[Habitatio] Centurio Aulus Iunius Avianus

  • Mit einem freundlichen Nicken nahm Antias den Mantel entgegen und überreichte Sibel im Gegenzug seine nasse Tunika. Für einen Moment schien sie tatsächlich geglaubt zu haben, er wolle sich an ihr vergreifen. Ein wenig leid tat es ihm nun schon, ihr mit seinem Scherz Angst eingejagt zu haben. Aber nur ein wenig. Immerhin war sie es gewesen, die ihn mit Schmutzwasser bekübelt hatte, nicht umgekehrt, und nun waren sie beide endgültig quitt. „Es eilt nicht, Sibel ..“ beruhigte er sie, während er sich den Mantel umwarf. „.. ich hab nicht nur die eine Tunika. Alles halb so schlimm. Ich will nur nicht am helllichten Tag halbnackt zu meiner Unterkunft stapfen. Macht einen ziemlich nachlässigen Eindruck.“
    Gerade als der die Mantelschließe eingehakt hatte und sich zum Gehen wandte, wummerte es energisch gegen die Tür. Natürlich. Gerade jetzt. Er hatte fast schon mit derlei gerechnet. Die Götter waren also wieder mal am Würfeln. Sibel wurde bleich. Jetzt tat sie ihm wirklich leid. Das war wohl alles etwas viel für den zweiten Tag in Avianus’ Diensten. Sichtlich erschrocken forderte sie ihn auf, sofort zu verschwinden. An sich keine schlechte Idee, zudem hatte er das ohnehin gerade vorgehabt, nur stand da unüberhörbar ein Miles vor der Tür.


    Antias nickte zustimmend, seufzte tief, rührte sich aber nicht vom Fleck. Es gab eben Tage, an denen die bizarrsten Dinge mit einer solch selbstverständlichen Zwangsläufigkeit passierten, dass auch dem ungläubigsten Grübler die Zweifel an der Existenz der Götter vergingen. Alberne verspielte Götter, die ihren Spaß daran hatten, die Sterblichen zu piesacken. An solchen Tagen brauchte man den Helm bei der Patrouille nur ein einziges mal abzusetzen, um sich den Schweiß zu trocknen, und konnte mit Sicherheit davon ausgehen, dass einem unverzüglich eine vollgefressene Taube ihren gesamten Darminhalt in die Haare schiss. Dass er an einen solchen Tag geraten war, hatte sich schon mit dem unfreiwilligen Bad im Putzwasser vermuten lassen. Nun war es Gewissheit.


    Entsprechend unaufgeregt vernahm er die gedämpfte Kunde einer Nachricht für den Centurio, bedachte Sibel mit einem schiefen Grinsen, schlug die Arme übereinander und lehnte sich kopfschüttelnd an die Wand neben der Tür. Oh nein, er würde nicht in blödsinnige Panik verfallen und sich unter Möbeln verstecken oder durch eines der rückwärtigen Fenster klettern. Nicht an Tagen wie diesem. Die Götter überließen für gewöhnlich nichts dem Zufall. Irgendein geschwätziger Miles, den es ansonsten niemals hinter die Offiziersunterkünfte verschlug, würde heute da hinten rumstehen und seine Flucht beobachten. Garantiert. Verfängliche Situationen waren immer nur so verfänglich wie man sie machte.


    Sibel wirkte wieder recht gefasst, als sie den Boten durch den Türspalt hindurch abzuwimmeln versuchte. Antias erlaubte sich, aufzuatmen. So hätte es doch auch bei ihm laufen können. Hätte Sibel für ihren Stubenputz nur ein klein wenig länger gebraucht, würde nun dieser Miles da draußen in den Genuss eines Eimers voll dreckigem Wasser kommen. Aber der Bursche hatte wohl ganz im Gegensatz zu Antias keinen dieser unseligen Scheißtage erwischt. Gleichviel, es war wie es war. Entweder, der Miles verschwand ohne weiteres wieder, was Antias natürlich am liebsten gewesen wäre, oder dieser verkorkste Tag würde noch weit verkorkster werden.

  • Überraschung fuhr in die markigen Züge, als der Miles sich mit einem mal einem Geschöpf gegenüber sah, so viel hübscher als er es erwartet hätte. Ein seltener Anblick war das, hinter diesen Mauern, und fesselte ihn derart, dass er für anderes gerade keinen Blick übrig hatte.
    "Nicht da?" echote er die resoluten Worte, "Aushändigen. Ja."
    Er reichte Beroe eine Tabula, und schärfte ihr ein:
    "Aber nicht vergessen!"
    Noch ein anerkennender Blick für das hübsche Mädchen, dann stapfte er wieder davon.
    Auf der Tabula stand in das Wachs geritzt:



    Salve Centurio A. Iunius Avianus,


    Melde dich bitte ID IUN DCCCLXV A.U.C. zur hora quarta in der Amtsstube des Tribunus Cohortis Praetoriae F. Decimus Serapio.


    Gez. P. Verulanus Vitulus
    Beneficiarius tribuni



  • Der Optio tat alles andere außer zu verschwinden. Kopfschüttelnd lehnte er sich gegen die Wand und sah ihr dabei zu, wie Sibel zur Tür ging. Jetzt nur nicht noch einen Fehler machen, sonst war der Tag heute endgültig gelaufen.


