Atrium | Die Rückkehr einer Totgeglaubten

  • Der Ianitor hatte die Rückkehrerin ins Atrium geleitet und ihr wie üblich etwas zu trinken und einige kleine Stärkungen, sowie einen bequemen Platz angeboten. Nachdem die Flavia allerdings schon die Anweisung gegeben hatte nach ihren Verwandten zu rufen, machte sich Acanthus auch gleich auf den Weg um alle im Haus anwesenden Flavier, sofern sie nicht gestört werden wollten oder gerade unpässlich waren, auf den überraschenden Besuch aufmerksam zu machen...

  • Im Atrium angekommen, musste die junge Flavia nicht lange warten, bis eine junge Sklavin ihr einen kleinen Imbiss reichte. Eine weitere stand bereits mit einem Krug verdünnten Weines bereit, um ihr einzuschenken. Domitilla hatte es sich bereits auf einer Kline bequem gemacht und nahm den Becher entgegen, den ihr die Sklavin reichte.
    Für einen Moment nur ruhte ihr Blick auf der jungen Frau, was die Sklavin dazu bewog, vor der Römerin in Demut zu verharren. Der Flavierin schien dieses Verhalten sehr zu gefallen. Eine wahrhaft vorbildliche Sklavin, dachte sie bei sich.
    „Wie ist dein Name und was sind deine Aufgaben in diesem Haushalt?“, fragte sie sie nach einer Weile und einem weiteren Schluck Wein. Die Sklavin hob ihr Antlitz, sodass die Flavia direkt in ihre blauen Augen sehen konnte, und antwortete ohne zu zögern. „Candace, Domina. Ich habe keine bestimmten Aufgaben, Domina.“ Domitilla nickte nachdenklich. „Nun gut, dann wirst du dich von nun an um meine Angelegenheiten kümmern, Candace.“ Die Sklavin nickte gehorsam und wartete auf weitere Anweisungen der jungen Falvia. „Geh und bereite mir ein Bad und sie nach, wie es um mein Cubiculum steht!“ Die Sklavin deutete eine leichte Verbeugung an und machte sich sofort auf den Weg. Domitilla wollte ihren Verwandten keinesfalls so schmutzig, wie sie vom Staub der Straße war, unter die Augen treten. Der Tag war zwar schon recht weit fortgeschritten, doch für ein Bad war es niemals zu spät. Sie blieb noch eine Weile im Atrium allein zurück, bis Canndace sie für ihr Bad abholte.
    Nach einer ausgiebigen Reinigung und einer belebenden Massage, die sie durch ihre neue Sklavin erfuhr, fühlte sich die junge Flavia wie neugeboren. Den Rest des Abends verbrachte sie in ihrem cubiculum , bis sie ein tiefer fester Schlaf heimsuchte.

    ~~~


    Ein neuer Tag. Die junge Flavia erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg in ihr Schlafgemach fanden. Gähnend sah sie sich um. Wie hatte sie all das nur solange missen können? Doch nun war sie wieder „zu Hause“. Aber war sie das wirklich? Aquileia war ihr Zuhause - aber Rom? Wieder einmal gedachte sie ihrer alten Kinderfrau, die damals bei dem Unfall ums Leben kam.Auch wenn dir hier in Rom noch alles fremd ist, früher oder später wird die Villa deine Heimstatt werden, würde sie sicher zu ihr sagen.
    Damals, als sie zum ersten Mal die Villa betreten hatte, war dieses Haus schon einmal zu ihrem Heim geworden. Seitdem jedoch war viel geschehen. Heute nun, wollte sie an das anknüpfen, was vor einigen Jahren endete. Mittlerweile war sie erwachsen geworden und das Leben hatte sie einige wichtige Lektionen gelehrt.


    Nachdem Candace ihrer neuen Herrin beim ankleiden geholfen und sie geschminkt und frisiert hatte, begleitete sie die Flavia zurück ins Atrium, wo sie am Abend zuvor angekommen war. Nun am Vormittag standen die Chancen sicher besser, ihre Verwandten zu treffen, um endgültig zu Hause anzukommen. Ein Sklave war bereits auf dem Weg, um ihre Anverwandten ins Atrium zu bitten, sofern es ihre Zeit zuließ.

  • Dem zweitjüngsten Flavius, den die Villa Flavia Felix derzeit aufzubieten imstande war, war am vorhergehenden Abend gemeinsam mit seinem Vater auf einem Gastmahl geladen gewesen, weshalb ihm die Ankunft der weiteren Verwandten entgangen war.


    An diesem Morgen indessen erschien ein Rendez-Vous unausweichlich, denn obschon der Knabe am Morgen wie am Nachmittag für gewöhnlich Lektionen bei seinem Grammaticus zu hören hatte, so fand diese Aktivität doch in der Villa statt, womit er zu jedem Zeitpunkt auf ein leichtes von seinen Obliegenheiten zu dispensieren und für kurze Intermezzi dem Unterricht zu entnehmen war.


