Dergleichen erreichten den iulischen Tribun heute unter anderem aus dem Hause Fundania und dem Hause der Vestalinnen. Da ihm letztere wichtiger erschienen, begann Dives dann auch die Durchsicht seiner Post mit dem Brief der Decima:
"Weiterhin bin ich nicht gewillt deine Entschuldigung zu akzeptieren.", las ein entsprechend genau zu diesem Zwecke angestellter Sklave, während der Iulier sich hinter seinem Schreibtisch zurücklehnte und sich mit geschlossenen Augen ganz auf die weiche, sanfte Stimme des Unfreien konzentrierte. "Es schmerzt mich einfach zutiefst, dass du mich zu deiner Hochzeit vergessen hattest."
'Bitte?!?', ging es ihm bei den zu hörenden Worten durch den Kopf. 'Ich hatte ihr doch wohl klar und deutlich geschrieben, dass ich sie eben NICHT vergessen hatte, sondern meinerseits schlicht davon ausgegangen war, dass sie sich selbst als Vestalin noch irgendwo emotional zur Familie ihres Vaters gehörig sah!' Er schüttelte seinen Kopf. 'Als damals in Ostia die ganze Decimer-Schar angekommen war, hatte es sie doch schließlich auch nicht interessiert, dass sie als Vestalin nicht nur eigentlich in Roma zu sein hatte, sondern dass sie kein Teil mehr der Familia ihres Vaters war.'
"Und ein Brief wird wenig daran ändern, Dives.", las der Sklave weiter.
'Was wollt mir das jetzt bitteschön sagen? Musste ich das verstehen, dass sie einerseits vorgab böse mit zu sein, mich andererseits aber ganz freundschaftlich beim Cognomen nannte?' Der Iulier war leicht verwirrt. 'War das vielleicht irgendein spezielles Frauending? Waren Vestalinnen überhaupt RICHTIGE Frauen?' Ein Leben in Jungfräulichkeit ohne Schmuck und Schminke. Wieviel Frau blieb da unterm Strich noch übrig? 'Denk nicht sowas Böses, Marcus!', tadelte er sich sogleich selbst. 'Dennoch versteh ich einfach nicht ihr Problem! Oder sandte sie mir deshalb so komische, widersprüchliche Signale, weil sie heimlich für mich schwärmte? War sie vielleicht deshalb so gekränkt, dass ich ihr nicht persönlich auch nochmal geschrieben hatte?' Dives versuchte sich dieses Gedankens, dieses absurden Gedankens zu erwehren. 'Aber es würde ja schon zum Beispiel erklären, weshalb die Decima auch damals auf dem Fortunafest so seltsam gewesen war: Damals war ich ja zunächst mit Nasica unterwegs.' Ob die Vestalin wohl schon damals etwas eifersüchtig auf die Octavia gewesen war? 'Andererseits: Dann wäre sie wahrscheinlich eh nicht zur Trauung gekommen, oder?' Dives kratzte sich am Kopf. 'Es sei denn...' Doch dass gleich zwei Decimer unabhängig voneinander diesen Schritt unternommen hätten, war wohl mehr als unwahrscheinlich! 'Als Vestalin weiß sie schließlich, dass sie weder mich noch sonstwen heiraten kann!' Genauso wie Faustus 'wusste', dass es für einen aufstrebenden Politiker zwangsläufig besser früher als später eine Ehe geben musste? Genauso wie er 'wusste', dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau rechtskräftig geschlossen werden konnte? 'Auch wenn dergleichen mir ja selbst nicht gefällt!'
"Vor allem nicht, weil deine Motivation darin liegt Dinge zu erfahren, und nicht allein um mein Wohl zu erfragen.", schloss der Vorleser den ersten Absatz mit einer kurtzen Pause. Der Tribun nickte verhalten.