    Sie machte zwar einen gefassten Eindruck, als sie die Tür öffnete und dem Praetorianer gegenüberstand. Doch das war alles nur reine Fassade. In Wirklichkeit raste ihr Herz vor Aufregung. Zum Glück ging ihr Gegenüber auf sie ein, übergab ihr eine Tabula und verschwand dann auch sofort wieder. „Ja, danke. Ich wird´s nicht vergessen,“ rief sie ihm noch nach. Nein, vergessen würde sie von all dem sicher nichts, was heute passiert war!


    Sie schloss die Tür und wandte sich wieder dem Optio zu. „Das ist ja gerade noch mal gut gegangen,“ meinte sie mit einiger Erleichterung. Bei dem Glück, das sich ihr heute einmal wieder offenbarte, hätte diese Situation auch weitaus ungünstiger für sie ausgehen können.
    „Äh, ja… wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, die Tunika! Ich bringe dir die Tunika, sobald sie fertig ist,“ sagte sie, um wieder zum eigentlichen Thema zurückzufinden. „Aber ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn du jetzt gehst. Nicht dass noch jemand plötzlich an der Tür klopft und diesmal aber um Einlass bittet. Dann bekomme ich nämlich richtig Ärger!“ Sie dramatisierte das Ganze noch mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck, damit kein Zweifel entstand, dass sie, die arme Sklavin, sich vor den drakonischen Repressalien ihres Herrn fürchtete.

  • Na also. Nach einem kurzen Moment des Schweigens schob sich endlich eine Tabula durch den Türspalt, begleitet von der Anweisung, sie auszuhändigen. Die Tür wurde geschlossen, schwere Schritte entfernten sich, und erst jetzt, als sie sich bereits wieder zu lösen begann, nahm Antias Sibels’ Anspannung so richtig wahr. Wenn sie am Leben in der Castra nicht verzweifeln wollte, musste Sibel eindeutig gelassener werden. Das war hier nun mal ein wuselnder Männerladen. Situationen wie die eben durchgestandene würde es wohl noch des öfteren geben, schließlich bildete die Habitatio den ohnehin schon stark frequentierten Mittelpunkt der Centurie, und wenn sich erst einmal herumgesprochen hatte, wer neuerdings Avianus’ Haushalt führte, würde es hier von Meldegängern, Boten, Bittstellern und Neugierigen nur so wimmeln. Und nicht nur das. Bei weitem nicht nur das. Er selbst gönnte seinem Centurio diese wonnevolle Bereicherung des manchmal recht freudlosen Soldatenlebens ohne eine Spur von Neid. In den Reihen den Milites jedoch gab es so ganz bestimmte Elemente, unter denen die Missgunst wüten würde wie die Malaria. Pilitus, Laevinus, Cordus, Sulca und noch ein paar andere verbitterte Veteranen, alt gedient und trotzdem nie befördert. Denen musste Antias in Zukunft also noch aufmerksamer auf die Finger schauen.



    Nachdenklich musterte er die hübsche Frau, die ihm nun mit Nachdruck zu verstehen gab, dass er sich besser schleunigst entfernen solle. Antias nickte. In der Tat, die Idee hatte in den vergangenen Minuten nichts von ihrer Brillanz verloren und war nun sogar umsetzbar. „Ja. Natürlich, Sibel. Ich hatte ohnehin nicht die Absicht, mich hier häuslich niederzulassen.“ Seufzend nahm er sein Cingulum von der Stuhllehne, warf es sich über die Schulter, öffnete dann die Tür und spähte hinaus. Niemand zu sehen. „Ich schick dir einen Miles mit dem Mantel vorbei.“, wandte er sich noch einmal lächelnd zu ihr um, und besann sich dabei plötzlich, warum er hergekommen war. „Ach so .. noch was .. wenn du dem Centurio ausrichten könntest, dass für den Ausgang in zwei Tagen alles vorbereitet ist, wäre ich dir sehr verbunden. Vale, Sibel. Bis bald.“ Dann trat er hinaus, schloss die Tür und beeilte sich, in den länger werdenden Schatten der Offiziersunterkünfte möglichst unbehelligt zur Seitengasse zu kommen, die zu seiner Barracke führte.

  • Wie jeden Tag nach Dienstschluss - den man als Centurio ja ohnehin nicht hatte - hatte Avianus sich erst in die Lagerthermen begeben, war dort Staub und Schweiß losgeworden und anschließend, zurück in seiner Habitatio, in sein Arbeitszimmer getreten. Normalerweise würde er sich jetzt mit Briefen, Berichten und Befehlen beschäftigen. Heute würde er dort allerdings nicht diversen Papierkram abarbeiten, sondern griff nur nach der Tabula, die man kürzlich für ihn abgegeben hatte, und stapfte lächelnd durch den Vorraum, während er dort schon am Geruch der Luft zu erraten versuchte, ob bereits gekocht wurde. Seit Sibel in seiner Habitatio lebte, hatte sich einiges verändert. Früher war es zwar nicht direkt dreckig gewesen, aber genug Zeit, jeden Tag den Sand zusammenzukehren, den er vom Exerzierplatz und aus den Straßen in seine Unterkunft trug, hatte er natürlich nicht gehabt, und es fiel ihm auf, dass auch der Staub der sich langsam auf Regale, Kästen und Beistelltische legte, öfter weggewischt wurde. Und wenn er nach einem anstrengenden Arbeitstag nicht dafür sorgen musste, sich irgendeinen Eintopf zusammenzurühren, wurde er erneut daran erinnert, welch ein Glück er hatte, dass sie nun bei ihm war.
    Mit einem Lächeln im Gesicht und der Tabula in der Hand trat er also in den Wohnbereich. Schon als er die Wachstafel zum ersten Mal in die Hand genommen hatte, war sein Blick gleich auf den Namen am Ende der Nachricht gefallen und nur einen Augenblick später, nachdem er sie überflogen hatte, hatte er bereits gewusst, was er heute damit machen würde: Sibel eine kleine Freude bereiten. Oder vielleicht auch eine große.
    "Sibel, hast du eigentlich mal was neues von Morrigan gehört?", wollte er sich mit einem Grinsen, welches ihn vermutlich ohnehin bereits verriet, einen kleinen Scherz erlauben.