    Verhaltenen Schrittes kam er somit ins Atrium, geleitet von seinem überaus ansehnlichen Leibsklaven Patrokolos, welcher ihn selbst um mehrere Köpfe überragte, was freilich nicht erstaunlich sein mochte, da der Knabe selbst für seine dreizehn Lenze eine eher geringe Körpergröße aufwies, welche allerdings durch eine gewisse Leibesfülle kompensiert schien. Auch im Übrigen übertraf der Diener seinen Herren an sämtlichen Äußerlichkeiten, denn wo Manius Minors Augen bei genauerer Inspektion einen leichten Strabismus aufwiesen, welcher das Resultat seiner Hypermetropie darstellte, und damit das gesamte Antlitz wenig ansehnlich erscheinen ließen, war Patrokolos auch von Nahem durchaus als Schönheit zu titulieren.


    Mit Erschrecken nahm der junge Flavius indessen zur Kenntnis, dass er augenscheinlich der erste war, welcher seiner Tante entgegenzutreten hatte, zumal er keinerlei Remineszenzen an jene vorrätig hatte, er also einer gänzlich fremden Person allein zu begegnen hatte, was ob seiner Xenophobie durchaus eine Überwindung darstellte, weshalb er auch stockte und erst auf eine sanfte Berührung seitens seines Sklaven seine Obligationen eines flavischen Stammhalters kommemorierte und das Atrium durchquerte, sodass das überaus attraktive Antlitz wie die Gestalt des Gastes wie gewohnt zu einem Schemen verschwamm.
    "Salve. Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor."
    , grüßte er sie respektvoll und so gravitätisch, wie dies mit einer infantilen Stimme nur möglich war.

  • Bereits am Vorabend hatte die Nachricht von Domitillas Ankunft den jungen Iullus Flavius Fusus erreicht. Seinem Bedürfnis nach einem perfekten Äußeren erlegen hatte er jedoch so viel Zeit damit zugebracht sich zurecht machen zu lassen, dass er schlichtweg zu spät im Atrium erschienen war als sie sich bereits zurückgezogen hatte.


    Diesen Fehler wollte er nun kein zweites Mal machen und hat seine Sklavin Vulpes bis eben unermüdlich angetrieben, die Vorbereitungen maximal zu beschleunigen - mit dem Ergebnis, dass er zwar nicht als erster erscheint die Verwandte zu begrüßen, doch zumindest noch vor ihrem erneuten Verschwinden eintrifft.
    Mit einer recht attraktiven, rothaarigen Sklavin als Gefolge betritt er nun das Atrium, während jene noch eine letzte Falte an seiner Toga berichtigt. Im nächsten Moment entwischt er ihr aber auch schon und geht der Flavierin und seinem Onkel mit einem heiteren Lächeln entgegen. "Salve, Manius! Salve, Flavia!" An letztere gewandt ergänzt er selbstredend eine höfliche Vorstellung seiner eigenen Person: "Iullus Flavius Fusus nennt man mich."
    Aufmerksam und interessiert mustert er insbesondere den Neuankömmling.


    Fusus' Gesichtszüge sind nicht unattraktiv, aber noch etwas kindlich-weich und lassen ihn in Kombination mit einem feinen Lidstrich, seiner schlanken Gestalt und einem fast schon betont geschmeidigen Bewegungsablauf ein wenig weiblich wirken. Das dunkle Haar trägt er natürlich kurzgeschnitten, wenngleich nicht gänzlich unfrisiert. Die in die Stirn ragenden Strähnen sind zu einem dezenten Muster aus feinen, leichten Bögen arrangiert, dass es noch gerade so nicht allzu künstlich wirkt.

  • Inzwischen hatte die junge Flavia auf einer Kline Platz genommen. Candace, die am Abend zuvor gewissermaßen requiriert worden war, hatte sich direkt hinter ihrer Herrin postiert. Als sie am Morgen ihrer Domina bei der Morgentoilette behilflich war, hatte diese ihr unmissverständlich klar gemacht, was sie von ihr erwartete. Candace, ein Produkt der flavischen Zucht, die in ihrem Leben nichts anderes getan hatte, als Flaviern zu dienen, würde sich auch dieser neuen Herausforderung stellen und diese, da war sich Domitilla sicher, mit Bravour meistern.


    Gespannt sah Domitilla des nahenden Symposiums entgegen. Ein wenig nervös wirkte sie, was doch angesichts des Umstandes doch recht verständlich schien. Letztendlich musste vor zwei Jahren die Nachricht von ihrem vermeintlichen Tod auch die Hallen der Villa Flavia in Rom erreicht haben. Zweifellos würde Domitilla einiges zur Erklärung beitragen müssen. Doch auch sie dürstete förmlich nach Neuigkeiten, die ihre Familie betrafen, selbst wenn diese aus Ravenna kamen. Aber noch mehr galt ihr Interesse der Schwester, die sie seit ihren vergangenen Tagen in Rom zum letzten Mal gesehen hatte. Die Hoffnung, dass alle, die ihr wichtig waren, den Bürgerkrieg gut überstanden hatten, war groß.


