Mit einem freundlichen Nicken nahm Antias den Mantel entgegen und überreichte Sibel im Gegenzug seine nasse Tunika. Für einen Moment schien sie tatsächlich geglaubt zu haben, er wolle sich an ihr vergreifen. Ein wenig leid tat es ihm nun schon, ihr mit seinem Scherz Angst eingejagt zu haben. Aber nur ein wenig. Immerhin war sie es gewesen, die ihn mit Schmutzwasser bekübelt hatte, nicht umgekehrt, und nun waren sie beide endgültig quitt. „Es eilt nicht, Sibel ..“ beruhigte er sie, während er sich den Mantel umwarf. „.. ich hab nicht nur die eine Tunika. Alles halb so schlimm. Ich will nur nicht am helllichten Tag halbnackt zu meiner Unterkunft stapfen. Macht einen ziemlich nachlässigen Eindruck.“
Gerade als der die Mantelschließe eingehakt hatte und sich zum Gehen wandte, wummerte es energisch gegen die Tür. Natürlich. Gerade jetzt. Er hatte fast schon mit derlei gerechnet. Die Götter waren also wieder mal am Würfeln. Sibel wurde bleich. Jetzt tat sie ihm wirklich leid. Das war wohl alles etwas viel für den zweiten Tag in Avianus’ Diensten. Sichtlich erschrocken forderte sie ihn auf, sofort zu verschwinden. An sich keine schlechte Idee, zudem hatte er das ohnehin gerade vorgehabt, nur stand da unüberhörbar ein Miles vor der Tür.
Antias nickte zustimmend, seufzte tief, rührte sich aber nicht vom Fleck. Es gab eben Tage, an denen die bizarrsten Dinge mit einer solch selbstverständlichen Zwangsläufigkeit passierten, dass auch dem ungläubigsten Grübler die Zweifel an der Existenz der Götter vergingen. Alberne verspielte Götter, die ihren Spaß daran hatten, die Sterblichen zu piesacken. An solchen Tagen brauchte man den Helm bei der Patrouille nur ein einziges mal abzusetzen, um sich den Schweiß zu trocknen, und konnte mit Sicherheit davon ausgehen, dass einem unverzüglich eine vollgefressene Taube ihren gesamten Darminhalt in die Haare schiss. Dass er an einen solchen Tag geraten war, hatte sich schon mit dem unfreiwilligen Bad im Putzwasser vermuten lassen. Nun war es Gewissheit.
Entsprechend unaufgeregt vernahm er die gedämpfte Kunde einer Nachricht für den Centurio, bedachte Sibel mit einem schiefen Grinsen, schlug die Arme übereinander und lehnte sich kopfschüttelnd an die Wand neben der Tür. Oh nein, er würde nicht in blödsinnige Panik verfallen und sich unter Möbeln verstecken oder durch eines der rückwärtigen Fenster klettern. Nicht an Tagen wie diesem. Die Götter überließen für gewöhnlich nichts dem Zufall. Irgendein geschwätziger Miles, den es ansonsten niemals hinter die Offiziersunterkünfte verschlug, würde heute da hinten rumstehen und seine Flucht beobachten. Garantiert. Verfängliche Situationen waren immer nur so verfänglich wie man sie machte.
Sibel wirkte wieder recht gefasst, als sie den Boten durch den Türspalt hindurch abzuwimmeln versuchte. Antias erlaubte sich, aufzuatmen. So hätte es doch auch bei ihm laufen können. Hätte Sibel für ihren Stubenputz nur ein klein wenig länger gebraucht, würde nun dieser Miles da draußen in den Genuss eines Eimers voll dreckigem Wasser kommen. Aber der Bursche hatte wohl ganz im Gegensatz zu Antias keinen dieser unseligen Scheißtage erwischt. Gleichviel, es war wie es war. Entweder, der Miles verschwand ohne weiteres wieder, was Antias natürlich am liebsten gewesen wäre, oder dieser verkorkste Tag würde noch weit verkorkster werden.