  • Seitdem Sibel in der Castra lebte, hatte sie sich zu einer richtigen Köchin gemausert. Am Anfang war ihr noch so manches Missgeschick passiert: Mal waren ihr die Zwiebeln angebrannt oder sie hatte das Garum vergessen. Es konnte natürlich auch sein, dass sie zu viel Garum benutzt hatte und ihre Speise davon heillos versalzen schmeckte.
    Inzwischen aber waren solche Fauxpas die Seltenheit geworden. Wenn Avianus abends nach Hause kam, duftete es meistens schon nach etwas leckerem. So war es an diesem Abend auch. Am Morgen war Sibel auf dem Markt gewesen und hatte frisches Gemüse und Fisch gekauft. Sie war auch wieder einmal beim Gewürzhändler hängen geblieben und hatte dort die Düfte der exotischen Gewürze eingesogen. Natürlich hatte sie dann auch einige Gewürze gekauft, um den Händler nicht zu verärgern.


    Nun saß sie am Tisch und hackte noch ein paar Kräuter fein. Über der Feuerstelle stand schon ein Kessel, in dem der Fisch mit samt dem kleingeschnittenen Gemüse köchelte. Das Fladenbrot, was sie dazu reichen wollte, hatte sie bereits zuvor gebacken.
    Als Avianus plötzlich in der Tür stand, sah sie überrascht auf. „Morrigan? Nein, wieso?“ Dann sah sie sein Grinsen und sie wusste genau, wenn er so grinste, dann führte er etwas im Schilde. „Wir können übrigens gleich essen,“ meinte sie dann und ließ sich nichts anmerken.

  • Ahnte sie nichts oder tat sie nur so? Mit forschendem Blick, gleichzeitig noch immer lächelnd, ging er um den Tisch herum und warf einen kurzen Blick auf das frisch gebackene Brot und in den Kessel, aus dem ihm der Duft von Gewürzen entgegenströmte, die er sonst immer nur von Daheim in Misenum, aus Garküchen oder von Cenae in der Casa Iunia kannte, Seit er Soldat war, gab er sich meist mit dem nötigsten zufrieden, und wer Puls aufwändig zu würzen versuchte, hatte sowieso einen Knacks. Aber das hier war weder ein halbherzig und mit Zutaten, die man eben gerade zur Hand hatte, fabrizierter Eintopf noch war es schnöder Puls. Einmal mehr durfte er sich also über frisch gekochtes leckeres Abendessen freuen.
    Nachdem er Sibels Werk flüchtig begutachtet hatte, trat er von hinten an sie heran und beugte sich zu ihr hinab. Er schob den Stoff ihrer Tunika etwas beiseite und gab seiner so ahnungslos wirkenden Geliebten neckisch einen Kuss auf die Schulter. "Hmhm …", gluckste er ihr dabei fröhlich ins Ohr bevor er zu einer Antwort ansetzte, sah aber davon ab, sie weiter derart abzulenken. Nicht dass sie sich am Ende noch in ihre Finger schnitt.
    "Weißt du, erst habe ich mich gefragt, was ich wohl dafür kriege, wenn ich mir nachher mit dir ansehe, was sie uns so schreibt", während er sprach ließ er wieder von ihr ab, setzte sich an den Tisch und präsentierte die Tabula. "Aber wenn das Essen nur halb so gut schmeckt wie es riecht und aussieht, sind wir mehr als quitt. Was hältst du davon?"

  • Noch tat sie ahnungslos und verzog dabei keine Miene. Als Avianus jedoch hinter sie trat, ihre Tunika leicht über ihre Schulter zog uns sie dort küsste, zeigte sich ein breites Lächeln auf ihren Lippen. Vorsichtshalber hielt sie mit dem schneiden der Kräuter inne, denn sie kannte sich gut genug, um zu wissen, wie ungeschickt sie manchmal mit dem Küchenmesser in der Hand sein konnte.
    Sie hatte bereits eine Ahnung, das sein schelmisches Getue etwas mit dieser Tabula zu tun hatte, die erst vor wenigen Tagen für ihn abgegeben worden war. Zwar hatte sie nicht lesen können. worum es darin ging, doch hatte sie die Lettern des Namens, der am Ende der Tabula stand, wiedererkannt. Und nun, da er sie auf diese Art und Weise nach Morrigan gefragt hatte und dabei auch noch dieses verräterische Grinsen im Gesicht hatte, konnte Sibel eins und eins zusammenzählen. Und nun da er Stück für Stück die Katze aus dem Sack ließ und somit verriet, was er vorhatte war ihr eh alles klar
    Nachdem er sich zu ihr an den Tisch gesetzt hatte, stand sie auf, nahm die geschnittenen Kräuter und gab sie in den Kessel. Noch einmal umrühren, fertig! Bevor sie das Essen jedoch servierte, schmeckte sie es noch einmal ab.
    „Das ist aber kein guter Handel,“ meinte sie plötzlich. Mittlerweile konnte sie sich auch nicht mehr das Grinsen verkneifen. „Du kannst mir viel erzählen, was Morrigan geschrieben hat. Und das hier duftet nicht nur gut, es schmeckt auch so!“ Dann nahm sie die beiden Teller, die sie schon bereit gestellt hatte und füllte beide mit dem Fisch in Gemüse.
    „Lass dir´s schmecken!“, sagte sie und grinste ihn nun ganz ungeniert an.