    Sie hörte nahende Schritte und es dauerte nicht lange, bis sie einen Jüngling in Begleitung eines stattlichen Sklaven erblickte. Von dem jungen Flavius schien eine gewisse Schüchternheit auszugehen, doch dies ignorierte Domitilla gänzlich, da sie dafür volles Verständnis aufbringen konnte.
    Noch rätselte die Flavia, um wen es sich bei ihm handeln könnte. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu dem kleinen Jungen von damals war nicht zu verleugnen. Doch schon stellte sich der Jüngling in recht vorbildlicher Weise vor und Domitilla erfasste auf einmal, wie sehr sich jener kleine Junge von damals fast schon zu einem jungen Mann entwickelt hatte.
    „Salve, Manius! Es freut mich, dich wiederzusehen. Ich bin Domitilla. Vielleicht kannst du dich noch an mich erinnern. Es ist sehr lange her, wie man sieht!“, entgegnete sie freundlich lachend. Inzwischen hatte sie sich von der Kline erhoben und war dem Flavius entgegengetreten.


    Kurz darauf erschien ein weiterer Verwandter, der von einer auffällig hübschen Sklavin mit rotem Haar begleitet wurde. Allerdings konnte sie ihn nicht recht zuordnen. Auffällig an ihm war nicht nur die Sklavin, er selbst zog sofort Domitillas Aufmerksamkeit durch sein exaltiertes Auftreten auf sich.
    „Salve Iullus Fusus! Wir sind uns, soweit es mir bekannt ist, noch nie begegnet. Ich bin Flavia Domitilla, die jüngste Tochter des Flavius Aetius und Schwester des verstorbenen Aulus Piso und der Nigrina. Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen.“ Auch ihm trat sie konziliant entgegen und brannte bereits darauf, ihn näher kennenlernen zu dürfen.

  • Noch immer gebrach es dem Knaben einer adäquaten Einordnung Domitillas in das überaus konfuse Geflecht der flavischen Verwandtschaft, dennoch präsentierte er sich entsprechend der expektierten Verhaltensweisen, schenkte seiner augenscheinlich bereits bekannten Tante ein verlegenes Lächeln und blickte zu Boden, erfreut, dass ihm die Last weiterer Konversation vorerst genommen wurde, da Fusus ebenfalls erschien, sodass Domitilla sich dieser offenbar weniger bekannten Person zuwandte.

  • Flavius Fusus begrüßt die ihm nicht minder unbekannte Anverwandte mit einem freundlichen Lächeln und einer angedeuteten Verbeugung. Neugierig mustert er ihre Erscheinung, das Gewand und auch ihre außergewöhnliche Haartracht. Seine Sklavin verweilt noch kurz in seiner Nähe, zupft aber nicht weiter an der Toga herum. Schließlich - nachdem das Gespräch begonnen ist - zieht sie sich vorerst an den Rand des Atriums zurück, um für etwaige Wünsche ihres Herrn bereit zu stehen. Dieses Prozendere ist diesem längst bekannt und gewohnt, so dass er sich nicht weiter um sie kümmert.


    Zunächst will Fusus sich dem Gracchus nicht vordrängen, um ihm die Gesprächspartnerin nicht gänzlich zu rauben. Da jener aber vorläufig schweigt, ergreift er selbst das Wort die Neugier der Domitilla zu befriedigen: "Der Einschätzung kann ich mich anschließen, werte Flavia. Bis vor wenigen Tagen habe ich mein Leben noch in Tusculum zugebracht und bin selbst noch dabei, mich in diesem traditionsreichen Stammsitz unseres Geschlechtes und überhaupt in der ewigen Stadt einzuleben und zurecht zu finden. Somit bin ich noch teilweise angewiesen auf das Wissen und die Ratschläge des Gracchus Minor und meines Bruders, des Flavius Scato." Bei diesen Worten sieht er auch kurz zu Manius, ehe er fortfährt für die Flavierin zu erläutern: "Mein Vater ist der verstorbene Titus Flavius Milo, einer der Söhne des Secundus Flavius Felix, welcher folglich und logischerweise als mein Großvater zu bezeichnen ist..." Dann jedoch fällt es ihm etwas schwer, die verwandtschaftliche Brücke vollständig zu schlagen. Über die bekanntermaßen anwesenden Verwandten hatte Fusus sich im Vorfeld gezielt informiert und sich die korrekten Verwandtschaftsgerade zumindest einzuprägen versucht. Er verengt die Augen leicht und zieht eine grüblerische Miene. "Flavius Piso... Ich meine, dass jener ein Vetter des Felix gewesen sein müsste. Ist dies korrekt?" Sein fragender Blick gilt Gracchus Minor, den er als Musterschüler vermutet. "Zu was macht uns das dann?"

  • Sein Neffe dritten Grades, wie dem Knaben noch immer in den Ohren klang, repetierte zu seiner Präsentation eben jene Informationen, welche er auch ihm selbst dargeboten hatte, wobei er erneut auf seine Anverwandtschaft rekurrierte, welche dem jungen Flavius indessen weiterhin recht entfernt erschien, die freilich andererseits geeignet war, ihm auch die Relation zu Domitilla zu vergegenwärtigen, zumal die Erwähnung Onkel Pisos, welcher ihm damals die Untiefen des römischen Eherechts vermittelt hatte, vertraute Gemeinsamkeiten offenbarte, obschon er nicht mehr in der Lage war, dessen Verwandtschaft zu Onkel Felix zu kommemorieren, sodass er die erstere Anfrage schlichtweg ignorierte.


