Mit der letzten Presswehe kam das Köpfchen ganz zum Vorschein und auch die Schultern waren schnell hervorgeholt. Sanft glitt das kleine Wesen in Alpinas Hände. Sie hob es hoch und prüfte mit einem kritischen Blick, ob auch alles dran war. Das kleine Mädchen tat einen tiefen Schnauferer und begann dann zu quäken.
"Es ist ein gesundes, kleines Mädchen! Gratuliere zur Tochter, Octavena!", antwortete Alpina erleichtert auf die Frage der Mutter.
Das Baby war noch mit wenig Blut, vor allem aber der Käseschmiere bedeckt, die alle Kinder im Mutterleib umgab. Seine Hautfarbe war rosig, die Haut warf die üblichen Falten, die jedes Neugeborene hatte. Alles war ganz normal. Perfekt, wie Mutter Natur diesen kleinen Menschen geschaffen hatte. Sie wickelte das Kind in eines der bereitliegenden Tücher und legte es der erschöpften Octavena in den Arm.
"Sieh´ da, deine Tochter", sagte sie und konnte sich an dem Anblick der überglücklichen Mutter mit ihrer süßen Kleinen gar nicht sattsehen.
Während sich Mutter und Tochter gegenseitig begrüßten, nahm Alpina aus dem Korb mit ihren Utensilien einen Bindfaden, mit dem sie die Nabelschnur abband. Dann holte sie ihr Etui mit den Instrumenten hervor. Ihr ganzer Stolz war ein Skalpell mit einer Silberschneide. Sie hatte es extra für die Entbindungen anfertigen lassen. Es galt als schlechtes Omen, die Nabelschnur mit einer Eisen- oder Stahlklinge zu durchtrennen. Der Aberglaube besagte, dass ein Kind, das mit Eisen von der Mutter getrennt wurde, auch von einer eisernen Klinge getötet werden würde. Neben dem Skalpell mit der Silberklinge enthielt das Etui aber auch ein Schilfrohr. Mit der scharften Klinge angeschrägt war es fast ebensogut geeignet, um einen glatten Schnitt zu machen. In ihrer Heimat Raetia bevorzugten die Einheimischen diese Methode.
Sie fragte deshalb Octavena, wie sie die Abnabelung gerne hätte. Eine Schere lag schließlich auch noch parat, doch diese war aus Eisen gefertigt.