  • So lief das also, dachte er belustigt, als Sibel sich auf sein kleines Spielchen einließ. Avianus nahm den gefüllten Teller entgegen und stellte endlich fest, dass nicht nur er bei bester Laune war, sondern nun auch Sibel fröhlich grinste. Genau so hatte er sich jeden Tag vorgestellt, als er mit ihr die Villa des Helvetiers verlassen hatte, ganz so einwandfrei war es seitdem nicht immer verlaufen, aber den heutigen Tag wollte er sich davon ganz bestimmt nich vermiesen lassen.
    "Willst du mir unterstellen, ich würde dir irgendeinen Blödsinn erzählen?", fragte er amüsiert, riss sich ein Stück Fladenbrot ab und schob es sich gemeinsam mit dem ersten Stück Fisch in den Mund. Zweifellos hatten sich die Decimer damals eine gute Köchin durch die Lappen gehen lassen, fand er. Über den einen oder anderen anfänglichen Ausrutscher sah er getrost hinweg. Er riss sich zusammen, den Fisch nicht einfach hinunterzuschlingen, obwohl er inzwischen hungrig war wie ein Bär, sondern versuchte, das Essen zu genießen, und außerdem brauchte er dann nicht mit leerem Teller dazusitzen, während Sibel noch aß.
    "An dir ist eine Köchin verloren gegangen, Sibel", hatte er gleich ein Lob parat, nachdem er geschluckt hatte, und griff dann das vorhergehende Thema wieder auf: "Nun gut, ich hatte ja auch nicht vor, dir den Brief einfach nur vorzulesen … Ich nehm mir den restlichen Abend frei, du packst nachher deine hübsche Tabula aus, damit du dir Notizen machen kannst, und wir sehen mal, was daraus wird."
    Damit hatte er ihr also sein Vorhaben offen dargelegt - wobei sie inzwischen sicherlich schon von allein darauf gekommen war-, aß weiter und blickte sie dabei über den Tisch hinweg abwartend und gleichzeitig lächelnd an - nicht weil er auf ihre Reaktion gespannt war, denn er war sich sicher, dass sie sich freuen würde. Vielmehr wollte er nicht verpassen, wie ihr Lächeln noch etwas breiter werden würde.

  • Sibel griff nun auch zu. Sie füllte ihren Teller, zupfte sich auch ein Stück vom Brot ab und tunkte es als erstes in die Soße. Dann probierte sie den Fisch, der wirklich butterweich geworden war und ein wenig den Geschmack der Kräuter und Gewürze angenommen hatte, die sie am Morgen vom Markt mitgebracht hatte. Auch die Karotten und der Lauch, die dem Fisch während der Zubereitung im Kessel Gesellschaft geleistet hatten, harmonierten sehr gut mit dem Rest.


    Wieder sah sie zu ihm hinüber und grinste. Nicht nur weil er zwar einen guten Appetit hatte, sich aber zwang, den Fisch langsam zu essen und ihn nicht schnell hinunterzuschlingen, wie er es vielleicht am liebsten getan hätte. „a sicher! Ich kann es ja nicht überprüfen, “ entgegnete sie ihm auf seine nicht ganz so ernst gemeinte Frage. Als er ich dann ein Kompliment machte legte sie auf der Stelle ihren Löffel. „Na da haben wir´s doch! Schon wieder flunkerst du!“, empörte sie sich gekünstelt, grinste aber immer noch dabei.
    Doch endlich kam die Auflösung des Ganzen. Er wollte ihr Morrigans Brief nicht einfach nur vorlesen, sondern sich den Abend für sie frei machen. Dies würde sozusagen ihre erste Lektion werden im Lesen und Schreiben. Er hatte es ihr ja schon lange versprochen. Doch nun war endlich die richtige Gelegenheit gekommen.
    „Das willst du wirklich für mich tun?“ Diesmal lächelte sie dankbar und begann weiter zu essen. Nun konnte es an sich nicht mehr schnell genug gehen.
    Als sie zu Ende gegessen hatten, räumte sie das Geschirr weg und kramte aus ihren Sachen die Tabula hervor, die er ihr geschenkt hatte.