    Zwar hatte er den Stammbaum der Gens Flavia durchaus in groben Zügen stets vor Augen, verband er mit zahlreichen seiner Exponenten jene wächsernen Masken, die just in diesem Raume aufbewahrt wurden und an die großartige Vergangenheit seiner Familie mahnten, doch hatte ihm sein bisheriges Leben derartige Diffizilitäten erlassen, da ihm doch jeder seiner älteren Anverwandten schlichtweg ein Onkel oder eine Tante gewesen war, jeder von similärem oder geringeren Alter hingegen als Vetter oder Base tituliert worden war. Leicht legte sich somit seine kindliche Stirn in Runzeln, während er eben jenen Stammbaum gedanklich zu erklimmen suchte, Relationen abwog und über adäquate Begrifflichkeiten sinnierte, ehe er replizierte:
    "Großonkel - Verzeihung - Großtante und Großneffe dritten... nein, zweiten Grades?"

  • Wie bei manchen heranwachsenden Knaben in diesem Alter, wirkte das Auftreten des Gracchus Minor sehr schüchtern und somit auch wortkarg. Doch wenn Domitilla genauer darüber nachdachte, erinnerte sie sich wieder daran, wie sehr der junge Flavius auch in seinen Kindetagen recht gehemmt gewirkt hatte. Hatte man ihn nicht Minimus gerufen? Ja, es fiel ihr wieder ein, sein Vater hatte ihn stets Minimus gerufen.


    Doch Fusus, der „neugewonnene“ Verwandte zeigte weitaus mehr Interesse an Domitilla und brachte sie sogleich in ausführlicher Weise auf den Stand der Dinge.
    „Das ist sehr aufschlussreich, mein lieber Fusus. Ich danke dir für deine Erläuterung.“ Ganz nebenbei gab sie ihrer Sklavin einen Wink, damit diese die Anwesenden, sie eingeschlossen, mit stark verdünntem Wein und Obst verpflegte.


    Nota bene hatte sie durch Fusus Ausführungen auch herausgefunden, dass es noch einen weiteren Flavier gab, der ganz offensichtlich auch in Rom zu weilen schien und den sie nicht kannte und was allerdings keine große Kunst war. Schließlich lebte die junge Flavia auch schon vor ihrem Unfall und der daraus resultierenden Absenz recht zurückgezogen und fern jeglichen Kontakts zu anderen Familienmitgliedern. Lediglich in den letzten Jahren, vor dem verehrenden Unglück, in dem sie in der Nähe ihres Vaters zu weilen hatte, war ihr angetragen worden, sich näher mit dem flavischen Stammbaum zu beschäftigen. Wie es nun aber bei vielen jungen Damen ihres Alters Usus war, gab es weitaus Wichtigeres, womit frau sich insgeheim beschäftigen konnte. Daher wirkte sie bei Fusus' Nachfragen leicht überrumpelt.
    Doch ganz unerwartet schien nun Minors Stunde geschlagen zu haben. Er konnte mit seinem Wissen glänzen, wofür ihm Domitilla auch sehr dankbar war. „Zu einer Großtante und einem Großneffen… in der Tat. Vielen Dank Gracchus Minor! - Wenn ich auch gestehen muss, dass ich mich mit dem Gedanken nur schwerlich anfreunden kann, eine Großtante zu sein. Dafür fühle ich mich noch zu jung,“ antwortete sie den beiden scherzend.
    „Aber du erwähntest deinen Bruder, Fusus? Ich darf doch annehmen, dass auch er hier in der Villa weilt?“ Bevor sie damit begann, ihre Verwandten von den Umständen ihres plötzlichen Eintreffens in Kenntnis setzen, wollte sie alle Eventualitäten abwägen, damit sie letztendlich ihre Geschichte nur einmal zu berichten hatte.

  • Zur Auskunft und den Schlussfolgerungen hinsichtlich des Verwandtschaftsgrades nickt Fusus, während seine Erhellung sich in einem von feinen Grübchen eingefassten Lächeln manifestiert. "Ah, eine Großtante also... Mir scheint, dass ich hier noch die jüngste Generation repräsentiere, werter Oheim." Grinsend will er Manius mit dieser Betitelung beiläufig ein wenig aufziehen.


    Domitillas Fragen kann er mit einem weiteren, eifrigen Nicken bestätigen. "Das ist richtig, liebe Tante." Auch sie wird von dieser kleinen, liebevollen Neckerei nicht verschont. "Vermutlich ist er in diesem Moment noch mit anderen Angelegenheiten beschäftigt. Aber ich mir mir sicher, dass er dich zu gegebener Zeit ebenfalls herzlich begrüßen wird." Genauere Auskunft über Scatos konkreten Verbleib kann er leider nicht geben, nimmt aber wohlwollen dessen beste Absichten an.


    Viel spannender erscheinen dem Flavier derzeit aber noch andere Informationen: "Doch nun erzähle, Domitilla! Was führt dich hierher nach Rom, in die ewige Stadt, in die Villa Flavia Felix? Wenn ich das richtig verstehe, dann weilt dein werter Vater doch an einem anderen Ort?" Eine Ahnung hat Fusus noch nicht von den Irrungen und Wirrungen im jüngsten Lebensabschnitt seiner Großtante.

