Während in den großen Theatern der Hauptstadt eine Tendenz zu aufwendig ausgestatteten Spektakeln herrscht, zu Pomp, Materialschlachten und grellen Effekten für die breite ungebildete Masse, verbirgt sich in der alternativen Theaterszene Roms so manches rare Juwel. Das Pegasus-Theater in Trans Tiberim ist eines von ihnen. Weder fegen hier Reiterschwadronen über die Bühne, noch fliegen Olympier an einem Kran von der Decke. Hier herrscht der Geist des wahren Künstlertums! Schwer zu sagen, ob das Theater nun so modern ist, dass es schon wieder traditionell ist, oder so traditionell, dass es schon wieder modern ist. Jedenfalls ist es enorm angesagt unter Kennern und solchen die diesen Anschein erwecken möchten, sowie ganz allgemein unter jungen hippen (aus der Provinz zugezogenen, sich aber als Ur-Römer gebärdenden) Trans-Tiberim-Bewohnern...
Mag das Gebäude, hinter einer Amphoren-Manufaktur und neben einem Wettbüro gelegen, auch schäbig sein, die hölzernen Sitzbänke hart, und die Inszenierungen bisweilen etwas arg ambitioniert – das Theater ist en vogue. Die Stars des Ensembles sind zum einen der griechische Libertus Leophanes, dessen zarte Interpretation der Iphigenie legendär geworden ist (und dessen neueste ruchlose Liebesaffären immer viel Material für Klatsch und Tratsch bieten), sowie der klassische Schauspieler Cnaeus Cluvius Philonicus, berühmt für seine Intensität, seine düstere Glut, und verklärt von dem Gerücht, er stamme aus der Nobilitas, der Familie des Konsuls Cluvius Rufus, der einst der Herold Kaiser Neros war. Cluvius Philonicus nun, so sagt man, habe dieser edlen Herkunft entsagt, und es aus echter Liebe zum Theater in Kauf genommen, als Schauspieler infam zu werden, die Ehrenrechte eines römischen Bürgers zu verlieren.
Aushänge und Grafitti in der Stadt kündigten die Premiere eines neuen Stückes an:
"Tarpeium nemus et Tarpeiae turpe sepulcrum fabor
et antiqui limina capta Iovis..."*
Das Pegasus-Theater präsentiert:
Tarpeia – Ein Stück von Liebe und Wahn
frei nach Propertius
Premiere an den Kalenden des Dezember, zur sechsten Stunde
es spielen:
Leophanes als Vestalin Tarpeia
Cnaeus Cluvius Philonicus als Feldherr der Sabiner Titus Tatius
Lafrenianus Nasica als Kommandant des Kapitols Spurius Tarpeius
Symnus als Romulus
(...)
*Von Tarpeias Hain will ich künden, und Tarpeias schmählichem Grabmal, und wie Iuppiters alte Festung erobert wurde.