  • "Also, bei sowas flunkere ich doch nie …", kommentierte Avianus bloß grinsend ihre letzte Frage, aß zu Ende und wischte den Rest der Soße noch mit Brotstücken auf. Er war sich inzwischen nie sicher, ob sie ihn mit solchen Fragen nicht doch auf den Arm nehmen wollte. Welchen Grund hatte er denn, es nicht zu tun? Die Papiere und Tabulae, die heute auf seinem Schreibtisch lagen, liefen ihm so schnell nicht davon und konnten auch den einen oder anderen Tag warten. Liebend gern würde er also auch den Rest des Abends mit ihr verbringen.


    "Also gut, setz dich her", sagte er, als sie ihre Tabula hervorgeholt hatte, und schob die beiden Stühle näher zusammen, damit sie beide einen guten Blick in die Tabula und auf den Brief hätten. Er hatte beschlossen mit ihr am Tisch sitzen zu bleiben, selbst wenn das Bett oder eine Kline vielleicht bequemer wäre, doch konzentrieren ließ es sich gerade am Tisch um einiges besser. Darüber, wie er beginnen sollte hatte er sich ebenfalls schon länger Gedanken gemacht. Dass seine Arbeit zum Teil daraus bestand, Leuten neues beizubringen, war dabei definitiv eine Hilfe, selbst wenn er für gewöhnlich jungen Männern zeigte, wie Schwert und Schild gehalten wurden, ihnen verschiedene Formationen erklärte und ihnen beibrachte Feinde, wirksam auszuschalten. Denn zumindest eines wusste er daher: Man begann ausnahmslos immer bei den Grundlagen. Bevor er sich mit ihr also den Brief genauer ansah, wollte er ihr erst noch ein paar Dinge erklären, nachdem sie sich zu ihm gesetzt hatte.
    "Wir benutzen doch, wenn wir sprechen, verschiedene Laute, oder? Was wir beim Schreiben machen, ist, dass wir die Wörter einfach in diese einzelnen Laute zerlegen. Sagen wir mal … Sibel … ein S, dann I, ein B, ein E, und zum Schluss L, … oder Aulus ... A, U, L, noch einmal U und S. Und für jeden dieser Laute haben wir ein eigenes Zeichen. Buchstaben eben. Und wenn du liest, musst du dich im Prinzip nur daran erinnern, welcher Laut zu welchem Buchstaben gehört und dann diese wieder aneinanderreihen."
    Er nahm die Tabula zur Hand und schrieb auf einer der beiden Seiten in einer Liste alle Buchstaben des Alphabets auf:
    "A, B, C, D, E, F, G, H, I, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, V, X, Y und Z", sagte er dabei, "Keine Sorge, du wirst sie dir mit der Zeit merken ... Soweit alles klar?"

  • Zitat

    Original von Aulus Iunius Avianus



    "Du sprichst ständig von anderen, die bei ihm sind. Wie viele sind sie? Eine grobe Schätzung wäre gut genug", fragte Avianus schon etwas besorgter als noch zuvor. Dass sich hinter dem Rücken der Cohortes Urbanae eine kleine Armee verrückter Christianer aufstellte, konnte er sich zwar kaum vorstellen, aber unmöglich war es ja nicht.
    Vollkommen egal, wie es auf der Seite der Christianer aussah, sie hatten einen bedeutenden Vorteil, und der saß ihm direkt gegenüber.
    Wenn sich diese Leute demnächst also wieder träfen, wäre es sicherlich das Beste, gleich zuzuschlagen, bevor sie mehr Anhänger fanden oder Wind davon bekämen, dass man ihnen auf der Spur war. Nur wie er mit Sarah umgehen sollte, da war er noch nicht ganz sicher. Immerhin war sie ein Risikofaktor, sie könnte genauso zur Gefahr werden, wenn sie plötzlich doch wieder die Seiten wechselte oder ein schlechtes Gewissen bekam. Groß war die Versuchung, sie hier und jetzt festnehmen zu lassen, allerdings so hatte er zumindest zu Beginn gesagt, sollte doch jenen, die mit den Urbanern kooperierten nichts geschehen, zwar immer mit dem Hintergedanken, schlussendlich doch noch einen endgültigen Schlussstrich unter den ganzen Ärger mit der Sekte zu ziehen, aber sein Zorn, den er damals noch gegen sie gehegt hatte, war zumindest ein wenig abgeklungen.
    "Könntest du meine Soldaten zu dieser Werkstatt, oder wo auch immer sie sich treffen, hinführen?"


    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    „Sie waren zu fünft. Narseh und noch vier andere Männer aus unserer Gemeinschaft. Doch wie viele es tatsächlich sind kann ich nicht sagen. Aber Narseh ist sehr beharrlich. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es inzwischen schon viel mehr sind.“ Das war natürlich alles nur Mutmaßung. Doch je länger sie darüber nachdachte, wie viele sich bereits aus ihrer Mitte dem Perser angeschlossen hatten, begriff sie langsam. welche Ausmaße diese „Sache“ bereits genommen haben konnte. Ihr fröstelte bei dem Gedanken, was die Urbaner tun würden, wenn dem so war. Im Prinzip konnte jetzt jeder verdächtig sein und wenn jeder verdächtig war, konnte auch jeder verhaftet werden…


    Der Kampf des Für und Widers, der bisher in Sarahs Innerstem gewütet hatte, schien nun entschieden zu sein. Ich überdachte alles neu und kam zu einen Entschluss. Nein, Sarah würde von nun an nichts mehr sagen. Nichts was ihre Geschwister in Gefahr bringen konnte. Warum hatte sie auch nur geglaubt, es könne von Vorteil sein, hierher zu kommen?
    „Ich … ich äh , ich kann es dir nicht sagen und ich glaube, ich will jetzt gehen.“ brachte sie stammelnd hervor und erhob sich. Wenn es dafür mal nicht schon zu spät war!