  • Neuerlich präsentierte dem Knaben sich jener feminine Habitus, welchen er bisweilen auch bei seiner Mutter observiert hatte und sich konträr zu infantilen Wünschen sich erwies, denn während er und wohl alle Knaben seines Alters stets danach strebten, möglichst bald ein höheres Alter zu erreichen, so fürchteten nicht wenige Damen bereits kurz nach ihrer Maturität jeden weiteren Lenz, welchen sie verleben mussten, als sei das Alter nicht direkt proportional zum Prestige, sondern ein Makel, welchen zu verbergen stets höchste Prämisse war.
    Dementgegen erschien es dem jungen Flavius geradezu ironisch, neuerlich mit seinem Verwandtschaftsgrad tituliert zu werden, zumal er selbst doch augenscheinlich und bar jedweden Zweifels die mit großer Distanz jüngste Person im Atrium darstellte, obschon er in Anbetracht des flavischen Stammbaumes Domitillas Generation näher erschien denn Neffe Fusus.
    Allein der Gedanke, jenen derartig zu titulieren, belustigte Manius Minor indessen in nicht geringem Maße, sodass ein sublimes Lächeln sich auf seine Lippen zauberte, während er den Beschluss fasste, zukünftig auf derartige Titulaturen schlichtweg zu verzichten.


    Nun aber richtete er sein Interesse wieder auf Tante Domitilla (in jenem Fall war die Titulatur zweifelsohne angebracht), welche hoffentlich sogleich einige Passagen ihrer Vita preisgeben und somit eventuell doch eine Einordnung in seine zahllosen Remineszenzen an diverse Verwandte possibilisieren mochte.

  • Mit der ungewohnten Titulierung konnte sie sich im Augenblick zumindest abfinden. Geschah es doch aus einer neckischen Anwandlung heraus, derer sich Fusus bediente um auf ihre Nachfrage einzugehen. Doch zukünftig wollte sie gerne darauf verzichten, so angesprochen zu werden, zumindest von Fusus, der nur wenige Jahre jünger als sie selbst war. Was den jungen Gracchus Minor betraf, so würde es sich wohl nicht vermeiden lassen, obgleich sie auf eine freundschaftlich geprägte Beziehung für die Zukunft hoffte, in der solche Titulierungen nicht unbedingt von Nöten waren.
    „Aha, mit anderen Angelegenheiten. Nun sicher wird sich eine Gelegenheit ergeben,“ entgegnete sie ihm freundlich.


    Eigentlich hatte sie es noch etwas aufschieben wollen, über das zu berichten, was ihr widerfahren war. Doch als Fusus sie nun darauf ansprach, konnte sie dies nicht länger hinauszögern. Offenbar wusste hier niemand etwas über ihren Unfall und ihr Verschwinden. Sie schob es auf die Ereignisse, die Rom und somit auch die Flavier heimgesucht hatte. Der Bürgerkrieg hatte das Augenmerk der Familie sicherlich abgelenkt.
    „Nun, bis vor zwei Jahren lebte ich bei meinem Vater in Ravenna. Dann, als die politische Situation zu eskalieren drohte, veranlasste er meine Reise nach Baiae zu unseren Verwandten dort,“ begann sie, vermied es aber tunlichst, die anvisierte Hochzeit mit einemFreund ihres Vaters zu erwähnen.
    „Unterwegs, wir befanden uns mitten in den Bergen, geriet mein Reisewagen in ein schweres Unwetter. Der Wagen wurde von einer Schlammlawine davon gerissen. Alle meine Sklaven waren tot. Ich selbst wurde schwer verletzt von einem Hirten gerettet und überlebte so. Anfangs hatte ich meine Erinnerungen verloren, was sich später sogar als Segen herausstellte. So überstand ich dort ganz unbehelligt den Bürgerkrieg.“ Der Blick der jungen Flavia ging zu ihren beiden Verwandten und musterte diese nachdenklich.
    „Es wundert mich, dass wohl niemand über mein Verschwinden unterrichtet wurde… was ist denn in der Zwischenzeit den Flaviern während des Bürgerkrieges widerfahren?“, fragte sie vorsichtig.

  • "Ach, herrje!" bricht es zutiefst entgeistert und überrascht aus Fusus heraus, kaum dass Domitilla ihre Erzählung vorerst beendet. "Das klingt ja nach einer wahren Odyssee, liebe Domitilla!" Die Neckerei hat der Jüngling vorerst gänzlich vergessen und ergeht sich gänzlich der Sensationsgier und wohl auch ein wenig Klatschsucht, der er hin und wieder anheim fällt."Wie überaus abenteuerlich! Du musst uns unbedingt mehr erzählen! Wie sehr warst du verletzt? Was waren das für Hirten, hast du in ihrer Gesellschaft sehr gelitten? Haben sie dir etwas angetan?" Anmutig berührt er mit den Fingerspitzen die eigene Brust in Höhe seines Herzens als unbewusster Ausdruck seiner Ergriffenheit. "Wie konntest du ihnen wieder entfliehen?" Der verwöhnte Flavier blinzelt kurz und schüttelt gänzlich erschüttert den Kopf. "Was für wilde Zeiten dies doch sind..." Natürlich ist er selbst sehr fern der Realität, wie sie für den Großteil des römischen Volkes allzu alltäglich ist, und empfindet diese von sich heraus häufig schon als fremd und 'wild'.


