdig bleiben. Ich möchte aber bemerken, dass seine Tat ein absoluter Vertrauensbruch darstellt, der eines Römers absolut unwürdig ist und den Tod verdient hätte! Leider sind unsere Gesetze da aber zu gnädig, also bleibt Bestechlichkeit und Amtsanmaßung.


    Die Bestechlichkeit liegt auf der Hand, denn wenn Gorgonus auf einer Seite zugesteht, dass eine Bestechung vorgelegen hat, muss er andererseits auch anerkennen, dass Bestechlichkeit vorliegt. Beim Missbrauch der Amtsgewalt glaubt er dagegen aus irgendeinem Grund, dass ein Scriba das Recht hat, jedem dahergelaufenen Typen die Sicherungsmechanismen der Stadtkasse zu verraten. Als ehemaliger Magister Vici und Decurio bin ich mir aber ziemlich sicher, dass das nicht der Fall ist. Genaugenommen hat niemand diese Amtsgewalt, aber wenn überhaupt jemand entscheiden darf, wer von diesen Mechanismen erfährt, dann sind das die Duumviri oder bestenfalls noch die Quaestoren, die diese Kasse verwalten.


    Wie das Gesetz so ist, wird jeweils keine präzise Strafangabe gemacht, sondern nur ein etwas schwammiger Strafraum aufgespannt. Hier muss aber der oberste Rand ausgeschöpft werden, denn wenn wir bedenken, was passiert wäre, wenn wir die Täter nicht gefasst hätten, dann..." Einen Moment stockte Lucius - diesen Satz hatte er irgendwie nicht zu Ende gedacht.


    "Naja, jedenfalls wäre der Civitas Mogontiacum ein gigantischer Schaden entstanden! Dreißigtausend Sesterzen wurden gestohlen - das würde genügen, um genügend Land zu kaufen, dass alle unsere Magistrate, ausgenommen der Magistri Vici, in den Ritterstand aufsteigen könnten! Da erscheint es mir mehr als angemessen, wenn wir folgendermaßen rechnen:


    Höchststrafe Bestechlichkeit - 1000 Sesterzen - plus Höchststrafe Amtsanmaßung - nochmal 1000 Sesterzen - macht zusammen 2000 Sesterzen!


    Fazit: Todesstrafe für Hermipius alias Germar, Manceps alias - äh - Philonicus, Silus, Scipio und Paulinus, Geldstrafe von 2000 Sesterzen für Vipstanus."


    Er atmete tief durch, blickte triumphierend in die Runde und setzte sich. Noch ein letztes Mal würde er die langweilige Stimme des Gegenanwalts hören müssen - aber da der Prozess danach zu Ende war, musste er wenigstens nicht zuhören. Also wandte er sich einer leeren Tabula zu und begann zum Spaß, ein paar Rechenaufgaben zu lösen...

  • http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus
    Lucius Petronius Crispus hielt ein seeeehr langes Schlussplädoyer. Iudex Prior Apustius zog immer wieder die Augenbrauen hoch. Teils in Anerkennung für die ausschweifende und dennoch inhaltlich eng an der Anklage gehaltene Rede. Andererseits gerade weil das Plädoyer so unglaublich lang war und er sich selbst immer wieder zu Konzentration gemahnen musste.


    Am Ende wurde der Petronier dann aber doch noch fertig. Apustius ließ einen Augenblick der Pause verstreichen, während dessen Lucius sich setzen konnte. Dann wandte er sich an den Verteidiger. "Manius Gorgonius Augurinus, möchtest du auf das Plädoyer der Anklage etwas erwidern?"

  • http://imageshack.us/a/img9/6633/hic3105.jpg M. Gorgonius Augurinus ...
    erhob sich. "Gewiss, verehrter Iudex Prior, dies Plädoyer der Anklage zwingt mich, ein Wort dazu zu sagen". Er breitete die Arme aus und holte tief Luft.