  • Natürlich flunkerte er nicht! Doch ihr machte es inzwischen Spaß sich auf seine Spielchen einzulassen. Und da es heute Abend einen ganz besonderen Anlass dazu gab, freute sie sich noch mehr.


    Nachdem sie Platz geschaffen hatte, setzte sie sich zu ihm. Die Tabula, die immer noch jungfräulich war, lag vor ihr. Bisher hatte sie keine Verwendung dafür gehabt, da sie ja nicht des Schreibens mächtig gewesen war- Doch das sollte sich von nun an ändern!
    Aufmerksam hörte sie sich seine Erklärungen an, über die verschiedenen Laute aus denen die Wörter zusammengesetzt waren und wie man sie sozusagen in Buchstaben einfing, um sie dann niederschreiben zu können. Anhand seines und ihres Namens gab er ihr nun Beispiele, so dass es ganz leicht war, zu verstehen, was er meinte.
    Als nächstes ritze er nun die Buchstaben des Alphabets auf die eine Seite der Tabula ein. Einige der Zeichen kannte sie bereits vom Sehen. Doch allmählich erinnerte sie sich daran, wie sie als Kind auch schon einmal diese Zeichen gelernt hatte. Es war so lange her. Damals, zu Hause in Myra… zusammen mit ihrem Vetter, der nur einige Monate jünger war, als sie. Das musste kurz bevor ihre Mutter ihrer Krankheit erlegen war gewesen sein. Da sie nur wenige Wochen später Opfer jener Katastrophe wurde, die von da an ihr gesamtes Leben bestimmen sollte, hatte sie ihre Studien nicht mehr fortführen können und das Gelernte schlichtweg wieder vergessen. Doch nun aber kamen die Erinnerungen schrittweise wieder zurück. Stück für Stück...


    „Ja, ich denke schon,“ antwortet sie und wirkte dabei fast etwas abwesend, was natürlich nicht daran lag, weil sie ihm nicht zugehört hatte. „Soll ich es auch einmal versuchen?“ Sie nahm den Stylos und ritzte Buchstaben für Buchstaben in den Wachs. Dabei schien sie nur wenig Schwierigkeiten zu haben. "Aulus, ich glaube, ich lerne das heute nicht zum ersten Mal..."

  • Nickend hörte er zu. Mit fünf Männern fing es an, und am Ende hatten sie eine ganze Schar Bewaffneter am Hals. Er hatte damals in der Taberna also Recht gehabt. Von dieser Sekte kam nichts Gutes, nur Zwietracht und Hass, und gleichzeitig wunderten sich deren Mitglieder dennoch, weshalb ihnen Misstrauen entgegengebracht wurde. Wie hatte er auch nur einen Moment daran zweifeln können, wo es doch so klar auf der Hand lag?
    Er hatte eine Entscheidung zu treffen, darüber, was für alle Beteiligten das Beste war. Und zweifellos war es doch das Beste, keinen derer übrig zu lassen, die bedrohten, was zu schützen seine Pflicht war. Nicht nur fünf würden sie sich holen. Alle. Sie würden diese Gruppe ausradieren, die seit Jahren nur für Ärger sorgte, die ihm mit ihren unerlaubten Missionierungen beinahe Sibel genommen hätten, die beinahe einen seiner besten Soldaten abgestochen hätten und die jetzt Widerstand leisten wollten. Es war genug.
    Wortlos erhob er sich gemeinsam mit Sarah, nickte erneut und ging noch mit ihr gemeinsam Richtung Tür, packte aber kurz davor ihren Arm.
    "Nein …", sagte er, "Du gehst nirgendwo hin." Und während er sprach griff er nach ihrem zweiten Arm drehte ihr beide hinter den Rücken und trat gegen die Tür. "Miles Peducaeus Hispo! Veni!", rief er nach dem Miles, dem er zuvor befohlen hatte, vor der Tür zu warten.

  • Natürlich hielt er sie nicht davon ab, selbst den Stilus in die Hand zu nehmen und sich am Schreiben der Buchstaben zu versuchen. Genau dafür waren sie ja hier. Avianus sah ihr leicht verwundert dabei zu, wie sie mühelos die Zeichen ins Wachs ritzte. Er war ja erst davon ausgegangen, dass sie noch nie einen Buchstaben geschrieben hatte.
    "Du hattest schonmal Unterricht im Lesen und Schreiben?", fragte er, weil er sich aus ihrer etwas seltsamen Aussage keinen anderen Reim machen konnte. Darüber hatte er noch gar nie nachgedacht und außerdem kannte er ja noch lange nicht jede Einzelheit ihrer Vergangenheit. Das hier hörte er heute jedenfalls zum ersten Mal.
    "Alles in Ordnung?" Er war nicht sicher, wie leicht oder schwer es ihr inzwischen fiel, sich an ihre Vergangenheit zurückzuerinnern, doch sie wirkte nicht beunruhigt oder aufgewühlt, einzig und allein, dass sie ein wenig zerstreut schien, das sah er deutlich. Vielleicht sollte er einfach weitermachen, um sie abzulenken ... bei den Göttern, wenn er nur wüsste, was sie gerade dachte.
    "Du kannst ja versuchen das Alphabet laut zu wiederholen …", schlug er vor und dachte gleichzeitig über einen Weg nach, wie sie die Buchstaben auch allein lernen könnte, wenn er tagsüber im Dienst war. Mit Symbolen, die sie für bestimmte Wörter in das Wachs ritzte vielleicht? A wie Aulus, B wie basium, C wie carissima, … Ja das könnte funktionieren. Mit anderen Begriffen vielleicht, die sich leichter umsetzen ließen, aber ganz blöd war es nicht.