    Domitillas Gegenfrage kann er allerdings nicht in befriedigendem Maße beantworten: "Oh, es tut mir leid... Ich habe bis vor wenigen Tagen noch außerhalb der ewigen Stadt geweilt. Im Haushalt meiner Mutter und ihres neuen Gemahls in Tusculum war es üblich, mich und meine Brüder vielmehr auf einer gewissen Distanz zu den uns verwandten Flaviern zu halten. Folglich bin ich über die Entwicklungen der letzten Jahre nicht sonderlich informiert." Er schürzt leicht die Lippen und wendet seinen Blick Gracchus Minor zu, der wiederum als Lexikon und Kernkompetenz in Sachen flavischen Stadtlebens herhalten soll.

  • Ravenna erweckte bei Manius Minor Remineszenzen an seine geliebte Mutter, welche ihrerseits an diesen Ort sich im Anschluss an den Bürgerkrieg zurückzuziehen gedachte, wie Manius Maior ihm berichtet hatte, sodass es freilich dennoch impossibel erschien, dass sie Domitilla, welche bereits vor Jahren diesen Ort verlassen hatte, ihrer ansichtig geworden war, womit er diesen Aspekt aussparte. Das weitere Schicksal der Besucherin gestaltete dessenungeachtet überaus adventurös, erschien gar einer jener Komödien entstiegen zu sein, welche Patrokolos ihm bisweilen zu rezitieren pflegte, verwies gar mit dem Auffinden durch Hirten auf die Situation der Gründer Roms. Erfreulicherweise übernahm es allerdings Fusus, diese Angelegenheit expliziter zu inspizieren, sodass der Knabe lediglich zu lauschen hatte.


    Dennoch galt es, auch Domitillas Frage zu replizieren, und nachdem Onkel Fusus, nein vielmehr sein Neffe von derlei keine Kenntnis besaß, war es nun an dem jüngsten anwesenden Flavius, seine deplorablen Erlebnisse zu kommemorieren, welche ihn noch immer bisweilen in seinen Träumen verfolgten, welche er deshalb so gut als möglich verdrängte und bisher auch bei Tisch verschwiegen hatte.
    "Mein Vater verfiel der Proskription des Vescularius. Wir waren deshalb genötigt unbemerkt die Stadt zu verlassen."
    Überaus grässlich waren jene Geschehnisse gewesen, denn noch immer hatte er den leblosen, bärtigen Leichnam überaus deutlich vor Augen, selbst wenn sich ihm die konkreten Züge ob seiner Fehlsicht entzogen, viel weniger indessen leider dessen olfaktorische Präsenz, ein süßlicher Odeur des Todes, dessen Remineszenz allein genügte, dem Knaben ein wenig blümerant werden zu lassen, sodass er diesen Aspekt vorerst besser nicht explizierte, sondern ihn nach kurzem Stocken fortfahren ließ:
    "Wir flohen nach Mantua zu Aurelius Ursus. Er ist ein Freund meines Vaters und gewährte uns Unterschlupf. Mein Vater kehrte dann inkognito nach Rom zurück, um dort gegen Salinator zu wirken."
    Kurioserweise gab er nun doch genau jene Narration wider, welche er in Präsenz seines Vaters lautstark als Lüge tituliert und welche ihm bis heute in keinster Weise persuasiv erschien, welche dessenungeachtet ihm ersparte, die Schande jenes feigen Vaters zu offenbaren, welche zweifelsohne letztlich auf ihn selbst zurückfallen mochte.
    "Ich selbst schloss mich der Legion auf ihrem Marsch an und wurde dann in Cremona bei einem Klienten des Aurelius Ursus untergebracht. Dort verlebte ich die Kriegszeiten quasi aus nächster Nähe und kehrte dann nach der Einnahme Roms durch Palma hierher zurück."
    Jener Aspekt der spektakulösen Flucht war dem Knaben weitaus angenehmer, denn noch heute verband ihn eine freundschaftliche Relation mit jenem Gastgeber, welcher ihm mehr ein Vater gewesen war denn sein eigener, welcher ihn geschätzt und Anteil an seinem Leben genommen hatte, ja ihm gar seinen inzwischen pretiösesten Besitz: jenen Patrokolos, der auch jetzt an seiner Seite stand, ihn vor den sich ob seiner Fehlsicht auftuenden Fallstricken warnte und ihm überhaupt zur unverzichtbaren Stütze geworden war, geschenkt hatte.

  • Neffe Fusus sieht seinen Oheim etwas überrascht von der Seite an. "Ihr musstet die Stadt verlassen?" Seine erstaunte Frage begründet sich auf der bisher doch so festen Gewissheit, dass wohl nichts und niemand doch im Stande sein könne, die Flavier aus Rom zu vertreiben. Folglich hat er nach dem Undenkbaren bislang auch nie gefragt. Gewiss, sogar dem einstigen Caesar war es in diesen Zeiten an den Kragen gegangen... Aber dass er selbst schon so fast unmittelbar betroffen sein könne... diesen Mutmaßungen seiner Mutter hatte er bei deren Schilderung der immanenten Gefahr niemals so recht geglaubt. "Wie konnte das nur geschehen? Was dieser Vescularius sich erlaubt hat, herrje!" empört sich der Jüngling und schürzt ein wenig ungehalten die Lippen.