    "Ich will mich so kurz fassen, wie es eben geht, hohes Iudicium. Im Corpus Iuris findet sich der klare Grundsatz: Poena non irrogatur, nisi quae quaque lege vel quo alio iure specialiter huic delicto imposita est. Eine Strafe wird nicht verhängt, es sei denn, dass sie für das Delikt von einem Gesetz oder einer anderen Rechtsvorschrift ausdrücklich angedroht ist. Wenn der Vertreter der Anklage, der verehrte Aulus Agerius also so händeringend um die Verhängung der Todesstrafe fleht, dann muss er auch die Gesetze beibringen, in denen für einen Diebstahl die Todesstrafe angedroht wird. Kann er das nicht, dann empfehle ich dem hohen Iudicium, sich an das Strafmaß der einschlägigen Gesetze zu halten, die ich in meinem vorigen Plädoyer aufgezählt habe".


    Er blickte kurz zu den Angeklagten, dann hinüber zu dem Ankläger. "Um es noch einmal klarzustellen, der § 104(2) CI ist hier nicht anwendbar. Dazu müsste man den Angeklagten wiederholte Verbrechen als kriminelle Gruppe nachweisen. Dieser Beweis ist nicht erbracht worden. Es sei denn, solche Beweise fänden sich in Akten, in die ich keine Einsicht hatte. Ein solcher Sachverhalt böte aber die Grundlage für eine Revision".


    Dass die Sache jetzt allmählich ihrem Ende entgegenging, ließ ihn hörbar ausatmen. Dann mit einer hochgezogenen Augenbraue: "Noch ein Wort zu Vipstanus. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Tatbestand des Amtsmissbrauchs hier nicht vorliegt. Wenn die Anklage also hier versucht, uns einzureden, Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch seien zwei Seiten derselben Medaille, dann verletzt sie in ihrer Argumentation fälschlicherweise und vorsätzlich den Grundsatz, dass man nicht für das Selbe zweimal bestraft werden kann: Ne bis in idem!".


    Er setzte sich.

  • Pacatus hatte sich die Plädoyers aufmerksam angehört, obwohl er nicht viel von Juristerei verstand. Sicher, er hatte dazu einiges bei dem Winkeladvokaten Toxotius in Roma gelernt, aber das waren meist nur faule Schlangentricks. Hier aber war dieser Augurinus, der sich mit fast missionarischem Eifer vor das Gesetz stellte. Pacatus erschien es manchmal fast so, als ob Augurinus in diesem Prozess nicht etwa die Angeklagten, sondern das Recht verteidigen wollte.


    Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen zweier Naturen. Hie Augurinus, der trotz seines Eifers eine abweisende Kälte an den Tag legte und dort Crispus, den offenbar auch ein Eifer plagte und der mit recht unachtsam zusammengestrickten Argumenten auf die von Augurinus aufgerichtete Mauer einhackte. Natürlich, sagte sich Pacatus, muss man einem Ankläger zugestehen, dass er mit dem gleichen Eifer höhere Strafen fordert als der Verteidiger. Aber Crispus' Eifer hatte da einen leisen Missklang, den man leicht überhören konnte. In den Ohren von Pacatus war jedenfalls der Satz 'Leider sind unsere Gesetze da aber zu gnädig' hängen geblieben. Der beschäftigte Pacatus auch noch auf seinem Heimweg.

  • http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus
    Ne bis in idem. Die Worte hallten bei Apustius noch ein paar Augenblicke nach, bis er sich abrupt ins hier und jetzt zurückrief und sich erhob. "Vielen Dank. Die Iudices werden sich nun zur Beratung zurückziehen. Die Verhandlung wird bis zum morgigen Tage vertagt."


    Damit war der heutige Verhandlungstag endlich abgeschlossen und die Herren Richter zogen sich zurück, um gemeinsam zu beraten - vermutlich bei einem ordentlichen Essen - und das Urteil festzulegen.