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    Sextus Peducaeus Hispo


    Je stiller die fortschreitende Nacht wurde und je länger Hispo auf sein Scutum gestützt vor der Offiziersunterkunft verharrte, desto unwohler wurde ihm in seiner Haut. Allmählich begann er sich zu fühlen wie eine Ziege, die der Hirte am Abend vergessen hatte, von der Weide zu treiben. Aber die Warterei war nicht das schlimmste, weit schlimmer war seine Fantasie, die ihm die wollüstigsten Bilder vorgaukelte. Eigentlich kannte er den Centurio gut genug, um zu wissen, dass der sich auf nichts einlassen würde, nicht hier in der Castra. Andererseits war Avianus auch nur ein Mann, und Gelegenheit machte bekanntlich müde Männer munter, oder so ähnlich.


    Hispo gönnte es dem Iunier durchaus, wäre aber trotzdem am liebsten mit einem Eimer kalten Wassers in die Liebeshöhle gestürmt, um das höchst ungerechte Treiben zu beenden. Schnaubend begann er vor der verschlossenen Tür auf und ab zu stapfen. Vielleicht sollte er ein Lebenszeichen von sich geben? Mit einem dezenten Klopfen darauf hinweisen, dass er auch noch da war? Auf leisen Sohlen näherte er sich der Tür und lauschte. Keine spitzen Bekundungen des Entzückens, kein ekstatisches Japsen, nur gedämpftes Gemurmel war zu vernehmen, und das konnte verflucht nochmal alles mögliche bedeuten.


    Als unvermittelt von innen gegen die Tür gedonnert wurde, setzte es Hispo fast den Helm ab. Instinktiv stürzte er sich auf die Klinke und hatte den roten Kopf in der Habitatio, kaum dass Avianus’ Kommando verklungen war. „Centurio?“


  • [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Auch wenn sie dem Frieden nicht recht trauen wollte, schritt sie zur Tür. Der Centurio begleitete sie schweigend. Er hatte mit seiner Fragerei nicht noch einmal nachgehakt und wollte nicht noch mehr und mehr wissen. Er hatte auch nicht darauf bestanden, ihm seine bereits gestellte Frage zu beantworten, obwohl diese Antwort doch so essentiell gewesen wäre für seine Nachforschungen. Spätestens jetzt hätte ihr klar sein müssen, dass sie die Castra an diesem Tag nicht mehr wieder verlassen würde.


    Als der Türgriff bereits zum Greifen nah war und sie sich schon in Sicherheit wog, geschah es. Er packte sie, riss sie zurück, griff nach ihrem anderen Arm und drehte beide auf ihren Rücken. „WAS?“, schrie Sarah, und begann sich zu winden. Doch je mehr sie sich wand, umso schmerzhafter wurde es für sie „Lass mich! Lass mich gehen! Du hast es mir versprochen!“ Nun, da ihre Hände nicht mehr frei waren, begann sie, heftig nach ihm zu treten und traf ihn auch einige Male. Doch dann stolperte sie und ihre Gegenwehr erstarb zwangsläufig.


    Inzwischen hatte der Centurio nach Hilfe gerufen. Es dauerte nicht lange, bis sich die Tür öffnete und der Soldat, der sie hergebracht hatte, im Türrahmen erschien.

  • Ein seltsames Gefühl beschlich Sibel, als sie merkte, wie leicht ihr das Einritzen der Lettern von der Hand ging. Zwar wirkten die Buchstaben noch etwas ungelenk und sahen nicht gerade gleichmäßig aus, doch schien es, als habe sie bereits vor langer Zeit schon einmal etwas mehr Übung darin gehabt..
    „Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht so genau sagen. Doch ich erinnere mich, dass ich als Kind oft mit meinem jüngeren Vetter einige Zeit zusammen verbracht habe. Es gab, wenn ich mich recht erinnere, einen Hauslehrer für die Söhne meines Onkels. Vielleicht kommt es daher…aber richtig lesen und schreiben habe ich nie gelernt, glaube ich.“
    Einerseits fand sie es spannend, sich plötzlich wieder an gewisse Einzelheiten aus ihrer Kindheit zu erinnern. Andererseits wurde sie aber auch wieder damit konfrontiert, dass diese Welt, in der sie einst gelebt hatte und so viel Geborgenheit gehabt hatte, schon lange nicht mehr existierte.