    Ein weiterer Gedanke, ausgelöst von diesem Bericht, kommt ihm in den Sinn. Viel zu spät, könnte man meinen. Die Finsternis in seiner Miene ist dahin und weicht einem Anflug von Sorge. "War das auch wirklich alles, Manius? Mussten noch weitere unserer Anverwandten in ähnlicher Weise leiden? Oder gar... schlimmeres?" Wachsam forscht er in der Miene des Jüngeren.

  • „In der Tat!“,pflichtete die junge Flavia ihrem Verwandten bei und begann zu berichten: „Eine wahre Odyssee! Ich erwachte erst einige Tage später aus einer Ohnmacht. Die Schmerzen waren furchtbar, ich hatte einige Knochenbrüche. Doch am gravierendsten war der Verlust meines Gedächtnisses. Jener Hirte brachte mich in sein Dorf und die Leute dort, es waren recht einfache Menschen, pflegten mich gesund und gewährten mir für die die folgenden Monate Zuflucht. Nur flüchtig habe ich von den Ereignissen des Bürgerkrieges gehört.“ Eine kleine Pause nutzte Domitilla, um einen Schluck verdünnten Wein zu sich zu nehmen. Dabei blickte sie kurz in die beiden Gesichter ihrer Zuhörer, bevor si e fortfuhr. „Nun da ich vom Ende der kriegerischen Auseinandersetzung erfuhr, dachte ich, es wäre an der Zeit, wieder zu meiner Familie zurückzukehren.“ Nun ja, das Ende ihrer Geschichte hatte sie leicht zu ihren Gunsten umgestaltet, damit keinerlei Fragen offen bleiben mussten, weshalb sie nicht schon früher zurückgekehrt war.


    Fusus indes konnte mit einem weitaus weniger spektakulären Report aufwarten. Dennoch fühlte sie sich an ihre eigene familiäre Situation erinnert. Auch ihre eigene Mutter, bei der sie die ersten dreizehn Jahre ihres Lebens verbracht hatte, konnte den Flaviern wenig Sympathie entgegenbringen, weshalb sie praktisch nichts über die Familie ihres Vaters gewusst hatte, als er sie daraufhin nach Ravenna zu sich geholt hatte.


    Als sich nun Gracchus Minor zu den Geschehnissen in Rom äußerte, konnte man die Flavia dabei beobachten, wie ihr Unterkiefer sich langsam der Schwerkraft beugen musste und sie ihn schließlich mit offenen Mund musterte, als er geendet hatte. Fusus´ Nachhaken schließlich ließ sie schließlich das aussprechen, was sich in ihr unweigerlich aufgedrängt hatte. „Und meine Schwester…? Was ist mit meiner… Schwester?“

  • Keinesfalls war sein winziges Publikum sprachlos ob jener Odyssee, welche er zu durchleben genötigt worden war, die ihm gleichsam um ein Vieles potenziert unerquicklicher erschien denn Domitillas eigenes Schicksal, denn obschon ihm zumindest kein Gebein gebrochen worden war, so kommemorierte er doch allzu gut jene Leichname, die er einen ganzen Tag über, gehüllt in widerwärtige Fetzen, durch die Straßen geschoben hatte, die verdrießlichen, von Schweigen geprägten Ritte durch ganz Italia, jene Stunden und Tage der Isolation in der mantuanischen Principia, die furchtgeladenen zwei Tage in jenem Proviantwagen, in welchem er sich der Legio Prima angeschlossen hatte, die Scham des Verweises ins cremonesische Exil und all jene winzigen Widerwärtigkeiten, die ihn gequält hatten, wogegen eine Hirtenromantik gleich jener des Romulus und Remus mitnichten allzu deplorabel sein mochten. Dessenungeachtet zeigten Fusus und Tante Domitilla keinerlei weiteres Interesse an seiner entbehrungsreichen Flucht, sondern wandten sich unumwunden den übrigen Familiaren zu, über deren Schicksal der Knabe nur beiläufig erfahren hatte, zumal deren Zahl ohnehin kaum überschaubar war und ihm so bisweilen die Details zu einzelnen Personen entfielen.


    In der Tat bedurfte es einigen Spintisierens, ehe sich ihm offenbarte, bei wem es sich um die Schwester Domitillas handeln musste, wobei ihm die vorhergehenden Schlüsse Fusus' überaus gute Dienste erwiesen, da er zumindest noch an Onkel Piso gewisse Remineszenzen hegte, über welche ihm auch Tante Nigrina wieder in den Sinn kam, die ihm zuletzt von der Bestattung seines Oheims ihm in Erinnerung war.
    "Onkel Furianus wurde von Salinator verbannt, Onkel Flaccus floh mit uns, erkrankte jedoch auf dem Weg und wir mussten ihn in Mantua zur Genesung zurücklassen. Und Tante Nigrina..."
    , brachte er erstlich hervor, um sich zumindest eine winzige Spanne Zeit zu erkaufen, ehe er doch noch ein Ankleiden zu aktivieren in der Lage war, bei welchem ihm der Vestispicius zwischen dem Versterben eines Spielkameraden aus jüngster Infantilität und der Ankündigung des heutigen Speiseplans beiläufig mitgeteilt hatte, dass seine Tante Nigrina wohl noch immer verschwunden sei, was der junge Flavius keines weiteren Kommentars gewürdigt hatte, da er ohnehin nur mit halbem Ohr gelauscht hatte.
    "...ist ebenfalls aus Rom geflohen. Genaueres wird Vater wissen, nehme ich an."