    __________________




    Am folgenden Tag fanden sich die Beteiligten wieder in der Aula zusammen, um den Urteilsspruch zu erwarten. Apustius und die anderen beiden Iudices ließen ein bisschen auf sich warten, bis der Raum gefüllt war, dann wurde die Sitzung eröffnet. Ohne große Umschweife kam der Iudex Prior dann auch zur Urteilsverkündung:


    "Hiermit ergeht im Prozess Civitas Mogontiacum versus die Peregrini Philonicus, gen. Manceps, Silus, Paulinus und Scipio sowie Germar, Sohn des Ratbod, gen. Hermipus und den Civis Servius Vipstanus Saloninus folgendes Urteil:


    In der Anklage gegen Philonicus, Silus, Paulinus und Scipio erkennt das Iudicium die Angeklagten für schuldig wegen Verwirklichung der §§ 86 (2), 48 (2) des Codex Iuridicalis. Ihnen wird eine Geldstrafe von jeweils 800 Sesterzen auferlegt.
    Das Iudicium folgt damit der Ansicht der Verteidigung, dass § 104 (2) des Codex Iuridicalis vorliegend nicht als erfüllt angesehen werden kann. Es ist nicht erwiesen, dass die drei Genannten eine dauerhafte Vereinigung zur Begehung von Straftaten jeglicher Art gründeten beziehungsweise einer solchen angehörten. Vielmehr handelten sie als Teil einer Bande im Sinne des § 86 (2) CodIur. Es ist als erwiesen anzusehen, dass die Angeklagten sich zur fortgesetzten Begehung jedenfalls von Diebstählen zusammentaten.
    Das Iudicium folgt dagegen nicht der Behauptung der Verteidigung, die Beteiligung der Peregrinen Paulinus und Scipio sei nicht bewiesen. Wenn sie zwar nicht bei der Wegnahme des Geldes am besagten Tag anwesend waren, so trugen sie doch jedenfalls zur Wegschaffung und damit zum endgültigen Entzug der Sachherrschaft der Civitas über das Geld bei und sind somit genauso Diebe im Sinne des CodIur wie ihre Kameraden.


    In der Anklage gegen Germar erkennt das Iudicium den Angeklagten für schuldig wegen Verwirklichung der §§ 86 (2), 48 (2); 108 (2) des Codex Iuridicalis. Ihm wird eine Geldstrafe von 1500 Sesterzen auferlegt.
    Das Iudicium sieht es als erwiesen an, dass Germar in Mittäterschaft mit den bereits genannten Angeklagten im Sinne der Anklage gehandelt hat. Es folgt damit aber auch dem Vorbringen der Verteidigung, wonach auch Germar § 104 (2) aus oben genannten Gründen nicht verwirklicht hat.
    Was den Vorwurf der Bestechung angeht, so ist für das Iudicium nicht ersichtlich, warum der - tatsächlich bedauerliche und rügenswerte - Leichtsinn der Civitas Mogontiacum hinsichtlich der Sicherung ihres Vermögens die Schwere der Strafe für Germar beeinflussen sollte.


    In der Anklage gegen Servius Vipstanus Saloninus erkennt das Iudicium den Angeklagten für schuldig wegen Verwirklichung des §, 115 des Codex Iuridicalis. Ihm wird eine Geldstrafe von 1000 Sesterzen auferlegt.
    Das Iudicium folgt damit dem Votrag der Verteidigung in ihrer Erklärung, § 113 sei nicht einschlägig. Vipstanus hat sich bestechen lassen. Nicht jedoch ist erwiesen, dass er seine Amtsgewalt als Scriba dahingehend missbrauchte, Dritte in ihren Rechten zu schädigen. Die Voraussetzungen des § 113 sind dahingehend nicht ausreichend bewiesen. Keinen Abbruch tut dieser Umstand jedoch der Notwendigkeit der Höchststraße für die Verwirklichung von § 115. Es ist ein schändliches Vergehen, das Vertrauen des eigenen Arbeitgebers derart zu brechen, von Dieben Bestechungsgelder entgegenzunehmen zur Schädigung der eigenen Civitas."


    Der Iudex Prior Mamercus Apustius Gratus sah mit gewichtigem Blick von den Angeklagten zum Kläger und ließ dann noch die Reaktionen der Corona auf sich wirken, bevor er schließlich erklärte: "Die Geldstrafen können auf Antrag der Civitas gemäß § 53 (5), (4) CodIur in Ableistung des Opus Publicum umgewandelt werden. Für Den Civis Vipstanus ist dahingehend § 53 (6) CodIur zu beachten."


    Ein letzter Blick in die Runde, dann: "Haben die Parteien noch etwas zu sagen?"