"Daher werde ich dir möglichst kurz und sachlich antworten. Egal, ob du unter meinem Onkel dein Tribunat ableistest. Es bedarf sowieso keiner besonderen Aufmerksamkeit, dient es doch nur der traditionellen senatorischen Laufbahn, sodass ein Ausweichen unvermeidlich ist.", gab der Hausdiener den nächsten Absatz wieder.
"Ich hätte ja nicht auch zur ersten Legion zu meinem Großonkel Licinus gehen können, um DORT meine Pflicht zu tun und mein Tribunat abzuleisten, nicht wahr?", ließ sich Dives dazu hinreißen, seinen diesbezüglichen Gedanken laut zu äußern. "Nun... Doch, eigentlich schon.", antwortete der Sklave treuherzig, obwohl dergleichen nicht erwartet worden war von ihm. "Lies weiter.", wiegelte der Iulier sodann ab und winkte auch ab bei seinen Worten. Unterdessen setzte der Sklave seine Lesung fort.
"... Es dient Vesta, nicht aber deiner Befriedigung.", schloss er letztlich. "Sie scheint wirklich ein ganz akutes Problem mit mir zu haben, oder?", wollte Dives wissen. "Naja, sie schreibt von...", begann der Sklave. "Ich weiß, was sie schreibt! Aber hörst du nicht zwischen den Zeilen ganz klar und deutlich AUCH, dass es ihr hier nicht nur um irgendeine lächerliche Einladung geht?! Gerade auch dieser letzte Satz hier mit der Befriedigung. Das schreibt man doch nicht nur wegen einer blöden Einladung, zu der ich ihr bereits erklärte, dass ich sie in die Einladung an ihren Vater inkludiert hatte.", legte der Iulier dar. "Naja...", war dem Unfreien indes nicht bewusst, was er darauf nun erwidern sollte. "Nein, glaube mir, wenn ich dir sage, dass das tiefer geht. Ich weiß nicht wie tief und ich weiß nicht, was genau sie mir vorhält. Aber das ist hier bestimmt nicht nur diese kleine Einladung, die sie nicht bekommen hat." Beinahe hätte sich Dives an dieser Stelle gefragt, ob das unter Umständen vielleicht auch etwas mit Faustus zu tun haben könnte - allerdings tatsächlich nur beinahe. "Ich glaube dir, Dominus.", antwortete indes der treuherzige Sklave mit einem naiven Lächeln auf den Lippen.
Es folgte unter anderem die Verlesung auch des Briefes der Fundania, die dem Iulier ihrerseits weit weniger Probleme zu machen schien. Sie zeigte sich im Gegenteil ohne Umschweife sofort dazu bereit, den Iulianus in Richtung Roma zu schicken - durchaus etwas überraschend für Dives. Andererseits deutete der Brief auch an, dass die Fundania ein nicht ganz schlechtes Verhältnis zu ihrem iulischen Schwager, Caius, gepflegt hatte. Ohne ihr mit diesem Gedanken nun irgendetwas Unsittliches unterstellen zu wollen, konnte dies natürlich in der Tat begründen, weshalb sie so ganz und gar ohne Gegenleistung 'ihren' Beschäftigten, der ihr immerhin offenbar stets gute Arbeit geleistet hatte, so einfach ziehen ließ.
"Dann bereite alles auf die Ankunft dieses Iulianus Selenus vor. Informiere Wonga und lass auch eine kleine Kammer für ihn herrichten. Selbst wenn er nicht als Paedagogus ohne ähnliches für Torquata infrage kommen sollte, soll er dennoch die Möglichkeit haben, eine Weile hier zu gastieren.", verfügte Dives und schloss damit schlussendlich diesen stets nicht unanstrengenden Teil des Tages. Die Rückantwort an die Decima würde er nicht mehr heute schreiben. Ihr Brief selbstredend müsste ihm zuvor nämlich noch einige Male durch den Kopf gehen, bevor er final entschied, welchen Tonfall er einschlagen würde...