  • Der erste Schreck, welcher in die junge Flavia gefahren war, als sie Gracchus Minors Worten lauschte, hatte sich gesetzt. Natürlich hatte ihr erster Gedanke der Schwester gegolten. Auch wenn es ihr nur kurz gegönnt gewesen war, etwas Zeit mit ihr verbringen zu können, so war sie doch noch die einzige ihrer Geschwister, die ihr geblieben war. Daher war sie so erpicht darauf, zu erfahren, welches Los ihr zugefallen war. Dass auch sie gezwungen war, zu fliehen, linderte nur unwesentlich ihre Sorge. Viele neue Fragen bauten sich vor ihr auf, die allerdings der junge Gracchus Minor nicht zu beantworten vermochte.


    „Das ist ja schrecklich!“ entfuhr es ihr schließlich und bedachte den jungen Flavius mit einem bedauernden Ausdruck. „Dann habt ihr alle so viel durchmachen müssen! Während ich…“ Nachdenklich ließ sie ihren Satz unvollendet im Raum verklingen. Ein wenig plagte sie das eigene Gewissen, da sie selbst den Bürgerkrieg und dessen Auswüchse in ihrem Unterschlupf kaum wahrgenommen hatte. Was wohl ihrem Vater in Ravenna zugestoßen war, in dieser dunklen Zeit.
    „So werde ich mich mit meinen Fragen an deinen Vater wenden.“ Es fiel ihr schwer ihre sorgenvollen Gedanken beiseite zu schieben und ihren beiden Verwandten ein einigermaßen aufmunterndes Lächeln zu schenken. Letztendlich war der Tyrann gestürzt und getötet worden.

  • Engagiert und mit Hingabe bemüht Fusus sich vorzustellen und nachzuvollziehen, wie das Erleben solcher Schicksalsschläge sich am eigenen Leibe anfühlen mochte. Er presst währenddessen in angespannter Konzentration leicht die Lippen zusammen, scheitert jedoch an mangelnder eigener Erfahrung hinsichtlich ernstlich negativer Ereignisse. So bleibt ihm vorläufig kaum etwas anderes übrig, als sich einem vagen Mitgefühl zu ergeben und Onkel und Tante mit etwas betrübter Miene anzusehen. Betrübt nicht nur wegen deren Erlebnisse, sondern auch wegen seinem eigenen Unvermögen diese in angemessenem Maße nachzuvollziehen. Wenngleich sein persönlicher Horizont und Blickwinkel noch relativ eingeschränkt sind, beseelt ihn doch der Wunsch diese zu weiten und ein ungefähres, grundsätzliches Verständnis für die Welt zu entwickeln.


    "Es tut mir sehr leid für euch, dass ihr solch' Unbill am eigenen Leibe erfahren musstet. Man kann wohl wahrhaftig froh sein und Fortuna danken, dass es uns schlussendlich vergönnt ist, zumindest körperlich unversehrt hier zusammen zu stehen. Gibt es denn noch andauernde Folgen für Gegenwart und Zukunft, derer ich momentan nicht gewahr bin? Geht es euch beiden an Leib und Seele wieder gut? Sollte man den Versprengten noch irgendeine Form an Zuwendung oder auch Hilfe angedeihen lassen?" runzelt Fusus fragend seine makellose Stirn und wirkt etwas überfordert mit der Situation. "Oder... kann ich auch euch mit irgendetwas helfen oder zur Seite stehen?"

  • In der Tat hatten jene Ereignisse weitreichende Konsequenzen für den jungen Flavius, doch waren diese mitnichten um direkt leiblicher oder seelischer, sondern vielmehr rechtlicher Natur, da Manius Maior den Beschluss gefasst hatte, seinem Sohn die Toga Virilis zu verleihen, was Manius Minor in der Tat beinahe verbalisiert hätte, ehe Fusus explizierte, dass er weniger jenes gemeinhin wohl durchaus positiv bewertete Thema kaum ins Auge gefasst hatte, zumal ihm diesbezüglich keinerlei Hilfe zu erbieten war, welche sein Neffe doch zu leisten gewillt war.
    "Die Verbannten sind schon wieder zurück und uns geht es wieder gut, denke ich."
    , log der Knabe, denn 'gut' war selbst für sein noch bisweilen recht infantiles Gemüt eine überaus inadäquate Deskription für seinen seelischen Status, welcher geplagt war von Albträumen seiner schauerlichen Flucht, der Sehnsucht nach personaler Nähe, welche ihm zuletzt im cremonesischen Exil zuteil geworden war, seiner Scham bezüglich seines feigen Vaters, dessen Verdienste in jenem Bürgerkrieg ihm erstunken und erlogen erschienen, sowie der Furcht vor einer Adoleszenz, welche ihn noch weiter von der Zuneigung seines Vaters und insbesondere seiner geliebten Mutter würde separieren.

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