  • Voller Aufregung saß Lucius im Gerichtssaal und erwartete das Urteil. Er hatte sich große Mühe gegeben bei seinem Plädoyer - und das, obwohl er den Beruf des Juristen verachtete (worin ihn dieser aufgeblasene Winkeladvokat Gorgonius auch wieder bestätigte). Von den meisten Dingen, die der Verteidger behauptet hatte, hatte der junge Petronier tatsächlich noch nie gehört - er war nur über den "modernen" Cursus Iuris geprüft worden.


    Dummerweise ließ der Richter, der erstaunliche Ähnlichkeit mit einer Kröte hatte, sich davon beeindrucken - wahrscheinlich, weil er einem jungen Mann grundsätzlich nicht traute und sich mit seinen weißen Haaren automatisch für klüger hielt. In keinem Punkt folgte er der Argumentation des Petroniers vollständig - was in diesem wieder Zorn und Scham aufsteigen ließ. Er errötete ein wenig und blickte zu Boden, die Faust geballt. Hätte er ein Schwert gehabt, hätte er diese Bastarde sofort gerichtet und diesen Geldsack gleich mit, der nicht einmal eine Freiheitsstrafe, sondern nur lächerliche Geldstrafen verhängte.


    In seinem Ärger hätte er fast nicht bemerkt, dass die Umwandlung in Opus Publicum der Entscheidung der Civitas überlassen wurde. Zum Glück stupste Arminius, der ihn wie üblich begleitete, kurz an.


    "Du musst das beantragen!"


    murmelte er, woraufhin Lucius ihn zornig ansah.


    "Was?"


    "Opus Publicum. Der Richter hat gesagt, du kannst beantragen, das ganze in Opus Publicum umzuwandeln."


    Zum Glück war der Sklave die Wutausbrüche seines Herrn gewohnt und ließ sich davon nicht irritieren. Einen Moment sah der Petronier verwirrt drein, dann aber hob er den Zeigefinger.


    "Ich beantrage Opus Publicum für alle!"


    Dass ausgerechnet sein Sklave ihm vor Gericht helfen musste, beschämte ihn trotzdem - hoffentlich hatte das niemand gesehen. Ihm kam aber dafür noch eine bessere Idee, an die er sich plötzlich erinnerte - dieser Punkt im Gesetz hatte ihn damals fasziniert, sodass er ausnahmsweise im Gedächtnis geblieben war:


    "Die Kerle können ihre Strafe niemals zahlen! Sie sollten lieber gleich als Sklaven verkauft werden!"

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    Klient - Herius Claudius Menecrates

    DECURIO - MOGONTIACUM

    MUNICEPS - MOGONTIACUM

  • Die Urteilsverkündung überraschte Witjon nicht wesentlich. Die Argumentation des Gorgoniers war stichhaltig gewesen und hatte viele Schwächen in Lucius' Vortrag geoffenbart. Witjon war zwar kein Meister der Juristerei, aber so viel hatte er auch verstanden: Bandendiebstahl war nicht gleichzusetzen mit der Bildung einer kriminellen Gruppierung unter Waffen. Zumindest nicht unter den Voraussetzungen, die er dem Gesetz entnehmen konnte. Der Iudex Prior und seine Berater sahen das offensichtlich genauso. Insofern war Witjon zufrieden mit dem Urteil, denn es zeigte, dass die hiesigen Richter das Gesetz anzuwenden wussten.
    Auf der anderen Seite war Witjon aber auch ein bisschen unzufrieden mit dem Ergebnis, denn zumindest für diesen Hermipus hätte er sich den Tod durch das Beil gewünscht. Sollte dem Antrag der Civitas auf Umwandlung in Opus Publicum stattgegeben werden, musste Witjon dafür sorgen, dass diese Männer allesamt in Bergwerken oder Minen verrotteten oder verschüttet wurden, das stand fest. Immerhin war die Civitas laut Gesetz für die Art und Weise der Verrichtung des Opus Publicum verantwortlich. Er könnte also durchaus seinen Einfluss im Ordo Decurionum geltend machen und diese Männer in seine eigene Eisenerzmine oder in Petronius' Steinbruch verfrachten lassen. Tödliche unfälle gab es dann schließlich immer und überall...

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