    „Ja, alles in Ordnung!“, sagte sie und hatte dabei ein wehmütiges Lächeln parat. Natürlich hatte sie das alles sehr aufgewühlt und sie fühlte sich seltsam betrübt. Sie hatte nicht nur ihre Familie verloren, auch die Sicherheit eines wohlbehüteten und gutversorgten Heimes, in dem sie als Tochter, als Nichte und als Base geliebt worden war, in der sie frei vom Makel der Sklaverei gewesen war. Eine Tochter aus gutem Hause. Andererseits hätte sie so niemals Avianus kennenlernen können. Ihre Wege hätten sich wohl nie gekreuzt, denn sie wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit einem lykischen Mann versprochen worden und keinem Xenos!


    Sibel versuchte, sich wieder auf die Buchstaben zu konzentrieren, um nicht noch weiter gedanklich abzuschweifen. Ihre frühere Welt war eine verlorene Welt – unwiederbringlich verloren!
    „Ja, das … das kann ich machen. Ich versuche es… A wie Aulus, B wie … wie Beroe, C wie captivitate…“ Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen, doch sie wollte Avianus gegenüber nicht undankbar sein und zwang sich, ihren Emotionen keinen freien Lauf zu lassen und einfach loszuheulen.

  • Kaum hatte er sie gepackt, begann sie nach ihm zu treten und traf ihn dabei mehr als einmal an Knien und Schienbeinen. Ausweichen konnte er den Tritten in der gegenwärtigen Situation natürlich nicht, also biss er die Zähne zusammen, sein Griff wurde noch fester und er wollte sie bereits gegen eine der Wände drücken, zu seinem Glück schaltete sie sich durch ihre Gegenwehr jedoch selbst aus. Den Augenblick, als Sarah ihr Gleichgewicht verlor, nutzte er und drückte sie mit aller Kraft zu Boden. Was musste sie auch versuchen, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Dass ihre Chancen dabei schlecht standen, hätte sie wissen müssen. Und was hatte er ihr denn versprochen? Doch nur, dass er jene Christianer einsperren würde, die eine Gefahr darstellten und den Rest in Frieden lassen würde. Wenn jeder ihrer Sekte eine Gefahr darstellte, war das wohl kaum seine Schuld. Und selbst wenn es anders wäre … was war schon ein Versprechen gegen seinen Eid? Manchmal musste man eben Opfer bringen um das richtige zu tun. Erst jetzt sah er wieder auf und in das Gesicht seines Miles, der den Kopf durch die Tür steckte.
    "Du wirst mit helfen sie in den Carcer zu bringen", befahl er dem Peducaeus und wandte sich gleich wieder an die Christianerin, die vor ihm auf den Dielen lag. "Ich werde dich wieder auf die Füße stellen und wenn du nochmal nach mir trittst, werde ich dich verschnüren wie ein Paket, klar?", gab er Sarah zu verstehen. Er ging davon aus, dass sie verstand und zerrte sie an den Armen wieder auf die Beine, was sicher alles andere als angenehm war, womöglich sogar schmerzhaft, aber das Risiko sie loszulassen wollte er nicht eingehen. Hispo bedeutete er richtung Carcer voranzugehen, irgendwer musste ihm schließlich unterwegs die Türen öffnen, und wenn sie sich erneut wehrte, wären sie nun zwei Urbaner gegen ein Mädchen.

  • Er hatte sich nicht geirrt, das Schreiben der Buchstaben hatte sie in ihre Vergangenheit zurückversetzt, weit zurück nach Lykia in ihre Kindheit. Dass sie dabei nicht freudestrahlend neben ihm saß, war kein Wunder. So ganz wollte er ihr deshalb auch nicht glauben, als sie ihm sagte, dass alles in Ordnung war, denn besonders glücklich sah sie nicht aus. Und dabei waren sie doch genau deshalb hier: Avianus wollte ihr eine Freude machen, indem er den Abend mit ihr verbrachte anstatt im Officium zu arbeiten, indem er ihr diesen Wunsch erfüllte, den sie so lange Zeit gehegt hatte, Lesen und Schreiben zu lernen. Er erwiderte ihr Lächeln schließlich dünn und ließ sie weitermachen, doch dieses Lächeln verblasste, als sie damit begann, die Buchstaben erneut durchzugehen, und ihn daran erinnerte, wie schwer ihre Vergangenheit noch immer auf ihr lastete. Beroe lag hinter ihr, ebenso ihre captivitas. Keinen Gedanken sollte sie mehr daran verschwenden. Und weinen sollte sie heute erst recht nicht.
    Er legte einen Arm um sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Er dachte daran zurück, wie er sich vorgenommen hatte, ihr von nun an öfter zu sagen, wie schön und wertvoll sie für ihn war, was er in der Vergangenheit viel zu oft vernachlässigt hatte. Wenn sie sich in diesem Leben willkommen, geliebt und geschätzt fühlte, vielleicht würde es ihr dann leichter fallen, ihr altes loszulassen, damit abzuschließen, was ihr früher passiert war. Wenn es jemanden gab, der ihr dieses Gefühl geben konnte, dann vermutlich er.
    "Amandissima, bellissima, carissima, dulcissima, egregia maxime, fidelissima …", zählte er selbst nur auf, zwang sich zu einem leichten, aufmunternden Lächeln und gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen, um so die Tränen, die ihr bereits glänzend in den Augen standen, hoffentlich wieder zum Versiegen zu bringen."Möchtest du eine Pause machen?", fragte er dann und wartete ab, ob sie fortsetzen oder sich lieber erst etwas Zeit nehmen wollte um sich zu beruhigen.

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